Dylankonzert

Schräg gegenüber dem Fenster steht die Bühne eines Straßenfestes, von der aus wir gestern den ganzen Tag beschallt wurden. Es ging um volkstümliche Unterhaltung dabei, was mir besonders auf die Nerven ging. Für den Nachmittag bin ich ins Atelier entronnen, verzog mich in meine Höhle, schaute auf den wechselnden Regen und zeichnete an der Brandungssequenz weiter, wo das Wasser immer schwärzer zu wogen beginnt.

Mit Maj auf dem Markt habe ich besprochen, dass wir eine neue Arbeitsphase beginnen wollen. Sie soll mehr mit Farben, Pinseln und Malerei zutun haben. Die Welt der Zeichnung und der Skulptur ist strenger.

Plötzlich kam mir gestern die Idee, nach dem Stand und dem Verlauf der „Neverending Tour“ von Bob Dylan zu schauen. Sie läuft nun schon seit vielen Jahren und wir hatten uns schon einmal geärgert, keine Karten gekauft zu haben. Ich stellte fest, dass er Mitte Oktober in Düsseldorf auftritt und B. kaufte sofort im Internet zwei Karten der ersten Kategorie. Das traf mich wie ein Blitz und ich kann es immer noch kaum glauben.

„Gob Squad“, eine Performergruppe, zeigte im Mousonturm „Gob Squad`s Kitchen“. Von den life aufgenommenen und projizierten Bildern ging eine so starke Wirkung aus, dass sich scheinbar mühelos Zuschauer fanden, die zum Mitspielen gebracht wurden. Mit einem Headset versehen, sprachen sie Texte, die ihnen eingesprochen wurden. So schlüpften sie in völlig fremden Rollen und sagten Texte, die sie nicht kannten.

Dreißig Jahre Nibelungen | Schwärze

Noch einmal in offenen Rolltor saß ich über der Brandungssequenz am Tisch, weil nachmittags die Sonne herausgekommen ist und mit ihrer späten Kraft den Beton am Boden erwärmte, während sich die Transparentpapierfläche verdunkelte. An dieser um Millimeter für Millimeter wachsenden Schwärze mit ihren unterschiedlichen Qualitäten und Schattierungen, kann ich mich kaum satt sehen. Ich versuche sehr langsam und behutsam die Felder zwischen dem Linien zeichnend zu füllen und komme wieder auf die Idee, diesen Vorgang noch mehr in die Dreidimensionalität zu erweitern. Der Ansatz für Skulpturen wäre ein Schichtenaufbau eines Körpers aus Tusche, Schelllack und Gips, um dann nach völliger Trocknung das entstandene Stück zu schleifen oder anders zu bearbeiten.

Die Eröffnung der Spielzeit des Schauspiels Frankfurt gelang mit der Premiere der „Nibelungen“ von Hebbel. Ein junges Regieteam hat eine überzeugende Arbeit abgeliefert und uns damit die große Qualität des Textes vorgeführt.

Und natürlich erinnerte ich mich an meine letzten Monate in Dresden vor dreißig Jahren, wo ich zeichnend an den Proben zu „Nibelungen“ unter der Regie von Wolfgang Engel teilnahm. Vielleicht ist in den damaligen Zeichnungen schon etwas von dem zu spüren, was mir erst gestern klar wurde. Lucke, der Siegfried von damals war auch da.

Jasmina, eine der Lehrlinge hat gestern fleißig gemalt und gewischt und entdeckte dabei eine zurückhaltend zarte Farbigkeit und beweist immer wieder ihr gestalterisches Talent. Das gilt es zu fördern.

Lehrlinge beginnen zu singen

Die zunehmenden Tage, an denen ich mit den Lehrlingen gemeinsam in ihren Werkstätten oder in meinem Atelier, oder in allen Räumen gleichzeitig arbeite, nehmen mir Zeit von meiner eigenen Arbeit, auch Konzentration. Die Tage, an denen ich mich ungestört meinen Zeichnungen und Projekten widmen kann, werden wertvoller.

Auf einem der Ateliertische liegt nun die Brandungssequenz, an der ich gestern bis in der fortgeschritteneren Abend gearbeitet hatte. Bei näherer Betrachtung, setzt sich nun auch bei größerer Liniendichte eine Wasserstruktur durch. Vielleicht komme ich damit in der nächsten Woche zum Schluss.

Heute bin ich wieder ab Sieben im Atelier, kann aber auf keine Morgensonne hoffen, die die Temperatur nach der kalten Nacht etwas steigen lässt.

Auch die Aussicht auf ein angefülltes Wochenende mit zwei Theaterabenden, Autofahrten und mit einem dichten Wochenstart danach lassen mich etwas beunruhigt auf meine Arbeit blicken.

Die parallelen Projekte nehmen zu…

Die Lehrlinge sind da und beginnen zu singen. Es wird hell im Raum. Die Bewölkung entwickelt sich etwas schütterer und etwas Wärme entsteht. Ich zeige den jungen Menschen Gerhard Richter und wir beginnen Acrylfarben auf Tapetenresten zu verwischen.

Implosionen

Gestern, am Mittwoch, bin ich wieder auf meinem Pfad gegangen. Der „Downhillerweg“, der am Anfang ein Stück gemeinsam mit meinem verläuft, ist mittlerweile ziemlich ausgefahren und gegen meine zarten Eingriffe in diese kultivierte Natur geradezu gewalttätig. Die alten, tief eingeschnittenen Wege zwischen den Hyperbelstangen werden durchfahren, was kein Zufall ist. Die Orientierung auf diese Kreuzung folgte meinen Wegzeichen. Auch die begleitende Wegführung im Bereich darüber, die sich meinen Spuren langsam annähert, scheint von meinen Zeichen angezogen worden zu sein.

Die Knüppelpuppen, die zumeist an Baumstämme angelehnt stehen, brechen nun langsam zusammen. Das schafft wunderbare Bilder von Implosionen oder des Vergehens. Die Stangen zeigen in alle Richtungen aus denen ich sie zusammengetragen habe. Wolken zogen durch die Baumstammkolonnen und meine Wesen dazwischen und gliederten übersichtlich die Areale. Sonne drang durch Nebellücken und beschien zarte Zweigzeichen, an Äste gehängt und locker miteinander verflochten.

Am Oberen, langsam in sich zusammensinkenden Rundbau arbeitete ich weiter. Die entgegen der Bewegungsrichtung gestellten Hölzer, bäumen sich etwas panisch gegenüber den Diagonalen des Zusammenbruchs auf.

In der Schirn sahen wir am Abend die Ausstellung „Glam“, die sich mit dem Stil des Glamrock und den sich daran anschließenden Bilderwelten beschäftigt. Mir scheinen das in erster Linie eher Modeanstrengungen zu sein. Manche stilbildende Oberfläche folgt nur kommerziellen Ausrichtungen.

Rückbewegung

Nun bin ich gestern im Atelier in die Rückbewegung der Brandungssequenz gekommen, in der sehr dichte und dunkle Felder entstehen. Die weich schwingende Struktur wandelt sich hier in der neuen Umgebung zum verfilzten Dickicht, das, weil es immer mehr Linien oder Informationen aufnimmt, einem Kollaps entgegen rollt und schließlich zu einer schwarzen Fläche zusammenwächst.

So gesehen gleichen die Transparentpapiersequenzen dem gegenwärtigen Marktgeschehen. Das Informationsgestrüpp hat den Umbau von immer mehr Systemen in immer größerer Geschwindigkeit und mit größerem Umfang zur Folge.

Systemumstellungen auf meinen Transparentrollen, bedeuten aber radikale Reduktion auf die kleinen übrig gebliebenen weißen Felder, mit denen der neue Zyklus beginnt.

Aber ich kann auch die Zeichnungen des kleinen Mädchens am Strand von Chaolao nehmen, die ich fotografiert habe, um sie auf den weiteren Verlauf der Rolle zu zeichnen und eine neue Sequenz zu starten, mit einer neuen Sprache.

Einen kleinen Ausschnitt der Tuschelinien habe ich über eine Fotografie von Angkor Thom gelegt. Inmitten des Prozesses weiß ich nicht, was ich alles mache. Das wird erst hinterher deutlich.

Erstmalig habe ich im Atelier wieder bei geschlossener Tür gearbeitet und merke, wie mir der Übergang vom offenen Sommer in den Rückzug des Herbstes gut tut.

Flüssiges Gestein

Frühmorgens schon im Atelier. Wie flüssiges Gestein leuchten die Wolken über dem Bahndamm.

Kurzes Gespräch mit Deniz gestern, der optimistisch aus Berlin zurückkehrte und heute gleich weiter nach Istanbul will. Dort will er auf dem Land ein paar Wochen zubringen.

Am späten Nachmittag habe ich mir noch mal die Ackermannwiese und die beginnenden Bauarbeiten in ihrer Nachbarschaft angeschaut. Helga schickte mir einen Grundriss, des so genannten Russenlagers vom Anfang der Vierzigerjahre, mit dem ich viel anfangen kann. Per GPS kann ich nun die Eckpunkte der Baracken und anderer wichtiger Punkte auf der gegenwärtigen Wiese markieren, um dann mit einem Gang das Ganze zunächst nachzuformen, und um in den nächsten Schritten einen zeichnerischen Kommentar zu finden.

Mich interessiert darüber hinaus, die Verbindung des Lagers mit dem Tevesgelände. Wie viele der Gefangenen waren hier zur Zwangsarbeit eingeteilt und was geschah mit ihnen?

Gegenwärtig haben wir auf Teves West erreicht, dass nicht mehr so viele Veranstaltungen stattfinden. Aber alles geschieht noch über unsere Köpfe hinweg. Ich glaube, dass nur die Androhung von Konsequenzen verhindern konnte, dass das Niveau der Veranstaltungen nicht total den Bach runter ging. Um das Verständnis unserer Positionen ging es noch nie

Wasser

Anstatt in die Stadt zum Galeriestart zu gehen, fuhren wir in den Taunus und liefen oberhalb von Königstein durch das Reichenbachtal bis an den Altkönig heran. Wir zogen die gewundenen Pfade durch feuchtes Unterholz mit glucksenden Bächen dem Lärm der Stadt vor.

Die etwas melancholischen Geräusche des fließenden Wassers, wie es über die unregelmäßigen Stufen springt, klar durch kleine Becken strudelt und zwischen den Steinen plätschert, wurden später durch einen Regenguss unterstützt. Er rauschte in silbrigen Fahnen in das schon herbstliche Grün der Buchen. Ein wenig weiter oben begannen die Wolken schon den Wald einzuhüllen.

Unter unseren zwei Schirmen merkten wir, wie gut uns das Atmen der kühlen, feuchten Luft tat und wie sehr wir vom Alltag schon wieder eingestaubt sind. Die Bilder von Angkor haben es zunehmend schwer, noch einmal so hervorzukommen, dass sie einen ganz einnehmen. So manövrieren wir herum, versuchen die sich immer rasanter verändernde Umgebung auf Distanz zu halten.

Das Morgenlicht bringt auf dem von Nachtregen dunklen Boden violette Töne hervor. Sie stehen neben einem strahlenden gebrannten Ocker im Schatten. Beide Farben gehen etwas ins Rötliche.

Auf den Wegen sprachen wir gestern schon über den bevorstehenden Winter und seine Sonnenwende, obwohl ja späte Sommertage noch möglich sind.

Tempelbegegnung | Besetzer

Sonntag. Baksei Chamkrong hieß die erste vierstufige Tempelpyramide, die ich in Angkor bestiegen habe, währenddessen es zu der seltsamen Begegnung mit dem selbsternannten Hüter einer liegenden Buddhastatue kam. Die Bilder und Stimmungen gehen mir immer noch nach und erfüllen mich mit einer großen Genugtuung.

Keine Atelierarbeit gestern, denn ich hatte genug Arbeit am Schreibtisch. Die vergangene Woche war etwas zerrissen, weswegen ich auch mit meiner Brandungssequenz nicht so weit gekommen bin, wie ich mir das gedacht hatte.

Nach einigen Anläufen und Zettelproben habe ich gestern begonnen, den Prolog zum „Cold Water Blues“ zu schreiben und habe daran aber noch zu werkeln, weil mir der Ton noch nicht so gefällt, weil die Spannung sich sicher noch besser aufbauen lässt.

Gleich um die Ecke in der Kriftler Straße befindet sich das ehemalige Sozialrathaus, das seit einiger Zeit leer steht und einer neuen Bestimmung zugeführt werden soll. Am Freitag zog eine Gruppe von sehr entschlossen wirkenden jungen Leuten am Markt vorbei dort hin und besetzte dieses Gebäude. Ich hatte den Bau mal mit einer vieretagigen Ausstellung ausgestattet. Unter den Besetzern habe ich Kira entdeckt, die vor ein paar Jahren sehr lange in meinem Atelier gearbeitet hatte. Auch deswegen berührte mich diese Aktion sehr. Schon gestern als wir zu Gudruns Essenseinladung unterwegs waren, kamen uns viele Polizeiautos entgegen, und am Morgen las ich in der Zeitung, dass das Haus bereits geräumt wurde. Das ist nun schon der zweite Fehlschlag auf engem Raum. Irgendwas machen sie falsch.

Cold Water Blues

Der „Cold Water Blues“, über den ich gestern noch mal mit Gerd sprach, besteht in erster Linie aus der Geschichte seiner Inspiration:

Du steigst aus der Rikscha und weißt nicht, zum wievielten Mal dein Hemd durchgeschwitzt ist, weißt nicht, wie du unter der senkrechten Sonne diese flimmernde staubige Straße bis an den Rand des Dschungels zurücklegen sollst, in dem du die Ruine vermutest, wegen der du dich auf den Weg gemacht hast, die aber jetzt hinter der Absperrung so weit entfernt scheint. Der Grund dafür sind auch die unzähligen Menschen, die dir etwas zum Kauf anbieten. Ständig steht dir jemand mit einem T-Shirt im Weg, auf den Die Umrisslinie dessen abgebildet ist, das du dir im Original anschauen wolltest. Vor dem wedelnden Lappen in der Hitze stehst du da, wie ein Stier, während sich eine Frau mit einem Glöckchen davor schiebt, dessen Klang dich an alle großen, kleinen, eisernen, silbernen und bronzenen Glocken erinnert, die du je gehört hast, und in dieses Gebimmel singt ein Blinder, begleitet von einem Beinamputierten, der ein mit Stöckchen anzuschlagendes Saiteninstrument spielt, einen verstörend fremden Song, währen geflochtene Fischlein an Spielzeugangeln im schwülen Luftaquarium vor dir herumschwimmen, dir Freundschaftsbändchen angeboten werden, die irgendwann von alleine von deinem Handgelenk fallen sollten. Im Lärm der anschwellenden Hitze verlierst du die Orientierung, weißt nicht mehr, warum du eigentlich hier bist, worauf dich ein T-Shirt mit seinem Aufdruck wieder erinnert, und du spürst, wie dir langsam Hörner wachsen, wie dir die Zunge am Gaumen klebt, wie der verdorrter Körper nicht mehr weiter weiß. Dann aber bietet dir jemand das einzige, was in diesem Moment helfen kann an:

„Cold Water, Sir! One Dollar, Sir! “

Dekorationstechniken

Wieder am Morgen im Atelier im Rückzug der Schatten, in denen noch die Kühle der Nacht wohnt. Nach dem langen Arbeitstag gestern, am Abend noch Wein auf dem Balkon. Unter den Sternen sprachen wir noch mal über die erstaunliche Helene Hegemann, von der ich auch Maj während unserer Abendarbeit erzählt hatte. B. hat von ihr einen Aufsatz aus der „Zeit“ ausgegraben der die Bayreuther Festspiele zum Thema hatte

Soweit ich gestern dazu kam, arbeitete ich an der Brandungssequenz weiter und schaue nun schon gespannt auf den Moment des zeichnerischen Zurückbrandens der entstehenden Struktur.

Jetzt zur Mittagszeit ist das Atelier zu beiden Seiten hin geöffnet, was etwas erleichternden Luftzug erzeugt. Mit den Lehrlingen, die gerade Mittagspause haben, arbeite ich an Dekorationstechniken. Ich höre ihnen zu, sie erfrischen mich und am Nachmittag werde ich ihnen den Bayreuthtext von Helene Hegemann vorlesen.

Einige Papierformate aus Rückseiten von Tapeten haben wir mit der Acrylrakeltechnik bearbeitet. Ich nenne das Dekorationstechnik. Bei der Freude am Tun entstanden schnell viele Blätter nacheinander. Die Produktivität spornt dann auch noch mal an. Nach einer Stunde, wenn dann Feierabend ist, kann ich mich wieder meiner Brandung widmen.

Junger Text | schneidendes Licht

In diesem Spätsommerwetter dringt mir die Sonne, so wenig gefiltert, am Morgen und Abend überm Horizont flache Strahlen aussendend, blendend direkt auf die Netzhaut. In jedem Jahr sind diese Tage auf ihre besondere Weise anstrengend.

Beim Hangabwärtsgehen am Nachmittag nach Westen schon war der Wechsel zwischen den tiefen Schatten unter den Tannen und dem frontalen Licht zwischen den Wipfeln schneidend. Seit sechs Wochen war ich wieder das erste Mal auf dem Pfad. Er hat die Zeit gut, fast wie gepflegt überdauert. Gelitten hat nur der große Rundbau am oberen Ende, der nun langsam in sich zusammensinkt. Meine Gegenmaßnahmen werden das nicht verhindern. Aber ich wollte an ihm weiter arbeiten, was ich nun auch tun werde. Ich bin gespannt, wie sich das den Herbst über entwickelt.

Alles musste gestern schnell gehen, weil die Lesung, zu der wir am Abend gehen wollten schon so zeitig begann. Helene Hegemann hat bei Hanser in ihrem zarten Alter schon den zweiten Roman herausgebracht. Aus diesem Text mit dem Titel „Jage zwei Tiger“ las sehr schön der Neuzugang zu unserem Frankfurter Schauspielensemble, Paula Hans. Eine junge Frau, gut passend zum in mehrfacher Hinsicht jungen Text. Hegemann ließ sich durch die Oberlehrerfragen von Oliver Reese nicht ins Bockshorn jagen, sondern beharrte charmant auf ihrem Stil und auf den hilfreichen Fehlern darin. Ihre entwaffnend charmante und offene Intelligenz verwies Reese in die besserwisserische Nörgelecke.

Plejaden | Begegnung

Mit dem Beginn des Verkehrs am Frankfurter Flughafen, bin ich am Schreibtisch. Auf dem Balkon vorher im Fernglas, passierte ein Satellit den Sternenhaufen der Plejaden – Orion streckte sich bis auf den Horizont.

Gestern hatte ich tagsüber immer wieder Zeit, an den Brandungslinien weiter zu arbeiten. Es geht nun schon auf die erste Wende der Rollbewegung nach rechts zu. Die Bewegung der aufgenommenen und sich verdichtenden Wasserverläufe würde nun als nächstes entgegen dem Zeitstrahl laufen, zurückbranden. Und ich frage mich ob diese Form der intensiveren und schnelleren Überlagerung, die richtige ist. Ich könnte es auch, wie im Schaufenster vor einem Jahr mit neuen Motiven einfach weiterlaufen lassen. Diese kämen von außen, oder würden aus den übrigen hellen Partikeln, die zwischen der Tusche liegen entstehen.

So zeichnete ich in der Polsterwerkstatt, in meinem Atelier an der Hobelbank und im geöffneten Tor dieser Entscheidung entgegen.

Einen Bericht über die Wettbewerbsentscheidung zum Neubauquartier rund um unser Tevesgelände brachte Frau Kanamüller mit, die mit einem Kollegen vom Planungsamt unterwegs war, und bei mir vorbeischaute. Ich sagte noch mal, dass wir uns als Künstler gerne in Gestaltungsfragen einbringen würden.

Surreale Begegnung mit einem mich anstarrenden Menschen, der auf meinen Gruß trocken lacht.

Wasser- und Luftbewegung

Schreiben an der Hobelbank – mit dem Geruch – das Tor habe ich schon heraufgezogen, jetzt morgens kurz nach Sieben. Seine Mechanik wird schwerer gängig und muss mal etwas gepflegt werden. Immer ist aber alles andere wichtiger.

Überraschen habe ich gestern noch am Nachmittag eine Anfrage für eine heutige Vertretung für einen Ausbildungstag bekommen.

