LIKSZWODREIVIER

Innerhalb der Arbeit auf der Museumsinsel kommt die preußische Schicht des Gesamtthemas zu kurz. Meine eigenen Erfahrungen auf dem Exerzierplatz vor den Munitionsbunkern der Grenzausbildungskaserne in Eisenach, den ich auch öfter gefegt habe, überlagern sich mit dem Fegen des großen Foyers des Palastes unter den Arbeitern, die direkt über mir den Spritzasbest auf das Stahlgerüst auftrugen. Ich hatte keine Schutzmaske…

Das Stahlgerüst ist die eingefrorene Marschmusik: LINKSZWODREIVIER… Von der Verspiegelung entkleidet tritt das wahre Gesicht des Palastes der Republik zutage: aufgepflanzte Bajonette über dem Stechschritt. Das ist mein Blick auf die Konstruktion. Das Ornament des Lustgartens pflegt den ästhetischen Gegensatz. Dieser französische Import erscheint schwach vor den wechselnden Fassaden, aber haltbar. Er kann nun aufgefüllt werden mit der Gedichtform meines Wortballetts aus drei Texten.

Gestern und heute gingen die Buchmalereien von den Strukturen aus, die der Satz: „Er lebt so in den Tag hinein.“, bietet. Die szenischen Kompositionen, die sich aus Auflösung und Neuformierung bildeten, würde ich gerne noch auf Rolle 11 übertragen. Die aber wandert nun zur Ausstellung im Tibethaus. Deswegen werde ich alsbald vorgreifen und mit Rolle 12 beginnen. Später kann ich den aktuellen Transparentpapierstreifen mit dem entstandenen Material beenden.

Väter – Museumsinsel

Mit seinen weit verzweigten Suchbewegungen rückt das Väterprojekt näher in meinen Arbeitsfokus. Es gibt die 4 Serien der Scherbengerichte. Sie bestehen aus etwa 600 kleinen quadratischen Transparentpapierblättern. Auf meinem Zeichentisch liegt ein Stapel aus dem Scherbengericht II mit den Nummern 119 bis 154. Es würde sich lohnen mit jedem einzelnen Blatt auf der Transparentpapierrolle eine weitere Überlagerungssequenz zu machen. Schellackschichten und Tusche bilden schöne durchscheinende Verlaufsstrukturen.

Dass ich mich an diese Arbeit erinnere, liegt an Anke Schnabel, die mir im Humboldt Forum von ihrem nächsten Projekt erzählte. Das Erbe meines Großvaters sind Zahlen, die liebe zum Holz und zu dem Unterwegssein. Mit Anne sprach ich in Berlin noch mal über unsere Recherchereise auf den Spuren dieses Mannes nach Breslau.

Im Humboldt Forum hielt ich zwei kurze Vorträge zu Rolle 10 und meinen Verbindungen zum Palast der Republik. Außerdem ging ich eine GPS-Figur, die auf dem Grundriss des Palastes begann, und am Sanchi – Tor in die Textwanderung überging. Mit meinem Enkel an der Hand, ging ich das Ornament des Lustgartens mit dem rhythmischen Sprechen der 3 verschiedenen Textteile. Diese körperliche Aktion brachte mich bei der Entwicklung des Projektes einen entscheidenden Schritt weiter. Ich spürte, wie sich die verschiedenen Ebenen miteinander verweben.

Bebilderung

Gestern stellte ich ein paar Bilder zusammen, die ich während meines morgigen Vortrages im Humboldt Forum zeigen kann. Sie zeigen den Weg von der Zeichnung vom Dach des Palastes der Republik nach Westen 1974 bis zu dem Vorhaben, von dieser Stelle aus einen GPS-Gang mit Texten zu machen. Der Start ist etwa bei der Kopie des Tores von Sanchi, das wir 2010 im Original sahen, in Richtung des Blickes, der auf der alten Zeichnung festgehalten ist.

Noch einmal nehme ich mir die Buchmalereien vor, die ich damals, in Sanchi, an Ort und Stelle gemacht habe, um die Stimmung wieder zu finden, in der sie entstanden sind. Damals herrschten ausdrucksstarke Figuren, mit einem Tuschepinsel gezeichnet, vor. Einige von ihnen fügte ich in neuere Collagen ein, als ich mich etwa vor einem halben Jahr mit dieser Stelle beim Stadtschloss beschäftigte.

Allgemein versetzen mich diese Collagen in Erstaunen, so schön finde ich sie manchmal. 655 sind in diesem Jahr bereits entstanden. Diese Kontinuität hat ganz banal für sich, dass ich in der Weiterentwicklung von malerischen Kompositionen, ziemlich viel Übung habe.

Hin und her

Die Schablonenschrift zuckt und wird zerhackt, fließt und verdampft. Es entstehen Konstruktionen von Buchstabenfiguren. Sie bewegen sich im Raum zwischen den Handabdruckschichten und deren Verwischungen. Die Sätze wandern von den Textsammlungen auf Rolle 11 aus zerteilt in die Buchmalereien, wo die Buchstaben ihr Eigenleben beginnen. Diese Projektionsrichtung ist neu: von der Transparentpapierrolle in die Buchmalereien. Darauf habe ich gewartet, ohne es forcieren zu wollen. Nun werde ich die Hauptkompositionslinien aus dem Tagebuch wieder auf Rolle 11 zeichnen – hin und her.

Ich laufe hin und her, stehe auf vom Tisch, gehe nach draußen und rede mit der Köchin, bis die ihre Zigarette geraucht hat. Dann zurück, blicke ich auf die kleinen Malereien, wie auf frisch geborene Kinder, die ich warm anziehen soll, bin vorsichtig mit ihnen, und dann beginnen sie bald zu plappern.

Die Vorhaben in Berlin und im Tibethaus werden konkreter und nehmen etwas Fahrt auf. Das ist mit Informationsfluss verbunden. Ich überlege für die jeweiligen Aktionen Bilddateien zusammenzustellen, die gezeigt werden können und mehr von den fünfzig Meter langen Rollen präsentieren, als in den kleinen Vitrinen möglich ist.

Pathos

Die Sonne strahlt direkt auf meine Buchseiten. Lichtwellen, vibrierende Teilchen, Wärme ohne hörbares Geräusch – Pathos des Alls.

Die Tabolinien sind in zwei Bereiche geteilt. Auf die Wand wurde eine Spur Reparaturputz aufgetragen, der einen Teil der Wandmalerei abdeckte. Gestern arbeitete ich auf Rolle 11 mit dem rechten Teil und neuen Worten aus den drei Texten, die mich beschäftigen. Mir fällt beim Textvergleich auf, dass wir beim Steine abladen für den Bau des Palastes der Republik eine feste Gruppe von 5 Soldaten waren. Wir stapelten eine Miniatur von Manhattans Skyline in den Lustgarten. In Annes Roman leben noch 5 Leute in Berlin, die rituelle Stadtführungen für die Pilger machen, die mit Schiffen ankommen und die sie als heilig verehren.

Die Worte auf der Rolle bekommen erst ihren Sinn, wenn ich sie aus den verschiedenen Kontexten zu anderen Zusammenhängen kombiniert habe. Das Ist die Vorbereitung für die Textwanderungen, die ich am kommenden Sonnabend erstmalig in Berlin probieren will. Anne wird dabei sein, so dass noch andere Aspekte hinzukommen werden.

Wie es weitergehen kann

In den heutigen Buchmalereien beobachte ich eine szenische Sondierung. Aus Buchstabenüberlagerungen wachsen Figuren in Räume, in denen unfreundliche Begegnungen und Kampfhandlungen stattfinden. SWIRWAFROT ist eines der entstandenen Worte, von denen ich mir eine neue Arbeitsrichtung erhoffe.

Ich denke, dass die Verschränkung der verschiedenen Vorhaben auch etwas mit Arbeitsökonomie zutun hat. Indem ich die Tabolinien mit den Berlinprojekten und mit den sakralen Objekten in Neckargemünd verbinde, kann ich an allem zugleich arbeiten, ohne die jeweiligen Themen verlassen zu müssen. Außerdem reagieren sie aufeinander und erneuern sich durch Aspekte, die aus den Überlagerungen erwachsen.

Aus einem Wirrwarr von vielen hängenden Objekten im Atelier, befreite ich eine Affenmaske. Diese ist mit dem Rasterportrait meines Vaters bemalt. Um sie einzeln wirken zu lassen, hängt sie nun alleine an einem Regal. Ich zähle: 182 Arbeitstage in diesem Jahr, 3335 Tagebucheinträge mit Collagen auf meiner Webseite und 140 Tagebücher mit Texten und Buchmalereien. Eigentlich ist das alles genug, wäre da nicht diese Neugier, wie es weitergehen kann.

Alles zusammen

Nun finde ich weitere Satzkombinationen aus den verschiedenen Texten: ER MACHT DEINE WAFFE oder VON BERLIN FORT. Es macht wirklich etwas Neues, das mir hilft voran zu kommen. Ich kann was anfangen damit. Es entwickelt sich auf Rolle 11, indem ich einfach immer weiter mache, ohne festes Ziel, einfach weiter. Und dann entstehen die anderen, neuen Dinge.

Peter schickte mir einen Link zu einem Video, das zeigt, wie seine Fotografien ganz groß gedruckt werden. Sehr, sehr schön! Anke Schnabel berichtet von einer ganzen Zeitungsseite, die sich mit unserer Ausstellung beschäftigt, mit Foto von mir im Atelier und Zitat aus meinem Interview. Und Dominique Falentin schickt mir einen Link auf die Website vom Humboldt Forum mit einer Ankündigung unserer Veranstaltung, wieder mit einer Fotografie von mir und einem Vitatext… Und ich sitze hier und arbeite einfach immer weiter.

Schon schiebt sich die Arbeit für das ökumenische Gemeindezentrum in Neckargemünd in mein Denken. Ich stelle mir vor, wie ich die Transparentpapierrollen übereinander lege und alle Themen miteinander verschmelzend den Raum um den Auferstehenden anfülle.

Attrappen

Zurück im Atelier, nahm ich mir die verschiedenen Textsplitter auf Rolle 11 vor. Zunächst fügte ich „WIRF DEINE WAFFE“ ein. Eigentlich müsste es heißen: „… wirf fort deine Waffe“, wie es in Annes Roman lautet. Die erste neue Wortkombination ist: „WAS IST DIR“- könnte aus Goethes „Faust“ sein. Das nehme ich ernst und arbeite damit weiter.

Die ganze Zeit, während meiner Arbeit mit dem Humboldt Forum, ist mir nicht so recht gegenwärtig, dass ich mich ja in der Preußenschloss-Attrappe befinde. In keinem Bildkommentar habe ich bislang darauf Bezug genommen. Dabei war der Palast der Republik selber ein Kommentar zum Stadtschloss, vor dessen Fassade die preußische Aufmarschtradition im Stechschritt weiterlebte. Der Volkspalast – eine Kaschur, wie auch wie auch das neue Schloss.

Einen erhellenden Blick kann ich ja während meiner GPS – Wanderungen vom Lustgarten aus hinüber werfen. Die offene Abrissfassade des Palastes habe ich oft genug gezeichnet, genauer gesagt die nördliche Fassade ohne Verglasung. Folgerichtig wäre der nächste Schritt, diese Struktur mit der historisierenden Rekonstruktion zu schichten.

Maltechnik

Ein paar Tabo – Umrissinseln füllte ich mit der Schreibmaschinentype der Tonbandprotokolle des IM „Lutz Lange“. Die Dichte des Ganzen nimmt mit der weniger werdenden Gravitation ab. Erinnerungsmasse ist abgebaut worden. Die Leere zwischen den Teilen nimmt zu.

Zu Hause mit dem Tagebuch, reduzieren sich die Mittel der Buchmalereien. Viele Dinge, die für die Formenvielfalt benötigt werden, liegen im Atelier. So kommt es, dass ich mit den weichen Bossierpinsel aus der Staatlichen Porzellanmanufaktur Meißen, dieses Blau aufstreiche, das alles beherrscht. Daneben treten senkrechte Linien warmer Farben auf, die oft als Gegensatz zu den Querverwischungen funktionieren.

Aus einer feinmotorischen Eigenbewegung entstehen die Spiralen, die aus der Schulter oder dem Handgelenk kommen. Neben dem Handkantenabdruck, gibt es auch manchmal solche des rechten Daumenballens. Hinter ihm sitzt eine Arthrose, die sein Volumen reduziert. Dadurch entstehen neue Längsfalten als Abdruckmaterial für wasserfarbige Bilderzählungen.

Wortcollagen

Natürlich kann ich jetzt mit den Roos-Schablonen alle möglichen Wortcollagen herstellen. Bildlich macht das zunächst mehr Sinn als sprachlich. Auf Rolle 11 wiederholte ich das Tabolinien-Wortgeflecht noch einmal reduzierter, um zu sehen welche Zwischenerkenntnis sich dann einstellt.

Und noch einmal las ich in meiner Stasiakte und legte einzelne Blätter unter die transparente Tabosequenz, mit der Hoffnung auf ein Lichtzeichen, ein tausend Jahre altes Phosphen. Die Buchmalereien sind Denkanleitungen für mich, die wie die Mandalas die Meditation unterstützen. Sie entsprechen meiner inneren Architektur, die mit Worten von außen gehalten wird, wie ein Kirchenschiff von Strebepfeilern.

Anlässlich eines Berichtes über Jugendgefängnisse in der DDR, den ich gestern Abend sah, dachte ich über die Erzieherkarriere meines Vaters nach. In Brandenburg an der Havel könnte er in einem Jugendhaus, das an das Zuchthaus angegliedert war, als Wärter gearbeitet haben, in Gerode dann als Erzieher im Jugendwerkhof. Dort drinnen im ehemaligen Klostergelände haben die Erzieherfamilien auch mit gewohnt. Die Atmosphäre dort hat mich geprägt.

LUFTGRENZE

Die Schablonenschrift bekommt mit Worten aus Annes Roman größere Präsenz. Es handelt sich um solche, die in mir Erinnerungen aufrufen, die wir gemeinsam haben. Heute ist es das Wort LUFTGRENZE. In meinem Tagebuch suchte ich nach der Stelle, an der ich unseren Grenzübertritt 1984 beschrieb. Die Hausfassaden waren alle, nachdem wir die magische Linie mit dem Zug überfahren hatten, ungewohnt hell. Anne meinte, dass das an der besseren Luft liegt…

Die Wortfragmente, die durch das Übereinanderschreiben der Buchstaben entstehen, werden zu einer Gestaltungsform, die in die Stadtwanderung einfließt. Wenn die Begriffe beim Gehen gesprochen werden, ziehen sich die übereinander geschichteten Buchstaben wieder auseinander und ordnen sich zu den Sinnzusammenhängen.

Sie begegnen den Tonbandprotokollen des IM „Lutz Lange“, zu einer dichten Materie zusammengepresst in „Stasi DADA“, die einer entgegengesetzten Ladung entspricht. Ein elektromagnetisches Feld entsteht und zieht weitere Texte an. „An dieser Stelle“ befindet sich dann das „Kraftfeld 2“. Dafür möchte ich im Lustgarten die gegangenen Worte demnächst probieren.

Grenzen des Zusammenspiels

Anke Schnabel hat mich zu einer Kuratorinnenführung Im Humboldt Forum eingeladen, während der ich etwas zu meiner Transparentpapierrolle sagen soll. Ich hoffe, dass wir über „An dieser Stelle“ ins Gespräch kommen. So will ich das GPS-Projekt nennen, das 3 verschiedene Texte und Bewegung in der Stadt miteinander verbindet. Das Exposé liegt bei Carolin Kaever.

Und aus der Arche, dem ökumenischen Gemeindezentrum in Neckargemünd ist zu hören, dass unser Projekt zwei Schritte zu seiner Verwirklichung hin gemacht hat. Wenn es tatsächlich dazu kommt, dass ich die drei Objekte, die ich vor fast 40 Jahren angefertigt habe, nun überarbeite, so werde ich das auch mit der Hilfe der Transparentpapierrollen machen. Es geht um formale und inhaltliche Verdichtung.

Aber das Zusammenspiel der anderen Themen beschäftigt mich derzeit in erster Linie. Mit den Roos-Schablonen setzte ich Worte meines IM und aus meinen Stücktexten in die Linienstruktur der Tabosequenz. Diese Durchdringung funktioniert rückwärts noch nicht. Die Linien aus diesem Kloster haben nichts mit dem Palast der Republik zutun. Das sind die Grenzen der sinnvollen Bezugnahmen.

