Dunkle Schichten

Heute stehen in den Malereien die verschiedenen Zeichen in einer offenen Situation. Es sind einzeln erkennbare Ausdeutungen meiner Handballenlinien in ihrer Verwandtschaft mit den Tabolinien. So reduziert, bekommt das Material eine deutlich strengere Note.

Chunqing erzählte heute in der Zusammenkunft der teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler des YOU&EYE – Projektes eine Geschichte, die uns allen unter die Haut ging. Ein Schüler, der seine Tuschepinsel auswaschen sollte, bespritzte eines der Werke, die im Atelier hängend auf eine Ausstellung warten, mit der Restfarbe aus seinen Malgeräten. Er wedelte die Pinsel mit der Tusche vor dem Bild aus. Es handelt sich bei der Reihe, um eine Serie, die sich insbesondere mit dem Weiß des Papiers auseinandersetzt. Ein Anschlag, der unser aller Entsetzen auslöste. Ich weiß nicht, ob wir dieser Kultur unsere Ateliers öffnen dürfen.

Auf Rolle 11 bin ich in die 2. Stufe der Verdichtung gegangen. Es handelt sich dabei um das Durchzeichnen der Tuschfederstrukturen beim Rückwärtsrollen. Während der 3. Stufe rolle ich den Streifen dieser intensiven Schichtungen wieder zurück und füge so eine weitere, noch dunklere Schicht hinzu.

Drehen des Zeitpfeils

Gestern drehte ich den Zeitpfeil auf Rolle 11, wodurch sich die Zeichnungen von gestern mit den vorigen im Rückwärtsrollen überlagerten. Je länger ich die Szenen in dieser entgegengesetzten Richtung durchzeichne, umso inflationärer wird die Verdichtung. Diese Geschwindigkeit nimmt noch einmal zu, wenn ich die Richtung wieder auf die Gegenwart zu wechsele.

Mit der Zunahme der Verdichtungsgeschwindigkeit komme ich aber immer langsamer vorwärts. Die absolute, nicht mehr steigerbare Dichte, also das Schwarz, entsteht, wenn ich auf der Stelle trete. Am selben Ort immer weiter zeichnend, beginnt eine andere Dimension zu wachsen.

Die Überlagerung verschiedener Handlungen entspringt dem erlebbaren Alltag. Unterschiedliche Schwingungen oder Wellen treffen aufeinander und bilden Interferenzen. Eine Schnur, mit der ich einen Essigbaum an einen Ziegelstein band, ihn somit in Richtung des Bodens bog, ist gespannt, wie eine Saite. Wenn ich sie anschlage, so vibriert der Baum mit seinen neuen Ästen, die aus dem gebogenen Stamm nach oben wachsen.

Kontrapunkt

Mich auf den gestrigen Gedanken zur „Kunst der Fuge“ verlassend, begann ich den Transparentpapierstreifen mit der Umrisslinie der zweiten Buchmalerei von gestern zu versehen. Um die Kompositionen der Durchzeichnungen innerhalb der Umrisse zu verändern, habe ich die Möglichkeit der Rolle rückwärts, der Gegenbewegung auf dem Zeitstrahl. Es reicht eine kurze Strecke zurück auf dem Streifen, um einen Akzent der Rückbesinnung zu setzen oder einen Kontrapunkt.

Von einer Variante dieser Kompositionstechnik ging ich auch bei der Anfertigung der heutigen Buchmalereien aus. Die parallel laufenden Gewindegravuren, kreuzen sich in verschiedenen Winkeln und schaffen dadurch klingende Überlagerungen, beschreiben vielstimmige Gesänge, wie sie in der Chormusik Palestrinis zu hören sind, oder in der „Kunst der Fuge“ zwischen den Buchdeckeln.

Wirbelnd suchende Bewegungen treffen auf geradlinige Schraffuren, finden aber keine Konkretionen oder Gegenständlichkeiten. Nur die Abdrücke eines Lavasteines sind der sichtbaren Welt entliehen und bilden einen Ankerpunkt im kosmischen Gesang. Die Rückgriffe auf alte Zeichentechniken und die veränderte Weise, in der sie wieder auftreten, war auch in einem Gespräch mit Franz, der mich gestern besuchte, Thema.

Gegensatzpaare

Wenn sich in den Schichten der Buchmalereien chaotische und ordnende Strukturen abwechseln, ist das auf das Ziel zurückzuführen, das Gegensatzpaar zusammenzufügen. Im Idealfall fände die Überlagerung so statt, dass sich gegenseitig auslöschten, wie die Gegenfarben auf dem Farbkreis, wenn sie sich durch gleichstarke Lasuren übereinander neutralisieren.

Ein ähnliches Spiel läuft zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion ab. Beide gehen ineinander über, kämpfen aber auch manchmal um die Vorherrschaft. Die erscheinenden Figuren sind mir manchmal nicht ganz geheuer und bei ihrem Auftreten oft etwas banal. Das kann nur mit der Gegenbewegung, die das allzu deutliche Geschehen wieder fragmentiert, behoben werden.

Mehrere Tage habe ich jetzt an Rolle 11 nicht weitergearbeitet. Das hat Gründe in der schwächer werdenden Spannung innerhalb des kontinuierlichen Kompositionsstreifens. Die Pause dient dazu, dem durch das Nachdenken über andere Mittel, Abhilfe zu schaffen. Nach diesem Satz trug ich das Tagebuch, in dessen aufgeschlagenem Zustand der längliche Lautsprecher lag, aus dem die „Kunst der Fuge“ kam, zum Scanner. Und ich überlege nun, ob ich in Anlehnung an dieses Musikstück, die Arbeit auf dem Transparentpapier besser fortsetzen kann.

Skulpturales Zeichnen

Größere Umrisslinien in den Buchmalereien ergeben oft Mantelfiguren, Erscheinungen aus märchenhaften Erzählungen aus dem Orient. Zauberer, Händler und die strengen Sprecher der Herrschenden. Ihnen stehen abstrakte, sperrige Konstrukte gegenüber, die aus einer zerborstenen Architektur hervortreten. Ordnende Linien finden sich eher im Untergrund, über dem sich das Chaos stapelt. Der Versuch, es zu bändigen, bleibt auf halber Strecke stecken.

Immer wieder wirbelt die suchende Hand mit den farbigen Aquarellstiften über die schon bestehenden Liniengeflechte, um irgendwann eine Konkretisierung entstehen zu lassen. Es ähnelt skulpturaler Arbeit mit Schlagrichtungen, Spänen und der, im Holz verborgenen, Figur. Die leichten, fliegenden Holzstücke bilden auf dem Boden wieder Konstellationen, die an Gegenstände erinnern. Ich fege sie zusammen und streue sie in den Garten.

Auch das Schraubengewinde, mit dem ich die parallel laufenden Linien in die Seiten grabe, zerfasert das Holz mit dem ich es hin und her rollend in die Flächen drücke. Schichten aufbauen und abschleifen, neu stapeln und schauen, was übrig bleibt. So sieht meine Recherche in meinem inneren Archiv aus.

Schwirren

Die zeichnerischen Strukturen der Buchmalereien erinnern mich an meine Bleistiftzeichnungen in den Siebzigerjahren. In den Liniengeflechten, die vor der Natur entstanden, suchte ich nach meiner eigenen Handschrift. Der Gestus orientierte sich an impressionistischen Linienführungen, schwirrenden Bewegungen beim Ansehen der Vorgänge um mich herum.

Die jetzige Suche ist eine andere. Aus den Linienzusammenballungen, die wie von alleine entstehen, treten jetzt Atmosphären, Figuren und Gegenstände hervor, die meine inneren Bewegungen nach außen bringen. Ich sitze nicht mehr vor der Natur draußen, sondern im Schwirren meiner Synapsen.

Dadurch klären sich abstrakte Befindlichkeiten, werden handfeste, mit den Augen ablesbare Handlungen. Verwirbelungen bringen einen Körper hervor, der dann verwischt wird. Die Spur dieser Sekunde lebt in einem Handabdruck im nächsten Bild wieder auf, schafft ein schmales Wesen, das zart einer harten Umrisslinie gegenübersteht. Aus einem Wirbel daneben schert eine Konstruktion aus, die eine neue Figur berührt…

Fragen

In der abgelaufenen Woche habe ich fleißig gezeichnet und schaffte währenddessen etwa 3% von Rolle 11 also 150 cm. Zahlen… Inhaltlich pendele ich hin und her, oder ich gehe von einem Raum in den anderen. Unterwegs vermischen sich die Bilder.

Kräftige Balken entstehen aus den schütteren Tabolinien. Bei den Übertragungen auf Transparentpapierbögen und auf die Rolle, präzisieren sich die Kompositionen. Die einzelnen aneinander aufgereihten Formate sollen eine fortlaufende Handlung ergeben, wie ein Musikstück. Die Tonbandstimme meines IM mischt sich mit den Gebeten der buddhistischen Mönche. Ich stelle mir die Tonbandprotokolle als religiösen Gesang vor.

Heute halten sich die konstruktiven Elemente zurück. Wenig brachial treten Figuren aus den Nebeln. Die Musik ist leise und tänzerisch. Mit den Handballenlinien stellen sich Fragen an die alten Maler in Tabo. Wie habt ihr eure abstrakten Linien gemeint? Sind, die Abdrücke des Körpers und eure gemalten Geflechte verwandt?

Tabo-Stasi-DADA-Sequenz

In meine konzentrierte Atelieratmosphäre brach gestern die Schülergruppe von „YOU&EYE“ ein. Sie bemalten die Masken, die sie letztens mit Pappmaché ausgeformt hatten. Die trockenen Teile holten sie vorsichtig aus den Formen, wobei sich Trichy geschickter anstellte als ich! Dann wurden sie weiß grundiert und mit schwarzer Farbe bemalt. Rateb machte sich mit seinem Freund am Müttermantel zu schaffen. Zwischendrin wurde Lärm auf der Elektrogitarre geschlagen.

Aus der ersten Buchmalerei von gestern entwickelte ich einen dynamischen Umriss für Rolle 11, den ich in die „Tabo – Stasi – DADA – Sequenz“ einfügte und mit den vielschichtigen Zeichen der letzten Woche anfüllte. Dabei versuchte ich die verschiedenen Schichten durch unterschiedliche Strichstärken zu zeigen. Das gelang noch nicht so gut, ist aber eine ausbaubare Technik.

An Abend eröffnete Deniz Alt eine Ausstellung im alten Holzlager unter dem Dach. Veranstaltet wurde das von einem neu gegründeten Bahnhofsviertel – Kunstverein. An Hand der Werke, sprach mein Nachbar über sein Künstlerleben und die Erkenntnisse daraus.

Klartext

Von der Stasiunterlagenbehörde kam gestern ein Anruf. Sie haben die Informationen zum Klarnamen meines IM „Lutz Lange“ an die alte Heidelberger Adresse geschickt. Den Umschlag, der zu ihnen zurückkam, bekomme ich wenn ich einen schriftlichen Antrag auf Decknamenentschlüsselung mit der aktuellen Adresse und meiner Unterschrift schicke. Die erste Anforderung der Daten habe ich einfach mit einem Kontaktformular gemacht.

Gut, dass das so schnell geht. So habe ich bei der Eröffnung von „Hin und weg“ im Humboldt Forum einen sicheren Rückraum, wenn ich mich gegen die sich steigernde Ostalgie wehren muss. Die vorsichtigen Anmerkungen zum Porzellanobjekt aus dem Palast der Republik und seinem Zusammenhang zu meiner Überwachung, kann ich mir dann sparen und Klartext reden.

Auf Rolle 11 arbeitete ich mit zwei Buchmalereien von vorgestern und gestern. Die durchscheinenden Schichten der Transparentpapierrolle reduziere ich mit einem weißen Bogen, den ich dazwischen rolle. So bestehen nur noch zwei bis drei Schichten Material, das ich durchzeichne. Dadurch wird die Veränderung der Motive deutlicher und die Sequenz bekommt eine größere Dynamik.

Hin und weg

In der Ausstellung „Hin und weg“ im Humboldtforum erscheinen nun an verschiedenen Stellen Beiträge von mir. Im Theaterstück „Bau auf! Bau ab!“ sind Textfragmente meiner Interviews verbaut. Das Portrait von mir, das Tobias Kruse hier im Atelier gemacht hat, hängt innerhalb eines Klanginstallationsraumes, in dem ebenfalls Interviewteile von mir zu hören sind. Und dann ist da natürlich noch Rolle 10 in einer Extravitrine. All das rückt wieder näher an mich heran.

Auf Rolle 11 zeichnete ich den Umriss einer Vergoldung aus dem Porzellanrelief, das vom Palast in das Forum gewandert ist, mit seinem Stasi DADA – Innenleben. Dann verschnitt ich diese Figur mit den letzten Arbeitszuständen der Tabosequenz. Die Malermönche und mein IM. So wächst zusammen, was in mir wohnt.

Die Buchmalereien werden heute von dissonanten Farbstimmungen behaust. Das sind die Reaktionserscheinungen, die durch die Zugabe der verschiedenen Zugaben in den Reagenzraum hervorgerufen werden. Und die Architekturen die dafür entstanden sind, erinnern mich an Hochbunker, wie die Flaktürme in Wien. Mit dem Bauleiter von der Palastbaustelle sprach ich über das Gerücht, dass an der Kläranlage unter dem großen Saal eine Mini – U – Bootsanlegestelle für die Parteibonzen gebaut wurde. Er lachte!

In die Vergangenheit

Nach den Veranstaltungen im Humboldt Forum wächst meine Unsicherheit, meine Ausstellungsbeteiligung, mit ihrem subtilen Charakter, so laufen zu lassen. Die Menschen, die ich kennen gelernt habe, waren allesamt mit dem staatstragenden Bauwerk innig verbunden. Umso wichtiger erscheint mir nun, die Arbeit doch noch fortzusetzen, um die Chance zu wahren, meine Perspektive auf die Geschichte deutlicher zu zeigen.

Das heißt aber, dass ich wieder zurückkehre, die Tabosequenz mit Stasi DADA verbinde und erneut Kontakt mit der Behörde für die Aufarbeitung der Stasiakten aufnehme. Vor meinem Besuch in Berlin hatte ich nur mit dem Gedanken gespielt, jetzt bin ich mir sicher, damit ein Gegengewicht bilden zu müssen.

Auf der Umrisslinie des Palastes fand am Sonnabend eine choreographierte Raumkomposition statt. Gehend, swingend, schlurfend und stampfend folgten 25 Teilnehmer und einige Gäste einer roten Umrisslinie des Gebäudes. Sechs Raummodule: Rechteck, Kreis, Linie, Dreieck, Hexagon und Trapez, waren von der Architektur des Baus entlehnt und bildeten Klangaktionsräume. Das war eine konzentrierte Arbeit auf den Punkt. Gott sei Dank!

Erinnerungsexperimente

Das Theaterstück, das aus Anlass der Ausstellung zum Palast der Republik inszeniert wird, hat auf der Website des Humboldtforums eine Ankündigung mit dem Porzellanrelief, das meiner Arbeit zu Stasi DADA zugrunde liegt. Morgen möchte ich an Ort und Stelle probieren, das Thema produktiv zu machen. Der Vorgang der Enttarnung meines IM, wäre eine Fortführung des Projektes während der Ausstellungsdauer.

Auf Rolle 11 ist die Verbindung der Tabolinien mit dem Fluss meiner eigenen Arbeit gelungen und somit die Annäherung an die vor tausend Jahren arbeitenden Maler. Anders als mit den Versuchsaufbauten meiner Arbeit wären mir die Erinnerungsvorstöße beim Väterprojekt, bei der Stasiaktenarbeit und bei den Tabolinien nicht gelungen. Zu sehen sind immer nur Zwischenergebnisse des Prozesses, denn der Variantenreichtum der Verdichtungen, der von den Reaktionsergebnissen der Vermischung der unterschiedlichen Materialien abhängig ist, ist unendlich.

Ich bin gespannt, wie die Erfahrungen, die ich in den Erinnerungsprojekten gemacht habe, die konkrete Weiterarbeit beeinflussen. Die Gitterobjekte, die aus TRIXEL PLANET, den Tabolinien und Stasi DADA entstehen, sind ein Teil der Antwort.

Heute von weiteren Diensten befreit

Weil ich mir am Morgen vorgenommen hatte, Rolle 11 heute unbearbeitet liegen zu lassen, waren die Buchmalereien von weiteren Diensten befreit. Das sollte ich ihnen öfter gönnen und auf der Transparentpapierrolle auf anderes Material zurückgreifen. Von zu Hause habe ich mir meinen neuen Tablettrechner mitgebracht, von dem ich mir neue Arbeitsimpulse erwarte.

Am Sonnabend steht ein Treffen im Humboldt Forum im Kalender. Es kommen die Interviewpartner und Ausstellungsbeteiligten des Projektes zum Palast der Republik. Vielleicht treffe ich alte Bekannte aus der Kaserne „Magerviehhof“ in Friedrichsfelde Ost. Gespannt bin ich dann auch, wie im Mai Rolle 10 im Zusammenhang der Ausstellung präsentiert wird.

