Reaktionswärme

In der Feiningerausstellung, die wir gestern in der Schirn Kunsthalle sahen, wurde mir seine enge Beziehung zur Musik, insbesondere zur Fuge erstmalig klar. Und seine strengen Kompositionen, die wenig Spontanes haben, spiegeln das auch wieder. Viele andere Facetten seines Werkes waren mir zwar nicht neu, rückten aber näher, so dass ich Lust zu Malen bekam. In den letzten Jahren seines Lebens fertigte er kleine aquarellierte Zeichnungen an, die im Format meinen Buchmalereien ähneln.

Mein Thema an diesem Morgen war das Zusammenspiel von Aquarell, Haarlocken, Gravuren und Schraffuren. Die Schwünge, die von den Haaren markiert werden, lassen sich nur bedingt steuern. Manchmal färbe ich sie schon vorher ein und manchmal lege ich sie nass in eine Schraffur, die ich vorher mit einem oder mehreren Aquarellstiften gemacht habe. Dann verstärke ich bestimmte Areale mit intensiven Farben.

Die Erzählung beginnt, wenn ich andere Elemente hinzuzeichne, die im Raum schwebend eine Verbindung eingehen wollen. Auch mehr oder minder geerdete Figuren bieten ihre Energie für einen symbiotischen Austausch. Diese Durchmischungen erzeugen eine Kraft, die dann zwischen den Buchseiten eingeschlossen ist. Am nächsten Morgen versuche ich einen Teil davon wieder aufzunehmen und gebe die „Reaktionswärme“ der neuen Malereien an die digitalen Collagen weiter.

218

Am Morgen konnte ich mich über die entstandenen Buchmalereien freuen. Wenn ich mich mit der geschichteten Dichte zurückhalte, entstehen klarer geordnete Bilder. Diese Arbeitsweise gab es schon manchmal in den letzten zwanzig Jahren, sie hat sich aber in den letzten Tagen wieder neu etabliert.

Die ersten Arbeitstagebucheinträge, die ich im Netz gemacht habe, entstanden im Jahr 2011. Seither hat sich diese Arbeit verändert und vor allem intensiviert. Heute ist dies der 218. Eintrag dieses Jahres und somit sind in dieser Zeit 654 Collagen entstanden. Sie bebildern die alltägliche Suche.

654

Am Nachmittag wollen wir eine Feiningerausstellung in der Schirn besuchen, denn es ist Hochzeitstag. Ich werde also am Nachmittag nicht mehr arbeiten. Morgen kommen die Schüler noch einmal und dann kann es Weihnachten werden.

Modellieren

Gestern in den Läden der kleineren Einkaufsstraßen der Stadt und in den S-Bahnen, den U-Bahnen dazwischen, verdichteten sich im Gedränge die vielen Gesichter der Bewohner der Stadt zu einer zähen Masse. In der Erinnerung kann ich sie formen, wie das halbtrockene Pappmaché aus dem man Figuren modellieren kann.

Wieder versuchte ich, was mir nicht ganz gelang, mich mit der Verdichtung der Buchmalereien zurückzuhalten. Ich schaue zurück in das Jahr 2009, lese was ich schrieb und schaue mir die Figuren an, die ich in das Tagebuch zeichnete. Das soll mir helfen, mein Denken zu ordnen, in die Zusammenhänge der fortlaufenden Aufzeichnungen einzufügen.

Manchmal gehe ich auch hinaus und schaue auf die Großbaustelle. Die Kräne stehen gerade still. Aber über dem frischen Beton wuseln die Arbeiter und messen die Ingenieure. Es sieht so aus als arbeiteten sie in getrennten Welten. Über allem schwebt ein trüber Himmel. Nach der Schreibpause, wenn ich versuche meine Gedanken wieder zu finden, kehre ich manchmal zum Geschehen in den Malereien, die gerade entstanden sind, zurück. Im Zusammenspiel der Linienbewegungen und dem Klang der Farben finde ich Experimente, die zu Schwebezuständen unbewussten Daseins führen. Dennoch entwickeln sich darin zumeist auch Geschichten.

Mehr Raum

Im Historischen Museum sahen wir gestern eine Ausstellung mit Fotografien von Barbara Klemm. Es ging in den Bildern einzig um Frankfurt. Und wir merkten, dass wir nun schon fast 30 Jahre in dieser Stadt sind.

Die Buchmalereien des Morgens waren eher ein Experiment dessen, was ich alles weglassen kann. Ich habe oft das Gefühl, zu viel zu machen. Dann kann es passieren, dass sich die Dichte der Strukturen gegenseitig aufhebt. Bleibe ich aber bei einer sparsameren Begegnung verschiedener Mittel, wird die Suche deutlicher. In der dritten Malerei kombinierte ich eine schraffierte Gravur eines Schraubengewindes aus Kaza mit Haaren und Wasser. Allem ließ ich etwas mehr Raum. Manchmal entsteht durch die Intensität der Schichtungen eine Enge, die an die Einteilung eines vollen Tages erinnert.

Nun habe ich beschlossen, Rolle 10 in diesem Jahr nicht mehr fertig zu zeichnen. Mit etwas mehr Zeit sollte die Arbeit ruhiger zum Ende kommen. Vom Humboldt Forum kamen Informationen zum Theaterspektakel „Stein auf Stein“. Die Zielsetzung des Projektes ist meinen Intentionen zunächst nicht sehr nahe.

Bewegung der Musik

In der Nachmittagsdämmerung im Atelier steuert die Bewegung der Musik, es sind Choräle von Bach, die Buchmalereien. Im Netz suche ich nach Bearbeitungen dieser Kompositionen für andere Instrumente, um das Material weiter zu fassen und vielleicht tiefer ausloten zu können.

In den Kammerspielen des Schauspiels sahen wir „BILDER DEINER GROSSEN LIEBE“, nach Wolfgang Herrndorf. Auch dieser Abend hatte dieses Schweben, von dem ich gestern schrieb. Konkrete Videobilder trafen auf Textlesungen und zart gespielten Szenen. Ein Stück wurde dadurch mein Glauben an die Möglichkeiten, das gegenwärtige Theater als ernsthafte Kunst zu betreiben, wiedergewonnen.

Ich denke an Sinas Bericht über die Arbeit mit den Schülern zum Thema „Fallen“. Sie bauen Installationen, die sie dann einreißen, das auf Video aufnehmen und sprachlich reflektieren. Dann erst im zweiten Teil dieser YOU&EYE Saison kommt es zum Schreiben. Ein sehr schöner, vielschichtiger Ansatz, wie ich finde!

In der Schwebe

Im Anna Freud Institut fand vorhin die erste Zusammenkunft der YOU&EYE Künstler der 6. Saison statt. Die Künstlerinnen erzählten von Ihren Projekten, die immer mehr Experimenten ähneln, in denen sie Fragestellungen ihrer eigenen Arbeit erörtern. Das, finde ich, ist eine sehr gute Entwicklung.

Meine Schüler, es handelt sich um 7 Jungs und ein Mädchen, bemalten gestern ihre kleinen, seriell abgeformten Reliefs und arbeiteten an der Aushöhlung des Baumstammes weiter, die einst der „Müttermantel“ werden soll, in dessen stehende schwere Hülle man eintreten und ihn mit den Schultern anheben kann, wenn man es schafft.

Als sie weg waren zeichnete ich an der abstrakten Erzählung auf Rolle 10 weiter. Dort tanzen Splitter der vergangenen, gezeichneten Zeit in einem Vakuum, und die Gravitation unterschiedlicher Systeme halten sie in der Schwebe. Auch ich befinde mich zwischen den Bewegungen meines Körpers, der Musik der Kunst der Fuge und den Buchmalereien in Raum gehalten. Erstmalig vermischte ich die schraffierten Papiergravuren und Haarlockenspuren übereinander. Auch ein schwebendes System.

Schichten, Wucherungen, Umrisse

Zu meinen derzeitigen Lektüren gehört „Die Wahrheiten meiner Mutter“ von Vigdis Hjorth. Die Protagonistin des Romans ist eine Malerin, die sich ganz von allem trennen musste, um ihren Wusch, Künstlerin zu werden, gegen die Familie durchzusetzen. Dabei laufen mir Formen der Konflikte über den Weg, die aus meiner Geschichte stammen könnten. Glückversprechungen und Bedrohungen eines solchen Vorhabens erreichen so große Amplituden, dass die Entscheidung, ernsthaft sein Leben so zu verbringen, im kleinbürgerlichen Milieu als unverantwortlich bewertet wird.

Die violetten Haarstrukturen aus der dritten Malerei des Morgens, konnte ich erstmalig per Abdruck mit der feuchten Zeigefingerkuppe in die anderen Malereien übertragen. Es entstanden feine, lückenhafte Lockenlinien. Krakelige Gravurstrukturen überlagerte ich mit Tuschfedergesträuchen. Die Wucherungen wachsen aber oft in feste Umrisse von Möbel-, Figuren und Architekturfragmenten. Abdrücke der Fingerkuppen muten mitunter auch an, wie Röntgenaufnahmen vom Innenleben der, aus den Strukturen wachsenden Körpern.

Auf Rolle 10 zeichnete ich wieder Verdichtungen, setzte die Scherben neu zusammen, aus den vage durchscheinenden Linien weiter unten / hinten liegender Schichten. Schwarze Felder entstehen und gleichzeitig der Wunsch, alles wieder zu zersplittern. So geht es hin und her.

Das Gespräch endet

Die Vielzahl der Informationen zu einem Geschehnis, dessen Grund, Verlauf und Ergebnis nicht nur unterschiedlich interpretiert, sondern auch faktisch verschieden wahrgenommen wird, zersplittert den Zusammenhalt der Gesellschaften. Und insofern ich mich deswegen nicht mehr als gesellschaftliches Wesen begreife, fehlen mir die Gründe für eine Auseinandersetzung mit denen, deren Überzeugungen auf anderen Wahrheiten beruhen, als auf meinen. Das Gespräch endet.

Einzig in den Arbeitstagebüchern komme ich derzeit zum Fortschreiben von Beschäftigungslinien. Aber was gibt es dort zu entwickeln? Gehe ich von der ersten künstlerischen Bewegung des Tages, den Buchmalereien aus, so könnte ich an den entstandenen Strukturen einen produktiven Zusammenhang zwischen Bewegung und Gedächtnis ablesen.

Die fließenden Farbstrukturen aus Wasser, Pigment und Haaren, verhalten sich zu den Schraffuren, Gravuren und Verwischungen, wie Botschaften aus einer anderen Welt. Und es ist die Frage, ob diese unterschiedlichen Gestaltungsmuster gewinnbringend miteinander interagieren, sodass ein neuer Sinn entstehen kann.

Frankfurt

Nach einer Fahrt nach Thüringen ist etwas Zeit nötig, um mich wieder einzuordnen. Wenn auf der Rückfahrt Frankfurt in Sicht kommt, meinst sind es seine Lichter unter einem Abendhimmel, wird mir leichter. In die andere Richtung durch die Wetterau, die Röhnausläufer und schließlich in die Thüringer Berge, ist es eine wellenförmige Bewegung in die Vergangenheit. Von der Autobahn geht es dann durch gedrungene Dörfer mit hockenden Kirchtürmen, durch die, wie ewig erscheinenden, bedrückenden Maßverhältnisse.

Am vergangenen Sonntag folgten wir mit Kerzen einem Aufruf der Frankfurter Kultureinrichtungen an das Mainufer, um eine Lichterkette gegen Antisemitismus zu bilden. Weil zu befürchten war, dass zu wenig Menschen kommen und somit die Aktion nach hinten losgehen würde, war ich erleichtert, dass es das Gegenteil der Fall war. Und so hatten wir ein schönes, ermutigendes Erlebnis in dieser Stadt.

Der helle Morgen hat sich in einen trüben Tag verwandelt. Am Nachmittag gibt es ein digitales Meeting mit den YOU&EYE Akteuren. Ist mir ganz recht, im Atelier sitzen bleiben zu können. Spannend ist, dass ein paar neue Gesichter dabei sind, aber auch die, die schon von Anfang an dabei sind, sehe ich gerne wieder.

Baum pflanzen

Auf der Wiese in Richtung Bahndamm begann ich ein Loch in den Schotter unter dem zwanzig Jahre alten Schichtenmaterial aus Erde, Sand und Pflanzenwurzeln zu graben. Es stellte sich ein Hackrhythmus gepaart mit der Neugier ein, was wohl als nächste Schicht zum Vorschein kommt. Dort möchte ich den Feigenbaum einpflanzen, der ein Geschenk meines Nachbarn Gerhard ist.

Die sonntäglichen Buchmalereien begannen heute etwas anders. Die Aquarellfarben aus meinem Blechkasten und die Nutzung von schwarzer Tusche, waren in der Kombination selten in der letzten Zeit. Sprachlich wollte ich eine ältere Haltung wieder finden und blätterte dazu in einem Materialienbuch von und über Heiner Müller und legte es enttäuscht wieder beiseite.

Mir kommen die Bohrkerne in den Sinn, die bei Bodenuntersuchungen emporgehoben und in längliche Kästen gelegt worden sind. Unter einer dicken Schwemmsandschicht kam Lehm, von dem ich noch etwas in einem Eimer aufgehoben habe. Damit wollte ich etwas formen, vielleicht eine kleine Figur. Die Gebäude, die in der Nachbarschaft entstehen, sind riesige Klötze, die mir die Sonne nehmen werden. Ich schrumpfe dabei und ziehe mich zurück in die Kleinheit der Formate.

Serielles Wachstum

Von Bach stieg ich gerade auf Techno um. Es geht mir um den Fluss der Musik, um die Illusion des Unaufhörlichen, der nicht enden wollenden Bewegungen des Tanzes und des Lichts. Währenddessen möchte ich in den langsam verändernden Rhythmen und Sounds in eine Meditation fallen, wie während der Buchmalerei, nur mit größeren Bewegungen des ganzen Körpers.

Mit den Schülern begann ich serielle Prinzipien auszuprobieren. Wir könnten oben im alten Holzlager tanzend Papierbahnen bearbeiten, die am Boden ausgerollt sind. Das ist etwas aufwendig, weil ich Malstöcke basteln muss, in die wie Pinsel oder Graphitstifte stecken können. Oder vielleicht sollten sie das selber herstellen!

Aus Rolle 10 zeichnete ich die Fortführung des Wachstums der Scherben. Sie vervollständigen sich zu größeren Flächen, die ich dann wieder neu zersplittern kann. Ich weiß mal wieder nicht, wo das hinführen wird. Aber deswegen mache ich es ja, um das herauszubekommen.

Hingabe und Glück

Das regelmäßige Arbeiten, fast immer in der gleichen Reihenfolge – Buchmalereien, handschriftlicher Text, digitale Collagen und Textdatei für den Blog – führen zur Stabilisierung meines Alltags. Das ist nicht neu. Aber führt es auch zu der Ausgeglichenheit, die man Glück nennen kann? Ich glaube, dass das, was man Hingabe heißt, einen großen Teil des Glücksempfindens ausmacht.

An jedem Morgen, an dem ich mich in meine Buchmalereien versenke, begebe ich so tief in dieses Tun, die Beziehungen der Farben, Strukturen und Volumina betreffend, dass mich kaum etwas von außen kommendes ablenken kann. Dieses Glück der Hingabe hält während des Malens an.

Das Schreiben ist eine andere Sache – bis jetzt jedenfalls. Dort wünschte ich mir auch diese Direktheit des Aufgehens in diesen Vorgang. Dem steht aber die Reflektion entgegen, die es bei der Malerei nicht in dieser Form gibt. Würde ich mich beim Schreiben auch ganz fallen lassen können, in begriffliche Assoziationen, die sich wie der Fluss der Musik aneinander reihen, hätte das mehr mit Gedichten zutun, wie ich sie als junger Mensch geschrieben habe.