Linien und Schablonen

Nun kann ich, nach einem Telefonat mit Anne, den Roman „Hinter den Mauern der Ozean“ als weitere Quelle in die Projektbeschreibung einfügen. Ich kam mit ihr überein, am ehesten die Gesänge für das Sprechen im Gehen zu nutzen. Sie eignen sich rhythmisch und besitzen die stilisierte Form, die sie von den anderen Texten deutlich unterscheidet. Aber sie ließ mir alle Freiheit.

Der Fotoband von Peter van Ham hieße auf Deutsch sicher: „Die Götter des Lichts“. Darin fand ich unter weiteren Wächterfiguren ähnliche Linienstrukturen, wie die, mit denen ich arbeite. Ich überlege, ob ich die Schablonenschrift auf diese Zeilen setzen will. Dabei könnten sich die Buchstaben der Worte und die Worte der Sätze in einer Weise überlagern, wie ich es in den Buchmalereien der letzten Tage schon probiert habe. Das führe ich auf Rolle 11 weiter und entwickle so die Arbeitsweise für das GPS-Projekt auf der Museumsinsel.

Womöglich habe ich schon heute Nachmittag Zeit und Geist, mich mit den Roos-Schablonen zu beschäftigen. Auch von dieser Geschichte erzählte ich Anne, die gleich eine befreundete Autorin wusste, die sich für dererlei Zusammenhänge interessiert. Auch wenn ich diese Dimension bei der GPS-Arbeit unerwähnt lasse, spielt sie eine Rolle.

Verzweigungen

Beim Nachdenken über Quellen und Vorgehensweisen, erscheinen immer mehr Schichten. Am Morgen gingen mir die Schablonen des Tischlers durch den Kopf, mit denen ich einen Teilsatz in die Buchmalereien prägte: „An dieser Stelle…“. Er war ein gewalttätiger Kriegsheimkehrer. Seine Tochter zog in den Siebzigerjahren in ihren eigenen Krieg gegen den Staat und gegen einen US – General.

Wenn sich die ganzen Verzweigungen des Erinnerns auftun und Gestaltungsschichten bilden, wie Wurzelgeflechte, dann schrecke ich manchmal zurück. Die Gefahr des Verzettelns steigt und die, dass mir das Ganze über den Kopf wächst. Die Entwicklung von Projekten in Berlin, würde ich gerne im Team fortsetzen, um die Zusammenhänge, in denen die Kuratorinnen denken, nicht aus dem Blick zu verlieren.

Die Verbindungen der Tabolinien mit den Sätzen aus 3 verschiedenen Zusammenhängen, die aber punktuell miteinander zutun haben, sind das Feld, auf dem ich das Gehen und Sprechen als poetische Methode ausprobiere. In den Buchmalereien verband ich vorsichtig die Buchstaben mit meinen Handballenstrukturen. So geht es weiter.

Rolle 10 in Berlin

Das Wochenende verbrachte ich in Berlin, um an einer Veranstaltung im Humboldtforum teilzunehmen, in der es unter anderem um Rolle 10 ging, die sich in der Ausstellung „Hin und weg“ befindet. Wir sprachen dann auch über mein Projekt, in dem ich verschiedene Texte mit gegangenen Wegen rund um den Palast verbinden will. Das Gehen und Sprechen als rhythmisch-poetischer Experimentalaufbau richtet neue Verbindungen verschiedener Themen ein.

Solch ein Vorhaben könnte „An dieser Stelle“ heißen. Das bezieht sich auf das Stück „Bau auf! Bau ab!“, auf den Roman „Hinter den Mauern der Ozean“ von Anne und auf die Berichte des IM „Lutz Lange“. Außerdem habe ich mir auf Rolle 11 die Sequenz angesehen, in der ich meinen Text aus dem Theaterstück auf die Tabolinien geschrieben habe. Diese Quellen und Formen müssen noch genauer auf ihre Eignung untersucht werden. Aber es ist denkbar, mit anderen Menschen einen poetischen Versuch zu starten, um gemeinsam Neues zu finden oder andere Fragen zu stellen.

Buchmalereien, die ich unterwegs mache, sind zumeist sparsamer. Gleichzeitig aber schafft die Reduktion eine Konzentration auf das Wesentliche. Wenn die so entstehende Leere zwischen den Linien aber nicht mit dem Material ausgefüllt ist, das ich vorher entwickelt habe, wenn also dessen Abwesenheit zu einer tatsächlichen Leere führt, ist es eine Sackgasse. Gestern und Vorgestern im Zug aber, war es nicht so.

Gitterskulpturen

Meinem Enkel Armin nehme ich eine Buchstabenschablone mit nach Berlin, denn er ist ein „ABC-Schütze“. Sie lag in der Schublade der Hobelbank von Paul Roos. Mit der größten der drei Schablonen, probierte ich heute kursive Schriftornamente in den Buchmalereien.

Die Fortführung der Rückrollaktion mit Rolle 11 verschiebe ich auf die nächste Woche. Dann werde ich die neuen Leerstellen zu Umrissen machen, die gefüllt und übereinander gezeichnet werden. Vielleicht komme ich dann dazu, mit diesen und der kursiven Schablonenschrift zu den Texten zurück zu kehren.

Die dynamische, etwas gewalttätige Struktur, die die Tuschezeichnungen angenommen haben, kommt von den vielen Diagonalen in den Linien unter der Wächterfigur in Tabo. Von dort aus zieht es mich zu den Gitterskulpturen, die seit vielen Jahren unbeachtet im Atelier hängen. Aber jetzt, wo die Räume der Zeitschichten wachsen, möchte ich diese mit Material umschließen. Falls sich skulpturale Varianten der Tabolinien entwickeln, können sie einen entscheidender Schritt in den weiten vergangenen Raum sein. Manchmal schneide ich trockene Äste aus den Gesträuchen des Gärtchens zu kleinen Wesen zurecht, die auf mehreren Beinen stehen. Sie erinnern an Insekten und an die Gitterskulpturen.

Rückkopplungen

Es war richtig, nun auf Rolle 11 mit den frei schwebenden Formen weiter zu machen. Aus dem Befreiungsschwung, den sie auslösten, entwickelte sich eine Verdichtungssequenz, die auf dem Zeitstrahl des Transparentpapierstreifens rückwärts läuft. Und wie auf dem Terrazzoboden in der Küche, wachsen aus dieser Struktur Figuren, die mein Hirn aus den Ablagerungen seiner Erinnerungen sammelt. Dabei braucht der Grad der Dichte Grenzen, die einem zu starken Chaos vorbeugen, in dem die Figuren wieder verschwinden können.

Ich beobachte das Wechselspiel zwischen den Buchmalereien, den Transparentpapierzeichnungen auf Rolle 11 und den Collagen, die ich aus den Kombinationen ihrer Scans herstelle. Bei allen drei Arbeitsweisen spielen die Schichten, die aus der Vergangenheit hervorleuchten eine wesentliche Rolle. Bei den Buchmalereien sind es die Linien, die sich von einer Seite auf die nächste durchdrücken, bei den Tuschezeichnungen, die beim Zusammenrollen durchscheinenden Figurationen und in den Collagen, die Schichten der zuvor zusammengestellten Buchmalereien und Tuschezeichnungen.

Aber die Übertragungen laufen zumeist in die gleiche Richtung. Von den Malereien auf Rolle 11 und von beiden zu den Collagen. Eine Rückkopplung gibt es selten, obwohl sie ja nahe liegend wäre. Die Tuschefiguren könnten in den Malereien auftauchen, oder die Collagenumrisse öfter auf der Transparentpapierrolle.

Aus den Gruben der Träume

Aus den dunklen Gruben der Träume tritt skulpturales Material hervor, aus den Phosphenkonstruktionen wachsen Gitterstrukturen, die sich mit Pappmache füttern lassen. Den Impuls, gleich wieder mit dem Füller in den Buchmalereien herumzuzeichnen, bremse ich, weil die Linien zumeist aus den Kompositionen herausfallen.

Etwas ratlos saß ich gestern vor Rolle 11. Ich fand keine Notwendigkeit, einen Umriss der letzten Tage dazuzusetzen, um den Streifen weiter zu zeichnen. Und so entstanden, vom vorausgegangenen Material inspirierte Strukturinseln, die in den Raum driften. Das war befreiend, und wenn ich mir es heute anschaue, will ich erst einmal so weitermachen, vielleicht dazwischen zurückrollen, zeichnend nach hinten verdichten, um dann wieder umzudrehen in die Gegenwart. Beim Hin- und Herwandern wächst die dritte Dimension aus den Zeitschichten, die aufgerollt und durchscheinend sind.

In den Buchmalereien von heute legte ich ein Dreieck zugrunde, das sich von der vorherigen Seite, von gestern also, durchgedrückt hatte. Von Schraffuren sichtbar gemacht, konnte ich es erweitern, vervielfältigen und in die anderen Formate übertragen. Dort spielten dann die Übergänge von kristallinen zu fluiden Strukturen eine Rolle.

Bergbau

Aus den Linienformationen des Tabomaterials entstehen neue Konstruktionen, die Tag für Tag weiter wachsen. Die neuen Formen bilden eine Struktur, die in die Tiefe vordringt. Tastend folgt sie Erinnerungsadern und bildet manchmal blinde Schächte.

Immer wieder geht mir die bildnerische Arbeit mit den verschiedenen Texten durch den Kopf. Dafür benötige ich auf Rolle 11 eine neue Konzentration, die sich etwas von den Buchmalereien entfernt. Diese Arbeitsphase beginne ich, wenn die Veranstaltung im Humboldtforum vorüber ist, und ich mich auf die Taboausstellung in Tibethaus vorbereite.

Gestern zeichnete ich auf Rolle 11 mit einem Umriss der zweiten Malerei von gestern weiter. Ziemlich reduziert nimmt sie noch einmal das Thema auf, aber zeichenhafter und weniger malerisch. Den Scan der Tuschezeichnung vom Transparentpapier verband ich nun mit den Buchmalereien, ließ sie aber eher im Hintergrund.

Gehen Denken Sagen

In meinem Zimmer in der Frankenallee fand ich einen Zettel mit folgendem Inhalt: Handprint Berlin – Kraftfeld 2 – eine Sprachwanderung. Gehen, denken, sagen. An den Kreuzungen der GPS-Wege, verschiedene Anschlussmöglichkeiten: AN DIESER STELLE / die Skyline von Manhattan / NEONLICHT immer. Eine Transparentpapierrolle als Weg. Ausgehend von Katrinems Viereck spreche ich einen Gang.

Carolin Kaever vom Humboldtforum möchte einen kurzen Ankündigungstext zu meiner Person und meiner Beziehung zum Palast der Republik. Es ist da viel unterzubringen in zwei Sätzen. Das fällt mir nicht leicht. Ich habe Vorschläge geschickt und warte, was kommt, was wir gemeinsam formulieren.

Peter van Ham berichtete gestern, dass die Wächterfigur aus Tabo, unter der sich die Linien befinden, mit denen ich mich seit einem Jahr beschäftige, groß ausgedruckt in der Ausstellung im Tibethaus zu sehen sein wird. Da können wir einen direkten Zusammenhang zur Rolle 11 zeigen. Auch die Malereien von heute weisen diesen auf.

Auswege

Die Umrisse, die zwischen den Tabolinien entstehen, entsprechen den Ablagerungen meiner Erinnerung, unscharf und flüchtig, aber mit Potential zur Konkretisierung. Zwischen den Membranen, die einen vagen Kontext umschließen, befindet sich eine Materie, die Inhalte schärfer hervortreten lassen kann. So kann ich mit dem Füller blasse Linien mit Beistrichen versehen, die dann zu Eckpunkten einer Geschichte wachsen. Am ehesten erscheinen dort Emotionen, die zu ergründen sind.

Ohne einen weiteren neuen Umriss habe ich auf Rolle 11 weiter gezeichnet. Dort ist die Forschung nach Gründen für emotionale Strukturen weiter fortgeschritten. Manche Flächen beginnen sich schwarz zuzusetzen, wenn ich die Tuschelinienstärke der dichten Netze nicht reduziere. Somit entzieht sich die vorübergehend aufgeschienene Geschichte wieder dem Blick. Und so geht es ewig weiter.

Auswege bieten die Collagen, die das unterschiedliche Material immer wieder in neue Konstellationen bringen. Womöglich sollte ich diese Ergebnisse in die Produktion auf Rolle 11 zurückführen, was wieder Auswirkungen auf die Buchmalereien hätte. Und gleich kann ich das in die Tat umsetzen.

Opfer

Bei dem Gedanken, dass die Thüringer ihren Faschismus, den sie so gerne haben wollen, doch bekommen sollten, fällt mir ein Bild ein, das mich rührte. In der Kantine des Maxim Gorki Theaters hatten die Bühnenarbeiter mit Tesaband ein Bild von Heiner Müller an die Wand geklebt. Dort ganz in der Nähe flüstert nun meine Rolle 10 immer noch im Humboldtforum.

Die Annäherung an die Tabomaler kommt wieder in Gang. Zwischen den Linienkompositionen lauern, versteckt in harmlosen Figurenumrissen, meine Dämonen. Ich muss sie mit Opfern besänftigen, damit sie beiseite treten, um mich weiter zurückgehen zu lassen. Was mir auf dieser Wanderung begegnet, findet sich in den Buchmalereien und in ihrem Zusammenklang mit den Verdichtungen auf Rolle 11. Gestern, mit den Figuren aus 4.9./I und dem vorausgegangenem Material, das ich wieder mit einer weißen Papiersperrschicht reduziert.

Mir geht das Zusammenspiel der großartigen und groß ausgedruckten Tabofotografien von Peter van Ham mit meiner bescheidenen Transparentpapierrolle durch den Kopf. Der Kontrast ist krass, aber produktiv.

Zusammenspiel

Nach den formalen Ausflügen der letzten Tage, wollte ich heute wieder zu den Tabolinien zurückkehren. Und in diesem Zusammenhang gingen mir am Morgen Textcollagen durch den Kopf. Sie setzen sich aus der Beschreibung des Breslauer Dommodells der Fitznerbrüder, den Tonbandprotokollen meines IM Heinz Werner und Stückzitaten aus „Bau auf! Bau ab!“ im Humboldtforum zusammen. Die Übergänge werden von der Struktur der Tabolinien, auf die die Zeilen geschrieben werden, bestimmt.

Gestern rollte ich Rolle 11 ein paar Umdrehungen zurück, um in die Umrisse der Buchmalerei 2.9./III ein dichteres Liniennetz einzufügen. Dann arbeitete ich mit den Umrissen von 3.9./III weiter. Das dauerte nicht lange und verschaffte mir dennoch das Gefühl, weitergekommen zu sein.

In diesen Arbeitszusammenhängen denke auch an die Aufgabe, sich dem Prozess aus der Perspektive des produzierenden Erzählers zu nähern. Dabei ist der Blickwinkel der Zeitdimensionen entscheidend. Zunächst ist es möglich, auf dem Zeitstrahl des Transparentpapierstreifens hin und her zu wandern. Außerdem geschieht die Materieverdichtung mit Tusche, durch die Umdrehungen, mit denen ich ihn zusammenrolle und auf die entstehende Rundung die durchscheinenden Linien zeichne. Gravitation und das Schauen durch die Zeitschichten, wie in ein Wurmloch, sind Synonyme für diese Vorgänge.

Zusammendenken

Nachdem es in der Nacht geregnet hatte, dachte ich am Morgen alle Projekte zusammen: Stasi DADA, Tabosequenz und Arche. Die äußeren Klammern sind die Buchmalereien, Collagen und die Verdichtung auf dem Zeitstrahl der Transparentpapierrolle, der in beide Richtungen begangen werden kann. Der Blick schwenkt hin und her, in die Vergangenheit, in die Zukunft und hin zum Ende der Zeit in ihrer unendlichen Krümmung.

Die Buchmalereien von heute treten aus einer Kontinuität heraus. Ich hatte die Tabolinien vergessen und die Gesänge der Bilder folgten einem anderen Licht. Gleich, wenn ich die Collagen mache, kann ich das näher untersuchen und in Beziehung zu dem Vorausgegangenen setzen.

Es herrscht eine eigenartige Stille im Gärtchen, keine Vögel, kaum Insekten und Eidechsen. Es ist schwül. Aus der Wiese steigt Feuchtigkeit, die einen milchigen Filter vor den Blick setzt. Auf diese Atmosphäre reagiert mein Körper mit Energieverlust.

Licht singen

Mit meinem Kopfhörer habe ich die Außengeräusche abgeschaltet und befinde mich in hohen Kirchenräumen mit Chorstimmen angefüllt, die das Licht singen. Das tut nach der Stimmabgabe der Thüringer, die ihre Maske fallen gelassen haben und eine faschistische Partei zur stärksten politischen Kraft gemacht haben, gut.

Teile des Konzertes, das wir am vergangenen Donnerstag mit Cat Power in Dortmund gesehen haben, sind mir noch im Kopf und ich singe manchmal ei paar Zeilen vor mich hin. Beim genaueren Lesen des Textes von „Visions of Johanna“ bekam ich Lust zum Schreiben.

