ARMIN

Gestern ist Enkel Armin geboren worden. Das erfuhr ich erleichtert mittags.

So machte ich mich am Nachmittag einerseits wieder an das Väterprojekt, forschte aber währenddessen, wie sich mein eigenes Empfinden dem gegenüber nun verändert, die Haltung zu dem Arbeitsstoff mit dem ich mich nun schon seit etwa zwei Jahren beschäftige. Das wird sich aber erst nach größeren Zeitabschnitten klären, sichtbar werden, sich verändern und an Bedeutung gewinnen oder selbstverständlich sein.

Die erste Zeichnung für den ersten Teil des Reliefs hatte ich noch einmal kleiner auszudrucken, damit ich ihn besser projizieren kann. Mit der Zeichnung auf Folie und der Projektion will ich heute fertig werden, d.h. die Zeichnung auf die Grundplatte zum Modellieren übertragen.

Die Buchmalereien schweben frei über den Themen, die die Arbeit bestimmen, bilden Dreiergruppen, die sich immer schwerer voneinander trennen lassen, will man die ganze Wirkung der Beziehungen zwischen den Figurationen erleben.

Könnte, sollte, würde, wäre, gäbe

Nachdem ich gestern die erste Reliefzeichnung vergrößerte, um sie dann auf eine Projektionsfolie zu übertragen, fand ich im Atelier auch die passenden Grundplatten für das Aufmodellieren der sechzehn Einzelformate, die ich dann zusammensetzen könnte.

Es sind vorher mehrere Dinge zu bedenken, die die nächsten Arbeitsschritte betreffen. Die erste und wichtigste Entscheidung ist grundlegend. Ist das aufwendige Projekt der Verwirklichung eines so großen Reliefs so sinnvoll, dass die viele Arbeit gerechtfertigt ist? Ist der Arbeitsschritt ohne die Einbeziehung meines Kinderportraits ein Fortschritt? Könnte die Umsetzung in einer anderen Technik, beispielsweise als Holzschnitt, besser verdeutlichen, was den nächsten Schritt ausmacht? Dann sollte ich verschiedene Dinge ausprobieren. Die Vergrößerung der ersten Zeichnung eines Reliefteils war schon ein solches Ausprobieren.

Es geht nach wie vor um das Reinkarnationsdoppelportrait!

Mehrere Holzschnitte übereinander gedruckt, wären eine Möglichkeit, das Projekt zu erweitern. So könnte ich die Rasterportraits des Großvaters, des Vaters und mein Kinderportrait zusammenführen. Es ergäben sich viele verschiedene Variationen mit unterschiedlichen Farben. Das ist aber ein anderer Weg.

Zwischenzeitlich ging mir auch eine Lösung mit vielen Einzeldreiecken durch den Kopf, die dann zu einem Format zusammengesetzt würden. Zu oft allerdings erscheinen mir nun schon meine „Trixel“, mit denen ich seit zwanzig Jahren arbeite in den Alltagsräumen, auf Bühnen oder in anderen Ateliers.

Zeichnerische Überprüfung

Zeichnerisch versuchte ich, meine gestrige Idee eines mehrteiligen Reliefs des Väter – Doppelportraits zu überprüfen. Ich schnitt ein Sechzehntel des Gesamtformates von der linken unteren Ecke ab und zeichnete sie auf Rolle 6. Ohne Gegenständlichkeit zu erheischen, kommt die Spannung zwischen den verschiedenen Scherbenformen und ihren Binnenstrukturen besser zur Geltung. Die kleine Zeichnung misst nur 15 cm x 12,5 cm. Bei einer vierfachen Vergrößerung der Gesamtzeichnung, würde das zusammengesetzte Relief 240 cm x 200 cm groß sein. Die Möglichkeiten, hier zwischen der fragmentierten Gegenständlichkeit des „Inkarnierten Doppelportraits“ und den völlig abstrakten einzelnen Scherbenstrukturen zu changieren, würden sich durch die Materialität und die farbliche Gestaltung vervielfachen. Das verdeutlicht schon die kleine Zeichnung auf Rolle 6, die ich oben in die Collage eingefügt habe.

Der Beginn des Zeichnens an der neuen Idee, hat mich gestern etwas elektrisiert, ein Kribbeln am Hinterkopf. Das ist ein hoffnungsvolles Zeichen.

Die Buchmalereien schleichen sich wieder langsam in andere Gefilde. Die Verwischungen verlieren an Bedeutung. Sie machen den konkreten Handballenabdrücken, Zeichnungen und verschwimmenden Strukturen Platz.

Möglichkeiten

Meine Wiese trinkt reichlich Regen. Es wächst neben den kleinen Blühgräsern auch hochstämmiges Material, das einen Wald bilden will, wie es auf anderen Brachflächen zum Bahndamm hin geschieht. Und dann ist es an mir, herauszubekommen, was der Fläche und meinem Bild von ihr gut tut und welche Gewächse herausgezogen werden sollen.

Am Morgen dachte ich daran, das Doppelportrait der Väter als Vorlage für ein Relief zu nehmen. Die zeichnerische Dichte würde noch mal konzentriert. Weitere Schichten der Gestaltung würden möglich werden, die bis jetzt noch nicht vorstellbar sind. Ich scheue etwas vor dem Aufwand zurück, sollte das Ganze in einem Stück modelliert und gegossen werden, denn es müsste mindestens dreimal so groß werden, wie die Zeichnung. Die kleinsten Abstände zwischen den Linien würden sich von einem auf drei Millimeter vergrößern und wären somit gut modellierbar. Ich würde die herkömmliche Methode bevorzugen, möglichst viel altes Handwerk. Das ganze hätte dann ein Format von 150 cm x 120 cm.

Eine weitere Möglichkeit wäre es, das Ganze in mehrere Quadrate zu teilen, die dann zusammenmontiert werden könnten. Jedes Quadrat hätte dann etwa die Größe der ganzen Zeichnung, also 50 cm x 40 cm. Aus 20 Quadraten würde eine Fläche von 250 cm x 200 cm zusammenmontiert werden können. Die feinen Strukturen wären besser modellierbar, und die Quadrate würden den Rhythmus der vier gleichen Gravitationsschwünge aufnehmen, mit denen ich die Rasterpunkte zersplittert habe.

Aber das sind nur Möglichkeiten.

Sommertor

Im offenen Rolltor des Ateliers sitzend, vor den spitzen Sonnenstrahlen der weißen Gewitterluft, setze ich, zurück von einer Reise, einen Schlusspunkt und öffne das Buch für die Malereien. Die aufgeplusterten, gleißenden Wolkenberge mit den indigodunklen Bäuchen, können mir mit ihrem Grollen nicht drohen.

An einem meiner Zitronenbäume sitzt ein unsteter Zitronenfalter, für die kurze Verweildauer seine Fühler artig in den Wind streckend, den er dann taumelnd durchtanzt. Er kommt mir aufmerksam und manierlich vor.

Schottersteine sammelte ich von der Teveswiese zu einem kleinen Hügel daneben, der nun die Kinderstube für eine Anzahl winziger Eidechsen bildet, als seien sie dort unter der dunklen Wärme geschlüpft.

Die gestrigen Buchmalereien erzählen von Kathedralengrundrissen, dem Maßwerk und den Schwüngen der Kraftübertragung. Rankenwerk greift ins Leere, wird restauriert und wieder zerschlagen. Und die Plätze der Städte verschwinden zuerst unter den Eventarchitekturen, denn dem Spaziergänger muss der freie Blick eingerüstet werden, dann werden sie von traumlosen Menschenmassen entweiht.

DANCE ON

Christopher Roman, ehemaliges Mitglied der Forsythecompany, hat das DANCE ON ENSEMBLE gegründet. Mit seinen Mitgliedern, zu denen auch Jone San Martin gehört, möchte er die Möglichkeit schaffen, mit älteren Tänzern und Tänzerinnen in ihrem Metier weiter zu arbeiten.

Gestern sahen wir im Frankfurt Lab das Stück „Catalogue (First Edition)“von Bill Forsythe. Ursprünglich hat er es für Jill Johnson und Christopher Roman, die ihm bei einer Ballettarbeit an der Pariser Oper assistiert hatten, aus dem Material dieses Abends entwickelt. Den weiblichen Teil des Duetts übernahm gestern Britt Rodemund. Körperlich ist sehr deutlich zu sehen, wer von beiden die Forsytheschule hinter sich hat. Das ist aber kein Nachteil des Stückes. Es wird deutlich, wie sich die Choreografien, die nun von anderen Ensembles nachgetanzt werden, von den Originalen unterscheiden. Das war im Kontrast der Körpersprachen von beiden ein spannender Aspekt.

Wenn ich mir andere Stücke des neu gegründeten Ensembles im Netz anschaue, dann fehlt mir der künstlerische Zugriff des Meisters deutlich. Spannung, Form und Raum dieser Choreografien scheinen nicht weiter entwickelbar zu sein, außer durch ihn.

Weitere Schichten in der Malerei gestern, die mich nicht weiterbrachten. Die zwei Bilder werden irgendwie zu dichteren gemalten Werken, interessieren mich aber immer noch nicht sehr.

Vielleicht sollte ich

Die gestrige Arbeit an den zwei Malereien warf mehr Fragen nach dem Sinn des Unternehmens auf, als nach inhaltlichen oder formalen Problemen. Ich befrage mich gerade nach dem Erkenntniswert des Ganzen. Während beim Zeichnen solche Probleme überhaupt nicht aufkommen, stellen sie sich zwischen den Trocknungsphasen der Lasuren umso vehementer. Ich habe den Verdacht, dass meine wenig entwickelte Ölmalerei ein Hemmschuh ist, den ich unterschätzt habe.

Schritte ins Ungewisse, die ich per Buchmalereien oder Transparentpapierzeichnungen leicht gehe, kann ich nicht machen, weil ich nicht weiß, mit welchen Mittel ich sie unternehmen kann. Somit bin ich bei dieser Arbeitsweise auf einem völlig anderen, fremden Feld unterwegs. Vielleicht sollte ich die Malweise ändern, damit spontanere Arbeitsschritte möglich werden. Etwas malerisch untersuchen zu wollen, setzt eine Sicherheit in der Wahl der Mittel voraus. Also kann ich jetzt nur üben und hoffen, dass mich die Geduld nicht verlässt, bis ich an einen Punkt gekommen bin, der mir ähnlich viel Freiheit verspricht, wie bei der Zeichnung oder Buchmalerei. All das hat mit der Diskrepanz zwischen der alten malerischen Handwerkserfahrung, die wenig Spontaneität zulassen und den neuen Inhalten zutun.

Einige Zeit schon verspüre ich auch einen Hang zu plastischem oder bildhauerischem Arbeiten. Dabei denke ich an Holzskulptur in Verbindung mit anderen Collage- oder Montagetechniken. Immer wieder habe ich die Verbindung von Holz und Gips vor Augen.

Vielleicht sollte ich heute Nachmittag mal alles andere beiseite stellen und damit beginnen. Kleine experimentelle Abwechslung.

Heliogenblau

Mit der Malerei fuhr ich fort, indem ich auf das erste kleine Kinderportrait weitere Lasuren auftrug. Die Binnenzeichnungen, die von anderen Figurationen aus Rolle 6 stammen, werden mit diesen Verdunklungen zu Fenstern im hellen Kindergesicht, die einen Blick in die Schichten dahinter erlauben.

Die drei Varianten des Portraits, die ich nacheinander auf die Transparentpapierrolle zeichnete, sind nun die zeichnerischen Vorlagen für die Malereien. Eine zweite begann ich auf einem etwas größeren Format. Dafür benutzte ich die erste Portraitvariante als Vorlage. Zwei Linien verschlingen sich hier ineinander, die die Umrisszeichnungen von zwei Portraitvarianten mit unterschiedlicher Rasterauflösung sind. Die erste, gröbere zeichnete ich bereits mit einem „Heliogenblau“ nach. Die Farbbezeichnung stammt vom VEB Lacufa, das die Rubens-Ölfarben herstellte. Als nächste wird sich die zweite feinere Linie hinzugesellen, die ich mit der orangefarbenen Lasur nachzeichnen will, die ich schon im ersten Bild benutzte.

Die Diskrepanz zwischen der alten Maltechnik und den Motiven, die ich langsam in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt habe, erzeugt eine Form der Arbeitsspannung, die selten ist, die ich so vielleicht noch nicht erlebt habe. Dennoch ist sie ein zartes Pflänzchen, nicht spektakulär und Vorsicht ist angesagt.

Die Buchmalereien umschreiben immer wieder die Gegensätzlichkeit von Schwüngen und den kristallinen Gitterstrukturen, von Verwischungen des Vergessens und den scharfen Linien der Gegenwartskonstruktionen und von Schönschrift und Gewalt.

Malerei

Auf dem Zeichentisch stehen Malereiutensilien. Deswegen sitze ich am Tisch innen vor dem Rolltor, höre die Stadt – den Wind in den Pappeln, die Lüfter der Netzknoten, die Brandung der A 5 und die Sirenen der Rangierloks. Gehe ich nahe an die Blüten in meinem Garten heran, summen auch die Insekten in den Blüten in mein Ohr.

Gestern begann ich mit der Malerei am Kinderportrait. Am Morgen sieht das Ergebnis eher unspektakulär aus. Einen lichten Hintergrund legte ich mit einem lasierenden Blau an. Dann malte ich die Vorzeichnung mit Orange, grüner Erde und diesem Blau nach.

Skeptisch betrachte ich nun diese Wiederbelebung der Ölmalerei. Es fühlt sich an, wie vor vierzig Jahren, auch wenn sich die Inhalte und die Formen seither stark verändert haben. Es kostet mich etwas Überwindung, länger auf diese Malerei zu schauen. Muss daran weiterarbeiten, bis sie meinen Blick aushält.

Die Ranken meiner Kletterpflanzen verschlingen sich wie die Umrisslinien der Kinderportraits ineinander. Verschiedene Vorgänge, zeichnerische und die des Wachstums im Garten begegnen sich in der Gestalt der Suchbewegungen. Die Verwandtschaft der Schlingmuster wird von meinem Tun in meinem Hirn erzeugt. Darauf etabliert sich normalerweise eine Verdichtung bis zur Unkenntlichkeit, woraus dann neue Figurationen entstehen können.

Perspektivwechsel

Gestern stellte ich mir am Morgen einen Tisch auf die leere Terrasse des Restaurants und schaute im Perspektivwechsel von außen aus dem Schatten auf das sonnenbeschienene Atelier. Die Buchmalereien haben sich dadurch allerdings nicht verändert.

Heute aber verwandte ich auf das Verwischen keinen wesentlichen Akzent und beschäftigte mich anstatt dessen eher mit den Abdrücken meines Handballens, der die Motive etwas durchsichtiger wiederholt. Daraus entstanden neuartige ausbaubare Formationen.

Diese Arbeitsweise hat ihre Herkunft in den Holzdrucken, die ich in den Achtzigerjahren anfertigte. Weil die Holzdruckstöcke klein und kombinierbar waren, konnte man sie auch mehrmals auf ein Format drucken. Dies wiederholte ich dann wenig später im digitalen Bereich mit Motiven, Figuren und Fragmenten unterschiedlicher Herkunft.

Nun sind die mit dem Handballen abgedruckten und vervielfältigten Figurationen oft Auslöser oder Startpunkt für ein Bild, kommen aber auch als ergänzender Akzent zum Einsatz.

Heute komme ich nun hoffentlich endlich zu meiner Malerei auf Leinwand, die mir schon ein paar Tage durch den Kopf geht. Vor mir befinden sich ein paar Tage, an denen ich voraussichtlich ungestört und konzentriert daran arbeiten kann.

Lasuren

Sonnabendnachmittag, mehr als 30°C und über dem Beton vor der Atelierwand staut sich die Hitze. Unter den Wurzeln der Kletterpflanzen wird das Wasser schnell knapp.

Gestern habe ich begonnen, die Vorzeichnung für die Malerei des Kinderportraits auf eine kleine Leinwand zu zeichnen. Dann Besuch und Pizza. Arbeit unterbrochen…

So entstehen die gemalten Bilder im Halbschlaf hinter den Augen – verschiedene Varianten in unterschiedlichen Techniken. Die meisten werden mit der Lasurtechnik möglich. So gerät sie in die engere Wahl, ohne dass ich einen Pinselstrich gemacht hätte. Vielleicht sollte ich die Bilder nur beschreiben und nicht malen.

Nun kommt es darauf an, wie ich mich in die Arbeitstechniken, die ich vor über 40 Jahren erlernte und dann nur kurze Zeit praktizierte, wieder hineinfinden kann. Oft erinnere ich mich an ein Stillleben mit vertrockneten Blumen in einem Glas, von herbstlicher Durchsichtigkeit.

Kein Schritt

Ein nächtliches Gewitter hielt mich wach. Hinter den Augen konnte ich in Ruhe die Malerei ausführen, zu der ich gestern nicht kam und auch in den nächsten Tagen nicht kommen werde.

Am Morgen inspizierte ich die Gärten. Der nächtliche Regen hat den Boden etwas aufgeweicht, sodass ich die krautigen Stauden auf der Wiese ausreißen konnte, die im vergangenen Jahr so groß geworden sind, dass das Areal aussah, wie ein verbuschtes Stück Land. Es war noch kühl heute, und es machte mir Vergnügen die Pflanzen mit den Wurzeln herauszureißen.

Für die neuen Arbeitsschritte im Atelier fehlen mir derzeit sowohl die Kraft und auch die Zeit. Manchmal stehen alle möglichen alltäglichen Vorhaben gegen einen wichtigen neuen Schritt in meiner Arbeit, den ich eigentlich nicht verschieben will.

