Kühl geleuchtete Szene

Eine Apsaratänzerin, Griff eines Glöckchens aus Bronze, steht vor dem fotografierten Gesicht von Uschi Obermayer, die neben Keith Richards sitzt. Gefiltertes, kaltes Licht von draußen kühlt die Szene auf dem Regal.

Ab und an übernachte ich noch mal hier im Atelier, probiere mitten in meiner Arbeit zu schlafen. Das gelingt weniger gut. Das Alleinsein erinnert mich aber an mich selbst.

Gestern arbeitete ich an sehr vielen Zeichnungen weiter, habe manche begonnen und andere abgeschlossen. So entstehen lange Reihen von Blättern, die aufeinander verweisen. Ohne groß nachzudenken produziere ich eines ums andere.

Im Rebstockimbiss, als ich auf die Übertragung eines Fußballspieles wartete, zeichnete ich die Biertrinker. Die Wiederaufnahme dieser Tradition ist nicht wichtig, bereichert aber meine Arbeit. Außerdem sichtete ich die „Auf – Zeichnungen“ auf Rolle 6 und nähere mich einem Moment, an dem ich die Arbeit daran wieder aufnehmen kann. Die Unterbrechung hatte ganz praktische Gründe. Ich wollte einfach wieder Blätter herstellen, die ich in unterschiedlichen Konstellationen nebeneinander aufhängen kann, damit unterschiedliche Bezüge deutlich werden.

Das Fußballspiel, auf das ich bei Kayo gewartet hatte, wurde wegen sich verdichtender Terrorismuswarnungen abgesagt.

Netze | Übergänge

Die Zeichnung zu Bebenhausen und den Kreuzzügen, die ich vor einem Jahr in die Rolle 6 einfügte, stammt vom 18.08. 1984 und von der Rückseite einer Monotypie – also keine eigentliche Zeichnung, sondern nur ein nebensächlicher Abdruck. Im handschriftlichen Text hielt ich das vor einem Jahr fest, genau wie heute wieder, nur noch mal aus anderer Perspektive und durch sie ergänzt. So versuche ich Denkschritte zu wiederholen und fortzuführen.

Bei den Transparentpapierzeichnungen setzte ich derzeit oft das Rasterportrait meiner Mutter aus dem Jahr 1961 ein. Ich kombinierte es mit der Graphitfrottage eines islamisch- maghrebinischen Kachelreliefs. Ein zweites entstand unter Zusammenfügung von Bleistiftschraffuren, Tusche- Schelllackverwischungen und Gravitationsschwüngen, deren Kreuzungen mit Tintenpunkten markiert sind. Ich habe es oben in die Collage eingefügt. Die Bleistiftschraffuren sind manchmal von dem Relief der Kachel beeinflusst. So flechte ich die Netze aus verschiedenen Elementen.

Außerdem habe ich versucht, die farbige Verwischungstechnik aus den Tagebuchmalereien auf die Transparentpapierzeichnungen zu übertragen, was mir nicht befriedigend gelang. Die Entwicklung dahin muss langsamer, unter Zuhilfenahme der bewährten Materialien passieren. Es bilden sich Übergänge zwischen Malerei, Collage und Zeichnung.

Lichtzerstörungsakt

Montagslicht, kalt, weißgrau, sehr hell, bei immer noch milden Lufttemperaturen. Der feuchte Westwind bringt schnelle Lichtwechsel, als zöge der Himmel immer neue Kostüme an, schwere große Kleider oder leichte kleine Stoffe.

Vor genau einem Jahr war Sonntag. Es regnete, künstlerische Produktion war eingeschränkt, auf Rolle 6 begann die Beschäftigung mit älteren Arbeiten. Eine Zeichnung mit einer schreitenden Figur und dem Sonnensymbol einer Felsgravur aus Twyfelfontein, wurde zu einer tiefschwarzen Tuscheliniensequenz. Eine Verdichtungswut, ein Vernichtungswerk, ein Lichtzerstörungsakt. Dann anschließend folgte auf der Rolle eine Kreuzrittersequenz. Grundlage hierfür eine Monotypie aus einer Reihe, die sich dem achthundertsten Jubiläum des Klosters Bebenhausen widmete: Rüstung, Schwert, Tod. Das beschäftigt uns nun wieder oder immer noch.

Die Fortsetzung der täglichen Malereien, die Überführung der malerischen Gesten in die Zeichnungen zum Biografiethema steht im Raum. Ich frage mich nach Möglichkeiten der Umsetzung von Farbigkeiten meiner Buchmalereien auf Transparentpapier.

Die Einrichtung der Orangerie in den Regalen vor den Fenstern rückt mit dem Temperaturrückgang näher. Paulo, mein Praktikant, wird mir dabei helfen.

Alles ist alles

Gleich die ersten Malereien im neuen Arbeitstagebuch sind expressiver, dichter und vielschichtiger als die vorangegangenen. Ich arbeitete schnell, um sie fertig zu bekommen, und dennoch dauerte es länger als sonst. Diese Konzentration auf alles, was mit den Arbeitstagebüchern zutun hat, auf den handschriftlichen Text, auf die danach erstellte abgespeckte und anderweitig veränderte Datei, auf die Malereien und ihre Scans und schließlich auf die Collagen, die oben eingefügt werden, gleicht einem lang anhaltenden Lauf. Immer weiter und weiter. Ich könnte mir vorstellen, alle am Tag folgenden Arbeitsvorgänge als Fortsetzung dieser Beschäftigung zu betrachten. Und in Wirklichkeit ist es so, dass dieser Vorgang schon begonnen hat. Oft kann ich gleich nach diesen ersten Stunden am Tag nahtlos an den Transparentpapieren der Biografie weitermachen. Durch die Gravitationsschwünge und die Verwischungen, gleichen sich sogar die Arbeitsvorgänge. Auch jetzt merke ich, wie ich hier ruhig werde, wie ich den täglichen Rückzug für mein Gleichgewicht benötige und in die Produktion nun leicht eintauchen kann.

