Hin und her

Figuren umgeben von Strukturen waren das Thema des Morgens. Einerseits schließen sich die Malereien an die Zeichnungen an, die ich 2003 bei der Tanzproduktion von Georg Reischl gemacht habe, andererseits scheinen sie eine Rückkopplung von Rolle 11 in das Buch zu sein. Nun wäre es wieder möglich, die Buchmalereiumrisse aus dem Buch auf die Rolle zu zeichnen, um sie direkt mit den Tanzzeichnungen zu konfrontieren.

Gestern räumte ich die Transparentpapierarbeiten, Holzobjekte und Reliefs der Schüler zusammen, um sie am Nachmittag in das MAK zu bringen. Dort sollen sie mit den Bildern der anderen Gruppen des Projektes YOU&EYE in einer gemischten Ausstellung zu sehen sein. Bin gespannt, wie Ulrike das macht.

Die Sequenz des Tanzfrieses, die ich am 19.5. und gestern gezeichnet habe, steht nun vor mir auf dem Zeichentisch, der sich unter dem geöffneten Rolltor des Ateliers befindet. Die trockenen Weidengeflechtstapel, die im Gärtchen liegen und sich verschränken, ähneln manchen Stellen in den Zeichnungen davor.

Nur Feder und Tusche

Der Einkauf beim Boesner, um all das zu ersetzen, was die Kinder zerstört und verbraucht haben, erinnert mich an meine Einkäufe im Malkasten hinter der Brühlschen Terrasse in Dresden vor 50 Jahren. Mit fast allen Materialien des heute erschlagenden Angebots, könnte ich was anfangen. Aber als ich zurück kam ins Atelier, da nahm ich mir nur Feder Tusche und die Transparentpapierrolle und zeichnete am Tanzfries weiter.

Für die Collagen benötige ich die Liniengeflechte von Rolle 11, um zu zeigen, was mir derzeit wichtig ist. Das versuche ich mit verschiedenen Methoden aufzuspüren. In der Antike gab es eine philosophische Methode des Disputs und des Nachdenkens im Gehen.

Man sieht Menschen, wie sie unterwegs ihre Mobiltelefone benutzen. Sie reden auf verschiedene Weisen mit ihren Gesprächspartnern. Manchmal sieht es so aus, als redeten sie mit sich selber, wie vorgestern der rumänische Christian. Gleichzeitig werden ihre Wege getrackt. So entsteht ein gesprochener Raum. Der von den Fiznerbrüdern, mein Großvater und sein Bruder, die miteinander redend den Plattenwagen mit dem Breslauer Dommodell durch halb Europa zogen, ist noch unbekannt.

Gesprochener Raum

Ich denke an das Sprechen während des Gehens. Der Rhythmus der Sprache gliedert den Weg oder der Weg bestimmt den Tankt des Sprechens. Jeder Schritt, beispielsweise ein vergessener Name. Ein raumgreifender Singsang entwickelt Wortkettenreaktionen, simuliert frühe Sprachzustände. Beim Eisessen sah ich den rumänischen Christian, vor sich hin sprechend, auf der Frankenallee gehen. Wenn die gelaufene Strecke mit einem GPS Gerät und die währenddessen gesprochenen Worte mit einem Diktiergerät aufgezeichnet werden, lässt sich ein gesprochener Raum darstellen.

Das erinnert mich an die Arbeit am Text Bildbeschreibung von Heiner Müller mit Jan Pröhl in den Neunzigerjahren in Heidelberg. Ich entwarf eine Zuschauertribüne in Pyramidenform, die vom Schauspieler umspielt wurde. Er ging ganz festgelegt mit jedem Wort einen Schritt um das Publikum herum: „Lange glaubte er noch den Wald zu durchschreiten in dem betäubend warmen Wind, der von allen Seiten zu wehen schien…“

Gestern schnitt ich eine Höhle in einen Buschwindrosenstrauch am Bahndamm. Das war wie Bildhauerei. Ich stellte einen Stuhl und eine Kiste hinein, von wo aus man sitzend ein ziemlich großes, eingewachsenes Betonwasserbassin beobachten kann, das von allen Vögeln der Umgebung zum Baden und Trinken besucht wird.

Zeitabstand

In dem Moment, in dem die Umrisszeichnungen, die ich 2003 gemacht habe, mit dem gegenwärtigen Material gefüllt werden, nehmen sie an Gewicht zu. Der nach über 20 Jahren veränderte Zeichenstil, baut eine Spannung auf, deren Energie sich aus dem zeitlichen Abstand speist.

Damals war ich in viele Projekte parallel verstrickt. Heute kann ich mich besser auf einzelne Vorhaben fokussieren. Aber Tanz und GPS-Gänge finden sicher zusammen auch mit Text. Gerne würde ich das auf dem Gustavsburgplatz beginnen und dann in Berlin im Lustgarten fortführen.

Die Verbindung zum Humboldtforum besteht. Vielleicht ergibt sich eine neue Zusammenarbeit in diese Richtung. Ich muss abwarten. Soll ich währenddessen Buchmalereiumrisse in den Tanzfries einarbeiten?

Innen

Vom Korbstuhl in der Gartennische, also von innen, schaue ich heraus auf das Geschehen. Den Tänzer, der die Performance im Nebelraum des Windfangs des Bockenheimer Depots machte, traf ich vor dem Tevesgelände. Von einem Video dieser Darstellung versuchte ich einen Scan zu machen, um Bewegungsabläufe in einem Bild festzuhalten, wie in manchen meiner Tanzzeichnungen. Diese fortlaufenden Linien, die Zeit festhalten, verbindet mein Hirn mit den geflochtenen Ringen der Weide, die wieder austreiben und so die Möglichkeit schaffen, eine weitere Generation von Zweigen zu Ringen an den Ringen zu flechten.

Durch den Workshop mit Cyril Baldy schaue ich nun ebenfalls aus einer inneren Perspektive auf das Bühnengeschehen der Choreografien. Außerdem spüre ich die Zeit meiner Bewegungen deutlicher. Weitere Zeichnungen von 2003 wachsen in das Geflecht des Tanzfrieses. Tief innen ergeben sich neue Verbindungen, aus denen neue Figuren entstehen können.

Die Lavablasenumrisse begleitete ich in den Buchmalereien mit Holznadelgravuren, die sich hell unter den Schraffuren abbilden. Und die Handabdruckstrukturen ließ ich mit ihrer zarten Farbigkeit mehr Raum, ließ sie auf den obersten Schichtenstehen, damit sie in den Collagen prominenter hervorgehoben werden können.

Denkpause

Mit meinen Schülern bestimmte ich für unsere Ausstellung im MAK wenige Objekte, die während unserer Zusammenarbeit in den letzten Monaten hier im Atelier entstanden sind und unbedingt gezeigt werden sollten. Danach kam die Kuratorin Ulrike Markus, mit der ich mich unkompliziert einigte, was außerdem erscheinen soll. Jedes Mal ist dies auch eine Präsentation meiner Mittel und Materialien, die ich an die Schüler weitergebe. Die Frottagen beispielsweise, die Ausgangspunkt für ihre Motive sind, stammen von meinen Reliefformen.

Verschiedene Reparaturarbeiten unterbrachen den Fluss der Arbeit an den Zeichentischen. In luftiger Höhe musste das Rolltor repariert werden, und an meiner Eingangstür baute ich für ein defektes Schloss ein neues ein. Das alles dauerte mehrere Stunden.

Nach der Denkpause, erscheint mir die Fortsetzung der Tanzarbeit in mehreren Schritten möglich. Zunächst soll der Fries durch die Zeichnungen, die ich während der Premiere machen will, neue Impulse bekommen. Die intensivere Fortführung der Linienverdichtungen dann, kann in Objekte münden, die einen Extrakt der Ergebnisse von Rolle 11 bilden.

Flow

Vorsichtig beginne ich, nur mit schwarzen Punkten die Dunkelheiten der heutigen Buchmalereien zu verstärken. So arbeite ich mich in die Mikroschichten vor, die ich innerhalb der Collagen irgendwann ernster nehmen sollte. Jetzt dominieren die Federzeichnungen von Rolle 11.

An ihnen arbeitete ich gestern weiter und schrieb den Tanzfries fort. Dann setzte ich im Workshop zu den Improvisationstechniken von Forsythe, die Schichten der Transparentpapierrolle mit meinem tanzenden Körper fort. Ganz einfache Handbewegungen am Beginn, die dann auf drei andere Teilnehmer reagierten, bis wir als Team mit unseren größer werdenden Bewegungen in einen Flow gerieten. Aus den dichter werdenden Reaktionen begannen wir die Umrisse des Gegenübers mit unseren improvisierten Choreografien zu zeichnen.

Uns an dieser Stelle war ich nun zu Hause angelangt. In den verschiedenen Ballettsälen, in denen ich gezeichnet habe, setzte ich die Zeichnungen mit der Bewegung einer Hand an, verfolgte den Arm und die Wendungen der Körper im Raum, ohne die Linie abzusetzen. Diese Erfahrungen will ich demnächst beim Zeichnen in der Premiere nutzen.

Takt

Zum Start der Arbeit am Morgen, schaue ich auf die Uhr. Ein Takt, der den Tag durchzieht, strukturiert die Tätigkeiten. Er scheint dem Atem oder Herzschlag zu entspringen, oder dem Sekundenzeiger. Manchmal sind es die Schritte beim Gehen und der Rhythmus der Worte, die mir währenddessen durch den Kopf gehen.

Die Arbeit an Rolle 11 habe ich doch nicht unterbrochen, nur etwas verlangsamt, habe nicht so viel Zeit mit ihr verbracht. Immerhin ist eine Linienstruktur entstanden, die sich für die heutigen Collagen eignete. Diese richte ich mit einem sehr alten Bildbearbeitungsprogramm ein. Eine Frage der Gewohnheit.

Am Morgen begann ich mit direkten scharfkantigen Steinabdrücken und Holznadelgravuren auf dem glatten Papier. Mehrere Schraffurschichten mit unterschiedlichen Aquarellstiften bildeten das Material für die Abdrücke mit der angefeuchteten Handkante in die anderen Formate. Transparenter mischen sich dort die verschiedenen Strukturen mit den Handlinien. Leicht treten diese zarten Erscheinungen hinter den kräftig nachgezeichneten Konturen zurück.

Strukturelle Durchmischung

Wenn in den Buchmalereien die Linien der Umrisse abbrechen, bevor das zu umschreibende Feld eingeschlossen ist, ergeben sich in den folgenden Collagen Einfallstore für eine neue strukturelle Durchmischung. Durchlässigkeit sickert in die Lavablasen und die feinen Handlinien der Abdrücke. Verwischungen aber schaffen eine hermetische Schicht. Ihre Verdrängungskraft impliziert einen Abschluss.

Weil ich oft dieselben Steine einfärbe, um ihre Oberfläche über den Umweg meines Handballens in den Malereien abzubilden, wiederholen sich die Strukturen nicht nur in den drei Bildern des Tages, sondern auch von Seite zu Seite, von Woche zu Woche und über längere Zeiträume. Der dadurch entstehende Zusammenklang ähnelt dem bestimmenden Thema einer musikalischen Komposition.

Ich dachte daran, die fortwährende Arbeit an Rolle 11 zugunsten des Abschlusses des Projekte YOU&EYE zu unterbrechen. Es muss verbrauchtes Material neu beschafft, ein Abschlussbericht formuliert und ein Treffen mit der Kuratorin der Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst verabredet werden. Aber am letzten Tag unserer Zusammenarbeit werde ich aber mit den Kindern Eis essen gehen.

Leute

Die Abteilung Geschichte des Ortes vom Humboldt Forum hat mir das Foto geschickt, das Tobias Kruse von mir hier im Atelier gemacht hatte. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Ich fühle mich bei ihnen immer geachtet und ein wenig zu Hause.

Auf dem Weg ins Atelier habe ich Spargel gekauft und einen Besuch bei Maike Häussling im Atelier gemacht. Es ist interessant ihre Arbeiten zu sehen und zu hören, was sie sonst alles macht. Sie hatte eine Ausstellung in Berlin und ist viel unterwegs.

Im Atelier hatte ich einen Besuch von Liddy Annegret Dirksen. Sie ist Dresdnerin und hat die DDR schon 1983 verlassen. Auf meine Transparentpapierrollen warf sie den Blick der Historikerin. Auf Rolle 11 setzte ich die Diskontinuität fort. Das strahlt in die Collagen.

Neue Diskontinuität

Die Sonne scheint auf den Zeichentisch, auf dem ich mich mit der Rolle 11 langsam in eine neue Diskontinuität begebe. Die fest gefügten Zustände der verdichteten Tanzfiguren geraten in neue Übergänge. Hilfreich wäre, dieses Material teilweise auf Rolle 12 zu übertragen, wo es ein Eigenleben führen und sich in andere Richtungen entwickeln kann.

Jetzt war ich drauf und dran, die eklatante Farbigkeit der Buchmalereien des Morgens zu dämpfen. Dafür ließen sich Lasuren von Kontrastfarben nutzen. Aber ich lasse es. Die knalligen Töne gehören auch zum Arsenal meiner Arbeitszustände.

In den Collagen bewähren sich die starkfarbigen Abdrücke von den blasigen Lavasteinstrukturen. Sie bilden den notwendigen Kontrast zu den dichten Tuschegesträuchen aus den Tanzzeichnungen von 2003. Aber auch diese Kontinuität fühlt sich langsam etwas festgefahren an. Im täglichen fortführen dieser Collagenarbeit brauche ich eine besondere Kraftanstrengung für Erneuerungen, wenn sie sich nicht von alleine einstellen.

Verkürzung oder Konzentration

Der Dreierrhythmus im Tanzfries auf Rolle 11 hat sich ganz von selbst verändert. Vor dem 3. Schritt der Einbindung des letzten Figurenpaares, schlossen sich schon die Umrisse des nächsten an, das ich mit dem verdichteten Material der vergangenen Wochen füllte. Die Notwendigkeit einer Veränderung kündigte sich schon eine Weile an. Nun schaue ich, was sich aus dieser Verkürzung oder Konzentration entwickeln wird.

Die Arbeit auf Rolle 11 kann wieder für andere Themen geöffnet werden. Verbindungen von Tanz, GPS-Wanderungen und Buchmalereien sollen deutlicher werden. Mehrere Rückkopplungen sind dadurch möglich. Tanzumrisse können beispielsweise gewandert werden und sich dann mit Lavastrukturen und Konstruktionslinien überlagern.

Die Buchmalereien der letzten Tage bestanden aus vielen Schichten. Ihre Entstehung war auch entsprechend langwierig. Das habe ich heute abgekürzt und dadurch wieder überschaubarere Kompositionen erhalten. Und diese würden sich schon für die Erweiterung des Tanzfrieses eignen.

Enttäuschung

Cyril Baldy, der die Neuproduktion „Undertainment“ von Forsythe als Assistent begleitet, gefielen meine Zeichnungen von 2003 und die Tanzsequenz, die bisher aus ihnen auf Rolle 11 entstanden ist. Gleichzeitig machte er mir aber klar, dass es keine Chance gibt, auf einer Probe zu zeichnen. Niemand von außen darf zugegen sein. Ich hatte das befürchtet, war aber dennoch enttäuscht. Ich werde während der Frankfurtpremiere des Stücks in ein kleines Heft zeichnen, das mir Anne geschickt hatte.

Mit den zwei Figuren, die sich auf Rolle 11 eingereiht haben, zeigt sich das Thema des Verhältnisses von innen und außen deutlich. An manchen Stellen, wo sich die Größe und Form der unterschiedlichen Flächen angleichen, wird die Grenzziehung verwirrender. Das hat viel mit der Wirklichkeit zutun.

In unserem Tanzworkshop beschäftigten wir uns wieder mit den Improvisationstechniken, mit denen Forsythe seine Stücke baut. Wenn man als Paar improvisierend aufeinander eingeht, lebt der Rhythmus von der Zeit, der man dem Partner gibt, damit er seine Bewegungen in Ruhe zu Ende führen kann. Stopps müssen eingebaut werden. Es wird Interessant sein, wie wir nun mit diesen Erfahrungen das neue Bühnenwerk lesen werden können.

Rückkopplung

Für mich lohnt es sich, mit Suchbegriffen im Arbeitstagebuch zurück zu blättern. Die älteren Collagen beschäftigen sich häufig mit Tanzthemen, und die Texte ordnen die Bestandteile auch in die Entstehungszeiträume ein. Beispielsweise ist das erste Reliefexemplar des Väterprojektes durchsetzt mit Figuren aus ONE FLAT THING REPRODUCED. Gestern zeichnete ich am Tanzfries in den Abend hinein weiter. Den gestern beschriebenen Dreierrhythmus hatte ich erst nach ein paar Tagen gefunden. Nun suche ich oder warte auf den Moment, in dem ich ihn wieder verlassen kann.