Nach den Texten von Thomas Brasch habe ich nun begonnen den Roman „Die Kinder der Preußischen Wüste“ von Klaus Pohl zu lesen. Zunächst fällt mir nach den ersten Seiten der Kontrast auf, zwischen dem, was ich nach der Dichte von „Die Söhne sterben vor den Vätern“ erwartet habe und dem, was ich auf den ersten Seiten vorfand.

Energie

Gegen 4.30 Uhr am Morgen ging mir eine malerische Variante der Kinderportraits durch den Kopf, an denen ich derzeit auf Rolle 6 arbeite. Hinter meinen schläfrigen Augen stellte sich das Ganze eher als eine farbige Zeichnung auf Leinwand dar. Mit welchen Mitteln sie unterstützt werden könnte, wird sich noch zeigen.

Ich überlege mir, dafür meine alten Ölfarben aus Dresden zu nutzen, sie ordentlich zu verdünnen, um einige Lasureffekte zur Verfügung zu haben. Eigenartige und nette Aussicht: Staffelei, Abstand, Ruhe und Rückgriffe in alte Techniken. Dabei hole ich die Stimmungen herauf, die mich damals beherrscht haben.

Auf dem Beton in meinem Garten las ich gestern die letzten Erzählungen aus „Die Söhne sterben vor den Vätern“ von Thomas Brasch. Der Ton verdickt mein Blut und Kälte senkt sich herab auf meinen Körper, wenn ich die Worte lese, die mir meine „Zeit in der Produktion“ wieder nahe an mich heranrücken. Aber gleichzeitig keimt da auch diese Kraft des Aufbegehrens wieder auf und das verschafft mir Arbeitsenergie. Das Kindheitsthema erweitert sich in die Zeit, als ich das Eingesperrtsein erkannte. Es gab aber später den Ausweg eines Ausreiseantrages. Dieser Vorgang der Antragstellung spaltete die Menschen der Umgebung in solche, die einen als Verräter an der „Sache des Sozialismus“ betrachteten und in solche, die am liebsten auch gleich abhauen würden.

Die Reaktionen der offiziellen Stellen waren klar und deutlich. Indem der den Antrag vierteljährlich erneuerte wurde egal ob der vorhergehende bearbeitet oder abgelehnt war, bezeugte unbeugsame Beharrlichkeit. Das hatte manchmal Erfolg.

Vernarbte Substanz

Das dritte Portrait zeichnet nun die Zustände nach dem Verlust eines Bezugsrahmens in der Kindheit nach. Die Zerstörungen fressen sich von innen und außen in die seelische Substanz. Es bleibt das Gerüst von vernarbten Zügen, das entstellt und verunsichert in die Zukunft schaut.

Mit dem Zeichnen kann ich nun die Gefühlssituation wieder hervorholen, die tief vergraben unter den Schichten sind, die seitdem von der Zeit gestapelt wurden.

Bin heute erst am Nachmittag ins Atelier gekommen. Mal sehen, ob ich noch etwas zustande bekomme, außer den Buchmalereien.

Auf dem Bahndamm scheint man ein Gleisbett zu erneuern. Die Maschinen, die die Gleise mit neuem Schotter unterfüttern summen hin und her. Das Ganze wird von einer heißen, steilen Sonne aufgeheizt.

Licht der Naivität

Zeitig schaue ich im Atelier, während ich schreibe, auf das, was ich gestern gezeichnet habe. Eine weitere Variante meines Einschulungsportraits entstand mit verschiedenen Überlagerungen aus Zeichnungen der letzten Tage, die auf der Rolle 6 entstanden waren und nun beim Zusammenrollen durchscheinen. Ich fügte sie in die Flächen ein, die für die dunklen Areale der Rasterportraits vorgesehen sind. Mit der Umkehrung, also der Füllung der hellen Flächen, kann ich das nächste Portrait gestalten, um wieder Material für die Weiterarbeit bereit zu stellen.

Der Gleichgewichtstrainer für verschleierte muslimische Frauen ist schon mit seinem Main – Taunus – Opel eingetroffen und bereitet mit Kreide auf dem Asphalt die nächste Übungseinheit mit Rollern vor. Irgendwann sollen sie ja schwärmend auf Fahrräder steigen.

Gestern bekam ich den Erzählungsband „Die Söhne sterben vor den Vätern“ von Thomas Brasch in die Hand. In der letzten Zeit habe ich mich mit wenig Material von außen versorgt. Lediglich die erinnerungstheoretischen Texte von Aleida Assmann gesellten sich zu meiner Väter – Arbeit. Umso mehr zog mich die Atmosphäre dieser Erzählungen in die Zeit der ersten dreißig Jahre meines Lebens. Immer wieder geht es um das Verlassen dies DDR-Staatssystems. Die Wortwahl, die die Stofflichkeit, die Gerüche, den Ton beschreibt, führte mich hinab in den Keller dieser Erinnerungen. Kohl und Schuhcreme, Kartoffeln und Braunkohle, Bohnerwachs und elektrische Entladungen, Wodkadunst und Schweiß. Drohungen in Räumen mit grünen Ölsockeln und Staatsführerportraits darüber. Und all das im Licht der Naivität.

Schwarm

Auf dem Platz vor dem Atelier werden verschleierte Frauen dazu angeleitet, mit ihrem Gleichgewicht umzugehen. Ernst ist von ihren Haltungen ablesbar, mit denen sie auf den Rollern nach ihrer Balance suchen. Das sieht aus, als hätten sie in ihrem Leben in Wohnungen und auf den Dächern der Häuser nie Sport getrieben.

Manchmal überkommt sie alle zusammen eine Lust, miteinander zu reden. Das Plappern schwillt dann an, wie bei einem Schwarm schwarzer Wasservögel. Dann sind sie entspannt und lachen miteinander. Das erscheint wie eine vorübergehende Erlösung.

Das alles stört mich etwas in meiner Konzentration. Aber die Gruppe zog sich mit den Trainer, als ich das anmerkte, etwas weiter zurück. Gleich komme ich mir vor, wie der Alte, der den Kindern das laute Spielen verbieten will.

Gestern hwar viel Zeit und Ruhe für meine Tagebucharbeit und ich konnte mich gründlich mit der Figurensequenz auf Rolle 6 und der Collage beschäftigen, die ich über den Text setzte.

Die Buchmalereien stagnieren etwas. Auch für sie sollte ich mir mehr Zeit nehmen.

Verfestigen und auflösen

Für die Rollen 4, 5 und 6 habe ich nun extra einen Arbeitstisch eingerichtet, wodurch ein besserer Überblick und strukturierteres Arbeiten mit dem Material möglich werden soll. Das rückwärts schauende Zeichnen, die Aufnahme von Figurationen und Strukturen aus der Vergangenheit führt in eine spielerische Gegenwart. Aus ihr erwächst wieder ein Strang Zeichnungen, aus dem ich mich später bedienen kann. Der Erinnerungsfundus wird mit Tusche und Transparentpapier verfestigt. In seiner zeichnerischen Nutzung wird er auch wieder intuitiv aufgelöst.

Zwischendrin Gartenarbeit. Einen großen Brennnesselbusch, den ich ein paar Monate gewähren ließ, riss ich zugunsten von mehr Kraft und Licht für meine Kletterblüten aus.

Von Westen her tauchen aus dem Sommerdunst die landenden Maschinen auf, Hummeln hängen an den gelben Rucolablüten und Gleisreparaturmaschinen tuckern auf dem Bahndamm. Ich genieße die Feuchtigkeit und Milde an diesem Julisonntag.

Gestern, unterwegs in Thüringen auf dem Heuberg am Rennsteig, erinnerte ich mich an eine Klassenfahrt in die Waltershäuser Hütte, dort in der Nähe. Russen hatten ein Feldlager im Wald, errichteten ihre Schlafstätten unter planen auf hohen Reisighaufen und rochen nach Öl und Schweiß. An ihnen probierten wir unser erlerntes Russisch aus. Es gab ansonsten  nicht viele Gelegenheiten dafür.

Eile

Schon am frühen Morgen rollte ich in der Stadt herum. Alles in Eile. Pünktlich sein. Keine Zeit ansonsten. Fahren, wenden, essen zurückfahren.

Mit viel Lust und Ausdauer zeichnete ich gestern weiter auf Rolle 6. In die Überlagerungen fügte ich zwei Umrisszeichnungen eines Kinderrasterportraits unterschiedlicher Rastergrößen ein. In der Figurengruppe scheint so beim Zusammenrollen des Transparentpapiers ein Strickmuster durch dessen Dichte natürlich mit jeder Umdrehung zunimmt.

Neu ist dabei, dass ich zunehmend auswähle, was ich aus dem sich anbietenden Material durchzeichne. Die orientalische Anmutung der Gruppe geht verloren zugunsten einer weiter verrätselten Gegenständlichkeit.

Die Arbeitsweisen sind bekannt. Entsprechend will ich neue Elemente hinzufügen.

Ein weiteres Ausstellungsangebot steht im Raum. Wie soll ich das Transparentpapier präsentieren?

Fundus des Schauens

Fächelnd neigen sich Robinienblätter den Fenstern zu. Die Sektionen der Rolltore liegen in ihren Seitenschienen, geführt, gehalten, gefangen und schließen die Kühle des Morgens aus.

Ich wachte in der langen Morgendämmerung zwischen den lauten Rufen der Ringeltauben, hörte meine Atemwege arbeiten, spürte den Widerstand der Muskeln, die immer wieder einem Reiz begegnen mussten.

Weiterarbeit an der Figurengruppe auf Rolle 6. Dort scheint sich eine Überlagerungssequenz zu entwickeln. Sie wuchs von allein, ich hatte das nicht vor. Ich spüre aber, wie sehr ich diesen zeichnerischen Fluss als beruhigendes Element in meiner täglichen Arbeit benötige. Alles ist ausgelegt auf dieses Fließen, dieses unaufhörliche Abgleichen mit dem Fundus der Figurationen aus den vielen Jahren des Schauens.

Deshalb kann ich das Experiment, diese Kontinuität zu unterbrechen, getrost auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.

Gestern ein längeres Gespräch mit Franz Konter und Niklas Klotz in ihren Ateliers. Es gab handgefertigte marokkanische Kekse. Ich habe sie zu mir eingeladen. Vielleicht können wir hier mal grillen. Mit Franz sprach ich auch über die Ausstellung, die wir schon vor langer Zeit verabredet hatten.

Rätselhafte Vergegenständlichung

Diese Zeichnungen einer lagernden Gruppe, bestehend aus Tänzern der Forsythe Company im Ballettsaal der Oper Frankfurt, habe ich immer mal in meine Transparentpapierarbeiten eingefügt. So zeigte dieser Umriss die verschiedenen Strukturen die sich aus den unterschiedlichen Inhalten der bildlichen Beschäftigungen der vergangenen Jahre zusammensetzten.

Gestern zeichnete ich diesen Umriss ohne Binnenstrukturen auf Rolle 6. Dann versah ich die entstandene Fläche mit den Linien, die zufälligerweise beim Zusammenrollen des Transparentpapiers durchschienen. Aus Scherbenfragmenten, Trixelflächen, Schönschriftornamenten und Portraitrasterpunkten entstand eine erzählerische Binnenstruktur. Linien ließen Turbane entstehen, Wundverbände oder gepunktete Roben. Diese rätselhafte Vergegenständlichung ist neu. Die Erinnerungsarchive halten nur vage vergleichbare Bilder bereit.

Nach der Herstellung dieser Zeichnung, die ich oben in der Collage noch mal mit den Mustern der gestrigen Abbildung verband, sah ich mir die etwa tausend Collagen der letzten 3 Jahre in einer Diashow an. Sie sind lediglich im Blog zu sehen, in keiner anderen Ausstellung je! So sah ich sie mir stellvertretend an, im Zusammenhang der Reihenfolge ihrer Entstehung.

Trixelfelder essen

Auf meine traurige, trockene, ockerfarbene Wiese fällt seit einigen Stunden ein leichter Regen. Gerne lief ich am Morgen unter dem mild bedeckten Himmel in mein Atelier. Aus der gewaschenen Luft ließ sich Linderung atmen. Paradiesische Erlösung.

Ich stehe auf und schaue auf die Rollen 4, 5 und 6 auf den Zeichentischen, aus denen ich zitiere, um neue Aspekte zwischen den Figurationen aufzudecken.

Gestern nahm ich drei Scherben der Anfänge des Totenbuches. Ich setzte sie unter und über die Schönschriftornamente von gestern, die auf meinen Befehl aus dem Kinderportrait sprangen. Ich ernte und esse die zackigen Trixelfelder.

Varanasi – Kolkata – Landschaften.

Unruhige Väterthemen,

Schichten.

Preußische Wüste

Der angekündigte Regen bleibt zunächst aus, außer ein paar Tropfen, kaum sichtbar, nicht spürbar. Das macht mich etwas unruhig, seitdem ich wirklich trockene Landschaften und Trinkwassermangel kennen gelernt habe. Es ist häufig so, dass Regenwolken einen Bogen um die Stadt machen. Vorhersagen treten nicht ein. Die Feuchtigkeit geht im Spessart, Taunus, Vogelsberg oder in der Wetterau nieder und nicht in meinen Gärten und auf meiner trockenen Wiese.

Gestern zeichnete ich unterschiedliche Auflösungen meines Kinderportraits übereinander. Ich füllte die verschiedenen Schichten zunächst mit einer Bleistiftschraffur, die aus einem Schönschriftornament besteht, mit Schelllack und etwas Preußisch Blau an den ausfransenden Rändern.

Noch mal schlug ich die Tagebuchaufzeichnungen aus dem Februar 2011 auf. Auf Rolle 4 zeichnete ich damals Videostills von Landschaften zwischen Varanasi und Kolkata in einer Bearbeitung mit einem Stilisierungstool aus Syncronus Objects, in Verbindung mit Strukturen der Synaptischen Kartierungen und der Preußischen Arabeske.

Klaus Pohl schrieb einen Roman über das Leben von Thomas Brasch, mit dem Titel „Die Kinder der Preußischen Wüste“.

Augen ernten Blütenkelche

Seitenlicht auf meinen Sammelsurien in den Regalen. Die tiefe Morgensonne dringt nur in die vorderen Schichten der Tagemonatejahre, angefüllt mit Papierrollen, Figuren, gerahmten Fotografien, Fundstücken, Insekten und Büchern.

Die ergrauenden Augen können nun an jedem Morgen Blütenkelche ernten, wie in jedem Jahr um diese Zeit. Ganz viele der Kletterschlingpflanzen, von denen ich auch zahlreiche im Himalaja und in Andalusien an Zäunen und Mauern sah, drängen nun noch aus dem Boden. In der Hitze der letzten Wochen und dem Wasser, das ich den Gärten gab, ist nun auch der letzte Samen im Boden zum Leben erwacht. Ein Durchbruch nach den Bemühungen der letzten Jahre.

Von Franz kam eine Mail, dass auch er nun einen Blog führt. Dort kann ich nun zwischendurch seine frei fließenden, assoziativen Texte einsehen. Auch Bilder werden dabei sein – eine gute Sache, der ich mich natürlich verbunden fühle.

Danke!

Weil ein jeder Montag ein kleiner Neuanfang ist, werde ich mich nun wieder an die Bearbeitung der Kinderportraits machen. Aufmerksam versuche ich Neuerungen zu erkennen.

Milchreis

Milchreis für die „Kinderchen gestern. Ich habe das vor etwa 57 Jahren zuletzt gegessen. Entsprechend stellte sich dieses Kindheitsgefühl wieder ein. Etwas dumpf, in der Mitte der Woche, keine Idee oder keine Zutaten ansonsten. Aber ich erinnere mich an den Ring von gemahlenem Zimt auf der gequollenen, weißen, körnigen Fläche, der exotisch, etwas nach Weihnachten roch. Und ich glaube, dass ich dieses Mittagessen nicht so gern mochte. Ich stopfte es eher in mich hinein.

Passend dazu arbeitete ich auf Rolle 6 weiter an meinem Kinderportrait. Diesmal in einer noch gröberen Auflösung. Und die Idee ist, nun die Zeichnungen in den unterschiedlichen Auflösungen, also mit unterschiedlich abstrahierten Formenzusammenballungen, per Transparentpapier übereinander zu zeichnen und in Schichten zu stapeln.

Daraus folgen dann unterschiedliche Varianten, die verschieden weiterverarbeitet werden können.

Landmarken für ein Jahr

Das Höchstmaß an Licht in diesem Jahr mit dieser Wolken- und Regenarmut, verlangt nach Linderung. Diese Trockenheit ist mir ein Graus.

Mein Landmarkenprojekt, das ich ab September machen will, wird gefördert. Das erfuhr ich am Morgen. Somit entsteht eine neue Ausrichtung eines Teils meiner Arbeit für ein ganzes Jahr.

Das Kinderportrait, das ich mit Tinte, Bleistift und Schelllack auf Rolle 6 zeichnete, steht im Gegenlicht und hat eine Tiefe, der ich in weiteren Variationen nachgehen möchte. Gerne in mehreren Schichte auch außerhalb der Arbeit auf der Transparentpapierrolle.

Ansonsten fühle ich mich wieder wohl mit der Arbeit auf der Rolle, diesem extremen Kleinformat. Es wächst in eine Richtung und zeigt mir das Fortschreiten meiner Arbeit an.

Aber heute kommen meine Schüler. Das heißt Einkaufen, Kochen und Zeit für sie haben.

Kleine Form

Am Rand meines Gartens, dem Ufer der Oase, im Atelier, sind es am Morgen 27°C. Aber die Temperatur steigt schnell.