Mit den Buchmalereien begann ich im dritten Format, indem ich die durchgedrückten Linien des Vortages aufnahm und etwas mit der Holzhaarnadel erweiterte. Zwischendrin schraffierte ich immer mal verschiedene Farbfigurfelder, die ich per Handkantenabdruck mit Wasser an andere Stellen, an denen ich weiter malen wollte, transportierte. Dort entstanden dann andere Szenen, in denen die abstrakten Figuren auf unterschiedliche Weise Kontakt miteinander aufnahmen. Ich frage mich, ob sie das auch mit Gegenständen außerhalb des Buches probieren, beispielsweise mit den bunten Holzpapageien, die sich auf dem Rand einer weidengeflochtenen Voliere im Gärtchen im Wind drehen.

Graue Stille

Die Überlagerung von gegensätzlichen Farben und Tönen führt zur Auslöschung, zu grauer Stille. Diesen Vorgang nutze ich manchmal bei den Collagen. Aber auch bei der Verminderung meines Tinnitus, kann ich versuchen Töne im Gehirn zu generieren, die das zur Folge haben. Das ist anstrengend und gelingt nur selten.

Gestern begann ich die Handlinienstrukturen auf Rolle 11 weiter zu entwickeln. Die Konzentration dafür fand ich am späten Nachmittag. Seit vielen Tagen fühle ich eine Art Infektion in mir herumwandern. Das wirkt sich auch auf das Bildermachen aus.

Das Rolltor ließ ich heute wegen Licht und Lärm unten. Die Spätsommersonne scheint tief stehend in die Augen, verschiedene Baumaschinen und startende Flugzeuge lärmen. Ich wünsche mir einen abgedunkelten Raum: graue Stille. Aber auch in den Malereien toben die Farben und die Gesträuchschichten. Alles verbindet sich zu einem Brüllen.

Regenbögen

Die Handlinien und das, was sich aus ihnen in den Buchmalereien entwickelt, sollen auf Rolle 11, innerhalb der Tabosequenzen, eine größere Rolle spielen. In Peters prächtigem Bildband über Tabo fand ich gestern noch eine Art Kristallsymbol, das eine Figur in einer Hand hält. Die Formen und Farben ähneln denen einer Platte, auf der eine Wächterfigur in einem der Durchgänge steht. Ein Zusammenhang zwischen Lichterscheinungen und Bergkristallen ist vom Augenschein her nahe liegend. Bergkristallstrukturen als materialisierte Phosphene?

Mein Bruder berichtet von haarsträubenden faschistischen Stimmungen und Aktionen in Waltershausen. Der Regenbogen, ein Lichtbrechungsphänomen und ein Zeichen des Bundes zwischen Gott und den Menschen, wird nun als Symbol der queeren Gemeinschaft angegriffen. Ich schlage vor, in sonnenbeschienenen Schaufenstern geschliffenes Glas zu positionieren.

In dieser Stadt habe ich den größten Teil meiner Kindheit verbracht. Dann kehrte ich ihr und später dem ganzen Osten den Rücken. Die Mentalität vertrug sich nicht mit einem Ideal vom Tätigsein. Ich stelle mir die Menschen vor, die ich kannte und wie sie diesen Umtrieben achselzuckend gegenüberstehen.

Vergleiche

Bilder entstehen zögerlich am Wochenanfang. In den Buchmalereien dominieren die Handlinien, deren Abdrücke mit Beistrichen stärker kontrastier und verlängert werden. Es entsteht eine konstruktive Struktur, die sich wieder an die Tabolinien annähert. Während des Schreibens setze ich mit Tinte Akzente in die Buchmalereien. Das sind die Suchbewegungen auf deren Wegen sich neue Fragen stellen sollen.

Sind Phosphene und Handlinien miteinander vergleichbar? Warum sucht mein Denken dort Ähnlichkeiten? Ordnen sich alle bildnerischen Mittel dem Vorsatz unter, sich tausend Jahre zurückzuversetzen? Selbst die hohen Signaltöne der Baumaschinen, die den Rückwärtsgang hörbar machen, fügen sich in die Zeichen ein. Alles ordnet sich in eine Richtung.

Aus einer Filmaufnahme über die Öffnung des Grenzübergangs Bernauer Straße 1989, extrahierte ich eine Figur, die nach vorne in den Westen lief und währenddessen zurückschaute. Das umschreibt mein gegenwärtiges Tun ganz gut. – Und plötzlich herrscht für eine Minute eine seltsame Stille, als hielt alles inne und der Lärm zöge sich zurück in eine akustisch auslöschende Überlagerung.

Das blitzartige Springen des Blicks

In den Buchmalereien versuchte ich meine Handballenlinien mit denen aus Tabo zu verbinden. Während der Konzentration auf das Zeichnen geschah es, dass der Focus von der einen auf die andere Ebene hin und her sprang. Während des Verstärkens der Kontraste mit spitzen Aquarellstiften und einem sehr schmalen Pinsel, achtete ich auf die Gemeinsamkeiten der Strukturen der alten Malerei und meiner Handlinien.

Bei der Suche nach Ähnlichkeiten werde ich auch beim Liniengeflecht des Kraftfeldes fündig. Dieses mit eigenen Geschichten aufgeladene Material zeigt Areale, die den Kompositionen aus Tabo gleichen. Die Vorgänge in mir, die sich parallel zur Durchdringung der verschiedenen Schichten manifestieren, will ich genauer beobachten. Heute war das blitzartige Springen des Blicks von einer zur anderen Ebene ein solches Phänomen.

Die Überlegungen zu einer Ausstellung schließen auch Buchmalereien ein, die ich in Tabo und in Lalung gemacht habe. Andererseits würde ich auch die Malereien interessant finden, die während meiner Arbeit an Rolle 11 entstanden sind. Manche der Umrisslinien sind ja sowohl in den Büchern, als auch auf dem Transparentpapier vorhanden.

Fragestellungen der Tabolinien

Gestern Nachmittag besuchten mich Elke Hessel und Peter van Ham im Atelier. Es ging um eine gemeinsame Ausstellung und Veranstaltungen dazu. Wir kamen schnell zu inhaltlichen Fragen, die sich mit den Möglichkeiten verbanden, die Informationen der alten Malereien in Tabo für unsere Gegenwart nutzbar zu machen.

Peter brachte mir eine Fotografie mit, die auch den Abschnitt abbildete, den ich für mich die „Tabolinien“ nenne. Interessant ist, dass ich sie zunächst nicht erkannt habe. Im Verlauf der Arbeit mit ihnen, haben sie sich für mich zu einem neutraleren, farbloseren und reduzierteren Erscheinungsbild gewandelt. So gelang es mir aber, sie besser für meine Zwecke einzusetzen.

Auf dem Weg meiner Annäherung an die alten Maler, begegne ich einer weiteren Schicht meiner eigenen Gegenwart. Die Konfrontationen, denen ich ausgesetzt war und die bis in die Gegenwart weiter wirken, habe ich mit den Tabolinien verbunden. Texte meiner Stasiüberwachung und meines Interviews zum Bau des Palastes der Republik, will ich nun konsequenter auf diese Linien setzten, um aus der Gegenüberstellung und Überlagerung der Inhalte, auf Rolle 11 zu einer neuen Qualität der Fragestellungen zu gelangen.

Autonomie der Buchmalereien

Auf Rolle 11 zeigt sich aktuell die größte Verdichtung, die ich bisher mit der Tabosequenz erreicht habe. Ich bin auf dem Transparentpapierstreifen so weit zurückgegangen, um diese Stelle zeigen zu können. Die aktuelle Arbeit an diesem Thema stagniert etwas wegen meiner Abwesenheit in den letzten Tagen.

Ein Vorteil in dieser Phase ist die wachsende Autonomie der Buchmalereien. Sie müssen keine anderen Eignungen mehr aufweisen, als die eigene innere Schlüssigkeit. So kann ich mich in der Auffächerung der angedeuteten Strukturen verlieren, kann sie bis zu einem gewissen Grad konkretisieren, ohne dabei an weitere Funktionen denken zu müssen. Auch Szenen, die zwischen den Farbwettern spielen könnten, werden unwichtig. Diese Abwesenheit fühlt sich befreiend an.

Auf der großen Nachbarbaustelle wird der vorletzte Kran abgebaut. An vielen Gebäuden ist der Außenputz schon fertig und die Bauhüllen sind nun die Resonanzkörper für den Innenausbau. Das Geschrei der Bauarbeiter verlagert sich in die Wohnlabyrinthe, die sie selber hergestellt haben. In nicht allzu langer Zeit werden die ersten Bewohner auftauchen.

Farbwetter

Gerade war ich wieder drauf und dran, die feinen Erosionsstrukturen, die sich durch die Handballenabdrücke bilden, mit groben Liniengeflechten abzudecken. Dabei erschien mir der Gedanke, was ich mit den Buchmalereien eigentlich will. Die Umrisse und die fetten Linien zielen auf die Weiterverwendung in den Collagen und auf Rolle 11. Jetzt aber ging es mir nur um die Strukturen und Farben in diesem Buch.

Mein Bruder ist über die Erfolge der Faschisten in Thüringen verzweifelt. Dies ist nun das Volk, das ich vor vielen Jahren verlassen habe. Es ist mir noch ferner geworden. Ich verabscheue diese Dumpfheit!

Manche der Farbwetter der Buchmalereien laufen auf Stelzen durch die Landschaft, ohne sich abregnen zu wollen. Ihre gelben Zacken klappen wie Fischgebisse zu und beißen ein Stück Himmel heraus. Im Sumpf fahren sie ihre geteilten Hufe auseinander und wanken den großen Wasserflächen entgegen.

Ruhwinkel

Nach ein paar Tagen in Norddeutschland, fühle ich mich fremd im Atelier. Mit Musik versuche ich wieder zurück zu finden, die Atmosphäre des Dorfes Ruhwinkel, wo ich während drei Regentagen eine Erkältung auskurierte, abzustreifen. Stille, Rasenmäher, Menschenleere, Seen, Pferde und weiter Horizont.

Ein langer Schlaf am Nachmittag zeigte mir, dass die Krankheit noch nicht ganz fort ist. Und die Buchmalereien von heute haben noch keine Heimat. Im Gegensatz zu denen, die ich im runden Zimmer meines Ferienhauses gemacht habe. Sie sind vom Ankämpfen gegen die Schwäche geprägt, beschränken sich auf das Wesentliche, grob und wild.

An einem Tag suchte ich einen See, zu dem kein Weg führte. Die Regentage haben seine Umgebung versumpft, und ich war zu schwach, mich noch von einer anderen Seite heranzutasten. So verschob ich die Unternehmung auf den nächsten Aufenthalt in Ruhwinkel.

Gewebe

Nun habe ich den Roman meiner Tochter Anne „Hinter den Mauern der Ozean“ ganz gelesen. Fast möchte ich es gleich noch mal tun, um besser auf die Worte zu achten und noch langsamer hindurch zu wandern. Ich stelle mir vor, mit Teilen des Textes zu arbeiten, mit den Tabostrukturen oder dem Handprint Berlin zusammen. Aber das soll sich langsam entwickeln.

Die Tabosequenz baute ich auf Rolle 11 etwas extensiv aus. Durch den langsam trocknenden Schellack kommt mir die Dynamik etwas abhanden. Die neuen Konturen, die sich aus den Schellackwolken entwickeln, verweben sich mit der Tabostruktur aus den Tagebüchern.

Gestern ließ ich mir spontan bei einem Friseur, an dem ich täglich mehrmals vorbeigehe, die Haare abschneiden. Nur langsam gewöhne ich mich an das neue Aussehen. Jetzt gehe ich gleich zum Flohmarkt bei Gusti und esse dort auch etwas… Eine schöne Bereicherung, dieses neue Kultur-Lokal auf meinem Arbeitsweg.

Verknüpfungen

Es macht Spaß, in alten Tagebüchern zu blättern. Ich schaue in das Jahr 1987, als ich an den Objekten für die Arche in Neckargemünd gearbeitet habe. Dabei staune ich, wie sehr mich damals die Theaterarbeit geprägt und inspiriert hat. Die Texte von Heiner Müller waren wichtig, und Bilder für sie zu finden…

Vor mich auf den Zeichentisch stellte ich ein Stück Transparentpapierrolle, aufrecht mit den Sequenzen von gestern, vor den Garten. Aus drei Buchmalereien vom 19.08. des vergangenen Jahres, die ich nach unserem Besuch in Tabo in Lalung gemacht habe, zeichnete ich die Linien durch, die sich auf die abstrakte Komposition an der Durchgangswand zum Hauptraum beziehen. So entstand ein dreizeiliges Zeichenfeld.

Das direkte Durchzeichnen aus den Tagebüchern auf Transparentpapier, ohne Vergrößerungen, ist eine neue Verknüpfung der beiden Elemente. Der Schellack weicht dabei die harten Linien etwas auf und schafft neue Konturen, mit denen ich weiter arbeiten kann.

Schmelzvorgang

Eine Kreuzstruktur auf Rolle 11 ging nun in eine Schellackverwischung über. Sie nahm etwas von der kristallinen Zeichnung auf und verwandelte es in ein Fließen. Dieser Schmelzvorgang bricht mit einer monatelangen Kontinuität. Nun will ich aber verfolgen, was aus den Tuscharealen, die sich noch an die Tabolinien anlehnen und den Schellackwolken beim Zusammenrollen des Transparentpapiers passiert.

Durch die Aufnahme von durchgedrückten Linien vom Vortag, entwickelt sich auch in der Formensprache der Buchmalereien eine folgerichtige Geschlossenheit. Beim Einarbeiten in die Collagen finden sich auch überlagerte Ähnlichkeiten. Manchmal denke ich daran, aus diesen langen Reihen von Bilddateien, die immer auseinander hervorgehen, Animationen zu machen. Das würde das Fließen noch einmal deutlicher machen.

Viele Arbeitskontakte nach außen verschränken verschiedene Projekte miteinander. Tabolinien-Sequenz und Fotografie, GPS-Wanderungen mit Texten, sakrale Skulptur mit den Synaptischen Kartierungen. Mit meinem Hang, alles zu vermischen, muss ich mich etwas zurückhalten!

Gefahrenräume

Unter den Figuren der Buchmalereien kann man auch zwischen die Fronten geraten. Dann, wenn sie sich gegenseitig ausräuchern wollen, sie sich schlagen oder beschimpfen. Ungeschoren bleibt man aber auch in den Harmoniezwischenräumen nicht, wenn die Anwesenheit störend wirkt. Und in der scheinbaren Leere flirrt das so genannte Nichts. Es kann sich schnell verdichten und neu zu einer gefährlichen Szene formieren.

Auf Rolle 11 zeichnete ich gestern 5 Figuren, die aus ihrem jeweiligen Kern der Netzstruktur gewachsen sind. Am späten Nachmittag war ich an dem Punkt angelangt, an dem es nicht weiter ging, an dem mir das Material nichts mehr bot, was ich weiterentwickeln wollte. Das zwang mich zu der Denkpause, in der mir die Möglichkeit aufging, mit Tusche-Schellack-Verwischungen, also dem Prinzip meiner Synaptischen Kartierungen weiter zu machen, um die Grenzen des stetigen Durchzeichnens und Verflechtens zu überwinden.

Vorsicht und Langsamkeit lenkten die Buchmalereien. Aus Einzellern, die von Schraffuren aus den durchgedrückten Linienfragmenten des Vortages sichtbar gemacht werden, wuchsen Reihen und Wolken, die sich zu Figurationen zusammenballten. Die Tuschezeichnungen auf der Transparentpapierrolle und die Malereien rücken aus unterschiedlichen Zuständen und Richtungen aufeinander zu.

Aus Binnenstrukturen

Gestern arbeitete ich endlich auf Rolle 11 weiter. Mein Augenmerk richtete ich auf Binnenstrukturen. Aus ihnen wuchsen einzelne Figurationen. Im Schauen auf die Schichten und Nachschreiben der Liniengeflechte, bilden sich Bezüge zu den alten Malern aus Tabo heraus. Nicht meine Gedanken kreisen um ihre Arbeits- und Lebenswelt, es sind meine Bewegungen, Blicke, das Innehalten, Festlegen und Aufhören, wodurch ich ihre Nähe gewinne.

Das kann aber auch nur eine Zwischenstation sein, auf dem Weg zu den Linien selbst, die ja ein Ereignis nachzeichnen. Und meine Fähigkeit, mich in die Überlagerungen aus den Durchzeichnungen der Strukturen hinein zu versetzen, ist eine Fortführung des Vorgangs, aus dem diese Zeichen entstanden sind.