Andererseits bemerke ich eine wachsende Nähe zum Museum, zu seinen aktuellen Themen und zur Definition: Alles ist Architektur – alles ist Pädagogik.

Da fällt mir ein, dass Daniel Libeskind ein musikalisch- architektonisches Projekt, unter dem Titel: ONE DAY IN LIFE, in Frankfurt angekündigt hat. Vielleicht sollten wir uns mal näher darum kümmern.

Super 8 | Wachsfiguren

Immer noch spielen die Tagebucheintragungen, die ich vor einem Jahr gemacht habe eine Rolle beim aktuellen Schreiben. In deutlicherer Erinnerung entstehen dadurch aber auch die Arbeiten zum Biografiethema. Während der Kunstschule zeichnete ich drei Pionierportraits auf die vorbereiteten Blätter. Immer deutlicher wird, dass die Methode, mich intensiv mit den einzelnen Portraits zu befassen, greift und mich weiter bringt. Legt man die Blätter übereinander, vervollständigen sich die Rasterabbildungen.

Joana hat nun ihr Wachsobjekt, an dem sie monatelang gearbeitet hat, beendet. Wie wäre es nun als nächstes mit gegossenen Wachsfiguren?

In meinem Ansatz der Biografiearbeit bin ich gestern von dem polnischen Künstler Janek Turkowski aus Szczecin bestärkt worden. Im Jahr 2005 entdeckte er auf einem Flohmarkt in Wolgast mehrere Rollen Super 8 Filmmaterial mit einem entsprechenden Projektor. Auf den flackernden Bildern war immer wieder dieselbe Frau zu sehen, nach der er dann zu forschen begann. Er fand sie hundertjährig in einem Altenheim auf der Insel Usedom und stellte ihr angesichts des Materials, das er ihr vorspielte die Fragen, die sich ihm, während der häufigen Sichtung und Bearbeitung der Filme, stellten. Das hartnäckige aber behutsame Vorgehen, der vorsichtige Umgang mit dem privaten Dokumentarmaterial, berührte mich stark. Und richtigerweise fand die Performance im Rahmen einer Privatwohnung statt. Die Parallelität, zu meinem Vorhaben, die aktuellen zarten Blätter in dem neu einzurichtenden Zimmer in der Frankenallee zu zeigen, verblüffte mich.

Danach hörten wir von den Anschlägen in Paris.

Kann sein

Das dritte zarte Triptychon ist nun fast fertig. Es fehlen noch vielleicht zwei Frottagen, die ich so anlegen will, dass sie einen Verweis auf die benachbarten Blätter bilden. In dieser Weise wird auch die Reihenfolge der drei Blätter bestimmt. Der Variantenreichtum ist bei weitem nicht ausgeschöpft, und es ist zu überprüfen, bis zu welchem Punkt das überhaupt sinnvoll sein wird, weiter zu machen. Ich bin gespannt, wann ich wieder zu größeren Formaten komme.

Das Zeichnen habe ich am Vormittag schnell hinbekommen. Die Geschwindigkeit strengt zwar an, ist aber manchmal auch befreiend. Nachmittags Selbstportraitsitzung, Einkauf und Vorbereitung auf meinen Vortrag im Museum. Dort beschlich mich im Angesicht des Publikums, nach sehr langer Zeit, eine Art Prüfungsgefühl. Dass sich die Unruhe im Rahmen hält, sind Vorteile des Alters und der Arbeitserfahrungen. Ich habe aber auch meinen Spaß dabei!

Wenig Licht an diesem Morgen. Die Trübnis mehrerer Wolkenschichten scheint auch die Geräusche zu dämmen. Die Signalhörner der Rangierloks erscheinen deutlich melancholischer. Ihre Töne klingen, wie von Lebewesen gerufen.

Die Produktion läuft derzeit von einer gut geölten Maschinerie in Gang gehalten. Niemand bekommt sie bislang zu Gesicht. Es kann auch sein, dass dieses Arbeitsthema auch noch lange nicht vorbei ist. Kann sein.

Gangskizzen | Geben und Nehmen

Vor einigen Jahren unternahm ich im Gustavsburgpark einen GPS-Gang, den ich als choreografische Skizze bezeichnete. Mehrere solcher Gangskizzen habe ich beispielsweise auch auf dem Abgeräumten Güterbahnhof unternommen. Sicherlich lassen sich aus den GPS-Datenaufzeichnungen und den Tagebucheintragungen Rückschlüsse auf die Zusammenhänge ziehen, in deren Kontext diese Arbeit steht.

Gegenwärtige Zusammenhänge sehe ich zwischen diesen Gängen und den Gravitationsschwüngen, wie sie auf den Transparentpapieren und in den Arbeitstagebüchern auftauchen.

Vor mir liegen sieben Zeichnungen, die ich gestern begonnen habe. Zunächst gehören sie nicht unmittelbar zur Biografiereihe, denn zu sehr hatte ich den Kompositionszusammenhalt von Synaptischen Kartierungen, Frottagen wandernder Gegenstände und Gravitationsschwüngen vor Augen. Ob dies, was ich nur als Vorarbeiten oder Grund für die Jungpionierportraits betrachtete, eigenständige Blätter sein könnten, mag dahingestellt bleiben. Die Zeit wird das beantworten.

Am Abend waren wir in der Schrin und sahen die Ausstellung „Sturm – Frauen“. Teilweise ihrer Zeit voraus, irritierten mich die Werke, weil sie größtenteils vollständig unbekannt sind. Diese Diskrepanz förderte in mir den Gedanken, dass die Ähnlichkeit dieser Malereien und Holzschnitte mit denen, der ihnen nahe stehenden Männer, womöglich mit der Prägung der weiblichen Arbeiten auf die der allseits bekannten männlichen überging. Ein Geben und Nehmen zumindest.