Bakteriologisch durchbrochene Nacht nach einem Fernsehbericht aus dem Südsudan. Die dünnen Arme der Kinder befinden sich an dicken Bäuchen. Der Reichtum der Stammeskönige stammt aus den Spenden Europas. Wer noch die Kraft hat, flieht. Neben den sterbenden Kindern verrohen die Gesellschaften.

Mitten in die Tintenlinien, die die Gravitationszentren der Gewalt auf Rolle 6 verbinden, setzte ich Vorgestern mein Kinderportrait nur mit Tintenumrisslinien. Gestern füllte ich die Rasterpunkte mit einer vorsichtigen Bleistiftstruktur und deckte diese dann mit einer Schelllackschicht ab. Der Gesichtsausdruck nimmt das nun folgende Geschehen voraus. Ahnungslos werde ich Buchstabenzeichen und deren Verbindungen lernen.

Kurz zuvor war ich noch mal einen Sommer in Westberlin. Im Fundus der Erinnerungsmaschinerie liegen die Pottwalbäuche der in Tempelhof landenden Propellermaschinen, die himmelhohen Luftschaukeln, Funktürme, Kaugummiautomaten … Alles für mich alleine, dem Jungen vom Land.

Trotz der Länge von Rolle 6, die wie alle anderen, 50 Meter misst, ist sie ein Produkt der kleinen Form. Die Erzählung fügt sich Motiv für Motiv aneinander, versehen mit Entstehungsdaten. Das ist wegen der häufigen Rückblicke und Querverbindungen in den Tagebüchern sehr hilfreich.

Der Hafen

Zunächst erscheint das, was ich in den letzten Tagen auf Rolle 6 begonnen habe etwas mechanisch. Aber, weil vor mir auf dem Weg Nebel herrscht, taste ich mich mit dem Blindenstock voran. Dabei orientiere ich mich an dem, was hinter mir liegt, was ich 2011 im Bezug auf Counterpoint gezeichnet habe. Sporadisch nur ergibt sich eine Aussicht auf das, was kommt und wenn, dann meist nur über kurze Strecken.

Öfter denke ich an Hans Zitkos Einlassungen über meine Askese und überlege mir, was ich nun täte, wenn nicht am Beginn des Arbeitstages Texte und Buchmalereien herzustellen. Ließe ich Anderes zutage treten, würde das mit Zeichnungen beginnen, dann mit Worten und dann mit dem, was ich nicht wissen kann.

Aber in der Regelmäßigkeit meines Arbeitens fühle ich mich sicher, wie in einem Hafen, in dem ich größere Ausflüge vorbereiten kann. Die starten dann auch an den Nachmittagen oder gleich, nachdem die Arbeitstagebucharbeit abgeschlossen ist, beispielsweise in der Art, wie ich nun begonnen habe auf Rolle 6 zu arbeiten.

Auf dem Tisch vor den geschlossenen Rolltor, liegt eine Portraitrastervergrößerung vom mir im Alter von 6 Jahren. Daneben eine Frottage des Bambusrohrgeflechtes von Teppichausklopfern. Diese Kombination fotografierte ich.

Rückblicke

Weiterarbeit an den Gewaltornamenten auf Rolle 6. Es entsteht eine Vorstellung, wie ich mit den Motiven weiter verfahren kann.

Elemente einer Zeichnung vom 26.04. dieses Jahres nahm ich wieder auf. Die Zeichnung bezeichnete ich damals, im Rückblick, als nichts Besonderes. Aber ich erinnere mich nun beim Anschauen, sie lag die ganze Zeit auf einem meiner Arbeitstische, an eine längere Beschäftigung mit dem Counterpoint Tool von der Website Syncronus Objects zum Tanzstück „One Flat Thing – Reproduced“ von Forsythe. Damals im Februar / März 2011 mischten sich die Kompositionslinien eines Choreografieentwurfes mit den Verwischungen der Synaptischen Kartierungen.

Das war eine sehr spannende Zeit in meiner Arbeit mit den Stichwörtern:

Kleist,

Mauernische mit abwesender Form,

Preußische Arabeske.


Damals schrieb ich viel und die Zeichnungen waren dicht.

Verwischter Text

Stelle mir vor was ich jetzt täte, schriebe ich nicht. Ich würde mich mit Wasser beschäftigen, für mich, für die Gärten und die Seerosen. Stattdessen ringe ich nun mit mir. Soll ich aufstehen, das Schreiben unterbrechen …

Die Gravitationsschwünge müssen eine Dreidimensionalität bekommen, sonst bleibt das alles Illustration. Ich stelle mir das so vor, als würde ich die Schwünge auf einen Ballon zeichnen. Dann würden die Tangenten zwischen den Kreuzungspunkten tatsächliche Körper umschreiben und nicht nur so tun. Vielleicht muss ich wieder digital arbeiten, um das hinzubekommen.

Neu bei den Buchmalereien, die sich nach wie vor mit Ornamenten der Gewalt und Schönschrift befassen, erscheinen nun verwischte Worte. Zweimal schrieb ich das Wort „Ernüchterung“ mit verschiedenen Farben, die ich dann waagerecht verwischte. Die Phasen des Verschwindens interessieren mich dabei und die Bedeutung des nicht mehr zu entziffernden Inhaltes. Man könnte die Worte eines ganzen Textes immer wieder übereinander schreiben und sie stets einzeln verwischen.

Beschreibungen von Gewalt in verwischter, geschichteter Schönschrift. Ausdruck von Scham.

JA! NEIN!

Jetzt, punkt zwölf Uhr, habe ich das Rolltor zum Garten hochgezogen und schon ein paar Pflanzen gegossen.

Vielleicht vor fünf Jahren stellte mir Hans Zitko die Frage, ob ich mich noch zur Kunstwelt zugehörig fühlte. Damals war meine klare Antwort:

JA !

Jetzt nach unserem erneuten Gespräch hier im Garten, erinnere ich mich und bin mir mit der Antwort von damals nicht mehr so sicher. Weil die unschöne, grausame und geldgierige Seite der Kunstwelt immer mehr in den Vordergrund rückt, verweigere ich mich ihr umso konsequenter.

Was ich in der letzten Zeit alleine innerhalb der kleinen Form der Buchmalerei entwickelt habe, benötigt keine Öffentlichkeit, kein Feedback und braucht jetzt nur das Zwiegespräch mit meiner eigenen Formenwelt.

Ich fürchte eher die Beeinflussung durch Galeristen, Kulturpolitik oder der Kunstförderpraxis. Also kann nun auf die damals gestellte Frage nun antworten:

NEIN!

Open Air

Die letzte Premiere unter der Intendanz von Oliver Reese, war eigentlich gar keine richtige. Es war eher eine Wiederaufnahme des acht Jahre alten „Ödipus“ in der Inszenierung von Thalheimer. Diesmal, und das war das Neue, fand das Ganze aber unter freiem Himmel statt, auf der Weseler Werft am Flussufer vor der Skyline der Stadt. So wurde sichtbar, dass man Aufführungen, die im Haus gut funktioniert hatten, nicht ohne weiteres nach draußen verlegen kann. Mir wurde klar, welchen Sinn das Halbrund eines Amphitheaters hat, nämlich den der Konzentration. Aber in der Parallelkonfrontation von Tribüne und Bühnenbild, mit der illustrativen Stadtkulisse, konnte die Spannung nicht gehalten werden. Die Ablenkungen von vorüber schwimmenden Partyschiffen und Überflügen von Rettungshubschraubern hatten so die Möglichkeit, Löcher in das Stück reißen. Einzig Frau Constanze Becker ließ keine Ablenkung zu. Die Energie ihrer Gesten und Blicke zwangen die Aufmerksamkeit in den Raum, den sie damit schuf.

Eine Szenerie hingegen, die von den Rängen teilweise umgeben ist, wirkt schon durch die Akustik intim. Darsteller und Zuschauer bleiben unter sich. Im zentralen Kreis werden die Worte und Reaktionen darauf zusammengeführt.

Zum Wein trafen wir vorher Karlheinz Braun und Barbara Buri. Zur Premierenfeier gingen wir aber nicht mehr. Zu sehr hatten wir im Westwind am Fluss gefroren.

Aus Abstand

Aus größerer Entfernung nehmen Carola und Hans immer wieder erstaunliche Dinge wahr, die mit meiner Kontinuität innerhalb der Tagebucharbeit zutun haben. Sie schätzen diese Disziplinleistung zwar, aber Hans meint, dass sie einem Selbstzweck dient. Und dieser begründet sich in der Befürchtung, dass ich ohne diese Disziplin, im freien Fluss der Zeit, meine künstlerischen Prozesse nicht so konzentrieren und steuern kann, um immer wieder neue Ergebnisse ans Licht zu fördern, die auf dem aufbauen was ich in den Tagen, Wochen, Monaten, Jahre zuvor geschaffen habe. Die Angst vor einer Implosion der Produktivität könnte aus einem Fehlen an genügend Selbstvertrauen wachsen.

Es käme also auf einen Versuch an. Ich könnte ganz einfach für eine Weile meine Aufzeichnungen und Buchmalereien einstellen, aus meiner Askese hervortreten und schauen, was sich aus dieser neuen Situation entwickelt. Vielleicht käme es dadurch zu einer Explosion der Kreativität, oder mir erschienen ganz andere Dinge wichtig.

Aber zunächst sträubt sich etwas in mir, diese Kontinuität zugunsten eines Experimentes aufzugeben. Es würde an einen Verrat mir selbst gegenüber und dem Projekt gegenüber gleichkommen. Vollständigkeit erscheint mir in diesem Fall auch wie eine Kategorie von Schönheit. Aber ich selbst habe auch Zweifel, und sie artikulieren sich in gewissen Auflösungserscheinungen innerhalb der Arbeitstagebuchdateien. Urlaubszeiten bilden Lücken. Da gibt es nur Handschriftliches. Aber eine weitere Änderung dieser regelmäßigen Arbeitsweise kann nur aus meiner eigenen Lust an Veränderung hervorgehen.

Zeichnung und virtuelle Bildhauerei

Es ist nicht leicht, wieder in einen Arbeitsfluss zu kommen. Manchmal hilft ein Gespräch mit einem Kollegen.

Mit Niklas Klotz sprach ich gestern, in seinem Atelier, beispielsweise über den Zusammenhang vom Zeichnen vor der Natur und den Strukturen der digitalen skulpturalen Arbeit. Die Figuren, die beim Zeichnen durch die Verbindungen der Kreuzungspunkte der Gravitationsschwünge entstehen. Die Ellipsoidsegmente, Polygone und deren Kombinationen, sind die Elemente, mit denen ich jetzt weiterarbeiten kann. Wenn er mal kommt, könnten wir weitere Gemeinsamkeiten aufdecken.

So mache ich mich wieder zunächst innerhalb der Buchmalereien an die Arbeit. Körper entstehen, deren Ausformungen auf dem Bildschirm gelingen könnten. Wieder ein weites Feld, dieser Zusammenhang zwischen Handzeichnung und virtueller Bildhauerei.

Draußen herrschen 30°C. Ein Fall für Cool Jazz im Atelier.

Am Abend kommt Besuch hierher, dem ich einiges aus meiner letzten Arbeit zeigen möchte.

Tangenten

Weiß nicht so recht, wie ich nach der Reise wieder ins Arbeiten kommen soll. Eine etwas lähmende Stimmung schleicht sich ein.

Das Wässern der Gärten von mir und meinem Nachbarn dauert am Morgen etwa eine halbe Stunde. Gestern schon gab ich ihnen viel Wasser, denn sie hatten es nötig. Ja der Garten lenkt ab, ist zwar schön da was zu gestalten, aber zum Zeichnen komme ich so nicht.

Und wie immer, wenn ich etwas leer bin, verlasse ich mich auf die täglichen Buchmalereien, die den Motor zumindest im zweiten Gang laufen lassen. Die haben sich in Andalusien wieder um einiges verändert. Manchmal sind sie zart und zurückhaltend, mit wenig Aufwand gemacht. Das wirkt dann meistens etwas poetisch. Innerhalb der Gitternetze habe ich gestern erstmalig die Dreiecksform verlassen. Ich zeichnete nur die Tangenten, die die Schnittpunkte der Gravitationsschwünge verbinden. Nebenher entstehen so auch Kreissegmente, mit denen ich schon während der Reise experimentierte. Das wäre ein Ansatz für die Arbeit auf Rolle 6.

Deniz Alt hat im „Balken“ eine schöne Ausstellung gehängt. Alles Malerei, eher entspannt. Gut, dass er das macht.

Schönschriftübungen

In den asymmetrischen Kriegen im Orient und in Europa sterben unbeteiligte Kinder. Was ist Vernunft?

Im Ausstellungsraum Balken habe ich meine Arbeiten am Morgen abgehängt. Dann ist es dort unter dem Dach noch nicht so heiß. Dennoch eine schweißtreibende Angelegenheit. Die Reliefs des „Frankfurter Kraftfeldes“ haben noch immer eine energetische Ausstrahlung. Während mir mein großes Bild, an dem ich zehn Jahre malte, eigenartig schwach vorkommt.

Große Schlucke aus dem Wasserglas. Erinnere mich daran, wie ich als Kind an heißen Sommertagen mein Gesicht in das kalte Wasser eines vollen Waschbeckens tauchte und trank.

Die Buchmalereien von heute, fielen etwas finster aus. Hinter dunklen Farbwolken verschwinden die scharfen Spuren der Gewalt. Beschwichtigung durch die Schwünge der Rohrgeflechte und die Verwischungen meines Handballens. Die Schönschriftübungen hellen die Atmosphäre auch nicht auf.

Überhang an Performance

Die Suche mittels bildkünstlerischer Mittel, nach einer Annäherung an Wahrheit, steht einem Trend gegenüber, der auf darstellerische Fähigkeiten setzt. Sich als bildender Künstler darzustellen, ersetzt dabei eine Suche nach sich selbst oder nach einem Prozess der Fragestellungen nach dem, was außerhalb von mir existiert und mich aber auch durchdringen kann. Die Ironisierung von Haltungen durch eigene äußere Erscheinungsbilder, scheint mir einen Mangel an Sicherheit der eigenen Orientierung zu zeigen. Es besteht ein Überhang an Performance.

Gestern Teamsitzung im Museum. Alle stellten dar, was sie im vergangenen Jahr gemacht haben. Es ging auch um neue Ideen für eine museumspädagogische Zukunft. In diesem Zusammenhang stellte ich mein Landmarkenprojekt in einen Zusammenhang mit Erwachsenenbildung. Man könnte auch mit dem „Insassen“ der Hochhäuser Teamarbeit machen… Muss man nur ein wenig nachdenken.

Am Nachmittag werde ich den Teil meiner Ausstellung für die „Nacht der Museen“ abbauen, damit Deniz den Raum für ein Ausstellungsprojekt nutzen kann. Sicher wird es unter dem Dach sehr warm werden, sodass ich die Aktion vielleicht in den Abend verschiebe.

Ansonsten schalte ich so langsam in einen Ferienmodus.

5 Jahre

Immer noch liegt ein Zettel auf dem Schreibtisch, auf dem das Wort Totenbuch steht. Es erinnert mich an den ursprünglichen Impuls, mit dem ich an das „Scherbengericht“ herangegangen bin.

Und gleichzeitig denke ich über die Arbeit mit meinen Schülern nach, die nicht von meinen eigenen Bildinhalten zu trennen ist. Immer hatte ich meine eigenen Themen für den Ausgangspunkt der Tätigkeit mit ihnen genutzt. Meine Arbeitsweise hat auf die meisten abgefärbt. Und die besteht im unaufhörlichen Weiterentwickeln von Techniken und Inhalten. Dieses Fließen bildet die Dynamik ab, mit der wir über fünf Jahre gemeinsam unterwegs waren.

Oben ist ein Auszug aus Rolle 6 zu sehen. Er zeigt mein Rasterportrait mit den Rohrgeflechtüberlagerungen. Auch daraus kann sich nun noch viel entwickeln.

Ungleichgewicht

In der dritten Buchmalerei von gestern, gab es eine neblig graue Farbfläche, die etwas versteckte Zeichen in sich verbarg, zart gezeichnet oder verwischt. Daneben setzte ich einen deutlich abgehobenen Ornamentakzent, der im scharfen Kontrast zu der Fläche steht. Eigentlich wollte ich die ungleichgewichtige, übergroße Spannung abmildern, indem ich das Ornament noch mal etwas verändert in die Fläche setze, ließ es aber. Es ist neu, dass ich ein solches Ungleichgewicht gelten lasse.

Die Malereien entwickelten sich in den letzten Tagen vielfältig. Sie sind verschiedener als sonst. Ich habe Lust auf die verschiedenen Mittel. Bleistift kommt vermehrt hinzu, Tinte, Tusche mit Aquarellfarben.

Durch den Holzworkshop, den ich in der vergangenen Woche gehalten habe, bin ich nicht so richtig zur Arbeit an der Rolle 6 gekommen. Lediglich eine weitere Variante des Kinderportraits von mir als Sechsjähriger ist entstanden. Und ich weiß noch nicht, was daraus werden wird.

Morgen gibt es ein Treffen im Architekturmuseum, für das ich ein paar Workshopbilder zusammensammeln will. Das aber mache ich erst morgen, denn heute ist Sonntag…

Fernstraße

Im flirrenden Schatten meiner Birke bin ich vor der stechenden, steil in der klaren Luft stehenden Sonne geschützt. Der Efeu, der meine Füße umspielt, beginnt nun die Atelierwand zu erklimmen. In seiner Deckung jagt die in diesem Jahr große Anzahl von Eidechsen.

Der Verkehr auf der A 5 klingt im Westwind wie die Atlantikbrandung in der Ferne. Fernstraße – auch ein altes Wort.