Auf Rolle 11 arbeitete ich gestern mit dem Umriss der ersten Buchmalerei des Tages weiter. Im Verlauf dieser Sequenz zerfällt die Dichte und Geschlossenheit der Elemente weiter. Die Energie, die beim Zusammentreffen der unterschiedlichen Zustände entsteht, konzentriert sich auf kleineren Flächen. Schon liegt das Skizzenbuch vom Spitital aufgeschlagen auf dem Arbeitstisch. Die Zeichnungen darin sind zumeist etwas fragmentarisch. Das kommt den Möglichkeiten der Weiterverarbeitung entgegen.

AG 4.1

Während eines Treffens gestern erfanden wir den Arbeitsgruppennamen: AG 4.1 – Zukunft Teves West. Wir versuchen ein Konzept für die Weiterexistenz des Geländes zu gestalten. Dabei wollen wir das, was wir in den vergangenen Jahrzehnten gemacht haben, zusammentragen und als Fundament für eine Weiterentwicklung nutzen. In diesem Zusammenhang suchte ich in meinen Tagebüchern nach den Anfängen der Arbeit hier.

Mit den Umrissen der ersten Malerei vom 7.4., fand die Arbeit an der Tabosequenz auf Rolle 11 ihren Fortgang. Die Struktur öffnet sich von einer sehr hohen Dichte zu lockere Balkenkonstruktionen, die an die Linien erinnern, die ich im Spitital in mein Skizzenbuch aufnahm. Manchmal schaue ich sie mir wieder an, um mich nicht zu schnell davon zu entfernen.

Heute gibt es weder auf Rolle 11, noch in den Buchmalereien figurenähnliche Umrisse. Dafür spielen die zerfransten Formen der Lavasteine eine umso wichtigere Rolle. Sie kontrastieren die geraden Linien, die eine strenge Ordnung vorgeben. Die spannendsten Anblicke bieten die Überschneidungen der sehr verschiedenen Gestaltungsweisen.

Didaktik I Traum I Tierheim

Der Müttermantel ist eine Arbeit, von deren Umfang und körperlicher Anforderung ich eingeschüchtert werde. Manchmal glaube ich dass es für mich nicht mehr zu schaffen ist. Der knochentrockene Pappelstamm bietet einen überraschend großen Widerstand. Er befindet sich im überdachten Durchgang aus dem Gelände hinaus, der von relativ vielen Menschen benutzt wird. Gestern, als ich dort mit der Arbeit beginnen wollte, stand da eine Frau mit ihren zwei Töchtern und besichtigte diesen Arbeitsplatz, den Anfang der Aushöhlung mit den herumliegenden Spänen. Sie konnten nicht wissen, welcher Gegenstand dort entsteht. Aber ich erzählte es ihnen – wieder Didaktik!

Nach einem Lebensmitteleinkauf am Morgen, fiel ich gleich tief in die Buchmalerei, wie in einen Traum. Die Beziehungen, die ich zwischen den Lavasteinen, meinen Handabdrücken und den Tabolinien herstelle, sind die Grundlage für Szenen, die sich daraus entwickeln. Es entstehen Wesen, die aus einer Architektur zu wachsen scheinen, welche durch Linienstrukturen entstand. Verdoppelte Figuren treten in unterschiedlichen Konstellationen auf.

Das lässt mich an die Performance denken, zu der ich vor ein paar Tagen eingeladen worden bin. Sehr stilisierte und verfremdet animierte Figuren wurden von Hunden durchsprungen. Die Form der Arbeit hatte viel mit meinen Gestaltungsweisen zutun gehabt, war mir nahe. Ein realistischer Aufführungsort für den Text wäre der Käfig eines Tierheims.

Zutun

Während meines Gangs über die Wiese oder den Grünstreifen der Frankenallee habe ich zutun. Auf der Wiese entferne ich die Brombeeren, auf der Allee sammle ich den Müll in die Papierkörbe, von denen es viele gibt. Dann blicke ich zufrieden zurück. Es ist ein ähnlicher Blick, den ich auf die vielen Tagebücher mit den sich ändernden Malereien oder auf die Transparentpapierrollen mit meinen Zeichnungen werfe.

Die Schwünge der Haarlocken sind aus den Buchmalereien verschwunden. Harte Linienbündel werden von Umrissen im Zaum gehalten. Das Material eignet sich wenig, um es auf Rolle 11 weiter zu verwenden, aber es entspricht meiner Stimmung. Am Morgen hatte ich keine Lust auf meine Arbeit, was sehr selten vorkommt. Immer mal bastele ich an den Dreiecksgitterobjekten herum, nicht sehr ernsthaft, eher vergnüglich herumprobierend. Die Pappe aus der ich das Pappmaché herstelle, eignet sich auch gut zum Kaschieren von Flächen.

Am Wochenende nutzen die Krähen die bewegungslosen Kräne als Aussichtstürme. Dort sitzen sie beieinander, suchen Beute und blicken auf mich herab, schauen zu, wie ich beginne die Pflanztöpfe hinaus zu stellen, deren Anzahl mir über den Kopf wächst. Gern wäre ich mit einer von ihnen befreundet.

Verschwistert

Wenn ich während der Goldbergvariationen hinaus ins Gärtchen gehe, so weiß ich wenn ich zurückkomme, wie viel Klavierspiel in meiner Abwesenheit vergangen ist. Eine Maßeinheit, die sich zwischen meiner Arbeit entwickelt hat. Auch ohne mein Hören war die Musik da, wie die Bilder mit denen sie eine Verbindung eingegangen ist.

Eine Entdeckung machte ich während der Buchmalereien am Morgen. Ich sah, während ich mit den Tabolinien und Handballenabdrücken umging, dass die Struktur meiner Hautfalten eine Ähnlichkeit mit den Linien aufweisen, die vor 1000 Jahren in den Durchgang zum Versammlungsraum gezeichnet worden sind. Dass diese Linienähnlichkeit schon in mir wohnte, sieht man an den heutigen Malereien.

Auf Rolle 11 fügte ich den Umriss der dritten Malerei von gestern ein und begann ihn mit dem Geflecht anzufüllen, das vorausgegangen ist. Die Rolle steht nun auf dem Arbeitstisch und wird von hinten durchleuchtet, daneben liegen die Dreieckskonstruktionen. Diese Elemente klingen zusammen, als seien sie auseinander hervorgegangen oder verschwistert.

Verbindung

Am Morgen dachte ich darüber nach, wie ich nun mit der Tabosequenz auf Rolle 11 fortfahre. Mit der Beendigung der Verdichtung des Liniengeflechts, steht ein neuer Schritt an. Da das vorausgegangene Material ausschließlich aus den Stapeln der verschobenen und gespiegelten Tabolinien besteht, erscheint es mir jetzt sinnvoll, eine Verbindung zu meinem Zeichnungsduktus herzustellen.

Weil ich das am Morgen schon im Kopf hatte, als ich mit den Buchmalereien begann, dachte ich die ganze Zeit an diese Form ihrer Weiterverwendung. Das hat die Zeichnungsstruktur natürlich beeinflusst. Dadurch sind die Malereien weniger eigenständig geworden.

Möglichkeiten der Weiterarbeit an den alten Dreiecksgitterskulpturen probierte ich vor zwei Tagen. Verschiedene Papierqualitäten verwendete ich für Kaschuren, mit denen ich die Holzstäbe und die Dreiecke, die sie bilden, überspannte. Das erfordert noch einige Übung. Aber ein Farbauftrag stabilisiert die Flächen und zieht die Konstruktionen optisch zusammen.

Linie, Takt, Blick, Licht

In der Tabosequenz auf Rolle 11 schloss ich die zweite Verdichtungsphase ab. Sie fand innerhalb einer Zeitspiegelung statt, die mir jetzt ganz natürlich vorkommt, denn alles Schauen geschieht über den Zeitspiegel. Wenn wir die Sonne anschauen, sehen wir 8 Minuten in der Zeit zurück… Somit befinden sich alle Dinge, so wie ich sie jetzt sehe, in der Vergangenheit.

Auch zwischen den Elementen der Buchmalereien spielen sich diese schnellen Zeitspiegelungseffekte ab. Ihre hohe Frequenz erzeugt sichtbares Licht verschiedener Farben. Verlangsamt sie sich, entsteht ein hörbarer Ton. In den Collagen entstehen die Zeiträume durch Schichtungen, die wie Sedimente die Bedingungen konservieren, in denen sie entstanden sind. Vor einem Jahr waren sie von mehr Figuren durchsetzt. Heute dominieren die Strukturen, zwischen deren Gegensätzen sich die Spannung aufbaut.

Vorgestern besuchten wir einen Tanzabend der Frankfurt Dresden Dance Company, die von einem ehemaligen Forsythetänzer geleitet wird. Vom epochalen Stil des Meisters ist nicht viel geblieben. In all dem narrativen Gewimmel fehlen mir klare, konstruktive Elemente, die ein Gerüst bilden, in dem man sich orientieren kann: Linie, Takt, Blick, Licht.

Aufräumen I Kaschieren I Formen

Am Eingang des Tevesgeländes lassen die Kunden der Schnellrestaurants ihren Verpackungsmüll mit Speiseresten und benutzten Servietten regelmäßig aus ihren Autos fallen. Und ein liebevoll, mit verschiedenen Schablonen gestaltetes Plakat wurde zur Hälfte vom Pfeiler der Eisenbahnbrücke abgerissen. Ich habe diese fehlende Hälfte gefunden und wieder an ihre Stelle tapeziert. Auch den fallen gelassenen Müll räumte ich weg. Eigentlich ist das eine deprimierend erniedrigende Tätigkeit. Bei mir aber löst sie Zufriedenheit aus, die sich mit einem Überlegenheitsgefühl paart und mir einen Wohlfühlvormittag beschert.

Von dem Leimwasser mit dem ich das Bild wieder an seinen Platz klebte, ist noch einiges übrig, was mich auf den Gedanken bringt, die alten Dreiecksgitterskulpturen, die ich von den Regalen heruntergeholt habe, mit Papierstücken zu kaschieren. So entstehen zwischen den offenen Dreiecken geschlossene Flächen, die bemalt werden können. Einerseits ist das die Fortführung der Tabolinien-Sequenz. Andererseits werden dadurch auch die Buchmalereien mit einer dritten Dimension erweitert.

Auf einem meiner Heizkörper steht eine Schüssel mit klumpiger Pappmachemasse zum Trocknen. Auch daraus lassen sich in weichem Zustand skulpturale Gegenstände formen, die die Tabokonstruktionen bereichern könnten.

Dreidimensionalität

Konstruktives Geplänkel wird in den Buchmalereien von Wischwolken aufgelöst. Das wiederholt sich gleich mehrmals an derselben Stelle. Zuvor sicherte ich aber die Konstruktion per Abdruck an eine andere Stelle der drei heutigen Formate mit meinem feuchten Handballen. Dort arbeitete ich mit den Linien weiter, änderte Farben und Längen… und versuchte nicht daran zu denken, dass ich das Material in den Collagen wieder aufnehme. Dort spielt die Verdichtung von Rolle 11 eine zunehmende Rolle.

Von den hohen Regalen angelte ich ein paar alte Dreiecksgitterkonstruktionen herunter, um am ihnen weiter zu arbeiten. Das ergänzt die Beschäftigung mit den Tabolinien, die ich auf diese Weise in eine Dreidimensionalität bringen kann. Meine Hoffnung ist, dass dies die kontinuierliche Tuschelinien-Verdichtung auf dem Transparentpapier verändert oder zumindest einen Einfluss nimmt.

Mit einem großen Hohleisen arbeitete ich mich weiter in die Höhlung des Pappelstammes, in den „Müttermantel“ hinein. Meine Schleifmaschine für die Holzwerkzeuge funktioniert nicht mehr so richtig. Deshalb bat ich Roland, den Holzbildhauer, um einen seiner Schleifböcke.

Rückrollen der Spiegelung

Den „Klarnamen“ meines IM „Lutz Lange“ kann ich bei der Stasiunterlagenbehörde bestätigen lassen. Die Stasi-DADA Arbeit rückt mir näher, als mir lieb ist. Dadurch verbindet sie sich mit der „Tabosequenz“. Das kann ich kaum verhindern, wenn ich das, was mich beschäftigt direkt in meine Arbeit einfließen lassen will. Die Schreibmaschinenprotokolle der Tonbandberichte des IM sind dem Text meines Interviewausschnittes in der Publikation des Humboldt Forums sprachlich-strukturell ähnlich. Während der Entwicklung meines „Geheimalphabets“ aus den Typoskripten, traten Linienstrukturen auf, die denen aus Tabo ähnelten. All das spielt zusammen, wenn es um meine Spiegelungen der Zeit geht.

Die offensichtlich schamanistischen Zeichen, die im Durchgang vom Vorraum in den Versammlungssaal des Klosterns Tabo sichtbar sind, spielen in dem Buch von Peter van Ham über die Anlage, keine Rolle. Der Durchgang mit seinen vorgelagerten plastischen Figuren aber schon.

Gestern fuhr ich mit den Verdichtungen auf Rolle 11 fort. Es tritt eine Intensität zutage, die auf eine neue Qualität zuläuft. Vor ein paar Tagen hatte ich den Mut schon sinken lassen und wollte diese Arbeitsphase beenden. Jetzt bin ich froh, dass ich das Rückrollen der Spiegelung fortführe. Bevor ich mich entscheide, wieder andere Elemente von außen hinzu zu nehmen, werde ich das noch weiterführen und schauen, was passiert.

Trennung der Schichten

Über Stasi DADA hinaus denken, heißt zunächst zwei Schritte zurücktreten, um die Schichten klar zu trennen, die sich derzeit stapeln. Wenn ich meinen IM und Mentor in der Öffentlichkeit mit seinem Namen nenne, sollte ich ihn offiziell als ehemaligen Mitarbeiter der Stasi bestätigt bekommen haben. Der Gedanke, erst dann mit dieser Arbeit fertig zu sein, drängt sich auf. Dazu kommt die Schicht der Kraftfeldfragmente, die die Form der Vergoldungsfelder auf dem Porzellanrelief im Humboldt Forum angenommen haben und Tonbandprotokollfragmente aufweisen.

Was wäre aber, wenn ich diesen ganzen Komplex mit dem Versuch der Zeitspiegelung in der Tabosequenz verbinde. Die Rückschau und Konstruktion der Vergangenheit während des Zurückwanderns in die Zeit, kann die unterschiedlichsten Erinnerungssplitter zusammenfügen. Die Erkundung des Weges 50 Jahre zurück, kann mir den Blick 1000 Jahre in die Vergangenheit begleiten oder erst konkreter werden lassen. Diese Parallelität kann ich mir innerhalb des künstlerischen Prozesses leisten.

Nicht zu vernachlässigen sind die Buchmalereien in diesem Zusammenhang. Flüchtig gewischte und geprägte Farbmuster mischen sich derzeit mit konstruktiven Elementen, die auch an die abstrakten Tabolinien erinnern. Sie kommen in den Collagen als ausgeschnittene Formen besonders zur Geltung.

Stasi DADA , kein Ende

Wir sahen zwei Stücke im Schauspiel Frankfurt, „Die Ehre der Katharina Blum“ und „Don Carlos“. Letzteres war ein sehr gelungener Abend auf der großen Hauptbühne mit einem großartigen Ensemble. Sara Grunert, die eine der Hauptrollen spielte, erkenne ich oft wegen ihrer Wandlungsfähigkeit nicht gleich. Gestern hatte ich das Gefühl, dass sie ihren Laserblick minutenlang, an der Seitenbühne sitzend, auf meine Augen gerichtet hatte. Wie machen das die Leute nur!

Die Gelassenheit der Glockengießer, die ich vorgestern erleben durfte, will ich mir zum Vorbild für meinen Alttag nehmen. Das probierte ich am Morgen beim Frühstück machen und versuche es auch jetzt während der Arbeit.

Die Tatsache, dass der Zusammenhang meiner Arbeit über die Stasitätigkeit meines Mentors und IM mit dem Wandrelief aus Porzellan im Humboldt Forum nicht explizit hervorgehoben wird, sein Name nicht genannt wird, ist Anlass neuer Überlegungen meinerseits. Die Frage des Umgangs mit dem Unrecht der SED-Diktatur in der Ausstellung zum Palast der Republik, an der ich dort teilnehme, möchte ich noch einmal genauer beleuchten. Gegebenenfalls ist die Beschäftigung mit diesem Thema doch noch nicht vorüber.

Glockenguss

Seit dem Jahr 1590 ist die Werkstatt, in der wir gestern einem Glockenguss beiwohnten, im Besitz der Familie Rincker. In einem Arbeitsgang wurden 3 Glocken gleichzeitig aus einer Charge Bronze gegossen. Um die Todesstunde Christi finden freitags seit 500 Jahren dieselben Arbeitsgänge in einer festgelegten Choreografie statt. Eine halbe Stunde vor dem Guss wurden die Zinnbarren von den Männern in einer fließenden Kreisformation mit den Händen in den Schmelzkessel geworfen, der mit einer ungeheuer lauten Flamme beheizt wurde. Es herrschte heiliger, unaufgeregter und routinierter Ernst.