Auch bei den Buchmalereien achtete ich mehr auf die Binnenstruktur und versuchte sie mit leichten Farblinien fortzuführen, Begrenzungen wachsen zu lassen und Figuren zu erfinden. Die groben Umrisse der Handballenabdrücke treten dadurch etwas in den Hintergrund. Dadurch ist es leichter, sich selbst zwischen die Figuren zu begeben, um ihre Struktur zu spüren. Es gibt moosartige, Glatte und stachelige Oberflächen. In den Zwischenräumen kann ich sie von verschiedenen Seiten her spüren und in die Szenen eintauchen.

Vor meinen Augen

Vor meinen Augen verhalten sich Menschen rücksichtslos, vulgär, lärmend und hässlich. Hinzu kommt meine Mülleinsammelaktion, die ich seit 5 Monaten mache. Mich verändert das, und ich suche nach einem Ausweg. Meine Erwartungshaltung den Leuten unterwegs gegenüber ist vielleicht zu hoch und ich sollte mich damit zufrieden geben, dass der Grünstreifen der Frankenallee einfach besser aussieht, wenn ich ihn aufgeräumt habe. Sehr sichtbar ist das, wenn es stetig geschieht.

Die Figuren der Buchmalereien warten drängend. Wie an einer Grenze oder am Steg einer Fähre, wollen sie auf eine andere Seite. Das nimmt sie ganz ein, so dass es kaum eine Kommunikation zwischen ihnen gibt. Das Gelb drängt laut und leer in den Raum. Einzig der Goldregen draußen leuchtet wahrhaftig vor den dunklen, dschungelhaft strotzenden Gesträuchen.

Der Boden, das sich stapelnde Totholz, die Pflanztöpfe, alles ist von den Starkregengüssen durchtränkt. Schnell wird das Gärtchen zu einem finsteren Ort. Die Temperatur ist gesunken und große Betonmeißel, die startenden Maschinen und die Güterzüge rhythmisieren die Stunden.

Ketten

Bevor ich am Morgen mit den Buchmalereien begonnen habe, stellte ich ein Objekt aus zu Kreisen gebogenen Weidenzweigen an eine erhöhte, gut sichtbare Stelle in mein Gärtchen und hängte eine Muschelkette hinein. Dieses Tun ähnelt dem Malen und versetzt mich in einen frohen Zustand. Der Geist bewegt sich in den Regionen zwischen Nichtgegenständlichkeit und der Erfindung neuer Gegenstände, die noch unbenannt sind.

Das neu erschienene Buch meiner Tochter, „Hinter den Mauern der Ozean“, liegt zu Hause. Ich kam nur kurz zum Lesen und überlege, es mit ins Atelier zu nehmen, um ihre Worte in meine Liniengeflechte setzen zu können. Sätze sind wie Muschelketten. Jedes Wort mit seiner Form und Geschichte, kann zu einer Reihe anderer hinzugefädelt werden. Zur Kette im Weidengeflecht habe ich am unteren Ende noch zwei Federn in das durchgehende Loch einer Koralle gesteckt. Jetzt bewegt sie sich lebhafter in dem leichten Wind.

Heute traten in den Buchmalereien wieder viele Figuren auf. Sie entstehen zumeist aus den Umrissen der Handballenabdrücke. Und mein Erinnerungsblick formt sie dann zu Geschöpfen, die schweben, tanzen und währenddessen Kontakt zueinander aufnehmen.

Aufräumarbeit und Zukunftskonzept

Auf der rechten Seite unserer Zufahrtsstraße lagen gestern und heute wieder zertrümmerte Blumentöpfe mit großen zerplatzten Wassermelonen. Das geschah schon einmal vor ein paar Wochen. Es ist jedes Mal eine brutale Schweinerei, sieht sehr gewalttätig aus uns scheint durch seine Wiederholung einen rituellen Charakter zu haben. Jetzt werde ich das mit Besen, Schaufel und Eimer beseitigen und bin gespannt, was in der nächsten Zeit an dieser Stelle weiter passiert.

Während meiner Aufräumarbeit traf ich auf Verkehrsplaner vom Amt für Bau und Immobilien. Der Chef legte seine schwere Hand auf meine Schulter und bedankte sich bei mir. Zuvor hatte ich ihm auch von meinen Aktivitäten auf der Frankenallee erzählt. Dann hob ich zu einem Plädoyer für die Erhaltung von Teves West an, sprach über unsere Verknüpfungen mit den bildungskulturellen Einrichtungen im Stadtteil, darüber, wie das Grün des Geländes von den Bewohnern der Umgebung angenommen wird und über unsere offiziellen Kooperationen mit den Schulen etc.. Aber das machte nicht viel Eindruck. Es herrscht eher die Meinung, dass wir hier nicht mehr herpassen.

Wenn wir das Gelände für die Zukunft sichern wollen, muss das Konzept mit der Schule, die auf Teves Ost gebaut wird und mit den neuen Bewohnern im Westen abgestimmt sein. Da müssen wir dranbleiben!

Transparentpapierobjekt

Am Morgen dachte ich an eine Transparentpapierarbeit, die ich für eine Freundin von Barbara machen möchte. Sie ist auf die Idee gekommen, dass es sich bei den Tabolinien um schamanistische Zeichen für den Übertritt in eine andere Welt handeln könnte. Weil sie sich im Durchgang zu einem großen Meditationsraum befinden, könnte es sich um Leuchtmuster handeln, die in extremen Phasen der Versenkung auftreten.

Das Objekt aus mehreren Transparentpapierschichten, soll sich mit den Linien aber auch mit einem Satz zum Kraftfeld im Zentrum von Berlin beschäftigen. Wenn die Worte die Struktur der Linienmuster annehmen und sich mit ihnen verflechten, hoffe ich auf einen Neustart in der Arbeit auf Rolle 11. Dort verläuft sich die Tabosequenz in Einzelfiguren, die aus dem Gesträuch hervortreten.

Die genauere Beschäftigung mit dem Interviewtext zum Palast der Republik, der mir schriftlich vorliegt, ist schon der Übergang zum „Handprint Berlin“, einer GPS-Text-Wanderung. Annes Roman „ Hinter den Mauern der Ozean“, möchte ich auch im Hinblick auf diese Arbeit lesen.

Parallelsituationen

Die tastenden Pigmentstränge in den Buchmalereien sind manchmal wie Gletscherbäche, die auf eine Ebene fließen. Farbsediment wird verfrachtet. Der Handballenabdruck ist die Brücke in eine Parallelsituation, in der die ähnliche Komposition anders fortgeführt wird.

Die Kulissen von gestern haben heute ausgedient. Darstellende Figuren ziehen sich zurück und Energiestrukturen aus gravierten Kreuzschraffuren bilden mit den Hautlinien der Handballenabdrücke unterschiedliche Ladungen ab. Die Schichten sind verschiedene Pole, zwischen denen Energielinien entstehen, die die aufgenommenen Strukturen verstärken und fortführen.

Auf Rolle 11 füllte sich der aktuelle Umriss aus einer Buchmalerei, die ich vor einem knappen Jahr im Spitital gemacht habe, mit den Gesträuchflächen bis an den Rand seiner Grenzlinien. Aus diesem Geschehen möchte ich nun weitere Figuren entwickeln, die sich aus dem verdichteten Gemisch der Taboliniengeflechte und den Linien der Buchmalereien zusammensetzen, die ich in Tabo und später in Lalung angefertigt habe.

Verschiedene Räume bewohnen

Kleine bewegliche Installationen im Gärtchen, lassen einen zunehmend surrealen Raum entstehen, in dem Traumsequenzen stattfinden können. Wenn Figuren aus dem Schlaf in den realen Raum wandern, den wir bewohnen, öffnet sich eine weitere Welt, in der man sich zurechtfinden muss. So geschieht es bei den ganz Alten in der Familie.

Beim intensiven Zeichnen, aber auch während der Buchmalereien gelange auch ich in Bereiche, die Traumszenarien ähneln. Zwischen den Kulissen spielen dort Figuren Szenen, die exemplarisch sind für meine Existenz. Sie legen die Arme an und geben nur mit Haltungen und Blickrichtungen etwas preis von sich. Sie lassen sich von Energieteilchen durchströmen und wandeln sie in Lichtwellen um. Ein Leuchten aus flüchtigen Bereichen heraus wird festgehalten.

Während meiner täglichen Müllsammelaktionen auf der Frankenallee und in der Zufahrt zu unserem Gelände, kommt mir manchmal der Gedanke, diese Tätigkeit auf ein künstlerisches Projekt auszuweiten. In den zerfledderten Materialien stecken Geschichten, die konzentriert eine neue Frage stellen können. Vielleicht eine solche von Sättigung, Verachtung und schwindender Wahrnehmung des uns umgebenden Raumes.

Zwischen den Blicken

Die Schichten türmen sich: Tusche, Knochen, Schellack, Müll und Klang. Die Gelbmützen singen murmelnd und die Licht-Glas-Chöre Plestrinas stahlen. Immer wenn ich eine Schicht anhebe, setzt sich ein Klang frei: GIMME SHELTER. Während des Zeichnens an Rolle 11 hörte ich gestern ein paar Rolling Stones Alben und dachte daran, wie mir Charlie Watts in der Voodoo Lounge beim Zeichnen über die Schulter schaute. Er – der Trommler und Zeichner.

Vor mir im grauen Gegenlicht steht Rolle 11 mit den Tusche-Umrissen der letzten Tage. Dahinter fällt Regen auf die gesprungenen Erdränder meiner Schafgarbenwiese. Die Sprünge sehen den Gesträuchen meiner Schichtenzeichnungen ähnlich, meinen Handballenabdrücken und all den Linien, die mich durch die Zeiträume schicken.

Die Buchmalereien werden figurenreich. Ich sehe sie, wie man Menschen zu ahnen glaubt in den Zwischenräumen der Blicke, ausgelöst durch das Blinzeln. Ich könnte sie immer realistischer werden lassen, was ich aber nicht will. Ich bin ja kein sozialistischer Realist geworden. Immer noch flüstert aber meine Transparentpapierrolle, neben dem „Lied von der Roten Fahne“ von Willi Sitte im Humboldtforum, die Stasi-Tonbandprotokolle von Professor Heinz Werner über mich. Das macht mich froh!

Ansätze

Einen ersten Austausch über unsere Arbeiten zum Kloster Tabo hatte ich gestern mit Peter van Ham in meinem Atelier. Sein Ansatz ist es, mit seinen Bildern etwas für die Erhaltung der Kunstschätze zu tun. Dafür führen uns seine Fotografien ganz nah in die entferntesten Winkel der Architekturen und bringen uns die gefährdete Schönheit ganz nahe.

Meine Herangehensweise, mich mit den gröbsten Linien, die die Maler hinterlassen haben, auf die Suche nach ihrer Nähe zu mir zu machen, hat meinen Gast überrascht. Sicher gibt es innerhalb einer gemeinsamen Ausstellung die Gelegenheit, tiefer gehende Formen einer Zusammenarbeit zu erkunden. Die Verwandtschaft meiner Buchmalereien mit den kleinformatigen Wandmalereiszenen, könnte Peter zum Anlass nehmen auch einige wenige meiner kleinen Bilder zu fotografieren, damit man sie ebenfalls vergrößern kann. . Auch ich kann mit seinen Bildern weiterarbeiten. Somit könnte sich einer der Kreise schließen, die unsere Gemeinsamkeit ausmachen.

Ein anderes Thema sind die Intentionen. Peter will das Bewusstsein für die Erhaltung dieser besonders wertvollen kulturellen Zeugnisse vor Ort schärfen. Mein Ansatz der Zeitreise durch Vertiefung in die schamanistischen Linienkompositionen, ist zunächst eine ganz private, nach innen gerichtete Idee. Am Abend zeichnete ich an Rolle 11 weiter.

Zeichend schreiben

Mit einem Umriss von 16.08. 2023 zeichnete ich gestern die Tabosequenz auf Rolle 11 weiter. Dabei gerate ich mit der Zeichenfeder, wenn ich nicht absetzte, ins Schreiben der vielen Schichten des Liniengeflechts. Schon gestern dachte ich an Texte, die ich dorthinein zeichnen könnte. Solche vielleicht, die sich mit dem Kraftfeld der Museumsinsel in Berlin beschäftigen.

Auch jetzt bildet sich reflektierte Schrift auf Transparentpapier von einem Lineal ab, das in der Sonne hinter der aufrecht stehenden Rolle steht. Sie sieht aus, als ob sie ganz natürlich dazugehört. Mit dem Blick bewege ich mich langsam durch die Schichten dieser Räume, denn sie halten viel für meine Praxis bereit.

Jetzt hat das gezeichnete Tuschegeflecht eine Dichte, in der sich gut neue Figuren finden lassen. Schon im März traten einige als Leerstellen zwischen den Gesträuchen auf, die ich in diesem Monat noch einmal aufnahm, um sie dicht zu füllen. Ich achte auf sie, denn ich weiß nicht, aus welcher Richtung ein Echo aus der Vergangenheit auf mich treffen wird.

Atemluft

Die Farben schwirren gemeinsam mit Klaviermusik und den piependen Rückbewegungssignalen der Gabelstapler. Hinter den Augen schließen sich die Schwingungen zu einem Raum, einem Block aus Wellen zusammen, die stetige Echos erzeugen und damit eine hohe Dichte aufbauen. Die großen Schlagbohrmaschinen können es mit den Partiten, von Glenn Gould gespielt, nicht aufnehmen, können sich nur anschließen und verschmelzen.

Dann füge ich dort die Farben der dritten Malerei von heute ein und beachte auch die Figurenumrisse, die in den anderen beiden Formaten entstanden sind. Und dann wird das Tänzerische der Musik von Bach deutlich. Es durchfließt die Bildkompositionen und stabilisiert mich.

Die Dichte dieser Vorgänge wird durch die Einbindung der derzeitigen Themen erhöht. Es entsteht eine schwere Atmosphäre, in der ich atmen muss. Die Bewegungen der rechten Hand beim Schreiben und Malen, werden von der Energie gesteuert, die bei der Umwandlung dieser Atemluft entsteht.

Reisen in Ereignisräume

Lieber beginne ich am Morgen zu arbeiten, nach den Frühstück und dem Weg hierher ins Atelier. Es ist Nachmittag, Besorgungen am Morgen und erst nach der Mittagspause finde ich an meinen Zeichentisch die Sicherheit der Bilderproduktion. Seit vielen Jahrzehnten startet der Bilderfindungsmotor zur selben Zeit. Auch wenn ich unterwegs bin, bleibt das so.

Jetzt schaue ich durch das Rolltor in mein Dschungelgärtchen, das mich vor der Hitze bewahrt und höre die Feierabendrufe der Bauarbeiter von der nahen Baustelle. Auch das Stampfen der Aggregate dort drüben, löst die Produktivität aus, die mich täglich überfällt, auslaugt und beglückt.

Darüber, dass wir in diesem Sommer keine große Reise mehr machen, bin ich froh, denn sie würde die Arbeitsprozesse wieder zerteilen. In erster Linie geht die Fahrt sowieso nach innen in die Räume der Ereignisse, die sie selber schufen. Diese Reisen sind weit genug und dauern ewig.

Grenzen

Sonnabend, 15.23 Uhr. Die Goldbergvariationen, 1981 von Glenn Gould gespielt, laufen ganz nahe an meinem Ohr. Die Musik fließt direkt in die Malerei, mit ihrer ganzen polarisierten Spannung zwischen Ruhe und Aufruhr.

Auf Rolle 11 arbeitete ich mit den Buchmalereiumrissen weiter, die vor einem knappen Jahr in Tabo entstanden sind. Direkte Reaktionen waren zunächst Holznadelgravuren im Papier. Diese hob ich auf dem Transparentpapier hervor, stellte sie frei und füllte dann diese Balken mit dem Schichtenmaterial der Vortage.

Wenn sich dieses Material mit den Wirbeln von Bach in den Collagen verbindet, kommt dieser Arbeitsgang seiner Bestimmung ziemlich nahe. Es ist ein Spiel mit der Zeit und ihren Grenzen, die den Raum beschreiben, der zu durchqueren ist.

Rückgriffe

Mit meinem Enthusiasmus überfiel ich gestern die Vertreter des ökumenischen Gemeindezentrums ARCHE, anstatt sie darin einzubetten. Nach einem langen Autobahnstau platzte ich ungebremst und ohne viel Vorrede mit der Materie in den Kreis, der schon eine Viertelstunde auf mich wartete. Gleich wies ich darauf hin, dass mir eine bloße Restaurierung zu wenig ist, dass ich mich künstlerische weiter entwickelt habe und ich dem innerhalb dieses Projektes Rechnung tragen möchte.