Rettung durch Produktion

Etwas Musik von Bach hilft mir an diesem Morgen, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Habe nicht die Goldbergvariationen angeschaltet, sondern Orchesterstücke und mir einen Kaffee gemacht.

In den Buchmalereien treten großköpfige Umrisse barocker Figuren auf. In Gedanken bin ich aber schon wieder bei Rolle 10 und ihren Rückgriffen. Irgendwann zeichnete ich Fragmente des Pergamonaltars auf eine der älteren Rollen. Das ist die Erinnerung meiner Besuche des Museums in Uniform. Die Frage nach dem Grund, gerade jetzt diese Bilder wieder aufzurufen, beantworte ich, indem ich sie zersplittere, neu zusammensetze und schaue, was dabei herauskommt.

Während ich gestern Henning, der aus Hamburg angereist war, meine Arbeit zeigte, dachte ich, ob eine Pause gut wäre. Am Nachmittag kommen die Schüler. Der Tod meines Vaters vor einem guten Monat, der Herzinfarkt meiner Mutter vor ein paar Tagen und während dessen die laufende Produktion… Diese aber rettet mich auch!

Reduktion

Gestern führte ich die Arbeit auf das Ende von Rolle 10 fort. Dafür sind Zeichnungen entstanden, die Splitter der vorausgegangenen Strukturen zeigen. Mich erinnert das an das „Scherbengericht“ des Väterprojektes. Diesmal aber sollen die Scherben im Verlauf der letzten Meter, wellenförmig verdichtet und dann wieder ausgedünnt werden.

In den Collagen trafen diese Scherben auf die etwas schwächlichen Buchmalereien von heute, die meine Energie dokumentieren. Gleichzeitig belebt das Collagieren und hebt die Arbeit durch die Schichtungen auf einen anderen Level.

Am Nachmittag kommt Henning zu Besuch ins Atelier. In Hamburg erzählte ich ihm von meiner Arbeit und dem Vorhaben im Humboldt Forum. Das Interessiert ihn so, dass er sich das alles anschauen möchte. In diesem Zusammenhang geistert immer noch die Vorstellung in meinem Kopf herum, dass ich mit den Entwesungskammern, den Prozessen, die da in den Katakomben des Stadtschlosses stattfinden, eine neue, zusätzliche Arbeitsweise entwickeln kann. Es geht dabei um Reduktion.

Arbeitsrichtung

Vielleicht sollte man viel konsequenter auf den Tod hin leben, ihn wie die Ägypter als Projekt begreifen, seine Produktion darauf hin ausrichten, sie immer wieder auflösen. So kann ich nun mit Rolle 10 umgehen, die letzten Meter in das Nichts führen.

In der zweiten Buchmalerei reihen sich die Figuren wie eine Abfolge von Toden aneinander. Jede hat ihre eigene Form, geht aber unerbittlich nach rechts ab von der Bühne. Die helfende Begleiterin meiner Mutter aus ihrer Nachbarschaft, berichtete mir gerade, dass sie am Morgen dafür gesorgt hat, dass sie schwach und mit Schmerzen ins Krankenhaus eingeliefert wurde…

Nun beginnt mir mein Vater zu fehlen. Ich würde ihn gerne anrufen. Das ist die Trauer. Die Unfähigkeit über sie zu reden, beschrieb gestern der Schauspieler Edgar Selge in einem Fernsehinterview. Er meinte, dass sich diese Unfähigkeit von seiner Familie auch auf ihn übertragen hat. Daher rühre sein bisheriges Schweigen zum Massaker der Hamas am 7. Oktober in Israel.

Gräber

Auf dem Hauptfriedhof besuchten wir gestern Heike und Pietro. Sein Grab mussten wir eine Weile suchen und trafen auf die fremden Totenhäuser der Roma. Ihren ausgestellten Reichtum, gepaart mit einer speziellen eigenen Alltagsästhetik beginne ich gleich aus meiner gestalterischen Perspektive zu bewerten. Unweit sehe ich die Grabsteine von Siegfried Unseld mit dem schönen Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse. Ihnen fühle ich mich nah.

Nach dem Friedhofsbesuch waren wir bei C. eingeladen. Sie erzählte kurz von einem Seminar zum Thema deutsch-jüdische Erinnerungskultur. Darüber hätte ich gerne mehr erfahren, aber die Gespräche flogen in andere Richtungen. Ich scannte heute Rolle 10 und wollte dabei den Prozess des Überschreibens deutlich machen. Er soll die Arbeitsschichten des Übersetzens auf zeichnerische Weise sichtbar machen.

Am Rande meiner Beschäftigungen beginnt mich die so genannte künstliche Intelligenz zu interessieren. Dabei probierte ich Bildgeneratoren mit mäßigem Erfolg. Auch die Entwesung eines Textes gelang mir nicht. Ich würde das gerne mit dem über das Porzellanrelief machen, der sich auf der Website des Humboldt Forums befindet. Das würde heißen, alles sichtbare Leben zu tilgen.

Theatral

Seit Vorgestern atmen die Buchmalereien in einem etwas anderen Rhythmus. Das ist kein radikaler Schnitt, sondern wieder eine langsam verändernde Bewegung. Am 29.11. hatten die Strukturen noch diese krampfartige Strenge, die von den Belastungen der rechten Hand herrühren mag.

Gestern, als wir die Premiere von „Sonne/Luft“ von Elfriede Jelinek sahen, wollte ich mal wieder allem Theatralen abschwören. Ich hatte das Gefühl, dass die Szenerie den Textblock nicht so unterstützt, dass er erweitert wird. Die Dramaturgie machte mir es nicht leichter dranzubleiben.

Manchmal traue ich nur noch der konzentrierten abstrakten Bildenden Kunst über den Weg. Ab einem bestimmten Grad der Verdichtung gibt es einfach kein „Vertun“ mehr. Dann sitzt einfach jeder Strich. In diesem Zusammenhang bin ich interessiert, das Thema „Stasi DADA/ Entgoldung“ im performatorischen Sinn weiter zu entwickeln. Meine Aussage in Berlin im Humboldt Forum, dass ich am Ende von Rolle 10 von dem Thema genug habe, stimmt also so nicht ganz!

Schwere

Der morgendliche Gang zum Atelier war schwungvoll. Die Allee schien offener und heller. Ich schaue freundlich in die Welt und so schaut sie auch zurück. Die Schwere, die auf meinen Schultern war, als hätte ich meinen Vater die ganze Zeit auf ihnen getragen, ist fort.

In einem Traum wollte ich einer großen Frau begeistert meine Arbeit mit den Kindern zeigen. Aber die Tür zu einem Flur, von dem aus man das Atelier erreicht, war nur schwer zu öffnen. Als ich es geschafft hatte, war die Frau schon weg.

Gestern waren die Kinder hier im Atelier. Sie legten Blätter kreuz und quer auf die Kraftfeldform und stellten Frottagen der Linien des Reliefs so her, dass dichte Gesträuche entstanden. Dann sahen sie sich die Blätter genauer an, um Figuren oder Gegenstände in den Labyrinthen zu entdecken. Jedes fertigte mehrere Blätter an, wobei sehr expressive aber auch ganz zarte Formen entstanden. Dann suchten sie sich einzelne Felder aus, die sie mit Pappmaché ausfüllten. Diese Umrisse werden wir aus Pappe mehrfach ausschneiden, sie einweichen und in verschiedene Stellen der Kraftfeldform pressen. Wir befinden uns auf einer Expedition in eine Landschaft deren Sinn und Form wir entdecken wollen.

Noblesse / Verformung

Die Arbeit an Rolle 10 habe ich vorerst unterbrochen. Morgen transportiere ich sie nach Berlin in das Humboldt Forum, wo sie fotografiert werden soll. Ich schätze, dass ich sie dann noch in diesem Jahr fertig zeichnen werde. Dann hoffe ich, meine Konzentration wieder auf etwas anderes lenken zu können.

Auf das Gespräch über dem Umgang mit dem Klarnamen von meinem IM „Lutz Lange“, bin ich gespannt. Das Verschweigen der Stasivorwürfe an meinen Mentor, der mir anscheinend, wenn man die Tonbandprotokolle genau und zwischen den Zeilen liest, durch seine Überwachung nicht schaden wollte, könnte man einerseits als Noblesse auslegen. Andererseits kann man auch sagen, dass so die Vergangenheit verformt wird.

Nachdem gestern das vollständige Arbeitstagebuch des 200. Ateliertages erledigt war, kümmerte ich mich um meine Topfpflanzen, die langsam aber sicher, wegen der kälter werdenden Nächte, ins Atelier müssen. Über Leitern transportierte ich sie auf die oberen Gesimse und Regale vor der Fensterfront. Fast alle Goethepflanzen stopfte ich in einen länglichen Baubottich, wo sie weiter aneinander empor wuchern können. Nun gleicht das Atelier wieder einem Wintergarten.

Zahlenformalität

In der vergangenen Woche habe ich etwas zu viel konzentriert gezeichnet. Daraus entwickelte sich ein leichter Widerwillen den Buchmalereien und den Arbeitstagebuchtexten gegenüber. Heute ist außerdem mein zweihundertster Ateliertag mit seinen regelmäßigen Abläufen. Eine Zahlenformalität, von deren Abhängigkeit ich mich gerne entfernen würde.

Zahlenabhängigkeiten scheinen sich auch auf der Werbepostkarte der Gebrüder Fitzner aus Breslau niederzuschlagen. Akribisch listen die Schreiner die Arbeitsstunden und den Materialverbrauch auf, den das Modell des Breslauer Domes, das sich auf einem Plattenwagen über die deutschen Landstraßen zogen, kostete. Dieser Großvater hat mir Spuren seiner Eigenart vererbt.

Collage 600 in 2023

Die Malereien des Morgens sind wieder geprägt vom Hineinhören in den eigenen Körper. Immer öfter verkrampft sich die rechte Hand bei zeichnerischen Anstrengungen. Das wird teilweise auf dem Papier sichtbar. Solche Strukturen korrespondieren aber schon seit einiger Zeit mit der sich nach innen krümmenden Hand.

Nach innen gerichtet

In der Publikation zur Ausstellung „Der Palast der Republik ist Gegenwart“, wird die Nennung des Klarnamen meines IM in eleganter Weise gemieden. Dennoch bleibt der Hinweis auf die Inspiration durch das Porzellanrelief ein deutliches Zeichen.

Gestern scannte ich die letzten 60 cm, die ich auf Rolle 10 gezeichnet habe. Mit diesem Material und den wilden Buchmalereien des Morgens, stellte ich drei Digitalcollagen her. Heute arbeitete ich etwas ruhiger, sah genauer hin und machte weniger. Auch der stockende Fluss der Tinte zwingt mich zu langsamerem Schreiben. Indem ich es beobachte, folge ich einer Spur nach innen. Ähnlich ist es beim Zeichnen auf der Transparentpapierrolle, das oft auch wie Schrift funktioniert. Die Begegnungen der Linien aus verschiedenen Zusammenhängen werden dort fortgeschrieben.

Manchmal bekomme ich während der Arbeit einen Krampf in meinen rechten Arm, der sich bis in die Hand fortsetzt. Durch die Verkürzung der Sehnen krümmt sie sich zusammen. Das ähnelt den Schraffurgesträuchen in den Buchmalereien, die auf der Höhe des Herzens auf dem Zeichentisch entstehen und nach innen weisen.

Schüler, Rolle 10, Stasi DADA / Entgoldung

Die neue Schülergruppe formte gestern unabsichtlich, aus der Kraftfeldform ein Yak ab. Mir scheinen diese Zufälle eine Richtung der Arbeit mit den Kindern vorzugeben, eine neue Herangehensweise an die Rekonstruktion der Reliefs. Während der Arbeit sprachen wir darüber, welche Motive alle noch in dem Terrain der Form versteckt sind, das wir gemeinsam erforschen.

Auf Rolle 10 bin ich ein gutes Stück weitergekommen. In Zahlen ausgedrückt, sind es in dieser Woche bisher 60 Zentimeter. Aber ich möchte nach der doppelten Spiegelung des Buchmalereiumrisses, innerhalb dessen sich die Durchzeichnungen des vorangegangenen Materials kontinuierlich fortsetzen, nun die Zwischenräume der Figureninseln in den Mittelpunkt stellen. Es sind wenige mit größeren Abständen zueinander. Das kommt meiner Idee der finalen Auflösung der Bilder, am Ende der Rolle, durch auseinanderdriften der Motive entgegen.

Für das Auslaufen der Beschäftigung mit „Stasi DADA / Entgoldung“, möchte ich noch einmal die unterschiedlichen Perspektiven einnehmen aus denen die Geschehnisse meiner Überwachung erinnert werden können. Da gibt es auf der einen Seite die Tonbandprotokolle meines IM „Lutz Lange“, zu dessen Sprecher ich mich selbst mache, um in seine Welt einzutauchen. Auf der anderen Seite gibt es meine Tagebuchaufzeichnungen, die die gleichen Situationen, in denen ich mich mit Heinz Werner getroffen habe, beschreiben. Das erzeugt ein plastisches Erinnerungsbild.

Zeichnend erinnern

Das Pendeln zwischen dem Zeichentisch zu Hause und dem Atelier zersiedelt mich etwas. Selbst auf der Transparentpapierrolle wird das sichtbar, denn Hier zu Hause benutze ich eine andere Feder, die einen satteren Strich produziert, als die an meinem eigentlichen Arbeitsplatz. Das führt aber zu einer gewissen Dynamik innerhalb der gezeichneten Strukturen.

In der kommenden Woche bringe ich Rolle 10 nach Berlin, wo sie für eine Publikation des Humboldt Forums fotografiert werden soll. Ich plädiere dafür, sie stehend zu zeigen, weil das vielfältige Beleuchtung zulässt. Außerdem, kann so, in mäandernder Weise, mehr von dem 50 Meter langen Streifen gezeigt werden. Das verdeutlicht besser, in welcher Weise ich mich arbeitend erinnerte.

Heute kommen wieder Schüler zu mir. Der Tag ist dadurch anders eingeteilt, wodurch ich das Gefühl habe, dass mich dieser Vorgang den ganzen Tag irgendwie beschäftigt. Die Kinder sind mir aber auch wichtig. Wir werden Pappmaché herstellen und gemeinsam ein Relief abformen. Die letzte Gruppe hat unbeabsichtigt einen Fisch gestaltet.

Kopfstehend und seitenverkehrt

Gestern Abend hatte ich Besuch von einer Kunstinteressenten-Gruppe, geführt von Vinzenz innerhalb eines Volkshochschulkurses. Mein Versuch, anhand der Projekte meine Arbeitsweise zu verdeutlichen, wurde mit Neugier und netten Gesprächen belohnt. Solche Termine bilden eine Gelegenheit, unausgesprochene Vorgänge zu durchleuchten und ihren Sinn mit Worten zu klären.

Den Umriss der 2. Malerei von gestern zeichnete ich im Atelier kopfstehend und seitenverkehrt auf Rolle 10. Die folgende Überlegung, ihn noch einmal richtig herum im Anschluss zu wiederholen, zielt auf einen neuen Aspekt der repetierenden Arbeit an der Transparentpapierrolle. An einer Stelle erweiterte ich den größten der 4 Umrisse um einen hervorstehenden, barocken Möbelfuß aus der Berliner Stadtlandschaft. Zwischen den Küstenlinien der 4 Umrissinseln, bilden sich manchmal neue Figuren, wie in den Buchmalereien.

In denen versuchte ich heute noch einmal die nach innen gerichtete Struktur mit den anderen Elementen zusammenzubringen. Der Startpunkt liegt im 3. Format, von wo aus dann die Handballenabdrücke zu den anderen beiden Malereien wanderten. Dann tauchte in 2 eine Linienformation auf, die an jene erinnert, die ich in Tabo in mein Skizzenbuch abgezeichnet habe. Mit der Fortführung dieser Linienorganisation will ich mich den alten Malern weiter annähern.