Der Tanzworkshop in der vergangenen Woche hatte die erhofften Auswirkungen auf meine Arbeit. Nun wird sich zeigen, ob ich durch eine Teilnahme an Proben von William Forsythe noch tiefer in das Thema eindringen kann, ob ich mit dem alten Material weiter arbeite oder ob frisches hinzukommt.

Etwas von der neuen Beschäftigung mit Tanz, färbt auch auf die Buchmalereien ab. Aus den Abdrücken der Lavaoberflächen lösen sich lösen sich tänzerische Figuren. Aber in der 3. Malerei erschien ein Tier, das durch eine Barriere hindurch, den Weg vom Wasser ans Ufer findet. Aus seinen Strukturen ergaben sich durch Handabdrücke derselben, die Grundlagen für die Malereien 1 und 2. Dann verbinden sich in den Collagen diese Figurationen mit denen des Tanzfrieses – eine Rückkopplung. Es entsteht langsam eine neue Qualität.

Figuren verschwimmen

Figuren bilden sich, ihre Umrisse entstehen und verschwimmen, oft ist nur eine Seite klar konturiert, die andere verwischt, verblasen und aufgelöst. In dieser Spannung entstehen die Kompositionen der kleinen Malereien. Diese Vorgänge setze ich ins Verhältnis zur Entwicklung meiner Beziehungen zu anderen Menschen oder zu Vorgängen in der Natur, in der sich Formen etablieren und vergehen. Wenn ich einen Gegenstand vom Boden des Gärtchens emporhebe, krabbeln Asseln und Ameisen in Deckung, versuchen die Regenwürmer schnell zu verschwinden. Von diesem Getier gibt es Massen in der dünnen Erdschicht. Sie sind aber immer nur kurz zu sehen.

Manchmal gehe ich mit der Handykamera über das Gelände und versuche alle Insektenarten zu fotografieren, die sich hier etabliert haben, als könnte das helfen, dieses Gelände vor dem Zugriff einer Neubebauung zu retten.

Heute will ich an Rolle 11 weiterarbeiten. Der Verdichtungsmodus, den ich zeichnend gewählt habe, hat einen regelmäßigen Dreitaktrhythmus: 1. eine neue Tanzzeichnung und deren Füllung mit dem vorangegangenen Material, 2. ihre leeren Umrisse im Liniengesträuch und 3. Einbindung ins Geflecht durch Überlagerung. Dann geht es mit der nächsten Tanzzeichnung von 2003 genau so weiter.

Getier

Der Donner der Güterzüge überdeckt vom Bahndamm her das Rascheln der Eidechsen im trockenen Laub am Boden des Gärtchens. Zwischen einem aufgespalteten Totholzstamm einer Pappel gruben sich zwei Blauschwarze Holzbienen im senkrechten Spalt gegenüberliegende Tunnel. Sie leben nun auf einer Etage und können sich gegenseitig in die Höhlen schauen. Ihr Abraum verschüttete den Eingang der vorjährigen Röhre.

Das Schlagloch im Betonboden auf dem Hof habe ich für die Tauben mit Wasser aufgefüllt, denn der angekündigte Regen lässt auf sich warten. Winzige schöne Schmetterlinge, mit reich gemusterten Flügeln, umflatterten weitere Wiesengamsbärte, die ich gestern entdeckte.

Die hellen Punkte in den Buchmalereien stammen von Steinabdrücken im Papier. Sie erscheinen durch mehrfache Schraffuren in unterschiedlichen Farben. Dieses Vorgehen stammt eigentlich von der Lasurmalerei, deren Farbigkeit durch durchscheinende Farbschichten und Weißhöhungen entsteht. Und daneben treten auch wieder Figuren auf, deren Umrissformen den Handabdrücken folgen.

Beim Gehen

Die Gedanken beim Gehen mit der Gießkanne, die Wasserstellen der Tauben füllend, den Traum noch im Kopf von dem Baby in einer Tasche, in einem Zimmer eines langen Korridors, verschwunden und mir anvertraut. Die Mutter aber interessierte es nicht. Finde die Gartenschere zwischen den Blumentöpfen, schneide überkopf, Spinnensplitter in den Haaren.

An Perlonfäden hängen die Ringe der Napfmuscheln, kreiseln in der Stille des Brückentages. Nur ein unsichtbares Aggregat quietscht rätselhaft rhythmisch auf der leeren Baustelle.

Die Miniaturplastik von Hanuman, die wir in Indien gekauft haben, strich ich mit Wasserfarben ein und machte davon Handkantenabdrücke für die Buchmalereien. Zwischen den Lavasteinabdrücken entstanden verschiedene Lufttänzerinnen hinter Bünenkonstruktionslinien. An Rolle 11 arbeitete ich gestern nicht. Schließlich war der 1. Mai, Kampf und Feiertag der Arbeiterklasse. Im Gärtchen gab es Bier aus einer großen Flasche.

Herkunft und Zeichenstil

Die Kinder vertieften sich gestern lange in ihre Transparentpapierrollen. Zuvor zeigte ich ihnen das, was ich auf diesem Gebiet mache. Bei ihrer Arbeit mit Bleistift, Tusche und Schellack wurden ihre unterschiedlichen Handschriften sehr deutlich. Ein Eritreischer Junge, der die Schreibschrift seiner Region im Handgelenk hat, zeichnete die Formen nur ungefähr und kreisend suchend durch, sodass eine ganz eigene Struktur entstand. Und so kann man bei jedem einzelnen Schüler den Zusammenhang von Herkunft und Zeichenstil betrachten.

Das hat mich angespornt, mit dem Tanzfries weiter zu machen und ihn innerhalb der Collagen mit den Buchmalereien zu verflechten. Mit dem zusammengesackten Personal von heute, mit seiner Haut aus Farblasuren, Handballenstrukturen und Verwischungen. Mit den Lavasteinen und den Holznadeln schrieb ich Vertiefungen in das glatte Papier, die durch Schraffuren heller hervorgehoben werden. Manchmal besitzen die Figuren klare Umrisse, manchmal lösen diese sich an einigen Stellen auf und oft werden die Abgrenzungen zur Umgebung nur durch unseren erinnernd vergleichenden Geist geschaffen.

Die kleinen Malereien mache ich am Zeichentisch, der in der Mitte des Ateliers steht. Das Schreiben geschieht im Sommer draußen, während ich in meiner Gartennische auf dem Korbsessel sitze. Die beiden Tagebuchelemente entstehen also in unterschiedlichen Situationen. Die Texte werden draußen vom Anblick des Dschungels beeinflusst. Das wäre mit den Bildern sicherlich noch auffälliger.

Tanz

Per Suchbegriff kann man sich im Blog orientieren, wie und wann ich mich in den vergangenen Jahren mit der Arbeit von William Forsythe beschäftigt habe. Das geschah zumeist auf den Transparentpapierrollen 9, 10, 11, und 12 und in der Folge auch in den digitalen Collagen. Es gibt also mehrere Tanzfriese zu Motion Bank und zu YOU MADE ME A MONSTER. Letzterer ging auch eine Verbindung mit GPS – Linien vom Gustavsburgplatz ein.

Gestern stiegen wir mit Cyril Baldy am Abend im Frankfurt LAB in die Improvisationstechniken des Choreografen Forsythe ein. Aus diesen setzen sich seine Stücke zu großen Teilen zusammen. In dem Moment, wo ich das, also eine ganz dünne Schicht dieses Blocks mit meinem eigenen Körper erkunde, ahne ich die Intensität der Arbeit. Ich erzählte unserem Kursleiter von meinem aktuellen Tanzfries. Er möchte ihn gerne sehen.

Auch aus dem Museum für Angewandte Kunst kam eine Reaktion auf meinen Blog. Vielleicht kann ich den Leuten dort auch meine Rollen vorstellen. Mit den Schülern will ich heute zum selben Thema arbeiten. Sie sollen eine kleine Frottage auf einen Transparentstreifen machen, die sie dann beim Zusammenrollen mit Bleistift durchzeichnen und überlagern sollen.

Eingeflochten

Gestern beim Kramen fand ich eine GPS – Zeichnung einer Küstenlinie, der ich dem anschlagenden Wellensaum folgend, hin und her lief. Ergebnis war eine geschwungene Linienkomposition aus lauter kleinen geraden Strichen, die Konstruktion der Bewegungen des Ozeans.

Die zuletzt eingefügten Tanzzeichnungen von 2003, flocht ich nun vollständig in das Gesträuch des Tanzfrieses ein. Ihn versuche ich mit Panoramaaufnahmen einzufangen, die ich vielleicht benötige, um die Leute von der Tanzcompany davon zu überzeugen, dass ich bei ihnen zeichnen kann. Je näher der Probenstart rückt, umso mehr zweifle ich daran, weil mir einleuchtet, welche Konzentration für diese Arbeit notwendig ist.

Am Vormittag ging ich ins Anna-Freud-Institut zu einer YOU&EYE Supervision. Interessant, welche Gespräche sich aus den Erfahrungen der Kollegen mit den Schülern ergeben. Mit Maya sprach ich danach über eine Fortsetzung der Kooperationen der einzelnen Arbeitsgruppen.

Im MAK

In die Collagen habe ich heute eine Zeichnung mit hinein genommen, die ich gestern im MAK auf eine große weiße Papierlandschaft gemalt habe. Das Geschah während eines Tuschmalerei Workshops mit einem Japanischen Künstler. Am interessantesten war es für mich, mit den anderen Teilnehmern gemeinsam zu malen. Diese Form der Kommunikation durch die Malbewegungen und deren Ergebnisse, ist ein besonderer Vorgang.

Morgen gehen wir in das Frankfurt LAB zu einem Tanzkurs zur Technik von Bill Forsythe. Dort hoffe ich auf Inspiration für meinen Tanzfries auf Rolle 11. Diese Arbeit hat auch einiges mit den Rollbildern gemein, die im MAK von Zeit zu Zeit ausgestellt werden. Auch darüber sprach ich gestern an Ort und Stelle. Auf Rolle 11 zeichne ich heute weiter an der Verdichtung der Tanzlinien.

Jetzt im Gärtchen vor dem Atelier sitzend und schreibend bekomme ich Besuch von den Nachbarn, fremden Schwebfliegen und vom Rotkehlchen. Wildbienen unterschiedlicher Art suchen nach Behausungen in meinem durchlöcherten Totholz.

Theater

In den Kammerspielen sahen wir „Die Zofen“ von Genet. Eine verrätselte Inszenierung mit drei Schauspielerinnen in identischen Kostümen und ebenfalls identischen Latexmasken, die ständig die Rollen wechselten. Solche offenen Arbeiten bieten mir reichhaltige Projektionsräume, mit denen ich viel anfangen und gut umgehen kann, im Gegensatz zur Nachtkritik.

Mit Annette, die lange mit der Forsythecompany gearbeitet hat, sprach ich über meinen Wunsch, bei den neuen Proben des Meisters zu zeichnen, die am 1.5. beginnen. Cyril Baldy, unser Workshopleiter am kommenden Dienstag, sei der richtige Ansprechpartner in dieser Sache. Sie machte mir aber wegen der Hermetik der Probensituation, die da normalerweise herrscht, wenig Hoffnung.

Gestern sah ich mir meine Tanzsequenzen auf Rolle 9 von 2021 an. Auch sie gründen auf die Zeichnungen von 2003. Die derzeitige Arbeit auf Rolle 11 führt diese Sequenzen fort. Bin gespannt, wo mich das hinführt. Die Buchmalereien entstanden heute wieder unter Zeitdruck, denn gleich geht es wieder ins Theater zur Premiere „Solaris“ nach Stanislaw Lem.

Quantitätsschwelle

Gestern zeichnete ich noch lange am Tanzfries. In mir wächst die Vorstellung vom Bruch dieser Kontinuität. Das könnte ein Schellackfeld sein, das ich einfüge, um mit ihm das Liniennetz zu verwischen, um dann wieder neu anzusetzen.

Der Widerspruch im laufenden Produktionsprozess fokussiert sich in dem Zweifel an der Innovationsfähigkeit der Arbeitsgänge, die sich stetig ähnlich wiederholen. Einerseits setze ich auf eine Qualitätsschwelle, die sich aus der Aneinanderreihung und Verdichtung der Quantität von selber ergibt. Das steht gegenüber der mutwilligen Veränderung mit Schellack. Die beiden Aspekte vereinigt, ergäben dass ich weiter mache, bis sich die Veränderung von alleine einstellt, beispielsweise eine Verdichtung bis zur Schwärze, um sich dann in der Schellackverwischung aufzulösen.

In Windeseile sind die Buchmalereien entstanden, weil ein Vormittagstermin dazwischen kam. So war ich gezwungen, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Und das erscheint viel malerischer als die Malereien auf den Seiten zuvor.

Zwischen dem Grün

Die Kinder sind manchmal schwer zu bändigen. Sobald wir im Gelände sind, fliegen sie auseinander, verschwinden zwischen dem Grün, das sie zurückschneiden und dabei Holzfiguren finden sollen. Von denen ist schon einen ganze Schar entstanden. Draußen sind manche von ihnen zerstört worden. Doch die Produktion geht weiter und hält dagegen.

Drinnen spielen die Schichten des gefalteten Transparentpapiers eine Rolle. Zwischen ihnen Graphit, Schellack und Tusche, die sich abstoßen, auflösen und neue Welten bilden. Mit dem Material, das wir in den letzten Monaten entwickelt haben, werden wir auch in diesem Jahr eine Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst einrichten.

Auf Rolle 11 sind zwei weitere Tanzfiguren aufgetreten. Mit einer Hand finden sie gleich Anschluss an das laufende Bühnengeschehen. Und dann setzt wieder das gleiche Spiel, wie in den letzten Tagen ein: zuerst nehmen sie die Bewegungsstrukturen auf und werden von ihnen angefüllt. Das geschieht freistehend, bevor sie eingehüllt werden vom Tanz, von den Beziehungen der anderen Figuren zueinander. So stehen sie jetzt leer und weiß zwischen dem Geschehen. Im nächsten Schritt, vielleicht heute, werden sie langsam absorbiert.

Kipppunkt

Auf dem Tanzfries der Rolle 11 zeichnete ich gestern die Überlagerungen der zuvor freigestellten neuen Figuren mit dem vorausgegangenen Material. Im gegenwärtigen Zustand erscheint mir diese Verdichtung besonders harmonisch. Es wird deutlich, wie immer mehr Figuren aus den Gassen auf die Bühne treten und ihre Bewegungen ineinander greifen.

Irgendwann im weiteren Verlauf wird aber ein Kipppunkt erreicht, nach dem das Geschehen nicht mehr lesbar sein wird. Im nächsten Schritt kann dann der Fries rigoros enden, kann aber auch sanft aufgelichtet und entwirrt werden. Das geht, indem ich ein weißes Blatt zwischen die Rollenschichten wickle, das das Geschehen zuvor verbirgt und so weniger Linien durchgezeichnet werden können.

Mit den Schülern möchte ich draußen im Gelände den Sommerflieder zurückschneiden. Dann sehen wir, was wir mit dem verzweigten Holz anfangen können. Gern würde ich es mit Transparentpapier kombinieren. Es kann Frottagen, Tuschzeichnungen, Schellackschichten oder alles zusammen auf sich tragen, es kann gefaltet sein oder von einer zur anderen Figur reichen. Mit dieser Aktion können wir auch wieder Raum schaffen, in dem man sich auf den Gelände wohl fühlen kann.

Der tiefe Garten

Nach den Ostertagen ist der Betrieb auf der Nachbarbaustelle wieder aufgenommen worden. Die Geräusche von Gabelstaplern, Kanalreinigungspumpen und von Metall, das auf Metall geworfen wird. Davor behauptet sich das tiefe Bild des dichten Gärtchens, mit seinen Eidechsensonnenplätzen und den dunklen Verstecken. An einen querwachsenden Ahornast hänge ich Fundstücke von Stränden mit Federn an Fäden auf. Der Wind schreibt mit ihnen Gedichte.

Die Nachbarn sind wieder da, reden beim Rauchen und lachen beim Verladen von Renovierungsmaterial. Über allem steht die Milchsonne, die gefiltertes Licht ausschüttet. Aus dem klaren Wasser der Bottiche steigen Insekten zum raumbildenden Schwärmen zwischen den Baumstämmen auf. Das Gras wächst nach dem Regen zu schnell für die jungen Heuschrecken, die zu leicht und klein sind für diese Wiese.

Morgen kommen wieder Schüler ins Atelier. Und es gibt auch noch andere Arbeitsverabredungen. Besucher des Geländes haben meinen Olivenbaum beschädigt und die Holzfiguren, die ich aus Zweigen und Muscheln mit den Kindern gemacht habe, zerstört. Es ist als müsse man sich mit seiner Kunst verstecken, um nicht Zielscheibe jenes dumpfen Hasses zu werden, der aus dem Minderwertigkeitsgefühl aufsteigen kann.

