Orangefarbener Nachmittag

Erst jetzt, am späten Nachmittag eines sehr sonnigen Tages, probiere ich im Atelier den Satz:

Ich erinnere mich…

an einen Weg durch irgendeinen Dschungel, kann in Thailand gewesen sein, irgendwo brüllten Affen lautstark, wie ihr Name es vermuten ließ.

In die bewegte Erinnerung schiebt sich ein starres Foto von mir zwischen den Lamellen eines Baumstammes, die sich an dessen Fuß in sternförmigen Querschnittformen ausbreiteten, wie die Tentakelansätze eines Tiefseetieres.

Der hohe Atelierraum ist gedankenleer. Orangefarbene Sonnenuntergangsarchitektur vor den großen Fenstern.

Zarte Wiederaufnahme der Arbeit an Rolle 6. Zwischen den wiederholten langen Zeilen der Scherbenumrisszeichnungen treten weite Lücken auf, die mit der Beschreibung der Herkunft dieser Scherben gefüllt werden könnten, dachte ich mir in der vergangenen Nacht.

Eine Erklärung – nur für wen? Ich benötige sie nicht.

Überlebenswichtig?

Durch ein Ganztagestreffen im Museum geriet meine Arbeit gestern in eine völlige Unterbrechung.

Es saßen die Pädagogen verschiedener Museen beieinander, hörten Vorträge und berieten sich darüber, wie man der Museumspädagogik mehr Gestaltungsmöglichkeiten im kuratorischen Bereich verschaffen könnte.

So blieb also einiges liegen, was heute Vormittag aufgearbeitet werden muss. Arbeitstagebuch, Aufräumen und Schülerworkshop vorbereiten, Einkaufen, Kochen…

Vie mehr aber beschäftigt mich der gestrige Gedanke zur Begründung künstlerischer Arbeit. Zunächst, am Anfang, erscheint sie klein in der Hand. Man kann sie mit sich führen, verschwinden lassen, mit ihr eine Erinnerung aufheben, die vielleicht überlebenswichtig ist.

Mein allmorgendliches Selbstverständnis schließt sich mit den drei Zeichnungen und Textabschnitten zusammen. Ich bin, wenn ich zeichne und schreibe.

WERK

Die aufgereihten Scherben, liegen wie Buchstaben eines Totenbuches auf dem Transparentpapier. Die endgültige Abwesenheit von dem, was hervorgebracht wurde, wird damit angekündigt.

Dieser vollständige Abschied bedeutete auch das Verschwinden jeglicher Abhängigkeit in der Arbeit in der Zukunft. Die Befreiung von Angst würde auch die, vor dem Absoluten bedeuten, weil es ausgelöscht ist.

Auf die Überlagerungen der langen Scherbenreihe hatte ich gewartet und erhoffe noch mehr von ihr.

Eine Form kann die Grundlage einer Existenz bilden. 3 Textabschnitte mit jeweils 12 Zeilen mit 3 Zeichnungen dazwischen beispielsweise. So ist es bei mir.

Am Morgen kam die Frage auf, wofür alle Werke entstehen, wenn nicht für Ihre Schöpfer selbst. Wenn ich das als alleinigen Zweck akzeptieren könnte, würde mich das von der Sorge um mein WERK befreien. Die wenigen Gelegenheiten, zu denen andere an meiner Arbeit teilhaben können, würden nebensächlich. Nur Bruchstücke blieben in meinen Schülern oder bei meinen wenigen Freunden.

Diese Gedanken sind nicht so fern und befreiend.

Motor | Flucht

Die Weiterarbeit am Totenbuch auf Rolle 6 folgt den Mustern der letzten Jahre. Nach wie vor geht es um Verdichtungen, gleichzeitig oder in ihrer Folge um Reduktion und um die Dinge, von denen man noch nicht weiß, die aber aus diesen Vorgängen entstehen. Weil ich aber die Mechanismen kenne, kann ich mir nun schon die nächsten Arbeitsschritte zurechtlegen und ihre Folgen in etwa abschätzen. Wie die Figuren dann im Einzelnen aussehen, ist nicht vorausschaubar.

Die Neugier darauf, welche weiteren neuen Arbeitsschritte sich ergeben werden, ist einer der Motoren, die das System am Laufen halten.

Ich flüchtete gestern aus meiner Umgebung von Kriminalität, Gewalt und der medialen Brandstiftung und widmete mich stattdessen einem zugegebenermaßen etwas angestaubten Buch.

Die Masken Gottes“ von Joseph Campbell sind vier Bände, in denen die Mythologien der verschiedenen Kulturen zusammengefasst und aufeinander bezogen sind. Ich nahm mir die „Mythologie des Ostens“ heraus und schlug die Kapitel auf, in denen es um die Kulturgeschichte Indiens geht. Ich bekomme dadurch einen Überblick über die Möglichkeiten der Entschlüsselung des Rätselhaften, was mir dort tagtäglich begegnet. Natürlich kann das nur fragmentarisch und nur an der Oberfläche geschehen. Es hilft aber, sich in den Kulturen Sikkims und Rajastans punktuell etwas besser zurechtzufinden. Es ist auch angenehm, sich mal über die mythologischen Texte hinweg, mit den wissenschaftlichen Ausgrabungen zu beschäftigen, die Entwicklungsphänomene zeitlich und global einordnen.

Arbeitsweisen

Das erste Totenbuch übertrug ich gestern auf Rolle 6, an der ich bis zum 18.02. 2015 gearbeitet hatte und nun die Arbeit mit einer Zeichnung von 18.02. 2016 wieder aufnahm. Mit der Kombination einer Umrisszeichnung meines Rasterkinderportraits und einer Zeichnung aus dem Ballettsaals der Forsythecompany hatte ich aufgehört. Mit den Umrisszeichnungen der Scherben des gerasterten Doppelportraitfragmentes führe ich nun die Arbeit fort. Die Lücke dazwischen ist gefüllt mit der einjährigen Beschäftigung mit Biografie, dem Totenbuch also.

Immer blieb ich dabei, diese Phase auf Einzelblätter zu bringen. Ich war mir sicher, dass ich die Arbeit an Rolle 6 wieder aufnehmen würde. Jetzt aber stehen die unterschiedlichen Arbeitsweisen nebeneinander und werden auch weiter nebeneinander existieren.

Überraschend habe ich Texte zum vergangenen Projekt „Dinge, die nicht zusammen passen“ zu verfassen. Überraschend auch, bin ich zu einem eintägigen Treffen verschiedener Museen eingeladen worden. Es geht um Zusammenarbeit in interkulturellen Zusammenhängen.

Die Arbeit am Sonnenobjekt für ein Kölner Museum verzögert sich etwas. Außerdem soll ich die Installation dort selber vornehmen.

Weltliche Dinge also, die mich etwas von meinem Totenbuch abhalten. Positiv dabei ist, dass ich etwas Betrachtungsabstand zu ihm bekomme.

Fußwege

Lange Fußwege, verglichen mit denen, die ich heute im Alltag gehe, spielen in meinen Erinnerungen eine Rolle. Schulwege von Gerode nach Weißenborn-Lüderrode, oder in Waltershausen von einem Ende der Stadt zum anderen.

Auch das Gummikombinat, an dem ich meine Lehre und mein Abitur machte, lag an der Grenze des Ortes. Auf diesem Weg in die Fabrik gab es zumeist eine Station bei meinem Freund Andreas. Dort bekam ich noch einen Kakao, bevor es weiter ging. Immerhin hatten wir um sieben Uhr zu erscheinen, und dann begann zumeist ein tödlich langweiliger Fachunterricht für Gummifacharbeiter.

Nein, da kam keine Lebensfreude auf, alles hatte mit Zwang zutun, nicht mit einer Lernbegeisterung. Ich erinnere mich an die Beschaffenheit der Böden, auf denen ich meine Schulwege ging. Schlechte Zensuren zogen Strafen nach sich, Verachtung, Prügel und Erniedrigung vor dem Abendbrot. Meine Eltern mögen damals vielleicht sechsundzwanzig Jahre alt gewesen sein. In der Mansarde, die ich mit meinem Bruder teilte, schlief die Angst vor dem nächsten Tag mit. Erlösung und Freiheit fand ich im Wald, in den ich alleine flüchtete.

Das Totenbuch besteht aus Erinnerungsscherben, die sich schwarz einfärben. Die Verschmelzung der Erinnerungslöcher hinterlassen Gravitationsschwünge am Küchentisch.

Zwillingsschuhe

In einem Monat tauschen Tag und Nacht ihre Zwillingsschuhe. Spürbar eilig holt das Licht auf und weckt mich trotz der dichten Vorhänge am Morgen auf.

Christian Hartmann hat mit unseren Frankfurter Schauspielern eine Premiere auf die große Bühne gestellt, die mit der Zertrümmerung der dramatischen Texte eine Form des Regietheaters fortführt, die der Bildenden Kunst näher kommt.

Aus scheinbaren Improvisationssituationen heraus, wird die Beschreibung des Stückes „Der Revisor“ von Nikolai Gogol konstruiert. Fast ist es so, als würde der Text von einem Schauspielerrudel eingekreist, um dann gejagt und gefressen zu werden. Weil die komischen Talente gefördert wurden, hatten wir viel zu lachen und waren, mit Blick auf ein sehr schönes, in sich drehendes Bühnenbild, nicht gelangweilt. Ich bin froh, diese Form des Regietheaters über die Jahre hinweg erlebt zu haben. Auch meine Arbeit hat es geformt.

Am Freitag erörterte ich mit den Kunstschülern architektonische Konzeptionen, die von Wetterphänomenen oder Strömungsverhältnissen ausgehen. Lebendige, fließende Formen werden derzeit von Joana geschaffen, die einen kristallinen Unterbau benötigen, damit so etwas, wie ein geschwungenes Dach gehalten werden kann.

Morgen werde ich noch ein paar kleine Holzkisten kaufen, die schwarz angemalt werden, um mehr Exponate im Museum zeigen zu können.

Ganga | Totenbuch

Ich erinnere mich an Varanasi, an den Strom der Hindus unter deren Füßen die täglich seit zweitausend Jahren wiederholten Rituale verdichtet werden. Der nach Gold durchsiebte Strom menschlicher Asche düngt das Ufer hinter der stromabwärtigen Biegung, auf dem die Reisfelder beginnen, die weit in die Ebene hineinreichen. Auf der gegenüberliegenden Seite lief ich eine Schleife in Form einer Hand, von meinem GPS-Gerät aufgezeichnet. Eines Nachts besuchten wir ein Sidharkonzert.

Joana erklärte ich gestern die Entstehung meines ersten Totenbuches. Sie fand das umständlich. Es reicht mir aber leider nicht, einfach eine Fotografie zu verbrennen.

Ich spekuliere, was die Ägypter zu den hinduistischen Leichenverbrennungen gesagt hätten. Wäre das in ihre Götterwelt mit Mutter Ganga gemeinsam zu integrieren gewesen?

In den Kammerspielen bemächtigten sich gestern drei Schauspieler und zwei Schauspielerinnen einer Textfläche von Felicia Zeller. Eine deutsche Erstaufführung. Die monologischen Sprechfetzen schaffen Erinnerungswerte in der Qualität von Fahrten in überfüllten Straßenbahnen. Keine zusammenhängenden Handlungen sind erfahrbar keine Figuren, keine Orte die durch einen Faden verbunden wären. Alles ist zerpflückte von der stetigen Anwesenheit von allem Inneren und Äußeren.

Wieder überfiel mich das Gefühl von der Unfähigkeit des Theaters, den Dingen auf den Grund zu gehen.

Scherben anordnen

Die einzelnen Formen der Rasterpunktscherben ordnete ich der Reihe nach auf einem neuen Blatt an. Dieser Schritt überraschte mich nicht, wohl aber die Form, die entstand, der ich auch nicht gleich gewahr wurde und deswegen viel zu weit oben links begonnen hatte, wie wenn ich eine Tagebuchseite beschreibe, ohne an eine Einteilung zu denken. Die in Reihen angeordneten Scherben spielten schon bei der Ausstellung der ausgegrabenen Artefakte von der Ackermannwiese eine wesentliche Rolle.

Ein Gestus der Aufklärung, die durch Anordnung, Kategorisierung und Schachtellagerung den Splittern der Welt oder ihres Scheins, Herr werden wollte.

Im Fall der Neuanordnung der Scherben des Doppelportraits handelt es sich eher um eine weitere Zerstückelung, die etwas anderem Platz machen soll.

Aietes, der zerstückelte Bruder Medeas, der über die Zedernbordwand der Argo in die Verfolgungsspur des Vaters geworfen wurde, schuf mehr Raum zwischen dem flüchtenden und dem verfolgenden Schiff, weil es Zeit brauchte, alle Einzelteile für die Bestattung zu finden und wieder zusammenzusetzen.

Die aneinander gereihten Scherben sind das erste Totenbuch für das Doppelportrait, das mehr Raum schaffen soll hinter den Zeichen. Ich kann sie nun behutsam aneinanderreihen und auf Rolle 6 probieren, was daraus werden kann.

Ohne Ablenkung

Die Sonnenflut aus Richtung der Gleisfelder des Hauptbahnhofes trifft durch meine hohen Fenster waagerecht in den angefüllten Atelierraum, als wolle sie ihn neu definieren. Es ist etwas anderes, was du da vor Augen hast. Es hätte die Kraft, deine Hirnschale zu durchleuchten, an die Wand zu projizieren, was du denkst. Plötzlich gaukelt da eine fast sommerliche Stimmung herein, so schnell, nach all dem vielschichtigen, dunklen Grau, dass man es kaum glauben mag und den ganzen Farben auch nicht traut – könnte schnell vorbei sein damit.

Verschiedene Termine, gut verteilt über den Tag, ließen gestern kaum Konzentration aufkommen. Dazu Fotos heraussuchen und Bildbearbeitung, Termine absprechen.

Mit der Biografiearbeit habe ich eine Weile pausiert. Das liegt aber nicht allein an den anderen Aufgaben, sondern daran, dass ich mich nun entscheiden muss, ob ich kompromisslos weiter am Verschwinden der Portraits arbeite, oder ob die anderen Motive, wie auch die Super 8 Filme für die Weiterarbeit zu untersuchen sind. Vielleicht lässt sich auch manches parallel betreiben. Das alles verlangt aber nach mehr Konzentration ohne Ablenkung.

Vor ein paar Tagen am Wochenende sahen wir, wie Regie- und Schauspielstudenten mit Textfragmenten von Simon Stephens umgegangen sind. Dabei minderte meine Aufmerksamkeit, dass ich immer in Gesichter von jungen Menschen schauen musste, die augenscheinlich so wenig erlebt haben in ihrem Leben, aber genau das spielen sollen. Bei manchen aber blitzte darstellerisches Talent auf.

Scheiterhaufen

In Anbetracht der wachsenden gesellschaftlichen Ignoranz gegenüber dem kulturellen Schatz der Künstlernachlässe, hatte ich am Morgen die Idee, mich nach meinem Tod auf dem Scheiterhaufen meines Werkes verbrennen zu lassen. Somit würde das Gedankenhäkeln, das während des Schreibens, Zeichnens, Malens und Modellierens stattfindet, was wohl mit dem, was ich gerade herstelle, geschehen wird, suspendiert. Der Sinn der Arbeit würde sich im Gegenwärtigen erledigen und gleichzeitig das Tun stärken.

An diesem Gedanken gefällt mir der Grad der Unabhängigkeit. Ich arbeitete für den Augenblick. Das könnte man mit dem Moment gleichsetzen, in dem man im Flugzeug kurz davor ist, über die Wolken zu kommen.

Eine Illusion,

das einfach so hinzukriegen, aus der Konditionierung auszusteigen, Jahrzehnte der Selbstmotivation zu vergessen, um die fragile Freiheit des Augenblicks zu spüren. Aber ein Weg dorthin, ist eine spannende Forschungsaufgabe innerhalb einer Arbeitsmeditation.

Gestern nur Ausstellungsvorbereitungen, Fotos raussuchen, Texte ergänzen…

Leuchten

Wenn man mit dem Flugzeug dach dem Start in den oberen Wolkenschichten das gleißende Weiß, kurz vor dem blauen Himmel sieht, erfährt man das gebündelte Licht, das jetzt in den vielen grauen Lagen von kondensiertem Wasser zersplittert und aufgesogen wird. Diese Helligkeit ähnelt der einer plötzlichen Entspannung im Inneren, nach der neutralen Farbigkeit eines neutralen Tages.

Passend zu dieser Vorstellung kommt der Zuschlag zu einem malerisch, handwerklichen Auftrag ins Atelier, ein Segment der Sonne mit Pappmache herzustellen und anschließend zu bemalen. Das wird ein Teil eines Museumsexponates.

Viel versprechende Vorbereitungen einer Reise beschäftigen uns. Es geht um buddhistische und hinduistische Tempel und spektakuläre Landschaften in Indien. Eingebettet in die Erfahrungen aus vier vorangegangenen Reisen lassen unsere Erwartungen dahin gehen, dass es wieder anders kommen wird, als wir es uns vorstellen können.

Die Arbeitsvorhaben dieser Woche sind durchaus vergnüglicher Natur. Als erstes will ich einen Text über die Zusammenarbeit mit meinen Schülern schreiben. Er soll die ganzen vergangenen Jahre umreißen und dann auf das aktuelle Projekt eingehen. Er ist gedacht für unsere kommende Ausstellung im Architekturmuseum. Mich beruhigt die Vorstellung, die gedruckten Skulpturen in den kleinen schwarzen Kästen leuchten zu sehen.

Lichter Ocker

Unter den tieffliegenden, ausgefransten Einzelgebilden der nach Osten ziehenden Wolken, spazierten wir in beiden Richtungen am Nordufer des Mains. Die Landmarken unserer Kehrtwendungen sind zumeist Brückenpfeiler aus Beton oder Natursteinen, je nach der Zeit, aus der die Bauwerke stammen, die den Fluss überspannen.

Wir trafen die fröhliche Fotografin Barbara, die ich oft sehe, wie sie mit mehreren Kameras fleißig unterwegs ist. Sie portraitierte uns beide zu verschiedenen Anlässen. Ich erzählte ihr von der deprimierenden Veranstaltung zum Thema Künstlernachlässe.