Die Holzoberfläche der Objekte ist teilweise sehr ausgeblichen, so dass Farben verstärkt werden müssen. Ob deswegen alle Flächen abgeschliffen werden müssen, bezweifle ich jetzt. Vielleicht kann ich mit Lacklasuren arbeiten, auf die ich dann eine neue, lasierende Linienschicht aufbringen kann, um die Komposition zu verstärken, mehr Kontrast zu schaffen und mehr Dichte.

Am Morgen habe ich schon das Blatt 108 der „Synaptischen Kartierungen“ hervorgeholt, um mich auf eine Arbeitsweise zu orientieren, die sich aus den Verdichtungssequenzen der Transparentpapierrollen und dieser Serie aus dem Jahr 2011 speist. Vielleicht ist es sogar möglich, Strukturen und Farbigkeiten der Buchmalereien mit in diese Arbeit einzubeziehen.

Eigene Spuren

Mit Buchmalereiumrissen, die am 15.8. 2023 in Tabo entstanden sind, setzte ich die Arbeit auf Rolle 11 fort. In Papiergravuren sind dort erstmalig Spuren der Beschäftigung mit den abstrakten Linien aus dem Kloster sichtbar. Die sinnliche Annäherung an die Verfasstheit der Maler, die vor tausend Jahren dort arbeiteten, ist in diesen Malereien spürbar.

Während der Arbeit am Morgen merkte ich, dass die Buchmalereien dieser Reise noch nicht vollständig gescannt sind. Indem ich das nun nachhole, ergibt sich die Möglichkeit, mich noch einmal genauer mit meiner eigenen Reaktion zu beschäftigen.

Nachher fahre ich nach Neckargemünd, um mit einigen Vertretern der dortigen ökumenischen Gemeinde zu besprechen, wie die Objekte in ihrem Gemeindezentrum, die ich vor fast 40 Jahren anfertigte, nun erneuert werden können. Durch die Vielzahl der Möglichkeiten zerstreuen und verdichten sich meine Gedanken daran wellenweise. Es handelt sich um wichtige Gegenstände für die Gläubigen, mit denen ich entsprechend verfahren will.

DEEP CLEAN

Gestern Nachmittag besuchte mich Vandad, um mir die Ausstellungsstücke aus dem Museum für angewandte Kunst zurück zu bringen. Wie sprachen über den Fortgang von YOU & EYE: Dabei stießen wir auf ein Forschungsthema, das Entwicklungen innerhalb dieser kollektiven Arbeit betrifft: Wie wirkt sich die Zusammenarbeit mit den Schülern und den Künstlern untereinander auf ihre Arbeit aus?

In diesem Zusammenhang sprach ich das Verhalten von Trishi an, der auf einem Heimweg von hier, alle Flaschen, die am Rand der Zufahrt weggeworfen lagen, in ihrer Mitte mit aller Kraft zerschlug. Weil ich das mitbekam, räumte ich zunächst mit den Schülern alle Scherben beiseite. Bei unserem nächsten Treffen machten wir eine gründliche Reinigungsaktion in diesem Bereich und applaudierten im Halbkreis den Müllkutschern, die zufällig im Moment, als wir fertig waren, unsere Säcke direkt in ihr Müllfahrzeug warfen.

In der Folge sammelte ich dort täglich alles auf, was neu fallengelassen wurde. Eine saubere Straße entstand. Diesen Vorgang erweiterte ich nach und nach auf meinen ganzen Weg von zu Hause ins Atelier und zurück. Der Grünstreifen der Frankenallee änderte sein Aussehen auf etwa 500 Meter Länge. Müllfreie, klare Räume entstanden. Dann begann ich den alten Müll in den Sträuchern aufzuspüren. Das Projekt „Deep Clean“ begann. Ich sprach mit Passanten, Straßenkehrern, Grünpflegern, Trinkern, Schülern, Obdachlosen und mit alten Migrantinnen. Das mache ich seit etwa 4 Monaten. Langsam ändert sich das Verhalten und die Leute achten mehr auf den Raum, in dem sie sich bewegen. Ohne YOU & EYE und Trishis Gewaltaktion, gäbe es das nicht.

Arche

Übermorgen fahre ich nach Neckargemünd bei Heidelberg, wo im ökumenischen Gemeindezentrum „Arche“ mein Ensemble aus Ambo, Kreuz und Altartisch steht. Die Farben haben durch die Jahrzehnte im Sonnenlicht gelitten und sollen aufgefrischt werden. Das wird nicht ganz einfach, weil das Lindenholz farbig gebeizt und mit einer Lackschicht überzogen ist. Da kann ich nicht einfach drübermalen, ohne dass das Ganze einen anderen Charakter bekommt.

Eine Konservierung nach fast 40 Jahren, im Entwicklungsstand meiner Arbeit von damals durch mich, wäre ein Rückschritt für mich. Wenn es aber möglich wäre, meine gegenwärtige Arbeitsweise bei der Erneuerung der Skulpturen einzubringen, ergäbe sich eine gewinnbringende Aufgabe für mich. Das kommende Gespräch wird zeigen, ob ich diese Richtung einschlagen kann.

Zunächst müssten die Flächen vorsichtig abgeschliffen werden, ohne dass die geschnittenen Kerblinien darunter leiden sollten. Das könnte die Schreinerei übernehmen, mit der ich damals zusammengearbeitet habe. Mit Frottagen auf Transparentpapier würde ich dann die Linien aufnehmen, mit Tusche verstärken und in der Weise verdichten, wie ich es jetzt in der Tabosequenz mache. Die Struktur würde ich dann mit Schellack als Lasur vom Transparentpapier auf eine farbig vorbereitete, gebeizte Fläche übertragen. Die Dichte und Dunkelheit des Liniengesträuchs würde beim Kreuz zum Boden hin zunehmen. Der Gekreuzigte würde also aus der Dunkelheit auferstehen.

Breslau

Mit Anne war ich ein paar Tage, auf den Spuren meines Großvaters in Breslau. Zuvor, per Bahn, das Eintauchen in die samten graue Finsternis der polnischen Weite, in das lichtlose Dickicht und die fahlen Flächen. Die Unschärfe, die mit der Dunkelheit zunimmt, verwischte die spärlichen Szenen mit den wenigen Menschen im horizontalen Raum.

Anne recherchierte die Aufenthaltsorte der beiden Brüder, die sich gemeinsam aufgemacht hatten, zu Fuß mit dem Dommodell auf dem Karren, die ganze Welt zu bereisen. Ihre ehemaligen Adressen waren gehend zu erreichen. Das Raumgefüge, in dem sie sich bewegten, wurde lebendig. Keller, Treppenhäuser, Flussinseln, Werkstätten und immer mit dem Blick auf den Dom. So kamen sie uns näher.

Darüber hinaus bekamen wir ein Gefühl für ihre Lebensverhältnisse, aus denen ein Teil des Impulses bestand, diese Wanderung aufzunehmen. Oscar schien eher in bescheidenen bis ärmlichen Verhältnissen gelebt zu haben. Mit dem Text der Dommodellpostkarte, ging ich eine Figur vor dem Hauptportal des Domes, Wort für Wort, Schritt für Schritt.

Fluchtraum

Um den Lärm der Baustelle zu dämmen, setze ich Kopfhörer mit den paradiesischen Chören von Palästrina auf. Sie sind mein Fluchtraum. Auch am Mainufer, wo wir gestern einen Spaziergang machen wollten, erzeugte die Fanmeile der Fussball-EM sehr viel Lautstärke. Das Stadtgebiet war durchlärmt und mit Menschenmassen angefüllt.

Mit Anne begebe ich mich morgen auf die Spuren der Fitznerbrüder in Breslau. Vielleicht finden wir ihr Wohnhaus oder die Werkstatt, in der sie das Modell des Breslauer Doms im Maßstab 1:33,3 gebaut haben. Ich gebe mich der Stadtführerschaft meiner Tochter anheim…

In den Buchmalereien der letzten Tage treten wieder Figuren auf. Mich reizt es, sie in das Geschehen auf Rolle 11 einzufügen. Was mich daran hindert, ist eine schöpferische Müdigkeit, die meinen Arbeitsrhythmus unterbricht.

Tabo Berlin Breslau

Vor mir auf dem Arbeitstisch, der aus der aufgebockten Kraftfeldform und einer Pappauflage besteht, steht aufrecht Rolle 11. Der Ausschnitt zeigt 20 gefüllte Umrissformen, die das Ergebnis der TABOSEQUENZ 2 sind. Gestern zeichnete ich sie fertig und fand damit eine Zäsur.

Von den Handschriftfragmenten ist nicht viel geblieben. Deswegen werde ich Teile der Texte meines Interviews zum Bau des Palastes der Republik noch einmal handschriftlich auf die Linienstruktur aus Tabo legen. Vielleicht ist das der Beginn der TABOSEQUENZ 3, die sich dann mit dem HANDPRINT BERLIN verbinden kann.

Aber in der kommenden Woche fahre ich erst einmal mit Anne nach Breslau. Ich überlege, ob ich dort mit den Textgangexperimenten beginnen sollte. Dafür würde ich das GPS-Gerät mitnehmen und den Text, den die Breslaubrüder auf die Postkarte drucken ließen, auf der ihre Portraits und das von ihnen gebaute Breslauer Dommodell abgebildet sind. Draußen vor dem Atelier versuchte ich Worte davon mit meinem Gang zu verbinden. Das ging ganz gut. Es ist eine Form, diese Inhalte mit dem Körper aufzunehmen.

Aushub

Durch die Reduktion auf eine Umrisszeile aus 15 Figuren und deren Füllung mit den Tabolinienverdichtungen der letzten Tage, kam ich gestern sehr schnell zu einem konkreten Zwischenergebnis. Dafür rollte ich das Transparentpapier zum Durchzeichnen rückwärts auf. Im nächsten Schritt fülle ich die restlichen 4 noch leeren Umrisse mit den Handschriftfragmenten und dem Überlagerungsmaterial, das sich im Juni angesammelt hat.

Aus dem Aushub für die Abwasserleitungen habe ich Schlackenstücke, Porzellan- und schönfarbige Glasscherben und einen Blechlampenschirm gelesen, gewaschen und draußen auf einem Brett aufgereiht. Diese Zeile erzählt eine Geschichte, eine Vervollständigungserzählung von einer Tischsituation. Die unregelmäßig gebogene Glasscheibe besitzt eine dunkelgelbe Farbigkeit und auf ihrer Oberfläche befinden sich schillernde Schichten. Der emaillierte Lampenschirm ist auf seiner Oberseite grün und die weiße Unterseite weist ein Netz feiner Sprünge auf, das meinen Linienverdichtungen ähnelt.

Ähnlichkeiten bestehen auch zwischen den Hautlinien meiner Handballenabdrücke in den Buchmalereien, dem Liniennetz der Verdichtungen und den Sprüngen auf der weißen Unterseite des Lampenschirms.

Zeit-Ökonomie

Einen halben Meter unter dem Beton des Ateliervorplatzes, den die Bauarbeiter aufgesägt haben, um Abwasserrohre zu verlegen, gibt es eine Schicht mit Schieferplatten, von denen ich ein paar Stücken aus der Grabenwand gezogen habe. Vielleicht vor etwa hundert Jahren sind sie zum Dachdecken der Industriebauten von Teves benutzt worden. Das wurde dann bombardiert und zu einer Schuttlage mit Brandspuren gewalzt.

Weitere Tuscheschichten zeichnete ich auf Rolle 11 und arbeitete mich mit ihnen zurück in Richtung Gegenwart. Ich beschloss, die Umrisse der TABOSEQUENZ 1 noch einmal zu zeichnen, um sie mit den verschiedenen Materialien aus den entgegengesetzten Richtungen zu füllen. Dafür arbeitete ich gestern bis in den späteren Abend, da mir der Vormittag im Rittersaal entglitten war.

Häufig denke ich an die Zusammenhänge meiner parallel laufenden Projekte. Sie miteinander zu verbinden und zu überlagern ist einerseits ein Gebot der Zeitökonomie, bildet aber auch die Entwicklungsmethode, die von den Buchmalereien ausgeht und sie dann mit den anderen Außenimpulsen verwebt. In dieser Weise begegnen sich die Tabosequenzen, Handprint Berlin und andere Raumerkundungen mit Sprache, Bewegung und Zeichnung.

Raum und Dichte

Im Rittersaal des Deutschen Ordens, einem finsteren Ort, an dem sich die Zeit dehnt und gleichzeitig davon stielt, fand die Auswertungssitzung des diesjährigen Projektes YOU&EYE statt. Ein Lichtblick bleiben die Kollegen. Maya brachte ich ein Interview mit Stefan Selke, einem Transformationswissenschaftler mit. Er lobt die Kunst, die sich „explorativ mit dem Neuen beschäftigt“, als Partner der Wissenschaft.

Auf Rolle 11 verdichtete ich gestern stundenlang die TABOSEQUENZ 2. Während des Festhaltens an den Arbeitsschleifen, zweifelte ich an dem, was ich da tat. Allerdings siegte die Überzeugung, dass nur durch die stetige Fortführung dessen, der Raum mit der Dichte meditativer Energie gefüllt werden kann, die vor tausend Jahren zu diesen Linien führte.

Die Wiese auf der ehemaligen Schotterfläche ist deswegen so artenreich gewachsen, weil ich sie 20 Jahre lang von Brombeeren befreit und ansonsten geschützt habe. Das Experiment zur gemeinschaftlichen Müllvermeidung auf dem Grünstreifen der Frankenallee gelingt nur, wenn ich stetig, ohne nachzulassen, über einen langen Zeitraum, fallen gelassenen Müll aufsammle.

Tabosequenz 2

Anstatt gleich an der Tabosequenz 2 weiter zu arbeiten, legte ich eine Pause ein, um den nächsten Arbeitsschritt zu überdenken. Danach sieht es nun so aus, dass die Tabolinien noch einmal weiter hinten auf dem Zeitstrahl von Rolle 11 eingefügt werden. So kann ich sie im Rückwärtsrollen durchzeichnend verdichten und dann in die Umrisse aus der ersten Sequenz damit zu füllen. Die andere Möglichkeit, mit den Umrissen der Buchmalereien weiter zu zeichnen, habe ich verworfen. Dieser Vorgang hätte mich aus der Konzentration auf die Linien herausgebracht.

Peter van Ham, wir versuchen uns seit längerem zu verabreden, hat mich zu einer Ausstellung eingeladen. Große Tabo – Fotografien von ihm zusammen mit meiner Arbeit. Das wäre natürlich eine Ehre für mich… Es gibt eine Kuratorin, die meine Arbeit kennt und schätzt und diese Ausstellung einrichten wird.

Die Buchmalereien verhalten sich abwartend, vorsichtig tastend, leise und unabhängig heute. Nur ein Handballenabdruck mit einem Indisch Rot reicht für ein starkes Gewicht innerhalb der Kompositionen.

Fortführung der Tabosequenz

Die Umrisse der Leerstellen zwischen den dichten Linienbündeln am vorläufigen Ende der Tabosequenz, vom Mai dieses Jahres, nahm ich wieder auf. Ich zeichnete sie auf Rolle 11 einmal in Richtung des Zeitstrahles und einmal, oben drüber, in Gegenrichtung, dass eine Zeitkontinuität in diesem Fall von vornherein aufgehoben ist.

Mit einem weißen Bogen Papier, den ich mit einrollte, reduzierte ich das durchscheinende, vorgelagerte Material auf den handschriftlichen Text, den ich auf die Tabolinienzeilen geschrieben habe. Da ich ihn auf der Hinterseite der Rolle in die Umrisse durchzeichne, beschäftige ich mich mit meiner seitenverkehrten Handschrift. Ich brenne darauf, das alles schnell zu verdichten, damit ich bald neue kraftvolle Figurationen zur Hand habe.

Gestern buchten wir Fahrkarten für eine Reise nach Breslau. Ich werde dort mit Anne zwei Tage verbringen. Sie möchte für ein Projekt über die Fitznerbrüder recherchieren. Mich interessiert ihre Arbeitsweise mehr, als das Thema.

Traum

Beim Sichten des Materials, das ich in Alchi und Tabo gesammelt hatte, also Aufzeichnungen, Skizzen, Buchmalereien und Fotografien, lassen sich weitere Schichten und Dimensionen im Zusammenspiel der verschiedenen Dokumentationen und Verarbeitungen erkennen. Peter van Ham hatte seinen Besuch gestern kurzfristig und nachvollziehbar verschoben, so dass ich Zeit hatte alles in Ruhe zu studieren. Der zweite und dritte Blick auf die Ebenen, führt dann weiter zu den Collagen und auf die Linienverdichtungen auf Rolle 11. Gerade diese will ich noch einmal mit verschiedenen Arbeitsschritten untersuchen.