Einen Moment der Freiheit

Bis in den Abend zeichnete ich gestern auf Rolle 11. Dann entrollte ich Teile von den Rollen 10 und 12. Sofort leuchtete mir das Potential ein, das das Hin- und Herspringen der Motive mit sich bringen würde. Aus ihren „Fließumgebungen“ herausgelöst, werden sie mit den Aggregatzuständen der anderen Rollen zu konfrontiert. Durch eine so angelegte Freizügigkeit können die Ergebnisse unterschiedlicher Kontinuitäten versammelt werden.

Projekte können auch auf verschiedenen unfertigen Rollen entwickelt werden, indem man sie miteinander verknüpft. Den Tanzfries würde ich gerne mit den musikalischen Experimenten verbinden, die ich mit Susanne fortführen will. Das Gustavsburgplatzvorhaben kann ich mit dem 3. Exemplar des Väterprojektes überlagern.

Der Zöglingsweg bei Waltershausen hat wohl mit dem Sportpädagogen Gutsmuths zutun, der in der alten Salzmannschule gearbeitet hat. Sport, Drill und militärische Ertüchtigung haben ja Gemeinsamkeiten. Mein Vater schwadronierte, dass er mich in eine Kadettenschule stecken wolle, weil sie die besten Voraussetzungen für eine Karriere bildet. Schon in der Schule hatten wir Wehrkundeunterricht und im Sport wurde marschiert. In einem Wehrlager des VEB Gummikombinat Thüringen zettelten wir Lehrlinge eine kollektive Befehlsverweigerung an, die streng geahndet wurde. Aber dabei erlangten wir einen Moment der Freiheit.

Fragmented Shelter

Gestern Nachmittag begann ich das Projekt Gustavsburgplatz ausführlicher zu beschreiben. Dabei sah ich mir auch die aufgezeichneten Wege an, die die Schüler gelaufen sind. Die Dreiecksform des Grundrisses mit dem Kreisverkehr an seiner südlichen Ecke, führt zumeist zu einer Kopfform. Mit dieser kann ein Bezug zu den Portraitzeichnungen an den Innenwänden des Kulturkioskes hergestellt werden, die ich 2016 gezeichnet habe. Außen der Gitterkopf an die Fassade montiert, innen die Wandzeichnungen.

Mit dem Tanzfries pausierte ich gestern. Er überfordert mich manchmal mit seiner anstrengenden Dichte. Dann möchte ich dieses komplexe Gebilde zerstückeln, auseinander ziehen und Teile davon herausschneiden. Eine Vereinfachung, die sich auf das Wesentliche konzentriert, wäre der Ausweg. Wie finde ich aber das Wesen in diesem Fließen.

Gestern sah ich mir im Kulturhaus beim Zoo die Performance „Fragmented Shelter“ an. Es handelt sich dabei um eine Zusammenfügung von Sprechtheater, Visuals und Lifemusik. Für die Projektionen und die Musik war Susanne Rentel zuständig, mit der ich schon hier im Atelier experimentiert habe. Ihre Spielweise eines elektronischen Blasinstrumentes hört sich für mich wie sehr freier Jazz an. Die Überlagerungsstrukturen durch den Looper haben Gemeinsamkeiten mit meinen gezeichneten Transparentpapiersequenzen. Auch die Form der Verdichtung ist mir sehr nah. Fast hätte ich mir weniger Text und Schauspiel gewünscht. Dessen Konkretheit verstellte mir etwas das musikalische Hörvergnügen. Auch mit den Bildern, die sich mit Transparenz beschäftigten, konnte ich viel anfangen.

Linien, Schichten, Räume

Der Tanzfries auf Rolle 11 wächst weiter. Es gibt ein Spiel mit den Figurenumrissen. Sie stehen manchmal allein auf dem transparenten Papier und sind mit den Liniennetzen der Vortage gefüllt. Dann folgt die Umkehrung. Sie erscheinen leer inmitten der Linienverdichtungen, sie erscheinen abwesend.

Immer noch habe ich das Konzept für das Gustavsburgplatz-Projekt nicht geschrieben. Noch fehlt die Verbindung zu meinen Gedanken zum Tanzfries und zum Väterprojekt. Kann ich die Ganglinien mit Texten und Tanzräumen verbinden, bin ich motivierter eine Struktur zu entwickeln.

Die Zeichnungen, die ich 2003 im Ballettsaal gemacht habe erinnerten mich heute an die Tänzerin Heidi Viertaler, die gut als Figur zu erkennen ist. Sie arbeitet jetzt als Dozentin in der Folkwang Uni und entwickelte eine Tanzpraxis mit dem Namen Streamflow. Eine tiefere Verbindung zum eigenen Körper versetzt ihn in einen Zustand eines Organismus, der wie von allein die Möglichkeiten eines begrenzten Raumes auslotet. Diese Methode passt zu den Gängen auf dem Gustavsburgplatz. Passend dazu fand ich gerade ein Rasterportrait des Großvaters Fizner, beschichtet mit einem gewanderten Liniennetz.

Zöglingsweg

Das Vorhaben, ein drittes Exemplar des Väterportraits zu machen, bekommt konkretere Vorstellungen. Dort will ich mich mit den Auswirkungen von physischer Gewalt auseinandersetzen. Noch heute wohnen Reaktionen in meinem Körper, die mit der Erwartung von körperlichen Strafen zutun haben. Die Bilder der Prügelorgien sind immer gegenwärtig. Mit dererlei Erinnerungsarbeit habe ich innerhalb des Väterprojektes schon gute Erfahrungen gemacht

Mich interessiert, inwiefern das Zufügen von Schmerzen und Erniedrigungen in der menschlichen Natur existiert. Aggressivität und Wutausbrüche, die sich gegen Schwächere richten oder gegen Gruppen, denen eine Schuld unterstellt wird, sind ja alltäglich. Auch die Kompensation eines Selbsthasses kann auf meinen Vater zutreffen, der die homoerotische Seite seiner Existenz verleugnen musste, sich nicht eingestand und dagegen ankämpfte. Es geht also um persönliche und gesellschaftliche Verquickungen.

In der Nähe des Kinderheimes „Klostermühle“ bei Reinhardsbrunn, in dem mein Vater gearbeitet hat, gibt es den Zöglingsweg. Es wäre ein schöner Beginn, diesen Weg mit einer Kamera und einem GPS-Gerät zu gehen. Vielleicht gibt es ja in einer Chronik Auskunft über die Herkunft des Namens.

Aus der Nische

Beim Aufräumen fand ich Entwurfszeichnungen für den Marmorbrunnen, den ich vor fast zwanzig Jahren für Barbara Neu gemacht habe. Die realistische Figur eines liegenden Jungen, aus dessen Hand das Wasser fließt. Darauf bin ich nicht stolz. Wir haben uns dann auch auf eine abstraktere Variante geeinigt. Diese Zeichnungen habe ich gestern aussortiert und fast alle weggeworfen.

Mit etwas willkürlichen Fragmentierungen der sich stapelnden Tanzfiguren, half ich mir auf Rolle 11 weiter. So entstehen Freiräume für die Suche nach dem Wesentlichen, z. B. durch das Einfügen neuer gezeichneter Tanzumrisse.

In einer Nische zwischen den Regalen im Gärtchen steht mein Korbsessel. Dort sitze ich, wenn es warm genug ist, während des Schreibens. Rechts und Links neben mir hängen Ketten aus dem Material, das ich bei Strandspaziergängen an Andalusiens Atlantikküste aufgefädelt habe: Korallenstrukturen, Schneckenhäuser und Konglomerate aus Lava, Kieseln und Austernschalen.

Neu definiert

Gestern habe ich nur das ausführliche Tagebuch gemacht. Das besteht aus den 3 Buchmalereien, den handschriftlichen Texten, den 3 Collagen und aus den 3 Texten, die für den Blog gemacht sind. Die Transparentpapierrolle ließ ich liegen, scannte nur ihren letzten Teil für die Collagen.

Außerdem probierte ich den Geo Tracker auf meinem Mobiltelefon aus. Heute mit den Schülern war es etwas schwierig, weil sie wenig motiviert waren und auch mit der Installation der App auf ihren Handys nicht gut zurechtkamen. Das enttäuschte mich etwas, weil ich für diese Raumunternehmungen sehr viel investiere.

Die Linien, die auf dem Gustavsburgplatz entstanden sind möchte ich nun gerne mit dem Tanzfries verbinden. Die Raumumschreibungen sollen sich ergänzen und verdichten. Indem ich die künstlerische Arbeit etwas reduziere, hoffe ich auf eine Konzentration auf das Wesentliche, das aber immer wieder neu definiert werden muss.

Tanz I Raum

Sonntag. Ich blicke auf den Tanzfries und schaue den Insekten im Garten zu, den Gebetsfahnen im Wind. Sprenkelnd wässere ich die Bäume, schaue auf die zerspringenden Tropfen, höre den heiseren Gesang der Meisen und das Signal einer Rangierlok. Zwei Frauen, die mich besuchten führte ich das Fließen der Transparentpapierrollenbilder vor.

Auf Rolle 11 nahm ich mir weitere Zeichnungen vor, die ich 2003 von einer Choreografie von Georg Reischl gemacht hatte. Das Material mischt sich mit dem GPS-Gang im Lustgarten. Viele Projekte, die ich mir vornehme haben mit Bewegung zutun und mit dem Raum, die sie umschreibt.

Nun wird es morgen doch nicht regnen. Für meine Schüler habe ich eine Tracking-App heruntergeladen und möchte ihre Eignung für die Gänge auf dem Gustavsburgplatz prüfen. Mit diesem Instrument könnte jeder für sich eine individuelle Kartierung herstellen. Am Ende kann man sie alle übereinander zeichnen.

Aussortieren I Tanz

Gestern Nachmittag setzte ich den Tanzfries auf Rolle 11 fort, wie ich es am Vormittag gedacht und beschrieben hatte. Die Liniengeflechte, die so entstanden sind, fügte ich heute in die Collagen ein. Parallel holte ich aus dem oberen Fach meiner Regale einen Stapel Strukturpapier, das ich vor vielen Jahren mit Farbverwischungen versehen hatte und sah die Arbeiten durch. Dreiviertel davon sortierte ich aus und trug die in den Papiercontainer, der unter der Bahnbrücke steht. Das war ein schmerzlicher Anfang.

Demnächst probiert Bill Forsythe ein Stück mit der hiesigen Tanzcompany, die wir vorgestern im Bockenheimer Depot sahen. Ich überlege, ob ich fragen sollte, bei einer seiner Proben zeichnen zu dürfen. Das würde die Arbeit am Tanzthema beflügeln.

Am Montag wollte ich mit meinen Schülern einen GPS-Gang über den Gustavsburgplatz machen. Aber es wird regnerisch sein, und ich muss mir ein Ersatzprogramm ausdenken. Vielleicht könnten wir die Pflanzen aus dem Atelier räumen und mit ihnen eine Gartengestaltung machen. Sie soll der Schönheit und der Praktikabilität folgen.

THE LAND WITHIN

THE LAND WITHIN sahen wir gestern von unserer Dance Company im Bockenheimer Depot. Ich würde das als einen Performance Stationenabend bezeichnen. Es kamen große schwingende Flugwerke und klaustrophobische Nebelkammern zum Einsatz. Alles konnte man als Zuschauer durchwandern und mit den Darstellern Kontakt aufnehmen. Mir gelang das auch in mehreren Fällen, was mir besonders gefiel und zu kleinen gemeinsamen Szenen führte. Es gab eine Handflächenannäherung und ein Reaktionsspiel mit Gesten von oben in eine tiefe Kammer.

Der zweite Teil bestand dann aus einem Tanzstücke mit 3 Personen. Dazu nahm man auf den Zuschauerrängen Platz und fühlte sich wie in einer normalen Vorstellung. Sehr emotionale Szenen waren das die frei in ihrem Bewegungsschwung den Raum ausmaßen.

In der Nebelkammer fotografierte ich ein wenig und würde das Material gerne in meinen Tanzfries einfügen, an dem ich gestern auf Rolle 11 weiter arbeitete. Die Tanzzeichnungen von 2003 durchdringen sich dort. Gerne möchte ich sie im weiteren Fortfahren übereinander schichten, um zu einer erneuten Konzentration des Tanzthemas zu kommen.

Der nächste Schritt

Auch die Konzentration auf die farbigen Lavasteinabdrücke und auf das wenige, was ich hinzufüge, kommt mir wie ein Rückzug vor. Keine aggressive Spannung durch geradlinige Konstruktionen, die einen Gegensatz zu den harmlosen Gasblasenumrissen und ihren schönen Farben bilden. Es herrscht eine Sehsucht nach spielerisch-kompositorischen Einklängen. Aus diesem Treibenlassen kann sich aber auch ein strenges Konzept entwickeln.

Noch einmal sah ich gestern davon ab, an den Transparentpapierrollen weiter zu arbeiten. Vom obersten Regalfach holte ich die Stühle, die ich restaurieren will und reinigte sie. Die Leiter ließ ich stehen als Erinnerung die Sichtungs- und Aufräumarbeit fortzuführen.

Aber das Zeichnen auf den Transparentpapierrollen fehlt mir. Es wäre gut, das Atelier für ein Zusammenspiel von Sichtung, dem Ordnen, Entsorgen und begleitendem Zeichnen einzurichten. Das ist der nächste Schritt.

Verweigerung

Das mutwillige Fernhalten von der Arbeit, beispielsweise an den Transparentpapierrollen, zieht widersprüchliche Gefühle nach sich – das der Leere und das der Freiheit.

In den Buchmalereien nehme ich immer wieder die Lavasteinstrukturen auf, gestern ganz ohne Beiwerk außer ein paar Umrisslinien. Auch heute fand dies sehr reduziert statt. Stattdessen beschrieb ich im Buch meine Gartenarbeit und die Artenvielfalt.

Dieser allgemeine Rückzug in den letzten Tagen, hat vielleicht mit den Nachrichteninhalten zutun. Die Konzentrationen der Unverantwortlichkeit, des ausufernden Egoismus, der Selbstüberschätzung und der Unvernunft führen bei mir zu einer Form der Verweigerung. Dabei hat jede Zeichnung, die entsteht, das Potential der Hoffnung, zunächst für mich aber auch ausgesendet in den täglichen Collagen.

Arche I Stabkarten I Gärtchen

Gestern war ich beim Einweihungsgottesdiest meiner Sakralobjekte im ökumenischen Gemeindezentrum Arche, in Neckargemünd. Für ein paar Worte zum Entstehungsprozess bekam ich einen herzlichen und langen Applaus. Das war ein wenig wie Nachhausekommen. Die Feier war schön gestaltet und Tobias hat eine gute Predigt gehalten. Und die Leute können singen! Danach gab es ein Essen und ich beantwortete geduldig alle Fragen zu meinem Vorgehen.

Jetzt, wieder in Frankfurt, kreisen meine Gedanken um das Gustavsburgplatz Projekt. In einer Woche beginne ich damit schon mit meiner Schülergruppe. Spontan fällt mir dazu ein, dass ich mit ihnen eine Polynesische Stabkarte aus unseren gewanderten Linien herstellen könnte. Das wäre die Fortführung unserer skulpturalen Arbeit mit Pflanzenteilen und gleichzeitig die Vorbereitung eines geschweißten Wandgitters mit ähnlicher Gestalt.

Aber es zieht mich auch zum Aufräumen im Atelier, in mein Gärtchen und auf die Wiese am Bahndamm zu den Raumgestaltungen mit der Gartenschere. Außerdem will ich die Riesenpusteblumen in meine Pflanzschalen säen.

Gustavsburgplatz

Gestern traf ich eine Dame von der Deutschen Bank, mit der ich vor einiger Zeit über das Gustavsburgplatz – Projekt gesprochen habe. Wir redeten nun schon etwas konkreter über Zeiträume, Teilnehmerzahl, Organisationsanbindung und über ein Honorar.

Ich tendiere bei solchen Themenfindungsprozessen immer dazu, einen möglichst weitwinkligen Blick zu behalten, um alles Mögliche mit einbeziehen zu können. Wenn ich dann einen Tag später daran denke, wie ich das alles umsetzen soll, wird mir nicht selten etwas flau…

Ich will das Programm über einen längeren Zeitraum strecken, damit ich mich nicht wieder übernehme. Eine Grundstruktur ist die Dreiteilung. Drei Gruppen zu jeweils drei Teilnehmern, machen drei verschiedene Gänge über den Gustavsburgplatz und nehmen sie mit GPS auf. Im Atelier sollen sie dann auf Transparentpapier übertragen und kombiniert werden. Im zweiten Schritt werden 3 Motive auf etwa 2X2 Meter vergrößert. Aus diesen Motiven erstelle ich eine finale Variante, die dann im 3. Schritt auf den Boden vor dem Atelier gezeichnet wird. Diese Zeichnung dient als Vorlage für die zugeschnittenen Metallstäbe, die dann zu einem Gitter zusammengeschweißt und an einer Wand im Freien befestigt werden.