Nun fällt mir zu diesem Thema ein, dass die eingeladenen und referierenden Mitarbeiterinnen der Stadtverwaltung und einer Stiftung in Köln, die sich über das Wohl und Wehe eines Lebenswerkes erheben können, selbst vielleicht gerne Künstlerinnen geworden wären… Ihr hochmütiger, herablassender Ton, der auch der eines Sozialarbeiters, eines Gefängniswärters oder eines Lehrers hätte sein können, scheint es nahe zu legen.

Die verdrehte Fassade des neuen Gebäudes der Europäischen Zentralbank warf die Geräusche der Maschinen, die sich in Parallelbewegungen, die Wolken durchstoßend, auf die Landebahnen zu bewegten, so lange zurück, wie es sich aus der Breite der Glasfront und unserer Entfernung zu ihr ergab. Der Fluss war von lichtem Ocker durchsetzt, von Schwebestoffen des lang schon anhaltenden regnerischen Wetters, das an einer Stelle mein Atelierdach zu durchweichen beginnt.

Mit den Kunstschülern

Für die kommende Ausstellung haben wir würfelförmige Holzkästen, die nach vorne offen sind und eine Kantenlänge von 14 Zentimeter besitzen, schwarz gestrichen. In ihnen sollen die Kleinskulpturen und architektonischen Experimente zur Geltung kommen. Damit wird allerdings die Kreativität der Gruppe bei weitem nicht vollständig vorgestellt. Sie besteht aus vielen, sehr unterschiedlichen Herangehensweisen und Talenten. Spontaneität, Humor, Ausdauer und Konzentration mischen sich spannungsvoll. Vielleicht sollte ich darüber einen Text schreiben.

Mitten am gestrigen Arbeitsnachmittag habe ich eine Lehrvorführung in der digitalen Konstruktionstechnik gegeben. Ich zeigte, wie man eine Spirale baut, die dann ausgedruckt werden kann. Das ist für die Verbindungen von Tanz und Architektur wichtig. Die architektonische Umsetzung von Tanzvorgängen bedient sich derzeit vorwiegend dieser Form. Deutlich wurde auch, wie sehr die Aufmerksamkeit von dem gleichmäßigen Informationsfluss aus Bildern und Vortrag abhängig ist.

In meinem Kopf geht immer noch die 3d – Fotografie herum. Neben den anderen Dingen sollte ich mich darum etwas mehr kümmern. Neu für mich ist dabei, dass die ganzen Flächenrückrechnungsprozesse in der Cloud stattfinden. Mein Rechner ist nur noch ein Ausgabeinstrument. Die Rechenleistung befindet sich woanders.

Nun habe ich aber alle 3d – Werkzeuge beisammen, von denen ich vor zwanzig Jahren geträumt habe.

Ausgelöschte Formen

Etwas kontinuierlicher geht nun die Arbeit an den 3d Dateien und ihren Ausdrucken voran. Sie bleiben immer Experimente, deren Sinn man erst zu verstehen glaubt, wenn man die Skulpturen in den Händen halten kann. Die meisten beschäftigen sich mit der Verflüssigung kristalliner Formen und umgekehrt.

Die Nachrichten berichteten den messbaren und hörbaren Nachweis von Gravitationswellen. Große Massen, wie schwarze Löcher hinterlassen sie bei ihrer Verschmelzung. Sie verändern den Raum, also Zeit und Form. Animationen, die diesen Vorgang illustrieren sollten, waberten gestern durch die Nachrichten.

Natürlich verbindet sich diese Neuigkeit mit meinen Gravitationsschwüngen in meinem Kopf, deren Kraft die Gegenständlichkeit der Abbildungen, die die Rasterpunkte in unsere Hirne projizieren, bis zum Verschwinden fragmentieren. Die Formen werden nicht verändert, sondern ausgelöscht, um etwas anderes entstehen lassen zu können.

Weitere Blätter dieses Inhaltes sind gestern entstanden. Manchmal dachte ich schon daran, diese Gravitationsschwünge mit den 3d Möglichkeiten zu verbinden. Skulptural ergäbe sich viel Neues.

Das Teilstück einer Spirale, das ich gestern ausdruckte, ist mit Kuben verbunden, die herausgeschnitten und ausgestülpt erscheinen. Auch hier sind kristalline in eine fließende Form eingeschoben worden.

Sprung

Das Verschwinden meiner Arbeit, die mit der Endlichkeit meines Daseins zutun hat, zog ich bislang noch nicht gründlich in Betracht. Spätestens jetzt aber, da ich dort angelangt bin, wo sich mein Portrait, zunächst im fragmentierten Doppelportrait auflöst und dann durch die Zerstückelung der übrigen Rasterpunkte gänzlich verschwinden wird, also jede Erinnerung ausgelöscht zu sein scheint, hätte ich die Chance, diesem Gedanken gründlich zu folgen.

Zehn Prozent der Produktion gehören nach Expertenmeinung zum Kernwerk eines Künstlers. Dieser brutale Satz wurde gestern, während einer Veranstaltung der Evangelischen Akademie über Künstlernachlässe, von einer Mitarbeiterin des Frankfurter Kulturamtes gesagt. Alles andere sei nicht aufhebenswert.

Der Sprung von meinen frühen Prägungen, die zum Überleben notwendig waren, bis hin zum Ablegen, Aufgeben oder Vergessen dieser Verhaltensregeln, weil sie am Ende nicht mehr notwendig sind, kann innerhalb der Biografiearbeit in eine andere Dimension führen. Vielleicht ist sie es, die sich hinter der Auflösung der Portraits verbirgt. Gelernte Übereinkünfte werden mir als überwindbar gewahr. Die Abwesenheit meiner Erinnerung an sie, setzt das langsame Verschwinden in Gang.

Neuronale Plastizität ist ein Ausdruck, den Natalie, angesichts Joanas Skulptur, die ich gestern ausgedruckte, gefunden hat.

3-Dropping-Curves

Spaziergang durch Nebenstraßen in denen eine Schule renoviert wird. Der Unterricht ist in Container ausgelagert. Man kann die Langeweile in Parterre durch die Fenster sehen. Ein Passant, der stehen bleibt, ist dann schon eine Abwechslung. Ich warte, bis ich das Glück begriffen habe, mich nun einfach entfernen zu können.

Aus den „Improvisation Technologies“ von Forsythe, wählten wir die „3-Dropping Curves“ aus, um daraus ein architektonisches Element zu finden. Gestern habe ich die ersten 8 Varianten entworfen und eine davon ausgedruckt. Alles hat länger gedauert als gedacht. Manchmal ist der 3d Drucker sehr langsam, es dauert lange, wenn man abgebrochen hat, den Vorgang immer wieder neu zu starten.

Aber als beim Drucken nichts mehr schief lief, hatte ich Zeit zum Zeichnen. Ich nahm mir erneut ein Detail des fragmentierten Doppelportraits vor. Zunächst schnitt ich mir ein Format aus einem stärkeren Transparentpapier, auf dem ich frei und wild ein paar Gravitationsschwünge kreisen ließ. Die Kreuzungen markierte ich, wie immer mit Tuschepunkten, um dann die großen fragmentierten Rasterpunkte ebenfalls mit Tusche darüber zu malen.

Aber die Frage, was nun hinter den verschwundenen Portraits erscheinen wird, kann erst in der Zukunft, wenn ich weiter daran arbeite, beantwortet werden.

Spiralwirbel

Das Fauchen der Sturmböen wirft sich gegen die Atelierfenster, dass man Angst um das Dach bekommen muss. Dass allgemeine Gebrüll, dass sich an jedem festen Gegenstand verwirbelt, schluckt alle anderen Geräusche. Alles gehört nun zum Sturm.

In der Ruhe und Einsamkeit des Ateliers widmete ich mich gestern Nachmittag langsam meinen Aufzeichnungen. Die Enden greifen ineinander, die Fortführungen geschehen oft genug wie von alleine.

Die Zeichnungen der letzten Woche auf Transparentpapier, die nun vor mir hängen, scheinen schon auf ihr Mindestmaß reduziert zu sein. Es ist, als wollte ein Teil von mit in diesen leisen Äußerungen verschwinden. Die Gravitationsschwünge kreisen suchend nach den Fehlstellen, die durch die Subtraktion der sich übereinander lagernden Rasterpunkte der Väterportraits entstehen. Was kommt aber hinter den absichtlich aufgerissenen Fehlstellen zutage? Eine unbekannte Person mit anderer Energie geladen, die die entstandenen Lücken füllt?

Der Sturm folgt dem niedrigen Luftdruck, will den Unterdruck in den Fehlstellen auffüllen. Welcher Sturm verschluckt die fest hängenden Prägungen und füllt sie neu auf? In Spiralwirbeln werden die vorjährigen, braunen Blätter und anderes totes Material zusammen geblasen. Sie lassen meine Insel auf dem Beton fürs kommende Frühjahr wachsen.

Alte und neue Zeichnungen

An einer Wand in meinem Zimmer in der Frankenallee habe ich eine Perlonschnur gespannt. Daran klammerte ich einige Zeichnungen der Biografiereihe, die ich schon vor Monaten mitgenommen hatte. Das hatte ich schon seit einiger Zeit ins Auge gefasst, den Schritt aber bin ich erst heute gegangen. Nun werde ich weitere Schnüre spannen und viele Arbeiten aufhängen. In dieser Umgebung bekomme ich einen anderen Überblick über das, was ich die ganze Zeit über gemacht habe.

Gerade las ich, was ich genau heute vor zehn Jahren in den täglichen Aufzeichnungen geschrieben hatte. Viele kleine Projekte liefen damals parallel. Und während eines Regenspaziergangs kam vorhin die Frage auf, warum mir die Buchmalereien von heute emotionaler vorkommen, als die zehn Jahre alten. Das hat sicher damit zutun, dass sie mir einfach näher sind. Aber außerdem sind sie weniger diszipliniert und in den Gesten wilder. Sie entstehen auch schneller.

Der Regenspaziergang vorhin war großräumig einsam, weite Blicke ohne Menschen. Ganz anders gestern am Main – Getümmel in den sonnigen Sportanlagen am Osthafen. Wir schauten den tollkühnen Skatern zu, die uns an die Motorradartisten beim Shivafestival in einer indischen Kleinstadt erinnerten. Sie fuhren in einem kleinen Bretterrund halsbrecherisch die steilen Wände hinauf und machten kleine Kunststücke dabei mit Blick auf die Rupien, die wir in die Arena werfen sollten.

Sonnenbad

Das Mainwasser reflektiert das heutige Frühjahrslicht so, dass man auf den Bänken am Nordufer ein Sonnenbad nehmen konnte.

Mit virtuellen Skulpturen beschäftigten sich die Kunstschüler, mit Dreiecksgitterzeichnungen und Wachs-Wasser-Experimenten. Je länger wir gemeinsam arbeiteten, umso ausgelassener wurde die Stimmung.

Auch ich machte eine Dreiecksgitterzeichnung. Zunächst fertigte ich Gravitationsschwünge an, deren Kreuzungen mit Tuschepunkten markiert wurden. Diese Punktwolke war dann die Ausgangssituation für die zeichnerische Flächenrückrechnung, das Dreiecksgitternetz also.

Außerdem versuchte ich die Tanzskulptur von Bilal in ein druckbares Exemplar umzuwandeln. Das will ich mit ihm gemeinsam in der kommenden Woche komplettieren.

Erstaunt bin ich über die kleinen feinen Zeichnungen, die ich vor zehn Jahren in die Tagebücher gesetzt habe. Der Stil hat sich immer nur ganz langsam verändert.

Im Städel gestern Stille und erneut eine Begegnung mit dem Konstruktivismus von Herrmann Glöckner, der noch in Dresden gelebt hatte, als ich es verließ.

Arsenale

Auf dem Zeichentisch liegen die bescheidenen Blätter dieser Woche. Zurückhaltung, klare Tuschefelder, dünne Bleistiftlinien mit Tuschepunkten. Es sieht so aus, als würde sich die Arbeit hier langsam auflösen.

Kraftvoller hingegen zeigen sich die Buchmalereien. Sie sind von einer Sicherheit getragen, die auf dem beruht, was ich meine Tradition nennen könnte. Anknüpfung an das, was gestern in der gewohnten Umgebung gemalt wurde. Rückschau auf die Buchmalereien vor einer Woche, einem Monat, einem Jahr oder vor genau einem Jahrzehnt.

Die selbe Körperhaltung vor den leeren Seiten mit Blick auf die Schreibfeder kurz vor der ersten Linie, die einen Buchstaben zeichnet, gehalten von Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, deren Ballen leicht über die samtige Oberfläche des Papiers gleitet.

Und in den Kammern meiner Unterwelt, die leicht in den Büchern zu betreten sind, wohnen die Figuren, Arsenale von sich auflösenden Gegenständen, Menschen, Tieren, Pflanzen und Aggregatzuständen.

Opernbühnenprojektionen mit King Kong und dem Mädchen mit der Perle, vor genau zwanzig Jahren, lokalpolitische Abstimmungen über mein Projekt „Trixel Planet“ vor genau zehn Jahren. Theater, Bürgerinitiativen und Workshops habe ich absichtlich verlassen und abgestreift, um anderer Arbeit Raum zu verschaffen.

Welche Tradition?

Die Holzdruckstöcke aus dem Jahr 1987 spielten in den gestrigen Buchmalereien noch mal als Frottagen eine Rolle. In meinem Grafikschrank, meinem Tischlergesellenstück, fand ich noch einen Druck von zweien der drei Farbplatten, die den Themen „White Room“ und „Schmutzige Arbeit“ zugeordnet waren.

Im Vergleich mit den gegenwärtigen Arbeiten versuche ich eine Kontinuität zu entdecken. Was tilgt diese rückblickende Einordnung? Gibt es eine innere Verpflichtung zu gleich bleibenden Merkmalen in den sich stark verändernden Arbeiten? Was soll meine Suche nach der Bestätigung bestimmter stilistischer Prägungen? Ist das eine Vergewisserung, die sich auf eine Tradition beruft? Woraus setzt die sich zusammen?

Bei Assmann lese ich, um mich zu inspirieren, über die Entstehung von Geschichte, Religion und Erinnerung. Ihre Funktionen versuche ich immer sofort auf meine Situation zu beziehen.

Dann gelingt es mir wieder, mich in meine Arbeit zu versenken. Eine Meditation der Schwünge und Punkte, wie heute in den Buchmalereien, gestern in der Fertigstellung des zweiten Details des großen Doppelportraits. Es gelang mir, die Ersatzhandlung für wirkliches Zeichnen zu überwinden, mich wieder ganz hinein zu begeben.

Alte Holzdruckstöcke

Ein zweites Detail des großen Doppelportraits nahm ich mir vor und zeichnete es auf ein kleineres Format und begann es dann mit Gravitationsschwüngen zu umgeben. Eine Ersatzhandlung für wirkliches Zeichnen, die eher das Gemüt beruhigen sollte, das immer nach Produktivität verlangt.

Unter die täglichen Buchmalereien legte ich gestern allerdings einen kleinen Holzdruckstock, um mit ihm eine Frottage zu beginnen. Er stammt aus den Achtzigerjahren, als ich mit Hans-Joachim Schlieker, der von Heiner Müller als Bühnenbildner entdeckt worden ist, an einem Tanztheaterbühnenbild für „Mörder Woyzeck“ von Johann Kresnik arbeitete.

Auf die Rückseite eines Bühnengrundrisses des Heidelberger Theaters zeichnete ich damals zwölf Szenen, jeweils drei zu den Themen: Küche, Dolchstoß, Wiesn und White Room. Der Holzschnitt ist mit drei verschiedenfarbigen Druckplatten gedruckt, und nimmt alle vier Themen auf. Die Stapelung der Motive übernehmen hier also die verschiedenen Holzdruckstöcke.

Während der Suche nach der alten, schon recht zerfledderten Zeichnung, gingen mir viele alte Blätter durch die Hände, Akte, Portraits, Landschaften, Innenräume und viele Bühnenzeichnungen. Mit den letzteren entwickelte ich einen Stil, der mir erlaubte, das Gesehene schnell auf ein Blatt zu bringen. Das könnte ich auch jetzt noch.

Holzschnitt neu?

Das alte Selbstportrait verschwindet durch die Abwesenheit bestimmter Erinnerungsvorgänge, die es immer wieder aus der Vergangenheit heraus konturieren. Groll färbt den alten Milchnebel grau.

Vor Augen habe ich ein Holzschnittdoppelportrait, das sich durch die fortlaufenden Zustandsdrucke hindurch selber auffrisst. Eine Neubelebung der Technik, gedruckt auf dünnes Transparentpapier.

Ich erinnere mich an die Leipziger Holzstecher, die mit ziemlich edlem Birnbaumhirnholz arbeiteten, konservativ, traditionell und illustrativ.

Was könnte man heute mit dieser Technik noch anfangen? Ist sie wirklich neu zu beleben? Am ehesten vielleicht mit einem Vorhaben des Verschwindens.

Leichtes Gefühl gestern nach fünfzig Minuten Sport. Erinnerung an die Laufrunden im Park vor vielleicht drei Jahren.

Gestern beschäftigte ich mich weiter mit den 3d Programmen. Es entstand eine neue Skulptur zu „fluidkristallin“.

Schlammgraue Altersmilch

Lautes Gelächter aus dem Nachbaratelier jetzt am Morgen, während der Fernseher läuft. Ich schalte die „Theme Time Radio Hour“, Episode 56 mit dem schönen Titel „Cadillac“ein, um der morgendlichen, lauten Fröhlichkeit zu entrinnen.

Die Farbpalette der Buchmalereien hat sich etwas eingetrübt. Ich mag die ernsten, schlammigen Töne, die mit nur einem Indigo oder Violett zum Strahlen gebracht werden können.

Das Frühstück am Küchentisch dehne ich in letzter Zeit manchmal mit einem zweiten Kaffee etwas aus. Ich lasse es dann langsam angehen, weil die Gründe, aus denen ich mich ein Leben lang beeilt habe, nach und nach wegfallen. Dieser ruhige Rückzug gefällt mir. Gleichzeitig habe ich Lust, mich über längere Zeiträume auf ausgedehnte Prozesse zu konzentrieren.