„Common Purpose“ hat mich zu einer Runde eingeladen, bei der es um die Integration von jungen Strafgefangenen oder Vorbestraften geht. Weil ich daran unbedingt teilnehmen will, muss ich meine Dresdenreise verkürzen.

Durch die perforierten Eisendeckel der Kanalisation wird die klare, kühle Morgenluft mit der aufsteigenden warmen Abluft durchsetzt. Ich schreibe an der Stelle, an der ich gestern an der Brandungssequenz arbeitete. Einen Ausschnitt ihres Fortschritts habe ich über die gestrige Collage gelegt. Ich möchte herausbekommen ob die Überlagerungen der Linien das Hin- und Herströmen der Wellen noch deutlicher werden lassen, den Eindruck verstärken kann.

Besuch von einer Gruppe japanischer Soziologen, die sich meine Projekte erklären ließen. Nach allen Konzepten, waren sie tatsächlich von der aktuellen Sequenz besonders angetan. Die Bewegungen des Meeres spielen ja an Japans Küsten mit seiner verletzlichen Energiegewinnung eine besondere Rolle.

Sequenzen als Wegzeichen

In den Überschriften der Webseitentexte befindet sich an zwei Tagen hintereinander das Wort Brandungslinien. Das Wichtige dabei ist aber nicht so sehr die aufgezeichnete Aktion, sondern die Übertragung auf eine Transparentpapierrolle als Überlagerungssequenz. Sie markiert den Start für eine neue große fünfzig Meter lange Rolle, an der ich in der nächsten Zeit arbeiten will.

Die fünf bisherigen Transparentpapierrollen sind immer wichtige Begleitungen der anderen Arbeit gewesen, haben sich dann auch manchmal unversehens zur Hauptarbeit entwickelt. Verläufe von Arbeitsphasen sind so festgehalten worden. Teilweise bildeten die verschiedenen Sequenzen Wegzeichen, die zu anderen Arbeiten, zum Beispiel zu den Reliefs führten.

Irgendwann hatte ich beschlossen, die Arbeit auf einzelnen überschaubaren Bögen unterzubringen, womit aber die Kontinuität der Transparentpapiersequenzen endete.

Als ich die großformatigere Rolle mit einem auf zwanzig Metern mit dem Titel „Where…“ fertig hatte, nahm ich mit größere Blätter wie aus der Serie der „Synaptischen Kartierungen“ vor. Nun bin ich froh, zu diesem Rollenformat zurückgekehrt zu sein, das meiner Arbeitsweise am meisten entgegen kommt. So kann ich mich auf die nächste Zeit im Atelier freuen.

Vielleicht komme ich wieder zu dem Materialien Tusche, Graphit, Schelllack und Spiritus. Daraus könnten sich auch Holzarbeiten entwickeln.

Brandungsliniensequenz

In meinem offenen Ateliertor sitzend habe ich gestern begonnen, die Brandungsliniensequenz zu zeichnen. Der Vorgang der Verdichtung ist zwar bewährt, führt aber dennoch immer wieder zu überraschenden Formen der Begegnungen der Linien. Ein stetes Verdunkeln durch die zunehmende Steigerung der Überlagerungen.

Mühsam, wie immer ist das Nacharbeiten der Tagebuchdateien. Eine Frage der Geduld, der Überwindung und der aufzuwendenden Zeit.

Über das Glück der künstlerischen Arbeit sprach ich gestern am Rande des Abschiedsabends von Tine und Adi, mit Waltraud, einer Kollegin, die auch immer zu den Treffen „zwischen den Jahren“ gekommen war. Währenddessen habe ich dem schönen Riesling gut zugesprochen. Die Zwei werden am Dienstag mit ihrem Sohn endgültig nach Doha in Katar umsiedeln. Ein mutiger Schritt in eine ganz andere Welt.

Auf der gegenüberliegenden Alleenseite geht ein grauer Großvater mit seinem hüpfenden Enkel an der Hand stadteinwärts, vorbei an den Kaffeetrinkern und Eisessern, die in der Mittagssonne die letzten Sommerstunden vor der großen Finsternis genießen wollen. Schon bewölkt sich von Nordwesten her der Himmel, der am Morgen noch blassblau war.

Die trödelige Ruhe eines Sonntags schiebt sich zwischen mich und die Arbeit. Schön ist es das Treiben gegenüber im Cafe zu beobachten.

Brandungslinien

Der Morgen wird von den regelmäßig fahrenden Bussen rhythmisiert. Ich schaue auf die Uhr, wenn sich der Dieselmotor nähert, nehme mir vor, beim nächsten Bus aufzustehen und warte ab, um Kaffee kochen und mich an den Schreibtisch setzen zu können.

Ich lese in den ein Jahr alten Eintragungen von der Struktur, mit der ich die Ausstellung bei Schulz und Souard gemacht habe. Die Waldwanderungen, die damals eine entscheidende Rolle gespielt haben fehlen mir jetzt. Am kommenden Mittwoch nehme ich mir wieder vor, auf den Pfad zu gehen. Vielleicht geht es zukünftig nicht mehr so sehr um die Bauten am Wegesrand, sondern nur um das Material, das dahin verrückt wird.

Das fotografische Material aus Angkor findet nun langsam in die täglichen Collagen. Dabei ist meistens tropischer Wald, der die Ruinen umgibt und ihre Mauern sprengt.

Endlich sind die Brandungslinien aus Chaolao auf neun Din A 4 Blättern in das Atelier gewandert. Geradezu feierlich habe ich dann einen Streifen Transparentpapier zugeschnitten, um die Einzelteile zusammenzeichnen zu können. Es war, als sei ich zu meiner wahren Bestimmung zurückgekehrt – glückliche Stunden. Manchmal lohnt es sich also, den Arbeitstag am Schreibtisch etwas zu verlängern.

Nun habe ich den Anfang für eine weitere Transparentpapierrolle, die ich im Verlauf der nächsten Monate zeichnen will.

Langsame Veränderungen

Von den Zeltbahnen der Textilstände des Marktes wird das gefilterte Morgenlicht dieses Freitags aufgefangen. Die Farben der Jahreszeit werden projiziert.

Unterwegs schauen Radfahrer auf ihre mobilen Displays, begeben sich in die andere Welt. Schüler verlieren ihren ungelenken Habitus und steuern manchmal gleichzeitig in eine stillere Gangart. Das sind die langsamen Veränderungen vor dem Schreibtischfenster.

Ein neues Einkaufszentrum, dessen Funktion uns schon vor zwölf Jahren beschäftigt hat, ist eröffnet. Die ursprünglichen Entertainment- und sogar Kulturfunktionen sind nicht verwirklicht worden. Es scheint die üblich glatte Warenwelt, die auf das überflüssige Geld der Menschen zielt entstanden zu sein.

Mein zeitliches und räumliches Gerüst, das mich wieder in meine Arbeitskontinuität bringen soll, wird durch die Unterrichtstage unterwandert. Immer noch fehlen mir die Brandungslinien und die Reliefstrukturen aus Angkor im Atelier. Die Prioritäten sind aber andere.

Maj zeichnete gestern Abend mit Pinsel und schwarzer Farbe skulpturale Volumina, wie ich das vielleicht vor fünfundzwanzig Jahren in den Theater und Tanzproben angefertigt habe.

Falkenrevier

Flach bis in den hintersten Winkel des Ateliers dringt das direkte, blendende Sonnenaufgangslicht. Scharf und deutlich sehe ich die aufgeräumten Werkzeuge und die von beiden Seiten in eine schwarze Leiste geschnittene Figur. Mit einem Geißfuß vom alten Schreiner Roos schnitt ich so tief in das Holz, dass nun eine durchscheinende „Seele“ im Gegenlicht leuchtet.

Die Jungen Menschen auf Teves geben mir ein warmherziges Feedback auf unsere bisherige Zusammenarbeit. Sie wollen sogar unsere weitere Zusammenarbeit mit ihren Mitteln stabilisieren.

Im Spätsommerlicht sehe ich winzige Eidechsen, die einem Gelege unserer einzelnen wenigen Exemplare entwachsen sein müssen. Sie tummeln sich etwas gewagt über die Einsichtsflächen des Falken.

Fast meine ich, dass das Licht nun ganz still ist. Ein sanfter Schleier liegt über allem. Auf unserer Schotterfläche haben sich Kamille und Huflattich angesiedelt. Sie können einiges an Trockenheit und Hitze aushalten.

Ein weiteres Gespräch mit den Künstlerkollegen über die Zukunft des Tevesgeländes. Impulse erhoffen wir uns von der Neubebauung der Umgebung. Die Bauherren sollten uns vielleicht als imagestiftend wahrnehmen und uns ein wenig aufbauen.

Stillhalten

Herbstliche Farben und lange Schatten legt das Licht in den Morgen. Im Hin und Her tragen die Menschen wieder Jacken.

Die kleine Büste wurde gestern im Atelier fertig. Dennoch, die Fülle in meinem Kopf lässt sich noch nicht ordnen.

Am Bildschirm versuchte ich die GPS-Aufzeichnungen der Brandungslinien aus Chaolao in ein Format zu bringen, mit dem ich weiterarbeiten kann. Dafür benötige ich noch mehr Zeit.

Abwarten – nichts entzündet eine Inspiration – Stillhalten.

Besuch von Carola am Abend. Wegen der Trägheit der Organisatoren scheint unser Indienprojekt auszufallen – einfach so.

Anne wird heute Fünfunddreißig. Als sie geboren wurde war ich zehn Jahre jünger als sie jetzt und jetzt nahe Sechzig. Damals hätte ich mir nicht vorstellen können, wie die nächsten fünfunddreißig Jahre aussahen.

In vierzehn Tagen fahren wir nach Dresden zur Premiere einer deutschen Erstaufführung von „Supergute Tage“ von Simon in B.`s Übersetzung. Außerdem findet nach einem Rimini Protokoll Abend ein Fest zum hundertjährigen Bestehen des Schauspiels Dresden statt. Wilfried Schulz, den wir aus Heidelberg kennen, ist dort Intendant. In fünfunddreißig Jahren wird sich viel verändert haben. Ich bin auf den Umgang mit der Vergangenheit gespannt.

Dokumentationswille

Der Satz Holzschnitzwerkzeuge, die Hobelbank und die anderen Holzbearbeitungswerkzeuge inspirieren mich zu handwerklichen Experimenten. Die setzte ich gestern mit einer kleinen Büste fort. Ihre Schulter soll von der Seite aus extrem schmal werden. Die Frontalansicht des Gesichtes ebenfalls, so dass die Ausrichtungsachsen fünfundvierzig Grad zueinander verdreht sind. Ich merke, wie ungeübt ich bin und wie wenig diese Arbeit mit dem zutun hat, was ich eigentlich will. Mit der handwerklichen Freude ist es eben nicht getan.

Eher interessieren mich die GPS-Linien, die ich in der Brandung von Chaolao gelaufen bin. Aber auch die Kompositionslinien des Schlachtengetümmels an den Mauern von Angkor Wat erinnere ich. All das aber ist noch für die Benutzung im Atelier aufzuarbeiten.

Eine Ernsthaftigkeit der Holzschnitzereien kann vielleicht erst dann entstehen, wenn ich sie mit den geschweißten Dreiecksgitternetzen kombiniere. So ließen sich die Elemente einer Geschichte voneinander getrennt in einem Raum schweben lassen, in dem sie durch das Netz dennoch miteinander verbunden sind.

Ähnliches hatte ich mir schon mit mehreren identischen Abgüssen einer Figur überlegt, die unterschiedlich ausgerichtet im Netz schweben.

Einen großen Eindruck macht auf mich derzeit ein Text des Filmemachers Rithi Panh, der sich in einem Dokumentarfilm mit den Folterern und Mördern der Roten Khmer beschäftigt hat. Erstaunlich ist, wie er die zerfaserte Kraft als Überlebender mit seinem Dokumentationswillen rüstet. Nichts soll vergessen werden.

Quer durch die Grauschleier

Mit dem Auto quer durch die ganze Stadt über eine der Mainbrücken am leeren Mainuferfest vorbei bis nach Oberrad. Dort fanden wir auf dem Waldfriedhof das Grab von Ingrid.

Am Eingang, in die Friedhofsmauer eingelassen, befindet sich ein Stein, der einen von Rankenwerk umgebenen Jüngling zeigt. Im Kontrast zum Ort, ein sehr vitales Werk.

Keinen Spaziergang über das schöne bewegt – waldige Gelände erlaubte der tosende Regen, der mit unserer Ankunft eingesetzt hatte. Das Urnengrab ist ein Quadrat, das zur Ausrichtung des Weges, an dem es liegt, vielleicht um dreißig Grad gedreht ist, zurückhaltend bepflanzt und sehr geschmackvoll.

Kein Halt auf der Rückfahrt, ein stiller Sonntag, verregnet und arm an Farbe.

Die akustischen Rhythmen vor der Tür werden von einer temporären Bushaltestelle, die uns aus nicht erfindlichen Gründen noch einen Monat erhalten bleibt, bereichert. Dazu die startenden Maschinen in der seltenen Konstellation mit von Osten vorbei geschobenen Wolken, die Regen mit sich führen.

Ich beginne nun die Motive von Angkor mit in die täglichen Collagen einzubauen. Bald werden auch die Reisetexte mit in das Arbeitstagebuch eingefügt

Fernhalten

Gestern ist die Allee von einem Guss unter Wasser gesetzt worden, der einem Tropengewitter alle Ehre gemacht hätte. Während dessen stellte ich mir die nach Schutz suchenden dreimillionen Besucher des Museumsuferfestes zwischen den Elektrokabeln der unzähligen leuchtenden, Essen anbietenden und lärmenden Stände vor. Die brodelnden vergnügungssüchtigen Menschenmassen, die heute auch noch von einem verkaufsoffenen Sonntag angezogen werden. Es kann einer Stadt nicht reichen nur der Ort des Wohnens, des Arbeitens und der Ort zu sein, wo man seine Freunde findet und trifft. Nein – alle Menschen der weiteren Umgebung müssen durch die Eventisierung des Ortes in Gang gesetzt werden, sich zusammenzuballen und den entstehenden Lärm und die Müllberge anschwellen lassen.

Wessen Erfindung ist die Sehnsucht nach Ruhe, nach der bachdurchflossenen Stille des Waldes? Es erscheint mir wie ein Privileg, mich von den Massenveranstaltungen fernhalten zu können.

Gestern habe ich die Fotos unserer Kambodschareise zunächst auf meinen kleinen Rechner geschoben und geordnet. Die Angkorfotos sind noch nach Tempeln zu sortieren.

Vom Atelier habe ich mich gestern noch ferngehalten. Zu sehr bin ich zu Hause mit dem Ankommen beschäftigt. Ich erinnere mich an den Moment, als wir die Wohnungstür hinter uns geschlossen hatten und der unbekannte Raum vor uns lag. Selbst die Beschaffenheit der Stadt Bangkok, die wir vor zwölf Jahren etwas kennen gelernt hatten, musste sich durch die Jahre unserer anderen Asienerfahrungen verändert haben.

Reisen erzählen

Ganz gerne würde ich die Reisetagebucheintragungen, die oft kleine Geschichten in sich tragen, in die Arbeitstagebuchdatei einfügen. Mich schreckt dabei einerseits die viele Arbeit, andererseits könnte ich mich noch mal in Ruhe mit der Reise beschäftigen und die Geschichten etwas abrunden. Außerdem wäre es ein Treuedienst an meine Internetleser.

Im Atelier habe ich mit Linien, die ganz formal kontrapunktisch aufeinander reagieren begonnen, eine neue Transparentpapierrolle zu zeichnen. Auch dafür werde ich die Fotografien aus Angkor benutzen können. Das ist alles noch eine Menge schöner Arbeit.

Auf dem Markt waren nun alle wieder da, zurück von ihren Reisen und froh, sich erneut zu sehen. Mathilda ging wieder mit mir spazieren und ich erzählte gerne von der Reise.

Öfter ging mir unterwegs durch den Kopf, dass Anja gesagt hatte, dass sie sich freuen würde, wenn ich dann wieder da, erzählen würde. Und oft dachte ich, wie soll ich das jetzt beschreiben. Vielleicht haben deswegen auch die Reisetexte einen etwas anderen erzählenden Stil, im Gegensatz zu den Dokumentationen der vergangenen Jahre bekommen.

Gerd hatte wohl die meiste Arbeit mit dem Wässern der Pflanzen gehabt. Ihm gebührt also der größte Dank. Aber ich sehe schon kommen, dass es schwierig wird, alle mal zum Essen zusammen zu bekommen.

Absaras

Vor mir steht eine kleine Figur einer tanzenden Absara auf meiner Schreibtischplatte. Wir kauften sie von zwei Mädchen vor einer der späteren Tempelbesichtigungen in Angkor. Die Händlerscharen erstrecken sich manchmal bis in das Innerste der Heiligtümer, und selbstverständlich sind auch die religiösen Dienste nicht umsonst zu haben. Aber da wir keine Buddhisten sind und uns deswegen auch nicht den Bräuchen nähern, haben wir nur mit stoischer Gelassenheit das Meer des Kommerzes zu queren. Wenn die Kinder allzu lästig wurden, sagten wir ihnen, dass sie lieber in die Schule gehen sollten. Das half.

Vier unbesichtigte Fotochips liegen noch auf dem Tisch, einer ist noch in der Kamera. Viele der aufgenommenen Absaras mit den mannigfaltigen Frisurenaufbauten sind auch dort noch zu entdecken.

Ferner liegen einzeln in kleinen Klarsichttüten eingepackte Amulette zu fünf Stück noch einmal in eine wieder verschließbare Tüte eingepackt auf der Schreibtischplatte. An den Mauern eines großen Wats in Bangkok gibt es einen Markt, der nur auf diese kleinen Täfelchen spezialisiert ist. Es waren die heißen Stunden des Tages, und keiner der Händler schien große Lust zu haben, für die paar Bath, die ein Exemplar kostete, bei unserem Vorbeigehen auch nur den Kopf aus einem der Klappsessel zu heben. So konnten wir uns die Exemplare, die uns gefielen in Ruhe aussuchen.

In den letzten Tagen unserer Reise sprachen wir öfter von luftgetrocknetem Schinken, Ziegenkäse, dunklem Brot und dem hellen Grauburgunder aus Battenberg. Nun ist B. auf den Markt gegangen.

Ayuttaya

Bangkok. Weißer Himmel. Deckenventilator auf Stufe vier. Eine schwarze Katze umstreicht das Geisterhäuschen, an dem mit ein paar Lebensmittelopfergaben für gute Stimmung gesorgt werden soll.

Gestern gerieten wir in die Gebete und die rituellen Handlungen der Buddhisten. Dann nehmen wir manchmal zwischen ihnen Platz, warten ab, schauen uns um, bis zwischen den Wiederholungen kleinere Pausen eintreten. Das gibt uns Gelegenheit zwischen den aufstehenden oder hereinströmenden Menschen umherzugehen, um sich etwas in die Malereien vertiefen zu können.

Ayuttaya. Kurze Fahrt in einem eisigen Taxi aus der großen Stadt heraus in ein nettes Resort hierher. Die Häuser, die Böden und Möbel bestehen aus dem hiesigen Tropenholz, oft dick mit Bootslack beschichtet.

Wir bezogen ein schönes Eckzimmer über dem Pool, der von einem dichten Garten umgeben ist. Durch das viele Grün führen verwinkelte Wege zu den Zimmern.

Schon unterwegs fielen mir die Backsteinruinen der Tempeltürme auf. Während ich schreibe und B. uns einrichtet, überlegen wir, wie der Tag heute noch weitergehen soll.

Noch bin ich gefangen von der Brutalität der Stadtaußenbezirke, von dem rohen, in unförmige Maßverhältnisse gegossenen Beton. Die Shoppingtempel mit riesigen Reklamen dazwischen, aber auch kleine traditionelle Wats der Buddhisten. Irgendwann aber kamen die Flächen der Zuckerrohr- und Reisfelder und das Land begann wohltuend.