Ich erinnere mich daran, dass wir als Jugendliche mit unseren Fahrrädern auf die Autobahnbrücke gefahren sind, um das Fernweh zu spüren. Westautos fuhren Transit nach Westberlin und von dort aus auf der Gegenspur nach Westdeutschland, in die Welt, in der es keine Grenzen gibt, die einen wirklich aufhalten können. Das Reisen war mir also nicht in die Wiege gelegt. Dennoch schlummerte in mir die Sehrsucht nach der Ferne, die einen ziehenden Schmerz auslöste.

Und dann, in meinem neunzehnten Lebensjahr machte ich mit meinem Freund eine Tramptour nach Bulgarien. Ein schmaler Korridor war das, der bereist werden konnte: Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien.

Loops

Die Portraits, die ich von meinen Kinderaufnahmen in vergrößerten Rasterabbildungen zeichne, sind wie Zwiegespräche mit dem kleinen Jungen. Und während dieser glaube ich manchmal, dass wir die Rollen tauschen könnten, damit ich noch mal von vorne beginnen kann.

Auch das Kreisen in den Rohrgeflechten schickt mich in die Vergangenheit zurück. Ich kreise wie ein Tänzer und alles dreht sich um mich. Umdeutung der Rohrgeflechtgravitationen.

Ich denke an eine Soundinstallation von Karl Kliem, der einen Song auf einen Zeitstrahl setzte. Auf ihm konnte man hin und her fahren und die jeweiligen Tonsekunden in Loops laufen lassen.

Wenn ich das auf meine Transparentpapierrollen übersetze, dann heißt das, dass Bilderausschnitte zu Endlossequenzen zusammengesetzt werden können. Die Weiterentwicklung des Sequenzen Zeichnens aber, die ich gestern unternahm, würde die einzelnen Loops in fortschreitenden Improvisation zu freieren Kompositionen entwickeln.

Die Buchmalereien enthalten auch Elemente dieser Fortschreibung von bestimmten Elementen oder Zitaten aus dem vorhergehenden Motiv. So bleibt alles in Gang.

Rohrgeflechtsstrukturen

Bei der Fortsetzung der Gewaltsequenz auf Rolle 6 fügte ich mein gerastertes Kinderportrait ein. Es wird von locker gezeichneten Rohrgeflechtsstrukturen durch durchzogen. Dabei nahm ich mir mehr Freiheiten heraus, als bei den vielen Sequenzen, die ich vorher gezeichnet hatte, denn die durchscheinenden Linien waren nur noch Angebote oder Inspirationen für das, was ich dann als Gesträuch entwickelte. Zeichnerisch gesehen könnte das aus meinen Achtzigerjahren stammen, aber der Vorgang bedeutet etwas wirklich Neues. Denn wenn ich diesen Schritt weiterdenke, kann ich nun mit den Sequenzen völlig andere, aufeinander folgende Zeichnungen anfertigen, die zwar immer auf der vorherigen fußen, sich aber deutlich weiterentwickeln können.

Bin immer noch mit dem Holzlehrgang beschäftigt. Das strengt an und hält mich weiterhin von der Arbeit ab.

Adressaten einer Gewaltandrohung

Gestern Holzwerkstatt mit Raumausstattern. Im Schreinerüberschwang kein Gedanke an eine künstlerische Arbeit.

Heute bin ich aber bei den Buchmalereien, die ich ergänzend auch für den gestrigen Tag nachholte, zum Thema Angst gekommen. Ein dunkles Flirren, das in die Länge gewischt wird. Erwartung einer Purpurwand aus heißem Plasma. Der Augenblick des einsetzenden Schmerzes erlöst dieses dumpfe Gefühl, löst die Panik ab.

Ein Blick fällt auf die zusammengerollte Sequenz der Rohrgeflechtsornamente. Sie alleine haben noch nicht die Kraft und Spannung, die ich mir von dem Projekt erhoffe. Was in der Farbigkeit der Buchmalereien gelingt, kann in der Transparentpapierzeichnung entweder mit den weichen Schelllackverläufen erreicht werden, oder mit einer inhaltlich – gegenständlichen Hinzunahme von Jungpionierportraits, als Adressaten einer Gewaltandrohung.

Die Arbeit an diesen Gegenständen kann erst im Sommer, wenn ich mehr offene Zeitflächen zur Verfügung habe, richtig Fahrt aufnehmen.

Aber mit meinem Gesicht des Sechsjährigen Schulanfängers, in das ein Fotoentwicklungsfehler, ein Staubfaden, geprägt ist, kann ich mal beginnen, Rasterabbildungen und starke Vergrößerungen herzustellen.

Ätherisch

Montag. Noch ist es still auf dem Gelände. Die Lüftung des Restaurants summt jetzt sanft. Manchmal tönen ferne Signalhörner von den Rangierloks auf den Gleisfeldern oder von Polizeiautos auf den Straßen.

Öfter blüht in den Buchmalereien etwas Frühjahrsfarbigkeit auf. Die Gärten senken mir das schlingende, üppige Grün in mein Reproduktions-Sehen. Es wird mitunter von scharlachroten Linien durchkreuzt. Dann aber setzt wieder blattloser Winter ein.

Bleistiftgrau, Tintenblauschwarz mit etwas Rosa.

Am Sonntag saß ich alleine im Café gegenüber von meinem Balkon in der Frankenallee. Eigentlich hätte ich mit jemandem sprechen wollen. Alle aber sprachen in fremden Zungen miteinander. Und so genoss ich meine babylonische Heimat, lockerte meine Seele mit einem Glas Riesling und spürte, wie ich mich alternd verändere und wie das auch von außen zu mir zurückkommt.

An verschiedenen Stellen auf Teves versuche ich das nun üppig sprießende Wachstum zu gestalten. Die Heckenrosen bekommen Nischen, in die man einen Stuhl hineinstellen kann. Mit den Gartenkräutern kochte ich mir gestern ein einfaches aber sehr wohlschmeckendes Mittagessen. Danach kam ich mir ätherisch vor. Das will ich auch heute wieder probieren.

Lärm, Schwüle und Apfelwein

Aus der Zurückgezogenheit und Konzentration brach ich gestern aus und besuchte den Wochenmarkt auf der Konstablerwache. Lärm, Schwüle und Apfelwein. Dazu deftiges hessisches Essen für die vielen Besucher. Der Gegensatz zum Atelier und seinem Garten.

Hier gibt es jetzt nur die Unterhaltungen der Ringeltauben und den zaghaften Beginn des sonntäglichen Glockenläutens. Kaum hörbar ist manchmal das Gezirpe der Meisen, als hätten sie was zu verheimlichen. Sie halten sich gerne im alten Gehölz meines Trockengesträuchs auf, in dem sie reichlich Futter finden.

Oben ein Auszug aus der Sequenz, die ich vorgestern auf Rolle 6 zeichnete. Unter dem Transparentpapier liegt ein Foto vom Großvater und seinem Bruder in Grinzing. Nun habe ich sie in die neuen Strukturen verstrickt, aus einem Gefühl heraus, dass mich das in dieser Arbeit weiterbringen könnte. Zumindest ist wieder eine Brücke zum Väterprojekt gespannt.

Die Buchmalereien werden ruppiger. Keine feinen kleinen Gespinste. Schwere Strukturen des Kreisens, der Dreiecksverbindungen und der Verwischungen.

ICH will sehen!

Auf Rolle 6 begann die Arbeit an „Schönschrift und Gewalt“. Ich zeichnete ein Rohrgeflechtornament mit Tinte, Tusche und Bleistift. Dann entwickelte ich ein zusätzliches Muster aus den Linienkreuzungspunkten und den sie verbindenden Strecken. Daraus wurde eine leichte und noch offene Überlagerungssequenz. Ich verdichtete sie nicht weiter, weil ich die lockere Struktur sehen will.

ICH will sehen!

Durch mein Gärtchen flog am Morgen ein grüngolden leuchtender großer Käfer, wie ich ihn noch nicht sah. Jedenfalls nicht in mitteleuropäischen Breiten.

Eine Eidechse fütterte ich mit Asseln, die in Mengen unter den Blumentopfuntersetzern sitzen. Eine Weile ließ sie mich nahe heran. Dann aber wurde es ihr zu stressig, und sie ging selber auf die Jagd.

Am Bahndamm ging eine Mohnblüte auf. Es ist feuchtwarm, alles wächst schnell. Auch die Brombeertriebe schießen aus der Wiese. Aber sie werden meine täglichen Kontrollgänge nicht überleben!

Preisverleihung

Eine der Buchmalereien von heute, die dritte in der Reihenfolge, spinnt ein filigranes Netz. Punkte, Geraden und Schwünge tendieren zu einer Choreografie und beginnen den Raum zu erkunden und zu tanzen.

Im Kaisersaal des Römers fand gestern die Verleihung des Gründerpreises der Stadt Frankfurt mit meiner Preisfigur statt. Der Chef der Wirtschaftsförderung, die die Zeremonie und die ganze Vergabe organisiert, sprach überraschend ausführlich über meine Figur. Mich kannte dort unter den vielleicht zweihundert handverlesenen Gästen fast niemand, sodass meine Verlegenheit nicht auffiel. Nur die überall anwesende Fotografin Barbara Walzer entdeckte mich und machte ein Foto mit den Preisgewinnern, meiner Figur und mit mir. Ein Sektempfang und ein reichliches Buffet rundete die Veranstaltung ab. Ich war mir über meine Teilnahme nicht ganz sicher gewesen, bin nun aber froh, trotzdem dort teilgenommen zu haben.

In der warmen sternenlosen Nacht saßen wir noch etwas auf meinem Balkon über der Frankenallee. Und schauten auf die dichter werdende Bewegung in unserer enger werdenden Umgebung.

Nun regnet es auf meine Gärten und die Wiese, die ich mühsam von Brombeeren befreie. Das ist eine tägliche Mission, die meinen Blick für kleine Schösslinge dieses produktiven Gewächses geschärft hat. Meine Sehnsucht nach dem Landartpfad im Taunus, sucht sich nun hier Linderung. Gerne würde ich auch am Bahndamm ein paar Weinreben pflanzen.

EXTRUCTION OF A MINOR SPECIES

Jacopo Godani hat mit seiner Dresden Frankfurt Dance Company das neue Stück EXTRUCTION OF A MINOR SPECIES herausgebracht. Der Höhepunkt des Abends war, dass ich Cyril Baldy von der ehemaligen Forsythecompany mit seinen Eltern traf.

Dass Godani mal bei Forsythe getanzt hat, kann man an seinen Arbeiten nicht erkennen. In fleischfarbenen Badeanzügen gaben die begabten Tänzerinnen und Tänzer ein konturloses Bild ab. Das Stück hatte, außer Licht an Licht aus, keine spürbare Struktur. Die Choreografie war konventionell, einfallslos und mit wenigen überraschenden Momenten versehen. Die Musik langweilte, bis auf einen Moment in dem ein Pianist ein atemberaubendes Solo hinlegte. Der spielte die Tänzer glatt an die Wand. Fazit: Godani das Frankfurter Ballett zu überlassen, bleibt verantwortungslos.

Ich mühe mich redlich, in meinen Buchmalereien, das aufzuholen, was ich derzeit bei der anderen Arbeit versäume. In diesen Zeitzwischenräumen, beginne ich kein längerfristiges auf Kontinuität ausgerichtetes Projekt. Das verschiebe ich in die zweite Junihälfte, in der ich eine lange, ungestörte Zeit vor mir habe.

So kümmere ich mich jetzt um meinen Garten, setze nun die restlichen, im Frühbeet gezogenen Blumen nach draußen in ein Beet neben mein Rolltor. Im Unterholz jagen die Eidechsen, und ich bepflanze die mittleren Etagen meines trocken gestapelten Gesträuchs.

Pyramidenraum

Die fertig gedruckten Gründerpreisfiguren haben auf ihren Dreiecken, mit denen ihr Volumen umschrieben wird, Binnenzeichnungen, die vom Schichtenaufbau der Skulpturen herrühren. Somit ist durch die Technologie ein zusätzliches, zeichnerisches Element hinzugekommen.

An diesem Morgen sitze ich im Garten und denke an eine Raumbeschreibung, die ich gestern in der Abendsonne geschrieben habe. Wesentlicher Ausgangspunkt sind die Eckpunkte aus denen sich die Strecken, die Dreiecke und dann die Pyramide bilden. Diese Punkte sind zunächst alleine inhaltlich aufgeladen, zeigen die Folgen von Handlungen. Dies kann eine vernarbte Schnittstelle an einem Bäumchen in meinem Garten auf dem Beton sein. Sie verweist auf die Hortensie, die durch den Beschnitt mehr Licht bekommt, und auf die Gartenschere, die in einem Kästchen liegt, das in dem Regal steht, welches ich im Frühjahr für die Gartenutensilien eingerichtet hatte. Ich nehme mal die Schraube, die die Scherenblätter zusammenhält als den zweiten Punkt an. Der dritte entsteht gleich, wenn ich diesen Satz beendet habe in meinem Buch, das auf dem Gartentisch liegt. Darüber, im Raum über meinem Kopf befindet sich das Ende eines Astes, meines trockenen Gesträuchs, das gerade von den Kletterpetunien erklommen wird. Mit diesem Endpunkt des trockenen Astes ist nun ein Pyramidenraum entstanden, der viele Bewegungen, Geschichten und vielleicht Ausgänge in andere Dimensionen umschließt.

Die Eidechsen wärmen sich nach der kalten Nacht auf den sonnenbeschienenen Pflastersteinen für die Jagd. Die Insekten halten sich in Bodennähe auf, und ich beginne nun mit den Buchmalereien.

Echo des Schmerzes in Linienstrukturen

Schon liegen die ersten Bleistiftzeichnungen unter dem Transparentpapier von Rolle 6. Nun beginnen die Sondierungen der ferneren Zeiträume außerhalb der Buchmalereien. Die Vorbereitungen auf der Rolle führen dann wahrscheinlich zu irgendeinem größeren Objekt, von dem ich noch nicht wissen kann, wie es aussehen wird.

Jetzt allerdings muss ich los, um die Figuren für die Preisträger des Gründerpreises abzuholen, damit ich sie im Atelier signieren kann, wie es verlangt ist.

Dann aber tauche ich hoffentlich gleich wieder ab in die Schriftlichkeit der Erinnerungen, die Spuren der Zeichnungen, die mich zu den Stimmen und Gefühlen der Toten führen. Die Echos ihres Schmerzes finden Gehör in den Linienstrukturen, mit denen ich Schicht um Schicht tiefer grabe.

Zeitauffassungen

Auf einem der Tische liegt Rolle 5. Sichtbar ist eine Episode, in der sich choreografische Kontrapunktstudien mit synaptischen Kartierungen und einer Überlagerungssequenz begegnen. Es treffen verschiedene Zeitauffassungen aufeinander. Die Choreografiestudie zeigt aneinander gereihte Schnappschüsse von stilisierten Tänzern und den Verbindungslinien zwischen ihnen. Die Möglichkeiten improvisierter Bewegungsabläufe im Raum werden getestet und auf einem Timecode fortgeschrieben. Die synaptische Kartierung gelingt mit viel Schelllack und Tusche ineinander geschüttet und zusammengerollt in Sekunden, während die Überlagerungssequenz einer GPS Aufzeichnung, sich zu einem sehr dichten und großen Tuscheliniengeflecht entwickelte. Das muss viele Tage gedauert haben. Entstanden sind die ineinander greifenden Zeichnungen zwischen dem 28.2. und dem 22.3. 2011. Zwischen den drei verschiedenen Strukturen besteht eine Spannung, die ich nun im nächsten Projekt aufnehmen möchte.

So kann ich nun auf Rolle 6 mit den ornamentalen Bambusgeflechten der Teppichausklopfer und den Schönschriftübungszeichen Sequenzen erstellen. Verbindungen zwischen ihnen können, wie in den Buchmalereien, die Kontrapunktlinien sein, die die Schnittpunkte der Schwünge verbinden. Diese formalen Experimente führen zu neuen Inhalten, mit denen ich das Biografieprojekt weiterentwickeln kann.

Im MMK sahen wir Animationsfilme von Ad Atkins. Gestern konnte ich mich dieser Arbeit nicht öffnen. Der stilisierte Ekeleffekt war mir zu laut.

Schönschrift und Gewalt

Auf Teves West gestern die Nacht der Museen. Großer politischer Bahnhof zur Aufwertung des Gallusviertels und unseres Kulturstandortes.

Von 19 bis 24 Uhr habe ich fast ununterbrochen geredet. Dabei nahm das Thema „Schönschrift und Gewalt“ gedanklich Fahrt auf. Dafür sind solche Termine zumindest gut. Andere Folgen bleiben abzuwarten. Immerhin waren bestimmt tausend Menschen auf dem Gelände, davon bestimmt ein Viertel in meinem Atelier.

Am Nachmittag davor habe ich fast alle Kletterpetunien, die noch hinter meinen Scheiben standen, raus in den Garten gepflanzt. Jetzt ist es recht warm und feucht, genau das richtige Wetter, damit die Pflanzen ohne große Verluste angehen.

Oben habe ich nun den Teil eines Fotos von meiner Einschulung in die Collage eingefügt. Ich erinnere mich, wie ich damit begann, die Rasterportraits der Jungpioniere zu zeichnen. Damals war ich gespannt, was sich daraus ergeben könnte. Nun hat sich gezeigt, dass dieser Ausgangspunkt zu einer ganzen Reihe von vielleicht weit über tausend Arbeiten geführt hat. Auch das Projekt „Schönschrift und Gewalt“ speist sich daraus. Und es hängt nun entscheidend mit den täglichen Buchmalereien zusammen. Dort entwickelt sich der malerisch- emotionale Bereich der Arbeit.