Die Verbindung zwischen den Biografiearbeiten und den Buchmalereien findet, über die gemeinsame Nutzung von den Gravitationsschwüngen hinaus, in den täglichen Collagen statt, die ich für das Arbeitstagebuch anfertige. Diese Ideen fließen ohne jedes Ziel.

Gealterte, graue Milch scheint draußen ausgeschüttet worden zu sein, Altersmilch in Gebirgsgrau geronnen und verhüllt.

Stillstand | Spazierwaldmeisen | City of Abstract

Sonntagslicht, Arbeit ist vertagt. Ein neues Telefon im Atelier – bis zu meinem dreißigsten Lebensjahr besaß ich gar kein Telefon. Das erste, im Westen, war glänzend grün.

BLACKSTAR, das neue Album von Davis Bowie höre ich ab und zu in einer Endlosschleife. Das langweilt nicht! Seine Asche ist verstreut. Keine Pilgerstätte.

Vier Punkte habe ich beim großen Doppelportrait zusätzlich, aus Versehen, ausgelassen. Sie fragmentieren deutlich zusätzlich. Vielleicht kann ich diese fehlenden Punktinseln noch mal neu thematisieren, indem ich sie einzeln zeichne und mit Gravitationsschwüngen umgebe. Das wäre eine weiter zu verfolgende Arbeitslinie, die das Motiv immer weiter verschwinden lässt. Die Abwesenheit des Sohnes durch den Vater. Vielfältiger werden die Möglichkeiten, das Thema „Väter-Stillstand“ weiter zu verfolgen.

Das verfremdete Bild von Natalie aus der Videoinstallation „City of Abstract“ versandte ich an die T34-Gruppe mit großem Echo. Das werde ich nutzen, um die Truppe noch mal zu vergattern (Militärsprache der Wachbefehlsausgabe).

Im Spazierwald pfiffen die Meisen. Ein neuer Frühling wird nun kommen.

Väter – Stillstand

Am Küchentisch blieb für einen Moment die Zeit stehen. Meine Arme lagen auf der Tischplatte, der Oberkörper wollte ein wenig hin und her schaukeln und ich hatte das Gefühl, den Verlauf der Zeit nun manipulieren zu können.

So nehme ich mir jetzt die Buchmalereien vor, die ich vor fünf Jahren gemacht habe. Schnell sind die hervorgeholt, ist die entsprechende Seite aufgeschlagen: 30.01. 2011.

Franz besuchte mich am frühen Abend. Er blieb eine Weile und wir sprachen über unsere Reiseerlebnisse in Indien. Bei ihm ist es vierzig Jahre her, dass er sich auf eine lange Reise über Land dorthin aufgemacht hatte.

Als ich ihm erzählte, dass ich mal wieder ausstellen müsste, nur nicht so recht weiß, wo meine Sachen, die zarten Transparentpapiere hinpassen würden, bot er mir spontan sein schönes Schaufensteratelier an. Ich bin gar nicht abgeneigt, das zu tun. Der Ausstellungstitel „Väter“ fällt mir ein, vielleicht mit einem Zusatz, wie „Stillstand“. Jedenfalls belebt mich dieser Gedanke.

Ein großer Fuhrpark einer Boxveranstaltung besetzt den Raum um mein Atelier. Das gefällt mir, weil das Boxcamp so außerordentlich gute Arbeit hier auf Teves macht.

Fremdes Gesicht

Obwohl ich eigentlich pausieren wollte, fertigte ich noch ein neues kombiniertes Rasterportrait an. Es vereinigt mich und meinen Vater, fragmentiert uns aber nicht gegenseitig, sondern fügt einfach alle Punkte und Flächen vollständig übereinander zusammen. Wieder entstand ein sehr fremdes Gesicht.

Auf dem Bahndamm stöhnen die Güterwaggons. Eine Herde in der Sonne, die über die Dächer steigt. Sie projiziert meinen vertikalen Miniaturwald auf die Atelierwände.

Mit den Kunstschülern geht es heute in die Forsytheausstellung ins Museum für Moderne Kunst. Mit den choreografischen Objekten möchte ich ihnen Möglichkeiten erschließen, wieder neu gestalterisch zu denken.

Das bedeutet, dass das 3d Capturing nun erstmal ruhen muss – morgen vielleicht. Einen Fehler, der mir unterlaufen ist, habe ich schon recherchiert.

Einen Text für die Ausstellung im März habe ich begonnen. In diesem Zusammenhang rekapituliere ich das ganze abgelaufene Kunstschuljahr.

Das Schwärmen der Erinnerungsteilchen

Das große fragmentierte Doppelportrait habe ich gestern mit den letzten Gravitationsschwüngen fertig gezeichnet. Mit dieser Art Rasterüberlagerungen könnte ich nun weiter forschen, noch tiefer in die Materie eindringen. Während des Bleistiftkreisens kann ich mich in Erinnerungen versenken, die nicht alleine von mir zu stammen scheinen. Sie sind älter, handeln von erzählten Ängsten und auch von vielleicht geerbten Gefühlen.

Für ein Detail der Zeichnung habe ich auf einem kleineren Blatt eine eigene Welt eingerichtet. Dort wird es umgeben vom Schwärmen der Masseteilchen, die mit ihrer schnellen Bewegung keine festen Konturen bilden, sondern ineinander verschiebbare Sphären. So ist es mit den eigenen, den ererbten oder erzählten Erinnerungen.

Zwischendrin versuchte ich eine 3d Aufnahme mit vierzig Fotos von Krishnababy. Das ist mir noch nicht gelungen. Irgendwelche Softwarekonstellationen stehen sich im Wege, oder ich habe einen Arbeitsschritt übersehen.

Am Abend waren wir noch mal in der Ausstellung „Sturmfrauen“ in der Schirn. Diese ganzen Arbeiten aus den ersten dreißig Jahren des vergangenen Jahrhunderts sind interessant und teilweise perfekt, scheinen aber eher mit angezogener Handbremse produziert worden zu sein. Eigene herausragende Kunstleistungen gestand man Frauen nicht zu. Nur romantische Exoten, wie Walden, förderten sie und waren ihrer Arbeit zugeneigt. Sie hatten es ansonsten schwer.

Silberner Klang

In der Stille des Atelierraumes fällt mir die Qualität des Lichtes, das sich ändernd von draußen eindringt, auf. Ich interpretiere aus einer bestimmten Lichtfarbe die Beschaffenheit der Atmosphäre, den Winkel der Lichtquelle über dem Horizont und die Bewegungen entfernter und naher Schattenspender. Dann setzten Erinnerungen ein, deren äußere Gemeinsamkeit mit der gegenwärtigen Situation nur in der Lichtbeschaffenheit liegt. Luftbewegung, Temperatur und Sonnenwinkel versetzen mich kurz auf die winterlichen Kanarenberge.

Ich habe begonnen die Gravitationsschwünge zwischen die Rasterpunktfragmente der großen Mischportraits zu zeichnen. Das Quälende des Vorgangs des eigenen Gesichtsverlustes wird durch das Meditative des Zeichenvorgangs gemildert. Im suchenden Kreisen des Stiftes und den Markierung der Kreuzungspunkte der Linien mit einem Tuschepinsel, ziehe ich mich leichten Herzens in mich selbst zurück. Die Lichterscheinungen von außen scheinen abgeschaltet zu sein und der Rückzug hält über den Vorgang des Kreisens und Punktens hinaus an. Mein Impuls, raus zu gehen, ist gehemmt.

In mir forsche ich nach den Gründen meiner Sprache der Gewalt. All die stummen Verwünschungen schaffen sich im Kreisen des Stiftes Raum. Wenn ich nach oben in den Regen schaue, reiße ich die Augen auf, versuche, nicht zu blinzeln, um den Blick rein zu waschen. Über meinem Kopf hängt eine Schelle, in der der silberne Klang wohnt, der alles beschreibt.

Erinnerungsbibliotheken

Am Morgen stand ich mit dem Rücken zu einer Mauer im Bethmannpark und wartete auf die Sonne, die ich über einem der Dachfirste erwartete. Die Wärme des Lichtes war noch klein, aber sie erfüllte mich kurz mit einer Ahnung.

Auf dem Zeichentisch arbeitete ich an einer größeren Variante des Sohn – Vater – Fragmentes. Ich baute mir eine stabilere Konstruktion für eine Rückprojektion des Rastermotives. Die Zwischenräume will ich nun mit den Gravitationsschwüngen aus meiner emotionalen Erinnerungsbibliothek beleben.

Ich sehe und spreche wenige Menschen. Das begünstigt die Konzentration auf die vergangenen Schlachtfelder der Sprache und anderer Gewalten.

Mein Geruchssinn hat sich in den letzten Wochen verfeinert. Damit setzen nun auch vermehrt reichhaltigere Erinnerungen ein, die bislang verschlüsselt, nur zu Empfindungen werden konnten. Jetzt kann es mir gelingen, sie in Gravitationsschwünge oder andere Strukturen zu übersetzen, mit denen ich die Portraitfragmente vervollständigen will.

Mein Vater hat alle Super 8  Filme aus den Sechziger- und Siebzigerjahren mit dem Projektor zusammen verpackt. Ich muss das nur noch abholen.

Näher heran

An diesem Morgen im Atelier denke ich zunächst an die Abbildungen ungestümer Malereivorgänge und ihre Entstehung in den Büchern. Die Arbeit greift im Fall der Buchmalerei direkt auf meinen inneren Zustand zu, bedient sich der Bruchstücke gegenwärtiger Gefühle und entwickelt sich aus der weiteren Nutzung der Veränderungen des gerade Gefundenen, was wieder neue Stimmungen auslöst usw.

Mit fünf Farben kreiste ich gestern über drei Wassertropfen, die ich aufs Papier setzte. Beim Verwischen mit dem Handballen ließ ich dann Teile dieser kreisenden Figuren stehen. Diese Vorgänge greifen auf die Bibliothek meiner gestapelten Empfindungen zu. Gleichzeitig werden die entstandenen Bilder auf ihre Tauglichkeit überprüft, mich in diesem Moment weiter zu bringen. Was das auch immer heißen mag.

Emotionsgeladenes Handwerk und Erinnern drehen sich beispielsweise um die fragmentierten Rasterportraits und lassen die Sprache der Gewalt auferstehen. Die Vervollständigung der Portraitfragmente kann jetzt durch die nähere Betrachtung der Figuren vorangetrieben werden, die sich aus der Ferne zu den verschiedenen Portraits ineinander zusammensetzen. Das Spiel der Blickentfernungen auf Geschichte und Zeichnungen regt zu neuen Arbeitssvorgängen an. Probieren, verwerfen, aufheben und wieder verwenden der neu entdeckten Figuren und Erinnerungsbilder. Dann noch näher heran…

Close, Glass, Serra, Forsythe

Kleine Atelierzeit am Sonntag. Die Buchmalereien erinnern sich und mich, mutieren, berappeln und verpuppen sich wieder. Wie senkrecht gestaffelte Gesträuche stehen manchmal die Abdrucklinien des rechten Handballens in den Landschaften.

Ich denke an Chuck Close, der mit Fingerabdrücken ein Portrait von Philipp Glass angefertigt hat. Erinnere mich an Philipp Glass, der mir von seiner Assistenz bei Richard Serra erzählt hat, als ich ihm einen Stapel von Kopien der Zeichnungen in die Hand gedrückt habe, die ich zu seinem Klavierkonzert gemacht habe. Mir geht die Videoarbeit von Richard Serra durch den Kopf, die der Forsytheausstellung im MMK zugeordnet wurde…

Wieder glaube ich, dass ich die letzten Portraits der „Männerteufel“, so nenne ich die Kind -Vater – Großvater – Portraitfragmente, vergrößern sollte. Diesmal werden es Querformate auf denen ich Gravitationsschwünge und Landschaften, Fundstücke und Schrift hinzufügen kann.

Mir geht das szenografische Vorhaben des Museums durch den Kopf. Aktuell dehnen sich die Theaterräume mit den Möglichkeiten der Videoarbeit über die Bühne hinaus und in kleine gebaute Räume hinein aus. Die Welt wird zur Bühne, oft genug beliebig.

Sprache der Gewalt

Die Vertragssprache der Assyrischen Könige, wie sie dann, nachdem sie gestürzt waren, in das Alte Testament übernommen wurden und Gott zugesprochen ein Machtvakuum füllten, springt für mich in die Sechzigerjahre über, in die Zeit des 11. Plenums des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands.

Ich war elf Jahre alt. Die Folgen der kulturpolitischen Entscheidungen prägten meine frühesten politischen Erfahrungen. Ein Jahr zuvor noch galten die Beatles als ein Teil des progressiven Musikschaffens der unterdrückten Arbeiterklasse im Mutterland des Kapitalismus. Nach dem Plenum aber waren die Hoffnungen auf eine offenere Gesellschaft dahin. Ostdeutschland schottete sich stärker ab. Zensur, Drangsale, Veröffentlichungsverbote formulierten die Sprache der Gewalt.

Wie erinnere ich?

Ich beschäftigte mich gestern noch mal mit dem Kind- Vaterportrait, zeichnete es größer und vollständiger mit Haaransätzen und den Koordinaten, die den Zusammenhang leichter erkennen lassen.

Bilal beschäftigte sich mit Skulpturprogrammen, um seine Ballettskulptur für den 3d Drucker bauen zu können. Wir wollen probieren das im Museum in einen szenografischen Zusammenhang zu stellen.

Black Star“ von David Bowie höre ich gegen die Echos der Drohungen der Assyrischen Könige gegen die, die ihnen nicht folgen wollten.

Mischgesichter

Kalter, heller Morgen. Die vollen Wasserbehälter im Gärtchen sind vollständig fest durchgefroren. Die Wasserpflanzen werden im Frühjahr wahrscheinlich nicht mehr aufwachen. Natürlich liegt nun auch die Kapuzinerkresse danieder. Nur in einem Topf, treibt sie noch auf dem Atelierregal ihre runden Blätter. Um Ostern werde ich beginnen, die Pflanzen wieder hinauszustellen.

Wie übrig gebliebene Schatten schauen mich an diesem Morgen die fragmentierten Rasterportraits an. Als hätte ein Blitz ihre Umgebung ausgeblichen, blieben nur die fragmentierten, gespenstischen Mischgesichter, die ihrer selbst nicht sicher aus der Vergangenheit heraufschauen.

Kind-Vaterportrait und Vater-Großvaterportrait sind entstanden. Ersteres habe ich noch mal verkleinert mit Gravitationsschwüngen gezeichnet und Punkte auf ihre Kreuzungen gesetzt. Ein wenig Konfetti, das den schmerzlichen Vorgang erträglicher machen soll.

Immer, wenn ich eines dieser kleinen Formate fertig gezeichnet hatte, überfiel mich eine abgründige Müdigkeit. Der Prozess, den ich lang verweigert hatte, verlagert sich nun durch die Leichtigkeit der Materialien in eine Sphäre außerhalb von mir, bleibt transparent und kann mit anderen kombiniert und entschärft werden.

Gespenster | Fluchtraum

Noah sandte uns eine Ornamentzeichnung. Ich antwortete mit einer Buchmalerei.

Bilal könnte seine Tanzfigur im Museum zeigen und vielleicht dazu ein größeres Objekt bauen. Ist aber noch nicht ganz geklärt.

Die Gespenster, die mich anschauen, stammen aus den Kindheiten meiner Generation. Die Bruchstücke der alten Empfindungen tauchen in den fragmentierten Rasterportraits auf. Die erste Erinnerung widmet sich dem Verwinden von Ungerechtigkeiten, Gewalt und der Fluchtgedanken. Später wurde das Wirklichkeit – eine Genugtuung.

Schutzraum und Gefängnis treten zusammen auf. Kinderheim und Jugendwerkhof sind überspannt vom Himmel, dem einzigen Fluchtraum. Hinauf in die Berge, um sich in den Wolken zu verbergen, oder über ihnen zu den Sternen zu fliehen, in den Schlaf.

Jetzt führen mich die Gespensterportraits aus den Rasterüberlagerungen dahin, wo ich mit ihnen Möglichkeiten finden kann, gegenwärtige Emotionen, die mit Biografie zutun haben, zeichnerisch zu zeigen. Die Schnittmengen der Rasterpunkte landen auf kleinen Formaten, informieren mich nur über den Fortgang der Beschäftigungen mit den Vätern, nicht wissend, wohin das führen soll.

Männerteufel

Vom gerasterten Portrait meines Großvaters fällt ein gespenstischer Blick auf mich. Sein Gegenüber am Tisch ist, wie mir mein Vater erklärte, sein Bruder. Gemeinsam wollten sie nach Amerika auswandern. Was daraus geworden ist, weiß niemand.

Genauso unheimlich sind die Rasterüberlagerungen der verschiedenen anderen Männergesichter. Die Fragmente werden zur Quintessenz der vererbten Charaktere. Männerteufel.

Die Abendteuer- und Reiselust der jungen Männer in allen Generationen, hat sich offensichtlich vererbt. Sie wollten unabhängig und frei durch die Welt ziehen, und manche setzen das auch durch. An dieser Stelle treffen sich Vinzenz und sein Urgroßvater.

Diese Freiheit hat auch schnell mit der Kunst zutun, die als Vehikel gelten kann, sie durchzusetzen. Ist man der Kunst zugehörig, scheint es leichter, frei zu werden, weil man es täglich trainieren muss.

Im Museum besprachen wir die nächsten Projekte und planten vage bis zum Jahresende. Darüber müssen wir noch weiter reden und konkretere Ziele setzen. Schritt für Schritt.

Portraitüberlagerungen

Der Blick auf die Buchmalereien der letzten Tage zeigt mir, die emotionale Seite der Beschäftigung mit dem Thema „Biografie“. Vielleicht ist das Ganze auch erst vollständig, wenn ich diese Arbeiten mit in die Reihen von Portraits und Fragmentierungen einbringe. Auf alle Fälle, wäre das eine weitere Schicht, die mir schon während der Performance von Meg Stuart durch den Kopf ging.