Dann wurde das dünnflüssige Metall in die Kanäle, die zu den drei Formen führten, gegossen und einen Moment aufgestaut. Erst als die Schlacke obenauf schwamm, wurde eine um die andere Barriere entfernt, um eine Form nach der anderen aufzufüllen. Die Entlüftungskanäle spieen grün brennendes, fauchendes Gas. In der staubigen Werkstatt verlor die große Hitze ihren Maßstab.

Der Besitzer, der gleichzeitig die Arbeitsgänge taktete, erzählte emotional, was gerade passierte, welche Zeichen die guten Zeichen sind, das der Guss gelungen ist. Eine Woche lang müssen die Glocken nun abkühlen und werden dann langsam ausgegraben. Danach werden sie aufeinander abgestimmt. Eine schon fertige hing am Kran und wurde erstmalig angeschlagen. Später brachte ich sie mit meinem Knöchel zu leisem singen, ein ziemlich innerlicher Vorgang. Zwei Tropfen des Metalls, die daneben gespritzt waren, schenkte uns Herr Rincker zum Andenken – ein Herz und einen Pottwal.

Müttermantel I Teves I Glocke

Zugunsten einer ernsthafteren Weiterarbeit am Pappelstamm, der der „Müttermantel“ werden soll, blieb Rolle 11 gestern unberührt. Aber ich kann mit dem schweren Holzklüpfel und dem großen Hohleisen nicht gleich mehrere Stunden am Stück arbeiten, sondern mich langsam wieder daran gewöhnen, wie damals, als ich den Einbaum für den „Handprint Frankfurt“ gemacht habe. Es ist ein langer Weg.

Auf Einladung von Klaus Sudhof traf sich gestern die Tevesrunde. Wir beschlossen eine Arbeitsgruppe einzuberufen, die ein Konzept für die Weiterarbeit auf dem Gelände über das Jahr 2030 hinaus erstellen soll. Ich habe schon viele Jahre immer mal wieder darüber nachgedacht und glaube, dass eine Art von Zusammenarbeit zwischen den Akteuren dem Klima hier gut tun würde.

Die Buchmalereien entstanden heute unter etwas Zeitdruck, denn wir sind in den Ort Sinn zu einem Glockenguss eingeladen und machen uns gleich auf die Reise dorthin. Für die evangelische Kirche in Dillenburg ist dafür eine Form in die Erde versenkt worden, die nun mit flüssiger Bronze gefüllt werden soll.

Ausbruch

Auf der Transparentpapierrolle Nummer 11 befinde ich mich auf dem Weg, hin zum Ende einer Sackgasse. Die Frage ist, ob ich vorher wende, oder bis zu dem Punkt vordringe, an dem es nicht weitergeht…

In dem Moment, in dem die durchsichtigen, geklappten Wände in den Buchmalereien auftauchen, beginnen wieder die Bühnenerzählungen. Ausstattungsteile, Requisiten und Effektmaschinen kommen zum Einsatz. Längliche Pinselspuren werden zu Figuren, deren Umrisse die Charaktere beschreiben. Ausgefranste Konturen entstehen durch die Gravitationsschwünge, die die Protagonisten aufbrechen oder einschnüren. Manchmal ordnet sich das Chaos durch Unschärfen oder Verwischungen. Der nasse Handballen klärt die Situation auf der Tagebuchseite, indem er Abstand schafft zu den scharfen, verworrenen Linien und Abdrücken.

Das sind die Mittel, mit denen ich der herannahenden Singularität, im Wirbel der Rolle 11, entrinnen kann. Nach der quälenden Langsamkeit, die durch die steigende Geschwindigkeit der Linienverdichtung hervorgerufen wird, nach diesem Stillstand kommt der Ausbruch, die finale Begegnung mit den alten Malern.

Singularität

Im Korbstuhl, der umgeben vom Gartenregal, mit der Lehne an einem der Atelierrolltore in der Sonne steht, schaue ich meiner entstehenden Schrift zu, blicke auf die Spitze der Feder. Manchmal stockt der Tintenfluss oder das Papier der Tagebuchseite wölbt sich, was zu Unregelmäßigkeiten führt. Aber meine Hand ist auch nicht mehr so sicher und geschmeidig.

Das ist auch auf Rolle 11 sichtbar, wo ich die Tuschlinien stetig verdichte und mit den durchscheinenden Gesträuchen die reservierten, hellen Flächen umschließe. Im rückwärts rollenden Durchzeichnen ergibt sich noch einmal eine Verdunklung. Durch die dreifache Wendung des Materials ( Spiegelung, Wiederholung und Rückwärtsrollen ), gerät der Zeitstreifen in Verzerrungen und schließlich in einen Stillstand. Diese Schwärze nenne ich jetzt: meine Singularität. Nur durch Impulse von außen komme ich da wieder heraus. Die ist der Ort, an dem die Buchmalereien mit ihren Umrissen wieder ins Spiel kommen.

Die Vietnamesin aus der Spülküche steht mit einer Kaffeetasse auf der Restaurantterrasse und raucht. Ihr Kopf dreht sich langsam der Baustelle zu, wo sich die Kräne drehen und die Bauarbeiter sich zurufen – wie von einem Berg zum anderen. Aus irgendwelchen Lautsprechern erklingen manchmal Balkanschlager. Lautstark wachsen zunächst die Gerüste in den Himmel und dann die Betonwände.

Detektieren

Ein Besuch bei Franz im Atelier am gestrigen Nachmittag. Mir scheint, dass er in einen sehr weiten Raum ruft und auf ein Echo wartet. Aber man braucht eine entsprechende Sensortechnik, um nach längerer Zeit dieses Flüstern zu detektieren. Und am Morgen dachte ich, dass die Leerstellen von unfertigen Bildern die Membran dafür besitzen. Dort kann das, was zurückgeworfen wurde aufscheinen, fragmentiert, verbogen und vervielfältigt.

Auf Rolle 11 gibt es diese Vorgänge. Dort übertrage ich die Lücken, die zwischen den Verdichtungen entstehen und spiegele sie. Dort drinnen erscheinen dann die Schichten der tieferen Zeit, die durch die Spirale des zusammengrollten Transparentpapiers einer Gravitation unterworfen sind, die sie komprimieren. Auch die Schichten von Müll, die ich auf der Zufahrtsstraße auf das Tevesgelände sammle erzählen mir Geschichten: Stahlband von Palettenladungen, Lachgummitüten mit „Nutriscore“, Tampons, Bäckertüten und immer wieder weggeworfene Servietten.

Weil ich die Tagebucharbeit am Vormittag beenden möchte, aber beim Zahnarzt und im Supermarkt war, mussten die Buchmalereien heute schnell gehen. Und in Waltershausen muss wohl erst was richtig Gravierendes passieren, bevor die Leute aufwachen.

Gewalt, Lautstärke und Abfall

In meiner ehemaligen Heimatstadt Waltershausen intensiviert sich die Gewalt der Faschisten, die sich gegen die Mitglieder eines Bündnisses richtet, das sich gegen Rechts gebildet hat. Wenn sie sich einschüchtern lassen, haben die Gewalttäter die Oberhand. Das sollte nicht passieren!

Auf meinem Weg ins Atelier sammele ich, besonders auf dem Grünstreifen der Frankenallee, aber auch auf der Zufahrt zum Tevesgelände, wieder Müll ein. Es geht mir besser damit, nicht dauernd mit den Folgen solchen Verhaltens konfrontiert zu sein, sie aus dem Blickfeld zu räumen. Gewalt, Lautstärke und Abfall scheinen in der Öffentlichkeit zuzunehmen.

Rolle 11 liegt wieder auf dem Zeichentisch. Dort werde ich versuchen, mich weiter in die Vergangenheit vorzutasten. Bin gespannt, was mir auf diesem Weg in den Spiegel begegnet. Alte Einträge in das Arbeitstagebuch fand ich unter GRAB=BLICKSPIEGEL. Dort klingt das Thema schon an. Noch sehe ich davon ab, die Buchmalereien wieder in diesen Prozess einzubinden, obwohl der Wunsch danach größer wird.

Gewimmel

Zwischen den Resten der Holzstapel, die von den Dachtrümmern, die der Sturm durch den Himmel hob, umgeworfen worden sind, entdecke ich Fäden der Pilzgeflechte, die sich im Lauf der Jahre bildeten. Die Schichten aus Laub, Erde und Holzkohle sind der Lebensraum vieler Asseln, Würmer und Insekten. Das Gewimmel freut mich!

Auf dem Weg ins Atelier sammelte ich heute Müll auf und warf ihn in die Papierkörbe, die überall dafür bereit stehen. So bekommt der Grünstreifen der Frankenallee einen anderen Charakter. Man wird nicht andauernd an das asoziale Verhalten der Fastfood – Konsumenten erinnert, die eine Papierserviette nach der anderen vor sich auf den Boden fallen lassen. Zwar bin ich ihren höhnischen Blicken ausgesetzt, Trage so ein Gutmenschenbild vor mir her, bekomme aber auch anerkennendes Lächeln dafür.

Die Malereien fanden heute mit gedämpftem Temperament statt. Ganz langsam überlegte ich, was ich ausprobieren könnte. Spiegelungen die zwischen den anderen Alltäglichkeiten stattfinden, interessieren mich gerade besonders. Auf Rolle 11 machte ich die Spiegelung der Zeit zum Hauptgedanken der Tabosequenz. Dieses Vorgehen folgt der unbefangenen Bemerkung des Rinpoche über mein voriges Leben als Künstler in Tabo.

Spiegelungen

Auf Rolle 10 sollte es möglich sein, die Spiegelung der Zeit zu simulieren. Wenn Teile der Tabosequenz spiegelverkehrt wiederholt werden, setzen sich auf diese Weise die Muster fort, indem sie in die Vergangenheit eintauchen, aber dennoch nach vorne weiter gezeichnet werden. Es ist nur im praktischen Experiment erfahrbar, wie sich auch die Unschärfen dieses Vorgangs auswirken.

Solche entstanden auch heute innerhalb der Buchmalereien, indem ich Steinabdrücke direkt auf Papier solchen gegenüberstellte, die ich erst auf meinen Handballen und dann auf die Buchseite druckte. Es ist der Beginn der, die Zeit spiegelnden, Arbeit. Die Farben haben dabei bislang nur die Aufgabe, die Strukturschichten auseinander zu halten. Der Klang, der entsteht, ist zufällig und unbewusst.

Mit den Schülern will ich heute Masken ausformen und Frottagen mit Formen des Väterprojektes machen. Gestern kaufte ich Material ein und es ist nun genug Transparentpapier für ein ganzes Jahr vorhanden. Unsere Straßenreinigungsaktion habe ich fortgeführt. Die Zufahrt zum Gelände macht jetzt einen freundlichen und einladenden Eindruck.

Parallelen

Stoisch zeichne ich Umdrehung für Umdrehung auf Rolle 11. Die Umrisslinien der Lücken übertrug ich auf einen Extrastreifen Transparentpapier. So versuche ich einem Umschlag in eine andere Qualität zu finden. Die transparenten Schichtungen, die aus der Spiralbewegung der Rolle entstehen, verweisen auf einen architektonischen Raum, der durch die Übereinanderschichtung der Umrisse entsteht.

An der Außenhaut einer solchen Skulptur bilden sich neue Zeichnungen ab, die von den Linien geformt werden, die den Rand der Umrisse berühren. Diese lassen sich wieder auf die Transparentpapierrolle zeichnen und überlagern, wodurch dann, mit den neuen Umrissen, der Raum dieser neuen Dimension entsteht.

Am Nachmittag wollen wir ein Fotobuch über Tabo von der Bibliothek abholen, das Peter van Ham gemacht hat. Dadurch erhoffe ich mir eine Vertiefung der Arbeit an der Tabosequenz. Parallelen ergeben sich aus dem Zusammenspiel der abstrakten Linien der Tuschezeichnungen auf Rolle 11 und den Buchmalereien in den Collagen bei mir und den kleinen gemalten „Buchmalereiszenen“ an den Innenwänden des himalayischen Klosters und dem Strichmuster im Durchgang zum Hauptraum.

Tabosequenz

Der Zusammenhang zwischen Echo, Spiegelbild und Erinnerung hält die Dynamik des kontinuierlichen Durchzeichnens auf Rolle 11 aufrecht. Die Strukturen überlagern sich bis zur Unkenntlichkeit. Zwischen den Verdichtungen befinden sich helle durchscheinende Felder, die von keinen Gesträuchen angefüllt, ganz leer blieben. Bevor sie nun auch versinken, will ich sie auf einem Extrastreifen aufheben. Das ist Material, das sich für eine Projektion in die Zukunft, also ein paar Meter weiter hinten auf der Rolle, eignen würde.

Bei all diesen Varianten, die „Tabosequenz“ voranzutreiben, hadere ich mit der Beschränkung der Mittel. Die Strenge, die sie in der Kontinuität ihrer Einhaltung fordert, ist so anstrengend, wie eine lang anhaltende Meditation sein kann. Die Einbeziehung der Buchmalereien oder die Verwischungen, wie sie mit Schellack entstehen können, sind Arbeitsweisen, die noch nicht hinzukommen, vielleicht auch ganz außen vor bleiben werden.

Von den vorausgegangenen Themen, die Auf Rolle 10 in Berlin lagern, und demnächst im Humboldt Forum ausgestellt werden, habe ich mich gründlich entfernt. Mein Abstand dazu wird sich darin zeigen, wie fremd mir das Material bei der Eröffnung am 16.5. sein wird.

Zustände I Energien

Die Vorgänge auf Rolle 11 sind eher mit physikalischen Fragestellungen verwandt. Es geht um die Wellenlängen verschiedener Materien, deren Überlagerungen und gegenseitige Beeinflussung. Neue Fragen entstehen durch die Muster, die sich ergeben. Zustände bestimmen die verschiedenen Richtungen, in die sich die Wahrnehmung anderer Wellen ausrichtet.

In den Malereien werden verschiedene Farben durch unterschiedliche Materialien sichtbar. Wasser und gebundene Pigmente werden von Steinen, Stiften und Haarlocken gelenkt. Neben diesen Bindungs- und Abstoßungsenergien, gibt es aber noch die Aggregatzustände des Geistes. Ein instabiler Film hält alles zusammen oder lässt es in großer Fluidität gelöst schweben. Ein Hin und Her zwischen verschiedenen Stabilitäten.

Eine trockene Struktur auf der linken Seite der zweiten Malerei bildet einen Zustand ab, der nur eine Millisekunde zwischen flüssig und fest andauert. Entsprechend schütter sind die Zusammenhänge. Linien zerfallen in Punktreihen, und eine kleine Verwischung verschiebt den Charakter in eine noch größere Flüchtigkeit.

Das Zählen der Zeitabschnitte

Sonnabend – das Zählen der Zeitabschnitte: 9 Umdrehungen der Flächenmotive auf Rolle 11, am 55. Arbeitstag des Jahres. Nun setzt das Rückrollen ein, das Echo, das in die Vergangenheit zurückgeworfen wird, wo sich die Bewegung wieder umdreht, bis sich die neuen hellen Flächen schließen und in den Zwischenräumen die neuen Welten entstehen.

Die ersten Mauereidechsen lassen sich sehen. Wildbienen suchen in den Löchern, die Rateb in die Baumstämme gebohrt hat, Unterschlupf für ihre Gelege. Auf der Wiese sprießen die Pionierpflanzen und ihre Gäste. Darüber kreisen Bussarde und starten nach dem Flughafenstreik wieder Maschinen. Darunter lärmt ein Hubschrauber und die Baustelle ruht.

Es wäre ganz schön, gäbe es einen Künstlerstammtisch von den YOU&EYE Teilnehmern. Das Synergiepotential ist sicherlich groß. Unsere Treffen im Anna-Freud-Institut inspirieren und erfrischen mich immer.

Erfolgserlebnis

„“Als Gruppe,“ sagte ich gestern meinen Schülern, „haben wir auf dem Tevesgelände einen schlechten Ruf.“ Der Grund dafür ist das viele zerschlagene Glas auf der Zufahrtsstraße, das einer von ihnen vor einer Woche dort zerdeppert hat. Die Auszubildenden der Nachbarwerkstatt haben die Scherben zusammengefegt und entsorgt. Dann fragte ich, wie wir unseren Ruf verbessern könnten. „Wir hätten das selber aufräumen müssen.“, meinte der Verursacher. Also schnappten wir uns Besen, Schaufeln und Abfallsäcke, gingen zum Eingang und begannen den Müll, der sich seit Jahren dort auf der etwa 70 Meter langen Straße angesammelt hatte, zu beseitigen. Als wir die Säcke nach einer Dreiviertelstunde in einen Restmüllcontainer geworfen hatten, kam zufällig und sehr passend die Müllabfuhr, um genau diesen Container zu leeren. Wir bedankten uns im Chor – ein Erfolgserlebnis!

Die Schüler haben mich gestern munter gemacht, nachdem ich in den letzten Wochen der kontinuierlichen und etwas eintönigen Kunstanstrengung, etwas müde geworden war.

Auf Rolle 11 werde ich nun noch 2 Umdrehungen mit dem kleinen Rollendurchmesser vorwärts zeichnen. Dann habe ich 9 Wiederholungen der kleinen schwebenden hellen Flächen. Die Tabolinien hatte ich auch neunmal wiederholt und somit das Ausgangsmaterial für die vielen Überlagerungen und die Verdunklung geschaffen.

