Eingeschlossen im Klang

Was unsichtbar und von mir nicht zu spüren, in mir und neben mir wohnt, hat dennoch einen Einfluss auf mich. Das Wissen um kosmische Teilchen, die meinen Körper durchdringen, verändert mein Denken. Es treibt auch das Zeichnerische in den Malereien an, dessen Richtungen einem unendlichen Raum entspringen. Dieser Gedanke erzeugt eine Energie, die mich in Bewegung versetzt, und die Stimmen der Bauarbeiter verwandeln sich in Stasi DADA.

Die Linien des Handballens treffen auf die Gewindegravuren, reagieren mit ihnen und entwickeln daraus eine Tabolinienstruktur. Die Schreie der Gerüstbauer, Gesänge der Mönche, startende Flugzeuge und die lärmenden Aggregate, die die Kanäle im Untergrund reinigen, sind der Klang, in den die Malereien eingeschlossen sind.

Eigentlich müssten die Mauersegler schon da sein. Stattdessen kriechen die Mauereidechsen aus ihren Ritzen, wo sie sich scheu, bei jeder Bewegung wieder verstecken. Unterbrochen von Auslegerschwenks der Kräne, die Bretterbündel über die Dachkanten hieven, wärmt Licht meine Wangen im Gärtchen, wo ich schreibe.

Gartenschere, Farbkomposition, Zeitpfeil

Auch im Gärtchen vor dem Atelier versuche ich die Gesträuche zu verdichten. Ich stellte weitere Pflanzen nach draußen zwischen die Bäume, die auf dem flachen Stück Erde über dem Beton wachsen. Mit der Gartenschere allerdings, lichte ich die Brombeergesträuche am Bahndamm, um eine Aufenthaltsqualität für unsere Gäste und für uns zu erhalten und meiner Seele etwas Ausgleich zu verschaffen.

In der ersten Malerei entstand heute eine Farbigkeit, die tastend versuchte, den Klang zu treffen, der mit vorschwebt, wenn ich an eine ideale Farbkomposition denke. Auch die Leichtigkeit, die dazugehört, klingt an. In der Kleinheit des Bildes steckt dennoch differenzierte Emotion.

Heute will ich an Rolle 11 weiter arbeiten. Den rückwärts gerichteten Zeitpfeil werde ich bald wieder herumdrehen, weil sich in der 2. Stufe der Verdichtung derzeit nur erwartbare Strukturen ergeben. In der 2. Malerei vom 26.04. gibt es ein kleines Stück Handballenabdruck mit deutlichen dunklen Linien. Das möchte ich vergrößern und auf der Rolle einen weiteren Bezug zu den Tabolinien herstellen.

Dunkle Schichten

Heute stehen in den Malereien die verschiedenen Zeichen in einer offenen Situation. Es sind einzeln erkennbare Ausdeutungen meiner Handballenlinien in ihrer Verwandtschaft mit den Tabolinien. So reduziert, bekommt das Material eine deutlich strengere Note.

Chunqing erzählte heute in der Zusammenkunft der teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler des YOU&EYE – Projektes eine Geschichte, die uns allen unter die Haut ging. Ein Schüler, der seine Tuschepinsel auswaschen sollte, bespritzte eines der Werke, die im Atelier hängend auf eine Ausstellung warten, mit der Restfarbe aus seinen Malgeräten. Er wedelte die Pinsel mit der Tusche vor dem Bild aus. Es handelt sich bei der Reihe, um eine Serie, die sich insbesondere mit dem Weiß des Papiers auseinandersetzt. Ein Anschlag, der unser aller Entsetzen auslöste. Ich weiß nicht, ob wir dieser Kultur unsere Ateliers öffnen dürfen.

Auf Rolle 11 bin ich in die 2. Stufe der Verdichtung gegangen. Es handelt sich dabei um das Durchzeichnen der Tuschfederstrukturen beim Rückwärtsrollen. Während der 3. Stufe rolle ich den Streifen dieser intensiven Schichtungen wieder zurück und füge so eine weitere, noch dunklere Schicht hinzu.