Wandbilder

Bangkok. Der Verputz profaner Bauten bietet starkfleckige Bilder, ungerahmte Objekte vom Wetter gezeichnet, von den Abgasen mitgenommen, weißfleckig, oder schwarzgrau senkrecht gestreift. Im Raum davor befinden sich bündelweise schwarze Kabel, einzeln miteinander verknüpft und von jungen muskulösen Drahtziehern verlegt. Sie kennen sich zwar im Labyrinth der verzweigten elektrischen Wege aus, was ihnen aber im Fall der Regenflutung der Stadt auch wenig nützt. Gefährlich bleibt es dann allemal.

An unserem dritten Tag in der Regenzeit hier, fiel noch kein Tropfen. Ganz zu schweigen ist von den Wasserwänden und rauschenden Infernos, wie wir sie kennen.

Am Nachmittag aber wurden neben den Klonks schon Planen gespannt. Die stechende Hitze senkrecht von oben wurde besonders drückend.

Die Malereien an den Wänden der Tempel folgen oft den indischen Epen, zeigen aber auch viele Szenen aus dem Leben der Herrscher oder ihres dienenden Volkes. Dabei werden die Götter, aber auch die Landbevölkerung mit individuell genau gezeichneten Porträts versehen. So bedecken feine Malereien über detailreichen Vorzeichnungen große Wände der Innenräume vieler Tempel.

Am Nachmittag dann, als wir gerade im Hotel angekommen waren, setzte das ein, was man einen Tropenregen nennen kann. Wir legten uns auf die Betten und ich dachte an die Stromstöße, die die Busladungen ausgeschütteter Touristenherden durchzucken.

Klosternachbarschaft

Bangkok. Von den Fassaden der bunten Tempeltürme, Prang genannt, fallen manchmal kleine Keramikstückchen herab, die in den Putz eingelassen die Dekoration flirrend zerstreuen. Vor zwölf Jahren fanden wir das noch sehr erstaunlich und faszinierend.

Die touristischen Hauptattraktionen werden von Touristenmassen heimgesucht. Dabei handelt es sich um Chinesen, Vietnamesen und Menschen aus anderen asiatischen Regionen. Es herrschen Enge, Grobheit und Lärm. Die Enden der metallenen Sonnenschirmstreben befinden sich auf Augenhöhe. Man muss sehr aufpassen.

Oft führen uns unsere Wege über den Fluss. Von einem Restaurant an seinem Ufer beobachteten wir das schnelle Hereinbrechen der Dunkelheit und das Aufleuchten der Stadt. Entsprechen hatten wir ein paar Bath mehr aufzuwenden. Die kleinen Garküchen zwischen den Häusern und in den Toreinfahrten haben aber Bestand. Ihre Suppen sind unübertroffen und nach wie vor preiswert.

Unser Guesthouse befindet sich in einem Viertel, in dem viele Holzhäuser stehen geblieben sind. Einige Klöster stoßen mit ihren Mauer fast an unser Gelände. Das Beeinflusst den Stil der Bewegungen um uns herum. Es ist stiller und gemächlicher. Die Kleinteiligkeit erfreut die Sinne.

Ankunft Bangkok

Bangkok. Wie Olivin leuchtet das Wasser des Flusses auf dem man schnell mit Booten von einem zum anderen Ort der Stadt kommt, zwischen den Strudeln der Schiffsschrauben. Schwere karpfenartige Flusswelse drehen ihre geschuppten Seiten an die Wasseroberfläche.

Am Morgen sahen wir diesen Fluss schon bald beim Landeanflug nach einer verkrümmten Nacht im Sitz eines A 380 über den asiatischen Wüsten, als ockerfarbene Schlange zwischen den Stadtflächen. Erst hinter Pakistan auf der Höhe von Amritsar spürte man die Wolkengebirge des Monsuns. Im Halbschlaf glaubte ich über dem Ganges immer etwa zu wissen, wo wir uns befanden.

Die Arbeitsgeräusche hier in dieser sehr ruhigen Gegend der Stadt werden von den tropischen Schreien eines Vogels übertönt.

Der Nachmittag war ein typischer Eingewöhnungstrip mit etwas Schlaf, Bootsfahrten auf dem Fluss und mit Spaziergängen auf dem Gelände des Wat Pho.

Und natürlich spielen die Erinnerungen an unseren ersten Besuch der Stadt vor zwölf Jahren eine Rolle. Alles was uns damals exotisch und spannend vorkam, hat sich nun etwas relativiert. Dem Fremden nähern wir uns mit etwas mehr Reserviertheit. Der Reiz der Fassaden des Wat Pho ist etwas verblasst. Dafür aber scheint uns ein dritter Blick, etwas mehr unter die verzierten Oberflächen möglich geworden zu sein.

Packen


Zwei junge Damen vor mir an der Kasse eines Drogeriemarktes sind so intensiv mit ihren Smartphones beschäftigt, das der Kassiervorgang ins Stocken kommt. Ich möchte Batterien für die Stirnlampen kaufen, die wir auf der Reise zu benötigen glauben und merke aber, dass ich zu wenig Geld in die Tasche gesteckt habe. Die Damen benötigen für ihr Fertiggrillset und die eingeschweißten Würstchen noch die passenden Grillpartner und ich ziehe unverrichteter Dinge ab. Zu Hause sind überraschenderweise doch noch passende Batterien vorhanden. Urlaubsreif.

Vierunddreißig Grad im Schatten. Die Pflanzen vor dem Atelier bekommen viel Wasser. Am kommenden Wochenende sollen die Temperaturen noch mal steigen. Ich habe ein schlechtes Gewissen die Versorgung meines Grüns bei dem Wetter Gitta und Gerd zu überlassen. Immerhin habe ich den Kühlschrank voll Bier gepackt.

Gestern packten wir in Ruhe unsere Taschen. Nachher fahren wir dann mit der S-Bahn zum Flughafen.

Auf Teves ist vorübergehend etwas Ruhe eingekehrt, obwohl ich mit mehr Veranstaltungen mit viel Krach gerechnet hatte. So vermindert sich nun das Konfliktpotential.

Virtuelle Skulptur | Hitze

Gestern Vormittag begann ich wieder, mit virtuellen Skulpturen zu arbeiten. Eines der Werkzeuge heißt „Ray Dream“ und ist nicht ganz einfach zu bedienen. Damit kann ich aber auch die Umrisse extrudieren, die man gezeichnet hat oder gewandert ist.

Die Hitze hat mich fest im Griff. Sie ist ein Synonym für all die belastenden Dinge, denen man nur schwer entrinnen kann und löst eine depressive Tendenz aus. Ich kann nicht aus meiner Haut und werde gleichzeitig träge. Deutlich ist zu spüren, wie die Luft steht, kaum Zirkulation. Sehnsucht nach Fahrtwind oder einem Gewitter kommt auf.

Dennoch baute ich im Atelier an dem Dreiecksrahmen für die Reliefs und hatte mich dabei auf die neue Situation der Werkbank einzurichten. Sie ist niedriger als der Schraubstock auf seinem Tisch.

Am Abend las ich in einem Buch über Angkor Wat und stellte dabei fest, dass die Masse der Bauten noch viel gewaltiger zu sein scheint, als ich mir das vorgestellt hatte. Jedenfalls müssen wir uns von der Vorstellung verabschieden, uns alles anschauen zu können.

Gestern interessierte ich mich besonders für die Reliefgalerien des Bayon. Die Fülle der Motive lässt sich kaum zwischen zwei Buchdeckel bringen. Auch deswegen muss man hinreisen. Es kann sein, dass die Besichtigung anstrengender aber auch großartiger wird, als alles, was wir bisher in Indien gesehen haben.

Gehirnwäsche

Gehirnwäsche – zum wiederholten Mal, ohne großen Variantenreichtum, wurden wir von der unglücklichen Geschichte einer Ehe überschüttet. Ich komme mir abgefüllt vor. Besuch – höflich harrt man aus, versucht Einwürfe, versucht den Sonntagnachmittag zu retten, sich etwas zu erholen – vergebens.

Es ist fast unmöglich nach einem solchen Redeschwall zur Normalität zurückzukehren. Ich versuche das in der Kühle des Morgens auf dem Balkon, wo immerhin meine gefädelten Ketten aus Fuerteventura hängen. In der gestrigen brutalen Hitze stiefelten wir durch den Sonnenschein am Mainufer. Unter dem Schattenschirm der Platanen bewegten sich kleine Sonnenspots auf den Gehwegen. Sie werden erst sichtbar, wenn man selber stehen bleibt.

Über den Dächern ging ein Vollmond auf, groß, klar und schnell wandernd. Für heute ist noch größere Hitze angesagt. Für Gewitter fehlt es noch an Luftfeuchtigkeit.

Am Wochenende von fettwänstigen Familien vermüllt, die ihren Reichtum damit ausdrücken, liegt die Allee da. Bauerbeiter aus Südosteuropa betrinken sich schon am Vormittag, was den Effekt hat, dass sie in der Nacht nicht mehr lärmen.

Schon die Spiegelbilder in den Scheiben des Cafes signalisieren mir, dass ich hier raus muss. Es ist genug jetzt.

Gärung

Auf einem meiner Tische im Atelier steht die Weinpresse von Helgas Vater. Das erinnert mich an meine Zeit an der Elbe bei Dresden. Zwischen dem Wohnhaus und dem Fluss befand sich eine große Sauerkirschplantage, die nach einer Ziemlich schlampigen Ernte zum Plündern freigegeben wurde. Eimerweise habe ich diese Früchte zu Kirschwein verarbeitet, einem schillernden Getränk, von dem ich bis zu zweihundert Liter gemacht habe. In den vielen verschiedenen Weinballons blubberte es dann bis weit in den Herbst hinein und im Atelier roch es in dieser ganzen Zeit nach Gärung. Durch mehrmaliges Abfüllen klärte sich das Getränk, weil immer etwas Bodensatz zurückblieb. Mit einem wachsenden Freundeskreis war der Wein dann im darauf folgenden Sommer ausgetrunken.

Nun stehe ich hier vor der Aufgabe, die geeigneten Früchte der Region zu finden, mit denen ich das Ganze wieder beleben kann. Ich könnte es zunächst mal mit Äpfeln versuchen und dann mal schauen, was sich noch eignet.

Die Hobelbank weihte ich gestern mit dem Schnitzen eines kleinen Paares aus einem Stück Bauholz ein. Einiges von dem Werkzeug, das ich für den Bau der Dreiecksrahmen benötige, legte ich schon in die große Schublade unter der dicken Arbeitsplatte. Ich habe mich nun schon so sehr mit dem sich dafür nicht sonderlich gut eignendem Schraubstock eingearbeitet, dass ich erst einmal überlegen muss, wie ich das Holz für diese Arbeit in die Werkbank einspannen kann.

Holzarbeit


Auf den verschiedenen Bodenbelägen, dem Pflaster und den Wegen aus Erde und ockerfarbenem Split, werden die Schatten der Aleenbäume lang nach Westen hin verwischt.

Die Ringeltauben und Elstern liefern sich Sängerkriege und seit vierzehn Tagen starten die Flugzeuge mittlerer Größe über unser Haus. Manchmal nähert sich schon das nächste, wenn der Lärm des vorherigen noch nicht verklungen ist.

Am vergangenen Donnerstag haben wir das Werkzeug aus der Schreinerwerkstatt zunächst nur auf den Boden des Ateliers gelegt. Nun habe ich meine Regale etwas stabilisiert und Platz für das viele Metall gemacht.

Auf der Werkbank, die gewichtig in der Mitte des Raumes steht, hobelte ich eine Leiste, die ich schon eine Weile für dies und das benutze. Sie war rau, schmutzig und splittrig, ist nun fast ein glatter Handschmeichler.

Und gleich fallen mir Dinge ein, die ich aus Holz machen könnte. Vor der Tür steht ein schwerer Balken, der Brandspuren, Gipsschichten und Bruchkanten aufweist. Er würde sich für eine Figur eignen, die ich in ein Dreiecksgitternetz montieren kann. Als Vorbild schwebt mir dafür ein animiertes Wesen vor, das ich vor zwanzig Jahren in ein virtuelles Weltall rotieren ließ. Das war innerhalb der Performance „In The Forest“ in der Schokofabrik in Heidelberg.

Hobelbank

Erbarmungslos blendende Lichtreflexe neben harten Schlagschatten in den Zwischenräumen der Händlerzelte auf dem Wochenmarkt. Angebote über Angebote wirrer Bilder: Sonnenhut einer vorbeiradelnden Chinesin, aufheulender Motor unter meinem Fenster und die majestätischen Schwünge der Mauersegler.

Schon am Vormittag war ich gestern losgezogen, um den Transporter für das Abholen der Hobelbank vom Autoverleih zu holen. Vorher räumte ich Platz im Atelier frei. Jan kam wie verabredet, und gemeinsam mit Helga nahmen wir die Taunussteigungen in Windeseile.

In der Werkstatt im Merzhausen angekommen, fühlte ich mich wieder meiner Lehrzeit so nahe. Durch den Geruch nach Spänen, Öl und Leim griff ich auf die Erinnerungen zurück, die sich gleichzeitig auch mit dem Ausblick in den Garten durch die vielsprossigen Fenster verbanden.

Ohne viel Federlesen ging Jan den Transport des schweren Teiles an. Wir hoben die Platte aus dem Gestell und legten sie auf den kleinen Transportwagen, den wir aus dem Atelier mitgebracht hatten. Das Problem aber, das mich schon in der Nacht zuvor beschäftigt hatte, bestand in der steilen Betontreppe, die von der Werkstatt in den Hof hinab führte. Die Idee war, die Platte hochkant auf ihrer Rückseite die Stufen hinab gleiten zu lassen. So taten wir das auch und wuchteten dann den Klotz irgendwie auf die Ladefläche. Dann sammelten wir noch viel Werkzeug ein, das über viele Jahrzehnte zusammengetragen wurde.

So schwindet langsam das Leben des Tischlers noch einmal Stück für Stück aus den Räumen.

Tanzender Shiva

Manchmal begegnet man dem tanzenden Shiva inmitten der Woche, sei es als plötzlich erscheinende Großfamilie, als Bauschutttransporter, Während der Verabredung zur Waldwanderung oder beim Abendkonzert einer Jonny Cash – Coverband im Park. Ich kann mit dieser Musik wenig anfangen und mein Gitarrenlehrer Arun war auch als eingesprungener Gast weniger gefordert. Aber die Menschenmassen mit Picknickdecken auf der herunter getrampelten Wiese erinnerten an indische Zustände. Wir trafen Gudrun und tranken auf einer Decke gemeinsam ein Sixpack aus.

Am Nachmittag war ich mit ihr zu einem schweißtreibenden Hanggang im Wald. Der Sommer meint es gut in diesen Tagen. Um Majs schwebendes Boot räumten wir einen Bodenkreis frei, der es nun besser zur Geltung kommen lässt. Wir bauten viel Neues: Bodenkreise, Geflechte und Anlehnfiguren, die sich an die Baumstämme schmiegen.

Am Abend hatte ich nach einem Anruf von Helga, den heutigen Transport der Hobelbank vorzuverlegen. Vor dieser Aktion heute ist mir etwas bang. Zum einen wegen des Gewichtes der alten Werkbank und andererseits auf Grund des ungewohnt großen Autos.

Am Hang hatte ich einiges fotografiert, obwohl sich die Lichtreflexe wieder in den Vordergrund schoben. Je weniger ich im Atelier an neuen Dingen baue, umso wichtiger werden die Waldgeflechte. Im Zusammenhang mit den täglichen Zeichnungen sind sie derzeit meine Fixsterne, an denen ich mich während der Alltagsnavigation orientiere.

Drahtgitternetz mit Trümmerschichten

In den letzten Jahren sieht man öfter Drahtgestellkuben, die mit Schotter angefüllt sind. Sie werden beispielsweise zu Lärmschutzmauern neben Autobahnen oder Eisenbahntrassen gestapelt. Am Morgen dachte ich mir ein solches geflochtenes Dreiecksgitternetz, in das ich die ausgegrabenen Trümmer aus der archäologischen Schicht des „Russenlagers“ hineinfülle. Ein solches Netz kann natürlich auch in eine bestimmte Form gebracht werden.

Am gestrigen Nachmittag formte ich das Blutkreislaufrelief vielleicht zum zwanzigsten Mal aus. Diese kontinuierliche Tätigkeit verschafft mit im offenen Rolltor einen direkten Zugang zu den Atmosphären, die auf Teves herrschen.

Am Abend las ich drüben im Cafe in den „Cronicles“ von Dylan. Beim zweiten Lesen erkenne ich noch weitere Dimensionen des Textes. Neben den Kolonnen von Musikernamen, die man heute ja „googeln“ kann, öffnet sich der Raum oft in sehr poetische Passagen. Sie leuchten zwischen dem etwas schnodderigen Ton hervor. Ihr Auftritt ist ganz unmerklich, weil die Beleuchtung der Szenerie dennoch nicht wechselt: „Die Stille des Weltalls war noch nie so laut gewesen“ (S. 109).

Der Blick der ein Fußballspiel horizontal durchdringt, wird durch eine Schwerkraft nach unten umgelenkt oder der Raum wird gebogen, wie Glasfasern. Er folgt der Richtung in den Boden, der die Formationen der Trümmer der Geschichte aufbewahrt. Auf der armseligen, überdachten Trainerbank sitzt ein sorgenvoller Coach etwa dort, wo die Baracke der Wachmannschaft der Kriegsgefangenenlagers stand. Was bedeutet uns dieser Ort?

Pflanzen | Gespräche

Vormittags kümmerte ich mich nochmals um eine knappe Beschreibung des Projektes, das ich im Architekturmuseum machen möchte. Bevor das ernst wird, werde ich ein paar Schritte selber ausprobieren müssen.

Im Anschluss an die Kreuzung Schwalbacher – Frankenallee wird nun ostwärts der Grünstreifen erneuert. Die Arbeit wird in der Hauptsache in unserer Abwesenheit erledigt und findet diesmal nicht direkt vor unseren Fenstern statt. Nach künstlerischen Gestaltungen wird nicht gefragt.

Nachmittags formte ich ein Kreuzstabträgerrelief im offenen Rolltor des Ateliers aus. Mit den letzten sechs Dreiecksrahmen habe ich ausschließlich Blutkreislauffigurenreliefs gefasst. Nun kann ich sie im „Balken“ zu einem Wandbild zusammenstellen.

Am Abend kamen Gitta und Gerd, die während unserer Abwesenheit meine Pflanzen am Atelier wässern wollen. Ich zeigte ihnen kurz, wie das mit dem Schlauch unaufwendig geschehen kann.

Wir sprachen über das Günesproblem und über deutsche Erinnerungskultur. Ich versuche mit vielen Menschen über die Art und Weise des Gedenkens ins Gespräch zu kommen, um meine Haltung dazu zu bereichern.

Maj schrieb in einer Mail, und zitierte mich dabei, dass man das Ganze nicht zu früh zerreden sollte. Wenn die Gespräche aber um allgemeine Schritte des Erinnerns kreisen, kann das eigentlich nicht geschehen.

Deniz habe ich den Artikel über den RAF-Zyklus von Richter gegeben und will mal sehen, was er dazu zu sagen hat. Seine Beschäftigung mit dem Armenierthema schließt ja auch Herangehensweisen mit ein, die sich aus europäischem Gedenken ergeben.

In den Schubladen

Selten hatte ich mir vorgestellt, wie mein Leben zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft aussehen könnte. Nie dachte ich als Jugendlicher über die Schallmauer des Jahres Zweitausend hinaus. Eher wollte ich wissen, wie sich mein Dasein in der Vergangenheit anfühlte, oder in früheren Zeiten angefühlt hätte.

Früher war ich oft mit Projekten beschäftigt, die nicht umgesetzt wurden. Dieses Arbeiten für die Schublade ist ein seltsamer Vorgang, der aber immer auch mit der Hoffnung durchsetzt ist, dass von den Entwürfen doch noch etwas gebraucht wird. Seit Jahren lagern die Neulandentwürfe und die für den Bahnhofsvorplatz im Historischen Museum. In einem Büro des Architekturmuseums hängt mein Handprint Frankfurt.

Mit Blick auf das Kriegsgefangenengedenken möchte ich nicht mehr so viel investieren, ohne dass eine Finanzierung und Umsetzung klar ist. Dem steht gegenüber, dass mich das Thema sehr reizt, und dass ich schon immer an Dingen gearbeitet habe, die mich einfach so ohne Zielorientierung interessierten.