3 Songs

Auf Rolle 11 entsteht der rituelle Rapport der Inseln aus dem schwarzen Tuschemeer. Seine brachialen Brecher geben das Licht am Saum seiner Brandung frei. Und aus dem Schaum treten die strahlenden Partikel, die sich neu zusammenballen werden, bis auch ihre Gravitation ein Licht schluckendes Monster auf die Fläche presst.

Bis dahin bleiben aber am Wegesrand Erscheinungen oder deren Erinnerungen stehen. Aktuell sind das kleine Konstruktionen, die sich auf dem Transparentpapierstreifen notorisch wiederholen. Der gleichmäßige Rapport kann nur durch ein rückwärts rollendes Durchzeichnen unterbrochen werden.

Der lichteren Phase auf der Rolle folgt auch die Aufhellung der Collagen. Am 9. November 2022 begannen sie in die Finsternis zu kippen. Deutlich ist, dass die Strukturen der Buchmalereien vorher eine größere Rolle spielten. Die von heute sind wieder in einem Zug, ohne viel Nachdenken entstanden. Keine Komposition aus 3 Sätzen – eher 3 ähnliche Songs.

Lichtflächen

Meistens fallen mir die Malereien leichter als heute. Ich hatte Ruhe und Mühe und wollte mehr. Ob das nun gelungen ist, kann ich erst später beurteilen. Der Vorgang ist im Moment noch präsent und wichtiger als das Ergebnis. Das kehrt sich erst später um.

Nach mehrfachem Hin- und Herrollen, während des Durchzeichnens auf Rolle 11, ist die Arbeit an einem kritischen Punkt angelangt. Das leuchtende Material, das für die Ergründung dessen, was die Tabolinien mit mir zutun haben, also für die Weiterarbeit wichtig ist, nimmt an Masse ab. Die Dunkelheit der Tusche beginnt zu dominieren. Der Moment des Umschlags, der darin besteht, dass die Schwärze zurück bleibt, kommt näher. Aus der verdichteten Masse treten dann die Lichtflächen heraus, die das Ausgangsmaterial für die neuen Formationen, die sich bilden werden, sind.

Ich bin gespannt, wann sich das neue Material wieder mit den Umrissen der Buchmalereien verbinden, überlagern und verflechten wird. Es wäre die Rückkehr zu der Arbeitsweise, die sich in den letzten Jahren etabliert hat. Handelnde Figuren bleiben bisher noch eingeschnürt, können das Geschehen innerhalb der gemalten Szenen nur beobachten und höchstens kommentieren.

Vermischungen, Überlagerungen

Wenn ich die eingefärbte, glatt geschnittene Fläche eines Lavasteins auf meinen Handballen drücke und den dann auf die Buchseite, dann vermischen sich die Konturen der Gasblasen und der Umriss des Steins mit meinen Handlinien. Um das aber gut zur Geltung zu bringen, bedarf es noch einiger Übung. Beide Strukturen können durch Zeichnungen verstärkt werden.

Die dunklen Flächen auf Rolle 11 setzen sich nun langsam zu einem Zug von kubistisch anmutenden Figuren zusammen. Sie aber sind es nicht, mit denen ich dann auf dem Streifen weiter arbeiten möchte. Vielleicht bildet ihre Abwesenheit, im weiteren Verlauf, leere Zwischenräume, die die Figuren umgeben, die aus den kleinen, transparent gebliebenen Flächen entstehen werden. Alles das geht auf die Tabolinien zurück, die vielleicht schamanistischen Ursprungs sind.

Am Bauzaun fragte ich einen Transportarbeiter, ob das Holz, das am Bauzaun neben den Abfallcontainern liegt, noch gebraucht wird. „Das brauchen wir.“, meinte er, fuhr dann aber mit seinem Gabelstapler los und holte mir andere 3 Balkenabschnitte, etwa 30 Zentimeter lang. Am Donnerstag können die Jungs beginnen, daraus Figuren zu schnitzen.

Formender Fluss

Häufig kommt ein Lavastein, dessen glatt geschnittene Fläche die Silhouette einer Figur aufweist, als Farbstempel bei den Buchmalereien zum Einsatz. Heute tauchte ich die Steine im Wasser, bevor ihren Schnittflächen mit Farben versehen wurden. Wenn ich zu den Malereien keinen Abstand halte, wie heute, werde ich von ihrer Gravitation in einen Raum gezogen, in dem sich die Ereignisse multiplizieren. Die Orientierung braucht dort viel Energie, und es ist nicht leicht, den Ausgang, den Schluss zu finden.

Auch die Arbeit an Rolle 11 sollte langsamer fließen. Die Verdichtung der Tuschekonstruktionen zu spitzwinkligen, schwarzen Flächen, möchte ich aufmerksamer und genussreicher entwickeln. Arbeitspausen, in denen die besinnungslose Produktion stockt, schaffen die Distanz dafür. Beim Blick auf die letzte Arbeitsphase entsteht der Gedanke, wie lange die Ausweitung der dunklen Flächen noch sinnvoll gesteigert werden kann, damit dann mit den Umrissen der transparenten Areale eine Entwicklung neuer Dinge möglich wird.

In den Malereien tauchten heute zwei Frauenfiguren auf. Sie stehen einem chaotischen Experimentalaufbau gegenüber, in dem Elemente so zusammengefügt werden sollen, dass sie mit ihrer Vielgestalt einen kompakt formenden Fluss bilden. Manchmal erscheinen weitere Wesen, die eine Verwandtschaft aufweisen, bleiben aber unkonturiert. Das kann sich beim Zuschneiden für die Collagen ändern ( siehe obere Abb.).

Eigenleben

Draußen auf der Baustelle lärmen die Rüster mit den Metallstangen und den klappernden Stegen, mit denen sie ein luftiges Gebäude in die Höhe wachsen lassen, das dann von einem Kubus aus Betonwaben ausgefüllt wird. Bienen schwärmen in der Weide, an deren Ästen sich die Kätzchen aufgeplustert in die Sonne räkeln.

Bei meinen Versuchen, tief in die Tuscheliniengeflechte zu schauen, scheue ich vor dem ganz langen Blick zurück, als würde ich darin etwas Erschreckendes entdecken können. Lieber zeichne ich blind weiter, bis alles eingedunkelt ist. Ich selbst stelle das tiefe Schwarz her, vor dem ich mich fürchte. Aber die Dichte bekommt ein Eigenleben, in dem sich etwas abzeichnet, was ich vorher nicht erreicht hatte.

Die Malereien richteten sich heute nach den Strömungen des Körpers aus. Es herrschen Schräglagen vor. Längliche Pinselflecken, Linien der Farbstifte und die Gravuren aus den rollend eingedrückten Windungen der Schraube aus Kaza in das Papier, neigen zu Diagonalen. Nur die Haare beharren auf ihrer Spannung. Sie geben die eigenen Bewegungen zu ihren Bögen vor, selbst wenn sie sich widerwillig gegen eine Last der durchtränkten Lavasteine sperren wollen und es nicht schaffen.

Besen

Die Leute werfen Dinge weg, die vermeintlich nicht mehr nutzbar sind. Aber sie haben vielleicht nur einen kleinen Schaden davon getragen, sind etwas abgenutzt, verbraucht, korrodiert oder nicht mehr schön genug. Oft genug kann ich meinem Wunsch, sie zu retten, nicht widerstehen. In dieser Weise haben sich bei mir zum Beispiel einige Besen angesammelt, unterschiedlicher Materialität, für das Haus oder die Straße. In einer Pause zwischen den Malereien, sammelte ich die Birkenreiser auf, die im Laufe des Winters trocken in das Gärtchen fallen. Ein Drahtknäuel, das ich auf dem Gehweg gefunden hatte, entwirrte ich und band sie zu einem Besen zusammen, den ich mit einem Stiel aus einer Ecke des Ateliers versah. Zum Laubfegen funktioniert er besser als die anderen.

Gestern waren die Schüler da, sieben Jungs aus der siebten Klasse. Wir arbeiteten am Müttermantel, höhlten also den Pappelstamm weiter aus, entfernten ein paar Hängepflanzen aus der Dachrinne in 4,50 m Höhe, hackten Holz auf einem Klotz, spielten Frisbee, bemalten Reliefs und wachsten Maskenformen ein, um sie am kommenden Donnerstag mit Pappmaché zu füllen.

Die erste Buchmalerei habe ich heute sehr bedacht angefertigt. Alle Elemente sind kalkuliert eingesetzt, keine Spontaneität, kaum Zufälle. Anders bei Nummer 2 und 3. Da ließ ich mich von den Bewegungen treiben, die von der Gravitation und ihrem Gegenteil ausgelöst werden.

Die Zeit pendelt

„Verschärfte Wettbewerbsbedingungen – Heidi Hoh“, das ist ein Hörspiel von René Pollesch. Ich hörte es gestern und fragte mich, wie ich diese kompositorische Kraft des Textes und der Regie für meine Arbeit umwandeln kann. Die unterschiedlichen Mittel krachen aufeinander, die banalen Sinnzusammenhänge werden in einer Weise verkettet, verflochten und rapportiert, dass sich der Raum dahinter öffnet.

Die erste Malerei von heute ist Farbe, Abdrücke vom Handballen und Lavagestein mit einer zitternden Pinselspur, die an den Umrissen der Abdrücke entlang krabbelt. Im Zentrum befindet sich ein etwas verwischtes Blau, das verdünnt und gestempelt in den anderen Formaten wieder erscheint.

Auf Rolle 11 pendelt die Zeit hin und her. Am 27.2. rückwärts, am 28.2. vorwärts, wodurch die Verdichtungen wachsen. Sie verstecken eher, was erscheinen kann: Konstruktionen, Figuren oder Inseln in einem schwarzen Tuschemeer, deren Formationen Geschichten beherbergen.

Pollesch

Auf dem Bildschirm meines Telefons erschien gestern die Nachricht, dass Renè Pollesch gestorben ist. Die Abende seiner Anfangszeit besuchten wir in Oggersheim, dann kam er zu uns nach Heidelberg, wo er im Studio arbeitete und dann sah man seine Inszenierungen der eigenen Texte bald an großen Häusern. Für mich war er immer einer von den Jungen. Umso trauriger, dass er so früh starb. Mir geht durch den Kopf, dass es für mich richtig war, das Theater zu verlassen. Mit meinen Bildern traue ich mir eher zu, eine gewisse Tiefe zu vermessen, denn ich habe kein Publikum, von dem ich abhängig bin. Ein Team aber, wäre manchmal gut.

Getrost konnte ich mich gestern der Verdichtung der Tabostrukturen widmen. Ihr Echo wurde mit einer größeren Wellenlänge zurückgeworfen. Durch die Überlagerungen der unterschiedlichen Rhythmen, in denen sich die Sequenzen rückwärts wiederholen, nimmt das Tempo der Verdunklung zu. Die Linien werden von Umdrehung zu Umdrehung dichter. Heute werfe ich dieses Material wieder nach vorn in die Richtung des vorgeblichen Zeitkontinuums, vom Verlauf der Rolle vorgegeben.

Mit den drei Morgenmalereien habe ich heute gekämpft. Sie dauerten lange und zeichnen sich nicht gerade durch Reduktion aus. Ab und zu muss ich durch ein solch barockes Gewusel durch, um mehr Klärung zu bekommen.

Disharmonie

9 Wiederholungen des „Taborapports“ reihte ich gestern auf dem Streifen der Rolle 11 an den vorausgegangenen Zug der Linien. Dann setzte ich mit dem rückrollenden Durchzeichnen das Echo in Gang, das sich pro Umdrehung der größeren Spiralbahn verstärkt. Aus der Beschleunigung der Rücküberlagerungen verdunkelt sich das vorausgegangene Geschehen. Belohnt von stets neuen Verdichtungsfigurationen, kann ich das Zeichnen nur schwer unterbrechen.

Das einzige Mädchen in meiner Schülergruppe, die an jedem Donnerstag mein Atelier belagern, wurde auf dem Weg hierher von zwei anderen Schülern rassistisch beleidigt. Deswegen, oder weil sie das einzige Mädchen war, bleibt sie nun fern und geht in das Projekt von Oliver. Die zwei Jungs wurden ausgeschlossen. Die Frage der Lehrerin, ob das für mich in Ordnung sei, kam mir rhetorisch vor. Schade, dass ich von diesem Vorgang nichts mitbekommen habe!

Wilde Buchmalereien am Morgen. Es ist, als seien sie aus dem Korsett der Wiederverwendung auf Rolle 11 befreit und tobten sich nun gedankenlos aus. Aber da gibt es ja noch die Collagen, und das Aufeinandertreffen von strengen Tabolinien mit den ausschweifend tänzerischen Bewegungen der Gravitationsschwünge, den ruppigen Handliniengesträuchen und der Wasserfarbenfluidenz, ist disharmonisch.

Rotation

Am Wochenende führte ich den Rapport der Tabostruktur weiter. Die 5 Wiederholungen reichen mir aber noch nicht. Für eine Verdichtung, die durch das zurückrollende Durchzeichnen entsteht, benötige ich mehr Linienmaterial. Mit den unterschiedlichen Rhythmen der Überlagerungen füllen sich Zwischenräume. So verdunkelt sich der Raum. Auf anderen Rollen führten solche Arbeitsgänge zur fast völligen Einschwärzung des Transparentpapiers. Aber das kann diesmal nicht das Ziel sein, denn es sollen Felder entstehen, die aus den Lücken zwischen der Tusche stehen bleiben. Diese sind die Bausteine für weitere Figurationen.

Die Gravitation, die sich aus der zeitlichen Entfernung und der Rotation der Zeichnungsvorgänge ergibt, formt meine Regungen, die wiederum die Erscheinungen des Materials beeinflussen. Die Buchmalereien entfernen sich von dem Pfad der in die Gestaltungen auf dem Transparentpapier führt. Sie stehen jetzt wieder für sich alleine. Die Umrisse greifen nicht in das Geschehen auf der Rolle ein.

Die Buchmalereien versuchte ich in den letzten Tagen zu verknappen. Das gelingt mir besser, wenn weniger Emotionen mit ihrer Herstellung verbunden sind. Gestern, am Sonntag ging das gut. Heute bewegte ich mich mehr.

Alter Text

Den Umriss der zweiten Malerei von gestern zeichnete ich, wie geplant, in das Gesträuch der Tabolinien. Diese Verflechtung erfüllte mich mit einer gewissen Euphorie. Auf irgendeine stärkere Reaktion habe ich bei der Begegnung meiner Zeichnungen mit denen der alten Maler gewartet.

Den Bereich der rückwärts laufenden Verdichtungen der Tabolinien übersprang ich dann, um hinter ihrer einfachen Wiedergabe, neu anzusetzen. Das geschieht mit der erneuten einfachen Fortführung der Überlagerungen der Linien, welche zu einem einfachen Rapport führen. Wenn der lang genug in Richtung meiner Handschrift ausgedehnt ist, beginnt die Verdichtung durch Zurückrollen. Durch weiteres Hin- und Herrollen, lassen sich immer neue Zusammenballungen erzeugen. Wenn das die Einschwärzung des Streifens beginnt, nehme ich die wenigen hellen Löcher und schaue, was sie in der Folge ergeben. Dann stellt sich heraus, wie nah ich an die Welt der alten Maler herankommen kann.

Beim Kramen gestern fand ich einen lange verschollenen Text von Susanne zum Kraftfeld, den sie vor vielen Jahren geschrieben hat. Ich erinnere mich daran, dass sie warm eingepackt im alten Holzlager vor dem aufgehängten Fries saß und schrieb. Sehr beeindruckend, wie hellsichtig sich das heute liest. Carola kam, um meine aktuelle Arbeit zu besichtigen. Nachdem wir zu dritt was essen waren gingen wir noch zu einem Wein in unsere Wohnung. Dort erzählte sie sehr beeindruckend von ihren Forschungen zu den Frauen des Ghettos in Lodz.

Schwebend

Die Kräne auf der Baustelle nebenan, fahren im starken Wind rotierende Schalwände durch den Raum. Unten warten die behelmten Bauarbeiter. Die brüllenden Eisenflechter sind schon weiter gezogen.

Auf Rolle 11 wird sich als nächstes der Körper der überlagerten Buchmalereiumrisse in das Gesträuch der Tabolinien schieben. Ein Hirsch, Geweih voran, rennt ungebremst in die Sträucher am Waldsaum.

Wieder war ich während der Buchmalerei mit meinen Gedanken beim Transparentpapier. Die Bilder sind leichter und nicht so dicht wie sonst. Wenn sich beim Malen das Denken einmischt, sind die Formen schon gebändigt. Das Gefühl, aufhören zu müssen, kommt dann eher. Dadurch wir alles übersichtlicher. Die Sparsamkeit der Mittel führt zu größerer Konzentration. Die Formen wirken skulpturaler, schweben im Raum wie die Schalwände an den Seilen der Baukräne.

Unspektakuläres Aufeinandertreffen

Den Umriss der 2. Malerei von gestern nutzte ich auf der Transparentpapierrolle für das Aufeinandertreffen der geraden Linien aus Tabo mit der Mischung aus Schwüngen, schwarzen Flächen und Liniengittern aus der gegenwärtigen Produktion. Sie wird derzeit von den Formen eines durchgeschnittenen Lavasteins dominiert, den ich als Wasserfarbstempel benutze. Die Kammern, die bei der Erstarrung des flüssigen Gesteins entstanden sind, bilden Figürchen mit deutlichen Köpfen, Schultern und amorphen Körpern.