In der Nacht sah ich in einem Traum in der Ferne mein Atelier lichterloh brennen. Ich wachte auf, während ich darauf zu rannte, begriff aber nicht gleich, dass es das Ende eines Traumes war. Die Erleichterung stieg nur langsam in mir auf.

In der letzten Arbeitsstunde widmete ich mich gestern einer lästigen Arbeit, die immer nach einer Reise ansteht. Ich scannte einen Teil der Buchmalereien, die ich in Karins Garten in La Muela gemacht hatte. Die zweite Hälfte ist heute dran.

Zukunftsschichten

Geografische Schichten auf der Berliner Insel zwischen den Spreearmen reichen bis in die ferne Zukunft, die in Annes Roman HINTER DEN MAUERN DER OZEAN aufscheint. Die gesicherten Wege ihrer Protagonisten werde auch ich im HANDPRINT BERLIN begehen.

Gestern nahm ich mir Zeit für Kommunikation. Mit Anne sprach ich über unsere Reise nach Breslau, Frau Schnabel erzählte ich von meiner aktuellen Arbeit und mit dem Ökumenischen Zentrum ARCHE habe ich einen vor Ort Termin in Neckargemünd, an dem ich mir meine fast 40 Jahre alten Kunstwerke ansehen werde, die etwas im Licht gelitten haben und deswegen restauriert werden müssen.

Heute Abend besucht mich Peter van Ham, der die schönen Fotobücher von Alchi und Tabo gemacht hat. Ich möchte ihm meine Arbeit zu den Tabolinien zeigen. In den heutigen Collagen spielen sie als Handschriftpartikel eine Rolle. Bei meiner Beobachtung dieser Arbeit, sind mir die Collagen etwas aus dem Blickwinkel geraten. Dabei sind die Verdichtungen der Linien aus Tabo auf Rolle 11 durchaus präsent, wenn auch nicht bestimmend.

Halluzination

Verschriftlichte Texte, die ich gesprochen habe und die sich in der Ausstellung „Hin und weg.“ befinden, übertrug ich gestern handschriftlich auf Rolle 11, indem ich die Tabolinien als Zeilenstruktur aufnahm. Mit gesetzten Typen erzeugt die etwas schnodderige und lückenhafte Sprache eine größere Verfremdung, als wenn ich sie mir wieder mit meiner Handschrift zurückhole.

Mittlerweile bin ich mir fast sicher, dass die Linien in Tabo aus halluzinogen – visuellen Erfahrungen meditierender und fastender Mönche stammen. Abstrakte Figurationen sehr alter Felsmalereien, schamanistischen Ursprungs weisen ähnliche Strukturen auf und sind Visualisierungen von Trancezuständen.

Die Kollision mit den Texten zum Palast der Republik könnte man auf den ersten Blick als willkürlich bezeichnen. Aber der die Mischung aus logistischer Konzentration beim Bau, Ideologie, Ablehnung dessen und Zwiespältigkeit in dieser geografisch aufgeladenen Situation, schafft auch Energien aus einer konsequenten, konzentrierten und kontinuierlichen Beschäftigung mit dieser Konstellation.

Zwiespältige Offenheit und elegante Form

In zwei Wochen im schönen Haus und stillen, anmutigen Garten von Karin in La Muela, haben die Buchmalereien zu einem versöhnlichen und sanften Ton gefunden. Heute aber, angekommen in meinem Garten, im Chaos meines Ateliers, hat sich das abrupt verloren.

Ich habe den Bewegungen, die aus meinem Körper über Schulter und Arm in die Hand übertragen werden, freien Lauf gelassen. Die Zwischenräume, die von den Konturlinien eingrenzend geformt werden, transportierte ich mit dem feuchten Handkantenballen von einem in das andere Format. Ihr Eigenleben habe ich nicht weiter ausformuliert oder eingeengt. So behielten sie eine zwiespältige Offenheit.

Auf dem Weg ins Atelier holte ich ein Paket im Kiosk auf der Frankenallee ab. Es war eine Sendung vom Humboldt Forum mit dem Belegexemplar der Publikation HIN UND WEG zur Ausstellung „Hin und weg.“. Auf der Seite 135 ist ein Ausschnitt von Rolle 10 als fünfte von fünf Erinnerungsstücken abgebildet. In zwei Texten darunter, wird beschrieben worum es mir ging. Der Hinweis auf den Zusammenhang meiner Stasiakte mit meinen Mentor und dem Porzellanrelief, ist eine hintergründige Information, die dem Schreiben zwischen den Zeilen in der DDR ähnelt. Dies führt manchmal zu eleganten Formen, wie in diesem Fall.

Zeitklang

In der ersten Malerei von heute, ließ ich die Dopplungen, die durch die Handkantenabdrücke entstehen, sichtbar. Das geht mit den Unsicherheiten bei der Zeitvorstellung einher, die mich beschäftigen. Die parallel laufenden Ereignisse in leicht abgewandelten Formen, verwachsen mit anderen Gestalten. Das Wabern der verwischten Gegenstände auf dem Papier, des Lichts das in das Atelier tritt und die Töne der Renaissancechöre, die aus meinem Lautsprecher kommen, benötigen keine zeitinterpretatorischen Drehungen. Sie stehen für sich und klingen zusammen.

Die zweite Malerei begann ich mit den aufrechten Parallellinien-Strukturen der Schraubengewindegravur, die ich durch Schraffuren sichtbar machte. Die folgen den Bewegungsrichtungen eines Krampfes in der rechten Hand, dessen Sehnenverkürzung die Finger nach innen, zum Körper hin zeigen lassen.

In „3“ stilisierte ich diese Zeigerichtungsschraffur durch einzelne Linien, die die Hauptrichtungen anzeigen. Figurenanmutungen werden in allen 3 Kleinformaten nicht vermieden, aber auch nicht gesucht. Sie tauchen einfach auf und verschwinden manchmal wieder in den weichen Farbverläufen, die durch rhythmisches Schlagen mit der geballten Handkante auf die feuchte Fläche entstehen.

Konzepte und Malvorgänge

Meinen zweiten Atelierschlüssel gab ich einer Nachbarin, damit sie sich um meine Pflanzen und das Gärtchen kümmert. Es herrscht eine gute Stimmung auf dem Gelände. Für die weitere konzeptionelle Ausrichtung der Zusammenarbeit hat sich die AG 4.1 gebildet. Dabei geht es darum, die Funktion des Geländes als kulturelles Zentrum für die Zukunft zu festigen.

Meine Arbeit konzentriere ich ganz auf die Buchmalereien und die daraus entstehenden Collagen. In der zweiten Malerei von heute ließ ich ganz rechts einen Profilkopf mit einer Strauch – Turm – Frisur zu, der von dort aus auf die Mitte der Szene blickt. Dort geht es aber ganz vage zu. Eine grüne Umrisslinie hält das Geheimnis ihrer Vollständigkeit aufrecht. Auf ihrem Areal formiert sich aber schon eine weitere Figur und wartet auf die Zutaten für ihre Konkretion.

Die erste Malerei scheint eher einem Aquarium entnommen zu sein. Fremde Geschöpfe, Strukturen meiner Handballenabdrücke und die parallelen, hellen Furchen der Schraubengänge treffen auf blaues Leuchten in einem ocker-orangefarbenen Nebel. In 3 bricht dagegen eine Ordnung auf oder zusammen, das ist nicht ganz klar. Linien behaupten ihre Klarheit im Gewirbel der Reaktionen warmer Verläufe mit kalten Strichen. Ganz fremd ist die linke Seite. Ich muss mich zwingen, sie nicht mit Wasser und meiner Hand auszulöschen.

Langzeitprojekte

Die Langzeitprojekte, die meistens Zwischenstadien erzeugen, eigentlich erst mit dem Tod enden und eher den Prozess abbilden als zu Ergebnissen zu kommen, sind das, was sich in meinen letzten Arbeitsjahrzehnten, als die mir eigene Arbeitsweise, herausgebildet hat.

So ist es mit den Transparentpapierrollen. Sie sind zwar nach 50 Metern Aneinanderreihung von Zeichnungen an ihrem Ende angelangt, dann kommt aber gleich die nächste Rolle. Die zeichnerisch aufeinander folgenden Ereignisse zeigen das Fließen, für das wir den Begriff Zeit verwenden.

Die Buchmalereien werfen Fragen auf. Es ist, als würden sich die abstrakten Figurationen unterhalten und Lösungen suchen. Vielleicht geht es dabei um die Möglichkeit des Wachstums in eine Gegenständlichkeit. Wie im Frühstadium des Zellwachstums, muss erst noch die Form des Zusammenspiels gefunden werden. Es ist vieles möglich in dieser Phase, was an sich schon beglückend ist.

Zielorientierungskonglomerate

Einer Einladung in die Mechanische Arena des Humboldt Forums, die ich gestern bekam, kann ich leider nicht folgen, weil der Termin mitten in unserem lange geplanten Urlaub liegt. Ich sollte über meine Rolle 10 und über ein weiteres Objekt sprechen. Vielleicht lässt sich ja ein späterer Termin finden, an dem ich auch über meine gegenwärtigen Arbeitsschritte sprechen kann.

Die Tabolinien denke ich mir als ein Muster, in das die Zeilen meiner Texte, die in der Ausstellung vorkommen, eingefügt werden. Vielleicht können die Linien wie eine Formel oder eine allgemeingültige Struktur funktionieren, die Material aufnimmt, das aus verschiedenen Welten, so wie der Quantenmechanik und der Gravitation stammt.

Über Kolkata schrieb ich 2010, dass die Menschenmassen nur Statisterie seien in der Inszenierung sich verdichtender Blöcke von Zielorientierungskonglomeraten. Dann ging es um das Sichtbarmachen solcher Verdichtungen durch das Übereinanderlegen von gelaufenen GPS-Händen. Im Shivatempel dieser energetischen Stadt arbeitet der Großvater von Trichi, der an meinem YOU&EYE Kurs teilnahm.

Im Garten der Zufriedenheit

Die Ausstellung die wir gestern im Museum für Angewandte Kunst sahen, trug den Titel „Im Garten der Zufriedenheit“. Zu sehen waren chinesische Tuschmalereien in zarter Kolorierung. Von ihnen sind meine heutigen Buchmalereien beeinflusst.

Für diese Woche nahm ich mir vor, weniger zu arbeiten. Die stetige Beschäftigung mit Form, Raum, Struktur und Farbe, lässt die Gestaltungskraft an Grenzen stoßen. Gerade war ich schon mit der Schere in den Gärten, um den Zugang zu spannenden Blühpflanzen leichter zu machen. Auf der Wiese öffnen sich die Samenkugeln des Riesenbocksbarts, der aussieht, wie eine sehr große Pusteblume. Gerne würde ich davon mehr ansiedeln, weiß aber noch nicht ob meine Aussaat in Pflanzschalen gelingen wird.

In meinen Eintragungen vom 03.06. 2010 lese ich, dass ich mich damals mit Musikkomposition aus gewanderten Ringen beschäftigt habe. Aus den Linien sollte ein Kompositionsprogramm Noten erstellen. Leider habe ich das nicht weiterverfolgt. Wahrscheinlich fehlte mir ein Spezialist, wie Karl Kliem.

Vor der Natur

Auf Rolle 11 übertrug ich den Umriss der dritten Buchmalerei von gestern. Durch den Rückblick in das Jahr 2010 verändern sich die Motive. die Umrisse werden härter und die stärkeren Kontraste bündeln die Kraft. Gleichzeitig aber kommen auch weiche neue Gestaltungsweisen auf. Zwischen den senkrechten Schraubengwindeabdrücken bilden Tuschepinselspuren neue Figuren.

Vor mir liegt nun eine Pause, die ich mir noch gar nicht vorstellen kann. Zwar nehme ich meine Tagebuchutensilien mit auf Reisen, bin dann aber von meinem Blog und der Weiterarbeit an der Transparentpapierrolle abgekoppelt. Schon in der kommenden Woche möchte ich eher das Atelieraufräumen und andere Arbeiten machen, als meine Projekte weiterentwickeln.

Immer wieder denke ich an das Gehen mit dem Text oder an das Schreiben im Gehen. Dabei muss ich an eine Geschichte unseres Vermieters in Heidelberg denken. Er sprach von seinem Vater, der zwar ein Steinmetz war wie er, aber auch ein Naturlyriker. Er schrieb auf einem Bauchladen im Wald, den er durchstreifte, seine Gedichte. Das erinnert mich an mein Aquarellieren im Freien, mit dem ich Jahrzehnte lang Landschaft, Architektur und Natur besser verstehen wollte. Heute geht es nicht mehr so sehr um die Außenwelt, sondern um das, was nicht sichtbar ist.

Elliptische Bahn

Ein blaues Herz entstand, mit schwarzen Blutgefäßen auf seiner linken Seite. Die Malereien waren heute von denen beeinflusst, die ich vor vierzehn Jahren gemacht habe. Diese alten Malereien sind ein Schatz, ebenfalls die Aufzeichnungen. Ich schrieb von gewanderten Kreisen auf dem Altkönig, dem schönsten Berg der Welt, die ich in Notenschrift umwandeln wollte, damit man sie singen kann, wie vielleicht die fremden Buchstaben, die in das weiche Gestein in Sanchi geschlagen wurden. Das würde sich ähnlich wie der Gesang der bedröhnten Polin unter dem Blätterdach der Frankenallee vorgestern anhören.

Auf Rolle 11 sollten sich nun die Schichten des Interviewtextes, der Sanchiornamente und der rätselhaften Tabolinien im Stadtplan von Berlin stapeln. Aber ich zögere, weil ich mir noch mehr Aufklärung über die Linien im Durchgang zum Hauptversammlungsraum im Kloster Tabo von Peter van Ham erhoffe. Sicher hilft es, noch einmal die Höhle der beringten Tauben im Humboldtforum näher zu betrachten.

Die Gravitation des Ortes zieht immer mehr Material an. Ich bin von dieser Kraft auch erfasst. Vieles von dem, was ich produziere, wird von da aus auf eine elliptische Bahn gezogen. Das Gewicht der Schichten, die aufeinander lasten presst auch die Steinstapel zusammen, mit denen wir 1974 aufmüpfig im Lustgarten ein Manhattanmodell auftürmten.

Verschiedene Rhythmen

In die Collagen fügte ich heute neben Handprintmaterial von Rolle 11 und den Buchmalereien von heute, auch Buchmalereien ein, die ich am 24.02. 2010 nach den Besuch von Sanchi gemacht habe und die die Texte der Beschreibung der Stupas und Tore umrahmen.

Eine bedröhnte Polin, ging gestern langsam und in unterschiedlichem Tempo auf dem Grünstreifen der Frankenallee entlang. Sie rief laute Beschimpfungen in verschiedene Richtungen des Raumes unter den Bäumen. Die Art ihrer Artikulation im Gehen interessierte mich. Schritte und Worte waren verschiedene Rhythmen, die manchmal aufeinander abgestimmt zu sein schienen und manchmal nicht. Das erzeugte eine Spannung

Ob sich der Text meines Interviews dafür eignet, ihn in die Wege zu schreiben, die ich für den Handprint Berlin gehen werde, weiß ich erst, wenn ich es probiere. Auch die Worte im Tagebuch von 2010 sind Material für ein solches Vorgehen. Sie würden die Ornamente begleiten, die ich in Sanchi aufnahm und gegebenenfalls als GPS-Spuren gehe.

Erlebnisstapel

Jetzt fand ich den Text, den ich am 24.02. 2010 über den Besuch in Sanchi geschrieben habe. Die Buchmalereien, die den Bericht einrahmen, tragen die Intensität der Erlebnisse, unterwegs auf den Indischen Strassen, in sich. Schriftgravuren, die ich dort an den Steintoren fotografiert habe, begann ich auf Transparentpapier zu übertragen. Der Umfang der Stupa dort, hat etwa die Größe von dem Platz hinter der Kopie des Steintores am Humboldt Forum.

Maya besuchte mich gestern, um gemeinsam über ein Projekt zusprechen, das mit Bewegung im Stadtraum und künstlerischem Austausch zutun hat. Wir verabredeten, das Vorgehen mit praktischen Tests zu entwickeln. Das Gehen und Sprechen spielte auch wieder eine Rolle.

Einen Handprint, den ich in Bhopal, in der Nähe von Sanchi gelaufen bin, ging ich zwischen Kartoffellastern. Transportarbeiter schleppten die Säcke von einer Ladefläche auf die andere. Während des Gangs fotografierte ich das alles. Am Nächsten Tag fuhren wir nach Bhimbekta, um die dortigen steinzeitlichen Feldmalereien anzuschauen. Diese Erlebnisschichten stapeln sich zu einem Material, das sich immer wieder neu kombiniert.