Raumschaffend

Zu Hause am Zeichentisch, während ich in die Arbeit zurückfinde, geht mein Blick auf die herbstliche Allee. Unterschiedliche Durchlässigkeiten bieten dem Auge abwechslungsreiche Räume. Neben kompaktem Laub oder Baumstämmen öffnen sich Durchblicke, die erst vom Regenvorhang, weit hinten, abgeschlossen werden.

Die Zeichenprozesse auf den Transparentpapierrollen führen zu ganz ähnlichen Ergebnissen. Die Schichten des zusammengerollten Papiers erzeugen eine neblige Tiefe hintereinander gestaffelter Ebenen. Ganz hinten, kaum noch zu erkennen, befinden sich die Zeichnungen, die vor einer Woche entstanden sind.

Solche Vorgänge finden sich auch bei den Buchmalereien, wo sich verwischte Transparenzen mit durchscheinenden Schraffuren, Papiergravuren und Handballenabdrücken, mit mit kompakten Balken, Architekturelementen und vielen übereinandergelegten Farbschichten begegnen. An vielen Stellen bleibt die Sicht bis auf das weiße Papier frei. Und diese Prozesse werden in den digitalen Collagen noch verstärkt. Dort spielen die dunklen, transparenten Areale die raumschaffende Rolle.

Zufälle

In mir versuche ich über Körper- und Denkstrukturen nachzuforschen. Beides schlägt sich in den Buchmalereien nieder und verbindet sich dort zu dem, was hoffentlich keine künstliche Intelligenz hervorbringen kann. Nun werden mir die Irrtümer, Fehler und daraus entstehende Zufälligkeiten wichtiger. Fettige Fingerabdrücke, verwischte Tuschlinien und zittrige, unsichere Linien, Kompositionsfehler, Ungleichgewichte und Farbkombinationen, die Unwohlsein hervorrufen, suche ich, um zu erkennen, wie Motorik und Synapsen zusammenspielen.

In den zerrissenen letzten Tagen konnte ich mich nicht auf die Arbeit an Rolle 10 konzentrieren. Mein Vorhaben, mit Entgoldungsumrissen weiterzuarbeiten, löste sich bis jetzt nicht ein. Nun denke ich eher daran, mit Buchmalereien und deren Umrisslinien das Fortkommen zu probieren.

Gestern waren Schüler da, die sich ein Bild davon machen wollten, wie es sich mit mir in meinem Atelier zusammenarbeiten lässt. Wir stellten Pappmaché her und drückten es in die Mitte der Kraftfeldform. Zufällig entstand ein Fisch. Mein Freund Rateb aus Afghanistan ist wieder dabei. Außerdem ein Russe, ein Bengali, ein Rumäne, ein Marokkaner usw.. Das kann wieder lustig werden!

Nahperspektive

Manchmal habe ich das Glück, dass die Handballenabdrücke in den Buchmalereien, sowohl das Motiv, das von anderer Stelle feucht aufgenommen wurde, als auch die Linien der Haut ganz deutlich zeigen. Dieses Zusammenspiel ist mir wichtig und ich möchte es gerne näher untersuchen. Es geht also um eine eigene Körperstruktur, in der Begegnung mit den Linien, die aus der Motorik und den Erinnerungsverflechtungen hervortreten.

Das tritt im mittleren Teil der dritten Malerei auf. Ihre Reihenfolge ist eigentlich unerheblich, weil ich an allen dreien gleichzeitig arbeite. Ich versuchte die Verbindung der hellen Linien der Gravuren mit den lichten Zügen der Hautfalten mit einer Schraffur fortzusetzen. Mit dem feuchten Zeigefinger löste ich diese Härte etwas auf, was das bis dahin unbefriedigende Ergebnis verbesserte.

Aus dieser Nahperspektive heraus, entsteht die Frage, ob eine extreme Vergrößerung der sehr kleinen Buchmalereien weiterführen kann. Die Weiterarbeit mit digitalen Mitteln mündet in die Möglichkeit, einen Ausdruck auf einen Träger zu versuchen, auf dem die Strukturen malerisch weiterentwickelt werden. Die heran drängende Düsternis im zweiten Format benötigt keine Nachbearbeitung mehr.

Expansion

Einen Buchstaben meiner „Geheimschrift“, die ich aus den Tonbandprotokollen meines IM Heinz Werner entwickelt habe, vergrößerte ich und übertrug ihn auf Rolle 10. Wegen der offen-durchlässigen Struktur dieses Buchstabens, wird der vorausgegangene, kompakte Block aus Stadtlandschaft von Westberlin, Entgoldung und Stasi-DADA aufgelöst. Durch diese Fragmentierung einer Verdichtung ergeben sich neue Aussichten.

Die Buchstaben aus den Protokollen des MfS, die ich immer wieder durch zeichne, entwickeln sich zu skurrilen Zeichen zwischen Schrift und Bild. Indem ich das Material immer weiter vergrößere, hoffe ich die weiße Leere zu erreichen. Was aber, wenn in diesem gedachten Vakuum eine neue Struktur auftaucht?! Wo führt das dann hin?

Aus dieser gefährlichen Unendlichkeit retten mich meine Buchmalereien. Mit ihnen bleibe ich auf dem Boden und schöpfe die Kraft, um die Ausdehnung auf Rolle 10 weiter zu betreiben. Die Kombination der verschiedenen Arbeitstechniken bildet ein körperliches Ausdruckselement. Die verschiedenen Strukturen, Konstruktionen und Umrisse sollen Pole bilden, deren Spannung Energie freisetzt für die räumliche Expansion.

Schwarz und Weiß

Die Buchmalereien werden intensiver. Während der Arbeit schaue ich kritischer hin. Auch der letzte kompakte zusammenhängende Fries auf Rolle 10, den ich am 2. und 3.11. gezeichnet habe besteht aus einem dichten Gesträuch, in dem sich die Erinnerungen in verschiedenen Konstellationen wiederholen. Je nach Perspektive ändert sich das Erinnerte. Letztlich führen die dauernden Überlagerungen zum Vergessen. Seine Funktion hilft beim Überleben.

Mit dem Rückgriff auf die Transparentpapiermotive des Jahres, möchte ich einen neuen Raum schaffen, der sich aus der Verdichtung heraus ausdehnt und immer größere Abstände zwischen den Objekten schafft. Zu den Objekten, die auseinanderdriften gehören die Entgoldungsumrisse, die meinem IM gewidmet sind, die Buchstaben meines Geheimalphabets, das ich aus den Stasi-DADA-Elementen entwickelt habe und die aktuellen Umrisse der Buchmalereien. 3 verschiedene Perspektiven, die den neuen Raum formen.

Die gegenläufigen Bewegungen des Verdichtens und des Auseinanderdriftens haben beide, bei ihrer Fortführung bis zur letzten Konsequenz, das selbe Ergebnis, jedenfalls auf der Transparentpapierrolle. Die Verdichtung schafft das Nichts aus Schwarz, die Ausdehnung das Nichts aus Weiß.

Rolle 10, Kraftfeld und neue Kooperationsmöglichkeit

Den deutlichen Umriss der dritten Buchmalerei zeichnete ich im Anschluss an ein Stasi-DADA-Motiv, vergrößert auf Rolle 10. Vor dem Durchzeichnen der vorausgegangenen Tuschestrukturen, decke ich manchmal weiter zurückliegende Partien mit weißem Papier ab, damit die nur vage durchscheinenden Schichten mich nicht von den späteren, deutlicheren ablenken.

Es gibt Schraffuren in den kleinen Malereien, die direkt auf mein Herz zeigen, also auf die Stelle meines Oberkörpers, die während der Malerei an der Tischkante lehnt. Diese Linienformaltion weist nach innen und kommt auch aus dem Inneren. Die Linie springt hin und her, sie folgt einer Spannung und entwickelt um sich herum ein Kraftfeld. Daraus bilden sich Farbwirbel und streng parallel laufende Gravuren. Die Energie dieser Unterschiedlichkeit fließt mir dem Wasser in die Handlinien und von dort auf das Papier. Aufgefangen wird sie von den Umrisslinien.

Auf Teves habe ich den Performer Anton kennen gelernt, der mit Sina zusammen arbeitet. Falls sie ihr dramatisches Projekt in den Räumen unseres Theaters machen, dann ergäbe sich die Idealsituation für eine Kooperation zwischen uns. Der junge Mann erkennt auch die Chance, die aus der Situation kommt, in der sich so viele verschiedene Künste versammeln.

3-D Erinnerung

In der Deutschen Nationalbibliothek traf ich gestern auf einen Weiberclub: Barbara, Carola, Gudrun, Kirsten, Mona und eine Freundin von ihnen, dich ich noch nicht kannte. Wir besuchten eine Buchvorstellung : »Ich will fortleben, auch nach meinem Tod« Die Biographie des Tagebuchs der Anne Frank von Thomas Sparr. Ich traf außerdem „meine“ Kulturdezernentin Ina und auch David.

Ich berichtete Ihnen von den 3 Schulklassen, die mich gestern besuchten und denen ich meine Arbeit erklärte. Ich sah unter ihnen bekannte Gesichter, die wieder mit mir zusammenarbeiten wollen. Insgesamt waren das interessante Siebtklässler, auf deren Anwesenheit bei mir ich mich freuen kann.

Heute ist der erste freie Arbeitstag für mich seit langem, an dem ich mich wieder ganz meinen Projekten widmen kann. Misslich ist allein, dass die Heizung im Atelier seit dem Sommer noch nicht gelaufen ist. Eine allgemeine Nachlässigkeit von Seiten der Verwaltung und der Firmen. Mit Freude aber genoss ich am Morgen die Weiterarbeit an den Buchmalereien. Den Fortgang der Zeichnungen auf Rolle 10 kann ich nicht konkret vorausdenken. Die neuen Motive sind nur zeichnend zu finden. Aus verschiedenen Perspektiven versuche ich mich plastisch zu erinnern, wie mit einem 3-D Scan.

Tod

Am 30.10. rief mich meine Mutter am Morgen an, um mir zu sagen, dass mein Vater in der Nacht zuvor gestorben sei. Anderthalb Tage vorher strich ich ihm mit meiner linken Hand über den Kopf und sagte: „Mach`s gut.“ Zuvor hatte ich mir den Moment, in dem ich von seinem Tod erfahre oft vorgestellt. Aber nun fühlte ich, neben der Trauer, zunächst Erleichterung.

Auch überlegte ich oft, wie wohl mein Tagebuch an einem solchen Tag aussehen würde, insbesondere die Buchmalereien. Aber sie gleichen den vorausgegangenen. Nur mein Blick interpretiert die Elemente neu. Die Kulissenwände werden zu Pforten, die verwischten Farbfelder zu der Bewegung hinüber. In den folgenden Tagen wurden sie sparsamer. Ich vertraute den Atmosphären, die durch die Handballenabdrücke, deren Farben und Strukturen entstanden. Wenige Umrisse bilden den Kontrast zur wolkigen Szenerie.

Die Kontinuität ist nicht unterbrochen worden. Heute kamen 3 Schulklassen, um meine Arbeit anzuschauen. Ein paar Schüler hatte ich mir schon ausgesucht, mit denen ich gerne weiter an den Reliefs arbeiten würde. Aber dringend erscheint mir nun das Fortkommen an Rolle 10. Morgen kann ich damit wieder beginnen.

Unsichtbarkeit

Die Materialien, die mich im Atelier umgeben, können mich hier zu Hause nicht ablenken. Deswegen geht die Arbeit an der Transparentpapierrolle schneller voran. Die Skizze, die ich 1975 vom Dach des Palastes aus gemacht habe, übertrug ich auf ein Blatt, von wo aus ich sie leicht auf Rolle 10 übertragen kann. Durch den Verzicht auf die Originalgröße beim Durchzeichnen des digitalen Bildes, entsteht eine neue Freiheit im Umgang mit den Motiven, die miteinander verknüpft werden. Indem sich Objekte in unterschiedlichen Vergrößerungszuständen begegnen, entsteht der Eindruck von mehr Raum.

Dieser Vorgang löst die gleichmäßige Verdichtung des Zeichnungsfrieses zugunsten einer Vergrößerung des optischen Raumes auf. Die Einzelteile driften während der Expansion des Volumens über das Format der Rolle hinaus. Die Zusammenfassung der Geschichte mündet also in ihre Auflösung, in die Unsichtbarkeit.

Das alles ist aber Theorie. Der Nachweis ihrer Richtigkeit kann nun nur im zeichnerischen Experiment geschehen. Dafür muss ich nicht mehr die umständliche Konstruktion mit der großen Stehleiter auf dem Zeichentisch aufbauen, um auf die Areale der durch die Sprossen mäandernden Rolle zurückgreifen zu können, die ich vor längerer Zeit bearbeitet habe. Ich kann auf die Scans zurückgreifen, die in der Produktionszeit seit 2022 entstanden sind.

Ein Abschluss in Sicht

Die Stadtlandschaftsskizze vom Dach des Palastes der Republik, werde ich noch einmal auf Rolle 10 abbilden. Dadurch hentsteht die Möglichkeit, sie mit den Bildern der später darauf folgenden Ereignisse zu verbinden. Das wären die Abriss-Strukturen, die GPS-Wanderung auf der Wiese, die den ehemaligen Grund des Gebäudes markierte und „Stasi-DADA / Entgoldung“, was sich schon auf den Neubau und die Ausstattung des Schlosses bezieht. Das ist eine Zusammenfassung der gesamten Arbeit zum Komplex und kann ein würdiger Abschluss der Rolle 10 sein.

Auch gestern griff ich auf einen früheren Umriss zu, der aber vom 17.10. dieses Jahres stammt. Er und die Figur vom 22.10., die auf der Rolle davor erscheint, rückten so nahe aneinander, dass sie sich ein wenig an den Rändern überlagern. Zwischen ihnen geht der Blick hinab in den Zeitspalt.

Die Kulissenwände in den heutigen Malereien entspringen offensichtlich einem Ordnungswunsch. Die Räume, die dadurch entstehen, gliedern die Szenen in die auf der offenen Bühne und in die, die unsichtbar bleiben sollten. Aber es gibt Stoffe, die, je nach dem wie sie geleuchtet werden, blickdicht bleiben oder durchlässig werden. Hier wird das, was eigentlich hinter den Kulissen spielen soll, sichtbar.

Gedächtnisanpassung

Zu Hause arbeitete ich mit dem stilisierten und vergrößerten Umriss der ersten Malerei vom 22.10. weiter. Diese Kompositionen auf Rolle 10 sind normalerweise etwas steif und bieten deshalb aber erstens einen Kontrast zum vorausgegangenen chaotischen Gesträuch und zweitens genügend Raum für die Konfrontation damit.

Bin ich den digitalen Mühlen der Bürokratie entronnen, in die man etwa gerät, wenn online ein neues Konto bei einer anderen Bank eröffnet werden soll, bin ich froh über die analoge Präsenz der Malereien und Zeichnungen, die mir Sicherheit verschafft. Die Stimmungen, aus denen die Buchmalereien entstehen, kann ich nicht gleich identifizieren, denn ich bin zu sehr mit ihrem Fortgang beschäftigt. An einem späteren Zeitpunkt kann ich klarer erkennen, was mich zu den jeweiligen Färbungen veranlasst hat. Aber es gibt auch die Vorgänge der inneren Gedächtnisanpassung, von der Aleš Šteger schreibt, die eine Uminterpretation der Bilder ermöglichen.

Die Transparentpapierrolle nimmt das schon mit der Weiterverarbeitung der Elemente etwas vorweg. Ihre Übergabe an das Humboldt Forum ist nun für einen Fototermin verabredet. Bei der Gelegenheit will ich mit Anke Schnabel besprechen, welche Elemente davon wesentlich für die Veröffentlichungen zur Ausstellung „Der Palast der Republik ist Gegenwart“ sind. Nach zwei Tagen kann ich sie dann wieder mitnehmen, um sie fertig zu zeichnen.