Auf einem kleinen Bildschirm laufen etwa tausend Collagen der letzten drei Jahre Arbeitstagebucharbeit. Die unterschiedlichen Phasen der Arbeit laufen in dieser Weise immer wieder an meinen Augen vorbei und erinnern mich an meine anderen Möglichkeiten.

Die Portraitüberlagerungen der Gesichter meines Vaters und von mir als Kind, die ich gestern fertig zeichnete, scannte ich, um sie nacharbeiten zu können. Verschiedene Dunkelheiten und Kontraststufen, lassen unterschiedliche Wirkungen zu. In jedem Fall aber fragmentieren sich beide Schichten gegenseitig, wie man es oben in der Collage sehen kann. Nun begann ich diese Motive mit verdünnter Tusche auf Schelllackgrund zu zeichnen.

Besuch bei Franz. Zwei weitere Künstler waren da und bildeten eine freundliche und fragile Gesprächsrunde.

Super 8

Gestern habe ich erfahren, dass es noch die Super 8 Filme gibt, die mein Vater aufgenommen und geschnitten hat. Das Material interessiert mich wegen der Biografiearbeit. Auch der alte Projektor ist noch da. Vielleicht kann ich diese Bilder auf irgendeine Weise mit einbinden.

Noch mal Tanz gestern. Aber diesmal wieder im Museum für Moderne Kunst innerhalb der choreografischen Objekte von Forsythe. Die Führung, zu der man sich anmelden musste, wurde wieder von einem der Tänzer gemacht, einem langjährigen Mitglied des Ensembles. Im vergangenen Jahr haben wir schon mal an einer solchen Führung mit einem jüngeren Mitglied der ehemaligen Forsythe Company teilgenommen. Beide Blickwinkel auf die Ausstellung waren sehr verschieden. Das unterstrich noch einmal, wie sehr das Ensemble von der Unterschiedlichkeit seiner Mitglieder lebte. Es ist etwas Besonderes zu erleben, wie sehr diese Menschen nach wie vor dem Bewegungkosmos des Forsythewerkes folgen und ihn verinnerlicht haben.

Auch auf die Besucher der Ausstellung geht das Formenvokabular abgeschwächter über, indem sie sich innerhalb der Installationen bewegen.

In einem Traum betreute ich ein Kind aus einer fremden Familie. Gleichzeitig geriet ich in den chaotischen Umzug eines Museums, währenddessen ich einen Gewehrschaft mit Einlegearbeiten durch das Labyrinth einer Stadt trug, die Gotha und Brügge ähnelte.

„Hunter“

Der erste Schnee, etwas Frost und Sonnenschein jetzt um die Mittagszeit. Wie immer an den Wochenenden führe ich hier im Atelier nur die täglichen Aufzeichnungen fort, damit der Faden nicht abreißt.

Vorgestern zeichnete ich vorsichtig mit einem harten Bleistift mein Rasterportrait und das meines Vaters übereinander. Ich im Alter von 6, er im Alter von 16. In den Schichten der zwei Gesichter finde ich mich schon ganz gut zurecht. Die Steigerung wäre nun, auch noch das Gesicht meines Großvaters hinzuzufügen. Aber all das eilt nicht, kann nun langsam wachsen, denn ich habe Zeit.

Im Zusammenhang mit autobiografischer Arbeit stand auch der gestrige Performanceabend von Meg Stuart im Mousonturm mit dem Titel „Hunter“. Bei der Suche nach Erfahrungen ihres Lebens wird sie in ihrem Körper fündig. Diese Erinnerungen stülpt sie wieder nach außen und erstellt somit Erinnerungsportraits, deren Aneinanderreihung eine Empfindung davon vermittelt, wie sie sich im Verlauf ihres Lebens gefühlt hat.

Ich konnte dabei lernen, welche emotionalen Erinnerungsgestalten noch auf ihre Erweckung warten, um mein autobiografisches Material zu vervollständigen.

Das war eine Soloperformance, die mich keine Sekunde gelangweilt und weitergebracht hat.

Wasser,Wachs, Draht, Video

Es entstehen bemerkenswerte Wachsfiguren, deren Herstellung Joana übernommen hat. in längeren Experimentreihen fand sie Technologien, die nun zu erstaunlichen Ergebnissen führen. Die letzten Architekturen, sehen aus wie die Bauten von Bakterienkulturen einer fernen Galaxie. Die Formungen entstehen durch die Gegensätze von flüssigem Wachs und kaltem Wasser. Damit lässt sich noch weiter experimentieren. Die bisherigen Ergebnisse begeistern uns jedenfalls alle sehr.

Bilal hat mit der Skulptur „Complex-Operations-3-Dropping Curves“ begonnen. Er bog einen Draht, der in einem unserer Holzwürfel den Anfang einer Spirale beschreibt. Die Figur fand er in den „Improvisation Technologies“ von Bill Forsythe. Zunächst tanzte er die Figur nach, um dann die Bögen, die sie beschreibt zu biegen. Tanz und Architektur beginnen nun zusammen zu wachsen. Mit den 3d Programmen werden wir den Prozess noch weiter unterstützen können.

Noah hat ein Videowerkzeug auf seinem Smartphone installiert, mit dem er unsere Dokumentation in abstrahierenden Stilen erstellen kann. Er muss nur dranbleiben. Und wir müssen eine Möglichkeit finden, das zu präsentieren.

Im Schauspiel Frankfurt sahen wir eine Dramatisierung von „Schuld und Sühne“ von Dostojewski. Mit den Formen von dokumentarischem Theater und den Dramatisierungen bekannter literarischer oder filmischer Stoffe, entfernen sich die Theatermacher vom dramatischen Schreiben der Gegenwartsautoren. Sie stellen ihre eigene kreative Schöpferkraft konsequent in den Mittelpunkt. Das entspricht der Eigenverliebtheit dieser Generation.

Gescheitert

Dass die Techniken, mit denen ich die kleineren Blätter bisher bearbeitet habe, nicht direkt auf größere Formate übertragbar sind, war eigentlich klar. Dennoch bin ich überrascht, dass ich genau diesen Fehler nicht vermeiden konnte und so mit dem ersten Versuch gescheitert bin. Es lässt sich nun nur abwarten, wie mir das Blatt, an dem ich zwei Tage gearbeitet habe, in einiger Zeit vorkommt, ob ich es später mit neuem Schwung retten kann. Zunächst aber ziehe ich mich wieder etwas zurück, rolle das Blatt zusammen und widme mich einem anderen Thema innerhalb der „Biografie“.

Eine ganze Zeit hing eine zarte Bleistiftzeichnung im Raum, die bei längerem und näherem Hinsehen immer stärker wurde. Es handelt sich um zwei übereinander gezeichnete Portraits. Gerne würde ich erst einmal diesem Ansatz weiter folgen, um dann damit vielleicht auf ein größeres Format zu wechseln. Diese Zeichnungsstrukturen lassen sich für ein größeres Blatt einfacher gefügig machen. Mit den Frottagen im größeren Format bin ich zunächst gescheitert.

Bei den Buchmalereien tritt die Dominanz der Verwischungen langsam zurück. Konkrete Formen werden wichtiger, so wie klare Erinnerungen, oder die scharfen Bilder, die man von ihnen im Kopf hat.

Kunstschule heute – dafür möchte ich was einfacheres Kochen, damit wir mehr Zeit zum Arbeiten haben.

Vergrößerung

Am Vormittag bin ich mit viel Schwung aus dem Klang des Außen, wie ich ihn durch die offenen Fenster hineinwehen hörte, an ein größeres Format im Atelier gegangen. Das etwa zweiundsiebzig Zentimeter breit liegende, etwas stärkere Transparentpapier schnitt ich auf einen Meter Länge. Per Rückprojektion zeichnete ich das jugendliche Portrait meines Vaters darauf. Dazu stellte ich eine Linie aus der 35. Zeichnung vom 19.06. 1997, die quer nun über die Stirnpartie verläuft. Die weitere Arbeit verlief nach dem Muster der vorangegangenen Blätter. Das derzeitige Stadium zeigt nun eine Variante des Themas, die noch unbefriedigend erscheint und deswegen auf eine Weiterarbeit daran wartet.

Die Vergrößerung der gefundenen Arbeitsschritte gelingt kaum 1:1. Bei der Vervollständigung muss ich mir also etwas Neues einfallen lassen. Vielleicht kann ich die Frottagen in mehreren Schichten mit unterschiedlichen Materialien auftragen und die Tuschesegmente von der Rückseite her noch mal verstärken. Eine längere, ruhige Beschäftigung damit wäre mir angenehm.

In der Schirn sahen wir eine Reihe von neuen Bildern des Malers Daniel Richter, der die Reihe „Hello, I Love You“ nannte. Kompositionell sicher stellt er die flächigen Elemente routiniert in die gleichen, serienhaften Formate. Das kommt bunt, groß und laut daher, geht mir nicht unter die Haut. Wir blieben etwas über eine halbe Stunde inmitten der vielleicht fünfundzwanzig Bilder. Aber hinter dem Marktschreierischen interessierte mich der Schritt von der Körperlichkeit zur Abstraktion.

Klang des Außen

Die Auflösung der Rasterportraits durch die Einbeziehung von Strukturen wie die Synaptischen Kartierung oder die Freistellung und Überlagerung älterer Zeichnungslinien, spendet der Arbeit eine neue Atmosphäre. Die Abwendung vom Gegenstand schafft durch seine Abwesenheit die Existenz einer neuen Realität. Das Abstrakte wird real.

Die Existenz der Synaptischen Kartierung auf dem Blatt auf das ich das Rasterportrait meines siebzehnjährigen Vaters zeichnen werde, gibt die Grenze vor, bis zu der ich die Rasterpunkte ausfüllen will. Eine klare Linie, die nirgendwo anders auf dem Blatt gezogen werden kann. Ein natürlicher Vorgang der Fragmentierung.

Ein Äquivalent zu dem Gefühl, dass da etwas geschieht, das seine natürliche Richtigkeit hat, finde ich in dem Zitat einer Aussage von Bob Dylan in Erinnerung an die Produktion des Albums „Highway 61“:

Es ist der Klang der Straße mit den Sonnenstrahlen, wenn die Sonne zu einer bestimmten Zeit auf eine bestimmte Gebäudeform scheint. Ein bestimmter Typ Mensch läuft auf einer bestimmten Art von Straße entlang. Es ist der Klang des Außen, wie du ihn durch die offenen Fenster hereinwehen hörst.“

In dieser Weise zerfallen die Rasterstrukturen, Frottagen, Linien und Verwischungen und bilden eine neue Form.

Spur der Väter

Auf den Spuren der Väter blieb ich gestern an der Textzeile hängen, die sagt, dass wir Helden sein können für nur einen Tag. Ich zeichnete das Portrait meines Vaters im Alter von 16 Jahren von der Fotografie inmitten der Lehrlinge, die vorhatten Zimmerleute zu werden. Quer über sein Gesicht verlief die freigestellte Linie der 65. Zeichnung der Serie „Medea Stimmen“, die dann wie auch vieles der Tuschezeichnung von der folgenden Synaptischen Kartierung wieder verwischt wurde.

In diesen komplizierten Arbeitsschritten werden die konkreten Dinge immer wieder zugunsten eines fragmentierenden Zweifels ins Vage versetzt. Zu vieles verflechtet sich zu einem dichten Netz, als dass es klare Aussagen geben könnte.

Als zweite Zeichnung entstand mein Kinderportrait mit einer Linie aus der 35. Medeazeichnung vom 19.06. 1997. Mir scheint es nun logisch, die drei Portraits der Männer der drei Generationen übereinander zu legen. Vielleicht finde ich Bilder in ähnlichen Lebensaltern.

Die Förster wissen, dass die Waldböden trotz der wochenlangen Regenfälle noch nicht genügend durchtränkt sind, dass der Grundwasserspiegel das gewohnte Niveau noch nicht erreicht hat.

Fingers are crossed

An diesem Morgen sehen die neuen Videos von David Bowie gespenstischer aus, als sie bei ihrem Erscheinen gewirkt haben müssen. Sein Tod heute rückt dies alles in ein anderes Licht.

Das Surrealistische wirkt real.

Lange hat mich sein Werk begleitet. Das etwas nostalgische Album „The Next Day“ war mir wegen seiner Berlinbezüge nahe. Hab ich oft gehört: „Fingers are crossed, just in case“, ein Handlung aus einem Gefühl, das ich auch immer noch habe, wenn ich die ehemalige Grenze überquere. Dass seine neue Platte vor drei Tagen, zu seinem neunundsechzigsten Geburtstag erschienen ist, mutet wie eine letzte Inszenierung an. Die Musik ist mit Jazzelementen verbunden und wird sicherlich als sein Vermächtnis gedeutet.

Man kann nun nur zu seiner Arbeit zurückkehren und weitermachen.

In einer Ausstellung des Archäologischen Museums sind mir wieder Felsgravuren über den Weg gelaufen. Sie erzählen von Jagdpraktiken und Bärenkult im Schamanismus animistischer Nordvölker. Von Gletschern glatt geschliffene Felsen oder plane Flächen von Felsabbrüchen ziehen solche Abbildungen oft nach sich. Es handelt sich meist um die Aufzeichnungen von gelebten Weltbildern nomadisierender Völker.

Routine

Im Atelier ein sonniger Sonntagmorgen. Die vorvergangene Nacht, als die Temperatur auf um die Null sank, hat die Kapuzinerkresse im Gärtchen vor der Tür gerade so überlebt. Die Blätter stellten sich senkrecht auf, um auf irgendeine Art dem drohenden Frost zu widerstehen. Nun wenden sich wieder dem Licht zu. In der nächsten Zeit aber, werden sie im Frost in sich zusammenfallen. Dann bleibt nur, auf das nächste Frühjahr zu warten, wenn die Samen neu aufgehen.

Nach wie vor interessieren mich die kleinen Transparentpapierblätter mit den Frottagen, Rasterpunkten und den alten durchgezeichneten Zeichnungsfragmenten. Im Umgang mit diesen Elementen entwickelt sich langsam eine gefährliche Routine. Dagegen hilft, sich mit neuen Techniken um diese Motive zu bemühen.

Durch ein Glas mit stark verdünnter Tusche, das auf dem Zeichentisch steht, hat sich die Farbigkeit der aktuellen Buchmalereien verändert, weil ich die Aquarellstiftzeichnungen mit diesem eingefärbten Wasser verwische.

Am Morgen dachte ich darüber nach, die Rastermotive in Reliefs umzusetzen. Die Punkte würden als Vertiefungen erscheinen und erst bei Streiflicht voll sichtbar werden.

Schritt nach außen

Mit Klammern an einem Regalbrett befestigt, hängen meine Radierung „Selbst mit Medea“ und das Rasterportrait meines fünfzehnjährigen Vaters nebeneinander. Zwei etwas über dreißigjährige Abschnitte bis heute. 1951, 1983 und 2016.

Die Abformung des Kreuzstabträgerreliefs, die schon weiß grundiert war, habe ich nun mit meinem Kinderrasterportrait übermalt. Die Linien des Reliefs habe ich dabei freigelassen. Um ein Gleichgewicht zwischen den Rasterpunkten und den vertieften Linien hinzubekommen, hatte ich Stück für Stück den ganzen Nachmittag zutun.

Nun steht es im augenblicklichen Zustand in einem meiner Fenster, damit ich es aus großer Ferne betrachten kann. Im Abstand von fünfzig Metern stellt sich ein vages Portrait her, das sich im Näherkommen langsam auflöst. Das liegt an den Relieflinien, die dann langsam in den Vordergrund treten und die Gegenständlichkeit immer mehr beeinträchtigen.

Soweit ist erstmal alles gut. Aber spätestens am Montag will ich die vertieften Relieflinien auf den hellen Flächen auch eindunkeln, sodass sie auch aus der Ferne gegen die Rasterpunkte eine Chance haben. Somit bewegt sich die Arbeit langsam aus dem Atelierraum heraus, um schon eine Wirksamkeit zu probieren, die mir jetzt noch nicht ganz klar ist. Ein selbstverständlicher Schritt nach außen.

Neue Verbindungen

Neuerlich tauchen wieder vermehrt Dreiecksgitterkonstruktionen in meinen täglichen Buchmalereien auf. Sie sind räumlicher, mit sich kreuzenden Linien gezeichnet und sehen aus wie die Schatten meiner geschweißten Gitterobjekte. Die Zeichnungen reflektieren das Nachdenken über die Konstruktionen, die ich für das Biografieprojekt geplant habe. Gerade stellt sich eine Gedanke ein, der sich in der Nacht mit der Verbindung von Rasterportraits und Dreiecksreliefs beschäftigte. Was passiert, wenn ich ein Rasterportrait auf ein abgeformtes Reliefdreieck projiziere? Gleich könnte ich beginnen, das auszuprobieren, denn Reliefs sind genügend vorhanden.

Ein weiterer Schritt wären Ornamente, die sich in Reliefs aus den Wanderungslinien einzelner Migranten zusammensetzen, über die man dann ihre Rasterportraits legen kann. Etwas simpel vielleicht, illustrativ, ausgedacht. Dazu gehört noch eine Portion Ungewissheit mit Zufällen und handwerkliche Entdeckungen.

Die sechs hochformatigen Rechtecke, in die ich gestern mein Kinderportrait geteilt zeichnete, hängen jetzt in den Scheiben meiner Oberlichter. Von außen wirken sie besonders gut aus der Entfernung, wenn die Sonne untergegangen ist und sie von hinten beleuchtet sind. Jetzt aber steigt die Sonne über die Dächer und stellt die umgekehrte Situation her.

Penthesilea

Michael Thalheimer hat aus Kleists „Penthesilea“ am Schauspiel Frankfurt ein Dreipersonenstück gemacht. Diese Konzentration geht auf, weil er in Constanze Becker eine hervorragende Hauptdarstellerin hat, weil das Bühnenbild mit seiner nach hinten perspektivisch spitz zulaufenden extremen Bühnenschräge Dreieckskonstellationen möglich macht, die punktuell genau ausgeleuchtet, zu dramatisch zugespitzten Konstellationen in Bildern führt. Penthesilea wird in vielen Facetten ihrer Widersprüchlichkeit gezeigt, wodurch sie eine Spannung aufbaut, die weit in den Zuschauerraum hineinwirken kann. Am oberen Ende der Rampe hockt am Anfang halbnackt und blutverschmiert die Hauptfigur, wie ein mythologisches Echo matriarchalischer Gesellschaften.