Die Begegnung der unterschiedlichen Strukturen geschah eher unspektakulär. Ich hoffe, dass es ein Potential gibt, dessen Produktivität mich bei der Suche nach meiner Beziehung zu den Tabolinien noch eine Weile mit Energie versorgt. Ich misstraue der Mutwilligkeit, mit der ich mir das Material anverwandle.

Die Malereien von heute folgten verschiedenen Zielrichtungen. Sie entstehen derzeit nicht so besinnungslos, wie in der Zeit davor. Das zweite und das dritte Format sollten sich für die Verwendung auf der Rolle eignen. Das erste hingegen ist ganz frei von diesen Gedanken und hat auch eine andere Qualität.

Begegnung

Auf der Transparentpapierrolle kommt es heute zur ersten Begegnung der Tabolinien mit den Umrissen der Buchmalereien. Sie haben sich nun auf dem Streifen so weit vorgeschoben, dass sie die ersten durchscheinenden Strichgeflechte erreichen, die ich am 7.2. und 8.2. in etwa 5 Meter Entfernung auf die Rolle (in die Zukunft) zeichnete. Eine Parallelität ergibt sich daraus, dass die Maler, die die Räume des buddhistischen Klosters vor 1000 Jahren ausgestaltet haben, auch von der Buchmalerei her kamen.

Ich bemerkte bei der Arbeit auf Rolle 11, dass sich große Umrisse mit kleineren geschlossenen Binnenformen, wie auf der 1. und 2. Malerei von gestern, gut für die kommende Überlagerung der Strukturen eigenen. Ich kann dann jeweils, mit den durchscheinenden, sehr unterschiedlichen Linien aus beiden Richtungen des aufgerollten Transparentpapierstreifens, die verschiedenen Felder füllen.

Die Interpretation der Linienkompositionen als schamanistische Gestaltungen, die aus visuellen Erlebnissen meditierender Mönche während des Übergangs in eine andere Welt herrühren, verändert meine Suche nach ihren Auswirkungen auf mich und meine Arbeit. Zunächst hat mich das eher von ihnen entfernt.

Was gelang, was nicht?

An jedem Vormittag steht am Ende der Buchmalereien die Frage: „Was gelang, was gelang nicht?“. Und dann ist die Versuchung, der ich oft widerstehe, groß, weiter zu machen. Freilich gibt es manchmal noch wenige Striche mit der Tinte meines Schreibgerätes, um ein paar Konturen noch einmal hervorzuheben.

Die Wahrnehmung von Material hat sich in den letzten Tagen gesteigert. Dazu gehören auch Ideen und die Nähe zur Musik, die ich ebenfalls als einen Stoff empfinde, den ich für die Beeinflussung meiner Arbeit einsetzen kann. Während ich mich auf die leisen Gesänge von Glenn Gould, mit denen er sein Klavierspiel begleitete, konzentrierte, kamen mir Pappmachefigürchen in den Sinn, die an den Verbindungspunkten der Dreiecksgitterkonstruktionen sitzen. Aber mehr noch würde mich interessieren, Musik direkt in Farben und Strukturen zu übersetzen. Das ist aber ein Thema, das ich nicht nebenbei bearbeiten kann.

Auf einem kleinen digitalen Bildbetrachter laufen gerade Buchmalereien und Collagen des vergangenen Jahres. Beim Hinschauen stelle ich fest, dass ich mich schon intensiv mit den Tabolinien befasst hatte. Diese Ergebnisse könnte ich nun auf Rolle 11 weiterentwickeln. Es gibt viele Erkenntnisse, die wieder im Dunkel verschwinden. So lohnt es sich also, ab und zu zurück zu schauen.

Übergang

Einer Nachbarin, von der ich im Atelier besucht worden bin, zeigte ich, weil wir über buddhistische Praktiken sprachen, meine Tabolinien. B. hat in Schönböken einer Freundin davon erzählt, die meinte, dass es öfter solche schamanistische Zeichen des Übergangs gäbe. Ein interessanter Gedanke, von dem ich aber befürchte, dass er mein Einlassen auf diese Welt etwas einengen könnte. Im Vorraum der Versammlungshalle der Mönche, befinden sich gemalte Frauenfiguren, die auf eine ältere matrilineare Gesellschaft hindeuten. Im Durchgang zum Gebetsraum, in dem sich die Linien befinden, passiert man eine Grenze, was mich an die Arbeit „Der Riss ist die Passage“ aus den Neunzigerjahren erinnert.

Der Sonntag war trödelig und lang. Ich machte zwar ein vollständiges Arbeitstagebuch, pausierte aber mit Rolle 11. Ich muss wieder etwas warten, bis es damit konzentriert weitergehen kann. Aber dadurch staut sich Energie an.

Mittlerweile treffen in den Buchmalereien viele Arbeitsweisen aufeinander. Somit ballen sich in den kleinen Formaten so viele Strukturen zusammen, dass ich den Eindruck habe, sie strebten voneinander weg, um einzeln erscheinen zu können. Manchmal reduziere ich die Mittel, wie am 17.02.. Dann erscheinen die Handlungen übersichtlicher und ruhiger. Auch am 16.02. war mehr Harmonie als sonst vorhanden. Heute erschien eine ruppige Körperlichkeit auf dem Papier, die mehr wollte.

Sog

Mit meinem Bruder spazierte ich gestern durch einen schlammigen Wald bei Haina. In einer Ruine besichtigten wir kyrillische Gravuren im Putz. Jemand aus Omsk war dort stationiert. Wir befanden uns auf einem ehemaligen Übungsgelände der Roten Armee.

Ich denke darüber nach, wie ich mich von dem Arbeitssog etwas entfernen kann. Von einer inneren Verpflichtung zur Leistungsbereitschaft getrieben, beschleunigt sich das Arbeiten. Davon zeugen die zigtausend Buchmalereien und die 500 Meter gezeichneter Transparentpapierrollen. Wie auf einer Wanderung durch eine unbekannte Landschaft, gehe ich von einem Aussichtspunkt zum nächsten, nur um zu schauen was dann dahinter kommt. So laufe ich dem Ende meiner Zeit entgegen, fülle mein Totenbuch mit der Reihe von Seelenzuständen und Szenen.

Die Struktur von Rolle 11 ist bisher zu spannungslos. Die Aneinanderreihung von Umrissen aus den Buchmalereien gerät zu einem gleichförmigen Zug. Da muss etwas geschehen!

Annäherung

Sehr langsam entstanden heute die Malereien. Ein glatt durchgeschnittener Lavastein diente mir als Farbstempel und als Gewicht, um die Haarlocken auf dem Papier in den Farbpfützen zu fixieren. Mit Aquarellstiften, Tinte und Tusche verstärkte ich Konturen, d.h. Umrisse und Haarlinien im Binnenbereich der Farbflecken. Daraus entstehen oft Figuren, die auf das abstrakte Spiel in ihrer Umgebung schauen, als erwarteten sie von dort Gesellschaft.

Die zweite Buchmalerei von gestern nutzte ich für die Weiterarbeit an Rolle 11. Die zerklüfteten Inseln boten entsprechend bewegte Umrisslinien. Eine Linienkomposition, die am 9.2. in Erinnerung an die Wandmalereien im Kloster Tabo im Spitital entstanden ist, spielt in den Tuschelinienschichten der Gegenwart eine entscheidende Rolle. Und wenn ich genau hinschaue, dann scheinen schon die Linien, die ich 5 Meter in die Zukunft gezeichnet habe, ganz leicht durch.

Gestern waren für zwei Stunden meine Schüler da. Sie haben so viel Kraft, die sich in Bewegung austoben will, dass ich manchmal Mühe habe, sie zu bändigen. Auf der Wiese haben wir trockenes Material abgeschnitten und für die Feuertonne zerkleinert. Danach erst haben sie an ihren Reliefobjekten weitergearbeitet.

Erster Impuls

Mit dem handschriftlichen Tagebuch beginne ich einen Umriss in der ersten Buchmalerei mit Tinte nachzuziehen. Der erste Impuls aber war am Morgen die Schraffur, die aus Brustkorb und Schulter auf das Papier übertragen wurde. Diese Struktur setzte ich per Handballenabdruck in die zweite Malerei, verdichtete sie dort und schwächte sie wieder mit Wasser und dem Handballen ab und übertrug sie nach 1.

Vor mir auf dem Tische stehen die zwei Zylinder, zwischen denen sich der Transparentpapierstreifen aufspannt, etwa 35 cm, den ich gestern mit Tusche und Rohrfeder auf Rolle 11 zeichnete. Er besteht aus 3 Umrissen, die ich aus der 2. Buchmalerei vom 12.2. extrahierte, auf einen Bogen zeichnete, um sie dann in den Streifen einzugliedern. Er funktioniert wie ein Totenbuch. Seine Liniengesträuche zeichnen die Emotionen auf, die in den langen Konzentrationsphasen in mir sind.

Für mich vermischte sich heute die Malerei deutlich mit den Goldbergvariationen von 1981 durch Glenn Gould eingespielt. Die erste Variation nach „Aria“, mit der Bezeichnung „1a1“, schlägt nach dem ruhigen Gang des ersten Stücks, brutal zu. Ich würde mich an dieser Stelle jedes Mal erschrecken, kennte ich das alles mittlerweile nicht schon ziemlich genau.

Einstieg

Mit den Buchmalereien habe ich die Möglichkeit meinen Einstieg in den Tag mit dem eigenen Tempo zu gestalten. Ich vergesse die Schwere des Schlafs, des Körpers und des Geistes. Die Transparentpapierrolle, die mich an den gestrigen Nachmittag erinnern würde, verschwindet neben mir aus meinem Gesichtskreis. In ihm befinden sich nur die zwei Seiten, auf die ich die drei Malereien mache, die auseinander entstehen und somit Verwandte sind.

Rolle 11 ist gestern um 45 Zentimeter weiter gezeichnet worden, wieder näher an die Tabostrukturen heran. Aus der auffälligen dritten Malerei vom 9.2. extrahierte ich Umrisse und übertrug sie auf das Transparentpapier. Der Zug der Liniengesträuche, auf die ich zuarbeite ist deutlich zu spüren.

Morgen kommen die Schüler. Das stört meine Konzentration und durchmischt meine Gedanken. Manchmal möchte ich, dass sie ihrem Lärm eine bildliche Gestalt geben. Gern würde ich sie auch auf Dreieckgitterobjekte orientieren, die mit Relieffragmenten verbunden sind.

Nahe und entfernte Struktur

Nach den Buchmalereien saß ich etwas in der Morgensonne, will aber den Tagebuchblock am Vormittag fertig bekommen, um mich dann auf andere Dinge konzentrieren zu können. Beispielsweise auf die Fortführung der Arbeit an Rolle 11. Dort habe ich gestern die Umrisse der 3. Malerei des 8.2. hinter die Figurenreihe gesetzt, mit der ich diesen Transparentpapierstreifen begann.

Aber ich möchte variantenreicher fortfahren, andere Umrissformen finden als die Figurenanmutungen. Mit einem weißen Bogen Papier, den ich zwischen die zusammengerollten Schichten legte, reduzierte ich das dichte Angebot von sich überlagernden Linien. Innerhalb der Umrisse kommt es deswegen zu Lücken der Struktur, was dem Gesamtbild gut tut.

Die Buchmalereien von heute folgen wieder den seismischen Linien, die aus dem Inneren über den Bewegungsapparat und die Aquarellstifte auf das Papier übertragen werden. Die kreisenden Papiergravuren und Haarlockenabdrücke, verweisen auf die wechselnde Statik der emotionalen Tektonik. So gehe ich mit langsamen Schritten auf die Tabolinienstruktur zu, die sich in vielleicht 3,5 Meter Entfernung befindet.

Gewalt

Der Rückzug in das Atelier rettet mich vor den Zumutungen der Außenwelt. Das Gebrüll der Leute, die nur noch mit den Informationen versorgt werden, die in ihr Weltbild passen, dessen Lautstärke die anderen Meinungen übertönt. Gewalt, wo man hinschaut!

In meinen Buchmalereien blüht mein Fühlen aus, die Aquarellstiftschraffuren treffen auf die sich kreuzenden Linien der Handballenabdrücke und verstärken sie. Die rechte Schulter und der dazugehörige Arm nehmen die Schwingungen des Brustkorbs auf, die Hand hält nur den Stift fest, der die Bewegung sichtbar macht. Farbbezeichnungen blitzen kurz auf, sichtbare Strukturen kommen im Denken nicht vor, sie entstehen vorher auf dem Papier. Nur das Wort „Schluss“ schlägt plötzlich zu. Es ist das wichtigste merkbare Zeichen, das direkt aus dem Hirn kommt.

Wir sahen eine Komödie auf der großen Bühne unseres Schauspiels. Wolfram Koch, eine zum Schreien komische Rampensau, in der Hauptrolle – schrecklicher Beruf! Wir trafen alte Freunde, unsere Kulturdezernentin und das Premierenpublikum, das immer da ist. Eine schöne Gewohnheit!

Zeichnungserinnerungen

Meine Sensorik schärft sich etwas und ich spüren Materialien anders als sonst, habe viel Lust auf handwerkliches Arbeiten, auf das Zeichnen, das auf die Entdeckung der Dimensionen der tiefen Räume der Erinnerungen ausgerichtet ist: Zeichnungserinnerung.

Parallel dazu entdecke ich neue Bereiche der elektronischen Musik. Sie unterstützt mich, bei zunehmender Empfindsamkeit mehr Tempo aufzunehmen. All das hängt auch mit der Beschäftigung mit den Tabostrukturen zusammen. Die Gravitation scheint sich aus der Kreisbewegung der Rolle 11 zu entwickeln und nicht umgekehrt. So entsteht das Gewicht der gestapelten Tuschezeichnungen. Wegen verschiedener Termine komme ich nun insgesamt drei Tage nicht dazu, an der Rolle weiter zu arbeiten. Das Material staut sich auf, bevor ich am Montag weitermachen kann.

Die Buchmalereien sind heute von den Emotionen mitgerissen worden und haben ihren Rahmen etwas gesprengt. Die zurückgehaltene Energie will raus. Aber heute gibt es eine Premiere im Schauspiel, morgen noch einmal Theater und ein Treffen mit Freunden…

Mehrdimensional

Beim Treffen im Anna-Freud-Institut stellte ich eher Fragen in den Raum, als über meine Arbeit zu berichten. Es wurde vehement geantwortet, so dass ich nur kurz zu Wort kam. Aber die Diskussionen, die sich entwickelten, haben mir gefallen.

Bei der Verdichtung der Tabostruktur begegnete mir ein bedrohliches Bild. Die Verdichtung des Gesträuchs durch zeichnerische Schichtungen, entwickelt eine mehrdimensionale Gravitationen. Die vielen kleinen Räume zwischen den hintereinander gestaffelten Linien, ziehen den Blick in die Tiefe. Der Wirbel des aufgerollten Transparentpapierstreifens verschlingt rotierend alle Bilder. An seinen Wänden befinden sich die Untiefen der Tuschelinienschichten. Das ist der mehrdimensionale Experimentalaufbau, der die Denkmodelle der Maler, die vor tausend Jahren die Wand eines Durchgangs zu einem Gebetsraum mit abstrakten Strukturen füllten, aufdecken soll.

Es wäre schön, wenn ich ihnen meine Experimente zurücksenden könnte, damit ihnen aufgeht, was sie bei mir ausgelöst haben. Langsam beginnt sich diese Arbeitsrichtung deutlich auf die Buchmalereien auszuwirken.

Aufeinandertreffen unterschiedlicher Zeitkontinuen

Durch den Ausfall der Heizung musste ich vorübergehend den Rhythmus meiner Arbeit variieren. Und was das Zusammenspiel meiner persönlichen Arbeit mit dem Projekt YOU&EYE angeht, so kam es zu einer Unterbrechung. Entfernt vom Chaos des Ateliers, versuche ich die Situation zu Hause produktiv zu halten.

Gestern arbeitete ich auf Rolle 11 aus zwei Richtungen auf einen Punkt zu, an dem sich die zwei verschiedenen Zeitkontinuen begegnen „werden“. Während ich die Tabostruktur noch zwei mal von rechts nach links wiederholte, achtete ich auf die Erzählungen in den Zwischenräumen, in denen sich weitere gemeinsame Dimensionen öffnen können.

Aber auch in dem Bereich, der die Gegenwart markiert, fuhr ich mit dem Wachstum des Buchmalereigesträuches fort. Dabei komme ich nicht umhin auf spannungsvolle Verläufe von Rhythmen der Flächen, der Leere und der Tuschelinien zu achten. Indem ich dieses Material auf die Begegnung mit der schriftartigen Tabolinien-Verdichtung vorbereite, präpariere ich meine Bilder, indem ich sie durchlässig und aufnahmebereit für das halte, was ihnen nun entgegenkommt. Die zu erwartende Schwierigkeit dieses Aufeinandertreffens wird derzeit in den Collagen deutlich.