Zu Hause

Mein Tagebucharbeitsmaterial habe ich mit nach Hause genommen, weil im Atelier die Heizung nicht funktioniert. Manchmal schreibe und male ich ganz gerne in einer anderen Umgebung. Dabei zeigen sich auch Veränderungen, sowohl bei den Texten, als auch in den Bildern.

Auch Rolle 10 nahm ich mit hierher, um fortlaufend weiter zu zeichnen. Gestern begegneten sich die Linien von Aleš Šteger mit dem konstruktiven Linienmaterial der letzten Tage. Es bedeutet einen Schritt heraus aus der Kontinuität der eigenen Konstruktionen und Figuren.

Unter einem solchen Aspekt sah ich mir auch die zwei alten Bücher an, die ich vor 50 Jahren gerettet habe. Insbesondere interessierten mich die eingefügten Stiche und die unterschiedlich großen Buchstabentypen. Außerdem gibt es viele ornamentale Verzierungen am Anfang und am Ende der Absätze. Auch eine Landkarte von Erfurt aus dem Jahr 1675 ist interessant.

Alte Bücher

Am Vormittag haben wir Pietro zu Grabe getragen. Die Trauerhalle des Hauptfriedhofs war so voll, dass die Leute noch in Reihen an den Wänden des achteckigen, hohen Raums standen. Zwei italienische Priester predigten, einer der Söhne hielt eine Rede, eine Wechsel aus pompöser und bescheidener Musik, insgesamt aber große Oper… Der Familie tat die Zuwendung der großen Trauergemeinde sichtbar gut.

Das Atelier ist immer noch ungeheizt. Der Arbeitsrhythmus friert ein. Außerdem war in den letzten Tagen auch zu viel los, als dass man sich richtig, über ein paar Tage, konzentrieren könnte. Diese kraftraubende Unregelmäßigkeit staut die Produktion.

In der Nacht dachte ich daran, aus einem Buch, dass ich während einer Räumaktion am Rande des Palastbaus in Berlin, vor dem Reißwolf gerettet habe, ein paar Fragmente auf Rolle 10 zu transferieren. Es handelt sich um eine Geschichte Erfurts aus dem Jahr 1675. Weiß nicht, wo mich diese Suche hinführt, vielleicht zur nächsten Stasiakte meiner Studienzeit in Erfurt, während der Wolf Biermann ausgebürgert wurde und wir an der Pädagogischen Hochschule Unterschriften dagegen gesammelt hatten.

Pietro

Gestern habe ich erfahren, dass unser Freund Pietro gestorben ist. 30 Jahre lang haben wir bei ihm, dem freundlichsten Menschen, den ich kannte, Pizza gegessen. Er kam mit einer Italienischen Schauspielertruppe nach Deutschland und spielte im alten Gallustheater. Sein Schalk, seine Höflichkeit, sei Lächeln und unsere Gespräche werden mir sehr fehlen. Vielleicht können wir uns vornehmen, etwas von seiner guten Laune in uns weiterleben zu lassen.

Mit der Gartenschere baute ich am Bahndamm eine Stelle auf der nun eine Bank steht und ein kleines Tischchen. Ich saß dort in der warmen Abendsonne und überlegte, ob dies ein Platz für meinen Feigenbaum wäre. Vorher lagerte ich dort das Schnittholz, das auf dem Gelände anfiel und verbrannte es dann zwei Mal im Jahr im Blechfass. Das werde ich nun etwas verlagern.

Am Nachmittag zeichnete ich auf Rolle 10 weiter. Manchmal merke ich, wie mir die Kraft schwindet, immer stetig weiterzumachen. Ich muss die Pausen ernster nehmen, damit ich alles weiterführen kann. Und deshalb zeichne ich heute auf dem Transparentpapier nicht weiter. Ist ja auch Sonntag!

Von innen nach außen

Die nach vorne gebeugte Haltung beim Schreiben und bei der Buchmalerei, weist nach Innen. Auch die Papiergravuren mit den Holznadeln und die Schraffuren gehen in diese Richtung. Handkantenabdrücke laufen durch eine leichte Drehung des Gelenks in Zungen aus, die ich oft mit Umrisslinien hervorhebe. Handlinien aus dem Inneren expandieren in den konstruktiven Formen, die aus ihnen entstehen.

Diese Konstruktionen, die aus den Handballenabdrücken erwachsen, spielen nun auf dem Transparentpapier eine größere Rolle. Dorthin übertrug ich die vom Autor Ales Steger gezeichneten Linien aus seinem Buch. Sie werden alsbald mit meinen Schichten verbunden, was mich an seine Beschreibung der Tagebucharbeit erinnert.

Dominique Falentin schickte mir einen schönen kurzen Text über meine Arbeit, den ich korrigieren sollte, es aber gar nicht machen muss. Ein Zitat aus dem Interview, das ich zum Thema gegeben habe, das sich anschließt, ist stilistisch viel spontaner und ungehobelter. Das ist aber ein ganz guter Kontrast.

„Die Götter lachen uns aus“

Auf der Eröffnungsveranstaltung der Lesereihe „Open Books“, beeindruckte mich gestern der slowenische Autor Ales Steger. Die Art seiner Suche gefiel mir so, dass ich ein Buch von ihm, mit dem Titel „Das Lachen der Götter“, bestehend aus 6 Erzählungen, kaufte. Gleich auf den ersten Seiten der ersten Erzählung, geht es um Tagebucheinträge, die der Protagonist nach einigen Jahren wieder liest, sie kommentiert und auch etwas hinzufügt. Das kommt mir wie meine Arbeit mit den Transparentpapierrollen vor.

Er schrieb als Widmung: „Für Frank, die Götter lachen uns aus, manchmal lachen wir zurück.“ Das entscheidende aber waren drei Linien, die er über die ersten zwei Seiten zeichnete, die wie Küstenverläufe aussehen. Ich will sie auf Rolle 10 mit meinem Material begegnen lassen.

Vielleicht eignen sich die Striche dafür, die ich heute bei der Weiterverarbeitung meiner Handballenabdrücke fand. Ich führte sie in Gedanken an die Malermönche aus, die vor tausend Jahren das Kloster Tabo im Spitital ausgemalt haben.

Dialogisches Erinnern

Gestern bekam ich einen Anruf von Dominique Falentin vom Humboldtforum. Wir besprachen den Stand der Arbeit. Es gibt die Idee, neben den Texten, die über meine Erinnerungsarbeit in der Vorbereitung sind, auch die Transparentpapierrolle in der Publikation zum Projekt abzubilden. Dafür sah ich die Scans durch, die ich davon habe. Es ist viel Material und ich bin mir selber nicht ganz sicher, mit welchen Themen die Arbeit an der Rolle begann.

Außerdem erzählte ich vom Projekt „Stasi-DADA / Entgoldung“. Wenn man nach Aleida Assmann geht, handelt es sich bei meiner Auseinandersetzung mit meinem IM um eine dialogisches Erinnern. Anstatt mit seiner Person, muss ich mich aber allein mit den Tonbandprotokollen als Gegenüber begnügen. Aber die intensive Beschäftigung mit seinen Worten, ermöglichte es mir, mich tief in seine Verstrickung hineinzudenken und das nachzuempfinden, was ihn vielleicht zerrissen hat.

Franz kam zu Besuch ins Atelier. Er wollte sehen, was ich in letzter Zeit gemacht habe. So zeigte ich ihm die neuesten Entwicklungen in den Buchmalereien und auf Rolle 10. Durch sein Eintreffen unterbrach ich die Arbeit daran, und war heute ganz froh, mit einem Zeichnungsfragment an die Collagen gehen zu können. Es bietet mehr Raum für die anderen Inhalte, die Schichten, die zuvor erarbeitet worden sind.

Zahlen

Sonntags ändert sich der Charakter des handschriftlichen Tagebuches. Die Malereien, die nicht in Collagen weiterverwendet werden, konzentrieren sich eher auf Strukturen als auf Umrisse. Das ist eine andere Verdichtung. Das Werktagebuch im Netz ist in diesem Jahr bisher um 178 Einträge und 534 dazugehörige Collagen gewachsen. Meiner Selbstverpflichtung von mindestens 200 vollen Arbeitstagen pro Jahr, in denen die Arbeit vorangehen soll, bin ich damit schon recht nahe.

In den Strukturen der Buchmalereien finde ich Nahrung für den Energiehaushalt, der die weitere Suche speist. Diese labyrinthische Forschung führt mich in das Dickicht meiner selbst. Die Papiergravuren und Handabdrücke, beides mit der rechten Hand ausgeführt, bilden es ab. Vor dem Erscheinen auf dem Papier leuchten die Farben hinter meinen Augen auf.

Mich beschäftigt die Möglichkeit der weiteren plastischen Bearbeitung der Pappmachereliefs. Wenn die flächigen Objekte gefaltet oder gebogen werden, treten sie weiter in den Raum. Dafür muss das Material wahrscheinlich noch einmal angefeuchtet werden.

Feuer

Am Abend zündete ich das angesammelte Schnittholz des Geländes, das ich zerkleinert und in die Feuertonne getan habe, an. In kurzer Zeit glühte das Metall und jetzt mittags, ist die Asche noch warm und unter ihr entsteht Holzkohle. Während der Aktion, die ich etwa zweimal im Jahr unternehme, versuche ich möglichst wenig Rauch zu machen, damit ich keinen Ärger bekomme.

Vorher arbeitete ich an Rolle 10. Es geht immer weiter und weiter bis das Transparentpapier aufgebracht ist. Es gelingt mir nur schwer, zu pausieren, um andere notwendige Dinge zu tun, das Atelier aufräumen zum Beispiel. Am ehesten kann mich der Garten etwas ablenken.

Die Collagen zeigen, wie es vorwärts geht. Immer mal überlagern sich Formen der Tuschzeichnungen mit solchen der Buchmalereien, die auseinander hervorgegangen sind. Heute standen Figuren im Vordergrund der Malereien. Einige von ihnen finden sich gewiss bald auf Rolle 10 wieder.

Übergang

Gerade spaltete ich den Pappelstamm ein zweites Mal auf. Die zwei Drittelteile passen in meine Altholzsammlung im Gärtchen. Dafür muss Platz geschaffen werden. Da die Frostnächte näher kommen, ist das alljährliche Rückräumen der gefährdeten Pflanztöpfe in das Atelier, nun bald notwendig. Auch dafür muss Platz geschaffen werden. Alles zusammen markiert den Übergang zum Winter.

Um 133 Zentimeter kam ich in dieser Woche dem Ende von Rolle 10 näher. Aber fließende Formen werden von den konstruktiven Linien der Stahlkonstruktionen, der gezeichneten Striche von den Wandmalereien aus dem Kloster Tabo und von den stilisierten und erweiterten Handlinienabdrücken der Buchmalereien verdrängt. Nun denke ich an eine Schellackschicht, die beim Auftragen und sofortigem Zusammenrollen, die strengen Tuschelinien anlöst und verschwimmen lässt.

Auch in den Buchmalereien schnarrt es preußisch: Rechts um, Links um, die Augen links, im Gleichschritt marsch!! Mühsam wische ich herum und lasiere, um alles aufzuweichen. Aber es schlägt immer wieder durch!

Neues Terrain

Konstruktive Umrandungselemente aus den Buchmalereien und solche, die vom Zusammenspiel der Handlinien mit Linien des Klosters Tabo herrühren, griffen gestern auf Rolle 10 ineinander. Mit der Forschung nach der Verfasstheit der Maler vor tausend Jahren und der Kombination ihrer Striche mit denen meiner Handabdrücke, betrete ich ein neues Terrain. Es beginnt sich auf dem Transparentpapier auszubreiten.

Die Kontraste zwischen den harten Geraden, den Verwischungen und den geschwungenen Farbwasserumrissen, steigern sich in den Collagen. Ihnen schenke ich mehr Aufmerksamkeit und reduziere zugleich die digitalen Effekte. Die Arbeit geschieht mit alten, rudimentären Bildbearbeitungsprogrammen. Dieses Vorgehen wendete ich schon in den Neunzigerjahren bei der Herstellung von Animationen an.

Gestern begann ich den zweiten Teil des Pappelstammes zu spalten. Das ging mit zwei Beilen und mehreren Steinen, die zwischen dem größer werdenden Spalt geklemmt sind. Das ist die reine Vergnügungsarbeit, denn ich weiß nicht, was ich mit dem Holz anfangen soll, außer mich daran körperlich abzuarbeiten.

Lichtbrechung

Lichtkaskaden fluten den Raum, lassen Reliefs flirren und mischen sich mit der alltäglichen Kriegsberichterstattung. Ich gieße meine Pflanzen, wähle meine Partei und rede mit den Nachbarn über das Wetter und die Unpünktlichkeit ihrer Auszubildenden.

Fleißig kombinierte ich gestern die Umrisse der ersten Buchmalerei vom 4.10. mit den Schwüngen aus 4000 m Höhe vom Altar in Lalung, den Stasi-DADA-Resten und den Abriss-Strukturen des Palastes der Republik. Das ist das Zusammenspiel der, sich verhakenden, Erinnerungen. Sie bilden das Muster für die neuen inneren Landschaften, die ich mit den äußeren abgleiche. Es ist, als würde mein Körper das Licht brechen, das die Bilder in mich hineintransportiert, wodurch die Ähnlichkeiten mit der Wahrnehmung der Wirklichkeit zunehmen. Die tägliche Bildproduktion geschieht mit der Brechung, Zerstreuung und Wiederzusammensetzung der unterschiedlichen Wellen.

Westlich der Regalnische in meinem Gärtchen, in der ich auf dem Korbstuhl sitze, stellte ich ein etwa 2 Meter langes und 70 Zentimeter breites, abgespaltenes Pappelstammstück als Windschutz auf. Daneben bietet es Aufenthalt für holzbewohnende Insekten. Den Transport und das Aufstellen machte ich alleine mit einer Sackkarre.

Intuition und Filter

Meine gegenwärtige Beschäftigung mit „Stasi-DADA / Entgoldung“ wird von den Interventionen von Aleida Assmann zur Erinnerungskultur unterstützt. Ich lese das deswegen und weil mir neue Ansätze geboten werden.

Auf Rolle 10 arbeitete ich mit Vergrößerungen einer Zeichnung vom Abriss des Palastes der Republik und von verfremdeten Schriftstrukturen aus den Tonbandprotokollen des MFS. Die Mechanik, mit der ich das zusammenfüge und übereinander lagere, ist intuitiv. Wie ich vorgehe, sagt mir mein Gefühl. Was daraus wird, filtern meine synaptischen Verschaltungen.

Voran gehe ich am Morgen mit den Buchmalereien. Sie schaffen die Grundlagen aus Zufällen und ihren nachträglichen Weiterformungen. Das Arbeitsmaterial häuft sich auf dem Arbeitstisch, der aus der Kraftfeldform und einer Auflage besteht. Stifte, ein Gewindestück, Holznadeln, Rechner, Bücher, Farbkasten, Wassergläser und Transparentpapierbögen.

Rationales Korrektiv

Zwischen den Strukturen der Buchmalereien muss man sich heute die Figuren denken, muss sie selbst entdecken, weil ich sie nicht durch Umrisslinien kenntlich gemacht habe. Die parallel laufenden Linien drücke ich mit einem Gewindestück ins Papier, das ich in Kaza, im Himalaja, zusammen mit vielen Schmuckbruchstücken gekauft habe. All diese Dinge wirbeln mit ihren Bedeutungen in den Malereien herum.

Manchmal münden die konstruktiven Geraden in erzählende Linien, die ihr gegenständliches Gegenteil sind. Auch verschieden davon sind die Spiralen, die von der Bewegung des Verwischens oft ganz verschwinden. Farben treten zunächst zufällig nebeneinander, folgen dann aber den Emotionen und Gesetzen, die die gefühlten Zustände der zeichnerischen Elemente ergänzen.