Auf dem Zeichentisch liegt meine Kaltnadelradierung „Selbst mit Medea“ aus dem Jahr 1983. Ich beschäftigte mich damals mit den starken Frauenfiguren der Antike – Medea, Kassandra und Penthesilea.

Nach langem Anlauf begann ich nun mit der Vergrößerung meines Kinderportraits. Zunächst zeichnete ich die Rasterumrisse mit Bleistift auf sechs rechteckige Hochformate, die ich aus stärkerem Transparentpapier geschnitten habe. Dafür richtete ich die Projektion so darauf aus, dass sie alle sechs Rechtecke ausfüllt. Sie passen genau in die Scheiben meiner Oberlichter. So werde ich das Motiv bald aus großer Entfernung von draußen aus sehen können.

Gruppenfoto

Aus dem Gruppenfoto der Zimmermannslehrlinge von 1951 habe ich das Portrait meines Vaters herausgelöst, stark vergrößert und gerastert. Durch fehlende Druckertinte kam es beim Ausdruck auf A4 zu weißen Querlinien, die bei näherer Betrachtung wie ein Barcode aussehen. Und bei genauerem Hinsehen, entpuppt sich die Baskenmütze als eine ausladende Haartolle des Sechzehnjährigen. Mit den Ausbildern zusammen, sind dreiundzwanzig Personen abgebildet. Sie stehen auf einer Freifläche mit einem Schotter- oder Kiesboden, auf dem hinter ihnen, wie Gleise ausgerichtet, lange Balken liegen. Die Bäume weit hinten, am Rand der Fläche sind unbelaubt. Die jungen Männer waren am Ende des zweiten Weltkrieges für den regulären Militärdienst zu jung. Sie sind noch einmal davongekommen.

Ihre Kleidung besteht aus spitzkragigen Hemden, gemusterten Pullundern, weiten Hosen und klobigen Sakkos. Der Himmel ist weiß. Entwickelt wurde die Fotografie bei Wego-Foto in der Kurstraße 73, wahrscheinlich in Brandenburg. Die Adresse fand ich auch auf Google Earth.

Die Menschen, die mich aus diesem Bild heraus anschauen, machen einen stabilen Eindruck. Die Gruppe aus dem Jahr 1962, zwischen der ich als Jungpionier stand und mit der ich mich zuvor beschäftigte, schaut eher unsicher, verängstigt und etwas getrieben drein.

Siebzig Meter Abstand

Etwas spät aber entspannt im Atelier. Die Tagebucharbeiten, d.h. Datei und Blog sind zu aktualisieren. Indem ich das auf den neuesten Stand bringe, arbeite ich mich langsam wieder ein.

Kann mich nun wieder der Biografiearbeit zuwenden und dabei meinem Verlangen nach größeren Formaten nachgehen. Gerne würde ich die Rasterportraits in einer Auflösung zeichnen, die erst in einem Abstand von zwanzig Metern erkennen lassen, was hier dargestellt ist. Ich könnte das in den Oberlichtscheiben des Ateliers realisieren, auf die ich aus einem Abstand bis zu siebzig Metern schauen kann. In diesen groben Auflösungen kann auch eine Chance für die kleineren Formate liegen,

Schon vor etwa sechsunddreißig Jahren habe ich versucht mit einem Holzschnittraster etwas zu entwickeln, das ich als erzählerische Methode bei Christa Wolf entdeckt hatte. Dabei ging es um nicht linear erzählte Geschichten. Ich wollte eine Serie von Holzschnitten anfertigen, die alle einzeln ihre Motive haben und zu einer Bildergeschichte gehören, aber zusammengesetzt ein größeres zusammenhängendes Bild zeigen. Es wäre nun sicher möglich, ein großes Rasterportrait aus verschiedenen Blättern zusammenzusetzen, die in sich eigene Verbindungen zu anderen kleineren Zeichnungen besitzen.

Außerdem kann sich das auch mit den Dreiecksgitterarchitekturen fürs Museum verbinden…

Dieselaggregate | Blutrausch | Eno

Die Dieselaggregate der großen Netzknoten in der nächsten Nachbarschaft laufen beruhigend gleichmäßig. Manchmal treten in den Schichten der tiefen Tonrhythmen Interferenzen auf, die mich an meine Überlagerungssequenzen auf den Transparentpapierrollen erinnern und an die beharrliche Arbeit an diesen unveräußerlichen Konvoluten. Die Unveräußerlichkeit schaffte eine Unabhängigkeit.

In einem Blutrausch tötete ich gestern fast alle Winterfliegen mit sicherem Killerinstinkt, die aus meinen Pflanztöpfen krochen und mir auf die Nerven gingen. Manche Jahre ließ ich die eine, die sich in mein Atelier gerettet hatte, in Ruhe überwintern. Woher kommt diese Vermehrung?

Im Museum für Angewandte Kunst sahen wir gestern eine Ausstellung von Lichtobjekten von Brian Eno. Er kombinierte die Bilder mit sparsamer Musik, ohne die die ganze Installation nicht funktioniert hätte. In Lichtkästen waren Linien angeordnet, die Grenzen zu verschiedenen Farbfeldern markierten. Diese Flächen veränderten ihre Farben sehr langsam und nuancenreich. Auf großen Sitzkissen konnte man diesem Geschehen folgen, hören und sich darin entspannen.

Zwei Etagen weiter oben, wo es um das Verbergen ging, kam der Kurator schon eher zur Sache, d. h. kam schneller auf den Punkt. Gegenstände und ihre wahren oder gemutmaßten Geschichten waren zu einer schönen Schau geordnet.

Genauere Betrachtung

Endlich wieder im Atelier. Schon träumte ich davon in der Nacht, wieder hier zu sein, um die skulpturale Arbeit fortsetzen zu können.

Gestern war ich nur kurz hier, um die Pflanzen zu wässern, die sich mit großen Blättern dem spärlichen Licht entgegenstrecken. Schon da sahen mich die Blätter mit ihren Selbstportraitaugen an, die durchbrochen werden von freigestellten Linien der vielen verschiedenen Zeichnungen der Vergangenheit.

Zunächst aber verändern sich wieder kontinuierlich die Miniaturmalereien in dem aktuellen Aufzeichnungsbuch. Frottagen, Umrisslinien und Schleifenschwünge treffen sich auf den zwei Seiten, die jeweils für einen Tag reserviert sind. Vielleicht könnte ich auch schon diese Linien in die Rasterportraits mit einfügen.

Für die Biografiearbeit ist nun wieder neues Material im Atelier neben mir auf dem Bücherregal aufgestellt. Es gibt da eine Fotografie meines Vaters in einer Gruppe von jungen Männern, die zu Zimmerleuten ausgebildet werden. Er trägt eine Baskenmütze schräg auf seiner Frisur. Der einzige mit einer Kopfbedeckung, in einer Künstlerpose. Seht, ich bin eigentlich ein Holzbildhauer. Das ist ein neuer Aspekt, der genauere Betrachtung benötigt.

Dünne Tinte

Für diesen Jahreswechsel habe ich mir die Tinte zu stark verdünnt. Eigentlich mache ich das nur, damit die Schrift nicht hinter den Zeichnungen von der anderen Seite her durchschlägt, was das Scannen etwas schwieriger macht.

Ich frage mich in diesem Zusammenhang, wie lange diese Schrift, die ich gerade schreibe und die in den hundert anderen Büchern, lesbar bleiben wird. Wann wird man verlernt haben, sie zu entziffern?

Die Reihe von Selbstportraits werde ich fortsetzen. Immer mal beschleicht mich ein ungutes Gefühl, was diese ganzen Arten von Selbstdarstellung betreffen. Aber aus ihnen hoffe ich mehr zu erfahren, wie ich mich im Verlauf der Zeit verändere.

Oh Fortuna

Das Rad der Fortuna rhythmisierte die letzte Nacht des Jahres. Und jetzt am ersten Morgen des neuen geht es unaufhörlich seinem Kreis in Fließrichtung des Baches. Ab und zu leuchtet die Sonne durch die Nebel, als wolle sie zu einem Neujahrsspaziergang verleiten.

Zwischen den schrägen, aus Brettern getischlerten Holzkanälen der alten Mühle, stehe ich manchmal etwas unsicher auf meinen Beinen. Die vielen Diagonalen drängen den verlässlichen waagerechten Horizont in eine ungewisse Ferne. Der Raum strahlt Betriebsamkeit aus, ja Unruhe.

Nachhausekommen

Die gestellte Fotografie meines Großvaters mit seinem Gegenüber, bündelt viel Energie in den Blicken auf die Linse der Kamera. Die längere Belichtungszeit machte eine gewisse Konzentration auf das Stillhalten notwendig. Um spärliche Spalierleisten ist papierenes Weinlaub gerankt. Auf dem Tisch fremde Gläser mit keinem landesüblichen Inhalt – Berliner Weiße in Grinzing?

Direkt vor dem Fenster, durch das ich schaue, dreht sich das Mühlrad der Kaisermühle. Ein Rückzug in die Stille, Flucht vorm Geknalle der Stadtmenschen, die ihre bösen Geister durch Lautstärke loswerden wollen. Das Wasser, das auf die Lamellen fließt, erzeugt ziemlich genau den vorantreibenden Rhythmus von „Oh Fortuna“ aus der „Carmina Burana“ von Carl Orff.

Ich denke an einige Anwesen wie dieses, die ich öfter besuchte und die bei wiederholtem Besuch, in unterschiedlicher Intensität, das Gefühl eines Nachhausekommens zu erzeugen in der Lage waren. Das gilt für Warften auf Nordseeinseln oder für Bergbauernhöfe in Südtirol. Wesentlich trug aber immer ein Familienkontakt dazu bei, der in der Regel mit den Wirtsleuten geknüpft wurde.

Hier im Pfälzerwald kann man nett unterwegs sein. Felsen, Ruinen oder Aussichtstürme sind die Wanderziele, deren Wege von den Gasthütten mit großen Weinschorlen und deftigem Essen gesäumt sind.

Kurze Zeitspanne

Es ist, als sei zwischen dem vorletzten Tag des vergangenen Jahres und dem heutigen nur eine kleine Zeitspanne verstrichen.

Jetzt schaue ich auf die kahlen Bäume der Frankenallee. Wo früher die Horizontlinie des Taunus hindurchschimmerte, sind nun die oberen Geschosse der Häuser, die sich stufenweise mit ihrer Traufhöhe zu denen auf der Idsteiner Straße senken, zu sehen. Diese Abstufungen sind Ergebnis unserer Anträge einer Bürgerinitiative zur Ergänzung des Bebauungsplanes des neuen benachbarten Viertels vor fünfzehn Jahren. Ein quälender, basisdemokratischer Prozess war das. Es hat sich aber gelohnt, weil noch viele andere Eckdaten, die wir durchgesetzt haben, das Zusammenwachsen des alten und neuen Stadtteiles nun begünstigen.

Ein weiteres Foto, das ich gestern aus Haina mitgebracht habe, zeigt mich, neben einer Picknicktischdecke im Gras auf einer Waldlichtung liegend. Nach meinem Alter und Aussehen zu schätzen, war das während eines Urlaubs von meiner Militärzeit. In der rechten Hand halte ich ein Glas und schaue im selben Winkel in die Linse, wie mein Großvater auf dem älteren Bild. Ich glaube sogar eine Ähnlichkeit zu erkennen.

Der Großvater

Die Sonne durchdrang schöne Nebellandschaften auf einer widerspenstigen Fahrt nach Thüringen. Auf der Rückfahrt Dunkelheit, hohe Geschwindigkeiten um mich herum, blendende Scheinwerfer, Lärm, Jagd, Lebensgefahr.

Gestern ließ ich hier Im Atelier los, arbeitete nur am Arbeitstagebuch und am Blog.

Heute bin ich erst am Abend hier. Auf dem dreieckigen kleinen Tisch liegt eine Fotografie meines Großvaters väterlicherseits. Der leibliche Vater meines Vaters. Das Bild ist bei einem Fotografen aufgenommen. Zwei Männer sitzen sich an einem Gasthaustisch gegenüber. Sie tragen große grobe Anzüge und haben sonnenverbrannte Gesichter.

Der Mann war unterwegs und ward nie wieder gesehen. Er zog mit einem Handwagen, auf dem sich ein Modell des Kölner Domes befand, durch die europäischen Länder. Auf den Märkten erzählte er den Menschen der Städte etwas über das deutsche Bauwerk.

Hinter dem Tisch hängt auf der Fotografie ein Prospekt des Wienerwaldes und auf einer schrägen einkopierten Banderole steht „Grinzing bleibt Grinzing“. Es lohnt sich, sich etwas genauer mit der Fotografie zu beschäftigen.

Sonntag | Eisenach

Eine Theatervorstellung, die 18 Uhr anfängt, ist nicht wirklich wichtig. Sie ist mit dem abendlichen Ausgehen am Sonntag arrangierbar. Ein Drink nach der Vorstellung Reicht nicht mehr. Es muss opulenter zugehen. Die Vergnügungen werden ausgeweitet, weil das Geld locker sitzt. Die letzten Stunden der Flucht vor dem Arbeitsalltag der neuen Woche werden hysterischer. Dafür braucht man mehr Zeit.

Dabei geht es beim Theaterpublikum sicherlich noch zurückhaltender zu, als bei denen, die sich das ganze Wochenende in einer einzigen Party befinden, die sie aufgeputscht überstehen, ohne dabei an den Montag zu denken. Die eigene Mittelmäßigkeit zu überwinden, ist Grund zum Feiern genug. Die barocken Formen der selbstbezogenen Inszenierungen in den sozialen Netzen befeuern das Ganze.

Ab 18 Uhr sahen wir in den Kammerspielen der Schauspiels Frankfurt das Stück „George Kaplan“ des französischen Dramatikers Frédéric Sonntag in der Regie von Alexander Eisenach. (Erinnerung an einen Sonntag in Eisenach während eines Kurzurlaubes von den Grenztruppen der Deutschen Demokratischen Republik. Ein Hotel an einem Platz mit hohen alten Bäumen und einem funktionslos gewordenen Stadttor. Ragout Fin und Kadarka zum Abendessen.) Die surrealistische Inszenierung rettete den Text mit Klamauk vor der Peinlichkeit. Sehr nahe Videolaufnahmen schafften die notwendige Ferne zum Inhalt und somit einen vergnüglichen Theaterabend.

Größere Blätter

Im Inneren des Ateliers, hinter den Scheiben der Rolltore, treibt der Dschungel größere Blätter in das wenige Licht der Jahreszeit, die das Geflecht des Wintergartens verdichten. Eine Winterfliege summt zwischendrin herum. Ich zerstäube Wasser, gieße die Erde in den Töpfen, zupfe Unkraut heraus und hätte gerne etwas mehr Zeit für die Pflanzen. Ihre Pflege macht ruhig.

Auf der einen Seite werden die Buchmalereien derzeit durch die Benutzung der großen Graphitstifte wilder und gestischer, soweit man das Wort für so kleine Formate in Anspruch nehmen kann. Mit der Reduzierung der Farbpalette auf zwei Ockertöne, Karmesin, Olivgrün und Indigo, tritt gleichzeitig ein ruhigeres Temperament auf. Dadurch entsteht zwischen den Linien und den Farben eine neue Spannung. Die frottierten Ringe der Muscheln korrespondieren mit den Gravitationsschwüngen, die ich mit den Aquarellstiften zeichne. An den Kreuzungen der Bögen treten manchmal Punkte auf, die sie markieren und betonen. Alle Strukturen werden aber, zumindest teilweise, auch verwischt.

Gestern Abend sah ich vom Grünstreifen der Frankenallee aus mein gerastertes Kinderportrait aus einem Abstand von vielleicht zwanzig Metern im erleuchteten Zimmer hängen. Es sah gestochen scharf aus. Das macht mir nun Mut, wieder mit größeren Blättern zu beginnen, um zu schauen, was in ihnen steckt.

Scharfkantige Ringmuscheln

Wilde Malereien Gestern. Vielleicht kann ich ihnen in den Büchern mehr Platz einräumen. Dafür sollten die Texte schrumpfen, was mir entgegen käme.

Nach den Nebeln und den Regengüssen gestern, ist der Himmel an diesem Morgen klar. Ich könnte den Tisch rausstellen, um neben der Eisentür zu arbeiten, die von den Sonnenstrahlen ganz heiß geworden ist.

Seit einiger Zeit schon arbeite ich auch mit Frottagen in den Büchern. Das bringt in das wabernde Farbwasser etwas mehr Konkretion. Gleichzeitig aber wird das Papier malträtiert. Wenn ich unter die feuchten Seiten scharfkantige Ringmuscheln lege und mit einem festen Graphitstrang darüber schraffiere, stoßen die Reißfestigkeit und Oberflächengeschlossenheit der Bögen an ihre Grenzen. Aber in diesen Grenzbereichen fühle ich mich deshalb wohl, weil in ihnen eine Weiterentwicklung der Ideen möglich ist.

Im Gärtchen wächst und blüht noch die Kapuzinerkresse. Insekten fliegen herum wie in den Subtropen.

Rufe der Eisenbahnsaurier

Neblige Berge, regnerische Autobahnen durch das seltsame Ruhrgebiet. Weihnachtsbesuche in den Landschaften nordwestlich. Etwas benommen sitze ich nun im Atelier und versuche mich zu konzentrieren – nur worauf? Auf mich? Mein brüllendes Kopfgeräuschuniversum? Mein körperlicher Zustand nach sechsunddreißig Stunden Sitzen und Essen und mein geistiger Zustand sind keine beschreibenswerten Gegenstände. Ich sinke auf den einarmigen Bürostuhl, schenke mir einen Weißwein ein und lausche den Rufen der Eisenbahnsaurier in ihrem Gleisdschungel.