Raum schaffen

Das Frühjahr ist eine gute Zeit, um Räume zu schaffen. In der Tradition des Frühjahrsputzes wurde in meiner Kindheit der Winter hinausgefegt, und es wurde Platz für neue Bewegung in der Wärme geschaffen. Die Tonscherben, die ich jahrelang draußen aufgehoben habe, können nun zusammen gelesen, zerkleinert und unter die Erde gemischt werden, die dadurch länger feucht bleibt.

Tausende winziger Insekten schwärmen mir um die Füße, über den Tisch auf dem das Tagebuch mit den heutigen Buchmalereien liegt. Es scheinen Eintagsfliegen zu sein, denn am Abend sah ich sie gestern auf meinen Wasserflächen liegen. Jetzt, beim Schreiben, muss ich aufpassen, dass ich sie nicht einatme.

Die Produktion ist nicht, wie nach jeder Reise sonst, gleich wieder in Gang gesetzt worden. Ich beginne mit dem Aufräumen. Bei schönem Wetter im Gärtchen. Dann hole ich die vier Stühle vom Regal herunter, die ich reparieren und aufarbeiten möchte. Und die Scans der Buchmalereien, die ich in Lajares auf der Insel gemacht habe, werde ich noch machen.

Freiheit

Von der Sonne beschienen leuchten winzige schwärmende Insekten vor dem tiefen Schatten, im Gegenlicht des Gärtchens. Ich muss mir den Strohhut nehmen, so intensiv ist die Strahlung. Meine Freiheit als Pensionär und Künstler habe ich neu entdeckt. Das setzt mir nun oft ein Lächeln ins Gesicht.

In die Erdschicht auf dem Beton, in der meine Bäume wachsen, lasse ich etwas Wasser tröpfeln. Sie ist von Laub bedeckt und speichert dadurch die Feuchtigkeit gut. Gestern Nachmittag sind die Eidechsen raus gekommen und heute schon in der Morgensonne. Aber die meisten frostempfindlichen Pflanzen stehen noch im Atelier, denn es wird noch einmal kalt.

Mit dem Aufräumen will ich in den obersten Regalen beginnen, weil das am aufwendigsten ist. Ich bin gespannt, was mir alles begegnen wird und was mich zur Weiterarbeit reizt. Zwischendrin verändere ich mit der Gartenschere die Landschaft. Mit ein paar Schnitten können neue Räume entstehen. Stellt man dann eine Sitzgelegenheit so hin, dass die Hecke im Rücken und die Wiese im Blick liegt, ist ein neuer Aufenthaltsort geschaffen.

Nach der Auszeit

Vormittags bereitete ich mein „Schülertreffen“ im Atelier vor. Die Stunden füllten sich mit Frottagen, Zeichnungen, Pappmacheherstellung, mit dem Abformen von Relieffragmenten des Väterprojektes, Holzhacken und der Einrichtung einer Eidechsenbehausung am Bahndamm, bis hin zur Produktion von einem Hip Hop Video. Da soll einer sagen, wir seien nicht vielfältig.

Ich habe 14 Tage auf einer Insel von der Arbeit abgesehen. Und nun soll sie, wie meistens nach einer solchen Auszeit, anders wieder anlaufen, mit mehr Ruhe und weniger Anstrengung, wie es dem Alter entspräche. Oft ordnet sich vieles der Strenge unter. Mehr Spiel wäre mein Wunsch.

Morgen beginne ich erst einmal die ganzen Buchmalereien, die ich mit Hilfe der Abdrücke gefundener Schalentierfragmente angefertigt habe, zu scannen. Und dann will ich mich in die Arbeit des Sichtens und Ordnens meiner Arbeit begeben. Das wird auch mit einer neuen Form der Produktion zutun bekommen.

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Tanzfries

Was gerade auf Rolle 11 entsteht, hat etwas von einem Tanzfries. In den Neunzigern habe ich so etwas mal groß gemalt. Jetzt kommt es anders und klein wieder, auf einem Transparentpapierstreifen. Die fließenden Bewegungen werden von den konstruktiven Linien aus dem Untergrund der Rolle kontrastiert. Noch bleiben die Umrisse der Einzelfiguren und Gruppen deutlich und intakt. Das aber will ich im nächsten Arbeitsschritt ändern und ein Bühnengewusel entstehen lassen.

Im Schauspiel sahen wir gestern Abend eine Dramatisierung des Romans „Don Quichote“. Der Wahnsinn der Hauptfigur, die die Voraussetzung der Handlung ist, konnte in ihrer Darstellung nicht überzeugend gezeigt werden. Deswegen verliere ich keine weiteren Worte.

Aber wir trafen Nils Tabert vom Rowohlt Verlag, den ich länger nicht gesehen habe. Der Intendant kam an unseren Tisch, spendierte uns Wein und sprach lange mit Nils über die Untiefen und Spannungsfelder der Inszenierung.

Umrisse von An- und Abwesenden

Für die Handkantenabdrücke in den Buchmalereien habe ich heute eine eingefärbte Muschel benutzt, deren Struktur ich in alle 3 Formate im Buch übertrug. Die Formenvielfalt meiner Sammlungen von Meerestierenschalen und Steinen ist umfangreich. Ihr überschwänglicher Reichtum an Gestalt, verschafft mir oft ein visuelles Glücksgefühl. Die Schönheit in unendlichen Varianten.

Gestern hatte ich den ruhigsten und besten Arbeitstag der letzten Wochen. Auf Rolle 11 nahm ich mir eine weitere Tanzzeichnung vom Februar 2003 vor. Es ist der Umriss einer Figurengruppe, die in ihrer Mitte eine abwesende Gestalt umringt. Ihr Umriss ist nach oben offen. Dort schwebt ein Bildschirmkopf. Die anderen, „anwesenden“ Umrisse füllte ich mit den Tanzfigurenlinien der verdichteten Zeichnung mit der ich vorgestern arbeitete. Auf diese Weise entstand eine Szene aus mehreren Schichten.

Ich überlege mir, ob die Kombination vom Aufräumen, Erinnern und den Begegnungen von alten Gestaltungen in neuen Zeitschichten, innerhalb eines Projekts, im Gleichgewicht betrieben werden kann. Wird das Zeichnen nicht immer wichtiger bleiben und mehr Zeit beanspruchen als das Ordnen der vielen Arbeiten?

Like A Complete Unknown

Im Kino sahen wir den neuen Dylanfilm „Like A Complete Unknown“. Die Erinnerungen, die mit den Songs verbunden sind und auch die historische Gestaltungsgenauigkeit, waren frisch und anrührend – der Hauptdarsteller, der gesungen hat wie Dylan selbst, war wirklich exzellent.

Die Arbeit an Rolle 11, die gerade neu anläuft, steuert wieder auf diese kontinuierliche Unaufhörlichkeit zu. Weil ich parallel dazu auf Rolle 12 weiterarbeiten will, hoffe ich einen Weg zu finden, das ganze etwas weniger zwanghaft anzugehen, denn ich möchte diese Betätigung mit dem Ordnen meiner Arbeit verbinden und nicht nur zeichnen.

Mit den Schülern war ich gestern wieder draußen. Dort sind sie schwerer zu bändigen. Holzarbeiten standen an. Zum Beispiel sägten wir einen tief wachsenden störenden Ast von einem Baum ab, zerteilten ihn mit der Säge in Stücke und hackten dann Holz. Ich gehe selbst gerne mit der Gartenschere über die Wiese zum Bahndamm, um den Raum zu gestalten. Das ist ein wenig wie Bildhauerei und Rauminstallation. Es entsteht eine neue Aufenthaltsqualität.

Alte Zeichnung, neue Dynamik

Aus einem Karton nahm ich die Kopie einer Zeichnung, die ich im Februar 2003 für eine Installation im Bockenheimer Depot angefertigt habe. Sie ist ein Blatt von vielen Stapeln, die auf dem schwarzen Bühnenboden liegend ein Raster bildeten. Die Zeichnungen fertigte ich während der Proben zu einem Tanzstück von Georg Reischl an. Die Zuschauer, die das Stück sehen wollten mussten über dieses Hindernis hinweg steigen.

Da Rolle 11 noch nicht bis zum Ende fertig gezeichnet ist, nahm ich eines dieser Blätter und fügte das Motiv am Ende des gezeichneten Streifens ein. Danach ging es in der Weiterarbeit eine Verbindung zu den GPS-Linien von Lustgarten und den Textfragmenten: „SEHT DORT DIE FÜNF ALS PATE DER BLICK VON DORT“, ein. Die Worte aus Anne Roman „Hinter den Mauern der Ozean“, dem Stasibericht von Heinz Werner über mich und einem Interview mit mir, sind nach den Tabolinien ausgerichtet. Somit bekommen die Bühnenfiguren neue Dimensionen. Das gezeichnete Geschehen erfährt eine andere Dynamik.

Der Blick in die Tagebuchaufzeichnungen, die sehr kleine und dichte Buchmalereien umrahmen, zeigt meine damalige Umtriebigkeit. Stadtentwickler, Immobilienunternehmen und Bürgerinitiativen trafen sich auf scheinbarer Augenhöhe. Aber die Stadtgestalt wurde dadurch beeinflusst. Und die Kunst fand damals parallel dazu, so selbstverständlich, wie nebenher statt.

Rückblick auf Rolle 12

Nach dem Einkauf am Morgen fühlt sich der Tag frei an. In Ruhe und im Besitz der Normalkraft, an den Ateliertischen arbeiten zu können, ist erholsam. Gestern ist Rolle 10 aus dem Humboldt Forum zurückgekommen, und in der vergangenen Woche brachte ich Rolle 11 aus dem Tibethaus wieder mit. Hier auf dem Tisch liegt Rolle 12.

Und Gegenstände liegen herum, die ich mit Erinnerungen an Menschen verbinde. Sie sind wie Artefakte einer Ausgrabung. Ich denke an Wolfgang Engel, der vor ein paar Tagen gestorben ist, an unsere gemeinsame Zeit in Dresden, an seine Inszenierung von „Medea Stimmen“ von Christa Wolf, wo ich auch gezeichnet habe. Diese ganzen Blätter, die ich während Schauspielproben, Konzerten und Ballettproben gemacht habe, werde ich nun ordnen und womöglich mit einer Sequenz auf Rolle 12 verbinden, um diese Arbeit noch einmal auszuweiten und auf einen anderen Punkt zu bringen.

Wenn ich über die Wiese zum Bahndamm gehe, stehen da die Tiere aus Astwerk, die die Schüler hergestellt haben. Sie begeistern sich für den Umgang mit Holz aller Art. Sie lernen das Schärfen und den Umgang mit den Bearbeitungswerkzeugen. Beim nächsten Mal würden sie am liebsten Bäume fällen.

Abschluss

Im Tibethaus richtete ich mir einen Arbeitstisch ein, der von einer Kamera beobachtet wurde. Die Projektionsfläche dieses Bildes fand sich direkt über dem Foto des Dalai Lama. So verbanden sich die Linien der Rollen 11 und 12 mit seinem Lächeln. Ich zeichnete an den Tabofiguren weiter und glitt so vom Arbeiten, wie von alleine in den Vortrag. Der Saal war gut besetzt mit aufmerksamen, freundlichen Leuten. Ich bekam viele nette Dinge zu hören, was mir natürlich gut tat.

Nach mir sprach Peter van Ham über sein Lebenswerk, das wirklich eine große, kontinuierliche Arbeit für die Erhaltung des Tibetischen Kulturerbes darstellt. Es bleibt zu hoffen, dass seine Anstrengungen die Mönche so weit erhellen, dass sie sich ernsthaft um das Bestehen der Schätze kümmern.

Nun sind die Aufgaben erst einmal erledigt. In der Ausstellung in Berlin waren 60000 Besucher. Auch dort habe ich viele neue Kontakte knüpfen können und fand einen erfolgreichen Abschluss. Die Arbeit in Neckargemünd ist ebenfalls gut gelaufen. Der Vortrag, den ich gestern hielt, beschäftigte mich vorher eine ganze Weile, ich dachte oft an die Gestaltung dieser Situation. Sie war locker und etwas spielerisch, wie ich es mir erhoffte.

Präsentation von Rolle 11

In die Bilderdatei, die ich heute während der Präsentation von Rolle 11 zusätzlich zeigen möchte, füge ich nachher noch Collagen ein, die sich aus den gezeigten Motiven zusammensetzten. Ich schwanke, ob es logischer wäre, erst die Federzeichnungen der Rolle zu zeigen und dann die farbigen Bilder, die damit zusammenhängen oder umgekehrt.

Dies miteinander zu vermischen, ist mir zu kompliziert, weil sich die Tabolinien sowieso schon mit so vielen Themen verbinden. Also versuche ich die Dinge nacheinander zu ordnen, um den Geist nicht zu verwirren.

Aus gegebenem Anlass und um mich in das Vortragsthema hinein zu begeben, arbeitete ich gestern an Rolle 12 weiter. Ich nahm mir die Umrisse der 20 Tabofigurationen, die aus den Verdichtungen hervorgegangen sind, vor und zeichnete sie auf den Streifen. Dann begann ich die Felder mit den durchscheinenden Linienmustern zu füllen. Ich will zeigen, wie sich die Tabolinien mit meinem künstlerischen Leben verbunden haben.

Holz

Vorerst bauten wir gestern kleine zarte Figuren aus Schafgarbestängeln. Dann aber entdeckten die Schüler das Holz der Gesträuche und der Bäume, holten Astscheren, Sägen und Beile. Dann war kein Halten mehr und der wichtigste Ort wurde der Hackklotz neben der Wiese. Die Übungen mit den scharfen Werkzeugen werden von mir eingeführt und überwacht. Mein Vertrauen, das auf die Vernunft baut, das Gelernte anzuwenden, wird meistens belohnt. Die größte Figur maß eine Höhe von etwa 1,5 m.

Als sie gegangen waren, blieb ich noch eine Weile mit der Gartenschere am Bahndamm und schnitt die Brombeersträucher zurück. Am späten Nachmittag wurde es warm und kleinen Mückenschwärmen konnte ich im Gegenlicht der Sonne beim Tanzen zuschauen.

Nachher will ich den morgigen Vortrag noch etwas vorbereiten. Ich stelle mir einen Zeichentisch vor, auf den eine Kamera gerichtet ist. Man kann sehen, wie ich auf Rolle 12 durchscheinende Muster auf die äußere Rundung zeichne. Dann zeige ich die vorbereiteten Bilddateien, nehme auch das entsprechende Tagebuch mit den Buchmalereien mit, deren Umrisse einen Auftritt auf Rolle 11 haben.

Arche I Schüler I Tibethaus

Die Arbeit Im ökumenischen Gemeindezentrum Arche in Neckargemünd habe ich beendet. Die Begegnung mit den Objekten, die ich vor langer Zeit angefertigt habe, war mehr als eine bloße Widerbegegnung. Allein die Vorbereitung durch die Dornenkronensequenz erweiterte den damaligen Arbeitsansatz. Alles ist zu einem guten Ende gekommen, auch durch das schöne Zusammenspiel mit der Gemeinde und meinen Gastgebern.

Nachher kommen meine Schüler. Mir ging durch den Kopf, mit ihnen gemeinsam die 16 Tafeln des Väterreliefs im Ausstellungsraum auszulegen. Danach könnten wir dann mit den Formen arbeiten, Frottagen von ausgesuchten Stellen machen und dieselben Areale dann mit Pappmache abformen. Diese Reliefs könnten dann in Bezug auf die Frottagen barbeitet werden. Sowohl die Frottagen als auch die Reliefs werden zeichnerisch erweitert.

Wenn sie dann weg sind, kann ich an meinen Vortrag im Tibethaus denken, der Übermorgen stattfinden soll. Gestern schaute ich mir eine dafür zusammengestellte Bilddatei an, um mir noch einmal den roten Faden zu vergegenwärtigen. Gerne würde ich etwas von der Atmosphäre der planvollen Improvisation herstellen, eine Werkstattsituation nachempfindbar machen, an der die Zuhörer mit Fragen und Beiträgen teilnehmen können. Das hieße aber viele Enden der roten Fäden offen zu lassen…

Alte Arbeitsstrukturen

Die Arbeit in Neckargemünd ist schon weit fortgeschritten, ging schneller als ich dachte. Die Konzentration die den ganzen Tag anhält, zahlt sich aus. Anne schickte ich ein Foto vom fertig gemalten Kreuz. Sie antwortete, dass es wie der Frühling leuchtet. Damit meinte sie ein Aquarell das ich in den Achtzigerjahren gemalt hatte und das nun bei ihr im Wohnzimmer hängt. Die malerische Struktur ähnelt der des Kreuzes seht stark.

Bei allem schönen Arbeiten in der Arche, bin ich dann auch froh, wenn ich fertig bin und mich wieder den anderen Dingen widmen kann. Mit dem Vortrag im Tibethaus über die Arbeitsweise auf Rolle 11, kann ich wieder einschwenken in die Beschäftigung mit den Transparentpapierrollen, kann dann diese Kontinuität fortsetzen.

Das nächste Projekt ist die Sichtung der vielen Arbeit, die ungeordnet im Atelier liegt. Das würde ich gerne mit einer Aufnahme der älteren Motive einhergehen lassen, damit auch aus diesem Vorgang Bilder entstehen.