Eine Diskrepanz ergibt sich zu Rolle 10. Die Durchzeichnungen mit Tusche dort sind distanzierter und folgen weniger der Spontaneität gezeichneter Stimmungen. Die Arbeit auf den Transparentpapierrollen schuf sich eigene Regeln, die durch das Zusammenrollen und Wiederaufnehmen der Formen und Strukturen entstanden sind. Es bildet sich ein rationales Korrektiv zur Malerei, dessen Methode dort Priorität hat.

Dunkle Akzente

Während des Schreibens zeichne ich manchmal mit dem Füller in den Buchmalereien herum, verstärke Linien und setze dunkle Akzente. Aneinandergereihte Punkte verbinden sich oder laufen langsam aus, um nicht einzeln und fremd dazustehen. Beim Scannen kann ich diese Akzente noch schärfen.

Manchmal stelle ich mir die Frage, ob die digitale Weiterverarbeitung der Buchmalereien eine noch größere Rolle spielen sollte. In den Collagen findet das ja sowieso statt. Es entsteht oft eine Grobheit aus geringer Auflösung, vor allem bei den gescannten Federzeichnungen von der Transparentpapierrolle.

Dort lassen sich die Durchzeichnungen derzeit nicht mehr von den Umrissen der Buchmalereien einengen, sondern folgen der momentanen Intuition. Mal sehen ob sich das weiter bewährt. Ganz will ich aber nicht auf die Malereistrukturen auf dem Transparentpapier verzichten.

Freies Durchzeichnen

Auf der Transparentpapierrolle zeichnete ich nur die Linien durch, die mich gerade interessierten. Dabei richtete ich mich nicht nach Umrissen aus den Buchmalereien oder anderen Zusammenhängen, also ein „Freies Durchzeichnen“. So entstanden drei spannungsvoll zueinander stehende Figuren, die ich in alle drei Collagen von heute einfügte.

In den Buchmalereien behandelte ich den Zusammenhang von Linien der Handballenabdrücke und denen der Papiergravuren. Diese Strukturen beginnen denen der Transparentpapierrolle zu ähneln. Es treten Figuren auf mit hohen eckigen Köpfen, runden Buckeln mit Schnäbeln und spitzen Füßen.

Oliver Tüchsen besuchte mich gestern. Ich zeigte ihm die Arbeiten zu „Stasi-DADA / Entgoldung“. Und wir redeten über die Überlebensstrategien mit der Kunst und den Zuständen, die uns dabei ereilen.

Kompakter Block

Gestern verbrachte ich einen halben Tag im Atelier, weder Fisch noch Fleisch. Dennoch entwickelten sich die Collagen ein Stück weiter. Ich gehe freier mit den Buchmalereien um und füge nun auch Zeichnungsfragmente älteren Datums ein. Es fügt sich alles zu einem kompakten Block.

Als es gestern wieder stürmte und regnete, fürchtete ich erneut um unser Dach, auf dem immer noch die, von der Baustelle angewehte verpackte, Leiter liegt. Wird sie erneut herumgewirbelt, können weitere Löcher in das Dach geschlagen werden. Außerdem hat der Wind nun, weil die bisher gerissenen Öffnungen noch nicht geschlossen sind, die Möglichkeit, unter die Eternitplatten zu fahren…

In den Buchmalereien kombinierte ich die durchgedrückten Papiergravurlinien von gestern mit den hellen Strichen der Handballenabdrücke und verstärkte das Zusammenspiel mit Beistrichen und Umrandungen. Aus den Linien meiner Hand hoffe ich persönlichere Strukturen schaffen zu können, die die entstandenen Formationen durchdringen.

Strukturen und Figuren

Die Strukturen der Buchmalereien, die aus Farbspielen, Papiergravuren und Beistrichen bestehen, wollte ich heute wieder mit figürlichen Anmutungen bereichern. Das geschieht auch mit Blick auf die Weiterverwertbarkeit auf Rolle 10. Täglich scheine ich etwas dazuzulernen. Auch Rückschritte verursachen Prozesse, die mich weiterbringen. Aber was ist das Weiterkommen?

Das Dach des Ateliergebäudes ist noch nicht geflickt. Auf dem Dachboden liegen nach wie vor die zerbrochenen Eternitteile, an deren Bruchkanten Asbestfasern freigesetzt werden. Sie verteilen sich im ganzen Raum, auf dem Boden, den Balken und in den Fugen der Ziegelwände. In drei Tagen soll dort oben eine Ausstellung eröffnet werden.

In die Collagen habe ich Transparentpapierzeichnungen vom Februar eingefügt, um das Thema „Entgoldung“, das sich mit meiner Stasiakte beschäftigt, noch einmal aufzurufen. Die Reihe der Reliefs, mit den Umrissen des Porzellanreliefs im Humboldt Forum, soll nun noch fertig gemacht werden.

Hamburg

Unser Freund Henning hatte uns für das vergangene Wochenende in sein Haus in Hamburg eingeladen. Das war erfrischend und sehr schön. Und natürlich besichtigten wir die Stadt, wie Touristen, liefen durch den alten Elbtunnel, stiegen auf die Aussichtsterrasse der Elbphilharmonie und aßen an jeder Ecke Fischbrötchen. An den Landungsbrücken besichtigten wir ein Segelfrachtschiff, auf dem seine Geschichte ausgestellt wurde.

Und man konnte sich für das Aufentern in die Wanten des mittleren Mastes in 35 Meter Höhe anmelden. Das war einer meiner Kinderträume und ich entschloss mich, ihn wahr zu machen. 14.20 Uhr wurde ich mit einem Klettergurt gesichert und stieg hinauf bis zur ersten Aussichtsplattform. Vor ihr musste ich in Rücklage einen Überhang überwinden. Von da aus stieg ich dann die enger werdende Strickleiter bis zur zweiten Plattform, unter der Spitze. All das forderte meine ganze Kraft und meinen ganzen Mut. Oben aber war ich glücklich und stolz.

Von dort aus machte ich zwei Fotos in die Ferne und in die Tiefe. Henning hat alles mit vielen sehr schönen Fotos festgehalten. Auch meinen Abstieg über die überhängende Stelle an der zweiten Plattform. Das sieht alles spektakulär aus, aber unten angekommen, schlotterten mir etwas die Knie und ich sah weiß um die Nase aus. Die Buchmalereien wurden danach wilder!

Strukturen nahe bei mir

Die Sonne hinter meinem zerschossenen Gärtchen scheint auf eine Holzplatte, die ich gestern auf dem Weg ins Atelier gefunden habe. Es sind verleimte Buchenstücken, die handlich unter meinen Arm passten. Jetzt liegt sie auf meinem malträtierten weißen Tisch und ich schreibe darauf.

Mein Blick auf Strukturen nahe bei mir schärft sich. Das beginnt mit meiner Haut, deren Linien sich bei Handabdrücken von Aquarellfarbe auf Papier, hell abbilden. Sie vermischen sich dort mit den lichten Linien der Papiergravuren. Beides verstärke ich zunehmend mit dunklen Beistrichen, die dann ein Eigenleben entwickeln.

Gestern zeichnete ich weiter auf Rolle 10 und vervollständigte dabei die Figur vom 24. und 26. 9.. Dann aber kümmerte ich mich weiter um die Sturmschäden. Dabei schnitt ich die geflochtene „Rokokoweide“ zurück und verarztete ihre Risse mit Klebeband, richtete sie wieder auf und hoffe, dass sie sich im kommenden Frühjahr wieder berappelt.

Asbest

Erst jetzt, da die Buchmalereien fertig sind, schaue ich nach Umrissen und Formen, die für die Weiterarbeit auf Rolle 10 interessant sein könnten, deren Strukturen ich übernehmen möchte. Gestern arbeitete ich dort mit der ersten Malerei vom 24.09., ließ das Motiv etwas kleiner, damit das Volumen einen Kontrast zu den vorhergehenden bilden kann.

Im alten Holzlager, das Deniz „Balken“ nennt, liegen noch immer die Trümmer, die vom Einschlag der „Fliegenden Leiter“ herrühren. Am Morgen habe ich eingemummt und mit einer Atemmaske versehen, meine Arbeit dort oben zusammengeräumt, abgedeckt und teilweise hinaustransportiert, damit die Teile nicht noch mehr mit Asbest kontaminiert werden, das von den gebrochenen Eternitplatten freigesetzt wurde. Bevor dieser Raum nicht gründlich gereinigt wurde, werde ich mich da nicht mehr aufhalten.

Ein Eisengestell, das im Gärtchen ein stabilisierendes Element für die vielen Insektenunterschlüpfe bildete, wurde von einem großen Dachteil getroffen, genau, wie die geflochtene Weide. Da ist vieles gesplittert und zerschlagen worden. Alles zusammen hat aber dafür gesorgt, dass nicht noch mehr Trümmer durch die Atelierscheiben flogen. Mittlerweile sind alle Dachsplitter aus dem Gärtchen entsorgt, und ich kann mit dem Aufräumen beginnen.

Aus dem Tritt kommen

Ein Dachsplitter durchschlug meinen Gartenschlauch. Ich merkte es erst heute, als das Gärtchen zu wässern war. So ist mitten zwischen den Bäumen eine Sprinkelquelle entstanden. Die großen Bäume, die die Wände des Unterrichtsgebäudes eingedrückt haben sind von großen Maschinen in anderthalb Stunden abgeräumt worden. Ihre Kronen fehlen nun am Himmel.

Aus dem Wirbel um die Wetterschäden heraus, möchte ich auf Rolle 10 nun endlich wieder neue Fragen aufwerfen. Das sollte mir mit meiner Zeitmaschine gelingen, mit der ich Strukturen aus der Vergangenheit in die Zukunft transferieren kann. Dort begegnen sie später dem Material, dessen Entwicklung jetzt beginnt.

Wenn ich die zeitliche Kontinuität außer Kraft setzte, hoffe ich zu anderen Antworten zu kommen, als bisher. Ein solches Vorgehen kann auch die Starrheit der Figurenfriese auflösen, die sich auf Rolle 10 im Gleichschritt aneinanderreihen.

Windhose

Am Freitag hat eine Windhose auf dem Tevesgelände große Schäden angerichtet. Auch mein Gärtchen und mein Atelier haben einiges abbekommen. Scheiben gingen zu Bruch, Leitern flogen durch die Luft und durchstießen unser Dach, in dem nun große Löcher klaffen. Bäume wurden entwurzelt oder brachen an der Basis ihres Stamms und krachten in das Gebäude, in dem sich Unterrichtsräume befinden. Die Oberlichter der Restaurantküche sind geborsten und überall liegen die asbestverseuchten Dachtrümmer herum.

Es fällt mir schwer, in diesem Chaos zu arbeiten. Eigentlich würde ich mein Gärtchen gerne aufräumen. Das muss aber nun eine Spezialfirma machen, die die ganzen Dachbrocken verpackt. Auf dem ganzen Atelierboden sind Glassplitter verteilt, auf den Arbeitstischen und in den Regalen. Eines der Eternitfragmente flog diagonal durch den Raum, nachdem es ein Fenster durchschlagen hatte. Davon hat auch Rolle 10 ein Loch bekommen.

Die Buchmalereien haben in den letzten 3 Tagen auf diese Situation reagiert, sie haben das Wetter nachgebildet und die Geschwindigkeit der Geschosse, die Wirbel der Windhose und die vertrackte Trümmerarchitektur. Es ist gut, das auf diese Weise loswerden zu können. Am Tisch sitzend bebt mein Inneres. Der zerschossene Garten beugt sich zu meinen Händen.

Schauspielpremiere

Die erste Premiere im Schauspiel Frankfurt sahen wir gestern. Mateja Koleznik inszenierte Molieres „Der Geizige“. Ich Erinnere mich an „Yvonne die Burgunderprinzessin“ von ihr – ein hoch artifizielles Kunststück. Diesmal fehlte Schärfe, die zunächst der Text hergeben müsste. Er war aber wolkig weich von der Dramaturgin neu zugeschneidert. Im Programmheft gab es keinen Hinweis auf die Übersetzungen, auf denen dieser Text basiert. In der Situation, in der die KI sich ungefragt bereichert, ist das ein großes Versäumnis. Peter Schröder, der Hauptdarsteller, bekam frenetischen Applaus. Das rührte ihn sehr. Mich ließ die Inszenierung etwas kalt. Da war ich der Spielverderber auf der Premierenfeier.

Die Reihung der Umrisse wurde auf Rolle 10 weitergeführt. Heute will ich das aber brechen, rückwärts rollend auf dem Transparentpapier durchzeichnen und mit der Richtungsänderung mehr Spannung aufbauen. Es kann nicht immer nur um Verdichtung gehen. Und noch einmal fallen mir die Zwischenräume ins Auge. Sowohl die der Buchmalereiumrisse als auch die zwischen den Skulpturen der Altarwände des Klosters in Lalung.

Im Foyer der Schauspiels traf ich den neunzigjährigen Karlheinz Braun, wach und freundlich im Gespräch. Er erzählt von seinen Buchprojekten… Das ist großartig.

Kette von Suchbewegungen

Durch Reisen, Termine und andere Ablenkungen wird die Arbeit nicht vollständig unterbrochen. Anknüpfungspunkte von Vortag, durch die ich die Buchmalereien fortführen kann, reihen sich zu der Kette von Suchbewegungen auf, die meinen Arbeitsalltag bestimmt.

Die Umrisse aus den Büchern, die auf Rolle 10 erscheinen, möchte ich flexibeler nutzen. Bisher war mir die Sichtbarkeit der groben Komposition der kleinen Formate wichtig. Das will ich nun, zugunsten einer spannungsvolleren Reihung der Transparentpapierfriese, aufgeben. Das soll durch freiere Kombinationsmöglichkeiten der Figuren geschehen. Vorgestern entstand in der ersten Malerei ein Paar, das sich dafür eignet, mit anderen Umrissen von anderen Tagen zu interagieren.

Auch will ich mich an die skulpturalen Silhouetten und deren Zwischenräume der Altarwände vom Kloster in Lalung annähern. Damit lässt auch ein Rückgriff auf die Arbeit, die vor 4 oder 5 Monaten entstanden ist, bewerkstelligen. Mit der abermaligen Spiegelung von älterem Material in die Zukunft der Transparentpapierrolle, also in de Nähe ihres Endes, komme ich wieder zum Entgoldungsprojekt zurück, für das ich noch ein paar Reliefs anfertigen möchte.

Verbindungslinien I Gründerpreis

Manchmal erscheinen die Linien, die ich im Durchgang zum Hauptraum vom Kloster Tabo nachempfunden habe, abgewandelt in den Buchmalereien. Diese groben Striche, ohne eine wichtige Bedeutung, werden für mich, neben den verschlungenen Schwanzfederornamenten, die Verbindungslinien in die Zeiten der Ausmalung der Klöster.

Am späteren Nachmittag begann gestern die Vergabe des Gründerpreises der Stadt Frankfurt, der von der Wirtschaftförderung vergeben wird. Wie immer, bin ich eingeladen, weil ich vor ein paar Jahren die Preisfigur gestaltet habe. Im Römer werde ich zu dieser Gelegenheit mit einer völlig anderen Welt konfrontiert. Vertreter der Stadtpolitik und der Wirtschaft begegnen mir da.

Aber auch kreative Gründer von zumeist kleinen Unternehmen sind unter den Gästen. Gestern lernte ich auf dem Mainschiff, wo die Party stattfand, eine Designerin kennen, mit der ich mich über unsere Produktionsmethoden unterhalten habe. Dabei ging es auch um die Transparentpapierrollen als Experimentalstrecke für Ornamenterfindungen.

Energiesystem

Vor mir auf dem Tisch steht die durchleuchtete Rolle 10. Dort lösen sich aktuell die StasiDADA-Strukturen auf. Das geschieht zugunsten der tausend Jahre alten skulpturalen Schwünge der Schwanzfederornamente von den Garudabegleiterinnen aus dem Lalung-Kloster. Mit der Dichte der Überlagerungen vermehren sich die Gründe, sich in das Material zu vertiefen. Ein Energiesystem, das über tausend Jahre hinweg funktioniert.