Naturstudium

Unter den spielenden Schatten auf dem weißen Tisch im Garten dehnt sich die Zeit in diesem Augenblick. Minutenzoom, was einen anderen Blick erlaubt. Die Schattenlinien mit den unterschiedlichen Rändern fließen ineinander. Schmale, scharfe Linien tauchen in bauschige Grauwerte.

Das gibt es auch in den Zeichnungen Malereien und Collagen. Ich erinnere mich an mein Naturstudium in den Siebzigerjahren, das ich mit aller Ernsthaftigkeit auch später manchmal noch betrieb. Damals konnte ich mir kaum vorstellen, ohne das auszukommen. Nun kommt fast alles nur aus mir.

Mit Paulo habe ich das große Bild, das über ein Jahrzehnt in meinem Atelier stand, ausgerollt und aufgehängt. Auch ein paar Reliefs hängen im Ausstellungsraum. Das alles wegen der Nacht der Museen, die heute auch auf Teves stattfinden.

Gerade rollte ich Rolle 5, die ich 2011 machte. auf. Die Zeichnungen springen mich an und machen mir Herzklopfen. Kontrapunktlinien und Synaptische Kartierungen…

Komplizenschaft von Held und Sänger

Kann man Dinge bis zu ihrem Ende Denken?

Ich zeichne – nie zu Ende – gestern zwei verschlungene Figuren, deren Schnittpunkte mit Kontrapunktlinien, die mit dem Lineal gezogen wurden, verbunden sind und Dreiecksgitterfiguren bilden. Diese Zeichnung versah ich mit dem Titel:

Komplizenschaft von Held und Sänger.

Das Blatt liegt auf einem Tisch am Fenster, neben einem, das ich 1983 auf einer Probebühne in Dresden aquarellierte. Zwei Frauenfiguren sitzen eng beieinander, fast innig in gelbem Licht. Es sind aber Brunhilde und Kriemhild aus der Inszenierung von Hebbels „Nibelungen“, in der Regie von Wolfgang Engel. Durs Grünbein war Regieassistent. Immer noch hegt er eine Beziehung zum Theater. Da trafen wir uns auch kürzlich hier in Frankfurt wieder.

Am Nachmittag habe ich für die Nacht der Museen, die auch bei uns auf Teves stattfinden wird, ein paar Formate im Ausstellungsraum aufzuhängen. Keine große Sache, ein paar Reliefs vielleicht aus dem Frankfurter Kraftfeld und vielleicht das große Malereiformat, das ich abgespannt habe.

Zeitlosigkeit

Nach drei Tagen fast durchgehendem Regen, kam nun erstmalig wieder, wenn auch nur kurz, die Sonne raus, um den Boden des Gärtchens auf dem Beton zu wärmen.

Das Interview, das in der vergangenen Woche hier im Atelier aufgenommen wurde, ist nun in Auszügen gesendet worden. Im Fernsehen konnte ich gut sehen, wie alt ich geworden bin.

Am Abend las ich in den Planetenwellen von Bob Dylan, herausgegeben und übersetzt vom Kenner Detering. Das Amerikanische beim Poeten und Performer, ist mir zuweilen fremd. Besonders, wenn es um eine gewisse schnörkelige Naivität geht, die sich mitunter mit den vielen anderen kulturellen Schichten verknüpft.

Die neuen Transmissionslinien in den Buchmalereien, stammen aus den Mühlenräumen in der Pfalz, in denen wir mehrere Jahreswechsel in Einsamkeit verbracht haben. Das ist ein neues Motiv, das sich zum choreografischen „Counterpoint Tool“ von Forsythe hinzu entwickelt hat. Die Beziehungen zwischen den Körperpunkten sind nicht mehr nur Linien, die sich dehnen und sich bewegen, sondern rotierende Kraftübertragungen in einem Mühlenkomplex.

Die 3d Druckfirma in Großgerau gestern zu besichtigen, war ein Erlebnis für mich. Nun wird meine fünfzehn Jahre alte Figur dort wieder erstehen. Somit hat sie schon eine gewisse Zeitlosigkeit erreicht.

Schotter

Grünschnitt am Bahndamm übertönt die Güterzüge. Schreddernde Benzinmotoren, die Arbeiter schreien und kommen schnell voran. Brombeeren wuchern, ein Waschbär treibt sein Unwesen, beißt eine Ratte tot und lässt sie liegen. Die große schwarze Katze schleicht an dem Kadaver vorbei. Sie hat keine Eile.

Die Tage sind mit Organisation und Terminen verstellt. Es bleiben die Buchmalereien und eine Bleistiftzeichnung gestern. Sie versuchen Erinnern und Vergessen in der Waage zu halten.

Ich denke an die Struktur des alten bröselnden Putzes an den thüringischen Häusern. Manche Fassaden sind ganz mit grauem Schiefer, der im Wind klappert, belegt. Aufgemalte Fenster, wo das Empfinden welche sehen will. Eine Form von Gestaltungsluxus – keine lange leere Wand bleibt im Blick. Was wird da vorgetäuscht?

Regengebiet um Regengebiet durchnässt meine Wiese, die immer noch karg und niedrig auf dem Schotter wächst. Ich beginne die schwarzgrauen Steine von der Oberfläche herunter zu sammeln, schichte sie auf einen Haufen, wie damals auf meinem Pfad im Wald, der mir fehlt.

Gleichgültig kreisende Schwärze

Im Hamburger Bahnhof zeigt Vinzenz im September poetische Darstellungsformen. Er ist von Olafur Eliasson eingeladen, mit anderen dort zu arbeiten. Sein Schritt ins Immaterielle erscheint mir jetzt logisch. Nachdem er viele stark haptische Arbeitsphasen durchlief, kann das eine Befreiung sein. So ähnlich geht es mir mit dem Transparentpapier, wenn die Arbeit damit bildnerisch auch nicht so radikal zurückgenommen ist.

Meine Konzentration finde ich in den Buchmalereien, mit denen ich über mein Gedächtnis nachdenke. Wie ornamentale Tätowierungen, die wieder entfernt wurden, finden die Handballenabdrücke in den Nebel des Vergessens.

Den Kleinstadtraum in Waltershausen, den ich auf, seit über fünfzig Jahren erinnerten, Pfaden nächtens durchschritt, hallte wider vom Kindergeschrei der Schlitten fahrenden Toten. Die Zeit verformte sich unter der gleichgültig kreisenden Schwärze.

Ich denke an den Sternenhimmel, den ich mit Colin Walker und Susanne Thaler aus mit Packpapier beklebtem Schleiernessel herstellte, indem wir mit großen Messern, weit ausholend, Durchstiche machten, hinter denen dann auf der Szene starke Scheinwerfer standen. Das war der schönste Bühnensternenhimmel, den ich sah. Er ging über einer Biergartenszene bei „Kasimir und Karoline“ von Horvath auf.

Klassentreffen

Warm ist es nicht draußen, etwa zehn Grad. Vom Himmel kommt ein scheinbar länger anhaltender Regen. Der ist nicht nur für meine Wiese gut. Auch wegen der vielen Tiefbaustellen ist der Grundwasserspiegel beträchtlich gesunken.

Meine Heimfahrt aus Thüringen ging gestern noch an staubigen Feldern vorbei einer gleißenden Abendsonne entgegen.

Ein nächtlicher Spaziergang durchquerte, unter einem Sternenhimmel, der bis zum Horizont hinab ging, meine „Schulstadt“ Waltershausen. Unterwegs machte ich in einer Kneipe in einer abschüssigen Straße halt, die uns vor über fünfzig Jahren als Rodelbahn diente. Gleich konnte ich mit den Leuten dort, beim billigen gezapften Bier, über diese Zeiten sprechen, als kennten wir uns. Die Wege meiner Kindheit sind nur noch in ihren Strukturen erkennbar. Vieles ist ganz neu geworden, herausgeputzt, dennoch leer.

Das Klassentreffen hielt, was es versprach, die selbstverständliche Nähe, das Vertrauen aber auch die Trauer um die vielen von uns, die schon gestorben sind, die Angst um die, die an schweren Krankheiten leiden.

Garten | Skulpturauftrag | Fernsehen

Joana hat sich die gezogenen Blumenkeimlinge im Frühbeet vorgenommen, hat sie vereinzelt und in Extratöpfe gepflanzt, die nun die erste kalte Nacht im Freien verbringen mussten. Ist gut gegangen. Sie kann sich vorstellen, Gärtnerin zu werden.

Die Beauftragung für die Figur ist nun mit fast allem Drum und Dran da. Ich kann also in der kommenden kurzen Woche diese Arbeit erledigen. Ich hätte gerne eine Anmutung von rohem, unglasiertem Porzellan.

Dann ein fünftägiger Holzworkshop mit Auszubildenden in der Nachbarschaft. Es gibt glamouröseres, aber eine Erinnerung an diese Basis meiner Arbeit, ist auch eine erfrischende Sache.

Überraschend war ein Aufnahmeteam vom Hessischen Fernsehen da. Sie machten ein Interview und Aufnahmen vom Atelier und meiner Arbeit. Das wird am kommenden Dienstag 18 Uhr gesendet. Sie stellen das Tevesgelände im Rahmen einer Vorschau für die Museumsnacht vor.

Gleich fahre ich zu einem Klassentreffen nach Waltershausen in Thüringen. Eine Reise in die Vergangenheit.

Fremde Küsten

In der Morgensonne in meinem Gärtchen ist Lord Nelson, die Brieftaube, gerade zum Frühstück eingetroffen. Aus der Starre der kalten Nacht erwachen Insekten und die Eidechsen, die sie jagen.

Der Kunstnachmittag mit meinen Schülern hat sich in den letzten Wochen und Monaten etwas reduziert. Heute kommt Joana, die treueste von allen, um an ihren Wachsobjekten weiter zu arbeiten.

Mich interessieren derzeit am meisten meine Buchmalereien und die täglichen Collagen. Was sich jetzt zwischen verflochtenen Schwüngen und kristallinen Strukturen entspinnt, ist neu. Die Räume, die entstehen treten zunächst aus dem Vergessen heraus, um dann wieder verwischt zu werden. Es erscheint mir, wie der Aufenthalt auf einem Schiff, das von Nebelbänken umgeben ist, zwischen denen sich die Konturen fremder Küsten abzeichnen und dann wieder verschwinden.

Der Aufwand, die große schreitende Skulptur als Preisfigur zu drucken, erhöhte sich noch mal, seit wir gestern bei der Wirtschaftsförderung zusammen saßen. Nun kommt noch ein Schriftzug hinzu und eine Verpackung. Außerdem soll ich meine Signatur einfügen.

Datensätze | Unterwelt

Neues zeichnerisches Material entsteht nur halbherzig. Rolle 6, auf der ich diese Dinge normalerweise entwickle, liegt unangetastet an ihrem Platz. Aus geflochtenen Bambusrohrschwüngen und Dreiecksgitterkonstruktionen ist ein Blatt entstanden, auf dem sich wieder 3 Konglomerate aufeinander beziehen. Mich erinnern diese Kompositionen an die des Counterpoint Tools auf Syncronus Objects, der Website, in der es um „One Flat Thing Reproduced“ von Bill Forsythe geht.

In den Buchmalereien tauchen fremde Schriftzeichen auf, die ich entziffern will, um zu schauen, wohin es geht. Vielleicht in die Unterwelt.

Währenddessen beschäftigt mich die Preisfigur für den Gründerpreis der Wirtschaftsförderung. Nachdem die alte Figur, die ich vor vielen Jahren an der HfG fräsen ließ, nun als gescannten Datensatz habe, kann ich unendlich damit spielen. Aber die Daten müssen ständig umformatiert werden, damit ich die Figur weiter modellieren kann und damit sie mit einem Lasersinterverfahren dann neu erstellt wird. Die Preise für das Herstellen der Figuren addieren sich mit meiner Arbeit und ihrem Kunstwert. Das ist alles heute am Abend zu besprechen.

Nelson, meine zugeflogene Brieftaube hat eine einbeinige Freundin. Sie sind öfter mal unterwegs, kommen aber bislang immer wieder an ihren Futternapf.

Der Meister in der Festhalle

Folge ich mit meinen Augen dem Auf und Ab der dunklen Linien meiner Schrift in die Räume unter der dünnen Oberflächenschicht der Gegenwart, gelange ich über Teppichmuster in die Zimmerfluchten meiner Mütter und Väter.

Zu Fuß gingen wir gestern über den Neuen Boulevard zu einem Dylankonzert in die Festhalle. So nahe bei uns hatten wir ihn und seine Band noch nicht. Der Abend ging ohne Pause schnell vorüber. Aber das Bühnengeschehen war von einer Klarheit und Energie, die nun in Ruhe nachwirken kann. Die Stimme des Meisters spielte variantenreich mit den Genres amerikanischer Songs, wie nie. Die Band spielt mit einer geradezu gefesselten Ausrichtung auf die musikalischen Ideen ihres Chefs. Und er selbst hielt sich gerne zwischen Schlagzeug und Bass auf, tänzelte manchmal etwas gut gelaunt, schräg den Mikrofonständer haltend. Auch seine Band wird zusammen mit ihm älter. Die liebevolle Hinwendung zu alten Zeugnissen des American Songbooks passt dazu.

Die Buchmalereien sind gestern etwas zur Ruhe gekommen. Ich versuchte der Schrift zu folgen, die auch Bild sein kann. Abwärts geht es damit in das Reich der Toten. Wenn sie in der Zukunft aufstehen, um meinen Bildern zu folgen, stellt sich ein Ziel meiner Arbeit ein.

Lord Nelson, die mir zugeflogene Brieftaube muss ihren Fressnapf offensichtlich mit einem Raben teilen. Erschrocken sitzt sie auf dem Dachfirst des Restaurants. Immerhin ist sie wieder geflogen.

Dauergespräch

Auf dem Zeichentisch liegt ein Blatt, das ich gestern mit Bleistift und einem roten Aquarellstift machte. Ist das der lange hinausgeschobene Anfang einer neuen Reihe? Ich übernahm die Schwünge aus den Buchmalereien und fügte ihnen Dreiecksgitterstrukturen hinzu, die sich zwischen den Kreuzungspunkten der Gravitationslinien, die ich mit Punkten verstärkt habe, entspinnen. Drei Linienverdichtungen stellen solche Beziehungen untereinander her, wie sie zwischen Sternenhaufen bestehen können.

Die Eröffnungsveranstaltung von „Frankfurt liest ein Buch“ fand gestern in der Nationalbibliothek statt. Es geht um den Roman „Benjamin und seine Väter“ von Herbert Heckmann, der schon in den Sechzigerjahren entstanden und damals vom Fischerverlag herausgebracht wurde. Jetzt ist er neu aufgelegt vom Schöfflingverlag, der auch federführend für diese Veranstaltung ist..

Das Dauergespräch mit den lebenden und toten Vätern wird auch durch dieses Buch in Gang gehalten. Die Kindheit eines Jungen ist davon geprägt, dass er seinen Vater nicht kennt. Der unbekannte, ferne Mann, der sich vielleicht in Amerika aufhält, ersteht in der Phantasie des Jungen immer wieder anders. Das ist jedenfalls mein Eindruck, nachdem ich die übliche, vielköpfige Lesung am gestrigen Abend gehört hatte.

Heute Abend spielt Bob Dylan mit seiner Band in der Festhalle. Wir haben Karten und sitzen ziemlich weit vorne.

Spur der Schönschrift

Die Spur der Schrift, z.B. der Gravur, der Tinte oder der Bilder, egal wie sie sich materialisiert, führt durch die Räume aus Zeit. Um die Teppiche meiner Kindheit richten sich Wände auf mit Türen durch die Gerüche hereinwehen. Über Wegen, die ich gegangen bin, wölben sich Stadträume mit Geräuschen auf.

Jetzt, als ich eine CD in das Laufwerk meines Rechners schob, war ich nicht darauf gefasst, dass das Programm die Musik gleich von alleine abspielt. Deswegen setzte sie überraschend ein und es entstand die Wiener Wohnung in meinem Hirn, in der ich zwei Monate gelebt habe, während ich den „Handprint Wien“, eine Wanderung in der Form meines Handabdrucks auf der Stadtkarte, durch die Straßen wanderte.

Meine Gastbrieftaube, die ich auf den Namen Lord Nelson taufte, hat wieder ihre Reise angetreten. In den letzten Tagen lief sie mir hinterher und wollte mit Hartkäse gefüttert werden. Dann kam ich mit Sesam, den sie verschmähte und nun das Weite suchte. Die Fortsetzung ihres Fluges passt besser zum Taufnamen, als wenn sie sich weiterhin bei mir durchgefressen hätte.

In den Buchmalereien führt mich die Spur der Schönschrift und der Rohrgeflechte immer weiter in die Kindheit hinab. Am kommenden Wochenende werde ich zu einem Treffen der Schulklasse fahren, mit der ich fast zehn Jahre verbrachte.

Erinnerungsorbit

Ein eingeübter Umgang mit den Erinnerungen besteht im Kreisen der Schwünge der Rohrgeflechte der Teppichausklopfer. Die Bilder, die dadurch entstehen befinden sich nun meistens innerhalb der Buchmalereien. Dort werden sie verwischt, abgespalten, werden zum Medium der Erinnerung, Gravitationsschwünge in einem Bilderinnerungsorbit.

In den Wohnungen, die ich als Kind mit meinen Eltern bewohnte lagen Teppiche. Ich erinnere mich an den Staubsauger, der die Form einer länglichen Bombe hatte. Er lag mit seinem Rüssel auf dem Teppich im Flur der Wohnung in Gerode, als mich mein Vater schickte, den Teppichausklopfer zu holen. Die Mutter verschwand im Nachbarzimmer.