AUFEINANDER ZULAUFENDE BEWEGUNGEN

Den Umriss der ersten Malerei vom 5.2. übertrug ich in den zeitlich kontinuierlichen Ablauf von Rolle 11. Das wirkt dort wegen der ähnlichen Größen der Figuren und ihren ähnlichen Abständen, etwas eintönig. Entweder suche ich mir spannungsreichere Kompositionen aus, oder ich fertige die zeitkontinuierlich ausfüllenden Durchzeichnungen nicht gleichmäßig aus. Um das zu erreichen, kann ich die vorigen Schichten mit weißen Papierbögen abdecken oder nur selektiv durchzeichnen. Aber geht es bei dieser Arbeit überhaupt noch um spannungsvolle Kompositionen?

Im Atelier kann ich wegen der defekten Heizung derzeit nicht arbeiten. Aber hier zu Hause kann ich sowohl das Arbeitstagebuch schreiben, als auch an Rolle 11 arbeiten. Beide fortlaufenden Zeichnungsstränge laufen aufeinander zu. Bei der zeitrückläufigen, schriftartigen Überlagerung der Tabolinien kommt es vielleicht nicht so sehr auf ihre Begegnung mit den Buchmalereistrukturen an, sondern darauf, diese Verdichtung weiter zu verfolgen, bis sie aus sich heraus spricht. Beide Linien kann ich verfolgen und dabei schauen, wo ich entscheidend weiterkomme.

In den Collagen stoßen sich diese unterschiedlichen „Aggregatzustände“ eher ab. Die kristallinen Verdichtungen der alten, geraden Linien und die aquarellartigen Erscheinungsbilder der Malereien aus den Tagebüchern, verbinden sich bisher nur schwer zu einem weiterführenden Klang.

Annäherung an das „Tabo-Echo“

Ich schreibe schon wieder zu Hause, weil die Heizung im Atelier seit Tagen nicht funktioniert. Ungehalten über diese Art der Missachtung, versuche ich dennoch die regelmäßige Ruhe, aus der die Entwicklung der Bilder resultiert, nicht zu unterbrechen.

Gestern beschäftigte ich mich hier zu Hause mit den tausend Jahre alten Linien aus Tabo, die ich in die Zukunft des Zeitstreifens von Rolle 11 gesetzt habe. Das Echo, das ich zeichnerisch rückwärts in Richtung Gegenwart aussende, Bestand zunächst aus einer einfachen Überlagerung von 2 Linienschichten, die ich 4 x mit dem Durchzeichnen im Rückwärtsrollen wiederholte. Dann wickelte ich die Rolle vorwärts, mit dem viel kleineren Anfangsradius zusammen und zeichnete die Struktur nach vorne durch, wodurch sie sich entscheidend verdichtete. Durch die engeren Intervalle wird der rhythmische Fluss verstärkt. Die konsequente Fortführung dieses Arbeitsganges, führt zur Verdunklung des Gesamteindrucks.

Während dessen bewegt sich der Figurenreigen der Buchmalereiumrisse auf der Rolle vorwärts und trifft somit demnächst auf die verdichteten, dunklen, schriftartigen, quadratischen Felder des „Tabo-Echos“. Diese werden dann von den Umrissen eingegrenzt, mithin fragmentiert, durch weiteres Hin- und Herrollen und Durchzeichnen verändert. All das geschieht mit dem Wunsch einer Annäherung an die alten Maler.

Space // Heads

Sigi Am Thor und Oliver Tüchsen arbeiten gemeinsam in einem Atelier. Gestern sahen wir sie bei ihrer Ausstellungseröffnung „Space // Heads“ im Haus der Stadtgeschichte in Offenbach. Dort zeigen sich zwei sehr verschiedene Charaktere. Olivers Arbeiten erscheinen aggressiver und gefährlicher. Seine tiefen Perspektiven möchte ich oft nicht betreten. Bei Sigi ist das anders. Ihre abstrakten Portraits laden zum gemeinsamen Erfinden der Geschichten hinter den Maskierungen ein. Die Einladung zu dieser Veranstaltung ging auch an alle teilnehmenden Künstler der Projekte YOU&EYE, aber ich war als einziger gekommen.

Heute schrieb ich zu Hause, weil ich mich vor dem kalten Atelier fürchtete, dessen Heizung nun schon seit 4 Tagen nicht läuft. Dabei habe ich mit Rolle 11 einiges vor und am Donnerstag kommen die Schüler wieder… Ich erinnere mich mit Grausen an den Oktober und den November, als ich im Atelier auch so fror.

Jetzt hier im Atelier bewege ich mich hin und her, steige auf die Leitern, um die Pflanzen zu gießen und halte mich auf alle erdenkliche Weise warm. Aber an konzentriertes Arbeiten ist kaum zu denken. Immerhin sind die Buchmalereien, die ich am Morgen in der Wohnung gemacht habe kraftvoll und auch auf Rolle 11 weiter verwendbar.

Tabostrukturen

Gestern Abend, während ich mit zunehmender Routine an Rolle 11 weiter arbeitete, wuchs das Bedürfnis, die zeichnerischen Vorgänge zu ändern. Auf dem Heimweg dachte ich mir, dass die Tabostrukturen, die ich 5 Meter in die Zukunft gesetzt habe, nun schon bald eine Rolle spielen sollten. Deswegen möchte ich nun im Rückrollen weiter durchzeichnen und dabei das Rückzeichnen beschleunigen. Um schneller in der Gegenwart anzukommen.

Mir gingen auch andere fragmentarische Figuren aus dem Skizzenbuch, das ich mit im Spitital hatte, für ihr Erscheinen auf der Rolle durch den Kopf. So beschäftigt mich die Begegnung mit dem Rinpoche Serkong Tsenshab im vergangenen Jahr in Tabo weiter. Die Annäherung an die Maler, die vor 1000 Jahren das Kloster ausgestalteten, geht nun durch das Aufholen der voraus gezeichneten Linien weiter.

Gestern geschah das mit den Umrissen der 2. und 3. Buchmalerei. Die Routine verlangte, dass ich die entstandenen Inseln mit dem Vorausgegangenen Material füllte. Nun soll das Ganze aber umgedreht werden, um die Echos aus der Zukunft einzufangen und die Umrisse damit zu füllen.

Fröhlicher Lärm

Fröhlich arbeiteten meine Schüler gestern an ihren seriellen Objekten, flechteten weitere Ringe in den Weidenbaum im Gärtchen und grundierten die ausgeformten Pappmachemasken, die sie später bemalen werden. Es geht laut zu, wenn sie da sind, und es scheint so, dass ihr Lärm noch eine Weile anhält, wenn sie schon gegangen sind.

Nach einer Stunde Rückbau in meinem Atelier, begann ich dann den zweiten Buchmalereiumriss von gestern, auf Rolle 11 zu übertragen. Dort entstehen daraus Landkarten mit fremden Meridianen, deren Inseln mit fortschreitender Arbeit eine zerklüftete Oberfläche bekommen. Die Freiheit, die Umrisse bei ihrer Übertragung auf Transparentpapier etwas umzudeuten, führt dort zu den Szenen, die aus den Buchmalereien fortgeschrieben werden. Mit sechs Trassen wird Madagaskar an die Seite von Spanien geschleppt, das seitenverkehrt erscheint. Grönland nähert sich dem großbritannischem Blob. Viele Geschichten werden in den Geländen bereitgehalten.

Die, in den letzten Tagen gewonnenen, Stilerkenntnisse wollte ich in den heutigen Buchmalereien fortführen. Das geschieht mit Blick auf Rolle 10. In dieser Weise beginnt die Produktion wieder an die Arbeit des vergangenen Jahres anzuknüpfen, es fängt an, wieder rund zu laufen.

Haut und Haar

Die letzte Erzählung aus dem Band „Das Lachen der Götter“ von Aleš Šteger mit dem Titel „Ikarus“, erweiterte meine Vorstellungen von den Zeitwahrnehmungen. In der 3. Malerei von heute gibt es Entsprechungen dafür. Die Recyclingwirtschaft des Geistes lässt die Bilderfragmente wie schmerzenden Abfall umherirren. Der Sturz ins Meer ist nach dem ewigen Kreisen wie eine Erlösung. Mit dem Zusammenklang von Haut und Haar und Bewegung komme ich diesen Empfindungen näher.

Auf meinem Gang ins Atelier traf ich meine Schüler, die mich freundlich grüßten: „Bis nachher!“ Und der Fischlieferant des Supermarktes, der aus seinem Auto sprang, teilte mir auf Anfrage lächelnd mit, dass er Lachs dabei hat… Die „Goldbergvariationen“, 1981 von Glenn Gould eingespielt, müssen heute dafür herhalten, mich geradewegs in eine produktive Konzentration zu führen.

Mit der Reduktion der ersten beiden Malereien des Morgens, möchte ich klarere Aussagen machen. Nicht inhaltlicher sondern nur formaler Art. An den Grenzen der Farbflecken enden auch die Spuren der Haarbögen. Das Auge hüpft von Insel zu Insel und verfolgt die verschwundenen Linien.

Rollen

Gestern begann ich Rolle 11 zu zeichnen, weil ich es nicht weiter hinausschieben wollte. Auf den etwa 5 Meter auseinander gerollten Streifen zeichnete ich die Linien aus Tabo, mit denen ich mich an die alten Tempelmaler annähern möchte. Vielleicht befinden sich die Linien nun etwa 14 Tage in der Zukunft auf dem Zeitstrahl aus Transparentpapier.

Bei den Buchmalereien ging ich heute etwas langsam und vorsichtig vor, weil die Vereinzelungen der Motive gestern nicht gelang. Das geschieht im Hinblick auf die Verwendbarkeit der Elemente auf Rolle 11. Erst jetzt, nach der Fertigstellung von Rolle 10, habe ich das Gefühl, dass die Arbeit wieder stockungsfrei laufen kann.

Nach einiger Zeit werden die aktuellen Zeichnungen auf die Rhythmen aus Tabo stoßen. Dann werde ich sehen, was das Ergebnis dieses Experimentes sein wird. Die starken Verdichtungen der Gesträuche passieren immer, wenn ich die Rolle beim Durchzeichnen der vorausgegangenen Linien oft hin und her rolle.

Reduktion

Am Morgen versuchte ich reduzierter an die Buchmalereien zu gehen, einfach weniger zu machen. Mir schwebten einzelne Elemente vor, die sich unabhängig voneinander im Format befinden. Ich kam darauf, als ich mir die 2. Malerei vom 27.1. anschaute, die so ähnlich funktioniert.

Es kam jedoch anders. Zwar blieb es bei einer gewissen Sparsamkeit, aber die Elemente zogen sich eher zusammen. Die fehlenden Umrisslinien lassen die Spannung zwischen den Haarlinien und den Farbflecken besser zur Geltung kommen. Also werde ich morgen noch einmal probieren dieses kleine Vorhaben umzusetzen, ohne mich von einer Emphase davontragen zu lassen.

Noch einmal probierte ich mit einem Animationsprogramm die Werktagscollagen so zusammenzusetzen, dass die drei Stapel mit den aufeinander folgenden Schichten, eigenständige Bewegungsvorgänge bilden, die die Entstehung der Arbeiten erzählen. Dabei unterlaufen mir immer mal Fehler, die zu neuen Möglichkeiten der Montagen führen können. Die Dateien sind nicht sehr hoch aufgelöst, sind deswegen leicht handhabbar und sollen auch die Grobheit dieser digitalen Arbeit zeigen.

„STEIN SCHERE PAPIER“ „QUINTETT“ „SCARBO“

Gestern hörte ich „Stein Schere Papier“ von Heiner Goebbels, mit der Stimme von Heiner Müller, der einen Sisyphostext sprach, dessen Fragmente zerschnitten in das Musikstück eingefügt sind. Eine Stimme aus einer verlorenen Zeit.

Eine weitere Stimme von dort ist die von Kevin Bryars mit dem Song „Jesus Blood never failed me yet“, der als Loop 25 Minuten hinter dem Stück „Quintett“ von Bill Forsythe lief. Diese Musik wird im Tanzstück „Scarbo“, vom Choreografen Ioannis Mandafunis und der Tänzerin Manon Parent zitiert, das wir gestern im Bockenheimer Depot sahen. Ich verstand am Anfang, dass in dem Soloabend ein elfjähriges Mädchen dargestellt wurde, was sich durch einen Text in der Mitte des Stücks bestätigte. Ich konnte mit dieser Arbeit viel anfangen und bin froh, nun wieder mit der Frankfurter Tanzwelt verbunden zu sein.

Gestern saß ich Tagebuch schreibend vor der Ateliertür in der Sonne. Argwöhnisch beobachte ich die Bauarbeiten in der Nachbarschaft und versuche abzuschätzen, wie weit ich von dort aus, durch die wachsenden Gebäude, verschattet werde. Je weiter man sich im Westen des Geländes befindet, desto mehr Chancen auf Sonne sind vorhanden.

Pläne

Der Vorgang, mit den Buchmalereien am Morgen die Arbeit zu beginnen, folgte heute, im Gegensatz zu dem vorausgegangenen Herangehen, einem Plan. Ich wollte die verschiedenen Mittel, die ich in den letzten Jahren entwickelt habe, in den 3 Formaten getrennt anwenden. In 1 dominieren die Umrisse, in 2 die Farbflecken mit den eingefärbten Haarlinien und in 3 die schraffierten Gewindegravuren. In 1 und 3 konnte ich die Beschränkungen nicht ganz durchhalten, will aber dieses Vorgehen morgen weiter verfolgen.

So wie ich mir das in den Vortagen gedacht hatte, setzte ich gestern mit den Kindern unsere serielle Arbeit fort. Im Zentrum verschiedener Pappumrisse sollen nun die immer selben Partien der Reliefform stehen. Jedes Kind wählte sich drei Stellen aus und schnitt sich Pappen mit unterschiedlichen Konturen, um sie einzuweichen und an den entsprechenden Stellen in die Form zu drücken. Obwohl ich versuche, den Vorgang deutlich zu erklären, stürzen sie sich etwas besinnungslos in das Unternehmen und merken erst am Ende, was sie vollbracht haben.

Die große ausziehbare Stehleiter trugen wir nach draußen und stellten sie so nahe wie möglich an den Weidenbaum im Gärtchen. Dort flochten wir Ringe in die obersten Triebe des Baumes. Weil in den vorausgegangenen Jahren aus solchen Ringen Äste ausgetrieben sind, können sie nun weitere Kreise an den Peripherien bilden, die sich auf diese Weise multiplizieren. Es ist interessant zu beobachten, wie viel Überwindung es manche Kinder kostet, die obersten Stufen zu ersteigen, sie es aber immer wieder ehrgeizig probieren. Das einzige Mädchen der Gruppe, hat es sich zur Aufgabe gemacht, bei jedem Besuch, die Pflanzen auf den obersten Gesimsen vor den Atelierfenstern zu gießen.

Aufräumen

Gestern räumte ich das Atelier etwas auf. Diese Pause deckt Arbeitslinien auf, die sich im verlauf der Zeit nicht weiter durchgesetzt haben. Mehrschichtige Transparentpapiercollagen beispielsweise, mit Tusche–Schellack–Verläufen, Zeichnungen und Pflanzenteilen. Manchmal sind es Versuche, mit denen ich die Schülerbesuche vorbereite.

Gestern grundierte ich Maskenabgüsse und eigene Relieffragmente, die immer dieselbe stelle der Form abbilden, aber mit unterschiedlichen Umrissen. Das wird die Weiterentwicklung unserer seriellen Experimente in eine neue Richtung lenken. Auch die Maskenformen bilden den Ausgang für die etwas weniger strenge Beschäftigung mit Abformung und Bemalung. Für die Jungs, die etwas zu viel Kraft für diese Beschäftigungen haben, liegt draußen unter dem Dach der dicke Stammabschnitt der Pappel, die vor ein paar Jahren gefällt worden ist. Er soll mit Hohleisen zu einem Mantel verarbeitet werden.

Lange Arbeitstage stecke ich nicht mehr so leicht weg. Gestern auf dem Heimweg nach 18 Uhr, fühlte ich mich etwas ausgelaugt. Die Buchmalereien sind Spiegel der Stimmungen und der Kraft. Derzeit zwinge ich mich zu einer Arbeitspause und möchte den Beginn der Arbeit an Rolle 11 etwas hinauszögern, um für den Start Energie anzustauen.

Zeitexperimente

Aus den Werktagscollagen des vergangenen Jahres stellte ich gestern Animationen zusammen. Für diese eintönige Arbeit muss es automatisierte Möglichkeiten der Zusammenstellung geben. Bisher mache ich das Bild für Bild mit jedem Übergang einzeln. Die Ergebnisse sind allerdings spannend.

Die Zweite Malerei von heute sieht aus, wie eine Collage. Das liegt daran, dass ich die Haarschwünge nur partiell sichtbar gemacht habe, indem ich die Locken mit abgegrenzten Pinselspuren aus Farbwasser auf dem Papier bändigte. Danach färbte ich die Linienbögen mit Tusche oder konzentrierter Aquarellfarbe ein. Die Formen sehen wie ausgeschnitten aus. Die figürlichen Anmutungen habe ich auf 2 nicht durch Umrisslinien verstärkt, wohl aber auf 3.

