Glockenguss

Seit dem Jahr 1590 ist die Werkstatt, in der wir gestern einem Glockenguss beiwohnten, im Besitz der Familie Rincker. In einem Arbeitsgang wurden 3 Glocken gleichzeitig aus einer Charge Bronze gegossen. Um die Todesstunde Christi finden freitags seit 500 Jahren dieselben Arbeitsgänge in einer festgelegten Choreografie statt. Eine halbe Stunde vor dem Guss wurden die Zinnbarren von den Männern in einer fließenden Kreisformation mit den Händen in den Schmelzkessel geworfen, der mit einer ungeheuer lauten Flamme beheizt wurde. Es herrschte heiliger, unaufgeregter und routinierter Ernst.

Dann wurde das dünnflüssige Metall in die Kanäle, die zu den drei Formen führten, gegossen und einen Moment aufgestaut. Erst als die Schlacke obenauf schwamm, wurde eine um die andere Barriere entfernt, um eine Form nach der anderen aufzufüllen. Die Entlüftungskanäle spieen grün brennendes, fauchendes Gas. In der staubigen Werkstatt verlor die große Hitze ihren Maßstab.

Der Besitzer, der gleichzeitig die Arbeitsgänge taktete, erzählte emotional, was gerade passierte, welche Zeichen die guten Zeichen sind, das der Guss gelungen ist. Eine Woche lang müssen die Glocken nun abkühlen und werden dann langsam ausgegraben. Danach werden sie aufeinander abgestimmt. Eine schon fertige hing am Kran und wurde erstmalig angeschlagen. Später brachte ich sie mit meinem Knöchel zu leisem singen, ein ziemlich innerlicher Vorgang. Zwei Tropfen des Metalls, die daneben gespritzt waren, schenkte uns Herr Rincker zum Andenken – ein Herz und einen Pottwal.