Sanchi

Auf Rolle 11 zeichnete ich eine erste Variante des HANDPRINT BERLIN, so wie er in die Stadtlandschaft eingefügt werden könnte. Das kam mir dann, für einen kürzeren Zeitraum, zu groß vor. In ostwestlicher Ausrichtung vom Alexanderplatz über die Siegessäule hinaus. Es kommt darauf an, wie viel Zeit ich habe, oder ob eine kleinere Variante, die nur die Umgebung des Humboldt Forums einbezieht, realistischer ist.

Außerdem dachte ich an meine Umrundung der großen Stupa in Sanchi im Jahr 2010 und an die Aufnahmen der Ornamentik, die auch teilweise an dem rekonstruierten Tor neben dem Schloss im Sandstein zu sehen sind. Außerdem fotografierte ich damals an den Steintoren Inschriften. Mich würde nun interessieren, wie die Kollisionen von gewanderten GPS-Ornamenten aus Sanchi mit dem Spreeufer und der Brücke aussähen. Vielleicht wäre auch die Kreisgestaltung um das Marx-Engels-Denkmal gut einbeziehbar…

Beim Abgleich der Fotografien von Sanchi mit den Tagebuchtexten, stieß ich auf sehr expressive Buchmalereien mit einem reichen Figurenarsenal, gezeichnet mit einem schwarzen Tuschepinsel und mit Aquarellstiften koloriert. Das Material ist sehr von den Erlebnissen der Indischen Städte inspiriert, überhaupt von dem ganzen spiritistischen Alltag dort.

Experimentalaufbau

Mein Handumriss beginnt nun eine wichtigere Rolle zu spielen. Er grenzt Felder in den Collagen ein und tritt in Beziehung zu den Buchmalereien. Aus diesen Arbeitsbereichen möchte ich mich nun langsam an die Berlinwanderung herantasten. Die Handprintwanderungen der vergangenen Jahrzehnte, sind einfacherer Natur gewesen. Sie waren nicht so mit Geschichte aufgeladen und folgten spontanen Eingebungen.

Ich erinnere mich an eine Stadtwanderung, die ich mit Interessenten vom Deutschen Architekturmuseum gemacht habe, in der die Schilder der Wasserversorgung, die manchmal an Laternenpfählen Hinweise fremder Art bereit halten, eine Rolle spielten. Wir lasen diese abstrakten Buchstaben-Zahlen-Folgen wie dramatische Texte.

Zunächst benötige ich einen Überblick über das Textmaterial, das ich dem Humboldt Forum für die Ausstellung „Hin und weg“ und für das Stück „Bau auf! Bau ab!“ zur Verfügung gestellt habe. Seine Verbindung mit dem Stadtraum, der von der Umrisslinie der rechten Hand definiert ist, bildet meinen Part eines Experimentalaufbaus, der noch weitere Schichten mit einschließt, die von anderen Menschen mit anderen Professionen beigesteuert werden können.

BILDBESCHREIBUNG

Wenn ich mir vornehme das Gestische in den Malereien zu reduzieren, etwas Dichte wegzunehmen, geling mir das nur schwer, wie heute. Am ehesten entsteht diese Leichtigkeit, wenn ich nicht viel Zeit habe. So bleiben die heutigen Buchmalereien etwas unentschlossen und können sich aber später auf Rolle 11 als Umrisse bewähren.

Textarbeit im Gehrhythmus oder in dem von Tanz, stelle ich mir für den neuen HANDPRINT vor. Eine geeignete Form sind sicher die Sprechgesänge des Hip Hop. Aber auch die chorische Inszenierung von Interviewauszügen, wie in „Bau auf! Bau ab!“ eignen sich für den Textgang. Vor vielen Jahren in Heidelberg, inszenierte ich mit Jan Pröhl in dieser Weise „Bildbeschreibung“ von Heiner Müller. Mit einer festgelegten Schrittfolge bewegte sich der Schauspieler um eine Stufenpyramide, auf der das Publikum saß.

Mein Interviewtext träfe im Wegenetz der Stadt auf eine Struktur, die ihn umformt. Voneinander entfernte Sätze können aufeinander treffen und neue Beziehungen eingehen, damit andere Aussagen und Inhalte entwickeln. Wenn ich mit einem bestimmten Satz an einer bestimmten Stelle in der Stadt erscheine, tritt er in Beziehung mit der Umgebung, verändert sie und sich.

Kraftfeld YOU&EYE

Für das Zusammenspiel der vielen Künstler, die sich heute aus Anlass der letzten YOU&EYE – Supervision dieser Saison, im Anna – Freud – Institut getroffen haben, habe ich angesichts der Ideenfülle wieder den Begriff Kraftfeld einfließen lassen. Mich dauert es immer wieder, dass das Potential der Zusammenarbeit meistes brach liegt.

Anke Schnabel hat mich mit ihren Worten zu meiner geschriebenen Sprache, ermutigt, den Zusammenhang zwischen Gehen und Sprechen mehr in den Focus zu nehmen. Wege, die Sätze aufnehmen, Worte, die Wege bilden und wie an Kreuzungen neue Sinnzusammenhänge entstehen. Die Sprache als Motor für HANDPRINT BERLIN, das Gehen als Motor für die Sprache von KRAFTFELD II.

Bei einem Treffen mit Maya in der kommenden Woche, soll es um ein Projekt gehen, das auch mit Bewegung im Raum zutun haben soll. Es könnte ein Testlauf für den Umgang mit neuen GPS – Gang – Strategien sein. Am späteren Nachmittag will ich dem Atelier von Franz einen Besuch abstatten.

Fortführen

Es ist schon Nachmittag. Ich bin erst jetzt ins Atelier gekommen, weil ich am Vormittag noch einmal in unserer Ausstellung im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst war und die Transparentpapiere, Reliefs und Weidengeflechte einmal in Ruhe fotografierte. Die Schüler waren mit ihren Lehrern anwesend und auch die Kollegen. Das Treffen mit ihnen ist immer das Beste bei solchen Terminen.

Wir kennen uns ja teilweise schon ganz gut durch die Supervisionen und von anderen Zusammenkünften. Manche berichten von interessanten Projekten, an denen sie arbeiten, und wir loten Gemeinsamkeiten aus, die Grundlagen für Kooperationen bilden könnten.

Immer mal gibt es auch Nachsätze zu den Ereignissen in Berlin und viel Freude darüber, was geschafft worden ist. Auf Rolle 11 möchte ich ausloten, wie ich diese Arbeit fortführen kann. Bin aber gestern nicht dazugekommen. Wenn die Vormittage belegt sind und ich erst am Nachmittag die Tagebucharbeit machen kann, fehlt mir die Energie für solche Entwicklungsarbeit. Aber mir kam der Gedanke, den HANDPRINT BERLIN mit den Tabolinien zu verbinden. Das wäre eine Kontinuität, die eine erweiternde Wirkung haben kann.

YOU&EYE im MAK Frankfurt

Gerade war die Eröffnung der Ausstellung YOU&EYE im Museum für Angewandte Kunst hier in Frankfurt. Yana Tsegay hat das ganze schön eingerichtet und Ina Hartwig hat es mit einer kleinen Rede eröffnet. Und alle Künstler, ein gut gelauntes Team, waren da, mit denen ich gerne weiter zusammenarbeiten möchte. Ich versuchte ganz praktisch Kooperationen zwischen Tanz, Zeichnung und Dichtung anzustoßen. Die Arbeiten von Sina und den Tänzerinnen haben mich sehr beeindruckt.

Sina Ahlers erzählte ich von meinen Texten die in „Bau auf! Bau ab!“ gesprochen wurden. Sie meinte, dass die chorische Wucht bei weitem nicht mit jedem Text entwickelt werden kann.

Dominique Falentin schrieb, dass während der Feiertage noch mal 2000 Besucher in unserer Ausstellung waren. Sie begleitet das Publikum der nächsten Aufführungen von „Bau auf! Bau ab!“ und will mir von den Gesprächen berichten, die sie während der Gänge von A nach B haben wird. Auch meine Arbeit an HANDPRINT BERLIN kann nun Anlass unseres weiteren Austauschs werden. Schon gestern füllte ich auf Rolle 11 einen Handabdruck mit dem stark vergrößerten Handballennetz und den anderen Gesträuchen die ich davor auf Rolle 11 zeichnete. Der Umriss liegt auf der Seite, sodass der Zeigefinger, wie in den Collagen, in die Vergangenheit weist.

Dank

Am Morgen, bevor ich ins Atelier gegangen bin, habe ich mich in einer Mail bei Anke Schnabel, „meiner“ Kuratorin im Humboldt Forum, bedankt. Ich hoffe, dass unsere Zusammenarbeit weitergeht.

Heute werde ich auf Rolle 11 beginnen, die neuen Ideen weiter zu entwickeln, bildlich nach Ansätzen und Themen zu suchen. Mein Kopf ist frei. Zu beobachten ist nun, ob sich in den Buchmalereien Entwicklungen beobachten lassen, die schon in die Richtung von KRAFTFELD II weisen. Verdichtungen der Schichten unterschiedlicher Geflechte und darüber die kreisenden Engel und Apsaras. Den HANDPRINT BERLIN könnte ich ebenfalls, wie KRAFTFELD FRANKFURT, in Ton modellieren, um dann eine Gipsform herzustellen. Das Liniengeflecht bestünde diesmal aus den gelaufenen GPS – Spuren innerhalb des Handumrisses, andererseits aber auch aus den Wanderungsspuren, die sich darin verstecken. Wieder kann das Relief mehrfach mit Pappmachè abgeformt und bemalt werden. Wie beim Väterprojekt können weitere Themen auf den Flächen erscheinen, die immer wieder auf die Wanderungsspuren im Humboldt Forum hinweisen.

Gerne hätte ich es, wenn das eine Gemeinschaftsarbeit mit mehreren Gewerken würde, wenn diese Leute mit eigenen Ideen das Projekt voranbringen würden.

HANDPRINT BERLIN – KRAFTFELD II

Das Stück „Bau auf! Bau ab!“ hat mich sehr inspiriert, neue Dinge anzugehen. Auslöser sind meine, vom Ensemble chorisch gesprochenen, Texte. Das sie diese blockhafte Stärke entwickeln können, war mir vorher nicht klar. Im Zusammenhang mit dem HANDPRINT BER LIN – KRAFTFELD II kreisen meine Gedanken um das Sprechen im Rhythmus der Schritte. Gehen, zeichnen, sehen und fotografieren, Pflaster, Fluchttunnel, hämmern, kriechen, schreien, wühlen in die Schuttschichten von Tod, Prunk und Abfall.

Die gesprochenen Sätze werden von Tieren, Panzern und Baumaschinen zusammengepresst, zerrissen und neu zusammengesetzt, wie beim Stampfen, Schlurfen, Swingen auf dem Grundriss des Palastes im Raumspiel mit Kathrinem.

Die Richtung, in der ich meine Hand auf die Stadtkarte von Berlin legen will, werde ich in Abänderung der bisherigen Handprints, gegen den Uhrzeigersinn um 45° verschwenken. Das ist die Richtung in die ich damals meine Zeichnung vom Dach des Palastes aus gemacht habe, also von Osten nach Westen. Beim Gehen könnten die Sätze, die Melina von Gagern für das Stück ausgewählt hat, zum Ausgangspunkt für eine neue Textentwicklung werden, die sich in die Linien der Stadtwanderung einschreibt.

HIN UND WEG – BAU AUF! BAU AB!

In dem Trailer zum Theaterspektakel „Bau auf! Bau ab!“ wird ein Kraftfeldtext aus meinem Interview verwendet: AN DIESER STELLE, IM ZENTRUM VON BERLIN, DAS SAG ICH DIR, DA WAR ENERGIE. DIESER BAU, SO SUSPEKT ER MIR MANCHMAL WAR – EIN KRAFTFELD. Dann der Satz aus „Der Bau“ von Heiner Müller: WARUM ZERTRÜMMERT IHR DAS FUNDAMENT? Auch im Stück waren viele Texte von mir. Sie bekamen durch Verschriftlichung und erneutem, diesmal chorischem Sprechen, mehr Wucht.

Eine andere Entwicklung von Präsenz erfuhr meine Rolle 10. Die Fotografie von ihr, die ich in die erste Collage eingefügt habe, ist von Dominique Falentin, die mich in der Zeit der Vorbereitung der Ausstellung sehr unterstützt hat. Mein zartes Transparentpapierobjekt, an einer sehr schönen Stelle des gestalteten Raums, spricht ganz leise aber stetig, gleich neben dem Gebrüll von Willi Sitte, auf seinem roten Fahnenbild. Was kann man mehr wollen?

Aus diesem Spannungsbogen heraus, beginne ich nun über HANDPRINT BERLIN – KRAFTFELD II nachzudenken. Verbindungen der GPS – Wanderung mit dem Humboldt Forum sind zunächst die vielen Wanderungsspuren, die in den Ausstellungen zu finden sind. Wenn sich ihre Umrisse mit den Figuren verbinden lassen, die ich in der Stadt laufe, ist das der Ausgangspunkt, mit dem sich die Arbeit durch verschiedene Gewerke ausweiten ließe: Soziologie, Archäologie und Geschichtsforschung beispielsweise.

Ausstellungen

Während ich gestern auf Vandad wartete, der die Arbeiten meiner Schüler für eine Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst abholen wollte, saß ich im Garten, ordnete meinen Kalender und dachte über die Ausstellung in Berlin nach. Innerhalb des erinnerungskulturellen Zusammenhangs fühle ich mich grundsätzlich an der richtigen Stelle mit meinem Stasi DADA. Und sicherlich machte ich mir noch nicht gründlich genug klar, dass die unterschiedlichen Ansätze, die Geschichte des Ortes zu erkunden, ein großer Vorteil der Veranstaltung ist. Ich sollte genau zuhören, was die Ostalgiker zu sagen haben.

Von dem Theaterstück „Bau auf! Bau ab!“ gibt es einen Trailer im Netz. Ich schaue es mir am Freitag an, wenn die Eröffnung für das Publikum ist. Aus meinem Interview, das vor einem Jahr gemacht worden ist, werden dort Fragmente mit anderen Textteilen verwendet. Auch in einer Soundinstallation innerhalb der Ausstellung sind Teile davon zu hören.

Am Müttermantel habe ich gestern weiter gehauen. Öfter denke ich, dass ich diese Skulptur alleine mit den Händen, ohne Maschinen, nur mit Hohleisen und Klüpfel, nicht schaffen werde. Aber Lust auf eine Kettensäge habe ich nicht. Auch das Dechseleisen hat sich bislang nicht bewährt.

Vorsicht, Müttermantel

Zwischen den Blättern des Gärtchens hängen Muscheln, bewegen sich leicht im Licht der Fensterreflektionen. Das Grün zittert und wedelt, die Meisen pfeifen um die Wette, Insektenschatten folgen meinen Linien auf dem Papier. Im alten, braunen Laub, das den Boden bedeckt, tarnen sich ornamentale Nachtfalter vor den wachsamen Augen der Eidechsen, denen Schönheit egal ist.

Die Morgenmalereien fertigte ich vorsichtig an, schreibe langsam. Hinter den Augen wandern die Zählreime der Bluesstrophen hin und her. Wenn die Gitarre gestimmt ist, kann ich den Song „Der Rabe Ralf“ von Christian Morgenstern singen:

„Der Rabe Ralf,

will will huhu

dem niemand half,

still still du du

half sich allein am Rabenstein…“

Einer Hebamme erzählte ich von meiner Müttermantelskulptur. Sie verstand nicht, wie ich als Mann zu diesem Thema komme. Außerdem tat sich eine Dualität auf: die Schwere des Mantels ist die Last, die eine Mutter trägt oder die, die eine Mutter ist.

Chaos, Rabe und Raum

Ineinandergreifende Chaosstrukturen werden durch die Reaktionen aufeinander, zu einer ordnenden Kraft. Diese Vorgänge finden in den Buchmalereien und im Garten statt. Die Wirkungen von Gravitation, Geist und Verwesung ziehen Situationen nach sich, durch die Wesen, Erinnerungen oder Bühnenszenen entstehen.

Mit dem Inhalt der von den Schülern geöffneten Keksrolle, füttere ich einen kleinen Raben. Wir teilen uns die Plätzchen. Gestern schon bekam er Kuchen von mir, was seinen großen, alten Konkurrenten nicht verborgen blieb. Es bedarf einer Strategie, ihn zu bevorzugen, denn ich möchte ja „meinen“ Raben hier in meiner Nähe haben.

Die Gerüste der Nachbarbaustelle, südwestlich von unserem Gelände, weisen beängstigen weit in den Himmel. Im Winter wird das Areal völlig verschattet sein. Vielleicht ist das der Beginn seines Endes, das unsere AG 4.1 verhindern will. Räume freundlich und gut bespielbar zu gestalten, hängt nicht zuletzt an den Inhalten, für die die Leute stehen, die sie beleben.