Zwischen zwei Zeichnungen

Beim Zusammenstellen der Collage, die ich oben eingefügt habe, überfiel mich eine Art von Überforderung wegen der Verschiedenheit der Arbeiten, die ich zusammenfüge. Diese Anstrengung verbindet sich mit den Rückblicken in die unterschiedlichen Arbeitsphasen meines Lebens.

So zeichnete ich gestern nach siebenunddreißig Jahren wieder in einer Kneipe, wie ich das zuletzt in einer „Ritterklause“ am 8.2. 1977 tat. Die Fähigkeit das Verhalten der Richtungen der Körper im Raum zueinander zu beobachten, um dann eine Szene zusammenzustellen, habe ich in der Zeit zwischen den beiden Zeichnungen nicht verloren, vielmehr noch weiter ausgebildet.

Die Sammlungen der Dokumentationsfotos der letzten Jahre suchte ich nach Bildern für meinen Auftritt im Museum ab. Die Herstellung des Einbaums im Zusammenhang mit dem „Handprint Frankfurt“ im Jahr 2008 ist besonders ausführlich mit Fotografien begleitet worden.

Ich schaue auf die gestrigen Gravitationsschwünge hier im Buch und auf die des neuen Triptychons von Vorgestern. Die Zartheit auf dem Transparentpapier ist so intim und verletzlich, dass sie nur unter besonderen Bedingungen gezeigt werden kann. Deswegen möchte ich in dem Zimmer, das neu in der Frankenallee für mich entsteht, so etwas wie eine kleine Galerie meiner Arbeit einrichten, in der ich diese zarten Blätter zeigen kann.

Ententeich leer

Krishnababy sucht im Text von „Desolation Row“ herum. Seine Fingerzeige interessieren mich nicht, und ich stelle lieber das Rauschen ab, das mir das Licht kollabieren lässt.

In einem Arbeitskrampf begann ich gestern mit einem neuen Triptychon. Die Arbeitswut hielt, bis mir die Augen zufielen. Bin nicht sicher ob das zu etwas geworden ist, das mir weiter hilft, ob eine neue Runde eingeläutet wird.

Handfeste Widersprüche in der Liebe zum regulierten Prügelspiel, dem Boxsport.

Im Gummikombinat Thüringen wurde ein Lehrling belobigt, weil er einen flüchtigen Soldaten der Sowjetarmee aufgespürt hat. Soviel ich weiß, wurden Fahnenflüchtige der Roten Armee hingerichtet.

Am Morgen zeichnete ich im Chinesischen Garten. Die Enten auf dem Teich sind fort. Vor drei Wochen sah ich dort einen großen Greifvogel, einen Bussard und dachte an Vinzenz bei Ai.

Am Nachmittag werde ich in Bilddateien kramen und die letzten vier Jahre der Kunstschule an mit vorüberziehen lassen. Im Museum will ich einen kleinen Vortrag darüber halten.

Lichtwechsel | Bohnerwachs | Bühnenkampf

In der Einsiedelei im Atelier wächst zunächst, nach den Erinnerungen der letzten Tage, Stille in mich hinein. Aus dem morgendlichen Wolkengeschiebe treten Lichtwechsel in den Raum.

Das Triptychon der vergangenen Woche führt mich zurück in die Zeit, in der meine Schule nach Bohnerwachs roch. In den Pausen polterte ein Dauerfeuer schlechter Schuhe auf die ausgetretenen Dielen des Holztreppenhauses. Die Finsternis der, mit altem Schweiß gefirnissten Turnhalle trat aus den Gitterfenstern hinaus auf den staubigen Platz zwischen den Fassaden der Gründerzeitschulgebäude. Der Schulhof einer Untertanenfabrik ganz in Backstein.

Stefan Kimmig hat „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ im Schauspiel Frankfurt inszeniert. Die Premiere haben wir gestern gesehen. Ein begnadeter Text traf auf einen geduldigen Regisseur, der eine reduzierte und schlüssige Arbeit abgeliefert hat. Die Ausweglosigkeit eines sich zyklisch aufschwingenden Ehekampfes, dessen Brutalität das gesellschaftliche Leben des Amerikas der Sechzigerjahre spiegelt. Diese Art von Gesellschaftskritik erinnert mich an die aufkeimenden Gefühle meiner Jugend in der Atmosphäre von Kreidestaub und Angstschweiß in Reih und Glied.

Vielleicht ist es nun richtig noch ein paar dieser Triptychen von Pionierportraits zu zeichnen. Sie treffen den Nerv der Erinnerung genau. Warum sie das tun, will ich nicht erforschen, will nur weiter zeichnen.

Novembersommer

Sommerliche Stille vor dem Atelier. Das Thermometer zeigt fast zwanzig Grad im Schatten. Im Gärtchen setzt sich aus dem Licht, den Blüten und den Bienen zwischen ihnen, eine kanarische Atmosphäre zusammen und erinnert an das Fluidum unserer Winterreisen auf die Inseln. Ein seltener Moment, an dem sich die mitgebrachten Sukkulenten, Oliven- und Zitronenbäume im richtigen Klima befinden. Mit der Einrichtung meiner Orangerie habe ich in diesem Herbst lange gewartet. Dafür hätte ich gerne in der kommenden Zeit ein richtiges Gewächshaus.

Vor dem fernen Donner des Flughafens läutet es sonntäglich. Auf der anderen Seite klingen die Schienenstöße des grollenden Bahndamms.

Sieben Meter vor mir hängt das Pionierportrait – Triptychon und spricht mit mir. Ich stelle mir eine etwa fünffache Vergrößerung vor und weiß, dass ich sie nicht umsetzen werde. So bleibt es bei diesem konzeptionellen Objekt.