Phasen des Erinnerns

Am ruhigen Nachmittag im Atelier, der nur kurz durch Erdbeben der Technomaschinen bei Günes gestört wurde; baute ich sechs Dreiecksrahmen zusammen.

Am Abend trafen wir Jan, Babette und Niki bei Barbara Neu zum Grillen. Mit Niki habe ich mir immer viel zu erzählen. Gestern ging es um künstlerische Formen des Erinnerns.

Am Nachmittag las ich dazu im „Kunstforum“ einen Artikel über die Rezeption des RAF-Zyklus von Gerhard Richter. Immer wieder werden die Ausstellungen dieser Bilder kontrovers diskutiert. Dem Maler wird beispielsweise die Heroisierung der Terroristen vorgeworfen und dass er keine Opfer dieser Menschen zeigt. Dabei wird die tiefere Dimension des Blickes auf die selbstzerstörerische Ideologie dieser Deutschen des zwanzigsten Jahrhunderts übersehen.

Niki wird in seinem Film über Rommel auch eine Beschönigung der Figur oder der Situation vorgeworfen. Dabei stellt er die Frage nach dem Grad der Selbsttäuschung, was die Ermordung der Juden angeht. Es geht darum, wie lange Rommel diese Wahrheit von sich fernhalten konnte und wollte, um weiter an das System glauben zu können.

Es stellt sich die Frage, was uns im Erinnern und Gedenken interessiert und wie sich diese Maßgaben im Lauf der Zeit, in der zunehmenden zeitlichen Entfernung zu den Geschehnissen verändern. Wir sind in eine qualitativ neue Phase des Erinnerns eingetreten. Dem muss bei künstlerischem Gedenken Rechnung getragen werden.

Erinnern des Vergessens

Meine Dreiecksrahmen baue ich immer noch mit der Hand. Das ist ein Vergnügen. Ich habe leichtere Leisten gekauft, deren Kanten nicht gebrochen sind, wodurch sich genauer arbeiten lässt.

Gestern war Mathilda auf dem Markt und wollte mit mir spazieren gehen. Ich zeigte ihr Obstsorten und Brot, führte sie dahin, wohin sie wollte und wurde mit ihr gemeinsam fotografiert.

Am Donnerstag habe ich Monika und Maj erzählt, worum es mir beim bisherigen Stand meiner Überlegungen zum Kriegsgefangenengedenken geht. Maj sprach das gestern an und meinte, dass das alles noch sehr distanziert klingt. Diese Distanz ist aber das Mittel, mit dem ich mir zunächst einen Überblick verschaffe. Zuerst erinnere ich an die Versuche des schnellen Vergessens, an das Planieren der Trümmer. Am Vormittag bin ich noch mal über dieses Gelände gelaufen und habe Strähnen gebleichten Haares gefunden, alte Ziegelbrocken und in einen Maschendraht eingewachsenes Holz. Das allein schon geht mir im Zusammenhang mit den Bildern von Kriegsgefangenen durch Mark und Knochen. Bei der weiteren Recherche werden wir vielleicht auf Einzelschicksale stoßen. Auf Fotos werden wir erkennen, ob das Gelände nach dem Krieg abgesenkt wurde, um die Erinnerung so gründlich wie möglich abzutransportieren.

Heute Abend findet auf unserem Gelände, „Frankfurts schönster Offlocation“ eine Technoparty statt, die überall in der Stadt plakatiert wurde. Nun werden wir sehen, wie das auf zwei Dancefloors mit insgesamt einhundertneunundneunzig Gästen funktioniert. Klaus Sudhof von der KEG wird sich das Ganze mal anschauen. Das finde ich gut.

Trümmeraufstand

In der Nacht erinnerte ich Teile von „Bildbeschreibung“ von Heiner Müller. Es waren die von Drahtgeflechten festgehaltenen Felsen, unter denen der Aufstand der Gebeine rumort.

Beim Gedenken an die russischen Kriegsgefangenen geht es um das Aufstehen einer vergrabenen und eingeebneten Schicht von Trümmern, über der eine Wiese wächst.

In meiner Vorstellung drängt aus diesen Dunkel etwas hervor, das die ganze Zeit mühsam abgedeckt wurde. Es wirft bereits Blasen und kann nur mit Mühe mit diesem Drahtgeflecht gebändigt werden. Diese Bewegung wird von den nicht zur Ruhe kommenden Trümmern hervorgerufen, die das Fundament waren auf denen der Pferch für die lebendigen Toten lagerte.

Anders: Die Geschichte ist eingegossen in einen hermetischen Block, der Risse bekommt, als könnten Wasser und Frost die Trümmer wieder sichtbar werden lassen und immer mehr der Erinnerung freilegen. Die Angriffslinien für das langsame Auseinandersprengen des Blocks, bilden die GPS-Linien der Erinnerungswanderung, die den alten Grundrissen auf der Wiese des Sportplatzes folgt und sie mit einem Liniennetz ausfüllt. Das Netz, das den Aufstand der Gebeine verhindern sollte wird so in seiner Funktion umgekehrt.

Maj hat gestern Abend ihre vielteilige Form auseinandergebaut, was eine spannende Angelegenheit war. Nun stehen wir vor der Aufgabe, sie wieder zusammenzusetzen, um dann den ersten Guss zu machen. Monika las Barlach vor und entdeckte uns die Qualität seiner Texte.

Zement

Windiger, sonniger Morgen. Kurz vor den Mauerseglern werden wir nach Angkor Wat aufbrechen. Sie haben schon Ende Juli ihre Jungen soweit, dass sie den langen Flug nach Süden antreten können.

Drüben im Cafe gegenüber saß ich gestern Abend und las in den „Cronicles“ von Bob Dylan. Meiner bemächtigte sich ein sanfter Blick auf die Gäste, auf die kühl herabfallende Dämmerung und auf den Text. Manchmal blitzen in der Prosa Zeilen auf, die aus seinen Songs stammen könnten. An einer Stelle beschreibt er den Blick aus einem Fenster auf den Schneefall, der auf den Boden niedergeht, der mit Zement bedeckt ist.

Ich dachte dabei an unseren erbarmungslosen Betonhof auf Teves, dessen Oberfläche langsam zerbröselt. Aber für jeden Kiesel, der herausgelöst wird, sammelt sich etwas Erde in den entstehenden Vertiefungen. Irgendwann wird dort etwas zu sprießen beginnen.

Der Haufen vor meinem Atelier aus Steinen, Asche und Flugerde, die von den Rückständen der sich reckenden Pappel im Westen stammt, wird auch von immer mehr Pflanzen besiedelt. Neben der unverwüstlichen Birke, wachsen dort Ahorn, Goldregen und blau blühende Schlingpflanzen.

Mit ein paar Anlaufschwierigkeiten sind die Kinder gestern zu den eigenen Figuren gekommen, die sie in den Liniengeflechten der Dreiecksreliefs finden sollten. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie die Möglichkeit gehabt hätten, das Ganze erst einmal auf Papier zu probieren, wie wir es in der Schule an unserem Tisch angeboten hatten.

Gehirnwäsche

Autofahrten und Straßenbahnfahrten mit den Kindern, auch die Arbeit im Atelier oder im Wald mit ihnen hat etwas von Gehirnwäsche.

Gestern waren wir gemeinsam im Architekturmuseum und bekamen dort eine schöne kindgerechte Führung durch die Ausstellung „Think Global, Built Social“. Mir ging es dabei besonders um die Zusammenhänge mit unserer Waldarbeit, um die Komponente des vorhandenen Materials, das sowohl im Wald als auch im Atelier zu Bauen benutzt wird. Nun werde ich heute Morgen ein paar Bearbeitungsmöglichkeiten für das mitgebrachte Material bieten, zurückgreifen auf die Arbeit, die ich im Schaufenster ausgestellt hatte um die Kinder zu animieren, mir auf diesem Weg zu folgen.

Im DAM verabredete ich mit Frau Budde, dass wir nach unseren Reisen an den Erwachsenenworkshops weiter arbeiten und uns um die Anträge für weitere Fördergelder für Zweitausendvierzehn kümmern.

Ich möchte in der kommenden Woche noch etwas mehr über die Khmer lesen und so die Reise nach Angkor Wat weiter vorbereiten. Das geht in dieser Woche nicht. Ich schlafe kurz und fest und arbeite viel.

Öfter denke ich an das Kriegsgefangenengedenken, denke im Moment gerade an einen gemeißelten Durchbruch, der durch einbetoniertes Fundmaterial führt. Am Rand des Lochs sieht man die Trümmer, dahinter die reale, sich verändernde Welt mit ihren veränderten Blicken auf die Vergangenheit.

Kinder

Schon am Vormittag fuhren Alexander und ich mit unseren Kunstferien – Kindern an den Hang des kleinen Feldberges. Das Spielerische des Vorgangs, kleine Installationen herzustellen, schuf sofort Möglichkeiten des Einstiegs.

Der Wald, für viele ein ungewohnter Raum, wurde auch zur Schatzkammer, denn ein Mädchen hatte einen recht schweren Hammer mit, mit dem Steine auf der Suche nach Bergkristallen zerschlagen wurden. Die Kristalle waren die Attraktion und wurden oft gleich nach ihren Geldwert beurteilt.

Schnell kam ihren Füßen der weiche Waldboden vertraut entgegen, und erlaubte es ihnen, mit hoher Geschwindigkeit über alle Hindernisse hinwegzusetzen, oder sie zu umrunden.

Sie hinterließen naiv kindliche Bauten und Ornamente. Am Ende liefen alle gemeinsam die Spirale um den Schlussstein.

Nach der Wanderung war ich wegen meines angegriffenen Rückens etwas gerädert. Im Rucksack schleppte ich Getränkeflaschen hinauf und wieder hinunter. Das Gehen an sich und das Bücken nach Material, das wir heute im Atelier brauchen werden, fielen mir auch nicht leicht

Es ist, als würde das Sommerwetter die Mauersegler in besonderer Weise inspirieren, weil sie sich in den letzten Tagen in spektakulären Formationen zwischen die Häuser stürzen

Gradierwerk

Noch mal ein Streifen Sonne am Morgen in meinem Zimmer. Ein Hochdruckgebiet stellt einen wolkenlosen Himmel über den Tag.

Ich bin früh auf, weil ich noch vor meinem Ferienkurs das Arbeitstagebuch nachtragen muss und das heutige auch noch vorher erledigen will.

Bevor wir gestern von Hamm aus zurück nach Hause fuhren, sahen wir uns die Baustelle an, auf der die neue Praxis von Birgit und Oliver gebaut wird. Sie liegt mitten im Grün, nahe dem Gradierwerk im Park und in Sichtweite des Kanals, auf dem viele Kajaks und Kanus unterwegs waren. Eine Weile saßen wir dann in der salzigen Luft und vorher inmitten eines Sommerblumenfelds.

Auf Teves wässerte ich am Abend meine Pflanzen. Sie sprießen nun im intensiven Licht dieser Wochen und kümmern sich nicht um die verlogene Atmosphäre dort.

Oliver erzählte ich von meinen Ideen für ein Kriegsgefangenenmahnmal in der Ebertsiedlung.

Vom Kulturamt ist mir eine Förderung für „Module – Frankfurter Kraftfeld“ bewilligt worden. Ich hatte zwar viel mehr beantragt, bin aber froh, überhaupt was bekommen zu haben. Zumindest ist damit nun der Ferienkurs abgedeckt, dem ich mich in dieser Woche widmen werde.

Im Morgenidyll

Hamm. Unter einem Nussbaum sitzend höre ich ganz in der Ferne Glocken. Wir sind gestern am Nachmittag hierher gefahren um mit Birgit und Oliver einen Abend zu verbringen.

Keine zehn Meter von mir entfernt sitzt eine Krähe in einem Kirschbaum. Im Schnabel trägt sie eine der gelbroten Früchte, die einen starken Kontrast zum großen, schwarzblauen Federkleid bildet. Ringeltauben sind zu hören, ganz in der Ferne vielleicht ein Zug.

In einem zweiten Nussbaum hängt ein kleiner Spielzeugzirkuswagen, rot vor einer alten, finsteren Eibe. Eine etwa bläulich klingende Glocke schlägt acht Mal im Morgenidyll.

Am Morgen dachte ich an den Ferienkurs in der kommenden Woche. Gleichzeitig sorgte ich mich darum, wie ich das Arbeitstagebuch und die anderen Dinge noch nebenher schaffen soll. Mit den Kindern werde ich den ganzen Tag zutun haben.

Etwas ausgelaugt tat mir gestern gut, in Herrn Spoerhase vom Quartiersmanagement einen Verbündeten in meinem Kampf um den künftigen Charakter des Tevesgeländes zu haben. Eigentlich ging es nur um einen Förderantrag, den ich beim Verfügungsfonds des Beirates der sozialen Stadt stellen wollte. Davon werde ich nun Abstand nehmen. Die Regularien passen nicht.

Würde

Die Mauersegler streichen dicht über die Dächer. Die Unterseiten der Flügel blitzen auf, wenn sie sie in der Schräglage ihrer Schwünge der Sonne zuwenden.

In meiner Blickachse steht im Nachbarhinterhof ein großer Baum, eine Linde nehme ich an, die viele Etagen besitzt. Auf dem Dach ihrer Krone wird das Laub ganz hellgrün.

Die Flugbahnen der Mauersegler bilden zur Baumkrone ein Äquivalent, sie umschreiben die Form, wie die Forsythetänzer eine Arabeske umtanzen.

Im Atelier hatte ich Besuch von Herrn Spoerhase vom Quartiersmanagement. In die Günesangelegenheit scheint nun Bewegung zu kommen. So hat sich unser Engagement vielleicht doch gelohnt. Es war anstrengend, so lange Zeit mit der Kritik nicht nachzulassen, sie immer wieder zu erneuern und auf die Einführung von Regeln zu beharren. Es bleibt ein Kampf um die Würde des Geländes.

Auf dem Markt berichtete Helga gestern von ihrer Recherchearbeit im Stadtarchiv. Sie sichtet das Material um die Kriegsgefangenenlager. In diesem Zusammenhang hat sie beispielsweise Unterlagen der Interessengemeinschaft „Russenlager“ gefunden. Außerdem gibt es genaue Pläne der Lager, die mir meine GPS-Wanderungen erleichtern werden. Je mehr Informationen ich bekommen kann, umso besser.

Ich denke oft an die Blickachsen aus den Fenstern der benachbarten Häuser in das Lager, an die sich kreuzenden Blicke

Gleis

Die Betrachtung der Vergangenheit des Tevesgeländes ist ein nützlicher Ausgangspunkt für die Einrichtung einer Zukunftssicherung des Areals. Eine sichtbare Spur beginnt mit dem Gleis jenseits der Bahndammunterführung auf Teves Ost, dem ehemaligen Anschluss des Geländes an die Deutsche Reichsbahn.

Vor der Bebauung des Geländes führten verschiedene Verkehrswege darüber hinweg und verbanden es im Osten mit der Innenstadt und im Westen mit Brachflächen, die für Kirmes, Picknick oder zum Spazieren genutzt wurden, und später mit der Neubebauung der Ebertsiedlung und dem Kriegsgefangenenlager. Die versklavten russischen Soldaten arbeiteten dann auch auf Teves.

Nun haben wir dort die künstlerisch unausgegorenen Hinterlassenschaften von Pixelkitchen. Eine bleibende Schädigung und ein trauriger Anblick, der einen Anlass mehr bietet, sich um das Gelände zu kümmern.

Vorgestern war ich im Nebel auf meinem Pfad im Wald. Während meiner Reparaturarbeiten regnete es die ganze Zeit leicht. Eine der in Zeitlupe schreitenden Figuren ist in sich zusammengebrochen, und vieles anderes durch die anhaltende Feuchtigkeit auch.

Auf meinem Weg traf ich den Querwaldeingänger, diesmal mit zwei weißen Hunden. Er erzählte mir, dass er mich am Eisernen Steg gesehen hätte.

Erinnerungsblock

Während ich weiter über das Kriegsgefangenenlager nachdenke, habe ich auch die Filmaufnahmen der Lager in Ex – Jugoslawien vor Augen. Die weitere Beschäftigung mit dem Areal führt vielleicht ins Stadtarchiv und in die Dreiecksformen, mit denen ich arbeite. Sie können aus dem Boden herauswachsen, wie die Erinnerungen, die durch die vielen Verdrängungsschichten auferstehen. Dabei möchte ich noch nicht so sehr an die Umsetzungstechniken denken, weil diese die freie Suche nach dem Motiv der Konzentration dessen, wie erinnert werden kann stört. Artefakte aus den Zeitschichten von diesseits und jenseits des Zaunes könnten real sichtbar werden.

Ein weiterer Ansatzpunkt sind die visuellen Eindrücke der Gefangenen. Es stellt sich die Frage, welche Baustrukturen sie damals bereits vor Augen hatten, sowohl vom Lager aus, als auch in der Tevesfabrik. Die Unterführung zwischen Teves Ost und Teves West besteht aus drei Brückenelementen aus verschiedenen Bauphasen. Am ältesten ist der Bachsteinbogen, der einen scheppernden Hall erzeugt, wenn man in irgendeiner Weise unter ihm lärmt. Ich stelle mir den Klang der Marschkolonnen darunter vor, ein kurzes akustisches Ereignis am Tag.

Somit verbindet sich der geschichtliche Raum mit heute sichtbaren Blickachsen, wie der Randbebauung der Ebertsiedlung mit Arkaden, dem Hochbunker und den Eisenbahnbrücken.

Mir ist, als müsse ich die Bruchstücke des damals Sichtbaren in einen Erinnerungsblock von unerbittlicher Strenge gießen – ein Monument der verschütteten Erinnerung.

Schuttschichten

Gegen Abend besuchte mich Helga im Atelier. Sie zeigte mir Materialien über ein Kriegsgefangenenlager auf der Ackermannwiese unweit unseres Tevesgeländes. Dort wurden russische Soldaten gefangen gehalten, die auch bei Teves arbeiteten.

Wir gingen dann hinüber und schauten uns mit Tobias vom Ortsbeirat das Areal an. Schon seit langer Zeit sind dort Sportplätze angelegt, auf denen vor allem Fußball gespielt wird. Ein Weg zwischen den Häusern der Ebertsiedlung und diesem geschichtsträchtigen Grund wird nun von der Stadt umgestaltet.

Nun bin ich erst einmal unverbindlich aufgefordert, mir Gedanken zu einer Erinnerungsgestaltung zu machen. Zunächst habe ich diesen Zwischenraum als einen Ort des Zwiespalts empfunden. Ich frage mich, ob die Anwohner diesen Weg gemieden haben, weil er sie mit dem Elend der gefangenen feindlichen Soldaten konfrontierte. Ich erinnere mich an die Nachbarschaft der Russenkasernen in der DDR, an die Fremdheit, an die Schreie. Ich frage mich, wie sich die Blicke trafen.

Am Morgen gingen mir Konzepte durch den Kopf. Zunächst dachte ich an Suchgrabungen nach Barackenfundamenten und nach der Schuttschicht dieser Zeit. Dieses archäologische Vorgehen verflocht sich in meinem Kopf mit einer GPS-Wanderung, die die alten Grundrisse auf dem Sportareal erkundet. Die choreografische Struktur bildet einen direkten emotionalen Kommentar zu den darunter liegenden Schichten. Das zutage geförderte Material und das gewanderte Liniengeflecht bilden den Ausgangspunkt für skulpturale Objekte, die auf dem neu gestalteten Weg installiert werden könnten.

Banalisierte Baracken

Mehr und mehr rücken die Veränderungen, die bald Teves West umgeben werden in meinen Focus. Wir hätten die Chance, als zentraler Nukleus Einfluss auf die Gestaltung des Neubauareals zu nehmen.

In eine ähnliche Richtung zielt auch ein Förderantrag, den ich an den Verfügungsfonds des Beirates der Sozialen Stadt Gallus stellen will. Dabei geht es um das FRANKFURTER KRAFTFELD und um die Zusammenarbeit zwischen „alteingesessenen Migranten“ und gut betuchten Neuzuzüglern.

Was meine Vorstellungen vom Tevesgelände als Kunststandort angeht, so ist Deniz ganz begeistert und möchte gerne dabei sein. Es könnte ein neuer Kunstverein gegründet werden, der die Zukunftssicherung des Tevesgeländes zum Ziel  hat.