Langzeitwirkung

Unter dem Blätterschirm des Gärtchens atmen die Lichtflecken in sanften Luftwirbeln. Nach der kühlen Nacht ist das Leben der Kleintiere noch nicht richtig erwacht. Zu Himmelfahrt heute, habe ich mir einen Gartentag geschenkt. Die Baustelle ist still, die Sonne scheint und die nächsten Verabredungen sind erst am späteren Nachmittag.

Besuchs- und Sitzungstermine strengen mich mehr an als früher. Gestern die Kuratorin der YOU&EYE Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst und die Arbeitsgruppe (AG 4.1), die die Zukunft des Tevesgeländes in ihren Blick nehmen will. Nur die Geduld, mit der ich lange Strecken gehe, wird bei mir größer mit dem Alter.

Das Auflesen der Bonbonpapiere etc. auf meinen Wegen ins Atelier und zurück, also viermal am Tag, hinterlässt eine sichtbare Wirkung. Die sauber strukturierte Fläche zum Gehen und zum Schauen wird einladender. Die Menschen, die mit mir unterwegs sind, reagieren auf mein auffälliges und häufiges Tun. Aus unterschiedlichen Gründen könnten sie auch genervt sein. Für mich aber ist es ein erhebendes Gefühl, wie sich der Raum und das Verhalten in ihm verändert.

Lennie Tristano

Lennie Tristano – kein Gewässervergleich möglich, eher der einer Felsformation mit Geröllhalden und unterschiedlichen Gesteinsschichten. Sie werden durch das Gewicht manchmal zerquetscht, wie flexibles Material eines Zwischenaggregatzustandes, werden angehoben, aufgebrochen und von Frost und Regen abgetragen. Die Improvisation als Beben, Selbstbehauptung und Vision.

Mit seinen Improvisationen von 1946 bin ich am Morgen nicht zu ruhigen Bildern gekommen. Die Diagonalen verwerfen den wandernden Blick. In der ersten Malerei ließ ich sie weg und behielt an dieser Stelle eine ruhige Dualität.

Eine solche probierte ich auch, indem ich den Teil dieses Scans negativ einstellte. Den kopierte ich und fügte ihn deckungsgleich wieder in den unveränderten Scan ein. In dem Moment, wo ich die Negativschicht auf 50% Durchlässigkeit einstellte, verschwand sie in einem grauen Feld. Diese obere Schicht leicht verrückend, entsteht ein Reliefbild. Diese Technik kann ich für die Collagen der Zukunft nutzen.

Palestrina

Palestrina – seine Musik lässt sich mit einem See, geschützt zwischen Bergen, vergleichen. Er hat einige kleine Zuflüsse, Untiefen und aus ihm entspringt ein größerer Fluss, der die Klänge dem Ozean zuträgt.

Bewegungen, die heute am Vormittag auf dem Papier festgehalten wurden, sind von innen und von außen angestoßen. Die Wellen des Lichts und der Töne, der kosmischen Strahlung und der Vibrationen des Körperinneren. Figurendopplungen bilden Gegenklänge, die ein Gleichgewicht suchen.

Ich schaue auf die Malereien des Sommers 2009. Die Papiergravuren, die ich mit den hölzernen Haarnadeln gemacht habe, sind von Figuren überlagert, die mit Tusche gezeichnet wurden. Einem Mädchen aus der Hindemithschule zeigte ich die Malereien, die ich an ihrem Geburtstag, am 22.08. 2009 gemacht hatte und erzählte die Geschichte der Szenen. Sie war nur einmal bei mir, aber vielleicht merkt sie sich diesen Tag.

Monteverdi

Ein ruhiger Fluss mit Strömungen, Wirbeln und gekräuselten Flächen, die sich verschieben, aber eigene Felder auf der Wasserfläche bilden. Dieses Bild fällt mir ein, wenn ich Monteverdi höre. Mit dieser Musik stieg ich am Morgen in die Buchmalereien ein.

Rechts unten auf den heutigen Seiten, in der dritten Malerei, entstanden sich kreuzende, in das Papier gepresste Gewindegravuren. Zwischenschraffuren mit den Aquarellstiften differenzierten die Schichten. Durch die Feuchtigkeit des Handballens wurde die kompakte Farbfläche durchlässiger, und die folgenden Abdrücke in den anderen Formaten, blätterten noch einmal durchscheinender die Arbeitsgänge auf.

Indem die Buchmalereien so ihre eigene Entstehung erzählen, bilden sie aber außerdem eine Handlung ab, die aus den nicht technischen Voraussetzung eine Geschichte formt. Fragmentierte Figuren stehen einem kosmischen Geschehen gegenüber und folgen den Unschärfen der Vorgänge, deren immer wieder neue Konstellationen die Unendlichkeit andeuten. Dieser Prozess hält meine suchende Arbeit in Gang.

The Kinks

The Kinks – eine Hörreise in die Sechzigerjahre, in meine verzweifelt hoffnungslose Zeit im Gefängnis DDR. Nur die Musik konnte mich da rausholen! Nun bin ich schon länger in Freiheit als in dieser Gefangenschaft. Durch mein Gärtchen schleicht ein Fotograf mit seinem Kind, seinem geliebten Modell.

Gestern auf Rolle 11 versuchte ich den Umriss des Handballenabdrucks mit dem vorausgegangenen Material zu durchdringen. Das gelang mir nicht gut. Ich wollte dieses aggressive Gesträuch in die Struktur hineinzwingen. In der kommenden Woche mache ich einen erneuten Anlauf.

In der ersten Malerei von heute gibt es einen Abdruck meines Daumenballens. Die Liniengeflechte versuchte ich zu erweitern. Denselben Abdruck kann ich mehrmals hintereinander in unterschiedlichen Qualitäten machen. So komme ich in andere Dimensionen, Paralleluniversen, die die Hoffnungslosigkeit der Sechzigerjahre von der anderen Seite her verdoppeln und somit aufheben. Ich denke an Tanz, Malerei und Musik im Zusammenspiel.

Charaktere der Hand

Die Umrisse des Handkantenabdrucks der 2. Malerei vom 26.04. übertrug ich, stark vergrößert, auf einen Bogen Transparentpapier. Es handelt sich um ein stacheliges, zweidimensionales Gesträuch, um eine aggressive Sperre, die nicht durchdrungen werden will. Wenn ich sie auf Rolle 11 übertrage, wird sie aber dem Schicksal der Durchdringung und Verflechtung nicht entgehen.

Einen anderen Charakter besitzt der Abdruck des Daumenballens. Eine Arthrose, die ich mir dort durch Bildhauerei zugezogen habe, veränderte den Muskel, wodurch hier die Haut parallel laufende Faltenstrukturen bildet. Diese Linien laden zu ihrer Erweiterung und architektonischen Weiterverwendung ein. Dort wächst dann eine Architektur, wie in der 2. Malerei von heute.

Durch die Benutzung des Füllers als Zeichengerät, schleichen sich fragmentarische Figuren ein, die durch die angedeuteten Umrisse von Strukturfeldern entstehen. In die Verwischungen, die ich vor genau 10 Jahren in den Buchmalereien gemacht habe, zeichnete ich schon damals konstruktive, gerade Linien, deren Ursprung auch in den Handabdrücken zu finden ist.

Übergänge und Wandlungen

Die Linien meiner rechten Hand, insbesondere die der Handkante und des Daumenballens, mit denen ich Farbabdrücke mache, bilden nicht nur verschiedenen Richtungen ab, sondern tragen auch eigene Stimmungen in sich. Das tritt zutage, wenn ich die Kompositionen mit den Stiften erweitere, verdeutliche und dadurch unterschiedlich dynamische Tendenzen abbilde. Diese Energie kann sich in tänzerische Bewegung wandeln oder sich in Schichten ablagern.

Andererseits kann ich mit ihnen Verbindungen zu anderen Dimensionen eingehen, wie den Tabolinien, Architekturen aufbauen, aber auch Zeiträume auf Rolle 11 erkunden. Lassen sich auch die Tabolinien tanzen? Haben die Tanzfeste in den Vorhöfen der Klöster im Himalaja etwas mit den Übergangslinien im Durchgang zum Gebetsraum, die den Eintritt in eine andere Dimension anzeigen, zutun?

Viele dieser Gestaltungen und Möglichkeiten befinden sich in den heutigen Malereien. Sie lassen sich erweitern, kombinieren, fragmentieren und als Umrisse auf Rolle 11 übertragen. Während des Schreibens zeichnete ich an den Motiven mit dem Füller weiter. Der Übergang vom Schreiben zum Zeichnen und zurück war fließend und selbstverständlich.

Eingeschlossen im Klang

Was unsichtbar und von mir nicht zu spüren, in mir und neben mir wohnt, hat dennoch einen Einfluss auf mich. Das Wissen um kosmische Teilchen, die meinen Körper durchdringen, verändert mein Denken. Es treibt auch das Zeichnerische in den Malereien an, dessen Richtungen einem unendlichen Raum entspringen. Dieser Gedanke erzeugt eine Energie, die mich in Bewegung versetzt, und die Stimmen der Bauarbeiter verwandeln sich in Stasi DADA.

Die Linien des Handballens treffen auf die Gewindegravuren, reagieren mit ihnen und entwickeln daraus eine Tabolinienstruktur. Die Schreie der Gerüstbauer, Gesänge der Mönche, startende Flugzeuge und die lärmenden Aggregate, die die Kanäle im Untergrund reinigen, sind der Klang, in den die Malereien eingeschlossen sind.

Eigentlich müssten die Mauersegler schon da sein. Stattdessen kriechen die Mauereidechsen aus ihren Ritzen, wo sie sich scheu, bei jeder Bewegung wieder verstecken. Unterbrochen von Auslegerschwenks der Kräne, die Bretterbündel über die Dachkanten hieven, wärmt Licht meine Wangen im Gärtchen, wo ich schreibe.

Gartenschere, Farbkomposition, Zeitpfeil

Auch im Gärtchen vor dem Atelier versuche ich die Gesträuche zu verdichten. Ich stellte weitere Pflanzen nach draußen zwischen die Bäume, die auf dem flachen Stück Erde über dem Beton wachsen. Mit der Gartenschere allerdings, lichte ich die Brombeergesträuche am Bahndamm, um eine Aufenthaltsqualität für unsere Gäste und für uns zu erhalten und meiner Seele etwas Ausgleich zu verschaffen.

In der ersten Malerei entstand heute eine Farbigkeit, die tastend versuchte, den Klang zu treffen, der mit vorschwebt, wenn ich an eine ideale Farbkomposition denke. Auch die Leichtigkeit, die dazugehört, klingt an. In der Kleinheit des Bildes steckt dennoch differenzierte Emotion.

Heute will ich an Rolle 11 weiter arbeiten. Den rückwärts gerichteten Zeitpfeil werde ich bald wieder herumdrehen, weil sich in der 2. Stufe der Verdichtung derzeit nur erwartbare Strukturen ergeben. In der 2. Malerei vom 26.04. gibt es ein kleines Stück Handballenabdruck mit deutlichen dunklen Linien. Das möchte ich vergrößern und auf der Rolle einen weiteren Bezug zu den Tabolinien herstellen.

Dunkle Schichten

Heute stehen in den Malereien die verschiedenen Zeichen in einer offenen Situation. Es sind einzeln erkennbare Ausdeutungen meiner Handballenlinien in ihrer Verwandtschaft mit den Tabolinien. So reduziert, bekommt das Material eine deutlich strengere Note.

Chunqing erzählte heute in der Zusammenkunft der teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler des YOU&EYE – Projektes eine Geschichte, die uns allen unter die Haut ging. Ein Schüler, der seine Tuschepinsel auswaschen sollte, bespritzte eines der Werke, die im Atelier hängend auf eine Ausstellung warten, mit der Restfarbe aus seinen Malgeräten. Er wedelte die Pinsel mit der Tusche vor dem Bild aus. Es handelt sich bei der Reihe, um eine Serie, die sich insbesondere mit dem Weiß des Papiers auseinandersetzt. Ein Anschlag, der unser aller Entsetzen auslöste. Ich weiß nicht, ob wir dieser Kultur unsere Ateliers öffnen dürfen.

Auf Rolle 11 bin ich in die 2. Stufe der Verdichtung gegangen. Es handelt sich dabei um das Durchzeichnen der Tuschfederstrukturen beim Rückwärtsrollen. Während der 3. Stufe rolle ich den Streifen dieser intensiven Schichtungen wieder zurück und füge so eine weitere, noch dunklere Schicht hinzu.

Drehen des Zeitpfeils

Gestern drehte ich den Zeitpfeil auf Rolle 11, wodurch sich die Zeichnungen von gestern mit den vorigen im Rückwärtsrollen überlagerten. Je länger ich die Szenen in dieser entgegengesetzten Richtung durchzeichne, umso inflationärer wird die Verdichtung. Diese Geschwindigkeit nimmt noch einmal zu, wenn ich die Richtung wieder auf die Gegenwart zu wechsele.

Mit der Zunahme der Verdichtungsgeschwindigkeit komme ich aber immer langsamer vorwärts. Die absolute, nicht mehr steigerbare Dichte, also das Schwarz, entsteht, wenn ich auf der Stelle trete. Am selben Ort immer weiter zeichnend, beginnt eine andere Dimension zu wachsen.

Die Überlagerung verschiedener Handlungen entspringt dem erlebbaren Alltag. Unterschiedliche Schwingungen oder Wellen treffen aufeinander und bilden Interferenzen. Eine Schnur, mit der ich einen Essigbaum an einen Ziegelstein band, ihn somit in Richtung des Bodens bog, ist gespannt, wie eine Saite. Wenn ich sie anschlage, so vibriert der Baum mit seinen neuen Ästen, die aus dem gebogenen Stamm nach oben wachsen.

Kontrapunkt

Mich auf den gestrigen Gedanken zur „Kunst der Fuge“ verlassend, begann ich den Transparentpapierstreifen mit der Umrisslinie der zweiten Buchmalerei von gestern zu versehen. Um die Kompositionen der Durchzeichnungen innerhalb der Umrisse zu verändern, habe ich die Möglichkeit der Rolle rückwärts, der Gegenbewegung auf dem Zeitstrahl. Es reicht eine kurze Strecke zurück auf dem Streifen, um einen Akzent der Rückbesinnung zu setzen oder einen Kontrapunkt.

Von einer Variante dieser Kompositionstechnik ging ich auch bei der Anfertigung der heutigen Buchmalereien aus. Die parallel laufenden Gewindegravuren, kreuzen sich in verschiedenen Winkeln und schaffen dadurch klingende Überlagerungen, beschreiben vielstimmige Gesänge, wie sie in der Chormusik Palestrinis zu hören sind, oder in der „Kunst der Fuge“ zwischen den Buchdeckeln.

Wirbelnd suchende Bewegungen treffen auf geradlinige Schraffuren, finden aber keine Konkretionen oder Gegenständlichkeiten. Nur die Abdrücke eines Lavasteines sind der sichtbaren Welt entliehen und bilden einen Ankerpunkt im kosmischen Gesang. Die Rückgriffe auf alte Zeichentechniken und die veränderte Weise, in der sie wieder auftreten, war auch in einem Gespräch mit Franz, der mich gestern besuchte, Thema.

Gegensatzpaare

Wenn sich in den Schichten der Buchmalereien chaotische und ordnende Strukturen abwechseln, ist das auf das Ziel zurückzuführen, das Gegensatzpaar zusammenzufügen. Im Idealfall fände die Überlagerung so statt, dass sich gegenseitig auslöschten, wie die Gegenfarben auf dem Farbkreis, wenn sie sich durch gleichstarke Lasuren übereinander neutralisieren.

Ein ähnliches Spiel läuft zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion ab. Beide gehen ineinander über, kämpfen aber auch manchmal um die Vorherrschaft. Die erscheinenden Figuren sind mir manchmal nicht ganz geheuer und bei ihrem Auftreten oft etwas banal. Das kann nur mit der Gegenbewegung, die das allzu deutliche Geschehen wieder fragmentiert, behoben werden.

Mehrere Tage habe ich jetzt an Rolle 11 nicht weitergearbeitet. Das hat Gründe in der schwächer werdenden Spannung innerhalb des kontinuierlichen Kompositionsstreifens. Die Pause dient dazu, dem durch das Nachdenken über andere Mittel, Abhilfe zu schaffen. Nach diesem Satz trug ich das Tagebuch, in dessen aufgeschlagenem Zustand der längliche Lautsprecher lag, aus dem die „Kunst der Fuge“ kam, zum Scanner. Und ich überlege nun, ob ich in Anlehnung an dieses Musikstück, die Arbeit auf dem Transparentpapier besser fortsetzen kann.