Schüler I Lasurmalerei

Für die Schüler, die heute ins Atelier kommen, habe ich gestern die Masken, die sie bei unserem vorigen Treffen in die Formen gedrückt haben, herausgelöst, korrigiert und ergänzt, damit sie sie heute gleich bemalen können. Ein ukrainisches Mädchen ist dabei, die zeichnerisch sehr begabt ist. Ihr möchte ich heute eine größere Aufgabe stellen.

Von einem der vorausgegangenen You & Eye – Veranstaltungen habe ich noch ein Kraftfeldrelief, das den Umriss eines Kleiderschnittes hat. Das könnte sie mit ihren Motiven versehen. Es ist ziemlich groß und könnte sie vielleicht auch überfordern. Wir werden sehn.

Morgen bin ich wieder in Neckargemünd. Darauf freue ich mich, denn der Rest der Arbeit läuft auf Lasurmalerei hinaus. Zeit dafür habe ich mir schon eine ganze Weile gewünscht. Es erinnert mich an meine Malereien der Achtzigerjahre, dieses Glück mit dem Entstehen einer zarten Farbigkeit. Und diese Konzentration darauf, die den ganzen Tag ohne Pause anhalten kann, ist ein wirkliches Geschenk.

Altarobjekte

Die Arbeitstage in Neckargemünd sind intensiv. Ich konzentriere mich den ganzen Tag, fast ohne Pausen auf die Übertragung meiner Vorstellungen, die ich mir im Atelier gemacht habe, auf meine Altarobjekte, die ich vor fast vierzig Jahren angefertigt habe. Im Lauf ihrer Überarbeitung, habe ich festgestellt, dass sie zumindest handwerklich solide gemacht sind. Die Rhythmen der Kerbschnitte, die von der Dornenkronenstruktur durchsetzt sind, sind stimmig. Sie erinnern mich an die letzten großen Auftragsmalereien in der DDR. Große optimistische Schwünge.

Ich werde sehr freundlich von der Gemeinde aufgenommen, wohne bei lieben Leuten und habe anregende Diskussionen mit den Menschen, die mich bei meiner Arbeit besuchen. Während eines Informationsabends, an dem ich meine Arbeitsweise erläuterte, meinte eine Frau, das eigentliche Kunstwerk sei die Dornenkronensequenz auf den drei Transparentpapierstreifen, die ich nebeneinander im Kirchenraum aufgehängt hatte.

Das Kreuz, an dem ich zunächst bin, wollte ich eigentlich liegend bearbeiten, damit ich mit dem schwimmenden, eingefärbten Lack besser umgehen kann. So könnte die Farbigkeit bewegter werden. Aber das Kreuz steht immer noch, und ich stelle mich langsam auf die Situation ein. Der Vorteil ist, dass ich in den schönen Raum so weit zurückgehen kann, um die Struktur- und Farbverteilung besser zu überblicken und die Wirkung im ganzen Raum besser einschätzen kann.

Im Heimathafen

Bin ich viel unterwegs, dann ist das Tagebuch mein Heimathafen, auch wenn es im Rucksack steckt oder auf dem fremden Tisch liegt. Auch in dem großen Kirchenraum der Arche in Neckargemünd schreibe und male ich gerne.

Es gibt beim Umlagern des Kreuzes in eine Rückenlage, damit ich besser daran arbeiten kann, Verzögerungen. Deswegen bin ich nicht so in die Arbeit daran gekommen, wie ich mir es vorgestellt hatte. Langsam kristallisiert sich aber eine Arbeitsweise heraus, deren Reihenfolge etwa so bleibt, wie ich mir es zu Hause Im Atelier vorgestellt hatte. Eine Schwierigkeit bestand darin, die Graphitlinien auf das Holz zu übertragen. Der Lack ist so hart und abweisend, dass er die durchgezeichneten Striche nicht annimmt. Aber wenn ich meinen eigenen lasierenden Lack unter die Durchzeichnung streiche, dann bleibt das Graphit haften. Und so beginnen sich die Flächen, auf denen sich das Linienmaterial ausbreitet, auf der Oberfläche spannungsvoll zu verteilen. Ich gehe von dem inneren Bereich, neben dem Korpus Christi langsam nach außen und dann später auf die anderen Objekte über.

Heute bin ich im Atelier, weil nachher meine Schüler kommen. Morgen früh fahre ich wieder zurück.

Die tröstliche Routine

Die tröstliche Routine, die nur langsame Veränderungen zulässt, neutralisiert die Aufregung etwas, die rundherum herrscht. Die Lavasteine, die neben den Farben liegen halten den Moment ihrer Erstarrung fest. Die Wellen meines Lampenlichts durchdringen die Höhlungen und treten manchmal auf der anderen Seite wieder heraus auf die Fläche des Tisches.

Daneben liegt Annes Roman „Hinter den Mauern der Ozean“. Ich schlage ihn auf, um mich an Worten festzuhalten, die ich für das Gehen benötige. Einen Vorrat von ihnen anzulegen, bedeutet Strecke machen zu können. Morgen fahre ich nach Berlin und nehme das GPS-Gerät mit und meine Bilder von Breslau für meine Tochter.

Zeichnungen der Figurenfragmente des Pergamonaltars, die ich auf Transparentpapierrollen gemacht habe, gehen mir durch den Kopf. Habe ich sie mit gewanderten Linien verbunden? Oder denke ich das jetzt nur? Ich sollte Rolle 12 mitnehmen nach Neckargemünd, um die streng regulierte Arbeit an den Sakralobjekten etwas aufzulockern. Motive, die ich dort auf dem Transparentpapier entwickle könnten in die Gestaltung der Holzfelder mit einfließen.

Sisyphos

Die Schüler haben gestern Masken abgeformt. Dafür hatte ich ihnen Pappmache hergestellt, das ziemlich weich war und sich anfühlte wie Kuhscheiße. Es gab Proteste und Arbeitsverweigerungen. Lieber höhlen sie den Stamm aus, der in einer Durchführung des Ateliergebäudes liegt. Das geschieht mit viel Geschrei und Gehämmer. Die ruhigeren Kinder flechten die Zweige des Weidenbaums zu Ringen.

Als sie weg waren, zeichnete ich weit bis in den Abend auf Rolle 12. Außerdem packe ich die Dinge zusammen, die ich für die Arbeit an den Sakralobjekten in Neckargemünd benötige. Es gibt Unsicherheiten dabei, was Werkzeuge und Zeit angeht, die ich benötigen werde, um diese Arbeit fern von meinem gewohnten Arbeitsplatz, dem Atelier zu machen.

Auf dem Weg hier her am Morgen habe ich wie immer Müll aufgesammelt, den ich in die Papierkörbe werfe. Christian, ein offensichtlich ziemlich traumatisierter Flüchtling, beobachtet mich an fast jedem Morgen dabei. Angesichts dessen sprachen wir über Sisyphos und seine Strafarbeit. Er meinte, dass das Glück immer nur kurz währt, während der Stein oben angekommen ist. Man müsste ihn mit mehreren kleineren Steinen arretieren, damit es anhält. Aber der Denkfehler dabei ist: das wiederholte Hinauf- und Hinabrollen ist das Glück!

Roter Faden

Gestern versuchte ich bei einem Besuch einer Uni-Gruppe im Atelier, die Verbindungen zwischen Bewegung im Raum und bildnerischer Arbeit zu erläutern. Dabei fiel mir auf, dass ich während einer Plauderei darüber, den roten Faden nicht außer Acht lassen sollte. Das Thema ist zu komplex und es fallen mir immer noch weitere Details dazu ein, die ich berichten könnte. Dadurch franst das Gespräch etwas aus.

Alle neun Transparentpapierrollen, die derzeit im Atelier sind, rollte ich dann eng zusammen und verstaute sie übersichtlich in Kartons. Nun ist es leichter rückblickend Themen der letzten 20 Jahre wieder aufzunehmen. Dabei wird die Wechselwirkung zwischen Arbeitstagebuch und Transparentpapierzeichnungen deutlich. Per Datumseintrag in den Büchern und Rollen lassen sich die zeitlichen Zusammenhänge leicht rekonstruieren. Auch die Suchfunktion im Blog ist hilfreich, die Verbindungen der Themen in den verschiedenen Medien zu verfolgen.

Und als dann Ruhe eingekehrt war, nahm ich mir die erste Malerei vom 10.2. vor, vergrößerte sie auf dem Bildschirm und zeichnete von dort direkt einen Umriss auf ein Stück Transparentpapier. Diesen übertrug ich dann auf Rolle 12 und füllte ich mit den Schichten der vorausgegangenen GPS-Wanderungen im Lustgarten und Teilen der Dornenkronensequenz.

Besuch

Die Seminargruppe von der Frankfurter Uni, die mich heute besuchen will, interessiert sich insbesondere für den geografischen Ansatz meiner Arbeit. Dafür habe ich die Transparentpapierrollen herausgekramt und nach aufgezeichneten Wanderungen durchgeschaut. Auf 9 von 10 Rollen, die derzeit hier im Atelier liegen, geht es irgendwo um GPS-Aufzeichnungen in Verbindung mit Buchmalereien oder Verdichtungen der Linien. Am Anfang sind es eher Zeugnisse und Wanderungsspuren.

Für mich war erstaunlich, wie immer wieder die Abrissruine des Palastes auftauchte. Und ich bekam ein Gefühl dafür, wie sich ein Projekt, das sich mit dem Sichten meiner Arbeit und dem Aufräumen der Sammlungen anfühlt.

Außerdem habe ich begonnen, das Material für Nackargemünd zusammenzustellen. Auf der Mainzer Landstraße kaufte ich Farben und hier rollte ich die Transparentpapierstreifen der Frottagen und der Dornenkronensequenz zusammen. In der großen Kirchenhalle dort werde ich mir zunächst einen Arbeitsplatz einrichten. Tische gibt es da genug. Aber es müssen noch einige andere Dinge vorbereitet werden.

Langsam

Langsam gehen das Malen, das Gehen, das Denken und das Schreiben an diesem Morgen. Die Langsamkeit lässt sich genießen, lehnt sich gegen die Hast des rhythmisierten Tages auf. Die Sonne steht hinter einem Nebelschleier, der ihre Lichtscheibe weich zeichnet. Das macht eine sanfte Helligkeit und die Lampe über dem Zeichentisch bleibt aus. Die Farben auf den Buchseiten flüstern, wie die Rolle 10, die ein leises Lied singt neben Willi Sittes lautem Lied von der roten Fahne im Stadtschloss auf der Museumsinsel.

Die ersten Transparentpapierrollen, die ich zeichnete, beschäftigten sich mit den Handprints, die ich in den Jahren 2007 und 2008 in Frankfurt und Wien gelaufen bin. Dieses Material möchte ich den Studentinnen der Kunstgeschichte zeigen, die mich morgen besuchen wollen. Die Suche danach fühlte sich schon an, wie der Start zum großen Aufräumen im Atelier. Die Begegnung mit den alten Zeichnungen ist beglückend und löst den Impuls aus, mit ihnen weiter zu arbeiten.

Die wichtigsten Arbeiten, die sich mit Wanderungen und ihren Verbindungen zu den Buchmalereien und Texten beschäftigen, befinden sich derzeit allerdings in Ausstellungen. Aber vielleicht finde ich heute Nachmittag noch Sekundärmaterial dazu in den Kartons mit den Transparentpapierblättern.

Ein Sommernachtstraum

Sonnabendnachmittag, an dem die Sonne noch auf den Nachbarfassaden steht – Baugerüstschatten, geheimnisarme Wolkenlosigkeit. Spannende Schauspielarbeit gestern während der Premiere von Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ im Schauspiel Frankfurt. Während der Premierenfeier machte ich der Darstellerin vom Puck, Annie Nowak, ein ehrliches Kompliment, indem ich ihr sagte, dass ich mich in ihren Darstellungen zu Hause fühle. Isaak Dentler kommt gern, um mit Barbara zu sprechen und ich plauderte kurz mit der Kulturjournalistin Cecil Schortmann. Dazu gab es Wein am Stehtisch im großzügigen Foyer des Hauses.

Die Farbproben für die Arche habe ich gestern abgeschlossen. Vielleicht habe ich mit den Vorarbeiten etwas zu viel Zeit verbracht. Es wird Zeit, dass ich dort endlich anfange. Zuvor aber die Finissagen im Humboldt Forum und im Tibethaus. Am Dienstag bekomme ich Besuch von Kunsthistorikern von der Uni Frankfurt, am Mittwoch von Schülern der Hindemithschule…

Nach dem Abschluss der Projekte will ich mein Atelier gründlich aufräumen und die Arbeiten aus fünf Jahrzehnten sortieren. Wenn ich das mit einem Projekt verbinde, z.B. mit einer Transparentpapierrollen-Sequenz aus Figurationen der verschiedenen Zeiten, die neue Konstellationen produzieren, kann das ein Motor sein, der diesen Vorgang am Laufen hält. Auch will ich mich von Dingen trennen, die nicht aufgehoben werden sollen – ein schwerer Gang.

Scherbengericht und Dornenkronensequenz

Fünf neue Tagebücher sind angekommen. Sie haben weniger Seiten als früher und reichen etwa für ein Dreivierteljahr. Viele leere Seiten auf denen stehen wird, was passiert ist. Womöglich geht es dabei um die Erinnerungen beim Aufräumen des Ateliers. Unausgepackte Kartons, Unmengen von Schülerarbeiten, Werkzeugen und Materialien, viele Fächer vollgestapelt mit Papprollen, in denen alte Zeichnungen auf Transparentpapierstreifen schlummern, wie in einer antiken Bibliothek.

Wieder unterschätzte ich gestern die Zeit, die ich für die Federzeichnungen auf den Holzplatten benötige. Deswegen konnte ich mit den Farbproben, die ich mir vorgenommen hatte, noch nicht beginnen. Aber heute…

Diese Platten mit den Tuschelinien lagen gestern auf Formen des Väterprojektes. Dabei dachte ich, dass es dieselben Strukturen sind, die aus dem Scherbengericht der Väter und die der Dornenkronensequenz. Die sich wiederholenden Linienkonstellationen, die beim Durchzeichnen während des Zusammenrollens des Transparentpapiers auf dessen äußerer Schicht entstehen, möchte ich gerne in den Splittern der Lindenkreuzoberfläche wahrnehmbar machen.

Schlechtes Gewissen

Aus einem Pflanztopf draußen, riss ich ein dürres Kraut. Aber seine Wurzeln waren noch voll Wasser und an der Basis trieben winzige grüne Blättchen. Ich erkannte, dass es sich um Rucola handelt. Sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen und bettete die Wurzeln in feuchte, warme Erde im Atelier, goss sie noch einmal und entschuldigte mich. Gleich ging ich auch zu den Futterstellen für die wartenden Vogelschwärme in den Gesträuchen, um sie nachzufüllen.

Nachdem gestern der Lärm der Schüler abgeebbt war, zeichnete ich vier Felder der Dornenkronensequenz auf drei vorbereitete Holztafeln. Auf ihnen will ich heute mit der dritten Versuchsreihe beginnen, die strengen Tuschestrukturen mit Farbschichten zusammen zu bringen, die nun aus lockeren Bewegungen der Pinsel und Farbtöne bestehen sollen.

Langsam sehne ich mich wieder nach meiner Arbeit auf den Transparentpapierrollen. Dort finden die spannenderen Vorgänge statt mit Rückgriffen auf altes Material und Projektionen in die Zukunft auf den Zeitstreifen und Schichten des Papiers. Innerhalb dieser Arbeitsvorgänge, komme ich eher zu einem ruhigen Vorwärtsgehen.

Strom

Die Themen, die sich aus den unterschiedlichen Richtungen überlagern, führen mich in die Zusammenhänge, die nur aus dem Strom eigener Produktion entstehen können. Ich denke dabei an Rolle 12, auf der sich GPS-Gänge im Lustgarten mit Buchmalereien verbinden. Später kommt eine Gruppe von eckigen Umrissen hinzu, die von den Frottagen der Kreuzoberfläche aus der Arche in Neckargemünd stammen.

Gestern zeichnete ich 4 Transparentpapierformate für eine weitere Testreihe zur Verbindung von Tuschezeichnungen und farbigen Lasuren auf Holz. Weil ich glaube, den Arbeitsrhythmus in der Arche langsam greifen zu können, wird es Zeit dass ich vor Ort beginne. Die Vorbereitungen im Atelier haben ihre Grenzen und nähern sich dem Ende. Es geht nun darum, das richtige Material zu bestellen und die notwendigen Werkzeuge reisefertig zu machen.

Heute kommen meine Schüler wieder. Deswegen lege ich das Tagebuch beiseite und bereite den Raum für sie vor. Sie machen sehr schöne Zeichnungen mit den Transparentpapierfrottagen, die sie mit Tusche konkretisieren.