Drehen des Zeitpfeils

Gestern drehte ich den Zeitpfeil auf Rolle 11, wodurch sich die Zeichnungen von gestern mit den vorigen im Rückwärtsrollen überlagerten. Je länger ich die Szenen in dieser entgegengesetzten Richtung durchzeichne, umso inflationärer wird die Verdichtung. Diese Geschwindigkeit nimmt noch einmal zu, wenn ich die Richtung wieder auf die Gegenwart zu wechsele.

Mit der Zunahme der Verdichtungsgeschwindigkeit komme ich aber immer langsamer vorwärts. Die absolute, nicht mehr steigerbare Dichte, also das Schwarz, entsteht, wenn ich auf der Stelle trete. Am selben Ort immer weiter zeichnend, beginnt eine andere Dimension zu wachsen.

Die Überlagerung verschiedener Handlungen entspringt dem erlebbaren Alltag. Unterschiedliche Schwingungen oder Wellen treffen aufeinander und bilden Interferenzen. Eine Schnur, mit der ich einen Essigbaum an einen Ziegelstein band, ihn somit in Richtung des Bodens bog, ist gespannt, wie eine Saite. Wenn ich sie anschlage, so vibriert der Baum mit seinen neuen Ästen, die aus dem gebogenen Stamm nach oben wachsen.

Kontrapunkt

Mich auf den gestrigen Gedanken zur „Kunst der Fuge“ verlassend, begann ich den Transparentpapierstreifen mit der Umrisslinie der zweiten Buchmalerei von gestern zu versehen. Um die Kompositionen der Durchzeichnungen innerhalb der Umrisse zu verändern, habe ich die Möglichkeit der Rolle rückwärts, der Gegenbewegung auf dem Zeitstrahl. Es reicht eine kurze Strecke zurück auf dem Streifen, um einen Akzent der Rückbesinnung zu setzen oder einen Kontrapunkt.

Von einer Variante dieser Kompositionstechnik ging ich auch bei der Anfertigung der heutigen Buchmalereien aus. Die parallel laufenden Gewindegravuren, kreuzen sich in verschiedenen Winkeln und schaffen dadurch klingende Überlagerungen, beschreiben vielstimmige Gesänge, wie sie in der Chormusik Palestrinis zu hören sind, oder in der „Kunst der Fuge“ zwischen den Buchdeckeln.

Wirbelnd suchende Bewegungen treffen auf geradlinige Schraffuren, finden aber keine Konkretionen oder Gegenständlichkeiten. Nur die Abdrücke eines Lavasteines sind der sichtbaren Welt entliehen und bilden einen Ankerpunkt im kosmischen Gesang. Die Rückgriffe auf alte Zeichentechniken und die veränderte Weise, in der sie wieder auftreten, war auch in einem Gespräch mit Franz, der mich gestern besuchte, Thema.

Gegensatzpaare

Wenn sich in den Schichten der Buchmalereien chaotische und ordnende Strukturen abwechseln, ist das auf das Ziel zurückzuführen, das Gegensatzpaar zusammenzufügen. Im Idealfall fände die Überlagerung so statt, dass sich gegenseitig auslöschten, wie die Gegenfarben auf dem Farbkreis, wenn sie sich durch gleichstarke Lasuren übereinander neutralisieren.

Ein ähnliches Spiel läuft zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion ab. Beide gehen ineinander über, kämpfen aber auch manchmal um die Vorherrschaft. Die erscheinenden Figuren sind mir manchmal nicht ganz geheuer und bei ihrem Auftreten oft etwas banal. Das kann nur mit der Gegenbewegung, die das allzu deutliche Geschehen wieder fragmentiert, behoben werden.