Die Bemalung unserer Baracken durch Pixel Kitchen ist in einem dürftigen Zustand stecken geblieben. Das Wandbild, das uns gegenüber aufgezwungen wurde, ist bislang unvollendet.

Selbst zusammenbrechende Baracken können banalisiert werden.

Heute werde ich Materialien für den Ferienkurs einkaufen. Das sind Farben, Gips, Holz, Leim und Farbstifte, für die ich ein verhältnismäßig großes Budget habe.

In den nächsten Tagen werden Förderanträge entschieden, die das Honorar für diese Arbeit abdecken sollen…

Regen lautmalerisch

Das “L“ im Monatsnamen Juli, weist schon lautmalerisch darauf hin, dass es sich um einen Regenmonat handelt. Gegen warme Regentage habe ich nichts. Am Ende der vergangenen Woche fielen nieselnde Tropfen, unter einer steil stehenden Sonne herab.

Es wird Zeit, dass auf Teves West etwas Ruhe einkehrt. Wir werden uns nun zurücklehnen und schauen, was passiert. Wir haben erst einmal genug gekämpft. Die Technosommernächte werden in ihrer eigenen Dynamik für Veränderungen sorgen.

Während unseres Spaziergangs sahen wir am Eisernen Steg eine Großleinwandwerbung für eine Technoveranstaltung im Günestheater. Ich frage mich, wie so die Personenzahl auf zweihundert beschränkt bleiben kann.

Den Sonntag haben wir mit einer größeren Runde an den beiden Mainufern verbummelt. Mehrere Freiluftrestaurants laden ein, sich hinzusetzen um auf den Fluss zu schauen.

Spiegelungen in den Fenstern des Cafes. Maria führte gestern ihren neuen Hund spazieren und erzählte mir zum Balkon hinauf, dass er aus einem Tierheim stammt. Dann sprach sie noch mehr, was ich wegen des Verkehrs nicht mehr verstand. Eine etwas altertümliche, wenig städtische Szene.

Auftritt der Insekten

Bei der dritten und letzten Zeichnung des Morgens spielen derzeit zunächst die Farbabdrucke der rechten Handkante, mit der ich die im Wasser gelösten Pigmente der vorausgegangenen zwei Motive verschoben habe, die entscheidende Rolle. Öfter lasse ich sie unverwischt stehen, wodurch die Richtungen der Hautfalten zunächst deutlich abgebildet sind. Sie werden mit Strichen erweitert, mit denen ich die Richtungen der Handlinien aufnehme und mit dem Lineal weiterführe. Diese Strukturtransformation unternehme ich mit Tinte, Bleistift oder mit dunkleren Aquarellstiften.

In den elektronischen Collagen des Arbeitstagebuches bestimmen diese Linien oft die Richtungen der Schnittkanten, mit denen ich die Fenster herstelle, durch die man in die vorausgegangenen, unteren Schichten des Bildes schauen kann.

Im Atelier habe ich gestern einem fünfjährigen Mädchen mein FRANKFURTER KRAFTFELD erklärt. Gegenüber von meinem Rolltor röstete eine Äthiopierin mitten im Pixelkitchenfestival Kaffeebohnen und stellte Mischungen sehr unterschiedlicher Färbungen her. Einen solchen, mit Kadermom aufgebrühten Kaffee spendierte mir Tülay, ein Friedensangebot.

Am Abend überquerte ich mit B. erstmalig die neue Fußgänderbrücke zwischen dem Taschenpark des Europagartens und dem Zeppelinpark. Über einer Wiese des Grüns, das bis zum Rebstockweiher führt jagte ein Schwarm Mauersegler im abendlichen Auftritt der Insekten.

Lichtchoreografie

Die Tauben trippeln auf der gegenüberliegenden Spur der Allee durch den Dauerregen. Fahrradfahrer in dunklen Kapuzenjacken, zischende Autoreifen unter schwerem Laub.

Gestern ist mit dem Wandbild gegenüber unserer Ateliers begonnen worden. Wir hatten uns dagegen gewehrt, gebeten es auf eine wieder entfernbare Leinwand zu malen, andere Kompromisse gesucht. Das war alles umsonst. Wie wir uns mit den Umgestaltungen des Geländes fühlen, wurde ignoriert. Es ist den Veranstaltern egal, wie es uns mit ihren Aktivitäten geht.

All das vergräbt die Poesie tief in einem Erdreich voller Altlasten. Aber gut, so ist jetzt der Stand der Dinge.

Alexander Klett brachte mir gestern die Reliefs wieder, die ich in der vergangenen Woche mit in die Hindemithschule genommen hatte. Wir sprachen noch mal über den Ferienkurs in der kommenden Woche.

Mit Frau Budde vom Architekturmuseum telefonierte ich über Choreografie und daraus entstehenden Objekten. Sie stellte mir zu diesem Thema Material in Aussicht. Vielleicht ist so etwas auch schon mit den Kindern möglich, die ich in der nächsten Woche in meinem Atelier haben werde.

All das bringt etwas Licht in den Regenalltag.

Morgens

Den ganzen Nachmittag und Abend war ich in Sachen Sicherung des Tevesgeländes unterwegs. Am Nachmittag fand eine Mieterversammlung statt, in der die Themen der vorigen Sitzung abgewürgt und nicht besprochen wurden. Was aber unter den Teppich gekehrt wurde, stapelt sich nur.

J. verließ  sogar vorzeitig, gleich am Anfang aus Protest gegen die Verfahrensweisen die Sitzung. So kann das alles nicht gehen.

Am Abend gab es eine Beiratssitzung der sozialen Stadt, in der es um den Verfügungsfonds des Beirates und um einen Architekturwettbewerb rund um das Tevesgelände ging.

Danach mit Helga und Maj beim Wein. Eine Zukunftsorientierung wird für die weitere Existenz des Teves notwendig.

Künstlerisch blieb mir gestern nur die Arbeit am Morgen, die Verdichtung meiner Tage-Zeichnungen. Das hält mich aufrecht, auch am heutigen Tag. Und mit einem neuen Relief konnte ich beginnen, dessen Ausformung ich heute Nachmittag fertig stellen kann. Es müssen noch mehr Formate her, die ich für die Wandbilder im Balken benötige. Die Dauer der Arbeit hat auch eine Form von Gründlichkeit zur Folge, die über das Nachdenken darüber entsteht.

Bodenberührungen

Mit hellem Bauch in einem sehr rotbraunen Fell springt ein Eichhörnchen durch das strotzende Grün auf den Ästen der Ahornkronen entlang. So kann es große Teile der Allee überwinden, ohne den Boden zu berühren.

Mein Denken sucht solche Räume, um mich von den alltäglichen Niederungen der Rücksichtslosigkeiten fern zu halten, die schon seit einiger Zeit auf unserer Arbeitsinsel die Oberhand gewinnen zu scheinen.

Die negative Energie, die davon ausgeht, dass wir das Gefühl haben überrollt zu werden, kann nur durch ein Denken in die Zukunft positiv umgemünzt werden. Die Kunstkonzentration als Gegenkultur zur investorengesteuerten Verdichtung muss ihre Weiterexistenz durch eine Konzeption untermauern, die Raum für ein Fluidum schafft das die Umgebung inspiriert. Das kann eine Grundlage für den Erfolg von Teves West über den ins Auge gefassten Zeitraum hinaus sein. Ein solches Ziel kann nur mit rücksichtsvollen Anrainern verfolgt werden, um in die neu entstehenden Wohnbereiche zu wirken.

Inmitten all der Ablenkungen durch die Auseinandersetzungen bin ich froh über die Konzentrationsmöglichkeiten innerhalb der Arbeit an den Dreiecksformaten. Nur langsam wachsen die Wandbilder, die ich gestern erstmals jemandem zeigte. Dabei konnte ich gemeinsam mit Maj feststellen, dass man lange hinschauen kann und muss, und dass die Arbeit daran noch lange weitergehen kann.

Ein Schwarm Schwalben segelt zwischen den Baumkronen durch dünne, regenschwere Insektensuppe des kalten Siebenschläfertages.

Raumgreifend

Beim Hängen des Wandbildes habe ich fotografiert. Die Installation ist aber noch nicht so weit, dass die Dreiecke einfach und unkompliziert gewechselt werden können. Das ist immer noch ein etwas wackeliger und komplizierter Akt.

Das Astmaterial aus dem Wald, das ich im Projektraum deponiert hatte, trug ich hinunter vor das Atelier. Dort stapele ich die verzweigten Äste auf einem Metalltischgestell. Auf ihm entsteht ein dichtes Gesträuch. Das schirmt mich etwas ab vor dem allgemeinen und ins besondere vor einer Großveranstaltung zunehmenden Verkehr.

Außerdem arbeitete ich an den Blutkreislaufreliefs, die ich verschieden beschichtete. Als Nächstes sind wieder Dreiecksrahmen aus Holz zu bauen.

Der Druck, der auf dem Gelände lastet, nimmt zu. Wir Künstler wehren uns gegen eine unabgesprochene gestalterische Übernahme des Raumes durch Orada. Der zentrale Punkt der Auseinandersetzungen bildet das Wandbild, dass direkt gegenüber von unseren Atelier fest installiert werden sollte. Morgen findet eine weitere Zusammenkunft der Nachbarschaft statt.

Die Zukunftssicherung des Geländes kann langfristig durch diese Auseinandersetzungen nur gewinnen. Es geht um demokratische Prozesse und Veränderungsmanagement.

Digitalisierungen

Am gestrigen Vormittag habe ich Digitalisierungen des Arbeitstagebuches nachgeholt. Der Umgang mit den Zeichnungen als Rohmaterial für Collagen ist der Start für eine Wiederaufnahme oder eine neue andere Hinwendung zur digitalen Bildarbeit. Sie ist mit einer alltäglich konservativen Technik unterlegt.

Das Zurückdrängen des technisch Machbaren als Maßstab für die moderne Beschäftigung mit Medien erscheint mir als Chance, zum einen dem Modischen zu entfliehen. Degradiert zum Datenrohstofflieferanten, entsteht in mir andererseits eine Opposition gegen die gesellschaftlichen Auswirkungen der Datensammelwut. Ein Rückkopplungseffekt lässt die Nutzer zu vorauseilend angepassten Teilen eines Schwarmes degenerieren. Das erscheint mir in eine Richtung zu gehen, die jeder bisher da gewesenen Diktatur spotten wird.

Und schon überlege ich, ob ich mich mit diesem Satz in Zukunft einer Gefahr aussetzen werde und ob ich dieser entgehe, indem ich ihn streiche und eher unauffällig bleibe.

Die Auseinandersetzungen auf Teves West gehen nun in eine neue Runde. Die Wand gegenüber unserer Ateliers ist nun grundiert und vorbereitet für ein Wandbild eines Künstlers, der mit unserem Gelände nichts zutun hat. Mit uns ist kein Gespräch geführt worden, in dem wir eine Meinung über dieses Vorhaben äußern konnten. Nun werden wir vor vollendete Tatsachen gestellt und können nur mit Hilfe einer intensiven Gegenreaktion das Ganze abwenden.

Steinberg | Richter

Saul Steinberg, ein amerikanischer Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts, mit rumänischen Wurzeln, fertigte für die Weltausstellung Ende der Fünfzigerjahre in Brüssel großformatige Collagen mit dem Titel “The Americans“ an. Diese Arbeiten wurden nun im Museum Ludwig gezeigt. Er klebte geschnittenes und gerissenes Packpapier auf Fotovergrößerungen seiner Zeichnungen. Die Papierkonturen zeigen Insbesondere Figuren, die mit einem Karikaturengestus sicher und in einiger Größe überzeichnet wurden. Alles bleibt leicht und etwas modisch, jetzt historisch.

Eine kleine Richterausstellung hingegen strahlte Zeitlosigkeit aus. Ein Zyklus mit dem Titel „Elbe“ erinnerte mich an die Monotypien, die ich in den Achtzigerjahren gemacht hatte. In großen hintereinander stehenden Glasscheiben, die die gespiegelten Figuren ähnlich verwischen, wie die Malereien Richters, fotografierte ich mich in Auflösung. Ein intensives vielfältiges Werk, das selbst in kleinen alten Blättern eine große Verdichtung erkennen lässt.

Nach der Heimkehr blieb die Arbeitstagebuchdatei unberührt. Ich spielte Gitarre und suchte nach etwas Ruhe.

Dylansongs in der Küche, während wir Lammfleisch mit Gemüse und Bratkartoffeln machten. Dokumentarfilme am Abend über die indischen Schmalspurbahnen in die Hillstations der Kolonialverwaltungen. Wir kennen das von Mussoorie mit seinem großen tibetischen Internat und den alten Holzbauten im Kolonialstil. Wir wohnten in einem Cottage mit dem kreuzförmigen Grundriss einer Kapelle in der Kühle von zweitausend Höhenmetern.

Schnittmusterwanderungen

Köln, an Monas Schreibtisch. Taubengesang wie zu Hause und nach Osten ziehende Wolken, wie von Barbaras Arbeitstisch aus.

Ein dreimonatiges Arbeitsstipendium führt Mona demnächst nach Istanbul. Dort arbeitet sie an ihren Roman weiter. An ihren Wänden hier werden geschichtliche Räume auf Karten, Grundrissen und Fotos sichtbar.

Die Fahrt ging unter einem Himmelsmeer mit segelnden Wolken hierher. Es kabbelte und leuchtete auf den heißen Asphalt. Von den Höhen des Siebengebirges, im Schneewittchenland noch eine halbe Stunde von Köln entfernt sah man schon in lichtem Indigodunst die Türme der Stadt.

Jetzt über dem Gärtchen lösen sich die kompakten Wolkenformationen in Schäfchenherden auf. Ihnen folgt ein kalter kobaltblauer Raum. Fürsorglich brachte mir Kirsten einen Kaffee, wollte die Jalousie ein Stück herunterziehen um mir die Sonne zu ersparen, die mir mittlerweile ins Gesicht scheint. Sie fragt nach meinem Schlaf, nach meinem Wohlbefinden.

Am Abend über den Spuren der Rädelwanderungen auf dem alten Schneidertisch, Gespräche über die Schnittmuster unserer Familien.

Spaziergang an den See im Park, der „bewölkt“ war von einer ganzen Schwanenarmada.

Projektionsräume | Verdichtungen

Strukturen des Handballens als Rohmaterial für die Collagen des Arbeitstagebuches oder als eigenständige Zeichnungen einer für sich stehenden Werkreihe. Ich tue mich nur so leicht mit dem Zerschneiden, weil die Zeichnungen in den Büchern ja ganz bleiben. Und dennoch ist mir immer nicht ganz wohl dabei.

Gespräch mit Deniz über den Gezipark in Istanbul und über Methoden der Produktion. Er erzählte mir das dort bis ins Jahr 1911 ein armenischer Friedhof gelegen hat. Somit bekommen die Bilder der konturierten Figuren in den Tränengaswolken der Polizei eine weitere Dimension. Der Projektionsraum erweitert sich senkrecht in die Tiefe unter dem Raum der Demonstrationen und Räumungen.

Wir kamen darauf, weil ich vom Zusammentreffen der Beschäftigung mit den anatolischen Kalkbrennern, die den Pergamonaltar zu Staub fragmentierten und dem Parkdruck der Autos der Türken, die uns beim Modellieren im Freien bedrängten erzählte.

Der Konflikt mit dem Günestheater hat einen kritischen Punkt überschritten. Die Auseinandersetzungen werden schärfer. In dieser Weise ist die langfristige Sicherung des Geländes als Kulturstandort nicht zu bewerkstelligen. Demokratische Prozesse müssen das Claimabstecken in Wildwestmanier ablösen. Dafür muss ein Instrument gefunden werden. Deniz schlug schon einmal vor, einen Kunstverein zu gründen. Dieser müsste aber das Wohl des gesamten Geländes zum Inhalt haben. Er könnte ein Werkzeug zur Stabilisierung künstlerischer Verdichtung sein, die sich gegen die städtebauliche Konzentration als Gegenpol behauptet. Dazu gehört eine Ästhetik des großzügigen Raumes

Waldarbeit | Ornamentrichtungen

Schon fast ist der Aufbau der Marktzeltstände getan. Die Menschen sind in der stark abgekühlten Luft wieder flotter unterwegs. Das gemessene Orientalische wich dem quecksilbrig zügigen Gehen. Hunde halten die Leinen mit denen sie angebunden warten straff.

Im Atelier fand ich den Fehler, der von der kreisförmigen Anordnung des Blutkreislaufornamentes zur linearen führte. Er liegt in den zwei entgegengesetzten Richtungen, in denen die Figuren übereinander gezeichnet sind. Werden die Kopfstehenden als ineinander greifend definiert, läuft die Bewegung im Uhrzeigersinn, anders – entgegengesetzt. Die abwechselnde Kombination beider führt zur linearen Ausrichtung.

Gestern Vormittag hatte ich noch etwas Zeit, mich mit den „Improvisation Technologies“ von Bill Forsythe zu beschäftigen. Teile davon, insbesondere die Beschäftigung mit Winkeln und Radien des Körpers, könnte der Arbeit mit dem menschlichen Maß hinzufügen.

Richtungen, Räume, Beziehungen zu Vorhandenem und sich Veränderndem, lassen sich auch innerhalb der WALDARBEIT verfolgen.

Noch weiß ich nicht, wie ich all das zusammenbringen kann, merke allerdings schon, dass ich wissentlich nicht so viel dafür tun muss, weil es sich während der Arbeit von alleine ergibt. Sichtbar wird es in den täglichen Collagen aus Zeichnungen, Atelier- und Waldsituationen.

Auf Teves werde ich nun auch beginnen, mich verstärkt mit den Waldstrukturen zu beschäftigen. Selbsternannte Gärtner lassen mir genügend geschnittenes Material dafür.

Antipoetik | Collagen

Arbeitsrückstände der vergangenen Wochen, Holz, Ton, Pappmache, Gläser und durcheinander liegende Werkzeuge habe ich gestern im Atelier endlich aufgeräumt. Wegen der Hitze blieb das Rolltor unten.

Auch wegen der Hitze ließ ich gestern den Arbeitsnachmittag am Hang ausfallen. Aber immer stärker verbinden sich die Zeichnungen mit dem Geschehen im Wald. Das kommt auch in den Digitalcollagen des Arbeitstagebuches zutage. Mit den verschiedenen Werkzeugen zum Ausschneiden und zum Schichten transparenter Motive, bilden sich nun keine Dokumentarbildstreifen mehr ab. Es entsteht ein eigener künstlerischer Strang, den ich zunehmend ernst nehmen will.

Juli Zeh macht an der Uni „Antipoetikvorlesungen“. Ihrer Meinung nach sollte der Leser freier entscheiden können, was er in einem Text liest, welche Inhalte für ihn hervortreten. Der Vorgang des Schreibens ist eine schwer zu entwirrende Verknüpfung von Vorhaben, modifizierter Erinnerung und den Wendungen, die durch das Schreiben selbst ausgelöst werden. Das hat viel mit der Dynamik des Zeichnens zutun, die darin vielleicht noch extremer ist.

Am Abend ein enttäuschender Taboriabend als Gastspiel aus Luxemburg. Ein Fragment aus dem Nachlass, was bisher noch nie gespielt wurde.

Vormittags eine kurze Mail an die Pixelkitchenveranstalter, in der ich sie aufforderte, das Projekt mit den Anliegen der Nachbarn abzugleichen, das Ganze also zu besprechen. Heute war in meinem Postfach eine direkte Antwort von Baumanns mit einem Wandmalereientwurf und einem Gesprächsangebot.

Fehler | Änderung | Strategie

Ein kleiner Junge mit großem Kopf trödelt seiner Mutter durch die Wärme des Morgens hinterher. Eine afrikanische Luftströmung hat für ein paar Tage die Gestaltung des Himmels und der Temperaturen übernommen.

Einige Exemplare des Blutkreislaufreliefs sind gestern von mir beschichtet worden. Durch ein Versehen hat sich das geplante Zusammenspiel der Ornamente verändert. Aus der kreisförmigen Anlage hat sich eine lineare herausgebildet. Ich hab das Ganze noch nicht so recht begriffen, was mir in der Wirkung ganz recht ist. Immerhin habe ich die Arbeit bei fünfunddreißig Grad Lufttemperatur über dem heißen Tevesbetonboden gemacht. Zu anderen Dingen, wie Atelier aufräumen war ich nicht mehr im Stande. Mit Vergnügen aber wässerte ich die Pflanzen und meine Füße mit.