Nach wie vor beschäftigt mich das Thema zeichnerischer Zeitexperimente. Damit komme ich aber nur weiter, wenn ich mit Rolle 11 beginne. Der Start wird aus einem Rückgriff bestehen, den ich in die Zukunft projiziere, um ein Echo zu entwickeln, dessen Rhythmus vom Umfang der ganzen Rolle abhängig ist. Mit dem Durchzeichnen im Rollen im Uhrzeigersinn geht es von der enger werdenden Gegenwart nach vorne in die Zukunft. Gegen den Uhrzeigersinn geht es nach hinten aus der Gegenwart in die Vergangenheit oder aus der Zukunft auf das Jetzt zu. Auf dem 50 Meter langen Transparentpapier – Zeitstreifen ist genug Raum für das Experiment.

Animationen

Mit einem Animationsprogramm setzte ich gestern aus den Collagenreihen des letzten Jahres Filme zusammen, in denen die Bilder durch langsame Übergängen miteinander verbunden sind. An jedem Arbeitstag entstehen 3 Collagen in denen sich die erste, zweite und dritte aus der jeweiligen ersten zweiten und dritten Collage des Vortages entwickeln. Somit entstehen 3 Animationsstränge.

In diesen bewegten Bildern ist die Entwicklung der Arbeitsweisen, der verschiedenen Mittel in den Buchmalereien und Transparentpapierzeichnungen nachzuvollziehen. Die langsamen Veränderungen zeigen die Entwicklung der Arbeit eines Zeitraumes, wie eine Geschichte. Mit den langen Reihen meiner gescannten Bilder will ich diese Arbeitsweise weiterentwickeln. Das Erzählerische wird so konzentrierter verdeutlicht.

Für die Buchmalereien habe ich nun wieder die geschnittenen Lavasteine aus Fuerteventura als Farbstempel hervorgeholt. Die mischen sich mit den schraffierten Gewindegravuren, den Haarstrukturen und mit meinen Handabdrücken. Franz hat mich besucht und das alles begutachtet…

Sprache und Bewegung

Gestern sahen wir im Frankfurt LAB einem Tänzer bei der Arbeit zu. Er nahm die Struktur des Raumes zunächst mit seiner Sprache auf und beschrieb, was er sah. Daraus entwickelte er eine Erzählung, die er mit seinem Körper illustrierte und weiterentwickelte, was dann wieder auf den Text zurückwirkte.

Ganz ähnlich geht mein Enkel bei seinem Spiel mit seinen Figuren und deren Fahrzeugen vor. In der Bühnenversion dieses Spiels gingen Text und Bewegung mit einer ähnlichen Geschwindigkeit und einem ähnlichen Duktus ineinander über. Das hatte zur Folge, dass sich öfter beide Ebenen nivellierten, was eine gewisse Spannungslosigkeit der Dramaturgie nach sich zog.

Ein Lichtblick in der anhaltenden politischen Düsternis, waren die großen Demonstrationen gegen den Rechtsradikalismus in seinen rassistischen und nationalistischen Ausprägungen in Deutschland. Wer hätte gedacht, dass die Bewohner des flachen Binnenlandes von Nordamerika mit den Thüringern, zwischen ihren Hügeln, eine solche Schnittmenge haben.

Freie Improvisation

Das Himalayische Skizzenbuch liegt neben dem Tagebuch. Geöffnet habe ich die Seite mit den Linien aus dem Kloster Tabo. Folgender Kommentar steht daneben: „Ist wie freie Improvisation. Lässt sich nach 1000 Jahren noch nachempfinden.“ Einen Ausschnitt der Struktur habe ich in die Buchmalereien übernommen, um mich auf die Spur dieser Maler zu begeben. Diese zeichenhaften Äußerungen würde ich gerne näher untersuchen und auf Rolle 11 Experimente damit anstellen. Vielleicht eignen sich diese alten abstrakten Malereien dafür, sie in die Zukunft zu projizieren, von wo aus sie eine Reflektion in die Gegenwart schicken können.

Das ist ein Thema, das ich der Beschleunigung der Wahrnehmungen entgegensetzen kann und der Einebnung des Denkens.

An dem Roque de las Muchachos in La Palma wurde ein Observatorium eingerichtet, dessen Teleskop Gammastrahlen detektieren kann. Sie scheint von der dunklen Materie zu kommen, die den größten Teil unseres Universums ausmacht. Dieser Raum kann nur durch die Abwesenheit anderer Strukturen, den Leerstellen also, kartiert werden, denn eine Blick hinein ist derzeit nicht möglich.

Striche hörbar machen

Am Mittwoch liefere ich die Transparentpapierrolle im Humboldt Forum ab. Damit ist dieses Kapitel zwar noch nicht abgeschlossen, aber ich widme mich schon anderen Inhalten. Gestern sah ich mir ein paar Collagen an, die sich mit der Linienstruktur aus dem Kloster Tabo befassen und ähnliche Strukturen aufweisen. Ich frage mich, ob man diese rhythmischen Striche hörbar machen kann.

Aufschluss über dererlei Möglichkeiten erhoffte ich mir aus dem Technomuseum an der Hauptwache. Aber der gestrige Besuch war eher enttäuschend. Über die Geschichte dieser Form hinaus, gab es kaum tiefer gehende Erläuterungen und Einordnungen dieses Genres in die Geschichte der Kunst.

Ich denke dabei an Clemens von Brentano, an Paul Klee oder an die Gesänge der buddhistischen Mönche im Spitital. Die Verbindungen zu den Fantasie- Comicwelten verflacht diese Kunstäußerung meiner Meinung nach. Auch die Welt der Visuals, die spontan zur Musik gemischt werden, war nicht sichtbar.

Before Bach

Das Ende der Arbeit an der Transparentpapierrolle öffnet wieder andere Beschäftigungsräume. Ich kann an Experimentalaufbauten denken, die zu anderen Ergebnissen führen. Als Metapher für die Erinnerung an das eigene kurze Leben erscheinen mir die Blicke durch das James Webb Teleskop in die Vergangenheit bis nahe an die Entstehung unseres Universums. Mit welchen Techniken komme ich auf die Spur der frühesten Bilder oder Empfindungen, die ich empfangen habe oder komme ich darüber hinaus, wie der Ringpoche in Tabo meinte?

Auf den Transparentpapierrollen kann ich in die Zukunft zeichnen, indem ich die zeitliche Kontinuität der sich aneinanderreihenden Szenen verlasse und einfach weiter hinten Figurationsmarken setze, die dann später vom Zeichnen in der kontinuierlichen Zeit eingeholt werden – ein praktisches Gedankenexperiment.

In dem Klavierstück „Before Bach“ von Brad Mehldau spiegelt sich für mich Ahnungslosigkeit als Vision. Sie ist ähnlich wenig konkret, wie die bruchstückhaften Erinnerungen an das eigene frühe Leben. Fülle ich aber die Zwischenräume auf und spiegele sie, begebe ich mich über die Spekulation hinaus in den konkreten Raum, aus dem ein Echo der Vergangenheit als Zukunft erscheint. Auf diese Weise können Objekte entstehen, die die Lebenszeit überspringen, die verschwundene Erinnerung spiegeln, die aus der Zukunft kommt, wie dann im weiteren Verlauf des Albums „After Bach“ bei Brad Mehldau.

Gleichgewicht

Gestern gegen 17 Uhr beendete ich die Arbeit an Rolle 10. Vorher war ich etwas nervös, konnte dann aber die letzten Striche genießen. Dann hob sich sofort mein verengter Blick, um alles anzuschauen, was mich im Atelier umgibt, und ich begann die Pflanzen zu schneiden. Wieder bin ich von einer Last befreit, die ich zuvor nicht als solche erkannt hatte, weil sie einfach dazugehörte.

Dann stelle ich mir die Frage nach dem Rhythmus, in dem ich seit 20 Jahren arbeite. Ist dessen Existenz vielleicht auch eine Last? Oder ist es das Gewicht, das die Waage hält zwischen der Schwere und dem Glück der Produktion? Rolle 11 werde ich nicht gleich beginnen. Es gibt zwar Themen, die mir dafür durch den Kopf gehen, aber ich will erst mal pausieren.

Die geraden Linien, die die Figuren aufrecht durchziehen, lassen sie oft wie Stabpuppen erscheinen. Oder es sind Versteifungen, die aufgeschäumte Gebilde stabilisieren. Während des Schreibens ziehe ich auch noch ein paar Konturen nach, um das Personal der Szenen fester zu fügen. Es geht um Gleichgewicht, um die Spannung zwischen spielerischer Auflösung und belastbarer Architektur.

FORMENBLÜHEN

Die aktuellen Tuschezeichnungen auf Rolle 10 sind nun noch 60 Zentimeter von der Figurengruppe entfernt, die die Schlusssequenz bildet. Dann ist der 50 Meter lange Transparentpapierstreifen zu Ende. Wenn alles gut geht und die Konzentration anhält, kann ich es heute schaffen, diese Arbeit fertig zu bekommen.

Bei den Handballenabdrücken entstehen innerhalb der Buchmalereien oft ausgefranste Ränder der Farbflächen. Wenn ich sie mit einer Linie hervorhebe, bekommen sie den Anschein einer kommunikativen Geste. Sie suchen Kontakt zu den benachbarten Figurationen. Manchmal gehen von diesen wabernden Konturen auch Ausbrüche aus, die denen von außerirdischen Vulkanen ähneln oder die neue Formen zum Aufblühen bringen.

Weil wir in der kommenden Woche nach Berlin reisen, könnte ich die Transparentpapierrolle schon in die Obhut der Kuratorinnen des Humboldt Forums geben. Dann hätte ich sie nicht mehr in Blickweite und könnte mich besser auf eine andere Arbeit konzentrieren.

Überlegter, langsamer, kontrollierter

Beim Schreiben des Datums kann ich mich schnell mal um 10 Jahre vertun, rückwärts oder vorwärts. Aber Vorsicht! Die Räume sind nur schwer abzuschätzen. Beim Zeichnen auf Rolle 10 beispielsweise, scheinen nun schon, vom Ende her, die Umrissfiguren durch die transparenten Schichten des dünnen Restzylinders. Der Schluss ist abzusehen. Aber die Arbeit bis dahin streckt sich: zwei Schritte nach vorn, einer zurück, Zögern.

Die Buchmalereien ging ich überlegter und langsamer, um nicht zu sagen vorsichtiger an. Insbesondere die Haarschwünge versuchte ich kontrollierter anzulegen, die Lücken zwischen den Wasserfarbenfeldern deutlicher zu machen und die geschwungenen Linien mit Tusche zu verstärken. Die Figuren korrespondieren mit dem Geschehen auf dem Transparentpapier.

Und nun beginne ich diese Vorgehensweisen auf ein Pappmachefigürchen zu übertragen, das ich weiß grundiert habe. In warme Aquarelltöne lege ich die Haare, die am Wasser haften. Die Wasseransammlungen an ihren dünnen Körpern entlang, verstärke ich mit schwarzer Tusche. Letztlich könnte ich auch Handballenabdrücke, wie in den Buchmalereien, auf das Volumen platzieren.

„Grün fehlt!“

Durch die hohe Fensterfront tritt das Morgenlicht ein, passiert die Kräne der benachbarten Baustellen, die Bäume des Ateliergärtchens und die Pflanzen auf den Gesimsen, Tischen und Regalen. In diesem durchleuchteten Grün lassen sich tropische Blüten fotografieren.

Kurz zeichnete ich gestern noch auf Rolle 10 weiter, d.h. etwa 20 Zentimeter. Die Splitter ballen sich zu mittelgroßen Gebilden zusammen. Sie bilden Inseln aus Kanalgeflechten, schwarzen und weißen Feldern, die sich auf die finalen Figurenumrisse zu bewegen, die ihr Ende besiegeln und dem Spiel Einhalt gebieten werden.

Stockend entstanden die Buchmalereien, und immer noch schaue ich auf sie, als müsste ich daran weiterarbeiten. So füge ich noch eine zarte Schraffur lichten Olivgrüns hinzu, die ich mit etwas Wasser anlöse und mit der Zeigefingerkuppe noch an andere Stellen tupfe. Das verändert ganz unauffällig den Klang erheblich. Ich denke an den Satz von Monika Henrich, die nun schon ein paar Jahre tot ist: „Grün fehlt!“

Verlangsamung zum Ende hin

In der Nacht sorgte ich mich um den 120 jährigen Ahornbaum vor unseren Fenstern zur Allee hin. Vor und hinter ihm stehen temporäre Halteverbotsschilder, wie sie üblicherweise vor einer größeren Baumschnittaktion aufgestellt werden. Im vergangenen Jahr wurde auf der anderen Seite gegenüber eine große, gesunde, alte Platane gefällt. Durch die häufigen Blicke aus dem Fenster und auch durch das aufwendige Gießen im Sommer, bin ich verbunden mit diesen Bäumen. Jeder alte Baum, der fällt, ist mir ein Verlust.

Der Vormittag ging mit Einkäufen und Besorgungen vorüber. Unruhig saß ich im Wartezimmer meiner Hausärztin, wartete auf meine unterschriebene Bescheinigung, dass ich am Leben bin und dachte dabei über sein nahendes Ende und seine damit zusammenhängende Verlangsamung nach.

So fertigte ich meine Malereien am Nachmittag an und bilde mir ein, dass die unterschiedlichen Tageszeiten auch einen Einfluss auf ihre Gestalt haben. Die 7 Umrisse der Figuren vom Anfang der Rolle, zeichnete ich gestern noch einmal an ihr Ende…

Arbeitstage

Am gestrigen Sonnabendnachmittag bin ich nicht mehr ins Atelier gegangen. Vorher führte ich bis zum Mittag ein ausführliches Arbeitstagebuch. Die Unterscheidung zum Tagebuch ist die, dass es über die handschriftlichen Aufzeichnungen und die Buchmalereien hinausgeht. Der Text wird reduziert und in eine Datei geschrieben. In diesem Ordner landen auch die Scans und die Collagen, die dann im Blog mit den drei Textteilen zusammengefügt werden. In gewisser Weise wird das auch durch die Transparentpapierzeichnungen ergänzt, die ebenfalls datiert sind und zur selben Zeit in den Collagen landen.

Das alles zählt dann, nach meiner Definition, als vollständiger Arbeitstag, von denen ich im Jahr 2023 insgesamt 222 gefüllt habe. So können auch die Sonntage, wie dieser heute, zu Werktagen werden.

Nun ging ich auf Rolle 10 zu ihrem Anfang zurück, um zu schauen, womit ich sie im Mai 2022 begonnen hatte. Es handelt sich um 7 Figurenumrisse, mit Binnenzeichnungen, die entweder von Rolle 9 stammen und aber auch mit Strukturen gefüllt sind, die von den nachfolgenden Figurationen stammen. Nun werde ich sie noch einmal am Ende der Rolle einfügen und dann mit den Splitterkonglomeraten von jetzt konfrontieren, um dann mit Rolle 11 zu beginnen.

Linien durch die Tage

Schon am frühen Morgen hatte ich mir für die Buchmalereien wieder Figurenumrisse vorgenommen. Für die Geschichten, die innerhalb und zwischen den Malereien entstehen, sind sie ab und zu notwendig. Diese Arbeit ging heute nicht so flott von der Hand, wie an den ersten Tagen des Jahres.

Scheinbar ohne Unterbrechung ziehe ich Linien durch die Tage. Es sind Verkettungen von Strukturen, Tönen, Lichtwellen und davon ausgelöste Aggregatzustände der Seele. Übergänge von kristallinen Aneinanderreihungen auf Rolle 10 bis zu mehrgliedrigen Figurationen, hin zu Wasserfarbenschwemmen und Haarlocken in den Buchmalereien, die in den Collagen ein neues Spiel beginnen.

Das stetige Aufnehmen und Sortieren der vorausgegangenen Formen beim Durchzeichnen auf der oberen Rundung der Transparentpapierrolle, habe ich noch nicht unterbrochen. Ich will diesen Fluss noch nicht gegen eine andere Arbeitsweise tauschen. So oder so rückt das Ende der Rolle 10 näher, und dann ist die Chance da, dass ein neues Fließen aus dem was sich aufgestaut hat, entsteht.

Widerpart im Inneren

Die abgebrochenen Schwünge und Farben der Buchmalereien finden einen Widerpart im Befinden, Übereinstimmungen eher im Zeichnerischen: warten, zählen, verwerfen aber nicht ändern. Die fröhliche Farbigkeit erricht das Innere nicht.

In einer Pause flocht ich dünne Zweige der Weide im Gärtchen zu verschlungenen Kreisen, aus deren Biegungen wieder gerades Holz treibt, wenn die Geflechte nicht absterben, weil sie mit der Versorgung der Enden durcheinander kommen.

Gestern arbeitete ich lange an Rolle 10, ließ die Splitter fliegen, setzte sie wieder neu zusammen und färbte einige schwarz ein. Das ist der Weg zum Ende dieser Rolle hin. Die Dunkelheit wird zunehmen, keine Impulse mehr von außen, nur noch ein atmendes inneres Brodeln. Es ist auch eine Option vom End her zu arbeiten, rückwärts zu zeichnen mit Figurationen vom Anfang, um das Ganze abzurunden.