Ich habe nicht das Gefühl arbeiten zu müssen, denn es arbeitet. Dieses Neutrum in mir versucht Bewegungen zu kombinieren, die summend unter der Haut ihre Bahnen erhitzen, Gelenke spürbar mit Sehnen verdrehen. Der Puls sitzt hinter den Augen und verbindet sich mit dem Technosoundcheck für eine afrikanische Weihnachtstanzparty in der kommenden lauten Nacht. Die Bässe wandern durch meinen Körper, über Teves West und das Wohngebiet der Lahnstraße.

Nun bin ich nicht mehr auf Gedeih und Verderb diesem Lärm ausgesetzt, sondern kann, wenn ich meine Texte und Buchmalereien gemacht habe, nach Hause gehen.

Dschungel

Am Morgen des Heiligen Abends sitze ich etwas spät an meinem Tagebuch und blicke dabei in meinen Dschungel, den ich nachher noch wässern muss. Es herrscht ein schönes mildes Licht, wie von Goldstaub durchsetzt, dessen Farbe von den Transparentpapieren an den Scheiben herausgefiltert wird.

In der gestrigen Zeichnung, deren vorläufige Gestalt am Vormittag entstanden ist, finden sich die gestern beschriebene Linie aus der Serie von Zeichnungen zu „Medea Stimmen“ und mein Rasterselbstportrait als Kind zusammen. Die Spannung der Zeichnung rührt von verschiedenen Elementen her. Einerseits gibt es die spielerische, leichthin schwingende, freigestellte Linie in dem starren Fotoraster. Und außerdem steht das strenge, kontrastreiche Punktraster im Gegensatz zu dem Inhalt, das es zeigt, nämlich ein weiches, verlegen glühendes Kindergesicht.

Ich werde mich beim weiteren Durchblättern der Zeichnungen nach solchen Linien umschauen, die ich gerne verdichten würde, indem ich sie in andere inhaltliche und zeitliche Zusammenhänge stelle.

Heute kommen mir die Zeichnungen wieder stärker vor, als gestern. Nummer 63 ist beispielsweise eine ziemlich dichte, dynamische Komposition, bei der die aufscheinende Gegenständlichkeit von Figuren und eines Bäumchens auf der linken Seite nicht stören.

Zeitschluchten | neun vage Blätter

Viele Zeichnungen sind gestern entstanden. Oben sieht man ein Rasterportrait über der New York Frottage, deren Linien ich beim Zeichnen des Rasters frei gelassen habe. Zwischen den Schichten tun sich so die Zeitschluchten auf, die sie verbinden. Die gravierten Linien sind Canyons, in denen das Schichtholz die abgelagerten Jahre illustriert.

Aus dem Zyklus der Zeichnungen zu „Medea Stimmen“, suchte ich die allerletzte mit der Nummer 65 heraus. Sie besteht aus nur einer Linie, die sich wie Schrift von links nach rechts bewegt. Dabei umschreibt sie verschiedene Figurationen als Negativ- und Positivform und endet in einem kleinen zackigen Gewusel. Wahrscheinlich ist das die beste Zeichnung, weil ich sie nicht zu Ende bekommen habe. Nun im Atelier verwendete ich die Linie mehrfach, wodurch sie ihr Eigenleben beginnt. Sie tritt aus dem engen Bühnenkasten heraus, vervielfältigt sich zwischen den Frottagen der Jutefäden, führt zu einer Sequenz von Überlagerungen, wie auf den Transparentpapierrollen und entwickelt so das Potential, zwischen den Zeitebenen des Biografieprojektes zu vermitteln.

Beim Sichten der anderen Zeichnungen, musste ich meine Einschätzung von der Eigenständigkeit der Reihe revidieren. Immer, wenn die Motive einen bestimmten Grad der figürlichen Konkretheit überschreiten, schwächen sie, aus meiner jetzigen Perspektive, die Kompositionen. Neun dieser vagen Blätter, mit denen ich weiterarbeiten kann, notierte ich mir. So versuche ich das Material zu verbessern.

Eigenständigkeit

Die Sommerblätter des alten Zitronenbaumes aus Skoutari fallen auf den Betonboden, und nach oben hin treibt er, wie in jeden Jahr neue große Blätter, die im Frühjahr, wenn ich ihn wieder hinausstelle, schnell gelb werde und abfallen.

Die Malereien gingen heute sehr schnell. Sie kommen dann meistens sehr kompromisslos daher, und ich habe Skrupel, sie in die täglichen Collagen einzufügen. Das tat ich aber mit dem Rasterportrait, das ich noch mal kleiner ausgedruckt hatte, um es in die Frottage der New York Gravur einzufügen.

Vielleicht kann ich heute diese Frottage mit einer Felsgravur aus Twyfelfontein kombinieren, deren Ort in der Nähe der Hügel von Khorixas, den anderen Pol meiner Landschaftserfahrungen bildet.

Am Morgen blätterte ich in den alten Mappen. Dabei fielen mir Kopien der Zeichnungen zur Bühnenfassung von „Medea Stimmen“, 65 Blätter von 1997, in die Hände. Diese Arbeit, die ich damals eher als ein Anhängsel der Arbeit von Christa Wolf und Wolfgang Engel betrachtete, hat im Abstand eine Eigenständigkeit erlangt. Diese rührt von den Lahrzehnten her, die ich auf Probebühnen zeichnend zugebracht habe. „Figur im Raum“ ist aber mittlerweile ein Biografiethema geworden.

Genau vor drei Jahren

Genau vor drei Jahren, das konnte ich gerade nachlesen, wurde ich durch ein Bühnenstück am Schauspiel Frankfurt an meine Kindheit als Pionier erinnert. Damals fügte sich langsam das Biografiethema als Vorhaben zusammen. Gleichzeitig spürt man bei diesen Aufzeichnungen, dass sie am Schreibtisch in der Frankenallee entstanden. Das Fensterformat war gefüllt von den Geschehnissen in den Bäumen und darunter.

Auch jetzt kann ich den kleinen dreieckigen Tisch zu den Atelierfenstern hin drehen. Nahe steht er an dem Bürostuhl, der nur noch die eine Armlehne hat, auf der der Schreibarm ruht. Auf der linken Seite kann der Tisch ganz nahe an mich herangezogen werden, sodass ich eine ideale Schreib- und Zeichensituation für ein Buchformat habe.

Vor drei Jahren füllte enge Schrift mit geringen Zeilenabständen die Blätter des handschriftlichen Tagebuches. Die Buchmalereien jener Zeit erinnern an die, die ich in den letzten Tagen gemacht habe. Keine Gravitationsschwünge, nur Handballenabdrücke, Andreaskreuze verschiedener Farben, Verwischungen oder wildes Gekreisel.

Damals beschäftigten mich die Frankfurter Kraftfelder. Ihre Kombination mit dem Biografiethema geht mir derzeit durch den Kopf. Umrisse von Erinnerungsbildern und Rasterportraits gehen eine Verbindung ein und fügen sich zu Ornamenten zusammen, die über Dreiecksgitterarchitekturen laufen können.

Alter Wein

Zurückgezogen im Atelier, komme ich wieder zu mir. Die vertrauten Stadtgeräusche verschaffen Sicherheit und Gelassenheit. Von dem alten Weinlager im Keller der Frankenalleewohnung habe ich nun den letzten Schluck der vorletzten Flasche im Glas. Es ist ein Rotwein aus dem Jahr 1992, der immer noch ganz passabel schmeckt. Die Qualitäten waren durchaus unterschiedlich, aber alle trinkbar. Die letzte Flasche ist immerhin 30 Jahre alt.

Ich las gerade, was ich vor einem Jahr aufgeschrieben hatte. Die Atmosphäre war aufgeregter, einsamer und gleichzeitig ruhiger. Wie das geht? Die Stille der Einsamkeit kann auch aufgeregte Phasen in sich einschließen. Ich erinnere mich nun an das große Stadtgeläut, an die milden Temperaturen, wie jetzt und an das Winterblühen bestimmter Bäume.

Intensiv strapazierte ich gestern das Papier unter meinen Buchmalereien. Es wird, wenn es getrocknet ist dadurch steifer und scheinbar kräftiger, mit einer höheren Stabilität. Wild kreiste ich mit den Aquarellstiften in der feuchten Oberfläche unter ihnen, wischte sie immer wieder zusammen, um dann wieder zu kreisen.

Morgen, montags, wird mir die Arbeit wieder gut tun. Ich freue mich schon auf die Zeit nach den Feiertagen im neuen Jahr. Alles läuft derzeit etwas geordneter und gelassener ab.

Hinter den Augen Zikaden

Nun probierte ich den gestrigen Einfall, zwei Rasterportraits übereinander zu legen, vorsichtig aus. Zaghaft kreisende Bleistiftbewegungen, sind tastende Schritte in ein neues Areal. Schön langsam, vorsichtig und ruhig. Weil die Weihnachtsfeiern warteten, mit der Panzerbesatzung Waffeln gebacken werden mussten, kam ich noch nicht sehr weit und kann mich auf die Fortschritte in der kommenden Woche freuen. Aber einiges gelang schon leise.

Im Museum schöne Gespräche mit den Kolleginnen während der Weihnachtsfeier dort. Es gab Wein, Selbstgekochtes und Gebackenes.

Tieffliegender Hochnebel, flatternde Hubschrauber, Finsternis, Licht nur im Inneren des Ateliers und hinter den Augen, Zikaden im Kopf.

In der Frankenallee bauten wir an einer Lampe, die aus einem großmaschigen Metallgitter besteht, das etwa zehn Zentimeter unter der Decke hängt. Löcher in die Betondecke bohren ist eine Übung in Demut. Brauchte ich aber um Haken einschrauben zu können, die das Gitter halten. An ihm können nun allerlei geschliffene Glasbingelbongs aufgehängt werden, die wir schon gesammelt haben und in Zukunft auch noch sammeln werden. Das wird also ein etwas unkonventioneller Kronleuchter mit allerlei Glitzergetier.

Abwesenheit des Konkreten

Auch in den gestrigen Buchmalereien spielte die Holzgravur der NYC – Zeichnung eine Rolle. Teile des Motivs boten die Struktur für Frottagen, die ich mit den Aquarellstiften anfertigte. In mehreren Farbschichten schoben sich die Strahlen der Licht-, Wärme und Lärmquellen übereinander. Diese deutliche Konkretheit der Linien wurde dann von einer verwischten Wasserspur zurückgenommen. Deutliche Umrisse werden auf diese Weise immer wieder zugunsten des Vagen in den Hintergrund verlagert. Dieser Vorgang wiederholt sich täglich, findet aber auch in anderen Techniken seine Entsprechungen. Lineare Tuschzeichnungen die immer wieder leicht versetzt übereinander gezeichnet werden, verzehren sich irgendwann selbst. Die Schwärze, die sie aufnimmt ist aber nicht opak. Und beim genauen Hinsehen erscheinen die ursprünglichen Umrisse wieder. Der Haken dabei ist nur, dass niemand außer mir, genau hinschaut. Sollte ich dafür doch sorgen müssen?

Konsequent wäre, das ganze Werk verschwinden zu lassen, so wie ich im Frühjahr von 1984 tausend Zeichnungen mitsamt dem Tisch, auf dem sie lagen, verbrannte. Anne hat mir die Geschichte, die sie sehr geprägt hat, vor kurzem wieder erzählt.

Die Unwiederbringlichkeit dieser Arbeit, wertet aber die Blätter, die übrig geblieben sind auf. Größere Bereiche der Theaterzeichnungen haben die damalige Ausreise aus der DDR überstanden. Vieles, was ich in den Proben zu „Woyzeck“, „Dantons Tod“ oder während der Nibelungenproben gezeichnet habe, existiert noch in meinen Schubläden.

Hell, ruhig und sanft

Selbstportraits haben mitunter eine beruhigende Wirkung. Vor mir auf dem Tisch liegt eines, das ich gestern auf Transparentpapier gezeichnet habe. Zunächst legte ich einen Jutefaden, den ich aus einem Gewebe herausgelöst hatte, unter und frottierte das sich bewegende Fadenstück über die Mitte des Blattes hinweg. Das Raster eines Portraitausschnittes von 1960 habe ich dann über die ganze Fläche gezeichnet und mit einer weiteren Frottagenstruktur gefüllt. Dafür benutzte ich die CNC-Gravur einer Zeichnung in eine mehrfach verleimte Holzplatte. Die Vorlage selbst entstand 1999 in New York City. Strahlende Linien kommen von Licht-, Lärm, und Wärmequellen, während eine laufende Figur von rechts mit einer rätselhaften, wie von außen heranschwebenden Hand, den Raum betritt. Am rechten Ende des gestern entstandenen Blattes, strebt ein Fries von übereinander gezeichneten Antilopenumrissen aus Twyfelfontein die Bildkante hinauf. Als die danach aufgerollte Schelllackschicht getrocknet war, belegte ich von hinten, mit Aussparung der frottierten Gravurlinien und nur innerhalb des Rasters, die so übrig gebliebenen Felder mit schwarzer Tusche. Je nach Dicke der Lackschicht, treten die Graphitstrukturen mal stärker, mal weniger stark hervor. Dieses Selbstportrait beinhaltet nun einige Lebensschichten, die ich auf meine Weise reflektierte. Das beruhigt, wie etwas, was man erzählend los wird.

In dem Text, der im damaligen Tagebuch unter dieser Zeichnung steht, tut sich eine Polarisierung zwischen dem Times Square und den Hügeln von Khorixas in Namibia auf. Gleichzeitig beschwor ich die Flexibilität der eigenen Langsamkeit gegen das Tempo der Stadt. Das Thema behält seine Aktualität.

Gerade schrieb ich in mein Smartphone: Alles hell, ruhig und sanft.

Verwilderte Buchmalereien

Vor mir auf dem Tisch liegt eine kleine unscharfe Fotografie aus den Fünfzigerjahren. Sie zeigt mich in einer kurzen Trachtenstrickhose, ein Bäumchen schüttelnd, das nicht mehr als doppelt so groß war, wie ich. Der Ort ist mir unbekannt. Hinter einem großen Baum schaut, den Raum abschließend, eine gotische Fassade hervor. Ich möchte das Bild vergrößern und vielleicht rastern, um mich überraschen zu lassen, was daraus wird.

Die morgendlichen Buchmalereien verwildern etwas. Nichts ist auf Harmonie bedacht. Alles kreischt in den Fugen, oder springt aus der Gravitation. Die Farben sind von kaltem Feuer, die Strukturen unruhig.

Zwölf kleine Holzboxen, die ich gestern am anderen Ende der Stadt gekauft hatte, sollen die Grundstruktur für die nächste Ausstellung bilden. Ich möchte sie in eine Linie an die drei Wände der oberen Etage des Hauses im Haus hängen. Der Rhythmus ihrer Abstände soll sich auf Musik beziehen.

Der Einkauf dieser Boxen führte mich in den Feierabendverkehr auf eine der Ausfallstraßen der Stadt. Mehrere unvorhergesehene Dinge führten zu Verzögerungen, die den Zeitplan zum Kippen brachten, sodass ich für diese Aktion mehr als drei Stunden brauchte.

Ansonsten nichts

Manchmal, wenn ich nicht viel arbeite, greift die Stille nach mir. Und oft ist es angenehm, im Halbdunkel zu sitzen, von dem es jetzt so viel gibt, nur den Atem zu hören und zu spüren, dass mir das jetzt genügt. Aber es ist eine Anstrengung, das zu halten.

Die Gedankenwolkenfetzen des Jahresendes beginnen zu ziehen. Die ersetzen das unentschlossene Wettergeschehen. Die Tage sind zerfasert. Von Arbeitsvorhaben bleibt derzeit nicht viel.

Die Malereien von heute wirbeln wild. Dazwischen verblasen geradlinige Stürme die Konturen der Andreaskreuze.

Ansonsten nichts als Steuer, Materialeinkauf usw..

Kühles Wasserlicht

Montag.

Das Atelier nimmt mich auf. Die Tür öffnet sich in den stillen Raum meiner Arbeit. Die Bedeutung, die er für mich hat, lässt sich von mir nicht vollständig erkennen. Ich misstraue meinem Denken, glaube sie am ehesten in meiner Bilderarbeit auftauchen zu sehen. Sie eilt dem Denken voraus. Das Fühlen bildet sich konkret ab.

Transparentpapier hängt in einer der Fensterscheiben und verteilt die Himmelsfarben gleichmäßig und matt auf seiner Fläche. Meine Malereien konzentrieren Farben, indem ich sie mit dem Werkzeug der Haut meines Handballens zusammenschieben, druckend vervielfältigen und auffächernd auseinander ziehen kann.

Ein Glas Wasser am Morgen. Die Schattierungen des Vortages werden geklärt. Sonnenlicht strahlt direkt hinein. Ich kann es trinken, kühles Wasserlicht.

Im Städel schaute ich mir lange ein Bild von Courbet an. Eine weite Winterlandschaft hinter den Häusern einer Dorfstrasse. Auf den Hügeln unter dem Horizont ist der Schnee bereits von den Bäumen gefallen. Im Vordergrund wird er schon zu Matsch. Ein ganz und gar unaufgeregtes Meisterwerk.

Eigenleben der Farbe

Meine Produktion habe ich etwas verlangsamt, weil ich Zeit für andere Dinge benötige: Materialeinkäufe, Steuerunterlagen zusammenstellen… Dabei schaue ich zwischendrin auf ältere Zeichnungen zurück. Manche Phasen sind mir fremd. Aber schon 2006 werden Handlinienabdrücke sichtbar, Farbigkeiten beginnen sich zusammenzuziehen, werden mehrschichtiger und kompakter. Farbe beginnt dort ihr Eigenleben. Vorher war sie nur Illustration.

Am 21.03. 2000 entstanden acht figürliche Zeichnungen zwischen den Texten, die erstmalig farbige Linien aufwiesen. Die Feste Struktur mit drei Textabschnitten und drei Zeichnungen kam erst später. Die damaligen Texte reflektieren meine Bemühungen, Trixel Planet als Projekt in der Stadt zu etablieren. Das ist weniger spannend – aber die Zeichnungen sind es.

Am Montag wird das Filament geliefert, mit dem ich nun weitere Ausdrucke für die Ausstellung machen kann.