Weiter, weiter, weiter.

In der Frankenallee liegt ein neues Dylanbuch, das sich nur mit dem Album „Highway 61 Revisted“ beschäftigt. Darin wird vorgeschlagen, dass man es mehrmals hintereinander hören soll, was ich auch tat. Belohnt wurde ich mit der Entdeckung vieler musikalischer Schichten.

Zeitbehälter

Schon jetzt gegen Fünf wird es dunkel. Gerade erst bin ich im Atelier angekommen und werde auch nicht lange bleiben.

Im Frankfurt LAB trafen wir gestern alte Theaterfreundinnen. Erinnerung an einen Text, den Susanne im kalten „Balken“ über mein Frankfurter Kraftfeld geschrieben hat, ein kraftvoll rohes Gebilde expressiver Auseinandersetzung mit den Bildern aus der Perspektive einer jahrelangen Ost-Erfahrung in Weimar.

Sabine, mit der wir uns in Heidelberg angefreundet hatten, kam noch mit zu uns. Sie erzählte von ihrem autobiografischen Theater. Manches klang vertraut, wie auch der Ton zwischen uns sich nach zwanzig Jahren nicht verändert hatte.

In der Kunstschule kochten wir gestern Mittag und sprachen dann über die Zeit, die wir aufwenden, um uns zu treffen. Wir tun sie in einen gemeinsamen Behälter, aus dem wir uns mit Erinnerungen bedienen können. Das lenkt auf unser nächstes Thema, das „Biografie“ heißen wird.

An der Tankstelle habe ich uns ein Sixpack gekauft und noch eine einzelne Flasche für mich. Ich höre die erste Zeile von „Desolation Row“ auf „Highway 61 Revisted“ und sinke nun in mich zurück, nachdem wir in der lauten Stadt waren.

Triptychon

Drei Varianten desselben Rasterportraits sind entstanden. Mit dieser weiteren Vertiefung der Beschäftigung mit den Pioniermotiven werden unterschiedliche Fragmentierungen sichtbar. Die Verschiedenen Beeinflussungen von Erinnerung, wie Abspaltung, Verwischung und Ausschnittsvergrößerungen, stehen innerhalb der Biografiearbeit parallel zu diesem Triptychon. Es steht durchaus in der Tradition von Erzählungen mythischer Inhalte, die Zusammengehörigkeit stiften und immer wieder, unter verschiedenen Gesichtspunkten, erneuern.

Nun besteht in dieser Arbeit kein Zweck, der sich aus einem Sendungsbewusstsein speist. Ich beobachte nur die scheinbar gleich bleibenden handwerklichen Vorgänge, die zu Veränderungen durch Perspektivwechsel führen und versuche das nicht weiter zu denken, sondern jetzt den Erkenntnisgewinn der Zeichnung zu überlassen.

Auf diese Aspekte meiner Arbeit konnte ich währen der anderthalb Stunden des Vortrages und Gesprächs mit meiner Besuchergruppe gestern nicht eingehen. Potential weiterer Gesprächsrunden wäre durchaus gegeben. Vielleicht ließe sich so etwas in Regelmäßigkeit einrichten.

Wind kommt auf. Er transportiert warme Luft vom Mittelmeer in unsere herbstlichen Breiten. Dazu wird die Luft nun auch feucht, so dass man meint, alles Pflanzliche müsse nun wachsen. Aber das schwindende Licht lässt die inneren Uhren langsamer ticken.

Routine | Überblendung | Impulse

Die Zeichnungen von Gestern zeigen unter anderem auch wieder Pionierportraits. Offensichtlich bin ich mit diesem Thema noch nicht fertig. Die Fragmentierung der Rasterzeichnungen geschieht unter Zuhilfenahme der Flächen, die durch die beidseitige Beschichtung des Transparentpapiers mit Schelllack, besonders durchsichtig werden. An diesen Stellen setze ich die Tusche ausfüllend in den entsprechenden Feldern ein. In anderen Bereichen zeichne ich nur Konturen mit Tinte, Tusche oder Bleistift. Das Prinzip ließe sich auch umkehren. Das hieße aber dass die Peripherie eher dicht und Kompakt bliebe, um nach innen hin brüchiger und fragmentierter zu werden. Diese handwerklichen Varianten halten mich bei der Stange. Ich kann da nicht viel falsch machen, weil es routiniert abläuft. Dennoch ergeben sich immer variantenreiche Neuigkeiten.

Als ich gestern auf dem Rechner eine Diashow mit den täglichen Collagen einrichtete, hatte ich beim Überblendungseffekt im Auge, dass immer ein Motiv aus dem des vorherigen Tages entsteht. Für mich ist es eine Gelegenheit, mich noch mal mit der Arbeit von diesem Jahr zu beschäftigen.

In der Gruppe von Führungskräften, die gerade mein Atelier verlassen hat, kam die Frage auf, wo ich denn gerne, nach meinem Ableben, meine Arbeit sehen würde. Sicher entstand der Gedanke auch im Angesicht der Diashow, die hinter mir lief und in Anbetracht der über hundert Tagebücher, die im Regal stehen. Ich hoffe, dass das Gespräch Impulse für den Arbeitsalltag dieser Gruppe lieferte, der sicherlich grauer ist, als meiner.

Unaufgeräumt

Weitere Zeichnungen mit den bewährten Materialien und Motiven. Es ist, als erwartete ich eine Neuerung aus dem Fluss der gleich bleibenden Arbeit, als würde sich von alleine etwas einstellen, was ich vorher nicht denken konnte, was nur über die sich wiederholende Tätigkeit an die Oberfläche kommt.