Mehrere Tage habe ich jetzt an Rolle 11 nicht weitergearbeitet. Das hat Gründe in der schwächer werdenden Spannung innerhalb des kontinuierlichen Kompositionsstreifens. Die Pause dient dazu, dem durch das Nachdenken über andere Mittel, Abhilfe zu schaffen. Nach diesem Satz trug ich das Tagebuch, in dessen aufgeschlagenem Zustand der längliche Lautsprecher lag, aus dem die „Kunst der Fuge“ kam, zum Scanner. Und ich überlege nun, ob ich in Anlehnung an dieses Musikstück, die Arbeit auf dem Transparentpapier besser fortsetzen kann.

Skulpturales Zeichnen

Größere Umrisslinien in den Buchmalereien ergeben oft Mantelfiguren, Erscheinungen aus märchenhaften Erzählungen aus dem Orient. Zauberer, Händler und die strengen Sprecher der Herrschenden. Ihnen stehen abstrakte, sperrige Konstrukte gegenüber, die aus einer zerborstenen Architektur hervortreten. Ordnende Linien finden sich eher im Untergrund, über dem sich das Chaos stapelt. Der Versuch, es zu bändigen, bleibt auf halber Strecke stecken.

Immer wieder wirbelt die suchende Hand mit den farbigen Aquarellstiften über die schon bestehenden Liniengeflechte, um irgendwann eine Konkretisierung entstehen zu lassen. Es ähnelt skulpturaler Arbeit mit Schlagrichtungen, Spänen und der, im Holz verborgenen, Figur. Die leichten, fliegenden Holzstücke bilden auf dem Boden wieder Konstellationen, die an Gegenstände erinnern. Ich fege sie zusammen und streue sie in den Garten.

Auch das Schraubengewinde, mit dem ich die parallel laufenden Linien in die Seiten grabe, zerfasert das Holz mit dem ich es hin und her rollend in die Flächen drücke. Schichten aufbauen und abschleifen, neu stapeln und schauen, was übrig bleibt. So sieht meine Recherche in meinem inneren Archiv aus.

Schwirren

Die zeichnerischen Strukturen der Buchmalereien erinnern mich an meine Bleistiftzeichnungen in den Siebzigerjahren. In den Liniengeflechten, die vor der Natur entstanden, suchte ich nach meiner eigenen Handschrift. Der Gestus orientierte sich an impressionistischen Linienführungen, schwirrenden Bewegungen beim Ansehen der Vorgänge um mich herum.

Die jetzige Suche ist eine andere. Aus den Linienzusammenballungen, die wie von alleine entstehen, treten jetzt Atmosphären, Figuren und Gegenstände hervor, die meine inneren Bewegungen nach außen bringen. Ich sitze nicht mehr vor der Natur draußen, sondern im Schwirren meiner Synapsen.

Dadurch klären sich abstrakte Befindlichkeiten, werden handfeste, mit den Augen ablesbare Handlungen. Verwirbelungen bringen einen Körper hervor, der dann verwischt wird. Die Spur dieser Sekunde lebt in einem Handabdruck im nächsten Bild wieder auf, schafft ein schmales Wesen, das zart einer harten Umrisslinie gegenübersteht. Aus einem Wirbel daneben schert eine Konstruktion aus, die eine neue Figur berührt…

Fragen

In der abgelaufenen Woche habe ich fleißig gezeichnet und schaffte währenddessen etwa 3% von Rolle 11 also 150 cm. Zahlen… Inhaltlich pendele ich hin und her, oder ich gehe von einem Raum in den anderen. Unterwegs vermischen sich die Bilder.

Kräftige Balken entstehen aus den schütteren Tabolinien. Bei den Übertragungen auf Transparentpapierbögen und auf die Rolle, präzisieren sich die Kompositionen. Die einzelnen aneinander aufgereihten Formate sollen eine fortlaufende Handlung ergeben, wie ein Musikstück. Die Tonbandstimme meines IM mischt sich mit den Gebeten der buddhistischen Mönche. Ich stelle mir die Tonbandprotokolle als religiösen Gesang vor.