Mit Roland und Deniz habe ich gestern über meine Ideen zur Organisation der Zukunftssicherung des Geländes gesprochen, um den vielen kleinen Strategien einen zusammenhangstiftenden Überbau zu geben. Das Ganze kann sich langsam zu einem fein verästelten System des „Veränderungsmanagements“ entwickeln.

Roland hat eine Idee für ein Kunstwerk auf unserem zentralen Platz. Vielleicht können wir uns zusammentun und ein gemeinsames Werk schaffen, das Module der Reaktion auf die Veränderung der Umgebungssituation enthält.

Aber ich selbst komme nicht einmal zu den Arbeiten, die ich mir für den Sommer vorgenommen hatte.

Umrisszeichnungen | Ringwanderungen

Als ich vor etwa zwei Jahren das letzte Mal mit Herrn Hausmann vom Planungsamt über die Zukunft des Tevesgeländes gesprochen habe, meinte er, dass eine weiterführende Strategie benötigt würde, um das Areal zu gestalten. Ich finde auch, dass so etwas wie eine neue Vision notwendig ist, um uns erfolgreich in das Geschehen der nächsten Jahrzehnte einzubinden. So etwas, wie eine Analyse dessen, was bisher geschehen ist, eine Vorausschau auf die Veränderungen, die uns in den nächsten Jahren in der Nachbarschaft erwarten und das Hineinwachsen mit einem „Veränderungsmanagement“, sind die Aufgaben der nächsten Zeit.

Erstmals saß ich vormittags drüben im Cafe und versuchte aus dieser anderen Perspektive meine Themen für die Arbeit am Architekturmuseum zu entwickeln. Ich möchte die Kreisbögen, die man mit seinen Körpergelenken als Zirkel zeichnen kann als eine Ressource nutzen, um Objekte zu bauen, die mit dem menschlichen Maß und Bewegung zutun haben. Aus den unterschiedlichen Bogensegmenten können Umrissfiguren zusammengesetzt werden, die als Modelle für Ringwanderungen mit dem GPS-Gerät dienen sollen. Wenn diese Umrissfiguren gewandert sind, unterwegs Material in der Landschaft gesammelt worden ist, wird alles zusammen in die Erzeugung der Objekte fließen.

Die nächste Grundlage dafür sind in Ton  modellierte Scheiben mit den Umrissen der Wanderungen, von denen Gipsformen gegossen werden. In diese werden Konglomerate aus Landschaftsmaterialien und Schellack gegossen, die Elemente bilden, die man stapeln oder anders verbinden kann. Die Offenheit der Ergebnisse und das spontane Anwenden neu gefundener Arbeitsweisen gehört dabei zum Prozess. Wie überhaupt und allgemein die Prozessorientierung im Mittelpunkt steht und die Objekte Zwischenergebnisse darstellen oder Dokumentationen der Arbeit.

Jahrestag | Zuspitzung

Der DDR-Aufstand ist nun sechzig Jahre her. Schon damals war das System moralisch abgewirtschaftet. Das Datum begleitete mich das ganze Leben. Während meiner Ostzeit war dieser Tag jährlich der emotionale Tiefpunkt, auch durch all die Feierlichkeiten und Reden, die im Westen gehalten wurden.

Für die nächsten Tage ist eine Hitzewelle prophezeit worden, deren Temperaturen auf siebenunddreißig Grad steigen sollen. Mit Ostrückenwind, der Flugverkehr über unserem Viertel auslöst, fuhr auf der anderen Seite der Allee gerade ein Transporter mit der großen Aufschrift WINTERDIENST vorbei.

Der Pächter des Cafes, der heute erstmalig ohne sein Hündchen kam, räumt seine Werbeschilder auf die Strasse. Der Raum zwischen den Tischen ist nun leer.

Mit Barbara und Jan waren wir gestern auf dem Pfad. Beim Erzählen über diese Arbeit wurde mir klar, wie ich mich allmählich aus der Waldfläche auf diese Linie zurückgezogen habe.

Die Situation auf dem Tevesgelände braucht Geduld. Die Lärmbelästigung nahm am Sonnabend zu.  Zuspitzung  von der anatolischen Seite her.

Schnell wird die Temperatur im Balken unter der Sonne in den kommenden Tagen auf über vierzig Grad steigen. Deswegen werde ich das Wandbild später aufhängen.

Im Schatten der finsteren Wolke

In letzter Zeit schaffen es immer weniger Sätze aus dem handschriftlichen Text in die Arbeitstagebuchdatei.

Die Sonne ist nun kurz nach Zehn schon so erbarmungslos, wie im namibischen Winter. Westwind, die Mauersegler streifen um die Dächer, Worte fallen aufs Papier.

Eine finstere Wolke bildet Tav Falcos Lockenpracht, in deren Schatten ein Gesicht liegt, dem man wenig Freude ansieht. Verborgen bleibt die Anspannung, die sich auf die Band überträgt nicht. Müde wirkt die Schlagzeugerin, deren Tanz vor der Show etwas bemüht daher kommt. Ich habe oft die Positionen im Raum gewechselt. Das war einfach, weil es bei weitem nicht voll war. Aus der Ferne sieht man manchmal besser. Dennoch ein schöner Abend.

Im Atelier baute ich Dreiecksrahmen und belegte sie mit Kreuzstabträgerreliefs. Davon gibt es nun so viele, dass man schon ein Wandbild hängen kann, das sich gut verändern lässt.

Am Cafe ist gerade das kleine Hündchen überfahren worden. Es hat jämmerlich geschrieen, als es der Eislieferant erwischte. Bedrückt steht er nun dabei, und muss sich anschauen, wie sich Maria die Seele aus dem Leib schreit, als ginge es um ihr Kind. Die Verzweiflung wird in Wut umgemünzt. Die Glocken der Friedenskirche läuten dazu, wenn sie das Maskottchen Rocky nun zum Arzt bringen, wo es dann eingeschläfert wird.

Das Universum ist eine Scheibe

Sonnabend, Morgendämmerung, Amselgesang, Milchkaffee. Zwei Stunden Gitarre gestern bis zur Mittagszeit. Dann bearbeitete ich Kreuzstabträgerreliefs unter dem offenen Rolltor im Atelier, dem Beobachtungsposten der Kunstpolizei. Tatsächlich entgeht mir an diesem Platz wenig, was auf dem Gelände passiert. Das beeinflusst meine Rolle dort.

Die Bäume vor dem Fenster tragen nun ein kraftstrotzendes Blätterkleid. Das Grün treibt überall in einer verzögerten zweiten Explosion.

Auf dem Markt will Mathilda Seifenblasen sehen und anderen Kindern beim Schaukeln zuschauen. Ihre Mutter forscht zu Themen der Arbeitsethik von Sozialarbeitern und ihrem Wandel. Da könnte ich einiges beitragen.

Am Abend spielt Tav Falco im Bett. Am liebsten würde ich mit B. zusammen hingehen.

Mit Barbara Neu und ihren Jungs wollen wir morgen auf den Pfad gehen. Ich bin auf die Reaktionen gespannt.

Die Rohrkonstruktion auf dem Gelände will ich noch weiter bearbeiten. Mit weißer Farbe kann ich neue Richtungen anlegen und die offenen Enden der Rohre markieren. In ihnen stecken schon abgestorbene langstielige Pflanzenreste. Manche Rohre, die geknickt sind, will ich mit der Säge durchtrennen, um die Spannung des Ganzen aufrecht zu erhalten.

Das Universum ist eine Scheibe.

Handwerk | Wald | Gravitation

Eine Kaltfront mit finsteren Sturmwolken stülpte sich gestern Abend über einen Sommertag. Kalter Regen löschte die Hitze des Betons.

Maj und Monika packen ihre Figuren in Formteile ein. Eine langwierige Übung in Demut. Man muss warten, bis die Teile ausgehärtet sind, damit man weiter arbeiten kann.

Rückhalt im Alltag bilden die neuen Projektentwicklungen und Material, Handwerk, Wald, Gravitation, Sturm, Holz, Schelllack, Wörter, Lehm Pappmache, Energie, Musik, Licht in Wellen des Farbglanzes.

Zusammenkunft aller Tevesanlieger, des Planungsamtes und des Vermieters gestern auf der sonnigen Terrasse des Startorante. Zunächst setzte eine allgemeine Anklagerunde, die die Veranstaltungen der Günes und deren Folgen für das Gelände zum Inhalt hatte ein. Bei aller Kritik hielten sich die meisten am Tisch etwas bedeckt. So hätte sich die Gesamtsituation nicht verändern lassen.

Die Wende war die Frage nach der Eignung eines Probenraumes als Veranstaltungsort. Das wurde von Vermieter klar beantwortet. Falls dort mehr als zweihundert Menschen im Raum sind, will er ihn dicht machen. Das wird eine erste Entspannung auf dem Gelände bringen, der weitere folgen werden.

Mit dieser neuen Entwicklung kann man nun aufmerksam umgehen.

Mehrfachnutzung

Die Torsituation im unteren Bereich des Taunusweges, wo die großen, kahlen, gebogenen Äste die Einladung, den Weg hinauf zu gehen bilden, beginnt unterschiedlich zu wirken. Einerseits gehen Menschen den Weg, weil sie einfach neugierig sind hinauf. Aber schon wird der untere Abschnitt als Zieleinlauf für die Downhillbillies auf ihren Ritterrädern genutzt. Gut, dass sie sich nicht den ganzen Weg als Geschicklichkeitsstrecke auserkoren haben. Mit einem Beil ist eine große helle Markierung in einen quer liegenden Stamm, der allgemein gerne als Hindernis genutzt wird, geschlagen worden. Ein weiteres Zeichen auf dem Weg.

Meistens bin ich vor Ort mit dem Zustand der Installationen und des Weges beschäftigt. Weniger denke ich an Material für das Atelier, um dort weiter zu experimentieren. Aber vielleicht kommt das mit den Workshops, die ich derzeit entwickle.

Den Steinhaufen im mittleren Teil wachsen zu lassen ist eine körperliche Herausforderung. Ich beginne mit den Händen die Kristallgruben weiter auszuheben, um Steine in meinen Rucksack zu packen, die ich auf den Platz, der etwa einhundertfünfzig Meter Weges weiter unten liegt, transportiere. Auf diesem Wegstück lastet immer ein großes Gewicht auf meinem Körper.

Im oberen Drittel beginnt sich der Weg nach dem Holzeinschlag nur langsam wieder zu etablieren. Am Ende konnte ich bei meinem großen Rundbau eine kleine Diagonalbewegung der senkrecht stehenden Äste beobachten. Ich versuche dem entgegen zu wirken, indem ich die Stangen wieder senkrecht stelle, die Peripherie weiter auffüttere und mehr Diagonal- und Querverbindungen durch den Bau führe.

Materialbeschränkung

Krishnababy ist von seinem Ausflug ins Atelier zurück. Er zeigt auf ein handgeschriebenes Konzeptpapier und dort drinnen auf eine Überschrift: Wanderungen und Materialien.

Der Materialbegriff als Überschrift begegnete mir gestern wieder, als ich im Architekturmuseum war. In der Ausstellung „global denken, sozial bauen“ ging es in erster Linie um Bauprojekte in Entwicklungsländern. Es wurden Gebäude vorzugsweise in traumhaften Landschaften gezeigt, die aber ihr Material oft aus ihrer direkten Umgebung bezogen. Traditionelle Baumaterialien waren bei den ausnahmslos westlichen Architekten hoch im Kurs. Dieser Ansatz des vorhandenen Materials ist für mich interessant, weil sich meine Arbeit sowohl inhaltlich als auch formal schon lange diesem Aspekt geöffnet hat. Materialbeschränkung spielt dabei eine wichtige ästhetische Rolle.

Innerhalb eines Gesprächs bin ich gestern noch mal auf eine besondere Gefährdung des Tevesgeländes hingewiesen worden. Der Bauboom rund um unser Areal löst einen neuen Druck aus. Es wird genau beobachtet, was hier passiert. Schon rückte der Planungsausschuss der Stadt mit Investoren an, die sich zwar für ein Nachbargelände interessierten, aber mit ihren Fotokameras auch einen Zugang zu unserem Gelände fanden. Und die Linsen im automatischen Zoom richteten sich auf die zusammenfallenden Baracken, durch unabgeschlossene Türen auf deren Inhalt, wie Gasflaschen zwischen Bauholz, auf den Müllplatz hinter den Baracken, auf die leer getrunkenen Schnapsflaschen neben den Günes Stufen und auf die überquellenden Müllcontainer. Das Zusammentreffen von Bauboom, fahrlässigem Umgang mit dem Gelände durch Brandgefährdung, Drogen und Gewalt muss den Verantwortlichen deutlich werden.

Ringe, Scheiben, Stapel | Extruder

Die Konzeptentwicklung, immer die angenehmste Phase bei der Planung von Vorhaben, führt mich im Fall des Deutschen Architekturmuseums zu der Frage von Verbindungen zwischen Räumen, die durch Bewegung definiert werden und Materialien ihrer Wiedergabe.

Die Spur einer Wanderung kann in einer ersten Übung maßstäblich mit dem Material gelegt werden, das aus dem der Boden des begangenen Raumes besteht, mit Tannennadeln, Steinen und Reisern. Rhythmen einer Linienkomposition können mit dem Wechsel des Materials innerhalb der Linie erprobt werden.

Ein Material, mit dem die Fundstücke gebunden werden wie Gips oder Schelllack wird probiert. Die Umrisse, die die Ringwanderungen erzeugen, bilden die Kontur der gegossenen, ausgefüllten Scheiben, die dann gestapelt werden können. Diese Stapel stellen die skulpturale Verbindung zwischen den Bewegungssequenzen dar.

Eine nächste Möglichkeit ergäbe sich daraus, die Umrissbilder digital zu extrudieren, d.h. kurze, schlauchartige Verbindungen mit den sich wandelnden Querschnitten zwischen den Umrissformen herzustellen. Diese Formen könnten dann geplottet werden.

Wenn man diese Ausgangskoordinaten mit dem Titel der aktuellen Ausstellung „global denken, sozial bauen“ verbindet, dann kann man der Arbeit eine weitere Wendung oder mehrere weitere Schichten hinzufügen.

Denken in Bewegung.

Projektionsraum

In dem Buch „Bob Dylan und Amerika“ beschreibt Sean Wilentz eine Aufnahmesession von John Lomax mit Blind Willie Mc Tell aus dem Jahr Neunzehnhundertvierzig.

Der Folkmusicforscher drängte den Sänger, Songs zu singen, die sich mit der Unterdrückung der Schwarzen in den Südstaaten beschäftigen. Mit vielen Ausflüchten gab er nichts von alldem preis, was er sicherlich in seinem Repertoire hatte. Direkte Bezüge zu den Verhältnissen dort, hätten ihn womöglich gefährdet, zumindest seine Musikerkarriere. Als blinder Bluessänger ohne Engagements hätte er es schwer gehabt.

Mich erinnern diese Worte der Ausflüchte und dieses Sprechen mit Informationen zwischen den Zeilen, an meine Zeit im Osten. Bei schwierigen Verhandlungen, gibt es ein solches vorsichtiges Verfahren heute auch noch.

Anfang der Achtzigerjahre dann hat Dylan den Song „Blind Willie Mc Tell“ aufgenommen, der mit ähnlich vagen Anspielungen ausgestattet ist, die eine rassistische Welt beschreiben. Bei Dylan ist das allerdings keine Vermeidungsstrategie aus Angst vor Repression, sondern ein poetisches Verfahren, das dem Text einen tiefen Projektionsraum verschafft.

Der Tag ist mit Terminen belegt. Kaum Möglichkeiten für konzentrierte Arbeit – am ehesten am Abend.

Vorhandenes strukturieren

Sonntag, aufziehende Gewitter, Flugverkehr.

Verschiedener als sonst klingen die Ringeltauben an diesem Morgen, wenn sie gemeinsam singen.

Das stetige Üben zeitigt Fortschritte beim Zupfen der Gitarrensaiten. Das spornt mich an, die Töne reiner und länger zum Klingen zu bringen.

Schöne Blitze gestern am Abendhimmel. Der Regen blieb aber südlich.

Von den Grenzen des Verbalen bei der Arbeit mit Tanz erzählte gestern B., als sie vom Tanzkongress in Düsseldorf zurückkam. In einem Workshop wurde die Aufgabe: Stell dir vor, du durchquerst einen Raum und verlierst dabei die Richtung. Was passiert dabei? Überlasse die Antwort deinem Körper.

So ist es also mit dem Tanzen ganz ähnlich, wie mit dem Zeichnen. Raumerkundungen, Installationen, vorhandene Strukturen, wie im Wald. Ich arbeite dort immer stärker mit schon vorhandenen Formen, wie beispielsweise die Verletzungen des Bodens durch Wildschweine. Sie sind Ausgangsformen für Bodengestaltungen. Die Spuren der abwesenden gefällten Stämme sind Richtungen, nach denen sich Holzsammlungen ausrichten.

So, wie für Olivier Messian Vogelstimmen Ausgangsformen für Kompositionen waren.

Wandernd

Kaum noch haben die Sonnabende die Bedeutung wie einst, als wir manchmal noch auf den Markt an der Konstablerwache gegangen sind. Jetzt ist das ein regelmäßiger Arbeitstag für uns. Das müsste man wieder Rückgängig machen.

Gestern allerdings war ich den ganzen Tag mit meinem Freund Andreas unterwegs. Am Vormittag gingen wir meinen Pfad, dann hinauf bis zum Kleinen Feldberg und hinab bis zum Fuchstanz. Von dort aus ging es über die Keltenringe bis auf den Gipfel vom Altkönig, wo wir eine Rast einlegten. Wieder unten am Fuchstanz gab es ein Bier, das beim nächstenAnstieg gleich wieder verflogen war.

Ein Falke steht südlich unter den von Osten heranquellenden Wolkentürmen in der Luft und hält dort nach Opfern Ausschau. Irgendwo läutet eine Hochzeitsglocke und Automotoren heulen auf.

B. ist gestern zu einem Tanzkongress nach Düsseldorf gefahren, wovon sie lustige Geschichten erzählen wird, wie sie mit vorhin telefonisch ankündigte.

Nach der Wanderung waren wir noch am Weinstand auf dem Gallusmarkt, wo sich Andreas auch ziemlich wohl gefühlt hat. Mathilda war da und verlangte immer wieder nach Seifenblasen, in deren schillernde Spannung sie mit ihren kleinen Fingern griff, um sie so zum Zerplatzen zu bringen. Gitta und Gerd sind wieder aus Wien zurück, sodass die Runde wider komplett ist. Vor dem Atelier ließen wir dann den Tag am Grill ausklingen.

Abwesende Baumstämme

Wenn die Sonne flach über die Zeltbahnen der Pakistani streift, erinnern sie mich an die Beduinenzelte in Jordanien. Eine Fünfteilung des Textilverkaufsstandes wird sichtbar und suggeriert eine nomadische Struktur.

Die Mütter, die ihre Kinder in den Kindergarten bringen, kommen zunehmend aus wohlhabenderen Schichten. Manche aber schauen den ganzen Weg lang auf ihre Smartphones, während die Kinder in den Kinderwagen Selbstgespräche führen.

Im Atelier formte ich ein Blutkreislauffigurenrelief aus und mit Maj am Abend Formenbau für den Torso, den sie fertig modelliert hatte. Die Arbeit daran erinnert mich an meine Zeit an der Hochschule, als wir manchmal Wochen mit einer Stückform verbrachten.

Am Hang habe ich begonnen, in den Strukturen die die Baumfällarbeiten der Forstarbeiter erzeugten, Richtungen zu verändern und zu bündeln. Bei dieser Beschäftigung mit dem im Raum Vorhandenen, handelt es sich um ein langsames Vorantasten, wie bei vorsichtigen Erkundungszeichnungen. Dabei arbeite ich ausschließlich mit trockenen Ästen, die von den unteren Partien der gefällten Bäume abgeschnitten wurden. Weiter oben an der Spur des abwesenden Stammes, befinden sich die grünen Äste, mit denen ich frühestens arbeite, wenn sie die Nadeln verloren haben.