Arbeitsschritte

Durch kleine Versuche, den eingefärbten Lack spielerisch auf die Holztafeln mit den Tuschezeichnungen aufzutragen, bin ich einen entscheidenden Schritt vorwärts gekommen. Man kann mit den Lacklasuren auch nass in nass malen, Abdrucktechniken verwenden und das ganze, dann wenn es getrocknet ist, noch einmal mit einer gleichmäßigen, glatten und durchscheinenden Schicht übermalen.

Nun will ich eine letzte Serie aus vier Tafeln mit Splittern der Dornenkronensequenz anfertigen und mit einer noch freieren Malweise überarbeiten. Dann aber sollten die weiteren Möglichkeiten in Neckargemünd an Ort und Stelle ausgelotet werden.

Es gibt den Gedanken, die Felder mit dem verdichteten Dornengesträuch, auch auf die Seiten des Kreuzes und auf die anderen Objekte zu übertragen, wie fliegende Splitter, die vom Zentrum aus in die Peripherie treiben. Das koppelt sich wieder mit dem Vorgehen bei den Buchmalereien, in denen die Motive auch von einem zum anderen Format wandern, oft in abgeschwächter Form, aber als sichtbare Wiederholung. Diese Arbeitsweise spiegelt sich in der Dornenkronensequenz, durch die Schichtenwiederholungen und nun auch in der Malerei auf den Holzobjekten wieder.

Bewegung des Sonnenlichts

Am Vormittag spielt die Bewegung des Sonnelichts im Atelier eine große Rolle. Die äußeren Faktoren, die Bewegung der Erde, ihr Wetter, die Höhe der heuen nachbarschaftlichen Wohnhäuser und der Dampf der Restaurantküche gegenüber, wirken auf die Winkel, Farben und Intensitäten der Strahlen, die auf meine Bilder treffen, auf meine Reliefs, Skulpturen und Sammlungen. Und dann wandelt sich diese Energie in die Produktion der Linien, Strukturen und Farben, also in Bewegung.

Die Oberflächen der Lavasteine, Korallen, Muschelgehäuse und Holzsplitter wirken sich auf die Materialität der Abbildungen aus und beeinflussen die Vorbereitungen der Linien und Farben für die Archeobjekte. Nun ist sie also da, die Verbindung zwischen den Buchmalereien und der Gestaltung der Holzoberflächen.

Weil ich meinem Vorbereitungsplan etwas hinterherlaufe, entsteht eine gewisse Unruhe, was die Dauer auch der Umsetzung angeht. Je mehr ich aber hier probiere und zu Ergebnissen komme, umso glatter wir die Arbeit in Neckargemünd laufen. Und für heute nehme ich mir abermals vor, mit der Farbgestaltung der 4 neuen Holzplatten zu beginnen.

Unterwegs sein

Mit dem, was ich mir für gestern vorgenommen hatte, kam ich nicht sehr weit. Es liegt an der Dichte des Materials, was ich zunächst duplizieren, also auf die Holzplatten übertragen muss. Nun habe ich aber 4 neue solche Flächen mit den vielen Splittern der Dornenkronensequenzen vorliegen, die jetzt farbig überarbeitet werden können.

In Neckargemünd möchte ich gerne mein Arbeitstagebuch, also meinen Blog „Aktuelle Arbeit“, fortführen. Da ich mein gewohntes Arbeitswerkzeug nicht zur Verfügung habe, muss ich mein Vorgehen verändern. Das wird auch eine andere Qualität der Collagen hervorbringen – sicherlich roher, spontaner und aus seiner Kontinuität herausgerissen.

Von der Finissage in Berlin, wo sie mich brauchen, wie Anke sagt, fahre ich mit kurzem Zwischenstopp in Frankfurt, dann gleich weiter nach Neckargemünd. Tagebuch schreibe ich im Zug und beginne dann in der Arche ganz langsam. Gerne würde ich dort das darauf folgende Wochenende durcharbeiten, was noch besprochen werden muss.

Inflation

Mein Blick auf die Möglichkeiten der Gestaltung des Altarensembles weitet sich. Durch die Experimente treten auch weitere inhaltliche Herangehensweisen hinzu. Dieser Zusammenhang führt zu einer Inflation realistischer Szenarien. Ein Mittel dagegen ist die Reduktion der getesteten und vermischten Gestaltungsweisen, zugunsten einer verknappten Komposition.

Gestern schnitt ich vier Sperrholzformate zu, schliff sie, lackierte sie und schliff sie, um Formate der Linienverdichtung per Federzeichnung zu übertragen. 4 bis 5 zusammenhängende Splitter, die alle einzelne Nummern tragen, übertrug ich auf jeweils eine Fläche. Ich hatte mir eigentlich mehr vorgenommen, musste aber wieder feststellen, dass die Arbeitsschritte länger dauern, als ich dachte. Trotzdem gilt es nun, möglichst viele Transparentpapierbögen mit den Strukturen der Dornenkronensequenz zu zeichnen, die ich dann nach Neckargemünd mitnehmen und direkt auf die Objekte übertragen kann. Weitgehend kann ich hier schon die Stellen auswählen, wo sie sinnvoll eingefügt werden sollten.

Heute möchte ich unter anderem probieren, ob ich mit dem Abtönkonzentrat, mit dem ich den Lack eingefärbt habe, so ähnlich arbeiten kann, wie in den Buchmalereien. Dabei geht es insbesondere um die Übertragung von Oberflächenstrukturen verschiedener Materialien. Das können auch solche sein, die ich vor Ort finde…

Handprints, Gravitation, IM

Durch die Anmeldung einer kunsthistorischen Gruppe der Uni Frankfurt, die sich für meine geografische Arbeit interessiert, kam ich wieder auf die Handprints, die ich gelaufen bin. Gleichzeitig fühle ich mich verpflichtet, etwas vorzubereiten und zu erzählen, was mit den Handprints Wien oder Frankfurt zutun hat. Auch die indischen Wanderungen haben alle ihre eigenen Geschichten.

Die Struktur- und Farbproben, die ich gestern für die Arche in Neckargemünd gemacht habe, sind zwar etwas schematisch geraten, aber lehrten mich schon einiges über den spielerischen Umgang von Farblasuren im Zusammenhang mit Tuschelinien. Ihre Verdichtung, die zum Fuß des Kreuzes zunimmt, kann auch durch die Farben innerhalb der Felder übernommen werden. Dieses Aufstehen gegen die Gravitation durchzieht dann einerseits die nach unten verdichtete Linienstruktur auf der großen Fläche und findet aber auch in den einzelnen Feldern eine Wiederholung durch die zum Boden hin zunehmende Farbdichte.

In einem sehr persönlichen Telefonat mit dem Stasi-Unterlagen-Archiv, ging es um die Möglichkeiten, den Klarnamen meines IM „Lutz Lange“, im Humboldt Forum zu veröffentlichen. Damit sie eine Verbindung von mir zu Heinz Werner herstellen können, sollten sie einen Forschungsantrag beim Archiv stellen. Etwas umständlich der Vorgang. Die Dame, mit der ich sprach, sah Rolle 10 in der Ausstellung „Hin und weg“.

Reduktion

Die Malereien blieben heute sparsam. Damit tat ich mir einen Gefallen, denn ich kann mich so besser auf die einzelnen Elemente besinnen, sie als das wahrnehmen, was sie sind: Abdrücke, gerade Linien, Schleifen, Umrisse und Verwischungen. Sie korrespondieren, aber erschlagen sich nicht gegenseitig. Manchmal erzeugen solche kurzen Konzentrationen stärkere Bilder als die lang anhaltenden, die sich gern in Ratlosigkeit verlieren.

Auch bei meinem Vortrag im Tibethaus sollte ich mich auf wenigere Elemente meiner Arbeit konzentrieren, die sich deutlich voneinander abheben. Bei den Linienverdichtungen auf der Suche nach den tausend Jahre alten Malvorgängen in den Räumen des Klosters Tabo, ist es wichtig, dass es sich immer nur um Annäherungen handeln kann. Am vorläufigen Ende stehen die unspektakulären Umrisse von Leerstellen zwischen den dichten, fast schwarzen Liniengesträuchen. Das Unterwegssein ist entscheidend – klingt banal, ist aber so!

Gedacht, geschrieben – getan: ich habe Sperrholzflächen zugeschnitten, geschliffen, farblos lackiert, geschliffen, lackiert und geschliffen. Dann übertrug ich die Tuschelinien der Strukturflächen der Dornenkronensequenz mit den Nummern 136, 154, 155, 164 und 165 erst mit einem weichen Bleistift auf Transparentpapier und dann per Abdruck auf die vorbereiteten Holzflächen. Die so vorgezeichneten Linien zog ich dann mit Feder und Tusche nach. Tiefschwarz und präzise stehen sie nun auf ihrem Untergrund. Heute will ich sie mit Farblasuren überarbeiten.

Farbproben

Mit den Farbproben, die ich gestern begonnen habe, entsteht nun mehr Klarheit, wie die Arbeit vor Ort vor sich gehen kann. Als ich meine Zögerlichkeit beim Einfärben des Lacks aufgegeben hatte, entstand die Farbkraft, die ich beim Übereinanderlegen der Schichten und dem Aufbau einer reichen, durchscheinenden Dunkelheit benötige. Die Proben, die ich auf den Hölzern aus dem Farbgeschäft anfertigte, fügte ich auch in die heutigen Collagen ein.

Bei der Kombination des wasserbasierten Lacks mit den Tuschfederzeichnungen, muss ich beim Übermalen der Linien etwas vorsichtig sein, weil sie sonst angelöst werden. Das aber kann ich auch nutzen, wenn ich zu starke Tuscheverdichtungen etwas zurücksetzen will.

Bis jetzt habe ich das alles mit Feder und Pinseln gemacht. Andere Strukturaufträge probierte ich noch nicht. Und natürlich überlege ich beim Betrachten der heutigen Buchmalereien, wie ihr Duktus auf eine Holzfläche übertragbar ist. Im nächsten Arbeitsschritt möchte ich Verdichtungen der Dornenkronensequenz, in ihren abgegrenzten Feldern auf Sperrholzplatten übertragen. Sie sollen in Farbschichten eingebettet sein.

Übertragung von Zwischenräumen

Das Stück, das wir vorgestern im Kammerspiel sahen, war enttäuschend. Der Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Max Frisch wurde lediglich wie eine private Beziehungskiste behandelt. Es gab keine Ausflüge in die Werke, die ja davon beeinflusst sind. Damit hätte man sicherlich eine Spannung aufbauen können, die den Abend strukturiert und weniger langweilig gemacht hätte. Die Schauspielerin und ihr Bühnenpartner, hatten allerdings den Applaus verdient, der reichlich gespendet wurde.

Die Löcher in den Lavasteinen bilden sich ab, indem ich die Steine mit Aquarellfarbe einstreiche, meine Hankante auf die unebene Fläche presse und die Struktur mit Druck auf das Papier übertrage. Die Ränder zeichne ich teilweise mit Farbstiften nach. Aus diesen umrandeten Zwischenräumen können dann Figuren entstehen. Diese werden oft überlagert und verwischt. So entstehen Schichten meiner Denkfragmente, bilden sich die spontanen Farberscheinungen, die vor dem Malen erscheinen, ab. Oft bin ich von den Handkantenabdrücken überrascht.

Auf dem großen Zeichentisch, der von Böcken, einer Holzplatte und der darauf liegenden Reliefform gebildet wird, steht das Material, mit dem ich heute beginnen will, Farbexperimente für das Altarensemble in Neckargemünd zu machen. Schon während des Zeichnens der Dornenkronensequenz hat sich eine Spannung aufgebaut, die dem nun folgenden Arbeitsgang galt. Ob alles funktionieren kann, wie ich mir es dachte oder ob neue Arbeitsschritte hinzukommen, und wie lange das alles dauern wird, kann ich noch nicht genau einschätzen.

Genugtuung

Im Farbenhaus Gallus ließ ich mich beraten, was die beste Materialkombination wäre, mit der ich das Altarensemble bearbeiten kann. Für meine Experimente kaufte ich einen Klarlack auf Wasserbasis mit Abtönkonzentraten. Damit werde ich am Montag die zweite Vorbereitungsphase beginnen. Mit geschliffenen Holzbrettchen, die ich schon teilweise lackiert habe probiere ich die Möglichkeiten aus.

Mein kleiner Vortrag in der Ausstellung „Hin und weg“ über Rolle 10 wirkt noch nach. Mit der Genugtuung, die Geschichte an die richtigen Leute adressiert zu haben, schließe ich das Kapitel nun ab. Es bleibt nur, Anke mit der Mitarbeiterin des Stasi-Unterlagen-Archivs, die mir den Klarnamen schickte zu verbinden. Dann schauen wir, wie sie damit im Humboldt Forum umgehen werden.

Am Abend sehen wir in den Kammerspielen eine Arbeit, die sich mit dem Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch beschäftigt. Nachmittags sahen wir das Interview „Die Wunde Woyzeck“ mit Heiner Müller. Uns wurde ganz warm ums Herz… Diese gelassene Freundlichkeit, mit der er sein Verhältnis zu Büchner erläutert, scheint es in den heutigen Diskursen nicht mehr zu geben. Das macht etwas wehmütig.

Berlin

Wir sahen die „Dreigroschenoper“ im Berliner Ensemble, dort wo sie vor knapp hundert Jahren uraufgeführt wurde und erlebten eine ernsthafte Arbeit, stimmig und leidenschaftlich. Das Personal auf der Bühne ist eine eigene Liga. Wir gingen beglückt zurück in das Hotel gleich in der Nähe.

Im Humboldt Forum traf ich Anke und Dominique, die gerade mit einer Führung beginnen wollten. Es handelte sich bei der Gruppe offensichtlich um ostberliner Menschen, unter denen auch ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit waren. Spontan fragten mich die beiden, ob ich Lust hätte, ein paar Worte zu meiner Arbeit zu sagen. Das tat ich mit Vergnügen und versuchte meine Wut und ihr zitterndes Denken, in eine Energie treffsicherer Präzision umzuwandeln. Ich fühlte die ruhige Kälte eines Scharfschützen, der mit Worten auf die Köpfe zielt.

Nun bin ich wieder am Zeichentisch, fort von der Enge der Arbeitssituationen unterwegs. Schnell finde ich meine Strukturen. Die Handkantenabdrücke mit Lavasteinstrukturen fördern das Malerische der Kleinformate in meinen Büchern. Das möchte ich in irgendeiner Weise auf die Farbbehandlung der Holzoberflächen des Altarensembles übertragen. Für diese Experimente kaufte ich mir gerade die ersten Materialien.

Dann kehrt Ruhe ein

Bislang bemühte ich mich Größenverhältnisse innerhalb der Collagen im Maßstab beizubehalten. Nur manchmal, wenn es um Strukturen ging, die entfernt von den Buchmalereien entstehen und einen Kontrast im Arbeitsfluss zeigen sollen, vergrößerte ich den Ausschnitt. Nun begann ich das auch mit den Malereien zu machen. Gestern und heute setzte ich in die dritte Collage jeweils einen duplizierten Ausschnitt der Farbflecken in den Hintergrund der neuen Schicht und vergrößerte ihn stark.

Wenn ich mir die weiteren Arbeitsschritte der Farbproben für das Altarensemble konkret vorstellen kann, auf Holztafeln und kleineren Transparentpapierformaten beispielsweise, festigt sich die Zeitplanung. Dann kehrt Ruhe ein.

Gestern beschäftigte ich mich etwas mit der Organisation der nächsten Wochen. Das Ideal der Entwicklung aller Experimente ohne jeden Termindruck, verführt zu einem Einsiedlerdasein, in dem es nur noch um die Weiterführung von immer neuen Varianten der verschiedenen Bildproduktionsweisen geht. Durch den Rückzug werden Begegnungen und Gespräche seltener. Das möchte ich nun etwas auflösen.

Schwimmen

Die Schichtung der Vorhaben verlangt nach einer strengeren Struktur, die durch den Kalender vorgegeben wird. Das Schwimmen in weiten, verabredungslosen Gewässern intensiviert bei mir Arbeitsvorgänge, lässt sie aber auch in epische Breiten wachsen. Eine Zeitbegrenzung kann auch zu einer notwendigen Destillation des gesammelten Materials führen.

Im Atelier beschäftigte ich mich am Morgen wieder mit dem Umdrucktechniken, die die Strukturen der Lavasteine in verschiedenfarbige Schichten in die Buchmalereien transportiert. Das Potential der Entwicklung von Farbklängen eröffnet weitere Möglichkeiten für die Arbeit in der Arche in Neckargemünd. Die farbigen Schichten, die sich mit den Verdichtungslinien aus Tusche verbinden sollen, werden in den einzelnen Feldern zwischen den Kerbschnitten entwickelt. Ihre Größe entspricht durchaus der, der Handballenabdrücke.

Jetzt ist es an der Zeit, die Termine zu machen, an denen ich vor Ort arbeiten werde. Die Materialien für die Linienübertragung auf die Holzflächen sind klar. Als nächstes geht es um die Beschaffenheit der Farben.