Heute halten sich die konstruktiven Elemente zurück. Wenig brachial treten Figuren aus den Nebeln. Die Musik ist leise und tänzerisch. Mit den Handballenlinien stellen sich Fragen an die alten Maler in Tabo. Wie habt ihr eure abstrakten Linien gemeint? Sind, die Abdrücke des Körpers und eure gemalten Geflechte verwandt?

Tabo-Stasi-DADA-Sequenz

In meine konzentrierte Atelieratmosphäre brach gestern die Schülergruppe von „YOU&EYE“ ein. Sie bemalten die Masken, die sie letztens mit Pappmaché ausgeformt hatten. Die trockenen Teile holten sie vorsichtig aus den Formen, wobei sich Trichy geschickter anstellte als ich! Dann wurden sie weiß grundiert und mit schwarzer Farbe bemalt. Rateb machte sich mit seinem Freund am Müttermantel zu schaffen. Zwischendrin wurde Lärm auf der Elektrogitarre geschlagen.

Aus der ersten Buchmalerei von gestern entwickelte ich einen dynamischen Umriss für Rolle 11, den ich in die „Tabo – Stasi – DADA – Sequenz“ einfügte und mit den vielschichtigen Zeichen der letzten Woche anfüllte. Dabei versuchte ich die verschiedenen Schichten durch unterschiedliche Strichstärken zu zeigen. Das gelang noch nicht so gut, ist aber eine ausbaubare Technik.

An Abend eröffnete Deniz Alt eine Ausstellung im alten Holzlager unter dem Dach. Veranstaltet wurde das von einem neu gegründeten Bahnhofsviertel – Kunstverein. An Hand der Werke, sprach mein Nachbar über sein Künstlerleben und die Erkenntnisse daraus.

Klartext

Von der Stasiunterlagenbehörde kam gestern ein Anruf. Sie haben die Informationen zum Klarnamen meines IM „Lutz Lange“ an die alte Heidelberger Adresse geschickt. Den Umschlag, der zu ihnen zurückkam, bekomme ich wenn ich einen schriftlichen Antrag auf Decknamenentschlüsselung mit der aktuellen Adresse und meiner Unterschrift schicke. Die erste Anforderung der Daten habe ich einfach mit einem Kontaktformular gemacht.

Gut, dass das so schnell geht. So habe ich bei der Eröffnung von „Hin und weg“ im Humboldt Forum einen sicheren Rückraum, wenn ich mich gegen die sich steigernde Ostalgie wehren muss. Die vorsichtigen Anmerkungen zum Porzellanobjekt aus dem Palast der Republik und seinem Zusammenhang zu meiner Überwachung, kann ich mir dann sparen und Klartext reden.

Auf Rolle 11 arbeitete ich mit zwei Buchmalereien von vorgestern und gestern. Die durchscheinenden Schichten der Transparentpapierrolle reduziere ich mit einem weißen Bogen, den ich dazwischen rolle. So bestehen nur noch zwei bis drei Schichten Material, das ich durchzeichne. Dadurch wird die Veränderung der Motive deutlicher und die Sequenz bekommt eine größere Dynamik.

Hin und weg

In der Ausstellung „Hin und weg“ im Humboldtforum erscheinen nun an verschiedenen Stellen Beiträge von mir. Im Theaterstück „Bau auf! Bau ab!“ sind Textfragmente meiner Interviews verbaut. Das Portrait von mir, das Tobias Kruse hier im Atelier gemacht hat, hängt innerhalb eines Klanginstallationsraumes, in dem ebenfalls Interviewteile von mir zu hören sind. Und dann ist da natürlich noch Rolle 10 in einer Extravitrine. All das rückt wieder näher an mich heran.