Jetzt höre ich Chat Baker und Tom Waits. Es ist ein grauer, kalter Sonntag, der schon mit vielen Dingen angefüllt ist, die erledigt werden sollen. Das Stundenraster verstellt mir die Zeit. Ihr Fluss stockt rhythmisiert, was ich vergessen will zugunsten der Schwünge der Behaglichkeit.

Dann gieße ich die Pflanzen, die ich im Atelier für das Gärtchen gezogen habe, füttere die Brieftaube, die es sich so langsam in Gärtchen meiner Fürsorge einrichtet.

Songlines des 3d Druckers

Als benötige er Songlines für seine skulpturalen Schichtungen, singt der 3d Drucker eine dreidimensionale Partitur nach, die ihm die Wege der einzelnen Schichten weist. Diese Arbeit an der Figur für den Gründerpreis der Stadt Frankfurt macht Spaß, dauert aber. Ich habe mich zunächst wieder in diese Technik und in die Veränderungen einzuarbeiten, die die neuen Softwaren mit sich bringen.

Eine kleine Probefigur habe ich bereits ausgedruckt. Eine zweite ist in Arbeit. Die kubistische Struktur, die ich anstrebe, wird eigentlich von den Bearbeitungswerkzeugen vermieden. Da muss man Tricks anwenden, um sie zu behalten. Bei den größeren Exemplaren, die dann von Spezialisten ausgedruckt werden sollen, wird das sicherlich besser. Ich dachte schon, die Abstufung der Preisfiguren vom 1. bis zum 3. Preis, mit der Dichte der Auflösung des Dreiecksgitternetzes zu verknüpfen. Wenn ich die Dreiecke ganz stark reduziere entstehen wieder ganz andere abstrakte Gebilde. Dazu ließen sich längere Versuchsreihen herstellen mit seriellen Ergebnissen.

Die Lust zu zeichnen treibt mich um. Die aktuellen Arbeiten halten mich ab, worüber ich aber nicht traurig bin, denn die Erfahrung lehrt, dass es nicht falsch ist, manchmal etwas abzuwarten, bis sich zusammengeballt hat, was dann nach längerer Zeit zur Form wird.

Gebrüll

Eine Funktion von Drama ist Totenbeschwörung – der Dialog mit den Toten darf nicht abreißen, bis sie herausgeben, was an Zukunft mit ihnen begraben ist.“

Das ist aus den „Gesammelten Irrtümern 2“ von Heiner Müller.

Mit geht ein Interview mit einer türkischstämmigen Wählerin durch den Kopf, in dem sie sagt, Erdogan hätte einen Charakter aus Gold. Die Demokratiefähigkeiten des Wahlvolkes scheinen sich zurückzuentwickeln. Die Lautstärke rassistischer, wenig gebildeter und nationalistischer Menschen ergreift fähnchenschwenkende Massen. In den migrantischen Parallelgesellschaften, deren Kultur mit Abschottung viel zutun hat, keimt eine Haltung, die dem Faschismus immer breiteren Raum einräumt. Ich komme mir eingekreist vor. Überall nimmt das Gebrüll wenig reflektierter Parolen zu.

Ich freue mich auf die digitale skulpturale Arbeit an der gescannten Figur. Vorher will ich weitere Tische abräumen, um Platz für die verschiedenen Ansätze der Weiterarbeit zu schaffen.

Eine Brieftaube hat sich auf der Wiese niedergelassen und weiß nicht so recht wohin. Ich habe sie etwas gefüttert, weil sie recht zutraulich ist.

Gerstl

In der Schirn Kunsthalle sahen wir gestern die Bilder des Wiener Malers Richard Gerstl, der sich im Alter von fünfundzwanzig Jahren spektakulär das Leben genommen hatte. Seine letzten Werke zeugen von einem großen Weitblick. Finanziell unabhängig konnte er sich ganz dem Experiment widmen und tat dies auch. Und das ist, aus heutiger Sicht, sein großes Verdienst, dass er aus dieser Situation wirklich Neues geschaffen hatte. Wir schauten lange auf diese letzten Bilder, die von der grausamen Energie sprechen, die er letztlich gegen sich selbst richtete. In den Bildern gilt der expressive Gestus den Figuren eines Freundeskreises um den Komponisten Schönberg. Zu seinen Kollegen hatte er keinen Kontakt, ein einsamer Sonderling mit Weitblick. Dazwischen aber auch versöhnliche Freiluftmalerei, wie sie mir aus den Achtzigerjahren aus meiner eigenen Arbeit an die Oberfläche kommt.

Ich habe die Werkbank leer geräumt. Das soll der Beginn von Aufräumarbeiten sein, die mir mehr Platz verschaffen. Wofür ich den brauchen werde, ist noch nicht sichtbar.

Eine Scanfirma wird meine Figur scannen, um mir dann die Datei zuzuschicken. Ich kann dann damit weiterarbeiten, um sie für einen Ausdruck für die Wirtschaftsförderung fertig zu modellieren. Ein neuer 3d Anlauf.

Ansonsten Organisations- und Transporttage, die keine Zeit für bildnerisches Arbeiten übrig ließen. Außer den Buchmalereien natürlich. Oben, eine gewischte Zunge. Beinahe wäre sie dem Weitermalen zum Opfer gefallen.

Archäologie

Nordostwind, Schneefall, Temperatur knapp über Null. Aber es ist April, und gleich kann eine Wolkenlücke dafür sorgen, dass sich das Atelier schnell erwärmt und Bewegung in die Eidechsenhemisphäre des Gärtchens kommt.

Organisationstag gestern. Ich muss mit Zeit nehmen für die letzten Schritte eines Förderantrages, mich mit Alexander treffen. Die Gründerpreisfigur, die ich vor über zehn Jahren entwarf und deren Datei nicht mehr existiert, soll nun vervielfältigt werden. All das ist zeitaufwendig. Firmenbesuche, Besprechungen, Transporte usw.. All das verträgt keinen Aufschub mehr.

Derweil schwingen die Gravitationslinien der Schönschreiberinnerungen und Rohrgeflechte innerhalb der Buchmalereien ineinander, werden verwischt, um sich wieder neu zu organisieren. Eine Struktur, die das Zeug hat, sich zu verdichten. Das ist Archäologie, graben nach Erinnerungen.

In der Collage entstand durch Zufall eine kleine schwarze Figur, die meinen alten Oryxantilopenzeichnungen ähnelt. Sie würde sich für den Ausgangspunkt einer plastischen Figur eignen.

Schönschrifterinnerung

Atelier. Am Zeichentisch. Kalter Morgen.

Über die Ostertage gab es keinen Grund, ein Arbeitstagebuch zu führen. Die Buchmalereien, die ich in der Zwischenzeit gemacht habe, entwickelten Binnenzeichnungen, Linien, die die Kreuzungspunkte der Schönschrifterinnerung mit denen der Rohrgeflechte verbinden. Das ist auch oben in der Collage sichtbar, zusammen mit einem Stück Landschaft aus einer Animation zu „Bildbeschreibung“ von Heiner Müller.

Feiertage verlangsamen die Bilderproduktion, mit der ich über mein Gedächtnis nachdenke.

Zwischen den zaghaft sprießenden Seerosen in der Zinkwanne, schwammen die Reste einer jungen Amsel, die wahrscheinlich von einer Elster dort zerteilt und gefressen wurde. Ein paar von ihnen belagern das Gelände.

Eine vergleichsweise belebte Arbeitswoche steht an. Ein erster Termin ist aber schon auf morgen verschoben. Ich kann alles ruhig angehen.

Die Türken in Deutschland haben einmal mehr unter Beweis gestellt, dass bei ihnen die Uhren schneller rückwärts laufen, als in ihrer Heimat. Mit deutlicher Mehrheit haben sie für die Verwandlung ihrer schwierigen Demokratie in eine offene Diktatur gestimmt. Das ganze Fähnchenschwenken von Menschenmassen befremdet mich deutlich.

paste and copy

Ein Aquarell vom Januar 1984 liegt auf dem Zeichentisch. Ich habe auf diesem Blatt drei Figuren in einer Probebühnendekoration angedeutet. Es ist auf den Proben zu Nibelungen in Dresden am Staatsschauspiel bei Wolfgang Engel entstanden, zwei Monate vor meiner Ausreise in den Westen. Oft treffen sich weiche Formen, hier vom Bühnenlicht nur schwebend angedeutet, mit den klaren konstruktiven Linien einer Gegenwelt.

Solche Konstellationen tauchen auch immer wieder in den täglichen Buchmalereien auf, wie z.B. gestern. Mit den konstruktiven Strichen nahm ich die Linien der Haut meines Handballens auf, den ich dazu benutze, Farbflächen per Abdruck von einem zum anderen Format zu übertragen (paste and copy). Auch diese etwas verwaschenen Abdrücke sind zumeist schwebende, weiche Formen, denen Klarheit gegenübergestellt wird.

Unversehens gerate ich wieder in die Bereiche der 3d Scantechnik und der drucktechnischen Vervielfältigung von Skulpturalem. Gestern im Einkaufszentrum MyZeil besuchte ich einen Bodyscanladen, der die Scanergebnisse ausdruckt. Es entstehen zumeist schrecklich anzuschauende Figürchen von realen Personen. Dort kann jedoch meine kleine Figur nicht vervielfältigt werden.

Für mich aber sollte ich wieder die Arbeit an virtuellen Reliefs aufnehmen, die aus Zeichnungen entstehen. Die könnte ich dann mit meinem kleinen 3d Drucker herstellen und zu Mosaiken zusammensetzen. Die Rohrgeflechtornamente wären ein Gegenstand für eine solche serielle Komposition.

Alte Animationen

Die alten Animationen, die ich nun wieder anschauen kann, sind aus dem Mangel von Speicherkapazität reduziert und konzentriert auf das Wesentliche entstanden. Diese Form der Gestaltung bietet meiner heutigen Produktion Anstöße, denen ich genauer nachgehen sollte.

Es hat einen besonderen Reiz, sich des alten Materials mit den aktuellen Herangehensweisen zu bemächtigen. Ich könnte mir vorstellen, Auszüge davon auszudrucken und auf Transparentpapier zu übertragen. Dann würde sich erweisen, welches Potential für eine Weiterentwicklung und Verdichtung der gegenwärtigen Arbeit darin liegt.

Besprechung des neuen Vorhabens mit dem Fosterhochhaus und Landmarken, die man von den oberen Etagen aus sehen kann, im Museum, Überlegungen eine alte, in der HfG gefräste Figur zu exhumieren und als Preisfigur für den Gründerpreis der Wirtschaftsförderung zu nutzen und ein Holzworkshop mit Jugendlichen, sind ein paar Ablenkungen von meiner eigentlichen Arbeit, die ich mir ganz gerne gefallen lasse. Etwas Abstand kann produktiv sein.

Meine innere Bereitschaft zur Präsentation meiner Arbeit schwankt. Diese Instabilität will ich erst einmal vorbeigehen lassen. Vielleicht ist das aber auch nur Bequemlichkeit.

Floppy Disk

Unter der späten Einspielung der Goldbergvariationen von Glenn Gould tritt die Stimme des Pianisten wie ein Echo aus seinem Untergrund hervor. Das Versmaß des Gehens verlangsamt sich, als möchte es die Zeit zum Anhalten bringen oder zumindest ihren Lauf verzögern, die Sanduhr waagerecht stellen.

Und die morgendlichen flachen Sonnenstrahlen vom Horizont durchdringen meine Haut bis in die Schichten der verborgenen Deformierungen. Deren Bewegungen verlangsamen sich in den warmen Wellen. Flechtmusterringe treten wie überwucherte Einschlüsse an die Oberfläche der Haut. Manchmal liegen Eidechsen in solchen Mustern auf den Steinen meines Gärtchens und erinnern mich.

Bei der Suche nach einer alten Datei, die ich an der HfG zu einer Skulptur fräsen ließ, stieß ich auf ein Werkzeug, mit dem ich meine alten Animationen wieder zum Leben erwecken kann. Also stöpselte ich mein Floppy Disk Laufwerk ein, staubte die Kiste mit den Disketten ab, und speicherte das Material zu Bildbeschreibung, das ich in den Neunzigern inszenierte, zur Oper, an der ich mit Glass und Lessing arbeitete, zu andere Opern, zu Ballett und Schauspiel auf meine Festplatte. Ich schaute gespannt auf die Ergebnisse dieser sehr produktiven Phase meines Lebens. Eine Quelle der Inspiration bis heute.

Während der Morgengänge ins Atelier schaue ich auf die Baustellen, speichere täglich ein Bild ab, das ich irgendwann im Gehirn mit allen anderen zu einer Animation verbinden kann.

Nachkriegskindheit

Ein Telefonat mit meinem Vater mündete gestern in Erzählungen aus seiner Nachkriegskindheit. Er sprach über die Abwesenheit seines trinkenden Stiefvaters und darüber, dass er mit seiner Schwester währenddessen Lebensmittel organisiert hat. Straßengangs aus den zerbombten Vierteln Berlins, Güterwaggons voller Kartoffeln und Zuckerrüben, alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde bei Altwarenhändlern oder auf dem Schwarzmarkt versetzt für Essen. Sicherlich hatte diese Welt eine abenteuerliche, spielerische Seite. Andererseits prägte die Gnadenlosigkeit dieser Mangelwelt den Alltag. Seine Schwester verbarg stets ihre Herkunft. Auch mit ihren Kindern sprach sie nicht über die Lebensumstände dieser Zeit, derer sie sich bestimmt geschämt hätte.

Die Liebe der Großmutter zu dem fahrenden Handwerker Oskar, der sich bald wieder, nachdem er zwei Kinder mit ihr gezeugt, aus dem Staub gemacht hatte und die „Versorgungsehe“ mit Paul, dem trinkenden, oft abwesenden Buchhalter, mit dem sie zwei weitere Söhne zeugte, sind Eckdaten einer nach Familienhalt suchenden Existenz.

Den Sonntag verbrachten wir im Gärtchen, lesend, Tonscherben zerschlagend, pflanzend und trödelnd. Das Refugium wird zu einem Rückzugsraum.

Über der Kuppel der Eidechsenhemisphäre taumelt ein großes, schwarzes Insekt auf der Suche nach Futter und einer Höhle für die Nachkommenschaft.

Assoziationskolonnen wiederkäuen

Nachts wehen Worte vorbei. Wenn ich sie einfange, klingen sie wie:

Zwischen dunklen Eiben schimmern matt Scheiben Schnee.

Warum sie da ein Reim aufhält ist, bleibt mir verborgen. Vielleicht erschien ein memoriender Laufrhythmus. Erinnern im Schrittmaß.

Nämlich die Gespenster schlafen nicht

Ihre bevorzugte Nahrung sind unsere Träume.“

So zitiert Aleida Assmann in ihrem Buch über Erinnerungsräume, Heiner Müller aus „Mommsens Block“.

Übrig bleiben die Assoziationskolonnen, die wiedergekäut werden, wie alte Geschichten, die jeder zu kennen glaubt.

Jetzt lieber Gartenarbeit. Es ist Sonntag und es ist der wärmste Tag seither in diesem Jahr.

Träume waschen Maschinen

Von den Linien der letzten Bleistiftzeichnung, die ich machte, als benötigte ich einen Anker in der Leere, geht eine Suggestion aus.

Schlafmaschinen waschen die Träume.

Wäsche träumt den Schlaf.

Träume waschen Maschinen.

Gerede um Kopf und Kragen. Ich schalte Musik ein und gönne mir eine fast zehn Jahre alte Klangerinnerung an die Morgen in Wien, an denen ich zwei Monate lang die zwei bekannten Einspielungen der Goldbergvariationen von Glenn Gould gehört habe, die er 1955 und 1981 aufgenommen hat.

Dann nehme ich mir die Flusslandschaft vor, die ich 1981 radiert habe, die mit einer kleinen Malerei von mir zusammenhängt, die Grau in Grau an einer der Atelierwände hängt. Kein jugendlicher Schwung, wie Goulds Einspielung von 1955. Es ist, als hätte es den bei mir nie gegeben.

Wenn ich tiefer in die Schichten grabe, die vor 1981 liegen, kann ich das mit meinen Tagebuchaufzeichnungen machen. Doch es erscheint mir mühselig, die Texte des jungen Mannes zu lesen. Leichter ist es, über andere Erlebnisse, an das Vergrabene heranzukommen.

Ornamental

Nach einer Pause, begann ich nun ernsthaft mit den Gravitationsschwüngen der Rohrgeflechte zu arbeiten. Es kostet immer etwas Überwindung, diese Formen kreisen zu umschreiben, sie deutlich aufs Papier zu bringen, um sie dann durch verwischen oder durch Hautabdrücke des Handballens abzuschwächen, übereinander zu schichten und dann wieder zu verstärken.

Gestern machte ich auch an der Frottage des Teppichausklopfers auf Leinwand weiter, verdichtete sie mehrfach. Und es entstand eine Bleistiftzeichnung auf Papier, aus der noch eine Reihe von Arbeiten münden kann. Die Art des Zeichnens stammt noch aus Naturstudien der Achtzigerjahre.

In der Nacht entstanden auch Blätter vor meinen Augen, die mit diesen Ornamenten so verfahren, wie die „Synaptischen Kartierungen“. Also Schelllackflächen, Graphitzeichnungen und Tuscheornamente übereinander, alles feucht in feucht. Dann wird das Ganze schnell zusammen und wieder auseinandergerollt. Die Schlieren, die entstehen, verdrängen die narbigen Linien teilweise oder ganz. Zunächst könnte ich das auf Rolle 6 ausprobieren, wie das schon seit Jahren übliche Praxis ist.

Angelegt habe ich das alles in den Buchmalereien, in denen auch heute Vormittag Hautstrukturen und Rohrgeflechtlinien zusammengeführt werden.