Ins Freie

Am Morgen fotografierte ich die Transparentpapierarbeiten meiner Schüler von gestern mit den Väterprojekt – Formen und den aufgeschlagenen Kunstbänden über Anselm Kiefer und Pablo Picasso. Trotz der Materialbegrenzung auf Tusche, Graphit und Transparentpapier, strahlen die Arbeiten Frische aus und helfen mir etwas ins Freie.

In den Buchmalereien war heute das Spiel zwischen den Oberflächen der Lavasteine und den Farben, mit denen ich sie abbildete, das wichtige Thema. Die lasierende Farbigkeit von Holzoberflächen, mit dieser Umdrucktechnik zu bereichern, kann als eine Möglichkeit bei der Behandlung der Altarobjekte hinzugezogen werden. Ich ziehe die Möglichkeit, diese Technik auf einzelnen Holztafeln in Verbindung mit den Tuschestrukturen auszuprobieren, in Betracht.

Eine kalte Sonne tritt hinter den Wolken hervor. Fast blaues Licht wird von den Spiegeln durch den Raum geschickt. Nur langsam löse ich mich von dem wochenlangen Zeichnen der Verdichtungen. Beim Zurückblättern im Tagebuch stellte ich fest, dass ich mit der Dornenkronensequenz am 6.12. begonnen habe. Vorgestern beendete ich sie. Die drei Transparentpapierstreifen hängen jetzt neben den drei Frottagen der Kerbschnitte des Kreuzes im Atelier.

Ende der Verdichtung

Mit der dritten Sequenz der Verdichtung der Kerbschnittlinien des Kreuzes, schloss ich gestern Abend diesen aufwendigen Arbeitsschritt für die Arche in Neckargemünd ab. Am Morgen räumte ich das Atelier auf und bereitete es für die Arbeit mit den Kindern vor. Die kamen auch pünktlich, lärmten zwei Stunden und entwickelten Bilder aus Frottagen, die sie von den Formen meines Väterprojektes machten. Weil die Arbeiten an die kubistischen Portraits von Picasso und die Materialcollagen von Anselm Kiefer erinnerten, zeigte ich ihnen Abbildungen davon. Erstaunlich schöne Ergebnisse.

Den Vortrag, den ich Im Tibethaus über Rolle 11 halten soll, könnte ich am Sonntag in Zug nach Berlin strukturieren. Blöd ist nur, dass ich den Streifen nicht zur Hand habe. Ich muss mich mit den Scans behelfen. Die Vernetzung der Projekte wird da eine bestimmende Rolle spielen. Das muss aber mit Bildern aus den verschiedenen Bereichen unterlegt werden.

Die morgendliche Frische, in der ich sonst Tagebuch schreibe, haben spätestens die Kinder auf ihren Heimweg mitgenommen. Aber die Buchmalereien, die ich am Nachmittag machte, sind an wenigen Stellen von ihnen beeinflusst. Ich freue mich auf etwas Beschaulichkeit morgen in meinem Atelier.

Flügelschlag

Die Verdichtung der Kerbschnittlinien vom rechten Querbalkenstück des Kreuzes, hat mehr Arbeit gemacht, als ich dachte. Die Dunkelheit intensiviert sich an dieser Stelle nach oben und nicht zum Boden hin, wie im Mittelteil. Diese Gegenbewegung lässt den Flügelschlag sichtbar werden. Diese Sequenzen mit der Berlinwanderung und den Tabolinien zu verbinden, werde ich für Neckargemünd beiseite stellen. Für die Altarobjekte wird das zu viel.

In den heutigen Buchmalereien trauten sich die Figuren wieder aus der Deckung. Es hilft nicht, sich vor den alten heraneilenden Gespenstern zu verstecken, und so tauchen kleine Kobolde eine Mantelmadonna und ein Ganescha auf. Boxen öffnen sich und lassen ein Materialgemisch frei, das sich auf verschiedene Weisen zusammensetzt.

Wenn ich heute die zweite Querbalkensequenz fertig habe, werde ich das Atelier aufräumen. Es beginnt dann die nächste Arbeitsphase, die mit den Verbindungen zwischen den Linienstrukturen und den darunter liegenden Farblasuren zutun haben wird. Außerdem kommen die Schüler aus ihren Ferien zurück!

Gummi

Kälte fällt aus einem klarblauen Himmel. Vor der Sonne, die bald über die Wohnblockbauten steigt und mein Atelier fluten wird, stehen nur Kondensstreifen. Endlich werden die Hibiskusblüten auf den Regalen und Gesimsen aufgehen. Das Material auf dem Zeichentisch bietet sich für neue Experimentalaufbauten an. Der Rhythmus der Morgenmalerei erlaubte keine Figuren. Er ist vom unfassbaren Politgebrüll angehalten, sie zu schützen, zu verbergen. Ich bin froh über meine Zeit in Freiheit, nach meiner Übersiedlung 1984.

Sogar gestern, am Sonntag, zeichnete ich weiter. Ich füllte die Splitter der Schlossseitensequenz des Kreuzes mit den Tuschelinien der Gesträuchschichten. Heute werde ich ganz unten ankommen. Dann verdichte ich noch die zwei Seiten des Querbalkens – und fertig erst mal!

In der Schirn Kunsthalle sahen wir die Ausstellung der italienischen Künstlerin Carol Rama. Trotz der Brüche in ihrem Werk, bleibt die unbedingte Ernsthaftigkeit der Arbeit immer anwesend. Mich erinnert das an ein selbstverständliches proletarisches Arbeitsethos, das ich während meiner Schichtarbeit im VEB Gummikombinat Thüringen, kennen gelernt habe. Auch die Fahrradschläuche, mit denen sie unterschiedliche Installationen schuf, gingen mir nahe. Ich kenne den Geruch der Herstellung von Gummi, die Industrieprägungen des Materials. Die meisten meiner männlichen Schulkameraden, die als Arbeiter in dieser Industrie blieben, sind tot.

Beschleunigung

Mit dem Musikhören und Malen beschleunigte sich die Arbeit. Ich konnte gar nicht aufhören zu den Steinen zu greifen, sie einzufärben und über den Umweg meiner Handkante, Abdrücke der Strukturen in die Formate zu setzen. Dann bremste ich ab, um zu schreiben.

Bei diesem Zusammenspiel denke ich an die Arbeit mit Susanne, der Musikerin. Wir haben uns auf Februar vertagt. Dann soll es um den Klang der schwingenden FES-Lamellen gehen und um den Zusammenhang zwischen Zeichnungsstreifen und Musik.

Ich denke dass ich am Montag mit dem Zeichnen der Schlossseitensequenz fertig werde. Im Querbalkenbereich, wo sich die Arme befinden, will ich noch eine Verdichtung rechts und links an den Außenseiten einfügen. Das geschieht, in dem ich die Rollen rückwärts aufrolle und das wenige Linienmaterial noch einmal durchzeichne.

Flacher Raum

Die geschichteten Materialien bilden in den Malereien einen flachen Raum verschiedener Zeithorizonte. Die Gewinnung der Pigmente trifft auf einen Vulkanausbruch währen der Entstehung von Fuerte Ventura. Die Oberflächenlinien meiner Handkante, die sich in den letzten sieben Jahren umgeformt haben, gehen eine Verbindung mit meinen Haar-Linien ein, deren Wachstum 2022 bis 2024 stattfand. All das presst sich zunächst auf die Millimeterbruchteile der Malereioberfläche. Aber die reflektierten Lichtwellen treten in den Raum und über meinen Sehnerv zurück zu den Synapsen, die neue Räume erschaffen.

Bis in den späten Abend verdichtete ich die Tuschelinien aus den Kerbschnitten der linken Seite des Altarkreuzes. Es ist als würde die Luft schwirren, sich nach unten hin zusammenpressen und die Atmosphären der Hinrichtungen durch die Zeiten hindurch aufnehmen. Die aufgebrauchte Angst weicht in die Materialisierung aus. Der Schmerz manifestiert sich im dichten Gesträuch.

Probeweise legte ich diese schweren Linien unter die Transparentpapierrolle 12. Es ergibt sich eine Reaktion mit den weicheren Umrissen der Buchmalereien, den Echos der Wanderung im Lustgarten und der Tabosequenz. Bei der Arbeit am Altarensemble unterstützen mich all diese Verbindungen. Das wird sich auch mit den Buchmalereien hin zur Beschäftigung mit dem Farbprogramm fortsetzen.

Gespräch mit Malereien

Es ist ein Gespräch, das ich mit den Malereien führe. Überraschungen entpuppen sich manchmal als störend und müssen repariert werden. Und aus dieser Korrektur entwickeln sich oft die tragenden Elemente der Komposition. Dann sage ich: „Ja gut – Ende!“. Mit den gezeichneten Umrissen der Buchmalereien will ich bald wieder auf Rolle 12 arbeiten, um sie mit den Dingen, die parallel im Atelier entstehen, zu verbinden. Das geschieht zwar schon innerhalb der Collagen, aber der Vorgang und die Ergebnisse sind anders, nicht so präzise.

Die Neckarsequenz des Kreuzes zeichnete ich gestern in 4 konzentrierten Stunden am Nachmittag fertig. Eigentlich hätte ich erst für morgen erwartet, mit den Linienverdichtungen am Boden anzukommen. So kann ich heute mit der Schlossseite beginnen. Erst zeichne ich die 2,6 Meter hohe Frottage mit Feder und Tusche auf einen Transparentpapierstreifen durch. Dann beginne ich die Zeichnung von oben zusammen zu rollen, um auf der gerundeten Rückseite alles durchzuzeichnen, was durch die Schichten durchscheint. Später kümmere ich mich dann um die lasierende, lichtbeständige Farbigkeit für die Objekte.

Am gestrigen Arbeitsende kamen mir Figurationen vor die Augen, die sich in den Liniengeflechten verbergen. Und ich frage mich, wie sinnvoll es sein kann, solche als kontrastierende Elemente an einigen Stellen einzufügen. Das würde eine weitere inhaltliche Schicht beleuchten und zu visuellen Entdeckungsreisen auffordern. Aber da bin ich schon wieder auf der didaktischen Spur, die ich nach dem Kraftfeld, das sehr stark darauf setzte, verlassen wollte. Eine Frage der Dosierung vielleicht.

Dichte

Ein Besuch von Franz zum Feierabend. Er spricht öfter von der Erkenntnis, dass er kein Maler sei, sondern eher Zeichner. Solche Zweifel gibt es auch bei mir, aber ich lasse gewähren, was womit entsteht, bin nicht so rigoros, wie mein Freund. So eine Begegnung hier im Atelier, macht mir klar, welche Ungestörtheit mich hier Tag für Tag umgibt. Das Verharren der Stille erzeugt eine zähe Kontinuität. Das Material wird lange gekocht, destilliert und wieder erhitzt, getrocknet, gepresst und in kleinen Mengen gesammelt.

Mit der Verdichtung der Neckarsequenz des Lindenkreuzes bin ich auf dem Transparentpapierstreifen bis auf einen Meter über der Standfläche hinab gekommen. Weil die Linienschichten nach unten hin zunehmen, nimmt die Geschwindigkeit, mit der ich vorankomme ab und die Dichte des Gesträuchs zu. Mit der gefühlten Verpflichtung, an den Sequenzen dran zu bleiben, fällt es mir schwer, den stetigen Fluss zu unterbrechen. Aber es gibt auch noch Rolle 12, deren Wachstum unterbrochen ist…

Bei den Buchmalereien lange ich gerade ziemlich tief in die Farbtöpfe. Auch wenn mich das skeptisch stimmt, lasse ich es zu. Nur ab und zu, wenn sich das Gelb zu sehr in den Vordergrund drängt, überlagere ich es mit einer Graulasur.

Mein IM Heinz Werner

Die Verdichtung der Kerbschnittlinien vom Lindenkreuz dauert seine Zeit. Und nur wenige der etwa 500 Felder, die mit dem Linienmaterial angefüllt sind, werden direkt auf der Holzfläche sichtbar sein. Inwiefern sich die Tabosequenz in diese Arbeitschritte einfügt, ist noch nicht klar. Deutlich ist aber, dass alles, was ich derzeit an Bildstrukturen mache, miteinander zutun hat. Dieser Prozess wird zu sehen sein.

Vor ein paar Tagen bekam ich die Klarnamenentschlüsselung meines IM „Lutz Lange“ von der Stasi-Unterlagen-Behörde geschickt. Meine Erinnerung, dass es sich dabei um Heinz Werner, meinem damaligen Mentor handelt, wurde bestätigt. Den Scan des Schreibens schicke ich nun an das Humboldt Forum. Damit wird die Arbeit an Rolle 10 vervollständigt, die immer noch neben dem „Lied von der Roten Fahne“ von Willi Sitte ausgestellt ist.

Die Präsentation von Rolle 11 im Tibethaus wird nun durch einen Vortrag ergänzt, den ich halten werde. Hier Im Atelier komme ich nicht dazu, eine Gliederung mit Bilddatei dafür herzustellen. Das mache ich an den Abenden zu Hause. Ein Termin für die Aktion muss auch noch gefunden werden.

Neckarseitensequenz

Mit den Farbfiguren, die von den Schnittflächen der Lavasteine auf meine Handkante und dann auf dem Papier landen, hatte ich in den letzten Tagen mehr Glück. Ich kann sie in Grenzen vervielfältigen und lasierend übereinander schichten. Wie ich diese Technik auf die Bearbeitung der Holzoberflächen der Altarobjekte übertragen kann, will ich probieren. Dabei spielen dann nicht die erstarrten Lavablasen, sondern die Kerbschnitte, die ich als junger Mann gemacht habe, die entscheidende, strukturierende Rolle.

Am Nachmittag möchte ich an der Verdichtung der Neckarseitensequenz weiter arbeiten, mich in die alten Linien versenken. In einer Ikonenausstellung im Museum für Angewandte Kunst, sah ich mir insbesondere die Behandlung schwarzer Beistriche an Gewandfalten und Figurenumschreibungen an. Meine Tuschelinien sind sehr fein. Ich hoffe, dass sie sich mit dem Farbuntergrund auf dem Lindenholz zu geschlossenen Klängen zusammenziehen. Auch damit lässt sich vorher gut experimentieren.

Die Präsentation von Rolle 11 im Tibethaus möchte ich in einen größeren Zusammenhang einbetten. Es sollen auch die Buchmalereien, die Collagen und deren Echos auf Transparentpapier deutlich werden. Das ist mittlerweile ein Zusammenhang, der sich über mindestens ein Jahrzehnt etabliert hat.

437

Gestern zeichnete ich die „Neckarseite“, also den rechten Teil des Kreuz-Triptychons auf eine neue Transparentpapierbahn. Von oben her begann ich schon mit dem Zusammenrollen und Verdichten des Linienmaterials, das die Kerbschnitte im Holz wiedergibt. Das wird nicht mehr so viel Arbeit werden, wie ich mit dem Mittelstück hatte. Die Nummerierung dieser Felder ergab die Zahl 437, also mehr als ich schätzte.

In den heutigen Buchmalereien wollte ich die glatten Sägeschnitte der Lavasteine mit Farbfiguren versehen, die ich über den Umweg meiner Handkante auf das Papier zu bringen gedachte. Es bildeten sich aber keine klaren Formen, wie ich vorhatte ab. Zu viele Schichten, wie die Hohlräume der Lava, die Farbfigur, die Handlinien und die Dynamik des Wassers, verhinderten das. Architekturumrisse stabilisierten die auseinander fließenden Kompositionen.

In der kommenden Woche werde ich mich mit der weiteren Verdichtung der Neckarseitensequenz, mit dem Zusammenspiel von diesen Strukturen mit den Berliner Wanderungslinientexten, der Tabosequenz und den Buchmalereiumrissen beschäftigen.

Motivwanderungen

Die Motivwanderungen innerhalb der Transparentpapierrollen, Buchmalereien, in den alten Holzschnitten und nun auch aktuell in der Dornenkronensequenz, weiteten sich immer auch über die Grenzen der Projekte hinweg aus. Vor allem die parallel laufenden Arbeitsreihen durchwirken sich deswegen. Das lässt sich nicht auf einen Vorsatz zurückführen, sondern eher auf die Unfähigkeit, an verschiedenen Vorhaben unabhängig voneinander zu arbeiten. Sogar meine Schüler sind angehalten, sich an die Materialien zu halten, die für mich gerade wichtig sind.

So geht es mir nun auch mit dem Vortrag, den ich im Tibethaus halten soll, der Beschäftigung mit den Altarobjekten, den Buchmalereien und der Fortführung von Rolle 12. Schon auf Rolle 11 gab es Verbindungen zwischen der Tabosequenz und den Textwanderungen in Berlin. Und somit kann ich bei der Präsentation in der Umgebung von Peter van Hams hoch auflösenden Tabo – Fotografien von meiner gegenwärtigen Arbeit ausgehen.