Die Umrissfiguren auf dem Transparentpapier, die von den Buchmalereien stammen, sind etwas gleichmäßig groß. Diese Eintönigkeit kommt der Aufmerksamkeit zugute, die sich dann auf die ausfüllenden Gesträuche richtet. Das Gesamtbild bleibt aber geschwächt. Mit einer Rückrollaktion, die beim Durchzeichnen über die Umrisslinien hinweggeht, kann das verhindert werden.

Gestern besuchte ich Franz, der nach unserer Himalajareise fragte. Ich erzählte ihm vom Rinpoche von Tabo, der mein früheres Leben bei den Malern verortete, die die Klöster im Spitital ausgestaltet haben. Diesem Gedanken kann ich folgen, indem ich meine Rezeption dieser Gestaltungsformen durch weitere konzentrierte Arbeit intensiviere. So kann ich tiefer in meine Verbindung zu den alten Bildern eindringen.

Rinnsal

Immer mal, wenn der kontinuierliche Fluss der Arbeit nahe am Versiegen ist, wenn nur das dünne Rinnsal der Buchmalereien plätschert, schleicht sich etwas Lustlosigkeit zwischen die Landschaft der fordernden Augen, die mich zu umgeben scheint.

Weil einige Termine anstehen, komme ich in der kommenden Woche sicherlich nicht so recht zum konzentrierten Arbeiten. Manchmal während der Beschäftigung mit den kleinen Formaten in den Büchern, bewegen sich nur die Hände und füllen den Zeitraum mit Spuren, die nicht gedacht sind.

Die Sonne leuchtet matt hinter einer Wolkendecke, kommt nur so gefiltert durch die Glasfront des Ateliers. Nach den vielen Autostunden im gnadenlosen Licht am Wochenende, ist das erholsam. Im September erlebe ich manchmal eine Sehnsucht nach der Dunkelheit des Winters.

Handwerk

Natürlich könnte ich nun die Verdichtung auf Rolle 10, die mit dem Durchzeichnen beim Rückwärtsrollen entstanden ist, mit einem Vorwärtsrollen erneut verdichten. Das hatte ich früher schon so weit getrieben, dass durch die Wiederholungen das Papier vollständig schwarz geworden ist. Die dichten Gesträuche der letzten Tage, gelangen nun in die vergrößerten Umrisse der heutigen Buchmalereien.

Wenn ich die Kästen meiner Grafikschränke aufziehe, stoße ich auf die Arbeit, die vor vielen Jahren entstanden ist. Dort geht es ziemlich ungeordnet zu. Radierungen, Collagen, Holzschnitte, Zeichnungen und Aquarelle zu den verschiedensten Themen liegen dort durcheinander. Diese Rückblicke sind zumeist recht beglückend. Schaue ich zu unkritisch darauf?

Seit einiger Zeit habe ich mich von den digitalen Techniken verabschiedet. Der haptische Umgang mit Material ist mir wichtiger geworden. Mit Pappmache, Holz, Papier, Tusche, Aquarellfarben, Graphit und Schellack fühle ich mich wohler. Da Sonnenlicht, das ins Atelier kommt, bestätigt dieses Vorgehen, indem es die Wirkung des Materials, das durch meine Hände gegangen ist, aufleuchten lässt. Das Handwerk scheint dort auf.

Rückwärtsrollen

Um mich während der Tagebucharbeit etwas zu ordnen, mache ich zwischen dem Malen und dem Schreiben zumeist eine kleine Pause. Dann gehe ich auf die Wiese oder ins Gärtchen, um zu schneiden, zu flechten oder zu räumen. Das Betonschlagloch auf dem Platz, das ich als Vogeltränke nutze, befreite ich heute vom Flugsand, der von der Baustelle angeweht wird. Das Wasser ist nun wieder klar.

Gestern rollte ich die Transparentpapierrolle etwa 45 cm rückwärts und verdichtete zeichnend die durchscheinende Struktur. Manche der Figuren doppeln sich dabei dicht beieinander. Das kommt daher, dass der hintere aufgerollte Teil die Hälfte des Durchmessers wie der vordere hat. Beim Rückwärtsrollen kommen so die Motive nach einer zweimaligen Umdrehung etwa dort an, wo sie nach einer Drehung von vorne nach hinten wieder erscheinen. Diese Dopplung in dem Gesträuch verweist deutlich auf seine Ordnung.

Beim Besuch einer Ausstellung von Fotos und Installationen von Martha Rosler, fiel mir insbesondere der Raum zwischen Bildern und zugeordneten Worten auf. Das ist etwas, worauf ich innerhalb meiner Arbeit noch mehr Augenmerk legen sollte.

Neue Gesträuche

Besonders wenn ich mit der Holznadel Gravuren in die Seiten der Tagebücher grabe, tritt mitunter eine Linienstruktur auf, die den Bleistiftzeichnungen der Siebzigerjahre ähnelt. Über 50 Jahre lang haben motorische Codes in mir überlebt, die ich mir damals antrainiert hatte. Mein Körper stellte die Verbindung zu dem, was ich sah und zu Papier bringen wollte, her und fand so etwas, wie einen Stil. Wenn der heute wieder hervortritt, sucht er andere Verbindungen.

Die neuen Gesträuche, die entstehen, setzen sich aus den Schwüngen des Schwanzgefieders der Garudabegleiterinnen aus Lalung, den Abriss-Strukturen des Palastes der Republik und den Tonbandprotokollen des IM „Lutz Lange“ zusammen. Alls das konnte ich als ich 1977 an der Waldbahnstrecke zwischen Waltershausen und Sundhausen den blattlosen Strauch zeichnete, noch nicht wissen. Aber diese Zeichnung bildete die Architektur, die das aufnehmen konnte, was dann kam.

Sichtbar wird das nun auf Rolle 10. Gestern vergrößerte ich die Umrissfiguren der ersten Buchmalerei vom Morgen und zeichnete sie auf zwei Transparentpapierbögen. Das war die Grundlage für die Übertragung auf die Transparentpapierrolle, um das ins Werk zu setzen, was ich oben beschrieben habe.

Kein Federlesen

Unter etwas Zeitdruck kommen die Buchmalereien schneller auf den Punkt. Es geht gröber zu, Umrisse werden einfacher, geradliniger und kantiger. Keine verspielten Schwünge, eher Baustelle und nicht viel Federlesen. Der Kontrast der vielgeschwungenen Garudabegleiterinnen von Rolle 10 sollte die Collagen auflockern.

Tobias Kruse schickte ich meine Auswahl der Portraitfotos. Bei der Vorbereitung eines Leihvertrages mit dem Humboldt Forum korrigierte ich eine Angabe auf der Anfrage: die Transparentpapierrolle ist nicht 500 cm lang, sondern 5000 cm. Bislang sind keine Reliefs angefragt. Nur ihre entwurfsmäßige Entstehung auf Rolle 10 wäre sichtbar.

Damit bin ich noch nicht ganz zufrieden und denke an eine Aktion, die meine Reliefs mit dem Porzellanrelief im Restaurant konfrontiert. Darüber sollte ich noch mit den Kuratorinnen reden. Vielleicht wäre auch eine Veranstaltung denkbar, die das Projekt Stasi DADA zum Inhalt hat, oder eine abermalige Zusammenarbeit mit Tobias Kruse…

Saisonstart in Frankfurt

Gestern sahen wir uns den Saisonstart der Frankfurter Galerien an. Das Bild ist auf eine seltsame Weise kontrastarm. Vieles erscheint von lebensverbundenen Arbeitsweisen losgelöst. Es geht um wenig und kommt etwas steril rüber. Mit meinen Arbeitsweisen hat das alles wenig zutun.

So erscheint das Ankommen am Montagmorgen im Atelier erholsam. Auch im Zweifel an meinem Tun fühle ich mich wieder zu Hause. Die Collagenreihe wird etwas verändert fortgeführt und findet mit den kleinen Texten ins Netz. In den Buchmalereien sind die Befindlichkeiten aufgehoben, besser als in den Worten.

Tobias Kruse wartet auf meine Bilderauswahl seiner Aufnahmen, die ich vorgestern gemacht habe. Und das Humboldtforum will einen Leihvertrag für die Transparentpapierrolle machen. Ich muss mir einen Preis für die 50 Meter lange Rolle voller Zeichnungen ausdenken…

Übergang

Nun beginne ich mich mit den Figuren des Goldenen Klosters in Lalung zu beschäftigen. Aus der Fülle wählte ich zunächst zwei Vogeldarstellungen mit Menschenköpfen und langem ornamentalen Schwanzgefieder aus. Sie flankieren die Hauptpersonen der Friese. Zwei von ihnen zeichnete ich auf Transparentpapierbögen, um mich damit weiter auf Rolle 10 beschäftigen zu können.

Vor einem guten Monat beendete ich dort zunächst das Stasithema. Jetzt kann ein Übergang zu anderen Gegenständen der zeichnerischen Beschäftigung geschaffen werden. Die Überlagerungen werden die Richtung angeben, die dann eingeschlagen wird.

Natürlich bekommt die Arbeit an den Buchmalereien hier im Atelier neuen Schwung. Am offenen Rolltor, mit Blick in den kleinen Dschungel des Gärtchens, zu arbeiten ist etwas anderes als an den Hoteltischen oder im Flugzeug. Aber auf dem Dach von Tachis Haus in Lalung sind Linienkompositionen entstanden, die von Tabo inspiriert wurden. Damit ließe sich auf Rolle 10 ebenfalls etwas entwickeln. Wenn der Ringpoche, mit dem wir gemeinsam gegessen haben, schon meint, ich könne in meinem vorigen Leben vor tausend Jahren ein Maler der Klöster gewesen sein, spornt mich das schon etwas an!

Portrait

Am Morgen flocht ich ein paar Triebe der Weide zu Ringen, aus denen dann Triebe sprießen, die wieder zu Ringen geflochten werden können. Dabei sang ich vor mich hin: “Valentines Day“ von David Bowie.

Es fällt nicht ganz leicht nach vier Wochen Himalaja in die Atelierarbeit zurück zu finden. Die Suchbewegungen sind vage und führen über eine zurückhaltende Farbigkeit in den Buchmalereien zu den Collagen, die weniger kontrastreich ausfallen. Das ist die Vorsicht im Porzellanladen! Aber es gibt 900 Fotos und einige Zeichnungen, die ich in den tibetischen Klöstern gemacht habe. Das ist Material für Rolle 10.

Tobias Kruse hat die Fotos geschickt, die er von mir hier im Atelier gemacht hat. Ich soll aussortieren. Dabei kann es nicht um Qualität gehen, denn die ist gleichmäßig hervorragend. Es muss um die Zielrichtung gehen, für die die Aufnahmen stehen sollen. Und da scheint mir der Raum um mich, in dem meine Arbeit entsteht, fast wichtiger als mein Portrait zu sein, oder er ist ein wesentlicher Teil eines Bildes von mir. Dabei geht es um Materialität, Natur- und Kunstlicht und auch um die entstehenden Arbeiten um mich herum.

Müdigkeit

Die Buchmalereien tragen Müdigkeit in sich. Sie entstehen trotz des wenigen Schlafes. Am Morgen hilft mir mein Zahnarzt. Er erklärt viel von dem was er mit meinen Zähnen tut und wie ich mich danach verhalten soll.

Mich von meiner Arbeit hier zu trennen, fällt mir leicht. Mir ist dieser tägliche Arbeitszirkus, die Unabwendbarkeit dauernden Produktion, die Forderung nach der stetigen Erfindung neuer Konstellationen und Zusammenhänge, zu viel geworden.

Woher soll die Kraft dafür kommen? Habe mir Ingwertee gemacht. Es herrschen 17° im Atelier, ein paar letzte Mails und dann machen wir uns auf die erste Etappe unserer Reise bis nach Shimla. Dann in die Berge…

Buchmalereien

Mit den Gewindegängen einer Holzschraube setzte ich heute den Anfangsakzent meiner Buchmalereien. Diese Struktur, die einer Kreuzschraffur ähnelt, hob ich mit Gelbgrün, Indigo und Kobaltgrün hervor. Die hellen Linien der Gravur bleiben dann stehen und werden leuchtend sichtbar.

Dann entwickelte sich die Dynamik aus Handballenabdrücken, deren Umrisszeichnungen, aus Gravitationsschwüngen und wolkigen Konturauflösungen. Die Farbigkeit folgt dem Instinkt, der die Zusammenstellung der Töne schon voraussieht. Wichtig für das Ergebnis ist dann noch der Zusammenklang der drei Bilder.

Etwas mutiger könnte ich bei den Collagen werden, die den Malereien folgen. Dort kann ich, ähnlich wie mit den Handballenabdrücken in den Büchern, Bildelemente vervielfältigen und verändern. Das will ich nun gleich probieren.

Beschleunigung des Spiels

In den sich wiederholenden Umrissen innerhalb der 3 Buchmalereien eines jeden Tages, entdecke ich Mechanismen der alltäglichen Wahrnehmung der verschiedenen Umgebungen. Erinnerungen und Projektionen vermischen sich zu den Konstruktionen, die das Hirn collagiert. Die Zusammenhänge verschiedener Figuren, die zwillingshaft erscheinen, sind Erfindungen, Konstruktionen aus den Sinneseindrücken.

Immer öfter verliere ich während der Herstellung dieser kleinen Formate die Kontrolle über irgendeine Planung der Vorgänge, die zu den 3 zusammenhängenden Bildern führen. Geschöpfe, die menschlichen Figuren ähneln, entstehen von alleine. Das gleicht den Verläufen der Spiele, die mein Enkel Armin spielt. Auch die beschleunigen sich und führen zu einer Intensivierung, die Lautstärke und Einfallsreichtum steuert.

Der Monsun im Norden Indiens durchweicht die Verkehrsadern, auf denen wir uns in den Himalaja bewegen wollen. Das beeinflusst mein Nachdenken über die Dinge, die in das Reisegepäck wandern sollen. In der ganzen Zeit werden wir von ein und demselben Fahrer begleitet. Auf ihm lastet in der Situation, in der viele Straßen durch Erdrutsche verschüttet sein werden, eine große Verantwortung.

Besuch

Die Reliefs, die ich gestern mit Anne und Armin abgegossen habe, trockne ich nun mit einem Heizlüfter, weil das Pappmache, als wir es in die Form drückten, sehr nass war. Nun aber wird mein Enkel seinen Hirsch mit nach Hause nehmen können.

Nachdem wir gestern die Römerausstellung im Archäologischen Museum gesehen hatten, fahren wir heute zur Saalburg, einem rekonstruierten Römerlager am Limes im Taunus.

Gestern waren wir den ganzen Nachmittag im Atelier. Wir haben während unserer gemeinsamen Zeit kein Glück mit dem Wetter und müssen deswegen meistens in Innenräumen sein. Mit meinem Einbaum auf Rädern fuhr ich meinen Enkel über den regennassen Beton des Geländes. Mit Anne sprach ich über unsere Produktionsbedingungen beim Kunstschaffen und über meinen Nachlass.

Rabe und Hirsch

Bevor meine Tochter Anne mit ihrem Sohn Armin zu Besuch kam, versah ich die Kraftfeldform mit einer weiteren Schicht Schellack. Durch die häufige Benutzung wird ihre Struktur in Mitleidenschaft gezogen und kann etwas mehr Schutz gebrauchen. Mit Pappmache formten wir zwei Figuren, den Raben und den Hirsch ab, die nun trocknen und vielleicht morgen bemalt werden können.

Am Bahndamm holten wir Holz, mit dem wir ein Feuer entzündeten. Durch den Regen der letzten Wochen, war es ziemlich nass, wodurch wir einiges Geschick und viel Arbeit daran setzten mussten, um es in Gang zu bekommen. Später gab es Würste, Gemüse und Käse zum Grillen.