Kontinuierlich schwindender Raum

Gestern pflegte ich am Hang die Objekte und den Pfad, den sie markieren, flocht kleinere neue Dinge und kümmerte mich etwas intensiver um die Spiralkonstruktion, die offensichtlich durch die Erschütterungen des Holzeinschlages etwas in Mitleidenschaft gezogen wurde. Somit geht es um Gravitation und Statik, wie auch bei dem Rohrgeflecht, das unter hoher Spannung flach gefallen ist. Gerne würde ich daran weiter arbeiten.

Die Irritationen auf Teves West begannen für mich mit ästhetischen und inhaltlichen Zumutungen der Anatolier. Zum einen wurde durch unsäglich schlecht gestaltete Schilder mit dem Titel „Günes Artatelier“ (was für eine Wortschöpfung) am Eingang des Geländes suggeriert, dass in den Räumen von Orada bildkünstlerische Produktion stattfindet. Ihre Qualität, falls sie überhaupt stattfindet, kann man auf den Gestaltungen der Schilder ablesen. Wie auch die Bezeichnung Probebühne, durch ein Banner angezeigt, das Theaterproduktion vermuten lässt, einen Etikettenschwindel darstellt.

Im Workshop arbeiteten wir zum Thema Pergamonaltar, dessen Fragmentierung durch die Kalkbrennöfen von Bergama, mit Modellierungen fragmentarischer Körper. Wegen des Lichtes und des Raumes, der Maße des Arbeitens deutlicher macht, taten wir das im Freigelände.

Wegen einer Filmvorführung wurden wir dann von schwarzem anatolischem Blech zugeparkt, eingebaut und mit stinkenden Auspuffgasen umgeben. So kommt eines zum anderen, was sich zu historischer Kontinuität zu fügen scheint.

Unter dem roten Himmel

Innerhalb des dicken Songtextbuchs von Bob Dylan zeigt Krishnababy eher auf stimmungsvolle Zusammenhänge, als auf einzelne elektrisierende Zeilen. Meist geht es um bildhafte Anordnungen einer gewissen Gleichzeitigkeit. Es gibt beispielsweise den kleinen Jungen und das kleine Mädchen, die in einer Gasse unter dem roten Himmel ein Mann vom Mond besucht und die irgendwann in einer Pastete gebacken werden.

Mit den Künstlern Diskussionen über die Qualität unserer Konflikte mit den Anatoliern, über ihre tiefer liegenden Gründe. Dabei kreisen die Gespräche um orientalisch – europäische Spannungsfelder, um patriarchale ländliche Clanstrukturen und deren Sozialisationsauswirkungen und um die hermetische Gruppe, die sich beim nomadisierenden Theaterspielen in der anatolischen Steppe herausgebildet hat. Sie hat nach einiger Zeit des Verharrens an einer Stelle, die menschlichen und materiellen Ressourcen aufgebraucht. Die nutzlosen Hinterlassenschaften häufen sich und belasten ihr eigenes Areal. Kooperationswillen, Zuneigung und Hilfsbereitschaft der Nachbarn nehmen ab.

Mein Freund Andreas rief gestern an, um unser Treffen am kommenden Freitag klar zu machen. Weil er schon am Morgen da sein wird, können wir auf dem Markt was zum Grillen einkaufen, um darauf in den Wald aufzubrechen, am Abend wieder zum Markt an den Weinstand zurückkehren und danach vor dem Atelier zu grillen. Fast komme ich in Lagerfeuerstimmung, wenn ich daran denke.

Gestern kam ich später ins Atelier und machte dennoch eine langwierige Ausformung des Zweifigurenreliefs fertig. Sonst nichts.

Pixelkitchen | Boxcamp

Der Organisator einer Kunstparty mit dem Namen „Pixelkitchen“, die seit einiger Zeit monatlich auf dem Teves in den Räumen der Probebühne des anatolischen Theaters läuft, besuchte mich gestern Abend in meinem Atelier. Während seiner Arbeit auf dem Gelände hatte er mitbekommen, dass die Spannungen zwischen dem Theater und den anderen Tevesanrainern durch den Charakter und die Dichte der Veranstaltungen zugenommen hatten.

Seine nächste Veranstaltung in gut drei Wochen soll noch größer ausfallen, als die vergangenen. So bangte er um sein Vorhaben und kam, „bevor das alles den Bach runtergeht“ zu mir, um sein Konzept vorzustellen und dafür zu werben.

In der Summe ist es egal, ob er aus eigenem Impuls oder auf Hinweis der Anatolier gekommen ist. Wichtig ist nur, dass die Situation als explosiv eingeschätzt wird.

Ein weiteres Gespräch über dieses Thema hatte ich mit dem Jugendtrainer des Boxcamps. Er geht viel direkter mit den Leuten von Orada ins Gericht und sagt, dass die Großveranstaltungen mit Drogenkonsum, Alkoholausschank und mit dem Lärm bis in den Morgen nicht auf das Gelände gehören. Die Jugendlichen, die sich am Sonntagmorgen um Neun am Camp treffen, um zu einem Wettkampf zu fahren, kommen alle aus schwierigen Lebensumfeldern. Dann sind sie mit der betrunkenen Veranstalterin, mit herumliegenden Jointresten und geleerten Schnapsflaschen konfrontiert. Teves ist als Partylocation schon in Verruf geraten. Das hat Signalwirkung. Jährlich kämpft das Boxcamp um Fördermittel, die durch die Veranstaltungen gefährdet werden.

Mit den Veranstaltungen gehen also mehr Risiken einher, als Chancen.

Oberflächen – Spannungen

Auf dem Tevesgelände versuchen wir einen Konflikt auszutragen, der klare kulturelle Gründe hat. Die sichtbarsten sind die sprachlichen Barrieren, aus denen sich immer neue Fehlinformationen entwickeln. Wenn eine kritische Masse sich stapelnder Probleme erreicht ist, kommt es zu Ausbrüchen, die mit sich unkontrolliert aufschaukelnden Emotionen einhergehen. Der deutschen Sprache sind die Teilnehmer an diesem Konflikt sehr unterschiedlich mächtig. Das führt teilweise zum Ausbleiben jeglichen Gesprächs, was die Basis für ein Zusammenleben auf dem Tevesgelände wäre.

Als nächster Schritt wäre die Bereitschaft für Absprachen zu entwickeln, die durch den Nutzen ihrer Wirkung als notwendig veranschaulicht werden müssten. Veranstaltungen, die einen Grossteil des Geländes betreffen, uns an der künstlerischen Arbeit hindern, müssten zumindest gemeinsam terminiert werden.

Aber dabei handelt es sich tatsächlich nur um die Oberflächen-Spannungen, die auf Beweggründen beruhen, die zu diskutieren wären. Das allerdings stößt auf Grenzen.

Das heißt aber, dass man sich auf Regeln des Zusammenlebens einigen muss, deren Grundlage die Gründe für die Subventionierung der Arbeit auf dem Gelände sein müssten. Die müssen selbstverständlich auch auf den gesetzlichen Grundlagen, beispielsweise für das Betreiben von Veranstaltungsräumen beruhen.

Tischlern

Langsam werden die Fingerkuppen meiner rechten Hand härter. Vom Gitarrespielen wächst mir eine Hornhautschicht.

Draußen in der Kälte singen Tauben einen monotonen Song, wie einen immerwährenden Blues. Meine Halswirbel knacken dazu im Takt.

Die fertigen, gerahmten Dreiecke trug ich gestern in den großen Balkenraum unterm Dach. Ich habe die Rahmen nicht gezählt, es sind aber noch viel zu wenige. Drei habe ich am Nachmittag noch gebaut, Verplattungen im Winkel von einhundertzwanzig Grad mit der Hand gesägt, dann verleimt und mit Nägeln fixiert. – Erinnerungen an die Tischlerwerkstatt, in der ich in die Lehre ging. Ich genieße diese Arbeit, das Anreißen und Einspannen des Holzes, den leichten, gleichmäßigen Gang der alten Tischlersäge, spüre aber gleichzeitig den Anachronismus. Ich weigere mich, schneller zu arbeiten, mir den Lärm einer Kreissäge anzutun, genieße eher die Langsamkeit. Es kann dauern…

Die drei Reliefs, die ich Donnerstag und Freitag ausgeformt habe, müssten morgen trocken und hart sein. Dann geht es weiter.

Keine Menschen auf der Strasse, nur manchmal rauscht unter meinem Fenster ein Auto vorbei.

Demonstrationen in der Stadt. Kommunistische Gruppen demonstrieren gegen den Kapitalismus. Das ist nichts Neues. Hubschrauber knatterten den ganzen Tag über der Innenstadt und Polizei hielt die wichtigen Verkehrsknotenpunkte besetzt.

Wald-,Text- und Wasserfarbenräume

Die Tiefe der Waldräume auf den Fotografien von Pfad, geht mit der Tiefe der elektronischen Collagen zusammen. Innerhalb der Tagebuchzeichnungen entstehen Räume durch die verschiedenen Schichten. Das sind sich kreuzende farbige Linien, Schraffuren und kreisend gestrickte Strukturen und die darauf folgenden Verwischungen mit dem Handballen und Wasser. Dann haben sich an der Hand Wasserfarbreste zusammen geschoben, die ich erneut mit mehreren Handprints neben oder in die gewischten Flächen setzen kann. Ist das Ganze angetrocknet, setze ich noch mal Wasserspitzer oder –linien darauf, die ich dann, wenn sie die Farbflächen angelöst haben, mit hohem Druck und hoher Geschwindigkeit nach Rechts oder Links verschiebe. Dadurch lege ich helle Flächen frei.

Obwohl diese die Farbschichten bis auf den Grund auflösen, und so einen Raum in die Tiefe eröffnen, schieben sie sich in den Vordergrund und schaffen somit einen widersprüchlichen Effekt.

Krishnababy erzeugt nun, indem er auf eine Zeile des Songs „Most of the Time“ von Dylan zeigt, eine weitere Schicht. Bei der Beschäftigung mit diesen Texten wird mir die Qualität des Gesangs immer deutlicher. Besonders im Vergleich verschiedener Aufnahmen ein uns desselben Songs, kann man die Variationsbreite und damit die Vielfalt der Interpretationsmöglichkeiten für sich selbst als Zuhörer erfahren. Gleichzeitig habe ich ein Gefühl von großer Dichte, wenn ich Dylan singen höre. Jedes Wort bekommt eine eigene Färbung und Unterstützung durch den Gesang.

Chromgelbe Schirmposaune

Anhaltend bilden sich Kreise in den In den Pfützen. Tropfen auf Tropfen. Der Wind kräuselt die rauschenden Alleebaumkronen, unter denen behütet und beschirmt Leute über den Markt huschen. Das Backwerk leuchtet in seiner Auslage, dass es schon aus der Ferne zu duften scheint. Die Zeltbahnen der Marktstände hängen schwer von all dem Wasser, als wollten sie endlich auf dem Boden ausruhen.

Ein kleinerer, im Winter unscheinbarer Ahorn trägt nun ein dichtes Blätterdach und darunter einen tiefen dunkelgrünen Schatten, der in Violett zu kippen droht.

Einer der pakistanischen Textilhändler spannt plötzlich einen großen chromgelben Schirm auf, als ob eine Posaume zwischen den flüsternden Querflöten oder Highwaterbanjos aufschreit.

Im Atelier gestern zwei ausgeformte Reliefs, die Tonfiguren meiner Schülerinnen und die dicht parkenden dunklen Limousinen der linken türkischen Community, die sich einen Film über Gefangene im Hungerstreik anschauten. Sie bedrängten uns und ließen uns wenig Platz für die konzentrierte künstlerische Arbeit. Das ist der Ignoranz der Veranstalter zuzuschreiben – eine typische Situation.

Eine der Collagen aus den Schichten der Bilder, mit denen ich mich täglich beschäftige, habe ich ausgedruckt und mitgenommen ins Atelier. Dort bekommt sie einen anderen Klang, verlangt nach anderem Material, vielleicht nach Transparentpapier, Tusche und Schelllack.

Schlag auf Schlag

Zur Fortführung der Reliefproduktion muss ich mich öfter selbst anschieben. Gestern habe ich aber drei Blutkreislaufreliefs mit Graphit und Schelllack bearbeitet. Somit beginnt sich ein neues Ornament zu bilden.

Krishnababy zeigt auf frühe Zeilen von Bob Dylan in direkter Reaktion auf die Ermordung von John F. Kennedy entstanden. Es liest sich wie die erste Skizze von „Ring them Bells“, das erst zirka fünfundzwanzig Jahre später erschien. In den Sechzigern, dieser spannenden Zeit sind viele Grundlagen gelegt worden. Ginsberg wurde 1965 in Prag zum Maikönig gekrönt und von der Regierung ausgewiesen. Zwei Jahre später sah ich die Matadors, eine Beatband aus dieser Stadt in einem Bierzelt an der Ostsee, in dem meine Eltern arbeiteten. Die langen Strandspaziergänge waren voller Songs, die ich noch nicht verstand.

In den kommenden Wochen erwarten wir große Demonstrationen der Occupy Bewegung. Man rechnet allein mit mehr als zweitausend gewaltbereiten Menschen, die mit den anderen friedlichen Demonstranten die Stadt lahm legen wollen. Neben der Autobahn am Rebstock ist ein Zeltlager entstanden. Alles findet unter der liberalen Duldung der Stadt statt.

Schon die Hausbesetzung in der Nachbarschaft war ein Zeichen sich verschärfender Gegensätze der Lebensumstände. Es ist kein Zufall, dass ich mich derzeit mit den Sechzigerjahren beschäftige. Es gibt Parallelen und es wäre banal dazu zu sagen, dass sich die Zeiten zu ändern beginnen. Es geht Schlag auf Schlag.

Begegnung

Während meiner gestrigen Arbeit am Hang des kleinen Feldberges, begegnete ich einem jungen Mann mit einem großen, weißen Hund mit lockigem Fell. Er kam direkt auf mich zu und begann genauso direkt ein Gespräch mit der Frage nach der Bedeutung der Geflechte, Stapel und Wegzeichen. Er folgte dem Weg von der Strasse aus, weil er neugierig war, wohin die Zeichen führen mögen. Ich traf ihn ziemlich genau in der Mitte des zweiten Abschnittes, in der Nähe der Kristallgruben. Dort eröffnete ich ihm, dass die Dinge, die er sieht seit zwei Jahren von mir gebaut werden. Außerdem erzählte ich ihm, wie ich das Ganze weiter verarbeite.

Diese Begegnung war ein wichtiges Ereignis für mich, weil ich nun davon ausgehen kann, dass damit begonnen wird den Weg zu nutzen und dass dieser Wanderer nicht der einzige sein wird, der diesem Pfad aus Neugier folgt. In dieser Weise werde ich nun für meine Beharrlichkeit belohnt.

Lange war ich gestern im schönen Wetter am Hang unterwegs, baute an den Dingen, die langsam zusammenrutschen, die überdeckt sind vom Material der Baumfällarbeiten und erfand neue kleine Eingriffe in die Forstwirtschaft. Mittlerweile sind alle gefällten Baumstämme aus dem Areal herausgezogen worden. Wieder sind keine meiner Bauten, trotz großer Nähe zum Geschehen, in Mitleidenschaft gezogen worden.

Meine Begegnung auf dem Pfad feierte ich mit einem Besuch des Großen Feldberges, von dem aus die klare Sicht auf die weite Landschaft den Horizont weiter nach oben steigen ließ.

Leergefegt

Von Nordosten her kommt die Sonne auf einen Kurzbesuch in mein Zimmer. Nur weil ein Zwischenhoch den Himmel leergefegt hat und ich früh auf bin, komme ich in diesen Genuss. Dieses Wetter ausnutzend, werde ich heute auf meinen Pfad in den Wald gehen.

Gestern Nachmittag schon zog ich das Rolltor vom Atelier hoch, um in der ungewohnten Wärme an den Reliefs weiter zu arbeiten.

Marilia Albanese ist eine Indienexpertin, die auch verschiedene Bücher über die Khmerkultur und Angkor Wat geschrieben hat. Mit diesen Büchern und unseren Indienerfahrungen können wir nun diese Reise nach Kambodscha vorbereiten. Barbara hat schon Guesthouses gebucht und sich einen allgemeinen Überblick über das Reisen zwischen Thailand und Kambodscha verschafft. Da wir schon viele indische Tempel gesehen haben, deren Strukturen und Bildprogramme etwas kennen, werden wir uns in Angkor Wat gleich etwas heimischer fühlen können. Ich bin sehr gespannt auf die Regenzeit, den Dschungel und die Vogelstimmen.

In den letzten Wochen haben wir viel Tanz gesehen. Motion Bank macht eine neue Website, für die Barbara Texte übersetzt. Uns überraschte die Vielfalt, in die sich das Genre aufsplittert. Die Grenzen zwischen den bildenden Künsten und den darstellenden Künsten verschwimmen immer stärker. Ein wesentliches Bindeglied ist die Performance.

Auch Vinzenz hat seine Website erneuert und sie um ein weiteres Projekt erweitert.

Finsternis | liebevoller Blick | Poetisierungsverfahren

Im Mousonturm erlebten wir die Performance “Unterton“ von Sidney Leoni. Wir sahen sie nicht, weil sie meistens in vollständiger Finsternis stattfand. Krishnababy zeigt im Programmfaltblatt auf:

„…und sie werden am Ende nicht sagen können, wann der Sturm losbrach, wann ein mysteriöses Tier ihre Beine umstrich und wann der enge Raum um sie plötzlich unendlich weit wurde.“

Ein ungewöhnliches Erlebnis, bei dem man von den „Darstellern“ immer wieder vorsichtig berührt und sogar umarmt wurde. Noch einmal wurde mir währenddessen unsere berührungslose Gesellschaft deutlicher.

Im Museum für Moderne Kunst sahen wir Videoarbeiten von Rineke Dijkstra. Ihre Motive sind heranwachsende Menschen vor weißem Hintergrund. So posieren beispielsweise ein paar etwa zehnjährige Schüler in Schuluniformen, die sich wortreich mit dem für den Zuschauer unsichtbare Bild „Weinende Frau“ von Picasso beschäftigen. Ein liebevoller Blick auf diese ernsten Kinder. Viele andere nicht minder intensive Videos beschäftigen sich mit tanzenden jungen Menschen.

In der vergangenen Woche erst wurde bekannt, dass Sara Kirsch schon am fünften Mai gestorben ist, eine der aufrechten Dichterinnen der DDR-Zeit. Schon in den Siebzigerjahren, kurz nach der Biermannausbürgerung ist sie in den Westen gegangen. Im Nachruf von Wulf Segebrecht in der Frankfurter Allgemeinen wird ihr romantisches Poetisierungsverfahren beschrieben, das keine vordergründige Harmonisierung im Sinn hatte.

Laudatio | Regiekonzepte

In einer knappen Stunde, also sehr schnell formte ich ein Blutkreislaufrelief aus. Danach sprach ich mit dem Anatolier Albak, erklärte ihm, dass ich unsere Probleme lieber unter uns gelöst hätte. Nun gibt es einen offiziellen Termin. Das wird die Auseinandersetzung um die Nutzung von Teves West verschärfen.

Das besetzte Haus in der Schwalbacher Straße ist schon geräumt worden. Die Besetzer hatten nicht gewusst, dass es einem privaten Versicherungsunternehmen gehört. Von der Stadt als Besitzer hätten sie mehr Aufschub erwarten können.

Eine etwas gespenstische Geschichte ereignete sich gestern bei der Preisverleihung des Verlags der Autoren an Frank Patrick Steckel für sein Übersetzungswerk. In der Laudatio erwähnte Annette Reschke einen Scherz Steckels: „Und was machen sie, wenn ich mit vor der Verleihung ein Bein breche?“ Beim Besteigen des Zuges von Berlin nach Frankfurt brach er sich dann den Fuß.

Mit Annette sprachen wir eine Weile über die Wirkung von nachgetanzten Forsythestücken und ihre Verwandlungen, denen sie durch andere Tänzer unterworfen sind. Luise Rist will mir ihre Freischützbearbeitung schicken und mit Marion Tiedtke sprach ich lange über Verbindungen meiner Arbeit, speziell der Raumprojekte zu Möglichkeiten der Erarbeitung von Regiekonzeptionen. Ein netter Abend.