Ich bemerke, dass mein Atelier vollgestellt ist. Jeder Rest von einem Arbeitsvorgang will ein Objekt sein, erheischt Aufmerksamkeit und soll in entsprechender Umgebung zur Wirkung kommen. Das ist wie ein Prinzip. Nun habe ich am Nachmittag in diesem Chaos einen Fototermin für eine neue Broschüre unserer Projekte fürs Kultusministerium.

Morgen bekomme ich Besuch von einigen Führungskräften aus unterschiedlichen Unternehmen. Ich stehe vor der Frage, ob ich jetzt aufräume oder die Unaufgeräumtheit ausstelle, sie zur Ausgangsposition des Gesprächs mache. Einerseits sieht das wie eine Pose aus, andererseits ist es die wahrhaftige Situation.

Am Montag hatte ich das Gefühl, eine freie Arbeitswoche vor mir zu haben. Aber nun vergrößern sich alle Störungen in meiner Wahrnehmung, und es kommen welche hinzu, die ich gerne in kauf nehme, weil sie mich von den Dingen fernhalten, die ich mir nicht leicht von der Hand gehen.

Materialien und Motive

Am Morgen machte ich eine Zeichnung im Chinesischen Garten an der Berger Straße. Die Blätter auf der Oberfläche des geschwungenen Teiches zeigen die Richtung der Spiegelfläche. Ich betätigte mich mit einem impressionistischen Duktus und trotzte der feuchten Kälte mit einem flotten Strich.

Vinzenz schickt viel Material über seine Zusammenarbeit mit Ai Weiwei. Er brannte darauf, loszulegen. Auf einer viel beachteten Podiumssitzung hatte er seinen Videoauftritt im Gespräch mit seinem jetzigen Meister. In einem Cafe las ich eine Besprechung dieser Veranstaltung.

Rechts neben meinem Buch liegt eine Zeichnung auf Transparentpapier. Die Materialien Tinte, Tusche, Schelllack und Graphit vereinigen einen Schattenriss aus der Installation „You Made Me a Monster“, eine Frottage eines wandernden Muschelringes, die Aufzeichnung der Stadtwanderung in Wolfenbüttel, eine Synaptische Kartierung und Gravitationsschwünge. Für die eigentlich unaufwendige Arbeit benötigte ich die ganze Kraft des Tages.

Nach einem trüben Vormittag hellt sich nun das Wolken- und Nebelgeschehen auf, und die Temperatur beginnt langsam etwas zu steigen.

Kontrapunktische Arbeitsimpulse

In einem flachen Winkel fällt das Licht durch die Atelierfenster. Es dringt zwischen die Sammelsurien und rückt sie in meine Aufmerksamkeit. Die mit ihnen verbundenen Geschichten und Arbeitsvorgänge bewegen sich miteinander. Das ist wie ein kontrapunktischer Tanz, der mit meinen Arbeitsimpulsen spielt.

Die Nachttemperaturen sinken langsam. Noch lasse ich die empfindlichen Pflanzen aus den subtropischen Regionen vor dem Atelier stehen. Sie sollen ihr Licht so lange wie möglich im Gärtchen bekommen. Und vielleicht kann ich die alljährliche Herbstaktion des Pflanzenumzugs noch so lange hinauszögern, bis Paulo sein zweites Praktikum bei mir antritt. Er könnte mir dann beim Transportieren der großen Pflanzkübel helfen.

Nach dem langen Wochenende bin ich froh, wieder bei meiner Arbeit zu sein und für sie genug Zeit zu haben. Die Tagebücher liegen ja an den Wochenenden nicht brach, bewohnen zu Recht dann aber nur eine Nische im Ablauf des Tages.

Ich überlege, ein größeres Querformat aus Transparentpapier für die Wohnung in der Frankenallee herzustellen. Motive könnten Rasterstilisierungen des Elbeisgangs, eines Kinderportraits und in Schellack eingegossene Fundstücke sein.

Eine Landschaft zwischen Steppe und Savanne

In den letzten Tagen war wenig Zeit für mich und meine Arbeit. Das ist nicht so schlimm. Seit einiger Zeit nehme sind solche Situationen leichter, bin da zurzeit nicht so rigoros. Ich lese in den ein Jahr alten Tagebuchaufzeichnungen über meinen Rückzug ins Atelier, in meine Winterhöhle.

Gestern habe ich eine meiner lang gezogenen Körperbewegungen, die ich in der Videoinstallation „City of Abstract“ fotografierte, bearbeitet und in die tägliche Collage eingefügt. Manchmal erscheinen jetzt auch Handschriftfragmente auf den gescannten Zeichnungen, weil ich sie nicht, wenn sie über ihren im Buch zugewiesenen Raum hinausgehen, beschneiden will.

In der Dünenlandschaft südlich des Mains bei Höchst, spazierten wir im warmen Herbstlicht. Auf Hinweisschildern steht, dass diese Landschaft vor über zehntausend Jahren, nach der letzten Eiszeit entstanden ist. Im reichlichen Schmelzwasser brachte der Main viele Sedimente mit. Während Trockenphasen wurden diese aus dem Flussbett herausgeweht und dort bis zu zwanzig Meter aufgetürmt. Nun ist dies eine „Landschaft zwischen Steppe und Savanne“, teilweise mit kleinen Kiefern bewachsen, wie an einer sandigen Küste.

Wir sahen Eichelhäher, die gemäß ihrem Namen ganze Eicheln mit ihren Schalen verschlangen.

Ausscheren

Ruhig schere ich aus dem selbst auferlegten, permanenten Produktionsdruck aus, um andere Dinge um mich herum deutlicher und gründlicher wahrnehmen zu können.

Die Rückverlagerung vieler Perspektivpunkte in die Frankenallee, zieht eine leichte Vernachlässigung des Ateliers nach sich. Aber es entstehen auch neue Räume, um beispielsweise die alten Holzdruckstöcke hierher zu transportieren, um sie gegebenenfalls in der aktuellen Arbeit zu benutzen.