Im Atelier kann man sich natürlich prima beschäftigen. Es gibt eine Hobelbank, Holzbearbeitungswerkzeuge, Holz und genügend anderes Material, mit dem etwas anzufangen ist.

Reduktion

Nachdem es die ganze Nacht geregnet hatte, spielt nun wieder das Sonnenlicht im Garten und lenkt mich ab. Eigentlich bin ich, im Gegensatz zu meinen farbschwelgerischen Gedanken gestern, auf Reduktion aus. Wenige zartfarbige Flecken und deren Konturen sind zu kultivieren. Das tendiert wieder in Richtung Transparentpapierrolle, die ich mir aber erst nach der Reise zeichnend wieder vornehmen werde.

Das Pensum, das ich mir auferlegt habe, fordert mich so, dass ich mich öfter ausgelaugt fühle. Dann hoffe ich mit dem Beginn der Buchmalerei am Morgen, wieder Kraft tanken zu können. Das gelingt oft, aber die energetische Ausbeute schwankt.

Kurz vor größeren Reisen allerdings, gehen die in Gedanken schon zu den Abenteuern, die uns erwarten. Dann ist die Verbindung zu den Stoffen, an denen ich arbeite nicht mehr so eng. Eher bin ich schon im musikalischen Lärm der indischen Straßen, zwischen den Gerüchen der Küchen und Friseurbretterbuden.

Struktur und Materialität

Am Morgen, nachdem ich einen Supermarkteinkauf erledigt hatte, war im Atelier Zeit für Farben. Diese Seite meiner Arbeit, stand selten im Vordergrund. Nun stelle ich mir vor, einfach in Farben zu schwelgen. Die Konstitutionen der Materialien spielen dabei fast die Hauptrolle: trockene Stifte, Wasserspiele auf strukturiertem Papier, Reliefpappe durch Grundierungsschichten stabilisiert, Leinwände, Firnisse, Ölfarben.

Neugierig bin ich auf die Fotoauswahl, die mir Tobias Kruse schicken wird. Ein Fokus unserer Gespräche lag ja auf Struktur und Materialität. Es wäre gut, wenn davon etwas in den Portraits auftauchen würde. In seinem Buch „Deponie“, das er mir schenkte, ist viel davon zu sehen.

Den August werde ich mit einem neuen Buch beginnen, das ich auch mit nach Indien nehmen werde. Hoffentlich schlagen sich die dortigen Atmosphären darin nieder. Respekt habe ich vor den dichten Menschenmengen in den Städten.

Am Seegrund

Durch etwas großzügige Handballenabdrücke sind mir die Buchmalereien aus dem gewohnten Format gerutscht. Vielleicht ist das ein Impuls, der mich in andere Richtungen denken und malen lässt. In der zweiten Malerei erscheinen Unterwasserwelten, ein schlammiger Grund eines Sees. Die ganze Umgebung hört sich gedämpfter an: Güterzüge, Straßenreinigungsfahrzeuge, Gabelstapler, Ringeltauben, die A5, der Flughafen, der Wind, der Regen und das Rascheln der Blätter, alles wie unter einer Lasur.

Genau schaue ich hingegen in mein Gärtchen und registriere scharf sein Aufatmen in der feuchten und kühlen Atmosphäre der letzten Tage. Sogar die Weide, die schon gelbe Blätter bekam, treibt neues Grün.

Auf Rolle 10 schrieb ich gestern den Satz: „Er lebt so in den Tag hinein.“ mit meinen „Geheimzeichen“ zu Ende. Es entsteht das Gefühl, mit Stasi – DADA fertig zu sein. Sicher stelle ich noch den Relieffries „Entgoldung“ zu diesem Thema fertig, aber inhaltlich ist es von mir nun erst einmal genug bearbeitet worden.

Eruptionen

Manchmal während der Buchmalerei, schaukelt mein Oberkörper etwas, als folgte er einem Singsang tief in die Kinderseele, dem Ort der größten Einsamkeit. Die entstehenden Strukturen folgen direkt den kleinen Eruptionen, die vom Aufeinanderreiben der Innereien und Knochen an die Oberfläche treten.

Diese krakeligen Formen, die sich in das Papier graben, durch Farbschraffuren hervortreten, mit dem sanften Druck des nassen Handballens vernebelt werden, wieder und wieder durch Schraffuren auftauchen, die sich dann auflösen bis das Papier nachgibt, geben meine innere Bewegungsstruktur wieder.

Auf den Autobahnen 4 und 5 sprachen wir über den künftigen Einfluss der Künstlichen Intelligenz (irreführender Begriff) auf die Künste. Ich glaube, dass die Tiefe menschlicher Kunstproduktion mit den Hervorbringungen der KI nicht verglichen werden kann. Wendungen in den Kontinuitäten meiner Arbeit, die meinem Körper entspringen, Abfolgen die aus meinem Kopf kommen, gibt es nur durch mich.

Gemeinsamkeiten

Gerade ist Tobias Kruse wieder gefahren, der mich zweieinhalb Stunden lang fotografiert hat. Wir haben richtig viel gearbeitet. In dem Gespräch, das wir führten, stellten sich einige Gemeinsamkeiten heraus, die künstlerisches Sehen betrafen. Er meint ebenfalls, dass in der Ausstellung im Humboldtforum, die Reliefs mit sichtbar sein sollten.

Auf Rolle 10 schrieb ich gestern das Wort TAG in einer Geheimschrift und füllte die Umrisse dieser Buchstaben schon mit dem Stasi – DADA – Material. Trotz der vielen Dinge, die gestern zu erledigen waren, schaffte ich mein ganzes Arbeitsprogramm. Genau wie heute folgte aus der Zeitknappheit Reduktion und erhöhte Konzentration. Spartanische Buchmalereien, schnelle Collagen und Federzeichnungen.

Moos ist von einem Unwetter vom Dach gespült worden. Wenn es getrocknet ist, werde ich es zusammenfegen und mein Gärtchen damit auffüllen. Seit dem frühen Morgen regnet es und die Wiese saugt das viele Wasser auf, wie ein Schwamm.

Korsett

Die 3 Malereien des Vormittags fielen heute etwas karger aus, weil ich überraschend Besuch bekam und dennoch an meinem Zeitplan festhalten wollte. Eine Angewohnheit, die mich manchmal behindert. Aber heute ist mein 140. voller Arbeitstag dieses Jahres. Deswegen kann ich mich etwas zurücklehnen.

Vorhin erklärte ich zwei jungen afghanischen Männern mein aktuelles Projekt mit all seinen Schichten. Damit überprüfe ich die Schlüssigkeit dieser Arbeit. Menschen, die kaum etwas mit Kunst zutun hatten, verstehen die Zusammenhänge. Das sollte zwar nicht das vordringliche Ziel sein, kann aber nicht schaden, wenn der Prozess der Bildfindung dadurch nicht behindert wird.

Ich werde froh sein, wenn ich aus dem Stasi – DADA – Korsett befreit bin, und auf Rolle 10 wieder einfach drauflosarbeiten kann. Die Verbindung von Buchmalerei und Transparentpapierzeichnung, wird wichtiger für mich. Ich merke das jetzt, weil diese Verbindung gerade unterbrochen ist.

Neu kultiviert

Während der Buchmalereien an diesem Sonnabendvormittag, am Zeichentisch vor dem Gärtchen, höre ich „So What“ von Miles Davis in der Sendung „Klassik Pop etc.“ im DLF, die heute von Klaus Leggewie moderiert wird. Er ist etwa 4 Jahre älter als ich und spielt viel Musik, die auch zu mir gehört.

Gestern zeichnete ich an dem Fries, der ein Satz ist, weiter. Manche meiner Geheimbuchstaben wiederholen sich naturgemäß und verraten sich dadurch schon ansatzweise. Nur die durchgezeichneten Füllungen ihrer Umrisse sind immer anders. Es entstehen harmonische Zeichen.

Wenn der Satz in dieser Weise fertig geschrieben ist, möchte ich auf der Transparentpapierrolle wieder mit den Umrissen der Buchmalereien arbeiten. Weil ihr Zusammenspiel mit den Federzeichnungen auf Transparentpapier über 2 Monate unterbrochen war, entwickelte sich ihr Charakter in eine andere Richtung. Die Farben werden im Zusammenklang mit den Strukturen und im Spiel untereinander neu kultiviert.

Malträtiertes Material

Weiterarbeit am Fries. Die Geheimschriftzeichen, die für diesen einen Satz notwendig sind, lade ich aus der Stasi-DADA-Datei auf den Klappbildschirm und zeichne von da aus auf Transparentpapierbögen durch. Dabei korrigiere ich die ausgefransten Umrisslinien und harmonisiere damit das Gesamterscheinungsbild. Es unterstützt den heiteren Grundton des Ganzen. Manchmal erinnern Schwünge an das Rankenwerk mittelalterlicher Buchmalereien.

In den Collagen blieben diese abstrakten Figuren eher Fremdkörper. Heute gelang es mir, sie in das Geschehen der Malereien und vorausgegangenen Collagenstrukturen, besser zu integrieren. Über die Dokumentation dessen, woran ich parallel arbeite hinaus, kommen manchmal Aspekte zutage, die mir während der Arbeit nicht auffielen.

Auf das Papier der Tagebücher übe ich manchmal zu viel scharfkantigen Druck aus. Das malträtiere Material wirft sich auf, bildet Falten und behindert damit meine Weiterarbeit an den Motiven. Etwas mehr Vorsicht wäre angebracht. Die leichten Wandlungen aber, die die Malereien auf der langen Strecke durchmachen, bestärken mich in der Fortführung dieses täglichen Unterfangens.

WEITERMACHEN!

Auf Rolle 10 arbeitete ich an dem Fries weiter, und plötzlich bekommt er einen heiteren Charakter, als würde ich mich über die Stasiüberwachung lustig machen. Ganz anders ist das bei den Entgoldungsreliefs, die mit ihren Lasuren eine düstere Stimmung erzeugen, ein Kohlenkellergefühl.

Seit einiger Zeit liegt auf dem Zeichentisch eine Holzschraube herum, deren Kopf abgebrochen ist. Ihre scharfkantigen Gewindegänge drückte ich heute, mit einer Holzleiste von oben pressend und rollend, in das Papier. Bewege ich die Schraube mehrmals hin und her, verändert sie langsam ihre Richtung und die Gravuren zeichnen diese Bewegung mit einer Kreuzschraffur nach. Das ist ein neues Mittel.

Diese organisierten Flächen mit den parallel laufenden oder sich schneidenden scharfen Linien bilden einen willkommenen Kontrast zu der Schwüngen, Konturen und wolkigen Auflösungen der anderen Strukturen. WEITERMACHEN!

INDENTAGHINEINLEBEN

Die ersten 3 Buchstaben, ER und L, des Satzes: „Er lebt so in den Tag hinein“, zeichnete ich mit meinen Geheimschriftbuchstaben auf Rolle 10. Die Umrisse dieses abstrakten Figurenfieses füllte ich mit den Fragmenten des Tonbandprotokolls, wie sie bis in den Mai dieses Jahres auf der Rolle entstanden sind.

Dieser eine Satz des Berichtes erscheint auf den ersten, heutigen Blick etwas belanglos. Aber im Kontext der strengen Arbeitspflicht im Sozialismus ist ein solches INDENTAGHINEINLEBEN eine Provokation. Und so entpuppt sich der Bericht meines IM „Lutz Lange“, mit seinen subtilen Hinweisen, als explosiv. Die Umwandlung des Satzes in einen Geheimschriftfries, führt mich tiefer in die Erinnerungen hinein. Gleichzeitig hoffe ich den Dialog mit meinem toten Berichterstatter weiter intensivieren zu können.

Das Spiralelement in den Buchmalereien stammt aus den Achtzigerjahren. Damals begann ich damit Figurenumrisse auszufüllen, die oft während Schauspielproben entstanden sind. Heute funktioniert es eher als Verbindungselement zwischen verschiedenen Konturen, was dadurch zu einem Energiefeld wird.

Alphabet

Den Zeichen meines Geheimalphabets, das ich aus dem Stasi-DADA-Material entwickelt habe, ordnete ich nun die deutschen Buchstaben zu und bezeichnete die Dateien entsprechend. So kann ich nun einfacher mit diesen Figuren umgehen. Heute erschienen die ersten des Satzes „Er lebt so in den Tag hinein“, den Heinz Werner über mich zu Protokoll gegeben hatte, schon in den Collagen. Dann werde ich beginnen, diese Worte auf Rolle 10 zu bearbeiten.

Ich habe nun wieder ein paar Tage, in denen ich alleine bin. Eine solche Situation führte in letzter Zeit öfter zu einer sehr intensiven Arbeitsphase, bei der ich mich leicht verausgaben konnte. Jetzt aber bin ich schon etwas in einem Sommermodus, während die Hängematte im Gärtchen zwischen zwei Bäume gespannt ist.

Im Himalaja herrscht in der Gegend, die wir bereisen wollen, derzeit noch Monsun. Das macht die Wege unsicher, Erdrutsche können die Reiseroute verändern. Es wird wahrscheinlich noch abenteuerlicher, als eine solche Reise ohnehin schon ist.

Pionierportraits

Am Wochenende hatte ich die Idee, mir die Pionierportraits von 2015 noch einmal vorzunehmen. Während unseres Grillfestes mit den Kolleginnen von „YOU&EYE“, hatte ich von der Gästetafel aus größerer Entfernung den ganzen Abend auf mein Selbstportrait als Siebenjähriger im Blick, das ich in einer Raster-Lasurtechnik gemalt habe. Diese Technik hat mehr Potential, kann mit weitren malerischen Aspekten angereichert werden. So würde ich das Lasieren ernster und dichter betreiben und die Portraits mit Figuren aus den Buchmalereien oder von Rolle 10 konfrontieren.

Die Arbeit an den Reliefs geht derzeit nur langsam voran. Den ganzen Komplex, vom Kraftfeld bis zur Entgoldung, stellte ich den Gästen vor, mit denen wir den Abend des Samstags am Grill unter dem großen Vordach verbrachten, denn es regnete.

Innerhalb der Buchmalereien stelle ich die entstehenden Konturen in unterschiedlichen Konstellationen nebeneinander. Aus den Räumen dazwischen entstehen mitunter neue Figurationen. In der zweiten Malerei füllte ich eine solche mit karminroten Schwüngen aus, die wie Energielinien hin und her springen, sich kreuzen und kreiseln.

Die Gelenke der rechten Hand

Der Lorbeer hängt voll Kirschen, Birkensamen regnen in die Wasserbottiche und die winzigen jungen Eidechsen flüchten vor ihren gefräßigen Eltern. Die rennen oft mit Stummelschwänzen herum, denn die Elstern sind aufmerksam und ein Falke streift durch unseren Himmel. Meine Bewegungen im Gärtchen sind langsam und knapp, um die Sonnenbäder der Reptilien nicht zu stören, damit die scheuen Ringeltauben zum Trinken kommen und die Schwebfliege ihr Revier bewachen kann.

Vier junge Frauen entladen ihre Autos und tragen Kisten und Backsteine (?) in das Günestheater. Ich sehe die schwarzen T-Shirts, die sich über ihre Rücken spannen. Sind es Laienschauspielerinnen, die zu einem Gastspiel gekommen sind?

Die gezeichneten Schwünge der Buchmalereien biegen die Farblinien über das kleine Stück Papier, etwa ein Drittel einer A5 Seite. Das kommt aus den vielen Gelenken meiner rechten Hand, die mein Denken strukturieren will.

Koleka Putuma

Koleka Putuma ist eine südafrikanische Autorin, deren Performance wir gestern im Mousonturm sahen. Sie präsentiert ihre Lyrik in einer Mischung aus darstellender und bildender Kunst. Gesprochenes Wort, Soundcollagen und Projektionen verbinden sich zu einem Gesamtkunstwerk. Das Bühnenbild ist sparsam – eine kleine beleuchtete Kiste, ein Treppchen und zwei schmale Hänger als Projektionsfläche. Als solche funktioniert auch ihr Körper für Wortcollagen und schwarze Sängerinnen. Am Rande der Vorstellung trafen wir viele Theaterleute, die wir schon sehr lange kennen.