Auflösung und Neuformationen

Aus ein paar Tagen ohne Verabredungen ergibt sich oft eine etwas überhitzte Arbeitssituation. Sie führt dazu, dass ich zu lange im Atelier bin und durcharbeite. Vorbeugend versuche ich einen Gang zurück zu schalten.

Gestern richtete ich die Tagebuchordner für die Arbeit im neuen Jahr ein und zeichnete nach fast dreiwöchiger Pause wieder an Rolle 10 weiter. Dort setzte ich das Spiel der gleichzeitigen Auflösung und Neuformation der Strukturen fort. Dieser Prozess bildet auch Denkstrukturen nach, die ein angebotenes Arsenal an Formen immer wieder neu verknüpfen. Der Variantenreichtum der Fragmentierungen, Zusammenballungen, Verkettungen und Vereinzelungen soll möglichst weit ausgeschöpft werden.

Nun fügte ich diese Transparentpapierzeichnungen neben den Buchmalereien auch wieder in die Collagen ein, was bei der Weiterarbeit zu einer anderen Tiefe führt, denn die harten Kontraste der Federzeichnungen leuchten noch lange aus dem Untergrund hervor.

Änderungen erzeugen

Den Linien folgend, die die Feder auf dem Papier hinterlässt, frage ich mich, ob ich mit ihnen noch etwas für die Buchmalereien tun kann. Dabei bemerke ich die Veränderungen in meiner Handschrift, die auf den Zustand meiner rechten Hand und den dazugehörigen Armmuskeln zurückzuführen sind. Damit verändern sich auch die Zeichnungen, und falls diese sich auf das Denken auswirken, verändert es sich ebenfalls.

Wieder legte ich Haarlocken auf die parallel verlaufenden Gewindegravuren und tupfte Farben in die nassen Areale, vorzugsweise auf die Kreuzungen der Haarlinien. Das Nebeneinander der mechanischen Striche und der natürlich gelockten Schwünge, erzeugen eine Spannung in mir. Auch das Zusammentreffen der Handlinienstrukturen mit diesem Material bleibt spannend.

Wenn ich den Zeichnungen eine emotionale Tendenz gebe, sei es Trauer, Pessimismus, Sehnsucht oder Freude, Aufgeräumtheit und helles Strahlen, müsste sich mein eigener Zustand dadurch verändern lassen. Aber gelingt es mir, beispielsweise in den Buchmalereien, eine andere Stimmung zu erzeugen, als die, von der ich gerade ergriffen bin? Und wenn ja, hat sie die Intensität einer Wirkung auf mich?

Klarspülen

Statt des neuen Filmes von Wim Wenders, das Kino war uns zu voll, sahen wir die ausufernden Videoinstallationen von John Akomfrah in der Schirn Kunsthalle. Das mehrheitsfähige Designmaterial löste in mir eine Skepsis aus. Leicht durchschaubare Kombinationen von jeweils 3 Projektionen aus Dokumentararchiven. Davon gibt es 3 Triptychen, von denen wir 2 gesehen haben, mit den Themen: – Ein Schwarzer kommt in die weiße Mehrheitsgesellschaft- und – Die Ausbeutung der Meere-. Leider nichts Neues, aber viel Archivbombast.

Mein verklebtes Hirn versuchte ich am Morgen klarzuspülen. Ich schichtete Lagen unterschiedlicher Techniken so lange übereinander, bis ein dichter, tiefer Raum entstand. Diese Form der Bildproduktion verschafft mir einen sicheren Stand.

In der dritten Malerei legten sich eine Gravur der Gewindegänge der Schraube aus Kaza im weißen Blatt, kreisende farbige Linien, die mehrfach übereinander gestapelt, den Untergrund für die nassen Haare bildeten, deren Bögen mit Wasserfarben auf dem Papier verstärkt wurden. Am Schluss setzte ich noch einmal Gravuren des Gewindes über verwischte Areale des Zentrums und schraffierte sie leicht mit Indigo, um sie sichtbarer in den Vordergrund zu rücken.

Plan übererfüllt

Von den Schwüngen der Haare ausgehend, die ich mit Wasserfarben und Pinseln, auf dem Papier schwimmend fixiere, sie aber auch herum schieben kann, fand ich heute die Gegenparts der Linien und Gravuren für die Kompositionen der Buchmalereien. Farblich klingen sie gedämpft und Umrisslinien spielen eine marginale Rolle.

Nach den vielen Familienzusammenkünften muss ich mich erst wieder an die Stille des Ateliers gewöhnen. Außerdem greift eine Müdigkeit nach mir, die Faulheit und geistige Trägheit begünstigt, wie sie „zwischen den Jahren“ nicht ungewöhnlich sind. Am Nachmittag sollte ich mich aber noch mit einem Bericht über die Arbeit mit den Schülern befassen und die ganzen Buchmalereien scannen, die ich während der Feiertage angefertigt habe.

Für mich ist heute der 221. Arbeitstag des Jahres. Somit habe ich den Plan übererfüllt. Es bleibt aber der Ehrgeiz, morgen noch einen hinzuzufügen, damit die endgültige Zahl aus drei Zweien besteht.

Vergegenständlichung

In der Ruhe des Morgens führt Bewegung in die Malerei. Oder wie soll ich das nennen, was mein erster Arbeitsschritt des Tages mit ist? Was ist das, was ich mit einer Schraube, einer hölzernen Nadel, mit Haaren und auch mit Farben mache? Aus den Kreuzschraffuren entstehen die Strahlen dunkler Sterne.

Die Klarheit der Kunst der Fuge wird von einem Streicherensemble aufgelöst in vielfach schwingendes Material. Ich versuche die Schallwellen in Lichtwellen zu verwandeln, die den optischen Raum aufbrechen. Dann lösen sich die Schwingungen der gemalten Szenen. Die Sterne beginnen zu vibrieren und schicken ihre Strahlen zu den lichten Schwüngen der Haarlocken. Es beginnen die Vorgänge des Anziehens und Abstoßens, die die Frage nach dem formulieren, was jenseits der Gravitation existiert.

Ich nahm einen Klumpen weichen Pappmachés in die Hand und drückte ihn zusammen. Daraus entstand ein Figürchen, das ich trocknete und weiß grundierte. Nun könnte es mit Attributen versehen und zeichnerisch vergegenständlicht werden. Die Schüler bekamen gestern eine Rolle Transparentpapier, von der sie sich Streifen abschnitten und sie einmal zusammenfalteten. Dann träufelten sie etwas Tusche und Schellack auf eine Seite, falteten und pressten beide Seiten zusammen, damit Verläufe entstanden. Diese beobachtend suchten sie nach Gegenständen oder Figuren, die dann mit Bleistift oder Tusche verdeutlicht wurden. Eine Reihe von 25 Formaten entstand.

Reaktionswärme

In der Feiningerausstellung, die wir gestern in der Schirn Kunsthalle sahen, wurde mir seine enge Beziehung zur Musik, insbesondere zur Fuge erstmalig klar. Und seine strengen Kompositionen, die wenig Spontanes haben, spiegeln das auch wieder. Viele andere Facetten seines Werkes waren mir zwar nicht neu, rückten aber näher, so dass ich Lust zu Malen bekam. In den letzten Jahren seines Lebens fertigte er kleine aquarellierte Zeichnungen an, die im Format meinen Buchmalereien ähneln.

Mein Thema an diesem Morgen war das Zusammenspiel von Aquarell, Haarlocken, Gravuren und Schraffuren. Die Schwünge, die von den Haaren markiert werden, lassen sich nur bedingt steuern. Manchmal färbe ich sie schon vorher ein und manchmal lege ich sie nass in eine Schraffur, die ich vorher mit einem oder mehreren Aquarellstiften gemacht habe. Dann verstärke ich bestimmte Areale mit intensiven Farben.

Die Erzählung beginnt, wenn ich andere Elemente hinzuzeichne, die im Raum schwebend eine Verbindung eingehen wollen. Auch mehr oder minder geerdete Figuren bieten ihre Energie für einen symbiotischen Austausch. Diese Durchmischungen erzeugen eine Kraft, die dann zwischen den Buchseiten eingeschlossen ist. Am nächsten Morgen versuche ich einen Teil davon wieder aufzunehmen und gebe die „Reaktionswärme“ der neuen Malereien an die digitalen Collagen weiter.

218

Am Morgen konnte ich mich über die entstandenen Buchmalereien freuen. Wenn ich mich mit der geschichteten Dichte zurückhalte, entstehen klarer geordnete Bilder. Diese Arbeitsweise gab es schon manchmal in den letzten zwanzig Jahren, sie hat sich aber in den letzten Tagen wieder neu etabliert.

Die ersten Arbeitstagebucheinträge, die ich im Netz gemacht habe, entstanden im Jahr 2011. Seither hat sich diese Arbeit verändert und vor allem intensiviert. Heute ist dies der 218. Eintrag dieses Jahres und somit sind in dieser Zeit 654 Collagen entstanden. Sie bebildern die alltägliche Suche.

654

Am Nachmittag wollen wir eine Feiningerausstellung in der Schirn besuchen, denn es ist Hochzeitstag. Ich werde also am Nachmittag nicht mehr arbeiten. Morgen kommen die Schüler noch einmal und dann kann es Weihnachten werden.

Modellieren

Gestern in den Läden der kleineren Einkaufsstraßen der Stadt und in den S-Bahnen, den U-Bahnen dazwischen, verdichteten sich im Gedränge die vielen Gesichter der Bewohner der Stadt zu einer zähen Masse. In der Erinnerung kann ich sie formen, wie das halbtrockene Pappmaché aus dem man Figuren modellieren kann.

Wieder versuchte ich, was mir nicht ganz gelang, mich mit der Verdichtung der Buchmalereien zurückzuhalten. Ich schaue zurück in das Jahr 2009, lese was ich schrieb und schaue mir die Figuren an, die ich in das Tagebuch zeichnete. Das soll mir helfen, mein Denken zu ordnen, in die Zusammenhänge der fortlaufenden Aufzeichnungen einzufügen.

Manchmal gehe ich auch hinaus und schaue auf die Großbaustelle. Die Kräne stehen gerade still. Aber über dem frischen Beton wuseln die Arbeiter und messen die Ingenieure. Es sieht so aus als arbeiteten sie in getrennten Welten. Über allem schwebt ein trüber Himmel. Nach der Schreibpause, wenn ich versuche meine Gedanken wieder zu finden, kehre ich manchmal zum Geschehen in den Malereien, die gerade entstanden sind, zurück. Im Zusammenspiel der Linienbewegungen und dem Klang der Farben finde ich Experimente, die zu Schwebezuständen unbewussten Daseins führen. Dennoch entwickeln sich darin zumeist auch Geschichten.

Mehr Raum

Im Historischen Museum sahen wir gestern eine Ausstellung mit Fotografien von Barbara Klemm. Es ging in den Bildern einzig um Frankfurt. Und wir merkten, dass wir nun schon fast 30 Jahre in dieser Stadt sind.

Die Buchmalereien des Morgens waren eher ein Experiment dessen, was ich alles weglassen kann. Ich habe oft das Gefühl, zu viel zu machen. Dann kann es passieren, dass sich die Dichte der Strukturen gegenseitig aufhebt. Bleibe ich aber bei einer sparsameren Begegnung verschiedener Mittel, wird die Suche deutlicher. In der dritten Malerei kombinierte ich eine schraffierte Gravur eines Schraubengewindes aus Kaza mit Haaren und Wasser. Allem ließ ich etwas mehr Raum. Manchmal entsteht durch die Intensität der Schichtungen eine Enge, die an die Einteilung eines vollen Tages erinnert.

Nun habe ich beschlossen, Rolle 10 in diesem Jahr nicht mehr fertig zu zeichnen. Mit etwas mehr Zeit sollte die Arbeit ruhiger zum Ende kommen. Vom Humboldt Forum kamen Informationen zum Theaterspektakel „Stein auf Stein“. Die Zielsetzung des Projektes ist meinen Intentionen zunächst nicht sehr nahe.

Bewegung der Musik

In der Nachmittagsdämmerung im Atelier steuert die Bewegung der Musik, es sind Choräle von Bach, die Buchmalereien. Im Netz suche ich nach Bearbeitungen dieser Kompositionen für andere Instrumente, um das Material weiter zu fassen und vielleicht tiefer ausloten zu können.

In den Kammerspielen des Schauspiels sahen wir „BILDER DEINER GROSSEN LIEBE“, nach Wolfgang Herrndorf. Auch dieser Abend hatte dieses Schweben, von dem ich gestern schrieb. Konkrete Videobilder trafen auf Textlesungen und zart gespielten Szenen. Ein Stück wurde dadurch mein Glauben an die Möglichkeiten, das gegenwärtige Theater als ernsthafte Kunst zu betreiben, wiedergewonnen.

Ich denke an Sinas Bericht über die Arbeit mit den Schülern zum Thema „Fallen“. Sie bauen Installationen, die sie dann einreißen, das auf Video aufnehmen und sprachlich reflektieren. Dann erst im zweiten Teil dieser YOU&EYE Saison kommt es zum Schreiben. Ein sehr schöner, vielschichtiger Ansatz, wie ich finde!

In der Schwebe

Im Anna Freud Institut fand vorhin die erste Zusammenkunft der YOU&EYE Künstler der 6. Saison statt. Die Künstlerinnen erzählten von Ihren Projekten, die immer mehr Experimenten ähneln, in denen sie Fragestellungen ihrer eigenen Arbeit erörtern. Das, finde ich, ist eine sehr gute Entwicklung.

Meine Schüler, es handelt sich um 7 Jungs und ein Mädchen, bemalten gestern ihre kleinen, seriell abgeformten Reliefs und arbeiteten an der Aushöhlung des Baumstammes weiter, die einst der „Müttermantel“ werden soll, in dessen stehende schwere Hülle man eintreten und ihn mit den Schultern anheben kann, wenn man es schafft.

Als sie weg waren zeichnete ich an der abstrakten Erzählung auf Rolle 10 weiter. Dort tanzen Splitter der vergangenen, gezeichneten Zeit in einem Vakuum, und die Gravitation unterschiedlicher Systeme halten sie in der Schwebe. Auch ich befinde mich zwischen den Bewegungen meines Körpers, der Musik der Kunst der Fuge und den Buchmalereien in Raum gehalten. Erstmalig vermischte ich die schraffierten Papiergravuren und Haarlockenspuren übereinander. Auch ein schwebendes System.

Schichten, Wucherungen, Umrisse

Zu meinen derzeitigen Lektüren gehört „Die Wahrheiten meiner Mutter“ von Vigdis Hjorth. Die Protagonistin des Romans ist eine Malerin, die sich ganz von allem trennen musste, um ihren Wusch, Künstlerin zu werden, gegen die Familie durchzusetzen. Dabei laufen mir Formen der Konflikte über den Weg, die aus meiner Geschichte stammen könnten. Glückversprechungen und Bedrohungen eines solchen Vorhabens erreichen so große Amplituden, dass die Entscheidung, ernsthaft sein Leben so zu verbringen, im kleinbürgerlichen Milieu als unverantwortlich bewertet wird.

Die violetten Haarstrukturen aus der dritten Malerei des Morgens, konnte ich erstmalig per Abdruck mit der feuchten Zeigefingerkuppe in die anderen Malereien übertragen. Es entstanden feine, lückenhafte Lockenlinien. Krakelige Gravurstrukturen überlagerte ich mit Tuschfedergesträuchen. Die Wucherungen wachsen aber oft in feste Umrisse von Möbel-, Figuren und Architekturfragmenten. Abdrücke der Fingerkuppen muten mitunter auch an, wie Röntgenaufnahmen vom Innenleben der, aus den Strukturen wachsenden Körpern.

Auf Rolle 10 zeichnete ich wieder Verdichtungen, setzte die Scherben neu zusammen, aus den vage durchscheinenden Linien weiter unten / hinten liegender Schichten. Schwarze Felder entstehen und gleichzeitig der Wunsch, alles wieder zu zersplittern. So geht es hin und her.

Das Gespräch endet

Die Vielzahl der Informationen zu einem Geschehnis, dessen Grund, Verlauf und Ergebnis nicht nur unterschiedlich interpretiert, sondern auch faktisch verschieden wahrgenommen wird, zersplittert den Zusammenhalt der Gesellschaften. Und insofern ich mich deswegen nicht mehr als gesellschaftliches Wesen begreife, fehlen mir die Gründe für eine Auseinandersetzung mit denen, deren Überzeugungen auf anderen Wahrheiten beruhen, als auf meinen. Das Gespräch endet.

Einzig in den Arbeitstagebüchern komme ich derzeit zum Fortschreiben von Beschäftigungslinien. Aber was gibt es dort zu entwickeln? Gehe ich von der ersten künstlerischen Bewegung des Tages, den Buchmalereien aus, so könnte ich an den entstandenen Strukturen einen produktiven Zusammenhang zwischen Bewegung und Gedächtnis ablesen.

Die fließenden Farbstrukturen aus Wasser, Pigment und Haaren, verhalten sich zu den Schraffuren, Gravuren und Verwischungen, wie Botschaften aus einer anderen Welt. Und es ist die Frage, ob diese unterschiedlichen Gestaltungsmuster gewinnbringend miteinander interagieren, sodass ein neuer Sinn entstehen kann.