Farbholzschnittdruckstöcke von Ernst Ludwig Kirchner sah ich gestern im Städelmuseum. Bei ihrer Betrachtung wird deutlich, wie weit man sich in diese Technik hineinbegeben kann, um in sie stetiger Vervollkommnung auszureizen. Diese alten grafischen Techniken müssen den jungen Künstlern, die in der digitalen Welt aufgewachsen sind, seltsam vorkommen.

Im MMK fotografierte ich ein auf dem Bauch liegendes Baby in einem grüngestreiften Strampelanzug. Es befand sich unter dem niedrigen Plafond einer choreografischen Installation, die die Kinder als den Raum entdeckt hatten, in den ihnen die Erwachsenen nur mit einiger Mühe folgen können. Und wenn man das trotzdem tut, kommt man sich mit den jungen Ausstellungsbesuchern ein wenig verschworen vor.

Archäologie | Handschrift | schon gescannt

Spät, erst gegen Zehn bin ich im Atelier und genieße mit etwas Musik das ungestörte Arbeiten. Es liegen Bücher zu den Choreografien und den choreografischen Objekten von Forsythe herum. Jetzt, wo er fort ist, kommt mir die Arbeit mit seiner Formensprache gleich vor wie Archäologie.

Die Fotoausbeute des gestrigen Ausstellungsbesuches habe ich gesichtet und auf eine Festplatte überspielt. Gleichzeitig bin ich auf der Suche nach meinen Arbeiten zu „You Made Me a Monster“ oder nach dem, was da auch schon gescannt ist.

Das Donnerstagsgespräch um die Annäherung an das Selbstportrait braucht einige Zeit, bis ich an einen Ort gelange, der eine Perspektive herstellt, die einen Blick in die Tiefe erlaubt. Das ist wie beim Fotografieren eine Gitterobjektes.

Im Netz bei Vinzenz entdecke ich erfreut Ausschnitte meiner täglichen Collagen. In der sonstigen Umgebung seiner Bildproduktion nehmen sie sich etwas konservativ zurückhaltend aus. Es handelt sich aber um meine persönliche Handschrift und somit um etwas selten werdendes.

Wir haben Lust einen Blindengang im Rebstockpark zu machen, wie ich ihn in Wolfenbüttel erlebt habe. Diese Gänge möchte ich auch aufzeichnen.

City of Abstracts | Leonce und Lena

Heute habe ich den täglich regelmäßigen Arbeitsablauf gedreht, um noch mal am Vormittag in das MMK zu gehen. Ab zehn Uhr besteht die Chance, dass man die choreografischen Installationen von Forsythe für sich alleine hat. Gerade vor dem großen Screen von „ City of Abstracts“ hatte ich Gelegenheit, meine, von der Videotechnik lang gezogenen Bewegungen, in Ruhe zu verfolgen und dann auch zu fotografieren.

Wieder bewegte ich mich zwischen den für diese Ausstellung ausgewählten Werken der Museumssammlung und den Installationen des Choreografen. Manches, was ich beim letzten Mal gezeichnet habe, fotografierte ich nun.

Gespannt, die Fotografien auf dem Bildschirm zu sehen, sie zu bearbeiten und dann auszudrucken, setze ich auf die analoge Arbeitsphase, in der ich Elemente auf Transparentpapier übertrage, miteinander kombiniere und weiter verdichte.

Am gestrigen Abend sahen wir „Leonce und Lena“ in einer Regie von Jürgen Kruse. Viel direktes, radikales synaptisches Chaos war zu sehen. Das war konsequent persönlich und mit schönen Bildern durchsetzt. Eine etwas gleich bleibende Lautstärke hat den Klamauk nicht kleiner gemacht. Nur ein mal sah ich auf meine Taschenuhr.

Tiefenschärfe

In der gestrigen Morgensonne warf die große Dreiecksgitterkonstruktion ihre kristallinen Schatten auf den Boden und in den Raum. Wenn ich durch ihre Längsachse schaue, und der Spiegel dahinter das große Bild mit meinem Portrait als Siebenjähriger einfängt, reizt diese Tiefe der Bildkomposition. Das fotografierte ich gerade tiefenscharf und stelle es vielleicht morgen mit in die tägliche Collage, die heute schon mit der Überlagerung einer weiteren Tagebuchzeichnung gemacht ist, in meinen täglichen Arbeitsbericht.

Am Abend hat Carola einen Vortrag über die Gruppe 47 gehalten. Das fand in einer schönen Penthousewohnung statt, von deren Terrasse man einen wunderbaren Blick auf die von leichtem Dunst eingehüllte und leuchtende Skyline hatte. An Ausschnitten eines älteren ZDF-Beitrages entlang, hörten wir einen kurzweiligen und sehr informativen Abend. Dann beim Wein Gespräche mit lauter Menschen, die ich noch nie gesehen hatte.

Meine Tochter berichtete von ihrem Roman und vom Interesse eines Verlages. Nun drücke ich ihr die Daumen für ihr Debüt.

Meine Gedanken fahren immer noch mal durch die das Gehen im Wolfenbüttel. Keith Richards spielt einen akustischen Blues mit dem Titel „Crosseyed Heart“, die Heizung rauscht im Chor mit den Stadtbahnen auf dem Damm und eine fast durchsichtige Spinne sucht sich ihren Weg über meinen Schreibtisch.

Nice | Verweigerung

Mit fällt ein, dass ich mal Selbstportraits zeichnen könnte, die gegenwärtig sind und nichts mit meiner Zeit als Jungpionier zutun haben.