Auf Rolle 11 zeichnete ich den Umriss einer Vergoldung aus dem Porzellanrelief, das vom Palast in das Forum gewandert ist, mit seinem Stasi DADA – Innenleben. Dann verschnitt ich diese Figur mit den letzten Arbeitszuständen der Tabosequenz. Die Malermönche und mein IM. So wächst zusammen, was in mir wohnt.

Die Buchmalereien werden heute von dissonanten Farbstimmungen behaust. Das sind die Reaktionserscheinungen, die durch die Zugabe der verschiedenen Zugaben in den Reagenzraum hervorgerufen werden. Und die Architekturen die dafür entstanden sind, erinnern mich an Hochbunker, wie die Flaktürme in Wien. Mit dem Bauleiter von der Palastbaustelle sprach ich über das Gerücht, dass an der Kläranlage unter dem großen Saal eine Mini – U – Bootsanlegestelle für die Parteibonzen gebaut wurde. Er lachte!

In die Vergangenheit

Nach den Veranstaltungen im Humboldt Forum wächst meine Unsicherheit, meine Ausstellungsbeteiligung, mit ihrem subtilen Charakter, so laufen zu lassen. Die Menschen, die ich kennen gelernt habe, waren allesamt mit dem staatstragenden Bauwerk innig verbunden. Umso wichtiger erscheint mir nun, die Arbeit doch noch fortzusetzen, um die Chance zu wahren, meine Perspektive auf die Geschichte deutlicher zu zeigen.

Das heißt aber, dass ich wieder zurückkehre, die Tabosequenz mit Stasi DADA verbinde und erneut Kontakt mit der Behörde für die Aufarbeitung der Stasiakten aufnehme. Vor meinem Besuch in Berlin hatte ich nur mit dem Gedanken gespielt, jetzt bin ich mir sicher, damit ein Gegengewicht bilden zu müssen.

Auf der Umrisslinie des Palastes fand am Sonnabend eine choreographierte Raumkomposition statt. Gehend, swingend, schlurfend und stampfend folgten 25 Teilnehmer und einige Gäste einer roten Umrisslinie des Gebäudes. Sechs Raummodule: Rechteck, Kreis, Linie, Dreieck, Hexagon und Trapez, waren von der Architektur des Baus entlehnt und bildeten Klangaktionsräume. Das war eine konzentrierte Arbeit auf den Punkt. Gott sei Dank!

Erinnerungsexperimente

Das Theaterstück, das aus Anlass der Ausstellung zum Palast der Republik inszeniert wird, hat auf der Website des Humboldtforums eine Ankündigung mit dem Porzellanrelief, das meiner Arbeit zu Stasi DADA zugrunde liegt. Morgen möchte ich an Ort und Stelle probieren, das Thema produktiv zu machen. Der Vorgang der Enttarnung meines IM, wäre eine Fortführung des Projektes während der Ausstellungsdauer.

Auf Rolle 11 ist die Verbindung der Tabolinien mit dem Fluss meiner eigenen Arbeit gelungen und somit die Annäherung an die vor tausend Jahren arbeitenden Maler. Anders als mit den Versuchsaufbauten meiner Arbeit wären mir die Erinnerungsvorstöße beim Väterprojekt, bei der Stasiaktenarbeit und bei den Tabolinien nicht gelungen. Zu sehen sind immer nur Zwischenergebnisse des Prozesses, denn der Variantenreichtum der Verdichtungen, der von den Reaktionsergebnissen der Vermischung der unterschiedlichen Materialien abhängig ist, ist unendlich.

Ich bin gespannt, wie die Erfahrungen, die ich in den Erinnerungsprojekten gemacht habe, die konkrete Weiterarbeit beeinflussen. Die Gitterobjekte, die aus TRIXEL PLANET, den Tabolinien und Stasi DADA entstehen, sind ein Teil der Antwort.