Der Besatzung des Kunstkettenfahrzeuges habe ich „Herzstück“ von Heiner Müller vorgelesen. Das will ich in der kommenden Zeit verstärken, um die Arbeit damit mehr zu konzentrieren. In den vergangenen Monaten habe ich manchen Leerlauf zugelassen, auch damit sich Beschäftigungen finden lassen, die zu den verschiedenen Charakteren passen. Das ist gelungen.

World Trade Figur

Ein Blick in die Dateien mit den fünfzehntausend Scans, führte mich sechzehn Jahre zurück nach New York. Damals waren wir noch auf der Dachterrasse des World Trade Centers. Zuvor zeichnete ich eine Figur, die von einem Flugzeug durchbohrt wird, oder zumindest eine verhängnisvolle Verbindung mit ihm eingeht. Viele exaltierte Figurationen, teilweise mit Architekturen verbunden treten da im Oktober 1999 auf.

Im kommenden Biografieprojekt werde ich nun auf die Technologien des Frankfurter Kraftfeldes zurückgreifen können. Das ist gestern besprochen worden. Das ermöglicht mir nun, das Projekt so zu Ende zu führen, wie ich das vor etwa drei Jahren geplant hatte. Nun werden die Ornamente tatsächlich zu dreidimensionalen Objekten zusammenwachsen.

Die nächste Ausstellung im Museum wird ab Ende Februar stattfinden können. Dann geht es um die kleinen Dinge, die passend gemacht worden sind.

Das Exkrement im Raum von Noah haben wir gestern noch mal größer ausgedruckt. Und Natalie hat sich erstmalig mit den 3d Programmen beschäftigt. Dabei entstand ein stachliger Hase oder ein Hasenigel. Joana stellte sehr poetische Formen her, indem sie mit flüssigem Wachs und kaltem Wasser arbeitete. Ihre Wachsfiguren sehen nun ganz anders aus, wie ich mir das vorgestellt hatte, vielleicht sogar besser. Die Produktion von Bauelementen für das Barbiebeinhaus läuft weiter.

Inseln | Kraftfelder

Selbstportraits gestern im Atelier. Die Blätter sind Monologe am Tisch, perforiert und fragmentiert, wie alles. Versunkene Inseln werden an die Meeresoberfläche gehoben, bewohnt von Würmern, Schnecken und Krebsen. Es braucht Zeit, bis der weiche Regen das Salz ausgewaschen hat und das Licht für Grün sorgt, das die schlammige Blöße bedeckt.

Die Frottagen liegen nun entweder auf der obersten oder einer mit Schelllack abgedeckten durchsichtigen Schicht der Bografieblätter, die ich gestern abgefertigt habe. Tusche auf der Rückseite lässt das Graphit fast negativ erscheinen.

Beim Nachdenken über die Biografiearbeit drängt sich immer wieder das Frankfurter Kraftfeld in seinen zwei verschiedenen Gestalten in den Vordergrund. In beiden Fällen geht es um Erinnerungsfiguren, die sich miteinander verbinden. Die Arbeitsweisen, die das Transparentpapier ermöglicht, führt zu den Überlagerungen, mit denen ich seit sehr vielen Jahren arbeite. Für ein Projekt aber, das mit dem Architekturmuseum zutun hat, eignet sich die zweite Variante des Kraftfeldes, die auf gleichseitigen Dreiecken verschiedene Motive zu sich überlagernden Ornamenten zusammensetzt. Da die Seiten der Dreiecke immer Anschlüsse an die Ornamente bilden, somit also ein dreiseitiger Rapport entsteht, können große Wände, aber auch Dreiecksgitterobjekte gebaut werden. Somit würde die Entwicklung, die vor ein paar Jahren unterbrochen worden ist, fortgeführt.

Kettenfahrzeug | Improvisationsarchitektur

Die Besatzung des Kunstkettenfahrzeuges meldet sich auf meine Morsezeichen zaghaft aus den Weiten seiner anderen Welten. Mit Bilal und Noah möchte ich die „Improvisation Technologies“ näher auf ihr architektonisches Potential hin prüfen. Das geht nur, wenn sie sich Figuren einprägen, indem sie sie tanzend kopieren. Danach sollen dann skulpturale Dinge gefunden werden, die damit zutun haben.

Die Biografiearbeit intensiviert sich nun durch die Beschränkung der Mittel, die aber zielgerichteter eingesetzt werden sollen. Die Schicht der Borkenkäfer-Stammbaum-Frottage soll möglichst auf der obersten Ebene bleiben, also nicht durch Tusche abgedeckt werden. Es sind stilisierte Bilder von Stammbäumen. An die Raster der Portraits möchte ich näher heran. Ihre Nutzung für abstrakte Bildbewegungsvorgänge entspricht dem derzeitigen Arbeitsmodus genau.

Diese Arbeitsschritte bereiten auch das Biografieprojekt vor, das ich im kommenden Jahr mit jüngeren Menschen machen möchte. Je mehr Gestaltungstechnologien jetzt herausgefunden werden, umso leichter wird es, das Projekt dann wachsen zu lassen.

Wir müssen unsere Arbeit mit Flüchtlingsjugendlichen überdenken. Ich möchte möglichst wenig Wind machen, will einfach loslegen und nicht so viel darüber reden. Sonst läuft sich das schon vorher tot.

Fünfzehntausend Scans

Gestern brachte ich das Arbeitstagebuch wieder auf den aktuellen Stand. Dazu gehörte, dass ich die 12 Buchmalereien, die ich in Berlin angefertigt habe, scannte und in den Ordner ablegte, in dem sich die Zeichnungen seit dem Jahr 2000 befinden. Das sind jetzt über fünfzehntausend Scans. Die zwölf Malereien aus den letzten vier Tagen nutzte ich darüber hinaus dafür, dass ich vier Collagen anfertigte, die in der Tagebuchdatei und über den Blogeinträgen auf meiner Website stehen. Dann veränderte ich die handschriftlichen Eintragungen in der Textdatei so, dass sie ins Netz gestellt werden können.

Die Arbeiten aus Berlin haben einen anderen Charakter als die, die im Atelier entstehen. Oft nehme ich mir hier mehr Zeit, um Schicht um Schicht übereinander zu legen. In Annes Zimmer war ich schneller, ließ manche Linie stehen, die ich hier vielleicht verwischt hätte. Dieser Mut tat aber den Malereien ganz gut.

In Annes Rechner schaute ich mir die Datei ihres Romans an, rollte die stattliche Anzahl von Seiten herauf und herab, las ein wenig in der Anfangskapiteln, die ich schon kannte und sehr schön finde.

Auch die Arbeit von Vinzenz habe ich nun wieder näher kennen gelernt. Die Bedingungen seiner Arbeit interessieren mich aber auch. Ich stelle mir vor, dass sein Vorhaben, das mit den Schlagworten um die Flüchtlingsproblematik zutun hat und die Aussage, die dann aus der Auswertung folgt, spannend sein kann.

Zwischen den Spiegeln

Frankfurt.

Neue Rituale, wenn ich zurück ins Atelier komme. Die transportablen elektronischen Geräte müssen an die verschiedenen Netze. Elektronischer Müll muss weggeworfen werden. Listen erscheinen und fordern gleichzeitig auf, sie zu erledigen.

Dann aber sind die Pflanzen dran, die dürsten. Auf den Leitern balancierend, bekommen sie von mir alle genug.

Im Bethmannpark stand ich in den Strahlen der über die Dächer scheinenden Sonne. Sie wurden von dampfenden Menschen gekreuzt. Ihr wehender Atem machte den geradlinigen Verlauf des Lichtes sichtbar.

Ein Erinnerungsbild verweilt zwischen den Spiegeln eines Saales in dem ersten Stock eines uralten Tanzvergnügungshauses. Dort wird es hin und her geworfen, bis ihm vom Drehen schwindlig wird. Nun schläft es im Archiv seinen Rausch aus, zeichnet noch Gravitationsschwünge in die Traumnacht.

Himmel zinnfarben

Berlin.

Immer, wenn ich in dieser Stadt bin, zieht es mich ins Zentrum, wo ich vor gut vierzig Jahren als Soldat den Palast der Republik mitgebaut habe. Die Großbaustellen haben alles vertilgt. Noch halb steht das wieder aufgebaute Schloss in Beton da, in der Nacktheit seines Sinns. Aber schon wird es mit einer Backsteinhülle, die den wahren Kern verstecken soll, entstellt.

Auch rund um den Schinkelplatz schafft sich Historizität Raum. Um alles herum, wie Zuckerwatte, die endlosen Weihnachtsmärkte. Und später glühte die Kuppel der Synagoge im Sonnenuntergang, als wir uns noch mal mit Vinz verabredeten.

Die Spaziergänge mit Anne durch die Stadt, führen mich in Gegenden, fernab der Pfade, die ich sonst gegangen bin. Neue Bilder sammeln sich in meinen Erinnerungsschachteln.

Am Morgen steht der Himmel zinnfarben über den roten Dächern, die den Kranoldplatz umgeben. Der Stadtwind tanzt ernst zwischen den entfärbten Fassaden.

Abgeschliffene Geschichten

Berlin.

Ein Interview mit meiner Mutter im Netz. Sie berichtet von ihrer Flucht von Schlesien nach Thüringen am Ende des zweiten Weltkrieges. Ich kenne diese alten Geschichten, von der Zeit abgeschliffen, die Pointen den jeweiligen Situationen angepasst. Der Hunger stand in ihnen immer wie eine Schuldwegmarke in der Landschaft, die auf den Überfluss der kommenden Generationen zeigte. Die kollektiven Verwischungen jeglicher Art werden nicht nachlassen, bis es die Zeitzeugen nicht mehr gibt. Und auch danach im Weitererzählen, werden die Anekdoten immer der Gegenwart dienlich gemacht.

Es streichen wieder die Katzen um meine Füße. Sie springen aufs Fensterbrett und lauschen den Straßengeräuschen, spüren die Wärme der Bettfedern, besichtigen die Kissenlandschaften, um irgendwann zwischen ihnen, den uns fremden Schlaf zu finden.

Vinzenz erzählte in einem Pub von einer Sprachforschungsarbeit, die er mit Ai bespricht. Dabei geht es um Pressetexte zur gegenwärtigen Flüchtlingsproblematik.

Schwarzer Strom

Berlin.

Katzen streichen unter Annes Tisch um meine Füße. Im Fenster steht ein großer Rahmen, in den eine kleine Zeichnung von mir eingespannt ist, die ich vor etwa drei Monaten gemacht habe. Es gibt in diesen Räumen Arbeiten aus ganz verschiedenen Arbeitsphasen. Aquarelle, Drucke von Tagebuchzeichnungen und ein Ölportrait aus dem Anfang der Achtzigerjahre.

Die Bahnfahrt rollte ruhig an mir vorbei. Ich fotografierte mich in dem dunklen Zugfenster und hörte die Goldbergvariationen in der Fassung von Glenn Gould aus dem Jahr 1954. Die Situation verdichtete das ungestüm Perfektionistische über die Virtuosität hinaus.

Die emotionale Wirkung dieser Stadt lässt nach. Ich wurde mit dem Auto mitten in der Nacht abgeholt. Anonym glitten die Lichter an mir vorbei. Aus den Kanaldeckeln quoll die Dunkelheit und richtete ihren klebrig schwarzen Strom gegen das Vergangene.

Langes Sprechen am Küchentisch.

Passend gemacht

Zufällig traf ich beim Anschauen eines Laurie Anderson Konzertes auf den, per Videokonferenz zugeschalteten, Ai Weiwei. Als ich das Bild meiner Arbeitssituation mit dem Bildschirm und der entsprechenden Szene mit dem eingeblendeten Skypeportrait zu Vinzenz schickte, wusste ich noch nicht, dass es sich um ihn handelt, ahnte es aber vielleicht. Er hat sich seit 2011, dem Jahr des Konzertes, bis heute sehr verändert. Der Vortrag der Gedichte seines Vaters wurde von der Musikerin mit in die Improvisationen life eingebaut.

Per Zufall bin ich vor etwa zehn Jahren auf die chinesischen Tierkreiszeichen am Karatay Han gestoßen. Draus ist eine längere Arbeitsphase gewachsen.

Wir druckten die kristallin_fluid Skulptur von Paulo aus – ein weiteres Exponat für die nächste Ausstellung. Nachdem wir eine Weile mit unseren Smartphones über die Beschaffung von Barbiepuppenteilen diskutiert hatten, erinnerte ich mich an solche Teile im Sammelsurium von Roland. Ich bat ihn, uns welche auszuleihen, was er auch tat.

Mir gehen Ausstellungstitel durch den Kopf. Darunter: „Passend gemacht“. Ich werde heute vor der „Besatzung“ über Beinhäuser sprechen. Ein solches habe ich ja mit Barbara gemeinsam in Frankreich fotografiert. In diesem Zusammenhang kann man über Sinn und Zweck von Objektnamen sprechen. Paulo zeichnete „City of A.“ nach Bill Forsythe. Die Umsetzung von Dingen in Objekte, die über unsere Gedankengänge hinausgehen, bildet unseren derzeitigen Arbeitsschritt.

Trisha Brown

Gestern zeichnete ich das dritte der abstrakten Portraits. Die zweidimensionalen Gravitationsschwünge mit den platten Planeten an ihren Kreuzungen führen auf dem Blatt ein Eigenleben. Die Borkenkäferstammbaumfrottagen liegen ganz oben auf, weil ich die Tuscheinseln von der anderen Seite her, also von hinten anlegte. Nun wäre es noch möglich, da ich alle Schnittmengen von Schelllack, Rasterpunkten und Borkenkäferspuren schwarz gemalt habe, die Stellen, wo sich mehrere Schellackschichten von vorne und von hinten mit dem Raster übereinander legen, eine weitere schwarze Schicht von vorne aufzulegen. Die würde dann an wenigen Stellen die Frottagen überdecken. Es wäre ein weiterer Schritt für ein neues Blatt.

In dieser Weise kommen immer neue Gesten nacheinander zusammen, wie bei den Choreografien von Trisha Brown, die wir gestern im Mousonturm gesehen haben. Es war ein historischer Abend, weil sich die Company zum Ende des Jahres auflösen wird. Somit werden auch keine Werke mehr im Original von ihr aufgeführt. Eine weitere Ära geht zu Ende. Mir kamen die Arbeiten sehr entspannt vor. Niemand wollte mich da mit einer unaufgeregten Freude und Lässigkeit belehren. Die Übertragung dieser Haltungen und Gefühle hatte eine sehr unterhaltende Komponente. Manchmal fühlte ich mich etwas unterfordert, aber glücklich.

Ich dachte wieder an Jasper Johns, Cunningham und Cage, aber auch an Laurie Anderson.

Verlangsamung | Winterblüher

Zwei Blätter zeichnete ich gestern mit Tuscheinseln fertig. Sie sollten die Portraitfragmente verstärken. Dennoch bleibt dem Betrachter die Möglichkeit weitgehend verwehrt, die Gegenständlichkeit herauszulesen, die den Impuls oder die Vorlage gegeben hat. Die Aufklärung des Gegenstandes könnte durch ein drittes Blatt geschehen, das sich hinzugesellt. Das würde aber den konsequenten Schritt der Verweigerung verhindern. Das abstrakte Bild scheint mir, zumindest an dieser Stelle, folgerichtig.

Den ganzen Berufspraktikumstag arbeitete Paulo gestern an den skulpturalen Experimenten zum Thema „fluid-kristallin“. Dabei schmolz er unter anderem Kuben zu weichen Formen ab. Jetzt besteht meine Aufgabe darin, dafür zu sorgen, dass die weichen und kristallinen Formen in einem Objekt reduziert zusammentreffen. Scheinbare Gegensätze verschmelzen hier zu Dingen, die viel miteinander zutun haben und deswegen zusammenpassen. Dafür möchte ich erneut den 3d Drucker aufstellen, um Objekte, die es virtuell schon gibt, handgreiflich zu machen.

Mit meiner Fahndung nach Barbiepuppenteilen hatte ich bisher keinen Erfolg.

Meine Biografiearbeit hat sich verlangsamt. Sie gewinnt durch die Pause an neuen Möglichkeiten, die Reihe fortzusetzen. Es ist Winterzeit. Alles kann langsamer vor sich gehen, das Wachsen in Dunkelheit, Verzögerung der Reaktion durch Kühle. Aber im Bethmannpark gibt es kleine, duftende Winterblüher.

Puppen als Projektile

Vor mir hängen Schichten von Transparentpapierzeichnungen vor dem Kopf eines schreitenden Buddha aus dem 13. Jahrhundert, der halb verdeckt hervorschaut. Hier hinten in meiner Arbeitstagebuchecke habe ich keinen Blick nach draußen, fast kein Tageslicht, bin ganz zurückgeworfen auf den Bildschirm und meine Arbeit.

Noah hat mir gestern über WhatsApp gezeigt, wie man Barbies als Munition verwenden kann. Ich möchte, dass er am kommenden Freitag welche mitbringt, mit denen wir dann skulpturale Experimente anstellen können. Puppen als Projektile der T 34 Panzer, mit denen wir auf die Betonbauten des Brutalismus schießen wollen.

Oder wir ziehen ein Barbiebein über feuchten Ton, erzeugen ein Relief, das dann mit Wachs abgegossen werden kann. Einzelteile der Puppenkörper können in verschiedenen Reihenfolgen als Halbreliefs erscheinen und Bausteine für Baukörper werden.

Leichtigkeit am Morgen, weil ich gestern die Abrechnungen fürs Museum zusammengestellt habe. Dafür blieb ich bis in den späteren Abend hier. Es fiel leichter als gedacht.

Paulo experimentiert nun mit den 3d Programmen und mit dem Thema „fluid und kristallin“.

Vergessene Bilder bleiben

Tage voll Regen verwischen den vergangenen trockenen Sommer, in dem ich die Pflanzen und die Wiese gewässert habe. Verdorrte Gewächse werden zu Schlamm, zusammengetragene Erde auf dem Beton wird weggeschwemmt, wenn sie nicht von den Wurzeln der vielen Schlingpflanzen gehalten wird, die sich um meine trockenen Gesträuche gewunden hatten.