Vinzenz schickte mir ein Link zu einer Pressekonferenz mit Ai Weiwei. Dort berichtete er, wie er seine Studentengruppe zusammengestellt hat. Aus einhundert Bewerbungen wählte er sechzehn aus, darunter Vinzenz. Sie kommen mit ganz verschiedenen Fähigkeiten zusammen. Es geht um neue Medien, um Design und Mode, um Philosophie und Kochen. Der Ansatz gefällt mir, weil er endlich das nutzt, was die UdK so auszeichnet, nämlich den Mix der verschiedenen Darstellungsmöglichkeiten von Kunstgattungen und ihren Verwandtschaften.

Per elektronischer Post zeigte Vinzenz Ai Weiwei eine meiner Arbeiten und eine Ansicht meines Ateliers. Er antwortete mit seinem Logo und einem „nice“. Mein Neffe…

In der letzten Performance in der Bundesakademie ging es um einen Stadtgang mit verschiedenen choreografischen Zusammenstellungen, die sich alle aus dem Gehen entwickeln sollten. Die ballettösen Ausdrucksmittel meiner vier Mitstreiterinnen hatten nichts mit mir als Person und Künstler zutun. So kamen wir auf die Idee, meine Verweigerung und unseren Dissens zu inszenieren. Ich löste mich aus der „scrambelnden“ Gruppe heraus und begann einen ganz normalen Kreisgang, dem sich dann die anderen anschlossen und der, nach verschiedenen Variationen, die Arbeit langsam zu Ende gehen ließ. Das fand bei den anderen Teilnehmern Anklang.

Durchgewärmt

Atelier, Frankfurt.

Martin Nachbar ist also der nächste Choreograf, dessen Arbeit mich sehr interessiert. Besonders sein Ansatz, das alltägliche Gehen in eine Kunstform zu verwandeln, und diese dann wieder in den Alltag des Stadtraumes zu integrieren, hat für mich das meiste Potential, meine eigene Arbeit weiter zu entwickeln.

In der Kunstschule könnten die Techniken zum Tragen kommen. Meine Aufgabe ist es nun, die Übungen zu erinnern, um sie für die Stadterforschungsprojekte zu nutzen.

Etwas erneuert und durchgewärmt, etwas beweglicher und inspirierter bin ich nun wieder in meiner Arbeitsumgebung angekommen. Nun erscheinen die letzten Arbeiten wie eine ganz natürliche Vorbereitung für diese Erweiterung meiner Arbeitsmöglichkeiten.

Mal sehen ob sich beispielsweise das Hochhausprojekt, das mit Aussichten auf Landmarken beschäftigt, eine Erweiterung im performativen Bereich bekommen kann.

Dichte Gruppe

Zugabfahrt in Braunschweig kurz vor Vier. Eingefärbt liegt die Sonne unter Wolkenbänken eine Handbreit über dem Horizont.

Fast immer arbeite ich allein, außer in meiner Kunstschule. Diesmal sollte ich also in einer Gruppe aufgehen. Skeptisch begab ich mich in diese Situation. Und langsam stellte sich ein Wohlgefühl ein, das ich zunächst noch nicht so recht einordnen konnte.

Deutlicher wurde das bei Unternehmungen, die wir im Stadtraum probierten. Zunächst gingen wir als Pulk sehr langsam und schweigend durch die Straßen und in einen Park. Das fiel den Menschen, die dort unterwegs waren zwar auf, erregte aber kaum Widerstand, eher nur belustigtes Interesse an einem Vorgang, den man nicht so recht versteht.

Als dieselbe dichte Gruppe gingen wir dann in einer schnurgeraden Fußgängerzone rückwärts an all den vielen Fachwerksfassaden vorbei. Hier kam es schon eher zu heftigeren Reaktionen der zufälligen Zuschauer. Auch Aggression machte sich Luft.

Am Abend sahen wir verschiedene Tanzvideos. Unter anderem den Dokumentarfilm „The Walk“ über ein Projekt von Martin Nachbar in Berlin.

Schärfen der Sinne

Wolfenbüttel, Schünemanns Mühle.

In einer Probebühne im Erdgeschoss des alten, umgebauten Mühlengebäudes beschäftigen wir uns mit darstellender Kunst, die aus dem Gehen heraus stattfindet. Die Kunstgattungen sind nicht mehr so leicht zu trennen. So treffen sich Autorinnen, Performerinnen, Choreografinnen und bildende Künstler.

Der Workshop wird von Martin Nachbar aus Berlin geleitet. Für ihn ist das Gehen der Ausgang dessen, was für seine Performances im Stadtraum oder in Innenräumen geschieht. So choreographiert er in einer sehr fundierten, aber leicht daherkommenden Weise seine Arbeiten.

Die erste, sehr eindrückliche Übung für mich war mein Gang als Blinder mit geschlossenen Augen, unter der Führung einer mir ganz fremden Person. Nach anfänglichem Zögern kam ich zu einem Freiheitsgefühl, das sich auf die Leichtigkeit meines Körpers auswirkte. Gleichzeitig kehrt das Kindheitsgefühl zurück, kaum etwas entscheiden zu müssen. Und es schärfen sich die anderen Sinne. Deutlich wird der Kaffeegeruch in einer Fußgängerzone, Geräusche kommen, wie sichtbar näher und entfernen sich wieder. Der Körper spürt Erinnerungen nach, die sich mit einem Bodenbelag oder einer Steigung verknüpfen.

In der Stille tickt die Wanduhr

Am Küchentisch in der Frankenallee. Ungewohnter Blick aus dem Fenster beim Schreiben. Die gelben Blätter des Ahornbaumes leuchten in den hellen Morgen. Flugzeuge landen nach Westen.

Meine Siebensachen habe ich für einen Workshop an der Bundesakademie für Kulturelle Bildung gepackt. Es dreht sich um das Gehen als künstlerische Praxis. Weiß nicht so recht, was mich da erwartet, ob es meiner Praxis, Städte und Landschaften zu kartieren, weitere Impulse geben kann. Bisher bin ich ja nur normal meine Wege gelaufen.