Heute von weiteren Diensten befreit

Weil ich mir am Morgen vorgenommen hatte, Rolle 11 heute unbearbeitet liegen zu lassen, waren die Buchmalereien von weiteren Diensten befreit. Das sollte ich ihnen öfter gönnen und auf der Transparentpapierrolle auf anderes Material zurückgreifen. Von zu Hause habe ich mir meinen neuen Tablettrechner mitgebracht, von dem ich mir neue Arbeitsimpulse erwarte.

Am Sonnabend steht ein Treffen im Humboldt Forum im Kalender. Es kommen die Interviewpartner und Ausstellungsbeteiligten des Projektes zum Palast der Republik. Vielleicht treffe ich alte Bekannte aus der Kaserne „Magerviehhof“ in Friedrichsfelde Ost. Gespannt bin ich dann auch, wie im Mai Rolle 10 im Zusammenhang der Ausstellung präsentiert wird.

Auf Rolle 11 arbeitete ich gestern mit dem Umriss der ersten Buchmalerei des Tages weiter. Im Verlauf dieser Sequenz zerfällt die Dichte und Geschlossenheit der Elemente weiter. Die Energie, die beim Zusammentreffen der unterschiedlichen Zustände entsteht, konzentriert sich auf kleineren Flächen. Schon liegt das Skizzenbuch vom Spitital aufgeschlagen auf dem Arbeitstisch. Die Zeichnungen darin sind zumeist etwas fragmentarisch. Das kommt den Möglichkeiten der Weiterverarbeitung entgegen.

AG 4.1

Während eines Treffens gestern erfanden wir den Arbeitsgruppennamen: AG 4.1 – Zukunft Teves West. Wir versuchen ein Konzept für die Weiterexistenz des Geländes zu gestalten. Dabei wollen wir das, was wir in den vergangenen Jahrzehnten gemacht haben, zusammentragen und als Fundament für eine Weiterentwicklung nutzen. In diesem Zusammenhang suchte ich in meinen Tagebüchern nach den Anfängen der Arbeit hier.

Mit den Umrissen der ersten Malerei vom 7.4., fand die Arbeit an der Tabosequenz auf Rolle 11 ihren Fortgang. Die Struktur öffnet sich von einer sehr hohen Dichte zu lockere Balkenkonstruktionen, die an die Linien erinnern, die ich im Spitital in mein Skizzenbuch aufnahm. Manchmal schaue ich sie mir wieder an, um mich nicht zu schnell davon zu entfernen.

Heute gibt es weder auf Rolle 11, noch in den Buchmalereien figurenähnliche Umrisse. Dafür spielen die zerfransten Formen der Lavasteine eine umso wichtigere Rolle. Sie kontrastieren die geraden Linien, die eine strenge Ordnung vorgeben. Die spannendsten Anblicke bieten die Überschneidungen der sehr verschiedenen Gestaltungsweisen.

Didaktik I Traum I Tierheim

Der Müttermantel ist eine Arbeit, von deren Umfang und körperlicher Anforderung ich eingeschüchtert werde. Manchmal glaube ich dass es für mich nicht mehr zu schaffen ist. Der knochentrockene Pappelstamm bietet einen überraschend großen Widerstand. Er befindet sich im überdachten Durchgang aus dem Gelände hinaus, der von relativ vielen Menschen benutzt wird. Gestern, als ich dort mit der Arbeit beginnen wollte, stand da eine Frau mit ihren zwei Töchtern und besichtigte diesen Arbeitsplatz, den Anfang der Aushöhlung mit den herumliegenden Spänen. Sie konnten nicht wissen, welcher Gegenstand dort entsteht. Aber ich erzählte es ihnen – wieder Didaktik!