Schichten malträtierter Haut

Auf die Spitze der Feder schauend, mit der ich schreibe, verfolge ich den Fluss der Tinte auf und ab an einer imaginären Linien von links nach rechts, entsprechend meiner kleinen Handbewegungen und denen des Unterarmes. Ich sehe, wie ich denke.

Aufstehen vom Zeichentisch, ins Gärtchen schauen, Amseln verscheuchen, die meine jungen Pflänzchen der Kapuzinerkresse herauswühlen, Kaffee kochen und nach dem Wetter sehen.

Gleichzeitig kann ich beobachten, wie ich durch die Konzeptionsarbeit der letzten Tage, tiefer in die Möglichkeiten vordringe, die das Thema der Landmarken bietet. Mit Herrn Schnebel könnte ich über Weitblick und Perspektivwechsel sprechen, würde auch ganz gerne mit Erwachsenen zu diesen Gedanken arbeiten.

Die Linien der nachgezeichneten Schwünge der Rohrgeflechte, etablieren sich mehr und mehr als Abdrücke meines Handballens, der sie aufnimmt, weitertransportiert und mit der Struktur der Haut in das nächste Format der Buchmalereien einfügt. Diese Struktur zu verdichten, wäre der nächste Arbeitsschritt.

Schichten malträtierter Haut.

Treibhaus

Nach der Ruhezeit im Wineckertal, setzt eine Form der Beschleunigung ein, die vielleicht vom Treibhausklima herrührt, das auch an diesem Morgen mit flachem Sonnenaufgangslicht das Atelier auf 26° aufheizt.

Eine ganze Weile, vielleicht dreieinhalb Stunden, saß ich gestern noch an der Konzeption für das Commerzbank-Tower-Landmarkenprojekt. Und nun erinnere ich an Herrn Schnebel, einen Mitarbeiter der Bank, der im Bereich Risikobewertung arbeitet. Mit ihm traf ich mich, um über Zusammenhänge von künstlerisch / serieller- und Finanzarbeit zu sprechen. Er meldete sich auch zwischendurch noch mal. Vielleicht ist dieses Projekt zunächst etwas zu banal für unsere Gespräche, aber daraus könnte sich ja was entwickeln. Ich werde ihn mal kontaktieren.

Am Morgen dachte ich, während der Nacht der Museen, das Bild zu zeigen, das ich vor ein paar Monaten abgespannt habe. Es könnte im „Balken“ ein anderes Gewicht bekommen, als im Atelier.

Die Bilder meiner Rohrgeflechtverwischungen haben etwas von harmlosen Brezelgeschichten. Wenn ich aber die verflochtenen Linien mit denen der Haut meines Handballens beim Handabdruck vermische, bekommen die Schwünge andere Bedeutungen.

Das Leben als Projekt

Die kreisenden Rohrgeflechte gehen in eine Spiralstabwicklung über. Sie bildet den langen Griff, den man weit unten festhalten sollte, um mit viel Schwung auf den Teppich, der über einer Klopfstange hängt, einzuschlagen. Der Staub quillt dann meistens wolkig aus der Rückseite hervor. Klopfstangen waren auch Spielgeräte für uns, an die man sich dranhängen konnte.

Jetzt verwische ich diese Flechtornamente, rufe die Erinnerungen an sie wach und wische sie anschließend weg. Die farbigen Schwünge bieten innerhalb der gewischten Flächen reiche Spektren für das Vergessen.

Gestern versuchte ich mich noch mal auf das Konzept des nächsten Vorhabens zu konzentrieren. Es geht um eine thematische Gliederung des Ganzen in einzelne Wanderungs- und Gestaltungsphasen, die sich dann im Hochhaus in einer Ausstellung verknüpfen sollen.

Am Abend las ich in dem Buch, das mir meine Tochter zum Geburtstag schenkte. Die Autorin ist Künstlerin, Schauspielerin und Filmemacherin und hat sich den Künstlernamen Miranda July zugelegt. Der aufkeimende Zweifel an der analogen Existenz ihrer Person, zwischen den Flächen und Räumen der Selbstdarstellung, zeigt die Pose einer Kunstfigur, die die Protagonistin zu leben versucht. Die springt auf eine der Seinsmöglichkeiten auf, wie auf ein Motorrad einer ausgewählten Marke.

Das Leben als Projekt.

Geflechte | Gravitationsschwünge

Atelier, Montag, in meinem Gehäuse zwischen den Regalen, auf dem Korbsessel vor den Gärtchen.

Wie immer nach einer Reise, ist Arbeit nachzuholen. Die Buchmalereien der letzten Woche müssen gescannt werden. Dort haben sich Ornamente etabliert, die zwar den Gravitationsschwüngen ähnlich sind, aber die Rohrgeflechte der aus der Mode gekommenen Teppichausklopfer nachzeichnen und miteinander verschlingen. Die gelegentlichen Verwischungen möchten das Ornament auslöschen oder zumindest in den Hintergrund drängen.

Meine Frottagen, die sich mit den Bögen der Bambusrohre beschäftigen, sind noch nicht weiter gegangen. Dafür benötige ich mehr Ruhe und ausschließliche Konzentration auf dieses Thema.

Derzeit sitzt mir noch eine Projektbeschreibung im Kopf, die ich in dieser Woche weiter konkretisieren will. Es gibt viele Vermittlungsaspekte, die beschrieben werden sollten, um das Potential des Vorhabens zu verdeutlichen.

Bambusbögen

Ein Muster, das durch die Frottage des Bambusgeflechtes eines alten Teppichausklopfers, den ich im Abfall einer Haushaltsauflösung fand, entstanden ist, beginnt nun in meinem Kopf ein eigenes Bilderleben. Abgesehen davon, dass die Gravitationsschwünge, die allenthalben innerhalb meiner Arbeit auftreten, dem Geflecht ähneln, sind die offenen Enden der Bögen, die dadurch entstehen, dass die Frottage nicht zu den Stellen gelangt, die im Geflecht unten sind, weiter weisende Kräfte, die in andere Räume zeigen. Dieser viel versprechende Vorgang findet seine Weiterentwicklung zunächst nur gedanklich. Ich bin bislang noch nicht bereit gewesen das weiter zu vertiefen.

Mein Ateliervormittag begann damit, dass ich die Pflanztöpfe draußen im böigen und kalten Ostwind mit etwas Wasser versorgte. Gestern füllte ich sie mit Komposterde auf, die zu hoffentlich üppigem Wachstum auf dem Beton führt.

Dann fotografierte ich das Wachstum der Kletterpflanzen in ihrem Frühbeet, hier innerhalb der Scheiben. Manche Schösslinge können die festen Samenköpfe, in denen die ersten Blätter auf das Licht warten, nicht sprengen und enthaupten sich dann selbst. So stehen ihre grünen Rümpfe nutzlos wartend in der Erde.

Gleich gehe ich einkaufen, um dann zu kochen. Mal sehn, wie viele Kunstschüler kommen, um mit mir zu essen. Ich habe auch noch einiges an Konzeptionsarbeit für das neue Projekt zu machen.

Langsamkeit und gefiltertes Licht

Langsames Arbeiten – alle Zeit der Welt, genieße die Geräusche der Umgebung, schaue vor meine Füße im Garten. Kühler, grauer Morgen, Sonne hinter Schleiern. Kein Stress für die Pflanzen, die sich draußen nun wieder an das direkte Licht gewöhnen müssen. Eidechsen sind noch versteckt. Die Nachbarn fragen schon nach ihnen.

Das Konzept für das Landmarkenprojekt habe ich um einen Ablaufplan erweitert. Anhand des Umgangs mit einer Landmarke erläuterte ich, wie ich mir die Reihenfolge der Arbeiten vorstelle. Wir werden viel unterwegs sein. Noch mal Stadterkundungen… Dem werde ich aber auch genügend Zeit im Atelier entgegensetzen, denn die Arbeit dort läuft konzentrierter. Immerhin haben wir es wieder mit Kartierungen, Fundstücken und Texten zutun Collagen daraus können spannend werden.

Gestern habe ich begonnen, mit dem Bambusrohrgeflecht der Teppichklopfer Frottagen auf Leinwand zu machen. Zunächst benutzte ich Graphit, kann mir aber auch mit einem Lappen gewischte, etwas trockenere Tusche vorstellen.

Die Buchmalereien sind heute etwas zerfleddert. Verschiedene auseinanderstrebende Motive entstanden aus immer den gleichen Gravitationsschwüngen. Wenig äußerer Zusammenhalt. Aber abwarten, was sich bei längerem Hinschauen noch entwickelt.

Bambusrohrgeflecht

Die große Sukkulente, der schwerste Pflanzenbottich, der nach draußen zu transportieren ist, habe ich mit dem hilfsbereiten Nachbarn hinaustransportiert. Derzeit halte ich mich gerne mit diesen Arbeiten auf. Eine Lust auf körperliche Arbeit, kühle, feuchte Luft, Erde und Wachstum, hält mich im Frühling im Garten gefangen. Die wenigen anderen Gewächse, die nun noch drinnen hinter den Fenstern des Rolltores stehen, schaffe ich alleine nach draußen.

Weil das Schreiben der Texte für den Projektantrag so viel Zeit und Kraft benötigt, habe ich derzeit keinen Raum mehr für andere künstlerische Arbeiten. So halte ich mich an den Buchmalereien fest, die in steter Regemäßigkeit an jedem Vormittag entstehen.

Auf einem meiner Rechner läuft eine Abfolge von etwa tausend Collagen, die ich aus der täglichen Arbeit zusammengestellt habe. Das macht mir so viel Freude sie zu sehen, dass ich manchmal skeptisch bin, meine Arbeit nicht kritisch genug zu betrachten. Aber ich finde die meisten Formate voller Spannung und mit vielen Geschichten angefüllt. Das wird besonders deutlich, wenn man sie in einer „Diashow“ nacheinander, in Ruhe anschauen kann.

Das Geflecht eines Teppichausklopfers, mit seinen ineinander verschlungenen Schwüngen, wäre ein passendes Objekt, um das Doppelportrait der Väter, per Frottagen dieser Bambusverschlingung, das Marterinstrument der Kindheit, auf die große Leinwand zu bringen.  Nur eine von vielen Ideen. Ich probiere das mal auf den Leinwandresten, die auf einem der Tische liegen, aus.

Landmarken

Die erste Version eines Konzeptes für das „Landmarkenprojekt“ habe ich gestern ans Museum geschickt. Nun sind noch die pädagogischen Seiten der Arbeit zu finden und zu formulieren. Ich kann mich dabei an die konzeptkünstlerische Struktur halten, um tiefer in die Vorgehensweisen vorzudringen. Die einzelnen Ansatzpunkte, die nacheinander zur Geltung kommen, bergen Erfahrungsschätze, die noch nicht formuliert oder gedacht worden sind.

So kann man beim Zeichnen Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden lernen. Dem Wichtigen verschafft man durch Kontraste und Komposition die entsprechende Aufmerksamkeit. Die Zeichner der Romantik können hier Pate stehen. Perspektiven, Strukturen und Gegensätze von moderner Architektur und Landschaft, verschaffen differenziertere Blicke auf Probleme, die mit dem Wachstum der Stadt zusammenhängen.

Wenn man die einzelnen Arbeitschritte als Strukturpunkte festlegt, kommt es darauf an, mit den Verbindungslinien zwischen ihnen, die nächste Dimension aufzumachen. Und die weiteren Verknüpfungen sorgen für den umschriebenen Raum, in dem die Arbeit stattfindet. Die Fähigkeiten, die hiermit erworben werden, sind in alltäglichen Situationen abrufbar. Das muss beschrieben werden.

Am Abend nach der Konzeptionsarbeit stellte ich alle restlichen Pflanzen aus den Regalen nach draußen in den Garten vorm Atelier. Dort regnet es nun kühl auf sie herab. Auch die Regale, die den ganzen Winter vor den Fenstern standen, stehen schon draußen in der einen Rolltornische und rahmen meinen Korbstuhl ein.

Zeichnend beschreiben

Landschafts- und Architekturzeichnungen, die sich mit Horizonten, Konturen, Wegen, Sichtachsen, Perspektiven und Materialität beschäftigen, spielen im neuen Projekt eine Rolle, das ich mit „meinem“ Museum unternehmen möchte. Gegensätze von Innen und Außen, von Nähe und Ferne und von unterschiedlichen Größen, sollen die Spannung erzeugen, die der Arbeit ihre Energie verleihen. Ein Element der Nähe, sind die Fundstücke, die zu Füßen des Commerzbanktowers und an den Landmarken zu finden sind, die von dort aus angesteuert werden. Die fernsten Elemente sind dabei die Horizonte, die Wolken darüber und die sichtbaren Planeten.

Eine Arbeitsweise, die der Landschaftszeichnung vorausgehen kann, ist die sprachliche Beschreibung dessen, was ich sehe. In welcher Reihenfolge ordne ich die Dinge in meinem Blick, wie wandern meine Augen von Punkt zu Punkt? Was spielt sich unter all den Dächern dort unten ab?

Gestern, am späten Nachmittag räumten wir weitere Pflanzen aus dem Atelier in den Garten. Er wächst jährlich etwas und in seinem Inneren, zum Rolltor des Ateliers hin, entsteht dadurch etwas mehr Bewegungsraum, dass ich die Pflanztöpfe weiter in die Peripherie rücke. Die Tonscherben, die sich durch zerbrochene Gefäße angesammelt haben, wurden mit einem Hammer auf einem großen Pflasterstein zu kleinen Stücken zerschlagen, die wir unter die Pflanzerde mischen wollen. Das soll mehr Feuchtigkeit halten.

Verwischte Worte

Jetzt im Atelier.

Zuvor waren wir am Main spazieren und sahen die Wolken schnell nach Osten davonschwimmen, den landenden Flugzeugen entgegen.

Mir ist nicht nach schreiben.

Schrift aber beginnt in den Buchmalereien eine Rolle zu spielen. Das kommt ab und zu vor. Was passiert mit dem Wort, wenn es verwischt wird?

Ajanta und Ellora in Maharashtra gehen mir durch den Kopf. Vielleicht fahren wir noch mal dorthin, um uns die Höhlen erneut anzuschauen. Nach all dem, was wir seit unserem letzten Besuch dort sahen, würde sich dies, wegen des veränderten Blicks, noch mal lohnen. Der Naturschützer, mit dem wir auf einem alten Elefantenweg in Rajastan wanderten, sprach vom ältesten Gebirgszug der Welt, der sich zwischen Mount Abu und Hampi erstreckt. Dazwischen liegen die berühmten Höhlen.

Reorganisation

Mein Kopf ist leer.

Ich höre Avo Pärt, als könnte der mich erlösen und meine Versuche, mich auf das neue Projekt zu konzentrieren, unterstützen. Dabei freue ich mich auf die neue Arbeit, sogar auf die Mittelbeschaffung dafür. Ich schreibe derzeit nur Assoziationsketten auf leere Bögen, aus denen ich dann die Texte ernähren will, die ich schon in der kommenden Woche ins Museum schicken sollte.

Reorganisation.

Der Kalender war in den letzten Wochen geschlossen geblieben. Die Arbeit am Väterprojekt hatte mich ganz und gar besetzt. Das strengte mich sehr an, wie ich jetzt merke.

Die Buchmalereien werden zarter und minimalistischer. Als müsste ich die wenige Kraft einteilen, die mir nach den Anstrengungen geblieben ist. Die Farbpalette schränkt sich ein, wie auch der Aufwand an zu verwischenden Linien.

Mir fehlen die Choreografien von Bill Forsythe. Jeder Abend steckte voller knisternder Kreativität der Akteure. Ohne die Company ist das Leben ärmer.

Sind die Gärten ein Trost?

Kunstschule

Bevor die vorhergesagten Regen- und Sturmwolken heranziehen, sitze ich noch mal in der Sonne vor dem Atelier. Außer den Buchmalereien, der Collage für den Arbeitstext und der Konzeptentwicklung im Freien draußen, unternahm ich gestern keine weiteren Kunstanstrengungen.

Mit meiner neuen Teleskopheckenschere stieg ich aber auf die große Aluminiumleiter, um die Buschwindrosenhecke noch mal so weit zurück zu schneiden, dass der Essigbaum, dessen Stamm ich schon mit Mühen vom Gesträuch befreite, nun auch Platz hat, um eine schöne Krone auszudehnen. Natürlich macht das Gärtnern besonders in diesem nettem Frühlingswetter Spaß. Bei der Kräutermauer entsteht ein Sitzplatz, dem vielleicht noch ein Tisch fehlt.

Ab und zu dachte ich daran, nach dem großen Väterprojekt, auch noch eines den Müttern zu widmen. Begonnen habe ich ja schon, denn die Rasterabbildung des Portraits meiner Mutter zeichnete ich mehrfach in den verschiedensten Konstellationen. Unter anderem versah ich eine Tigermaske damit.

Heute ist Kunstschule. Eingekauft habe ich schon. Gleich schäle ich Kartoffeln und mache dazu eine Hackfleischsoße mit Erbsen und Tomaten. Letzten Freitag gab es Hühnergeschnetzeltes mit Spitzkohl und Reis. Ich hatte eine riesige Portion gekocht, die gerade so gereicht hat. Ich freue mich auf meine Schüler und ihren Hunger.

Gärten | Landschaftszeichnungen | Konzept

Mit meinen Eltern sprach ich gestern über die Arbeit, die ich vorgestern zu einem vorläufigen Ende gebracht hatte und über die Familiengeschichten, die damit zusammenhängen. Weil sie etwas von meiner Arbeit sehen wollen, werde ich ihnen eine Reihe von Blättern ausdrucken, die die Schritte, die zu diesem Ergebnis geführt haben, erklären. Das könnte auch zu einer Ausstellungskonzeption führen.