Aufnahmen von der Forsytheausstellung habe ich soweit verändert und fragmentarisiert, dass ihre Herkunft nicht nachvollzogen werden kann. Ein Video, das ich gestern während der Führung gemacht habe, ließ ich auf dem Smartphone laufen und scannte es währenddessen. So entstehen Momentaufnahmen einzelner Körperteile in Aktion voneinander losgelöst. Das ähnelt dem technischen Vorgang bei „City of Abstracts“.

Eine große Gruppe von Flüchtlingsjugendlichen tanzte gestern zu ohrenbetäubenden orientalischen Klängen aus ihren Heimaten (problematischer Plural) im Theaterraum. Zwischen all dem Getrommel kommen Geschrei, Erinnerungen und Trauer auf. Es sind fast nur junge Männer, die hier alleine ankommen.

Während einer Einladung am vergangenen Freitag sah ich eine schöne Zeichnung auf Transparentpapier, transparent gerahmt. Ich hatte sie vergessen. Auch eine ehemalige Kommilitonin hat ein gemaltes Selbstportrait von mir, das sie die vierzig Jahre lang, bis jetzt begleitet hat. Die Bilder bleiben doch eine Weile in der Welt.

Bewegungsminiaturen | Wachsfiguren

Sonntag, Regen, „The Fact of Matter“ im MMK.

Wir hatten eine Führung durch einen Tänzer der ehemaligen Forsythecompany durch die Choreografischen Objekte im Museum für Moderne Kunst.

Unter der Maßgabe der langjährigen Zusammenarbeit mit dem Meister, entwickelte sich eine lebendige Beschreibung der Arbeitsweisen. Statements, die die Tänzer immer wieder aus dem Kompositionsgleichgewicht zwischen Körper und Bewegung werfen sollten, begleiteten den sehr persönlichen Vortrag. Eigentlich sollte die Führung eine Stunde dauern, war aber nach zwei Stunden noch nicht ganz zu Ende. Es war so viel Mitteilungsstau und Begeisterung unterwegs, dass es ein Vergnügen war zuzuhören und zuzuschauen, denn immer wieder legte Tilmann Bewegungsminiaturen oder groteske Hängefiguren zwischen dem Objekt mit Sportringen ein, die die Beschreibungen ergänzten. Das war zusammengenommen beglückend.

Verschiedene Ideen für eine Museumsausstellung reifen weiter heran. Paulo sollte aus seiner Zeichnung vor „City of Abstracts“ einen Transparentpapierturm bauen, eine Zeichnungsarchitektur. Außerdem gibt es schon die Objekte „Filzwachs“, „Exkrement im Raum“ und die neuen Wachsfiguren von Joana.

T 34 Besatzung

Durch eine Kommunikationsumstellung hat die Kunstschule als Gruppe einen neuen Namen bekommen. Die WhatsApp Gruppe heißt nun „T 34“. Die Besatzung zeichnete gestern in den Stilen des Biografieprojektes, des choreografischen Objekts „City of Abstracts“ und Joana hat begonnen, Wachsfiguren herzustellen. Dafür taucht sie ein Trägermaterial, wie Draht, solange abwechselnd in flüssiges Wachs und in kaltes Wasser, bis sich Schicht für Schicht skulpturale Formen entwickeln.

Noah zeigte ich die Improvisationstechnologien von Bill Forsythe und danach den gesamten Film „One Flat Thing, Reproduced“. Er beschäftigt sich viel mit Tanz. Es wäre gut, wenn er für solchen Einflüsse empfangsbereit bleibt und das in architektonische Ideen umsetzen kann.

Nachdem wir unsere Kommunikationsgruppierung in WhatsApp abgeschlossen hatten, kochten und aßen wir wieder gemeinsam. Das Foto mit dem Hühnergeschnetzelten ging an die fehlenden Kunstschüler.

Auch mit Anne und Vinzenz tauschte ich Nachrichten und Bilder. Anne hält sich eine Motorradmaske vors Gesicht und schickt mir ein Katzenfoto. Und von Vinzenz bekam ich ein Bild mit seinem Sohn Alexej, der Mit Ai Lao spielt, dem Sohn von Ai Weiwei spielt. All das ist lustig und nicht wichtig, aber macht ein neues Verbundenheitsgefühl.

Borkenkäferspuren

Mit Graphitfrottagen von den Fresskanälen der Borkenkäfer, die wie Stammbäume oder Landkarten von Straßendörfern aussehen, zeichnete ich gestern Rasterportraits. Das ist eine neue Verbindung, deren Potential ich noch gerne erweitern würde.

Wenn die Synaptischen Kartierungen mit Schelllack und Tusche die Punkte transparent überdecken, verschwindet die Gegenständlichkeit. Steht das Portrait aber, wie oben neben den Verwischungen bleibt es deutlich sichtbar. Das Raster hinter der Lasur müsste mit Tusche verstärkt werden. Auch die Entscheidung dagegen hat was für sich. Tue ich beides entscheidet der Betrachter, was für ihn besser erscheint. Den aber gibt es nicht. Oder doch?

Aus der Wohnung in der Frankenallee stieg ich heute in eine Nebelwanne, die wie ein Transparentpapierrund wirkte. Nur das Smartphone zeigte klar an, wo ich mich befinde. Ich erwarte nun, dass sich mein Alltag durch die Gegenwart dieses Gerätes verändert. Mein Kommunikationsverhalten ist ja eher zurückhaltend. Jetzt leuchten bislang nur E-Mails auf. Aber ich befürchte mehr Ablenkung.

Heute ist wieder offener Ateliertag. Die Produktion dieser vergangenen Tage hat sich verlangsamt. Besorgungen, Einkäufe, Gespräche, Rückblenden. Alles fordert Aufmerksamkeit, auch mein Praktikant.

Wie in jedem Jahr

Die Pflanzen brauchen im Winter etwas Ruhe, meint mein Nachbar, der Holzbildhauer, der mich gestern besucht hat. Sie sollen nicht zu sehr gegossen werden, Zunächst aber trauern sie, wie in jedem Jahr, über den Lichtverlust durch den Standortwechsel nach innen. Manche der Sukkulenten treiben sehr große Blüten, wodurch sie so viel Energie für sie aufwenden müssen, dass sie danach eingehen.

Der Holzbildhauer kommt eher selten zu mir. Umso mehr freute mich gestern sein Besuch. Normalerweise bin ich derjenige, der sich in die Nachbarateliers aufmacht, um über die Arbeit oder anderes zu reden. Im direkten Nachbaratelier war ich allerdings lang nicht. Stolz und glücklich berichtete ich da oft von den Sprüngen die Vinzenz in Berlin und in der Welt macht. Allerdings erntete ich dort eher abfällige Kommentare über seinen Weg und seine Mentoren Olafur Eliasson und Ai Weiwei.

Am Abend haben wir uns nun Smartphones gekauft. Lange weigerten wir uns, angesichts der auf Kleinbildschirme starrenden Bevölkerung. Aber meine Kunstschüler haben mich quasi unter Druck gesetzt. Nun haben wir die Möglichkeit uns anders und schneller zu verabreden und zu besprechen.

Mit Paulo war ich gestern im MMK in der Forsytheausstellung. Er schätzte an ihr, dass er durch die Installationen weniger zum Denken als zur Bewegung aufgefordert wurde. Vor dem großen Screen von „Abstract City“ zeichnete er verschlungene Figuren.

Bewegungen der Besucher

Auf den fünf neuen Blättern, die ich gestern gezeichnet habe, befinden sich Frottagen von Holzwurmfraßkanälen, die durch die Platzierungen der Eiablagen, wie Stammbäume aussehen. Die heftigen Graphitschraffuren fügen einen Widerspruch in das ruhige Fließen und Kreisen der anderen Strukturen ein. Das ist wichtig für die Spannung und den Gesamtklang der Zeichnungen.

Mit Paulo möchte ich heute in die Forsytheausstellung im Museum für Moderne Kunst gehen. Nun beschäftige ich mich schon eine ganze Zeit mit diesen choreografischen Objekten. Die angestrebte Arbeit, die aus dieser Hinwendung erwachsen sollte, hat aber nicht so funktioniert, wie ich mir das gedacht hatte. Während für mich am Anfang die räumlichen Gegebenheiten und die eingebauten Strukturen im Vordergrund standen, erschienen mir langsam die Besucher wichtiger. Ihr Umgang mit den Objekten und die daraus entstehenden Bewegungen bilden die Vervollständigung der Installationen. Alleine sind sie teilweise eindimensional und schnell zu durchschauen. Die zeichnerische Ausbeute muss aus einem Gestus kommen, der sich zunächst über das Dargebotene hinwegsetzt und es erweitert. Im nächsten Schritt sind dann tatsächlich die Menschen wichtig, die Formen und Dynamiken ihrer Bewegungen.

Außerdem weiß ich nun, dass die Choreografien, die Forsythe mit seiner Company gemacht hat, sein stärkeres Hauptwerk darstellen.

Karger, kahler, farbloser, gelassener

Sieben oder acht Blätter gestern. Die Arbeiten werden ruppiger. Die Poesie tritt in den Hintergrund oder bekommt den Charakter eines Axthiebes.

Eine der von der Brandung abgeschliffenen Muscheln eignet sich für die Frottage von Körperumrissfragmenten. Eine plastische Linienführung wie von Bildhauerzeichnungen. Alles läuft auf eine Holzskulptur hinaus, mit einem Beil gehauen und in ein Gitternetz eingesperrt.

Mittlerweile schütte ich den Schelllack auf das Papier und lasse die Tuschetropfen in den entstehenden Seen verschwimmen. Erst dann beginne ich das für die Synaptische Kartierung unerlässliche Zusammenrollen des feuchten Formates.

Auch die Zeichnung im Chinesischen Garten fiel etwas wilder aus. Keine Musik erklingt vom Licht her, kein Klang wird von Farben erzeugt. Alles wird karger, kahler und farbloser. Aber eine Gelassenheit ruht auf all dem, auch auf den unruhigen Buchmalereien des Vormittages.

Wellenlängen

Die Stadtbahnen rollen ruhig über den Bahndamm, kein Geratter, wie in Berlin, das Iggy Pop zu einem durchgehenden Rhythmus für eine Songstruktur inspirierte. Das summende Rollen hier, führt eher zu einer schwebenden Soundfläche. Gerne würde ich mich wieder mit solchen fliegenden Klangteppichen beschäftigen, mit solchen Schwebezuständen wie im Siegfriedidyll. Sie entsprächen den Zeichnungen, die ich am vergangenen Freitag gemacht habe. Die Frottagen wandern schnarrend durch den Klangraum. Unter ihnen ziehen Ströme fließender Streicher quer über das Format, die von Bläserausrufungszeichen kurzzeitig gestaut werden. Die Gravitationsschwünge mit ihren Kreuzungen, die mit Punkten markiert sind, werden von der Harfe gespielt. Kommt aber eine Portraitrasterstruktur dazu, führt ihre Dominanz von dieser schwebenden Musikalität fort.

In diesem Zusammenhang denke ich an Assmanns Beschreibung der sechs Solostimmen in Schönbergs Oper „Moses und Aron“, die schon hinter dem geschlossenen Vorhang vier Akkorde als sprachlich unartikulierte Gegenwart Gottes singen.

Es hat geschneit. Pflanzen ziehen sich zurück. Der äußere Ausdruck dieser von mir nachgefühlten Verinnerlichung, ist der Blick in die Tiefe der blattlosen Gesträuche, sind die Schichten meiner gegenwärtigen Blätter und ihre Beziehung zu den täglichen Malereiminiaturen in den Büchern.

Und nun scheinen sich die Wellenlängen, der flach durch dünne Wolkenschichten dringenden Sonne, in Töne zu verwandeln.

Erinnerungstechnik tief im Gesträuch

Jan Assmann hielt gestern einen Vortrag über die Exoduserzählung und damit über sein neues Buch, das ihre Wirkung auf Gesellschaften bis in unsere Gegenwart beschreibt. Immer wieder rückt das Thema Gewalt mit dem Hinweis, wie dünn die Decke der Zivilisation ist, in seinen Focus. Dabei geht von seiner Stimme, seinem Sprechrhythmus und von seinen Worten ein tieferer Eindruck aus, als wenn ich in seinen Büchern lese. Er ist halt auch ein guter Performer. Bestätigungen seiner Erkenntnisse liefert der Alltag auf der Straße und in den Nachrichten.

Als ich ihm vor ein paar Jahren, während er seinen schönen kleinen Inselband „Osiris – Mit den Toten reden“, in dem er aus altägyptischen Quellen etwas wie ein Theaterstück zusammenstellte, erzählte, dass seine Bücher aufgeschlagen in meinem Atelier liegen und viel Inspiration für meine Arbeit davon ausgeht, war er drauf und dran, das zu besichtigen. Wahrscheinlich hätte ich ihm die Transparentpapierrollen gezeigt, auf denen Teile meines Lebens wie in einem Totenbuch festgehalten sind.

Auch die Biografiereihe folgt einem Impuls, der Erinnerungstechniken, die in seinen Büchern beschrieben sind, aufnimmt.

Ein Nordwind kommt mit harten, kalten Lichtwechseln an. Sein westlicher Bruder hat nun alle Blätter von den Ästen gefegt und der Blick dringt wieder tief in die Gesträuche, was eine besondere Art von Konzentration fördert.

Schlafende Katzen

Elf Uhr im Atelier, in das das Morgenlicht nun durch den katzenbesetzten Dschungel dringt. Ein grüner Filter mit floralem Gobo und Schattenspielfiguren. Keine Folie kann das.

Ich nehme mir die vier Blätter vor, die ich gestern gezeichnet habe, lege sie auf den großen Tisch in der Mitte des Raumes, auf dem ein Spiegel liegt. Er täuscht den Raum vor, den es benötigt, um die unterschiedlich durchsichtigen Felder der Zeichnungen zu erkennen. Die Gravitationsschwünge sind großzügiger als zuvor. An zwei Stellen ist das Papier durch das Frottieren aufgerissen. Die Zähne der Muscheln, die bei diesem Arbeitsgang unter den Bögen liegen, haben scharfe Zähne. Etwas zuviel Druck auf dem Graphitstift, und schon ist es passiert.

Aber, wenn die Löcher schon mal da sind, sollte ich was damit anfangen. Es wäre ja möglich, dass aus diesem Fehler ein neues Schichtungsprinzip erwächst. Blicke ich durch die Öffnung einer Fläche in den Raum dahinter, bekommt alles an der Oberfläche eine andere Wertigkeit.

Die Katzen im Dschungel halten still, liegen in den Astgabeln und schlafen in kleinen gebauten Nestern. Bevor sie sich wieder in Regenbogenvögel verwandeln können, müssen sie Ruhe haben. Sie können sehr lange schlafen.

Eigenleben | Dschungel

In die Maskengirlande schräg hinter meinem Kopf habe ich eine kleine ältere Dreiecksgitterkonstruktion mit winzigen Abbildungen von Tagebuchzeichnungen aus dem Jahr 2006 gehängt. Das ist kein Zufall und hat vielleicht schon mit der nächsten Ausstellung zutun.

Ich denke über die Bedeutung der Bilder innerhalb von Gesprächen nach. Sie haben ein Eigenleben, das weicher interpretierbar bleibt, als ein harter Begriff oder ein Ja und ein Nein. Gleichzeitig genieße ich es, Worte schreiben zu können.

Nun steht wieder der Dschungel vor den Fenstern. Die Zifferblätter beschlagen und Katzen wohnen in den verschlungenen Ästen. Es sind Raubtiere, die mich anspringen wollen. Aber während sie ihre Muskeln anspannen und zum Sprung ansetzen, sammle ich meine Energie zu einer Geste, die sie in der Luft zu farbigen Vögeln aus dem Regenwald verwandeln, die flügelschlagend von mir ablassen.

Laubbläser verwalten lärmend die Verhinderung humoser Weichheit. Meine Gänge über den Waldboden waren federnd. Der Hang und sein Weg, sind nun von mir verlassen. Ich frage mich, ob ich einen neuen, unkomplizierten Trampelpfad gleich in der Nähe anlegen sollte. Vielleicht auf dem kleinen Stück Wiese vor dem Atelier.

Trotz der Anstrengungen um die Einrichtung der Orangerie, ist auf einem Blatt, an dem ich bereits an drei Tagen arbeitete, ein fragmentiertes Rasterportrait hinzugekommen.

Gruppenfoto

In der Biografiereihe taucht wieder das Portrait meines Vaters, als etwa Fünfundzwanzigjähriger auf. In diesem Alter befindet sich jetzt Vinzenz. Hinter der Pioniergruppe, die mir die Portraits liefert, die ich in die verschiedenen Konstellationen stelle, steht er, soweit man es erkennen kann, in einem Blauhemd, der Uniform der Freien Deutschen Jugend. Auf meinem Einschulungsfoto trägt er das Abzeichen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands am Revers. Sein Blick geht geradeaus, die Linse des Fotografen missachtend. Ein Mädchen hält eine Urkunde unbekannten Inhalts vor seinen Oberkörper, ein Junge präsentiert den Speer, der neben seinem Fuß steckt, mit dem Pionierwimpel schräg von sich fort, eine Dreieckskonstruktion. Die Pionierleiterin, nicht viel älter als achtzehn Jahre, steht ebenfalls in Uniform zwischen ihnen. Sie trägt dieselbe Einheitsfrisur, wie alle Mädchen, die Hände hinter dem Rücken. Das alles erscheint, wie eine Szene, die einen etwas abgemilderten Stalinismus illustriert, der sagt: „Wir sind im Recht!“.

Chaos im Atelier, denn die Pflanzen müssen hereingeholt werden. Nordwind ist angesagt mit einer Kaltfront, die die Temperatur über zehn Grad sinken lassen wird. Paulo hat die Regale draußen schon leer geräumt. Jetzt müssen sie noch von innen an die Fenster der Rolltore gestellt werden, um die vielen Pflanztöpfe aufzunehmen. Jedes Jahr im Herbst findet dieses Ritual auf den drei Leitern aus Holz und Aluminium statt. Viele Pflanzen habe ich vor dem Hereinräumen stark zurück geschnitten, wie eine Duftgeranie, deren Blätter ich in ein offenes Gefäß gelegt habe, um zu erleben, welchen Duft sie während des Verrottens verströmen.