Nach einem Lebensmitteleinkauf am Morgen, fiel ich gleich tief in die Buchmalerei, wie in einen Traum. Die Beziehungen, die ich zwischen den Lavasteinen, meinen Handabdrücken und den Tabolinien herstelle, sind die Grundlage für Szenen, die sich daraus entwickeln. Es entstehen Wesen, die aus einer Architektur zu wachsen scheinen, welche durch Linienstrukturen entstand. Verdoppelte Figuren treten in unterschiedlichen Konstellationen auf.

Das lässt mich an die Performance denken, zu der ich vor ein paar Tagen eingeladen worden bin. Sehr stilisierte und verfremdet animierte Figuren wurden von Hunden durchsprungen. Die Form der Arbeit hatte viel mit meinen Gestaltungsweisen zutun gehabt, war mir nahe. Ein realistischer Aufführungsort für den Text wäre der Käfig eines Tierheims.

Zutun

Während meines Gangs über die Wiese oder den Grünstreifen der Frankenallee habe ich zutun. Auf der Wiese entferne ich die Brombeeren, auf der Allee sammle ich den Müll in die Papierkörbe, von denen es viele gibt. Dann blicke ich zufrieden zurück. Es ist ein ähnlicher Blick, den ich auf die vielen Tagebücher mit den sich ändernden Malereien oder auf die Transparentpapierrollen mit meinen Zeichnungen werfe.

Die Schwünge der Haarlocken sind aus den Buchmalereien verschwunden. Harte Linienbündel werden von Umrissen im Zaum gehalten. Das Material eignet sich wenig, um es auf Rolle 11 weiter zu verwenden, aber es entspricht meiner Stimmung. Am Morgen hatte ich keine Lust auf meine Arbeit, was sehr selten vorkommt. Immer mal bastele ich an den Dreiecksgitterobjekten herum, nicht sehr ernsthaft, eher vergnüglich herumprobierend. Die Pappe aus der ich das Pappmaché herstelle, eignet sich auch gut zum Kaschieren von Flächen.

Am Wochenende nutzen die Krähen die bewegungslosen Kräne als Aussichtstürme. Dort sitzen sie beieinander, suchen Beute und blicken auf mich herab, schauen zu, wie ich beginne die Pflanztöpfe hinaus zu stellen, deren Anzahl mir über den Kopf wächst. Gern wäre ich mit einer von ihnen befreundet.

Verschwistert

Wenn ich während der Goldbergvariationen hinaus ins Gärtchen gehe, so weiß ich wenn ich zurückkomme, wie viel Klavierspiel in meiner Abwesenheit vergangen ist. Eine Maßeinheit, die sich zwischen meiner Arbeit entwickelt hat. Auch ohne mein Hören war die Musik da, wie die Bilder mit denen sie eine Verbindung eingegangen ist.

Eine Entdeckung machte ich während der Buchmalereien am Morgen. Ich sah, während ich mit den Tabolinien und Handballenabdrücken umging, dass die Struktur meiner Hautfalten eine Ähnlichkeit mit den Linien aufweisen, die vor 1000 Jahren in den Durchgang zum Versammlungsraum gezeichnet worden sind. Dass diese Linienähnlichkeit schon in mir wohnte, sieht man an den heutigen Malereien.

Auf Rolle 11 fügte ich den Umriss der dritten Malerei von gestern ein und begann ihn mit dem Geflecht anzufüllen, das vorausgegangen ist. Die Rolle steht nun auf dem Arbeitstisch und wird von hinten durchleuchtet, daneben liegen die Dreieckskonstruktionen. Diese Elemente klingen zusammen, als seien sie auseinander hervorgegangen oder verschwistert.

Verbindung

Am Morgen dachte ich darüber nach, wie ich nun mit der Tabosequenz auf Rolle 11 fortfahre. Mit der Beendigung der Verdichtung des Liniengeflechts, steht ein neuer Schritt an. Da das vorausgegangene Material ausschließlich aus den Stapeln der verschobenen und gespiegelten Tabolinien besteht, erscheint es mir jetzt sinnvoll, eine Verbindung zu meinem Zeichnungsduktus herzustellen.