An diesem sonnigen Morgen sitze ich wieder im Gärtchen. Um meine Füße herum finden quirlige Revierkämpfe der verschiedenen Eidechsenmännchen statt. Auf einen Blick zähle ich vier von ihnen, weiß aber, dass noch viele andere unterwegs sind. Ach, es zieht mich dauernd nach draußen vor das Atelier. In einem Frühbeet säte ich die Samen der Kletterpetunien aus, die im Sommer mein trockenes Gesträuch überwuchern. Da hinein, zwischen die brüchigen Schichten von Ästen, Gräsern und dornenreichen Ranken, steckte ich zwei der Farne, die ich aus La Palma mitgebracht habe. Ich glaube, dass sie es ganz gerne ein wenig luftig haben. Die Petunien will ich an verschiedenen Stellen des Geländes auspflanzen.

Aber gestern habe ich auch begonnen, das Konzept für das Landmarkenprojekt zu entwickeln. Das geschieht mit Zeichnungen und Wörtern. Vielleicht sollte ich das etwas lustvoller gestalten, mit Collagen aus den verschiedenen Elementen. Das könnte ich auf Transparentpapier machen, das mit verschiedenen Schichten Schellack zusammengehalten wird, zwischen denen Frottagen und Fundstücke zu finden sind.

Landschaftszeichnungen – eine schöne Aussicht. Ich gehe gleich mal mit einem Stift und Papier raus und probiere das so, wie früher.

Zusammenführung

Noch liegen die Materialien der Totenbücher, der Doppelportraits, der Scherbengerichte und des großen Re-Inkarnationsblattes auf dem Zeichentisch. Die letzten 164 Blätter, auf denen ich die einzelnen Scherben des Scherbengerichts IV weiterentwickelte und mit Nährflüssigkeiten aus Schelllack und Tusche versorgte liegen nun, wie die benutzte Hülle eines geschlüpften Schmetterlings auf einem lockeren Stapel, benutzt und abgearbeitet, in der Vergangenheit angekommen.

Nun ist das große neue Doppelportrait, die letztendliche Zusammenführung von Vater und Großvater, fertig geworden. Weitere Arbeitsschritte will ich nun noch nicht machen. Aber das Blatt hat schon eine Ausstrahlung, die nicht so leicht zu beschreiben ist. Welche Wirkung das aus wilden Konstellationen der Einzelscherben entstandene Bild über einen längeren Zeitraum entwickeln wird, bleibt abzuwarten.

Heute habe ich ein neues Buch für meine Aufzeichnungen angefangen. Es ist das einhundertfünfundzwanzigste. Vielleicht sollte ich sie tatsächlich durchnummerieren.

Die nächsten Vorhaben kann ich nun unbelastet angehen, kann die Mittel dafür überlegen und austesten. Es wird wieder um Stadtwanderungen gehen, um Fundstücke und um Landschaftszeichnungen, in deren Mittelpunkt eines der Hochhäuser des Stadtkerns stehen wird. Welches das sein kann, muss ich nun mit dem Museum klären. Am liebsten wäre mir der Fosterturm, in dem die Commerzbank residiert.

Gesträuche | Wurzeln

Die Prozesse, die zu den Liniengeflechten führen, aus denen Reliefs, Zeichnungen und Malereien bestehen, ziehen sich über viele Jahre hinweg. Im Rückzug auf diese Arbeit, entsteht ein stilles Werk. Bei näherem Hinschauen beginnt nun die Dichte zu blühen. Es ist als säße ich in einem der Gesträuche, die ich seit Wochen mit der Gartenschere forme. Es ist auch die Erinnerung an die Zeichnung „Gesträuch“, die ich vor vierzig Jahren vor einem kahlen Busch zwischen Waltershausen und Gotha anfertigte. Jetzt weiß ich, dass ich damals das Thema meines Lebens gefunden hatte.

Jetzt am Morgen nahm ich am kleinen runden Tisch hinter einem aufgeschichteten Gesträuch in der Morgensonne meines Gärtchens Platz. Vor mir liegt ein Tag, der noch keine Unterbrechungen bereithält. Ich kann mich dem Gesträuch widmen, das derzeit aus der Reinkarnation des Väterdoppelportraits besteht. Vor und nach einem Besuch gestern, zeichnete ich daran weiter und hoffe, das Blatt heute fertig zu bekommen. Erst dann glaube ich, mich auf die nächsten anstehenden Projekte konzentrieren zu können.

Am Kräutergarten schnitt ich die trockenen Pflanzenskelette vom vergangenen Jahr ab und schaffte so dem treibenden Grün der winterharten und mehrjährigen Kräuter mehr Licht. Eine zweite Weide setzte ich vor dem Atelier auf einen Spalt im Beton und hoffe, dass sie sich bald mit ihren Wurzeln in die Tiefe drängt.

Kletterpetunien

Nicht so streng, konzentriert und durchgehen arbeitete ich das ganze Wochenende durch. Immer unterbrochen von der lustvollen Arbeit auf der Wiese und im Gärtchen. Jetzt am Montag habe ich nicht das Gefühl, die Woche zu beginnen, eher wird das Frühjahr fortgesetzt.

Spaziergänger wurden gestern Zufallsgäste im Atelier. Ich nahm sie als Probanden und zeigte ihnen die Arbeitsschritte zum derzeitigen Stand meines gegenwärtigen Projektes. Das hat ihnen gefallen. Aber was wäre geblieben, wenn sie das Reinkarnationsblatt irgendwo gerahmt gesehen hätten? Dafür aber ist die Zeichnung auch nicht entstanden. Sicherlich würde sie dennoch einer längeren Betrachtung standhalten. So sollte es sein!

Wichtiger sind mir aber gerade die Kletterpetunien und ihre Samenkapseln, die ich gestern eingesammelt habe. Ich werde sie bald säen und dann an verschiedenen Stellen auf dem Gelände auspflanzen. In irgendeiner Ecke des Geländes, erinnerte ich mich, muss es noch einen saftigen Kompost geben. Den fand ich dann auch und vermischte ihn mit etwas sandigerem Boden. Das ergibt dann eine neue, weitere Schicht auf dem Beton vor dem Atelier.

Bald stehe ich wieder vor der Frage, wann der vertikale Garten hinter meinen Rolltoren aufgelöst und raustransportiert werden kann. Weniger frostempfindliche Pflanzen sind schon draußen. Denen könnten jetzt schon der große Drachenbaum und andere Palmen folgen. Etwas mehr Platz sollte in diesem Jahr f

Auflösungstendenzen

Sonntag.

Wolkenlos, etwas Ostwind, Flugtag. In veränderlicher Dichte starten die Maschinen über das Viertel. Besonders spürbar an einem Sonntagmorgen.

Gartenarbeit gestern. Eine Ecke der Wiese musste noch von trockenen Samenständen und Brombeeren des vergangenen Jahres befreit werden. Rosenhecken und Essigbäume treiben ineinander verflochten. In eine Hecke habe ich einen Tunnel geschnitten, durch den man sie nun passieren kann. Ein Berg von brennbarem Gartenschnitt hat sich wieder angesammelt…

Als die Sonne sank, zeichnete ich weiter am Reinkarnationsblatt, in dem sich die Väter begegnen. Dabei genieße ich die willkürlichen Auflösungstendenzen, die durch die Lücken der neuen Scherbenfüllungen als deutliche Zeichen der Erneuerung entstehen. Die Folgen bleiben offen. Bedeutungen bleiben zunächst nur für mich relevant. Falls andere Menschen diese Verdichtungen und Fragmentierungen betrachten, werden sie andere Assoziationen finden. Und wenn diese Arbeit kein Mensch mehr zu Gesicht bekommt, hat sie dennoch ihre Funktion erfüllt.

Vielleicht zielt die Begegnung der Väter ja auch auf den im Entstehen begriffenen Enkel. Wer weiß…

Träume | Pflichten

Mich zieht es hinaus ins Gärtchen, an den weißen Tisch in die Nähe meiner Eidechsen. Unter der Acrylkuppel sitzt die größte und wahrscheinlich älteste von ihnen auf den Steinen in der Sonne.

Gestern zeichnete ich die Splitter des Scherbengerichtes III auf das dritte Viertel des reinkarnierten Doppelportraits. Es ist, als wären die Atome noch in einer Orientierungsphase, würden sich nur zeitweise zu alten Mustern zusammenfügen und dann wieder voneinander streben. Das Spiel der Begegnung der Väter scheint ein komplizierter Prozess zu werden. Die Erfüllung des Wunsches des Sohnes, seinem Vater zu begegnen, könnte verkrampfte Härten lösen. Im Kontakt zu diesen Vorgängen, beginnt während des Zeichnens eine Suche nach Beziehungen der Träume des Großvaters zu den Pflichten des Vaters.

Joana hat gestern wieder eine großartige Wachsskulptur hergestellt. Wenn diese zarte, dennoch voluminöse Struktur von der Sonne durchschienen wird, mystifiziert sich die plastische Form. Fotos davon sah Vinzenz in unseren WhatsApp Verlauf und reagierte erfreut.

Ich bin so begeistert von dem schönen Wetter, dass ich das Zeichnen, das ich mir vorgenommen hatte, verschiebe und lieber etwas Gartenarbeit werkele.

Neue Sprache

Erstmalig in diesem Jahr sitze ich zum Schreiben draußen. Auch die Eidechsen wagen sich raus in die Sonne.

Ein Frühlingstag.

Gestern blieb ich lange im Atelier und zeichnete bis die Konzentration nachließ. Das reinkarnierte Doppelportrait beginnt nun ein Eigenleben zu führen. Die Strukturen erzeugen ein Bild, das viel mitzuteilen hat. Es spricht eine Sprache, die mir noch nicht verständlich ist. Die Gegenständlichkeit oder Erkennbarkeit des Motivs, bleibt ein Gang auf Messers Schneide.

Die erste Hummel brummt im Gärtchen, die Stimmen der Nachbarn treten auf und schallen, als handelte es sich beim Tevesplatz um eine Bühne aus Beton.

Heute kommen meine Kunstschüler. Ich hoffe dennoch, am neuen Doppelportrait weiterarbeiten zu können. Ich möchte es an diesem Wochenende fertig bekommen, um mich in der kommenden Woche um neue Projekte zu kümmern. Am meisten brennt mir da ein Vorhaben unter den Nägeln, bei dem es um die Blicke aus einem Hochhaus auf Landmarken geht.

Fehlstellen

Bisher bin ich in dieser Woche noch nicht richtig zum Zeichnen gekommen. Zwar begann ich gestern Vormittag die Splitter des dritten Scherbengerichtes in das neue Reinkarnationsmosaik einzufügen, kam aber nur bis zur Mitte in die Zwanzigernummern.

In den ersten etwa zehn Scherben einer jeden Überlagerungssequenz, sind die Binnengeflechte etwas schütter, was an der Technologie des Durchzeichnens zusammengerollter Linienstrukturen liegt. Das führt dazu, dass besonders in den dunklen Zonen des Portraits auffällige Lücken entstehen. Wenn diese Fehlstellen zunehmen passiert es, dass das Doppelportrait unkenntlich wird. Wenn sich aber die Lücken die Waage halten mit der intakten Reststruktur, entsteht dort das Entscheidende. Diese Bewegung fragmentiert den Gegenstand in der Weise, dass eine Chance entsteht, Neues innerhalb der lange bearbeiteten Linien der neu zusammen geschobenen Gesichter zu erkennen.

Dieser Prozess dynamisiert hoffentlich meine Weiterarbeit, deren Kontinuität durch äußere Umstände in den letzten Tagen, etwas litt.

Neues Gesicht halb sichtbar

Das alte Problem, dass Arbeitstage nicht vollständig für die künstlerischen Themen zur Verfügung stehen, holt mich wieder ein. Es geht dabei nicht um Termine, die ich mit der Arbeit einhalten muss, sondern um Konzentration. Und es bleibt eine andere Konzentration, wenn ich drei Tage ungestört durchzeichne, als wenn sich ständig irgendwelche Unterbrechungen dazwischendrängen. Die Arbeit genießen, heißt in diesem Falle, lange konzentriert dranbleiben zu können.

Gestern wurde ich mit dem zweiten Viertel der Reinkarnationsportraits fertig. Das war diesmal die richtige Zäsur für einen Besuch am späteren Nachmittag. Eine gewisse Rolle spielt beim Umfang der Arbeit an den einzelnen Vierteln, die Anzahl der Splitter, die sie beherbergen. Das variiert etwas, aber nicht bedeutend, nur etwa um den Faktor 20. Wesentlicheren Einfluss hat die Größe der einzelnen Scherben. Wenn die Fläche eines Teils des Doppelportraits eher schwarz ist, also von wenigen Lichtpunkten durchsetzt ist, dann weisen die Scherbenumrisse die maximale Fläche auf. Dort können sich dann mehr Geflechte einnisten, als in kleineren. Der Aufwand des Zeichnens erhöht sich also. Und das wird nun beim nächsten, dem dritten Viertel, das die linke untere Wangen- und Kinnpartie umfasst, der Fall sein.

Ich konnte mir ja nicht vorstellen, wie das reinkarnierte Doppelportrait aussehen wird. Nun habe ich das Blatt mit der fertigen oberen Hälfte aufgehängt und bekomme eine ganz gute Ahnung davon, wie sich das Rasterbild etwas auflösen und somit verändern wird. Letztlich geht aus der ganzen Arbeit ein neues Gesicht hervor.

Immer deutlicher stehen mir nun Überlagerungssequenzen mit dieser Mosaikformation vor Augen, die sich mit Synaptischen Kartierungen verbinden können.

Wurzelgeflechte

Gestern kam ich nicht zum Reinkarnationsportrait, weil ein Besuch den Tag dominierte. Aber mein Musikstecker am Rechner ist dadurch repariert, was ich gleich am Morgen ausnutze. Es gab Gespräche über die Framestapelstruktur und skulpturale Umsetzungen.

Bei einem Besuch mit meinem Gast in der Kaschemme bemerkte ich meinen meilenweiten Abstand von dem, was ich dort gearbeitet habe. Interessant ist aber die kurzzeitige Begeisterung an einem banalen Vorgang und an der arbeitsaktiven Verbrüderung mit den Trinkern.

Anstatt nach dem Besuch zu zeichnen, ging ich auf die Wiese und riss die alten buschartigen Pflanzen des Vorjahres, meistens mit ihren Wurzeln heraus. Auch mit Brombeeren hatte ich wieder zu kämpfen, deren Geflechte teilweise weit unter die Steine der alten Packlager, über die jetzt Gras wächst, reichten. Ich musste die Spitzhacke zu Hilfe holen, um das zu bekämpfen. Anfangs dachte ich nicht darüber nach, wie weit ich kommen würde. Dann aber bearbeitete ich die ganze Fläche mit meinen Händen, Armen und Beinen, so dass ich am Abend Muskeln und Knochen spürte. Manchmal übernehme ich mich bei solchen Arbeiten in letzter Zeit, weil ich annehme, dass ich noch genauso bei Kräften bin, wie vor zwanzig Jahren.

Der Morgen ist hell und ich komme ausgeschlafen und flüssig in den Tag. Gleich werde ich am großen Blatt weiter zeichnen, die neuen Scherben weiter zusammensetzen, die Begegnung der Väter ermöglichen.

Banalisierung

Nach zwei hintereinander liegenden Theaterabenden, hatten wir gestern einen freien Sonntag. Spaziergang unter schnell wechselnder Bewölkung im frischen Westwind am Mainufer. Von dort aus unternahmen wir einen Abstecher zu der Baustelle, auf der westlich vom Dom ein Stück mittelalterlicher Altstadt rekonstruiert wird. Das reine Disneyland, das bald, wenn es fertig ist, ein einziger Kuckucksuhrenladen sein wird. Die Banalisierung der Alltagsumgebung kommt mir im Zusammenhang mit dem wachsenden Phänomen der Vereinfachung komplizierter Vorgänge, gefährlich vor.

Nach dem Spaziergang gingen wir ins Atelier, um etwas zu zeichnen, zu malen und zu schreiben. Oleander und Olivenbäume stehen schon wieder draußen. In der Nachmittagssonne unter der Acrylkuppel im Gärtchen sah ich die zweite Eidechse in diesem Jahr. Sie lag auf einem dunklen Stein und wärmte sich nach dem langen Winter.

Manchmal habe ich schon das Gefühl von einem Dasein mit weniger Arbeit. Das zunehmende Alter lehrt, Wichtiges besser zu erkennen. Dazu gehört der Spaß an den Buchmalereien, den Kunstschülern und den langfristigen Projekten.

Für die Raumausstatterlehrlinge bin ich eingeladen, einen fünftägigen Holzworkshop zu machen. Das stößt schon an eine Grenze, denn es hält mich von meiner Arbeit ab, ist auf eine Art anstrengend, der ich nicht mehr so gewachsen bin.

„Drei Tage auf dem Land“

Ein britischer Autor konzentrierte Turgenjews „Ein Monat auf dem Lande“ zu einem Stück mit dem Titel „Drei Tage auf dem Land“. Ein dichtes Destillat. Der Regisseur Andreas Kriegenburg machte daraus wieder eine breit angelegte etwas behäbige Landschaft. Er verdünnte die Arbeit und führte uns so ein Nullsummenspiel vor. Seine Mittel sind schön, aber vorhersehbar und frei von Überraschungen. Ein fast realistisches Bühnenbild, schwache musikalische Einlagen streckten das Ganze noch weiter. Wir kennen uns ja aus alten Zeiten aus Frankfurt an der Oder, aber ich bin kein Fan von ihm. Das Stück, dessen deutsche Erstaufführung wir sahen, ist beim Rowoltverlag. Deswegen war auch Nils da – nettes Wiedersehen.