Aneignung | Tanz

Krishnababy zeigt auf eine Zeile auf einem winzigen Flyer, den ich gestern auf dem Weg zum Ballett im Mousonturm in die Hand gedrückt bekam:

„Wir haben uns heute das leer stehende ehemalige Sozialrathaus angeeignet. Wir wollen hier langfristig einen Raum eröffnen, in dem sich Menschen selbst organisieren.“

In der Schwalbacher Strasse hatten wir einen Polizeikordon und eine dicht gedrängte Demonstrationstraube zu passieren, um zur Straßenbahn zu gelangen. Eine künstlerische Verdichtung als Aneignungsinstrument für öffentliche Räume war ein Denkansatz den ich für Projekte im Architekturmuseum entwickeln will.

Studierende der Hochschule für darstellende Künste zeigten am Abend fünf verschiedene Stücke oder Fragmente davon. Beispielsweise entwickelten sie „Enemy in the Figure“ von William Forsythe mit Tänzern dieser Forsythecompany. Die älteren Stücke sind sehr emotional und werden durch die Jugend der Tänzer noch anrührender.

Danach fuhr ich gleich mit der Straßenbahn weiter bis zum Tevesgelände, um mir Pixelkitchen von außen aus anzuschauen. Die Probebühne war voll mit Menschen und zu dem Zeitpunkt, an dem ich dort war, ging es ruhig zu. Dagegen könnte man nichts haben, wenn der Raum für Veranstaltungen zugelassen wäre, wenn der Notausgang nicht mit der Garderobe zugestellt und diese dahinter liegende Tür nicht abgeschlossen wäre, wenn nicht in einer hygienisch bedenklichen Situation Essen ausgegeben würde und keine Feuerjongelage zwischen den Teerdächern brennen würde…

Fingerzeige | Bahndamm

Klar zieht eine kalte Dämmerung herauf. Die Temperaturen sanken immer weiter und nähern sich der Frostgrenze.

Während des Workshopabends fragte mich Anna, ob es Tage bei mir gibt, an denen ich nicht kreativ sein will oder kann. Zunächst ist das nicht eine Frage des Willens, sondern des Zustandes. Er wird schon durch das tägliche Arbeitstagebuch gewährleistet. Diese tägliche Produktion von Zeichnungen, Texten und Collagen hält mich bei der Stange. Nicht unwichtig sind die Fingerzeige von Krishnababy.

Im Atelier liegt nun ein ganzer Stapel von Dreiecksrahmen, die ich mit dem Zweifigurenrelief belegen kann. Diese Arbeit wird dadurch behindert, dass Deniz seine Ausstellung im Balken nicht abräumt. Dazu muss ich ihn nun dringend auffordern.

In der Biografie „Bob Dylan und Amerika“ lese ich über die Zeit der großen Depression und die der Beatbewegung in den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Allan Ginsberg und Jack Kerouac lebten in Greenwich Village, wo die neue Folkszene aufzulodern begann. Wenn ich die Whitmarkdemos höre, donnert in einem Song die U-Bahn am Ort der Aufnahme vorbei. Unwillkürlich schaue ich zum Bahndamm, ob sich ein langer Güterzug mit den Graffitis aus aller Welt vorüberwälzt.

Ein grauer Eisdeckel wächst aus der klaren Nacht, der die wärmenden Strahlen des Morgens abhalten wird. Auf der gegenüberliegenden Alleenseite ziehen die Abschleppwagen heran, um sie für den Freitagsmarkt frei zu räumen.

Bildtunnel

Die Collagen, die ich derzeit aus den Tagebuchzeichnungen zusammenstelle, besitzen viele Fenster, durch die man bis auf die darunter liegenden Schichten hindurchschauen kann. Das ist wie ein Rückblick auf ein paar Tage durch einen Tunnel in die Vergangenheit. Wenn ich diese Arbeitsweise ernsthaft weiter betreiben möchte, muss ich mit einem Speicherformat arbeiten, das die Schichten einzeln aufhebt. Das bringt noch mehr Variationsmöglichkeiten, benötigt aber mehr Speicher.

Im Atelier fügte ich Dreiecksrahmen zusammen, beaufsichtigte Lehrlinge und motivierte sie durch Mitarbeit an ihrem Projekt.

Am Abend habe ich mich mit einem Glas Wein ins Cafe gegenüber gesetzt. Der große Abstand aus dieser tiefen Perspektive zu meinem Schreibtisch erstaunte mich. Der Raum definierte sich von dort aus in einer anderen Dimension.

Die Menschen machten sich in der kühlen Luft zwischen den kalten Regenschauern klein und rar. Die Vögel schwirren verzweifelt ohne Wärme erzeugen zu können.

Eine nette Mail von Cordula, die mich im Atelier besuchen möchte. Alexander schickte einen Text zu dem Vorhaben, das wir mit dem Architekturmuseum beginnen wollen und möchte Ergänzungen und schriftliche Unterstützung. Vielleicht lässt sich ein Naturraum – Stadtraum – Aspekt mit einfügen. Gehen, Spuren hinterlassen, kleine Eingriffe im Stadtraum mit Materialien aus dem Wald…

Verdichtung | Freiraum

Krishnababy zeigt auf einen Satz von Bob Dylan, der in einem Rolling Stone – Interview, das zwischen dem dritten und siebten Mai Zweitausendsieben geführt wurde:

„Es kam nicht so einfach ohne Grund aus dem Boden geschossen.“

Dabei geht es um seine Arbeit in den Sechzigern und die Reaktion des Publikums darauf. Der Unterschied zur heutigen Produktion rührt seiner Meinung nach von mehr Freidenkertum und Nonkonformismus in dieser Zeit her. Ich lese gerne in den ausführlicheren Äußerungen Dylans in einem Sonderheft des „Rolling Stone“, das mir Barbara aus Berlin mitgebracht hatte.

In einem Metallschälchen aus Jordanien, mit gravierten Tier- und Pflanzenornamenten, sammeln sich die Holzspäne und der Pigmentstaub, die beim Anspitzen der Aquarellstifte anfallen. Meine Tischflächen füllen sich mit Eintrittskarten, Notizen, Museumsfaltblättern und Programmzetteln. Es ist an der Zeit, wieder Ordnung zu schaffen, den Stand der Projekte festzuhalten, um daran etwas planmäßiger weiterarbeiten zu können.

Beispielsweise gehen mir Dinge durch den Kopf, die mit der künstlerischen Besetzung von Räumen zutun haben. Freiräume im Wald und deren Projektion auf die Stadt. Eine Gegenwehr zur wachsenden Macht der Investoren im Zusammenhang mit der baulichen Verdichtung. Der Kunst kommt die Aufgabe der Gegenbewegung zu, die ihr nur mit einer künstlerischen Verdichtung möglich werden kann, die Freiraum bedeutet.

Dekorationsfalle

Die Skulpturen, die ich im Atelier mit Naturmaterialien und Gips gemacht hatte, enttäuschten mich etwas. Wenn ich nicht aufpasse, bekommt manches einen deutlichen Dekorationscharakter. Es gehört also mehr Anstrengung dazu.

Vinzenz schrieb, dass er an einem Tag mit Via Lewandowski, Daniel Birnbaum und Olafur Eliasson gesprochen hat. Das baut ihn auf. Aber auch er muss aufpassen, dass er nicht in die Dekorationsfalle tappt. Aber jetzt erst einmal kann er Erkenntnisse sammeln, die ihn davor bewahren können.

Etwas unkonzentriert und zersiedelt muss ich bei mir beobachten, dass nichts fertig wird. Vor der Kambodschareise muss ich noch was hinkriegen. Vom ständigen Arbeiten ohne Feedback bin ich auch etwas ausgelaugt.

Sehr wichtig sind mir nach wie vor die täglichen drei Zeichnungen und zunehmend auch das Schreiben. Es stellen sich hier andere Konstellationen ein als sonst. Auffällig wird das besonders bei den Überschriften über den Abschnitten im Netz im Zusammenhang mit den Collagen. Auch die werden wichtiger. Außerdem habe ich überhaupt keine Lust, diese Arbeit zu vergrößern oder ins Atelier zu transportieren. Dort geschieht etwas anderes.

Heute habe ich gemeinsam mit den Lehrlingen Dreiecksrahmen für die Modulwandbilder gebaut.

Baumarchitektur

Fast dreihundert Jahre alte knorrige Buchen in den Wäldern des Rheingaus zeugen von einer speziellen Art der Grenzbefestigung, die sich „Gebückwerk“ nennt. Eine etwas sperrige Bezeichnung für ein Grenzbefestigungsvorgehen dass einer natürlichen Schutzwallarchitektur folgend angelegt wurde. Junge, hoch aufgeschossene Hainbuchenstangen wurden so zum Boden herab gebogen, dass sie weiter oben am Stamm neu wurzeln konnten. Die Triebe, die dann an den ineinander greifenden Bögen wuchsen, konnten anschließend miteinander verflochten werden. In dieser Weise wurden undurchdringliche Hecken gezogen. Grund dafür waren die materiellen und politischen Werte, die es im Rheingau gegen die Nachbarn und marodierende Haufen zu verteidigen galt. Mir gefällt daran besonders der Zusammenhang zwischen dem geflochtenen undurchdringlichen Wachstum und den zu schützenden freiheitlichen Werten. Manchmal waren die Streifen einhundert Meter breit. An den Stellen, wo Wege die Grenze passierten, standen stark befestigte Bollwerke mit Türmen, Torbögen und Schießscharten. Diesem etwa fünfzig Kilometer langen Streifen steht im Süden der Rhein als natürliches Hindernis gegenüber, das gut überwacht werden konnte.

Auf dem Heimweg begegnete uns noch ein anderes, sehr viel freundlicheres Bauwerk, das ebenfalls das Wachstum zur architektonischen Unterstützung benötigt. Es handelte sich um eine Tanzlinde, deren Äste jetzt noch zu jung sind, um den Tanzboden in etwa drei Metern Höhe zu tragen. Die alte Linde fiel einem Sturm zum Opfer, worauf 2003 eine neue gepflanzt und gleich eine achteckige Balkenkonstruktion mit dem Tanzboden drum herum gebaut wurde.

Wachstum | Objekt | Tanz

Auf der Suche nach langstieligen, trockenen Pflanzenstengeln durchstreifte ich gestern Nachmittag den „wilden“ Teil des Tevesgeländes. An manchen Stellen erobert sich die Natur den versiegelten Boden wieder zurück. Aus allen Ritzen treten zwischen dem Beton Pflanzen hervor. Auf den Oberflächen sammeln sich ihre Reste, verrotten und schaffen somit neue Böden für weiteres Wachstum. Die Birke aus einem Pflanzkübel hat nun mittlerweile schon eine Höhe von über drei Metern vor meiner Atelierwand. Sie wächst nur in dem Boden, der sich über dem Beton gebildet hat. Ich achte darauf, dass sie nicht ins Mauerwerk wurzelt. Zwischendrin wachsen auch mehrere Ahornbäume.

Aus diesem Pflanzenleben heraus gewinne ich nun also noch Material für Objekte. Die geernteten Stengel schnitt ich in etwa fünfzehn Zentimeter lange Stücken, bis ich ein kompaktes Bündel zusammenhatte. Dieses stellte ich in einen kleinen Plastikeimer und goss eine Schicht Gips hinein. Nachdem diese fest geworden war zog ich sie mit den Stengeln aus dem Behälter und wiederholte das Ganze an dem entgegengesetzten Ende.

Am Abend sahen wir ein Tanzstück mit Christina Veit und Pierre-Yves Diacon im Mousonturm.

Auf dem Weg dorthin waren wir mit tausenden Eintrachtfans konfrontiert, die mit aggressiver Fröhlichkeit ihren Fußballclub feierten.

Das Stück war einfach, unaufgeregt schön – vielleicht aber doch etwas zu simpel.

Neue Abformmasse | Kriegenburg

Meine Abformmasse habe ich nun, auf der Suche nach einem schnelleren Verfahren, erheblich verdünnt, gleichzeitig mit mehr Leim versetzt und dann dick in die Formen gestrichen. Die Brauchbarkeit dieses Vorgehens entscheidet sich nun während des Trocknungsprozesses.

Der freitägliche Ateliernachmittag ist immer, wegen der Verabredung auf dem Wochenmarkt, etwas kurz. Leider musste ich Mathilda vermissen.

Im Schauspiel erinnerte ich gestern Andreas Kriegenburg endlich an unsere erste Begegnung vor zweiundzwanzig Jahren in Frankfurt an der Oder. Wir sahen dort seine Inszenierung von „Barackenbewohner“ mit Schauspielstudenten. Die wurde dann zum Heidelberger Stückemarkt eingeladen, wonach der kometenhafte Aufstieg des Regisseurs begann.

Gestern sahen wir seine „Möwe“ von Tschechow, wofür er selber ein gut funktionierendes Bühnenbild entworfen hat. Die Inszenierung fand an einem großen Tischkreis statt, der sich auf einer Drehbühne befand, die fast immer in Bewegung war. Hinter einem Vorhang vor der Hinterbühne wurde die Tafel von der Requisite immer neu gedeckt.

Im Atelier hatte Monika ihre Kamera vergessen. Ich brachte sie ihr zum Weinstand mit, wo sie gleich anfing, sie eifrig zu benutzen. Mit meinen Schülerinnen habe ich eine begabte und kreative Gruppe um mich, die mich auch ziemlich herausfordert. Die Arbeit an den Skulpturen gestern war demzufolge auch anstrengend für mich. Will ich ihrer Konzentration und Energie etwas entgegensetzen, muss ich mich ins Zeug legen.

Hang | DAM | Stückformen

Im Deutschen Architekturmuseum traf ich mich gestern mit Christina Budde und mit Alexander Klett. Es ging um eine Zusammenarbeit innerhalb des FRANKFURTER KRAFTFELDES ab Juli dieses Jahres. Außerdem sprachen wir über Erwachsenenworkshops und überlegten, ob man sie an die Thematik der neuen Ausstellung und einem damit im Zusammenhang stehenden Kongress anlehnen kann. Es geht um Architektur und soziale Strukturen in der Dritten Welt.

Für mein Gefühl ist das Zusammenspiel zwischen dem gestalteten Raum an Südwesthang des kleinen Feldberges und den Objekten, mit denen ich gerade im Atelier begonnen habe eine Herangehensweise, die mit dieser Thematik in Zusammenhang gebracht werden kann. Sicherlich geht es auch um die Annexion von Raum irgendwo in der Landschaft. Ich denke in diesem Zusammenhang auch an die MST-Dörfer in Brasilien.

Aus Zweigen stellte ich gestern kleine Architekturen zusammen, deren Verbindungen ich mit Gips stabilisierte. Der Gips gerinnt zu massigeren Formen, die einen eigenen räumlichen Faktor erzeugen. Dieser kann vergrößert werden, wodurch die filigrane Gerüstform von kompakten Elementen durchzogen wird.

Am Abend bauten wir im Workshop Gerüste für Tonplastiken. Vorher zeigte ich die Pergamonfriesleporelli. Wir sprachen über die Bedeutung des Fragments und der Farblosigkeit für die Kunstproduktion der letzten Jahrhunderte. Unser Ziel ist es nun zu den Skulpturen Stückformen zu bauen. Das wird eine Weile dauern.

Perspektivveränderungen am Hang

Bei durchmischtem Wetter bin ich gestern in den Taunus gefahren, um den neuen Herausforderungen an meinem Pfad zu begegnen. Im unteren, „alten“ Bereich ist alles geblieben, wie es war. Dort kann ich einfach weitermachen und den Wegesrand verdichten. Mein Blick schweift auf der Suche nach besonderen Astgestellen ab und zu weiter über den Hang. Manchmal stehen sie wie seltsame ausgebleichte Tierskelette in der Umgebung des Weges. Von ihnen habe ich schon manche näher herangetragen und neu aufgestellt. Es kommt darauf an, ihnen Aufmerksamkeit zu verschaffen. So folgt das untere Drittel ganz und gar meinen Gestaltungsbestrebungen.

Etwas uneindeutiger zeigt sich die Situation in der Mitte zwischen dem zweiten und dem dritten Weg. Dort drang von oben her die Forstmaschinerie weiter nach unten vor. Während oben der Holzeinschlag beendet zu sein scheint und alle Stämme aufgestapelt  zu trocknen beginnen, wurden weiter unten in der Mitte weitere Bäume gefällt. Obwohl sie teilweise inmitten meiner Bauten standen, ist keiner von ihnen zu Schaden gekommen. Das spektakulärste aber ist ein nagelneuer Jägerstand mit beträchtlicher Höhe, von dem aus ich meine Arbeit nun von der Vogelperspektive aus anschauen kann.

Im letzten Drittel allerdings habe ich zu kämpfen. Die von mir frei geräumte Lichtung wurde beispielsweise mit Fichten bepflanzt. Zugunsten meiner Mikroklimaräume habe ich die Reihen gelichtet und die Bäumchen umgepflanzt. Unangetastet behauptet sich die Kiefer. Neben all den gewalttätigen Spuren verändern sich die Blickwinkel auf die feinen kleinen Konstruktionen.

Leere und Energie

Eine Skulptur, wie ich sie mir gestern am Schreibtisch vorstellte, begann ich am Nachmittag im Atelier zu bauen. Auf einen Tisch stellte ich ein kleines Bündel Zweige und rührte mir einen Gipsbecher an. Dann trug ich den sehr dünnflüssigen Gips mit einem kleinen Spachtel an das zarte Holz und wiederholte das ein paar Mal. So entstand eine Figur, die im zentralen Korpus stabil gebaut, nach außen hin aber filigraner verzweigt ist. Wenn ich weiter daran arbeite, kann es geschehen, dass die Struktur der Zweige völlig verschwindet. Mir gefällt der Aspekt, aus einer zufällig hingeworfenen Formation, wie einem Reisigbündel, eine strengere Form zu bauen.

Krishnababy zeigt auf die große Lücke um Theia auf dem Südfries des Pergamonaltars. Die kleinen Details, die in den mit Möglichkeiten angefüllten leeren Raum zeigen, werden mit all den Bedeutungen aufgeladen die er hergibt. In Ihnen konzentriert sich die Energie, die es möglich macht, die Leere zu füllen.

Eine ähnliche Energie entsteht, wenn ich meine Zeichnungen, mit dem Handballen und Wasser wischend, fragmentiere. Die Kraft der gezeichneten Linien bündelt sich dann in dem zusammen geschobenen Pigmentwasserfleck am Ende der Wischbewegung.

In dieser Weise verknüpfen sich die Dinge der Rezeption und Produktion zu einem Strom von Beziehungen meines Wissens und der Erinnerungen, auf die ich zurückgreifen kann. Die Produktion füllt aus dem Rückgriff fragmentierte Räume und setzt die Bilder dort neu zusammen.

Gips und Holz

Auf Google Earth habe ich mir die Umgebung des Hügels angesehen, auf dem der Pergamonaltar stand. Mit den Fotos, die auf den Satellitenaufnahmen liegen, habe ich versucht, die Häuser und Viertel ausfindig zu machen, die vor der Zeit der Grabungen entstanden sind. Der Ort, der den Hügel umgibt, dessen Baumaterial teilweise aus dem zerstörten Altar besteht, heißt Bergama.

Im Atelier las ich noch ein wenig über die Ausgrabungen. Die Geschichte der Rezeption reicht bis in Bibeltexte zurück, wo der Ort als der Thron Satans bezeichnet wird.

Interessant in diesem Zusammenhang auch die Verbindung zwischen der Antikensammlung des Louvre und Rodin.

Drei Wandvitrinen im Keller des Liebighauses zeigen die Arbeitsgänge des Wachsausschmelzverfahrens sehr genau und ausführlich. Vielleicht könnte man im Atelier ein ähnliches Verfahren probieren, dessen Guss allerdings mit Gips geschehen muss. Interessant und neu für mich war, dass es eine Stückform für das Wachsmodell gegeben hat.

Ich stellte mir heute ein kleines geflochtenes Gesträuch vor, das ich mit Gips beträufeln und dann weiter verarbeiten kann, um auf diese Weise eine Figur entstehen zu lassen. Das würde die Holz-Gips-Verbindung des Mittelalters aufnehmen und es neu in meine figuralen Überlegungen einfügen.

Gestern pausierte ich mit meiner Arbeit an den Reliefs. Mit Peter sprach ich über meine Erfahrungen mit dem Massenspritzverfahren.