Weil ich das am Morgen schon im Kopf hatte, als ich mit den Buchmalereien begann, dachte ich die ganze Zeit an diese Form ihrer Weiterverwendung. Das hat die Zeichnungsstruktur natürlich beeinflusst. Dadurch sind die Malereien weniger eigenständig geworden.

Möglichkeiten der Weiterarbeit an den alten Dreiecksgitterskulpturen probierte ich vor zwei Tagen. Verschiedene Papierqualitäten verwendete ich für Kaschuren, mit denen ich die Holzstäbe und die Dreiecke, die sie bilden, überspannte. Das erfordert noch einige Übung. Aber ein Farbauftrag stabilisiert die Flächen und zieht die Konstruktionen optisch zusammen.

Linie, Takt, Blick, Licht

In der Tabosequenz auf Rolle 11 schloss ich die zweite Verdichtungsphase ab. Sie fand innerhalb einer Zeitspiegelung statt, die mir jetzt ganz natürlich vorkommt, denn alles Schauen geschieht über den Zeitspiegel. Wenn wir die Sonne anschauen, sehen wir 8 Minuten in der Zeit zurück… Somit befinden sich alle Dinge, so wie ich sie jetzt sehe, in der Vergangenheit.

Auch zwischen den Elementen der Buchmalereien spielen sich diese schnellen Zeitspiegelungseffekte ab. Ihre hohe Frequenz erzeugt sichtbares Licht verschiedener Farben. Verlangsamt sie sich, entsteht ein hörbarer Ton. In den Collagen entstehen die Zeiträume durch Schichtungen, die wie Sedimente die Bedingungen konservieren, in denen sie entstanden sind. Vor einem Jahr waren sie von mehr Figuren durchsetzt. Heute dominieren die Strukturen, zwischen deren Gegensätzen sich die Spannung aufbaut.

Vorgestern besuchten wir einen Tanzabend der Frankfurt Dresden Dance Company, die von einem ehemaligen Forsythetänzer geleitet wird. Vom epochalen Stil des Meisters ist nicht viel geblieben. In all dem narrativen Gewimmel fehlen mir klare, konstruktive Elemente, die ein Gerüst bilden, in dem man sich orientieren kann: Linie, Takt, Blick, Licht.

Aufräumen I Kaschieren I Formen

Am Eingang des Tevesgeländes lassen die Kunden der Schnellrestaurants ihren Verpackungsmüll mit Speiseresten und benutzten Servietten regelmäßig aus ihren Autos fallen. Und ein liebevoll, mit verschiedenen Schablonen gestaltetes Plakat wurde zur Hälfte vom Pfeiler der Eisenbahnbrücke abgerissen. Ich habe diese fehlende Hälfte gefunden und wieder an ihre Stelle tapeziert. Auch den fallen gelassenen Müll räumte ich weg. Eigentlich ist das eine deprimierend erniedrigende Tätigkeit. Bei mir aber löst sie Zufriedenheit aus, die sich mit einem Überlegenheitsgefühl paart und mir einen Wohlfühlvormittag beschert.

Von dem Leimwasser mit dem ich das Bild wieder an seinen Platz klebte, ist noch einiges übrig, was mich auf den Gedanken bringt, die alten Dreiecksgitterskulpturen, die ich von den Regalen heruntergeholt habe, mit Papierstücken zu kaschieren. So entstehen zwischen den offenen Dreiecken geschlossene Flächen, die bemalt werden können. Einerseits ist das die Fortführung der Tabolinien-Sequenz. Andererseits werden dadurch auch die Buchmalereien mit einer dritten Dimension erweitert.

Auf einem meiner Heizkörper steht eine Schüssel mit klumpiger Pappmachemasse zum Trocknen. Auch daraus lassen sich in weichem Zustand skulpturale Gegenstände formen, die die Tabokonstruktionen bereichern könnten.