Heute startete ich zeitig in die Atelierarbeit. In den Buchmalereien ging ich wieder von Linien aus, die sich von gestern durch die Buchseiten gedrückt hatten. Die schraffierte ich stark mit mehreren Farbschichten, um dann noch weitere Holznadelgravuren hinein zu prägen. Dann folgte ein Handkantenabdruck mit Lavastrukturen…

Kontrastieren

Zwischen den Neubauten südwestlich vom Atelier, schien die Sonne in meinen kleinen, wilden Garten. Ich flocht aus ein paar Weidentrieben Ringe, fütterte die Vögel und goss die Pflanzen im Atelier. Weil ich unterwegs ebenfalls Buchmalereien mache und mein handschriftliches Tagebuch führe, fällt es nicht schwer, ins Atelier zurück zu kommen, mich an den Tisch zu setzten und weiter zu machen. Das gleiche Material hier und woanders auf dem Tisch.

Die Ergebnisse der Handabdrücke lasse ich in letzter Zeit öfter unüberarbeitet stehen. Die Muster der Lavasteine drucke ich mit Aquarellfarbe auf meine Handkante und drücke diese dann auf das Papier. So verbinden sich die Formen der erstarrten Lava mit meinen Handlinien. Die Strukturen gehen, wie selbstverständlich ineinander über. Nur, wenn das schwach und spannungslos erscheint, kommt es zu Umrissen oder harten Geraden, die das Geschehen kontrastieren.

Oft lese ich Gegenstände oder Figuren in die entstandenen Formen hinein. Und wenn das Geschehen zu banal wird, wehre ich mich mit Übermalungen. Aber es macht Spaß, die drei täglichen Formate als 3 zusammenhängende Szenen zu sehen, in denen dieselben Figuren auftauchen.

Übertragung der Struktur

Heute machte ich die Collagen bevor ich den handschriftlichen Tagebuchtext schrieb. Dadurch könnte ich diesen Vorgang reflektierend schreiben, lasse es aber, weil das digitale Collagieren und das schreibende Denken zu unterschiedliche Geschwindigkeiten haben.

Die Experimente mit dem Umdruckverfahren der Dornenkronensequenz auf Holz, liefen gestern ganz anders als gedacht. Die Übertragung der Struktur gelingt nicht überzeugend durch das Anlösen der Linien mit Schellack oder Spiritus. Die Ergebnisse sind zu weich und zu weit entfernt von dem Überlagerungsgesträuch.

Deswegen zeichnete ich die Linien mit einem sehr weichen Stift auf Transparentpapier durch und übertrug sie dann mit einem harten Stift durchpausend auf die Fläche. Diese feinen Striche kann ich dann mit Feder und Tusche konkretisieren, wo es passt und an anderen Stellen auslaufen lassen. Das sind zwei Arbeitsgänge mehr. Aber das Ergebnis überzeugt mich mehr.

Energieaustausch

Im Atelier ist es von der Sonne im kalten Morgendunst hell. Ich sehe meine Steine, Zeichnungen, Pflanzen und Objekte, höre meine Renaissancemusik und füttere die Meisen, Spatzen und das Rotkehlchen. Ich lasse mich von den ersten Strichen im Tagebuch in die Buchmalereien tragen, beobachte die Bewegungen der Stifte, Pinselspitzen, Farben und der rechten Hand. Komposition und Improvisation, Energieaustausch und deren Umwandlung in Bewegung und Farbtemperatur.

Am Nachmittag werde ich Zeit haben, die ersten notwendigen Experimente für den Tuschelinienumdruck zu machen. Das heißt, dass ich probieren will, wie genau sich die gezeichneten Tuschestrukturen abbilden, wenn ich sie mit Schellack oder Spiritus anlöse, auf eine andere Fläche lege, andrücke und vorsichtig wieder abziehe. In den Synaptischen Kartierungen habe ich das öfter gemacht, aber nicht mit dem Ziel einer möglichst vollständigen Abbildung.

Es können sich aber aus der Dornenkronensequenz auch Strukturen ergeben, die vom vorgegebenen Liniengeflecht abweichen, dennoch aber geeignet sind, um die Oberflächen der Objekte kontrastreicher zu gestalten und sie um eine weitere Deutungsschicht zu erweitern.

In den Splittern

In der Dornenkronensequenz kam ich bis an die letzten zwei Splitterreihen, am unteren Ende des Kreuzes, heran. Ein langer Tag mit der Tuschefeder. Den mittleren Streifen der Linienverdichtungen wollte ich noch in diesem Jahr fertig bekommen. Das schaffe ich nun auch. Die beiden anderen Streifen der Seitenflächen, kommen dann im Januar dran. Auch mit den Seitenflächen in der Tiefe des Objektes sollen Verdichtungssequenzen entstehen.

Vielleicht kann ich heute schon einige Felder auf Einzelblätter herauszeichnen und schauen, wie ich mit ihnen weiter verfahren kann. Es ist mein Ziel, dass jede einzelne Fläche diesen Gesamtprozess in sich trägt und auch ausstrahlt. Dann ist zu entscheiden, ob sich noch ein Arbeitsgang anschließen kann, der dem Scherbengericht folgt, das Teil des Väterprojektes war.

Die Buchmalereien beziehen einen Teil ihrer Spannung aus dem Auseinanderdriften und den Zusammenballungen der Elemente. Die Diagonalen weisen nach außen, sprengen den Zusammenhalt, der durch die Strukturen der Lava – Abdrücke, der Haare und Handballenlinien entsteht. Die Wiederholungen der Umrisse in verschiedenen Konstellationen entsprechen auch eher einer ordnenden Gravitation.

Verknüpfungen

Die Zeitökonomie geböte es, dass ich die Tagebucharbeit enger mit der Überarbeitung der Altarobjekte in Neckargemünd verknüpfe. Von der Behauptung der Farbstrukturen der Buchmalereien als Vorbereitung für die Arbeit auf den Holzflächen, bis zur Übertragung der Technik in der Praxis, ist es noch ein Stück Weg.

Heute vermischten sich die Hautfalten meines Handballens mit den Blasenstrukturen der Lavasteine. In der Arche ginge es nicht um eine Kopie dieser Techniken, sondern um eine Übersetzung. Der Blick soll den Schichtungen der verschiedenen Elemente in eine Tiefe folgen können. Das ist nicht flächendeckend gemeint, sondern nur für bestimmte Punkte des Ensembles.

Szenen in meinen Büchern verbinden sich zu Geschichten. Die Wiederholung von bestimmten Kerbschnittfragmenten an unterschiedlichen Stellen der Objekte, kann das Szenische der Malereien aufnehmen. Was erzählt uns die Wiederholung des Dornenkronenmusters auf der Vorderseite des Altartisches? Und das Licht, in das der aufsteigende Gekreuzigte strebt, sollte als weiteres wichtiges Element mehrfach auftauchen. Das Licht hat in der Vergangenheit die Farben ausgeblichen. Mit fachlicher Unterstützung will ich das für die kommende Zeit ausschließen.

Zerstückelt und neu

Ein paar Stunden verdichtete ich mit dem Überlagern der Tuschelinienschichten der Dornenkronensequenz. In den Collagen verbinde ich Splitter dieser Gesträuche mit den Farben der Buchmalereien. In diesen kleinen Formaten taste ich mich langsam an die Möglichkeiten heran, die Altarobjekte zu überarbeiten.

Die Frage nach dem Sinn der Erfindungen von Gechichtenfragmenten für die Buchmalereien, stellt sich nicht mehr, denn sie funktionieren vor allem für mich. Mir helfen sie, am nächsten Tag besser anknüpfen zu können. Gerade denke ich an Klostermalereien im Himalaja, die schwebend einzelne Organe zeigen. Die linke Figur der ersten Malerei, die auch in der Collage gut zu erkennen ist, erinnert mich daran.

Rotierende Zerstückelungswellen, die wie die Maischmühlen bei der Weinproduktion funktionieren, arbeiten die Figuren in 1 um, damit die sich in 2 wieder neu zusammensetzen können. Dort ordnen sie sich zu fröhlichen Farbkonglomeraten, die in ihrem Entstehen noch ohne Handlung sind. Dann aber in 3, kommen die Probebühnenkulissen dazu, die eine Handlung fordern. Verzweifelt wurschteln die neuen Figuren zwischen den Wänden herum, ohne ihren Text gelernt zu haben. Sie rufen ins Leere nach der Souffleuse.

Verstrickungen

In den heutigen gemalten Szenen bilden sich Verstrickungen ab. Zwischen den kommunizierenden Körpern übertragen sich Zustände. Euphorie und zurückgezogene Gleichgültigkeit neutralisieren sich. Türkisfarbene Pflanzen treiben aus Altrosasümpfen. Aus den Lavastrukturen, die heute wieder die Ausgangssituation bildeten, dehnt sich schnell Farbleben aus. Seine Vielfältigkeit würde ich gerne auf die Flächen der Altarobjekte übertragen.

Gestern zeichnete ich an der Dornenkronensequenz weiter. Die Verdichtung nach unten hin, ich bin bereits bei den Füßen des Gekreuzigten angelangt, muss nun anziehen. Die Dunkelheit muss zunehmen. Das bekomme ich aber hin. Vor Weihnachten ist noch genügend Zeit, um den mittleren Streifen fertig zu zeichnen.

In alten Fotos fand ich Entwürfe für das Kreuz. Varianten in Gips und Styropor. Letztere in Maßstab 1:1. Da ist deutlich diese naive Farbigkeit zu sehen, die nun glücklicherweise verblichen ist. Ein weiteres Kreuzigungsobjekt ist eine lebensgroße Christusfigur, die ich modelliert, abgeformt und in einem sehr stabilen Material abgegossen habe. Im Stück „Bauernsterben“ von Kroetz wurde heftig damit gespielt. Und dann gibt es noch ein Foto von mir, als Gekreuzigter liegend auf einem Prospekt nach Philip Otto Runge.

Insektenkönigin

Mit den Schülern spielte ich gestern Figurenfinden. Das motiviert sie sehr und die Gegenstände, in denen sie danach suchen, können ganz verschieden sein. Es waren Holzspäne, Liniengeflechte und abgeformte Reliefs. Sie fanden Frauenköpfe mit Feuerfrisuren, Fische, Buchstaben, Gürteltiere und abstrakte Muster. Sehr schöne Ergebnisse gab es bei der Bemalung der Holzspäne, die vom Aushöhlen des Baumstammes stammen. Draußen flochten sie die langen Triebe der Weide, die nun ganz ohne Blätter gut zu Ringen gebogen werden können. Es entsteht ein großer Lockenkopf im Gärtchen vor dem Atelier.

Alleine mit meinen Farben und Strukturen, bin ich froh, dem Vorweihnachtstrubel zu entkommen. Die Buchmalereien kann ich auseinander fliegen lassen, sie wieder miteinander verknüpfen und mit allen dreien zusammen eine Handlung erfinden. Die böse Maschine, die die Figuren in der 1. Malerei bedroht, wird in der 2. von einer freundlichen Insektenkönigin verscheucht. Sie gebiert ständig neue kleine Wesen, die in die 3. Malerei schweben. Dort treffen sie auf Pflanzen und fremde Atmosphären, in denen sich Gegenstände manifestieren und wieder in farbigen Wolken verfliegen.

Solche Farbigkeiten wünschte ich mir für die Oberflächenfelder des Altarensembles. Sie könnten der Untergrund für den Tuschestrukturdruck auf einigen der Flächen sein, die von den Kerbschnitten begrenzt sind.

Tiefe der Schichten

Im Frankfurt Lab sahen wir die Lecture Performance einer jungen Frau, deren Thema eine Regiehospitanz bei Oliver Reese im Berliner Ensemble war. Die patriarchalen Verhältnisse an deutschen Theatern, wie sie beklagt worden sind, sind bekannt und haben sich in den vierzig Jahren, in denen wir mit dieser Welt zutun haben, kaum geändert. Die Protagonistin nannte wütend die Namen, sagte aber eigentlich nichts, was allenthalben bekannt ist. Das eigentlich bemerkenswerte ist der Stillstand hinter der leuchtenden Dekoration.

Mit einer differenzierten Strichstärke modelliere ich im Gesträuch der Dornenkranzsequenz einen Raum. Die hell ausgesparten Kerbschnitte von der Holzoberfläche, werden in den fortlaufenden Runden des Zusammenrollens und Durchzeichnens, auch mit den schwach durchscheinenden Linien dünn durchkreuzt. Weil die kräftigen Striche in den Vordergrund rücken, entsteht die Tiefe der hintereinander gestaffelten Schichten. In einem weiteren Schritt werden in diesem Geflecht Figuren gefunden, die sich zunehmend dort verstecken. Das wäre eine Aufgabe für die Schüler, die nachher ins Atelier kommen.

Für die Buchmalereien benutzte ich heute, neben den Aquarellstiften, dem Farbkasten mit Pinseln und der Holzhaarnadel, einen glatt durchgeschnittenen Lavastein. Mit seinen Konturen stempelte ich Farbflecken, wodurch schwebende Körper entstanden. Gegen diese allzu bunte Rundheit setzte ich Geraden, die in verschiedenen Winkeln zueinander stehen und sich kreuzen.

Zeitstillstand

Gestern schaffte ich es, die Dornenkronensequenz in 5 Stunden auf etwa 20 Zentimeter Länge zu verdichten. Je weiter ich den Streifen weiterzeichne, desto konzentrierter wird die Struktur der Tuschelinien und umso langsamer komme ich voran. Es ist, als würde die Zeit auf einen Stillstand zulaufen, an dem sich die Ausdehnung des Universums umkehrt. Wenn sich der Zeitpfeil dann gedreht hat, läuft alles auf eine Singularität zu. Bei meiner Transparentpapierrolle ist das mit der absoluten Schwärze gleich zu setzten.

Mit der zunehmenden Dunkelheit zeichnen sich die Felder zwischen den Kerbschnitten im Dickicht deutlicher ab. Diese Splitter kann ich einzeln mit kräftigen Tuschelinien auf Transparentpapier herauszeichnen, um sie dann im Umdruckverfahren lasierend auf der entsprechenden Holzfläche zu platzieren. Das betrifft nur die Stellen, an denen ein größerer Kontrast benötigt wird. Das soll beispielsweise helfen, die Christusfigur etwas deutlicher hervorzuheben.

Ich merke, dass alles länger dauert, als ich dachte. Jetzt kann ich aber noch nicht einschätzen, ob ich letztlich mehr Zeit benötigen werde. Den Punkt der aufzufrischenden Farbigkeit habe ich auch noch nicht geklärt. Ich schwanke zwischen den Strukturen meiner Buchmalereien und denen der Glasfenster der Arche.

Geschichten

Eine kleine Ausstellung buddhistischer Skulpturen ist im Museum für Angewandte Kunst eingerichtet worden. Wir sahen sie gestern. Kleine einordnende Beschreibungen klärten über Entstehungszeit und Herkunft auf. Sie arbeiten offensichtlich häufiger mit dem Tibethaus zusammen. Einige Exponate stammten von dort.

Vorgestern sahen wir die Premiere eines Stückes über die Verstrickung von Rechtsradikalismus und Verfassungsschutz in den Kammerspielen des Schauspiels Frankfurt. Kaum Erkenntnisgewinn, dafür viel Wutgeheul und viel journalistisch oft aufbereitetes Material. All das zugeschnitten auf ein jüngeres Publikum, ging diese Revue an uns vorbei. Ziemlich grell und unerträglich.

Ich frage mich, ob nicht die Erfindung von Geschichten, die in den Buchmalereien vor sich gehen, diese Bilder schmälert. Sicherlich lassen sie sich ohne diese Texte weiter und reicher interpretieren. Eigene Geschichten sind dann leichter zu finden und erleichtern vielleicht sogar den Zugang und die Verbundenheit mit den Motiven. In den Collagen verbinden sie sich ja sowieso gestapelt mit den vorigen Arbeiten.

Energieumwandlungen

In den Buchmalereien habe ich gerade das Spiel von gestern fortgesetzt. Es gesellten sich weitere Figuren hinzu, bzw. verwandelten sich wegen der sich verändernden Atmosphäre. Es finden verschiedene Energieumwandlungen statt, die aus einer gewissen Ordnung in eine Unordnung wechseln. Magnetfelder um eine amorphe Masse wandeln sich in einem Inkubator in Wärme um, die ihre Strahlen konzentriert und in einen Nebel schickt. Das ist die zweite Szene von heute.

In der ersten spielen Stäbe die ordnende Rolle. Sie teilen, stützen und tragen. Man kann sich an ihnen verbrennen und bei intensivem Kontakt verdampfen. Es ist zu sehen, wie das vor sich geht. Da hält man sich doch lieber abseits in gemäßigter Atmosphäre, als Einzelgänger nicht dazugehörend.

In 3 herrscht Chaos, das durch einen Wind geordnet wird. Kalt schießen die Teilchen durcheinander und werden von einer schwachen Energie zusammengehalten. Der Wind aber weht nach rechts in die Zukunft, wo es wärmer wird. Aus dieser Wetterlage tritt eine Figur heraus, die die Wärme personifiziert und den Zeitpfeil in sich trägt.