Die Untermalung des sechsten Entgoldungsreliefs stellte ich gestern fertig. Daran werde ich in dieser Woche nicht mehr weiterarbeiten, weil zu viele andere Dinge anstehen und zu erledigen sind. Eine Arbeitspause bis zur kommenden Woche.

Die Amseln baden mit unterschiedlichem Geschick zwischen den Seerosen oder auf dem Speichenrad, das halb im Wasser in einem Bottich klemmt. Stets sind sie sehr aufmerksam, reagieren auf jede Bewegung mit Flucht. Manche von ihnen sehen zerzaust aus, wie von Ungeziefer geplagt.

Lärm

Vor meinem Garten sitzend, versuche ich nach einem „YOU&EYE“ Treffen, einen klaren Gedanken zu fassen. Zumeist komme ich schnell in die Buchmalereien, weil ich Papiergravuren aufnehme, weiter führe, schraffiere und mit meinem feuchten Handballen den Beginn eines zweiten Miniaturformates setze. In den entstehenden Flecken entdecke ich manchmal Figuren oder abstrakte Architekturen. Wenn die Konkretion die Oberhand übernimmt, mache ich mit Wasser und meiner Hand ein paar Wolken drum herum.

Gestern kam Franz mit seiner Mundharmonika und blies zu meinem Gitarrenlärm auf ihr. Wir spielten zwei unterschiedlich lange Improvisationen. Das läuft für meinen Geschmack noch zu wenig aufeinander bezogen. Aber das Gespräch darüber stellte die Verbindungen zu unserer bildnerischen Arbeit her.

Frau Schnabel vom Humboldtforum hat die Ausstellungskommunikation an Frau Falentin weiter gegeben, die ich schon von unserem langen Gespräch in Berlin kenne. In einer Mail beschrieb sie mir das Konzept, innerhalb dem meine Transparentpapierrolle gezeigt werden soll. Alles Weitere wird in den kommenden Monaten besprochen.

Schneller auf dem Punkt

Mit der Vorzeichnung und Untermalung des sechsten Entgoldungsreliefs habe ich gestern begonnen. Der Textteil des Tonbandprotokolls streckt sich an manchen stellen und wird an anderen gestaucht. Das hat eine zähflüssige Anmutung.

Die Buchmalereien sind heute sehr knapp ausgefallen. Wegen eines Einkaufs war weniger Zeit. Manchmal führt diese Situation dazu, dass ich etwas schneller auf den Punkt komme. Die Deutlichkeit wird mit dieser Reduktion größer. Auch die Collagen verändern sich dadurch. Zu ihnen gesellten sich auch die ersten Teile der Untermalung des aktuellen Reliefs.

Morgen in der Frühe, um 8 Uhr, findet ein Termin von „YOU&EYE“ in der Hindemithschule statt. Heute Abend kommt Franz zum Musizieren, am Wochenende ist eine Grillparty bei mir und morgen gehen wir ins Theater. Dann gibt es noch verschiedene andere Termine in dieser Woche. Meine Aufmerksamkeit in diesen Phasen ganz in der Gegenwart zu halten, ist die Aufgabe.

Der Prozess der Erinnerung

Das neue grundierte Entgoldungsrelief hängt an der großen gespannten Leinwand über den ersten 5 Exemplaren, die nun fertig bemalt sind. Nach einem Wochenende auf heißen Autobahnen, mit Blick vom Zeichentisch in mein Gärtchen, gibt es da auch eine Hängematte, in der ich mich von den anstrengenden Fahrten erholen kann, komme aber nicht umhin, mich weiterhin mit den Erinnerungsvorgängen zu befassen. Erstmal keine Hängematte!

Der Prozess begann mit dem Rückbau des Palastes der Republik und den vielen Fotografien davon, die mir Ingrid Voss immer wieder aus Berlin mitbrachte, die ich selber machte oder von meiner Tochter geschickt bekam. Diese Strukturen wanderten auf die Transparentpapierrollen, mischten sich dort mit meinen aktuellen Buchmalereien zu neuen Figurationen. Dann folgte die Beschäftigung mit dem Porzellanrelief, das nun vom Palast in das Humboldtforum gewandert ist, und seinen Vergoldungen, die von meinem IM „Lutz Lange“ stammen.

Seine Tonbandprotokolle führten nun zum Schluss zu den Stasi-DADA-Reihen auf Rolle 10 und schließlich zum Entgoldungsprojekt. Aus ihm gehen die Reliefs mit den Umrissen der Vergoldungen hervor. Dieser Prozess ist mit wichtig bei der Präsentation der Arbeit.

Textfragmente I Köpfe I Kontext

Das Relief ist nun vollständig in der Form getrocknet, aber mit der Grundierung habe ich noch nicht begonnen. Mit diesem Arbeitsgang möchte ich auch die Risse, die ich schon von hinten geschlossen habe und deren Ränder aufrecht stehen, glätten. Diesmal besteht die Untermalung, die dann folgt, aus einem etwas vollständigeren Textfragment des Protokolls der Tonbandaufzeichnungen meines IM „Lutz Lange“. Das kann ein Schlüssel für die Einordnung der anderen viel bruchstückhafteren Buchstabenreihen sein.

Von der Kraftfeldseite her, die ich dem Porzellanrelief gegenüberliegend imaginiere, beherbergt das Entgoldungsobjekt die Köpfe eines anatolischen Amuletts und einer Aborigini Felsmalerei, die ich mir kulturell angeeignet, verflochten und übermalt habe.

Mit Freude und Interesse las ich im Humboldtforum – Newsletter, dass sich eine Veranstaltung mit der Überwachung des Palastes der Republik durch die Stasi beschäftigt. Dieser wichtige Faktor der Erinnerung ist nun platziert, wodurch meine Arbeit am Entgoldungsfries kontextualisiert werden kann.

Nasse Pappe

Als ich gestern auf den Altkönig stieg, besichtigte ich die Westflanke des Berges, wo es vor etwa 3 Wochen gebrannt hatte. Kurz vor dem Gipfel, an einem der keltischen Steinringe, wurde das Feuer gestoppt. Zwei Hektar vertrockneter Wald sind von der wahrscheinlichen Brandstiftung betroffen. Vielleicht können nun die Gehölze wachsen, die sich von alleine ansiedeln.

Vor meiner Wanderung besserte ich noch die Risse am Relief aus, die entstehen, wenn die nasse Pappe in der Form trocknet und sich dabei zusammenzieht. Nach einer weiteren Stabilisierung durch mehrere Grundierungsschichten, beginne ich mit der Stasi-DADA-Untermalung in der kommenden Woche.

Die Reliefstrukturen haben sich in den Collagen vor die Buchmalereien geschoben. Parallel dazu machen die Malereien einen Intensivierungsprozess durch. Sie laufen nicht nebenher und werden am Morgen schnell abgehakt, sondern es findet wieder eine konzentrierte Suche nach Möglichkeiten ihrer Weiterentwicklung statt.

Stasi-DADA-Kraftfeld

Den nächsten Vergoldungsumriss schnitt ich aus Pappe aus und drückte ihn nass in einen oberen Bereich der Kraftfeldform. Dabei achtete ich darauf, dass das Netz der Motive immer senkrecht zur waagerechten Ausrichtung der Umrisse liegt. So können sich die Stasi-DADA-Strukturen mit dem Kraftfeldnetz besser verbinden.

Bei der autofiktionalen Literatur zur DDR-Vergangenheit, geht es oft um Recherchen und Befragungen durch die Nachgeborenen. Sie treffen nicht selten auf das Schweigen derer, die die wichtigste und prägendste Zeit ihres Lebens damals in diesem Staat verbracht haben. Mit meinen Eltern kann ich auf eine gemeinsame Geschichte zurückgreifen. Aber auch da gibt es weiße Flecken, wie z.B. die Zeit meines Vaters als Aufseher im Zuchthaus Brandenburg. Es gibt Ereignisse, Kausalitäten und Strukturen, die beschwiegen werden.

Nachdem ich sie eine Weile nicht gespielt habe, entdeckte ich nun meine Gitarre wieder. Sie bleibt so etwas, wie ein Notausgang für die Gefühle und schließt sich somit direkt an die Buchmalereien an. Die Strukturen der Papiergravuren, Schraffuren und Wirbel korrespondieren tatsächlich mit dem Sound, den ich mit dem Instrument und seinem Effektgerät entwickle.

2 Kilometer

Dass die Entgoldungsreliefs seit gestern dunkler geworden sind, kommt dem Eindruck, dass sie im Braunkohlenkeller lagerten näher. Nun will ich weitere Pappumrisse in Form der Vergoldungen des Porzellanreliefs im Humboldtforum in die Kraftfeldform drücken, damit ich sie nach der Grundierung mit der Tuscheuntermalung des Stasi-DADA von Rolle 10 versehen kann.

In der vergangenen Nacht träumte ich von einem Dschungel, in dem ich Objekte baute. Diese wurden zu Räumen, ähnlich von Bühnenbildern. Mich erinnerte das an meinen Taunuspfad und möchte nun den Hang am Altkönig besuchen, der vor kurzem gebrannt hat. Am vergangenen Sonntag hatten wir einen Blick von etwa 2 Kilometern Entfernung auf diese Stelle.

Weil die Beschäftigung mit der DDR gerade einen Boom erlebt, ist es für mich richtig, etwas Abstand einzunehmen, um die Vorgänge aus der Entfernung (von etwa 2 Kilometern) zu betrachten. Dafür wechselte ich meine Lektüren und hoffe, dass das Auswirkungen auf die Arbeit hat.

Dunkelheit

Auf meine veränderte Handschrift schauend beginne ich den Faden der letzten Woche wieder aufzunehmen. Die Existenz des ersten kleinen Reliefs, das ich für den Entgoldungsfries angefertigt hatte, entging mir. Also habe ich bereits 5 von 9 Vergoldungsumrissen des Porzellanreliefs in Entgoldungsobjekte umgewandelt. Die Farbigkeit hat sich bei der Weiterarbeit verändert. Das will ich auf die ersten 3 Reliefs erweitern.

Carola Hilmes erzählte ich gestern, während eines Taunusspazierganges, von diesem Projekt und bemerkte, wie anstrengend das für mich ist. Es gleicht zunehmend einem Abstieg in den Braunkohlenkeller der DDR. Das Atmen wird schwerer. In diesem Zusammenhang scheint mir eine weitere Eindunklung der Reliefs folgerichtig. Mit Tusche, Graphit und Holzkohle, was ich alles mit Schellack mische, werde ich vorsichtig weiter lasieren.

Gedanken schweifen ab in das lichte Spiti – Tal. Ich werde das Skizzenbuch der ersten Himalajareise dorthin mitnehmen, weil darin noch viel Platz ist. Manchmal denke ich mir die tibetischen Berggötter in die Landschaften hinter den Tempelwänden, die ihre Schreine beherbergen.

MEHR

Gestern wurde die Bemalung des 4. Entgoldungsreliefs fast fertig. Es dauerte danach eine Weile, bis ich mich davon erholt hatte. Das gelang mir aber in der Hängematte in meinem Dschungel, wo ich mit Aleida Assmanns Intervention zur Erinnerungskultur zum Schluss kam. Davon brauch ich noch mehr! Und endlich habe ich nach Berlin berichtet, wo die Arbeit nun angelangt ist.

Deutliche Veränderungen gibt es nun die Werktagscollagen. Mit dem gesamten Material gehe ich nun freier um, füge kräftige Dunkelheiten ein und verwandele die Reliefbemalung in eine changierende Schicht. Vielleicht sollten die Buchmalereien etwas mehr in den Hintergrund treten.

Die Arbeit am „Entgoldungsfries“ strengt sehr an. Manchmal kann ich die Stasitexte nicht mehr sehen. Auch ihre Verwandlungen in Stasi-DADA drängen mich in das Fühlen meiner letzten DDR-Jahre. Im Spiegel, dachte ich, schaue ich mir beim Zeitreisen zu.

Zorn

Gestern beendete ich die Tuscheuntermalung des aktuellen Entgoldungsobjektes. Erforderlich ist eine disziplinierte Arbeitsweise, um die Wirkung der Miniatur auf der Transparentpapierrolle in eine größere Form zu bringen und sie dennoch nicht schwächer werden zu lassen. Die Unsicherheit des Strichs kann dabei hilfreich sein.

Das wirklich Schöne an dieser Arbeit kommt aber erst jetzt. Es ist die Schichtenmalerei mit Tusche, wenigen Wasserfarben und Schellack. Das ist eine Lasurtechnik, die das innere Leuchten der Bilder ermöglichen kann, indem ich immer tiefer in die Dunkelheit der Erinnerungen hinabtauche.

Aber wo bleibt der Zorn? Findet er sich nur in der Geste des Entgoldens, in der Gegenüberstellung der banalen Porzellandekoration mit den Schichten der Aufdeckung von Verantwortungen meines Mentors Heinz Werner alias „Lutz Lange“? Weil ich die Arbeit in erster Linie für mich mache, versäume ich es, den Kuratorinnen im Humboldtforum davon zu berichten. Das muss aber getan werden.

Akribie

Der Versuch von Akribie bei der Tuscheuntermalung auf dem neuen Relief, schlug fehl. Zu sehen ist die Bemühung, etwas von den Schreibmaschinentypen der Tonbandprotokolle in die unebene Landschaft zu übertragen. Aber auch der Tonfall der Berichte zeugt von Unsicherheiten und von Vorsicht. Da wollte mir jemand vielleicht nicht allzu sehr schaden.

Zwischendrin habe ich eine der großen Papprollen, die ich lange aufgehoben habe, in einen Bottich mit Wasser gestellt. Sie soll sich so langsam von unten her auflösen und zu Pappmache werden. Damit will ich an der Kraftfeldform weitere Versuche starten.

Gestern hatte ich einen langen Abend mit Franz. Mitten auf den Platz vor dem Atelier stellten wir den Grill und das Feuerfass, das ich schon vor Wochen mit klein geschnittenem, trockenem Holz gefüllt hatte. Es war auch genügend Wein da, dass wir es lange aushielten. Er meinte, dass auch meine Rachegefühle meinem IM „Lutz Lange“ gegenüber Platz in meinem Projekt haben sollten. Mit Blick auf die Fortführung der „Entgoldung“, ist das ein bedenkenswerter Aspekt. In den letzten Wochen schwebte mit eher eine Versöhnungsgeste vor. Vielleicht gehört aber die andere Seite mit dazu.

Dialog mit einem Toten

Zum dialogischen Erinnern fehlt mir mein Partner Heinz Werner, der schon vor ein paar Jahren gestorben ist. Deswegen lasse ich die Kunstgesten und Schriftzeugnisse aufeinander treffen: seine Vergoldungen auf meine Entgoldung. Sie stützt sich auf seine Tonbandberichte, die mir für die Zwiesprache reichen müssen.

Das nächste Objekt dieser Reihe, gleicht in seinem, vom Porzellanrelief abgenommenen Umriss, einer Sprechblase. Textfragmente der Tonbandprotokolle und Liniengeflechte sind teilweise schon von Rolle 10 übernommen worden. Bei diesem Arbeitsschritt nähere ich mich eher der Tuschzeichnung auf dem Transparentpapier, lasse Freiräume, die für den Zusammenklang der Schichten des Kraftfeldes und der Protokollfragmente zur Entgoldung hin, notwendig sind.

Ich möchte der Wirkung dieser Arbeit als eine Abrechnung mit meinem IM entgegenwirken. Somit muss dem Dialog der Kunstwerke eine größere Bedeutung zukommen. Indem ich versuche, seine Perspektive als Künstler einzunehmen, kann ich versuchen, mit dem Toten in diesen speziellen Dialog der Erinnerung zu kommen.