Scheinbar wenig Aufwand machten gestern drei Blätter, die auf eine minimalistische Weise schnell und leicht entstanden sind. Mit Gravitationsschwüngen verband ich Frottagen sich bewegender Gegenstände.

Schluck Mineralwasser, in der Stille tickt die Wanduhr, summt der Kühlschrank, plätschert die Dusche.

The Fact of Matter | Abkürzungen

Noch am Vormittag, nach meiner täglichen Morgenarbeit, fertigte ich ein Portrait meiner Mutter an. Dazu eine Ölfarben-Schelllack-Wolke und Gravitationsschwünge, die sich mit einer „wandernden“ Frottage und dem Portrait verbanden. Teilweise ist das oben in der Collage zu sehen.

Nach der Mittagspause in der Frankenallee fuhr ich mit etwas Zeichenmaterial in die Ausstellung „The Fact of Matter“ ins Museum für Moderne Kunst. Dort begann ich mich zeichnend mit den choreografischen Objekten und ihren Verbindungen zu ausgewählten Werken aus der Sammlung des Museums zu beschäftigen. Das geht langsam tastend vor sich.

Am Abend in der ARD ein eigenartiger Film von Niki Stein. Eine fiktiv-trashige Dokumentar-Spielfilmcollage zum Untergang der DDR (Beim Schreiben dieser Abkürzung erinnert sich meine rechte Hand an die vielen Male, bei denen ich diese sperrige Buchstabenkombination niederschrieb.). Nikis Idee war es, dass der BND (Diese Abkürzung schreibe ich zum ersten Mal.) Schabowski die Notiz zuspielte, auf der stand, dass das ZK der SED (schrieb ich auch oft) beschlossen hatte, die Grenze zur BRD (…) zu öffnen.

Über dem Horizont steht eine Lichtluke auf, aus der ein großer Theaterscheinwerfer mit einer matten Folie davor sein Licht auf die miteinander verflochtenen Szenen schickt.

Ensemble | Skizzenbücher

Aus unserem Ausstellungsraum Balken transportierte ich eine Dreiecksgitterkonstruktion ins Atelier. Die würde ich gerne in der Wohnung in der Frankenallee aufhängen und als Grundelement für einen Kronleuchter benutzen. In welchem Zimmer er hängen wird, ist noch nicht klar.

Gestern ist ein weiteres Biografieblatt entstanden, das ich oben auch teilweise in die heutige Collage eingesetzt habe. Über eine Ölfarben-Schellack-Wolke setzte ich ein Selbstportrait, eine Felsgravur aus Twyfelfontein und Gravitationslinien, die beide Elemente verbinden. Die Wolken des vorgestrigen und des gestrigen Blattes sind Zwillinge und entstanden dadurch, dass ich beide Blätter im feuchten Zustand aufeinander presste. Somit gehören sie zusammen. Wenn ich nun noch zwei Masken mit denselben Portraits hinzufüge, entsteht ein Ensemble.

Anne schenkte mir immer mal Skizzenbücher. Nun habe ich eines von ihnen genommen und begann im Chinesischen Garte da hinein zu zeichnen. Eine gegenständliche Zeichnung vor der Natur, wie früher. Dann zeichnete ich abstrakt in der U-Bahn weiter.

In dieser Weise möchte ich nun auch in der Forsytheausstellung arbeiten. Fotografie, Zeichnung und Bewegung. Auch zum Workshop in Wolfenbüttel will ich so ein Heft mitnehmen, wie auch mein GPS-Gerät.

Schatten des Drachens

Wenn man einen Drachen im Gegenwind steigen lässt, ihn im Gehen mit sich über das abgeerntete Feld führt, ist sein Schatten immer dabei. Er lässt die Songs düsterer klingen und färbt das Licht in der Vorwärtsbewegung.

Zu dritt greifen die neuen Skulpturen aus Draht und Pappmache gegenseitig in ihre Räume – ein Tanz. Dahinter hängen zwei neue Arbeiten, die das gestrige Datum tragen. Fragmentierte Rasterportraits mit Ölfarben-Schelllack-Wolken, Graphitfrottagen und Gravitationsschwüngen. Daran lässt sich gut weiterarbeiten.

Außerdem habe ich Masken abgeformt, die noch mit Portraits bemalt werden sollen. Vielleicht kann ich sie in Beziehung zu den Blättern setzen. Es bildet einen sichtbaren Produktionsvorteil, dass diese Arbeiten schnell von der Hand gehen. Somit bekomme ich Lust, die Formate wieder zu vergrößern.

Das Tanzthema manifestiert sich in den Arbeiten der Kunstschüler. Bewegungsreaktionen auf den Atelierraum und Raumexperimente mit Vinzenz schaffen eine weitere Schicht, mit der gearbeitet wird.

Nebel

Ein Nebel wie von Transparentpapierlagen vor dem Fenster. Er fällt herab und öffnet einen helleren Himmel. So sieht von innen betrachtet der Wochenbeginn aus.

Der Arbeitsrhythmus ist immer noch, wie in meiner Lehrzeit eingeteilt. An Sonntagen arbeite ich ungern. Das Tagebuch aber lässt auch an ihnen die Kontinuität der Beschäftigung mit dem, was sich in meiner Umgebung auf die Zeichnungen auswirkt, nicht abbrechen. Das ist etwas, wie ein Selbstportrait, an dem immer weitergemalt wird.

Krishnababy hält mir mit seinem Gewicht die steife, mit Fadenbindung befestigte Tagebuchseite unten, damit ich besser schreiben kann. Dabei fällt sein Schatten aufs Blatt, was mich an die Schattenwürfe auf den Tischen der Installation „You Made Me a Monster“ erinnert.

Den Platz am Dreieckstisch auf der anderen Seite des Ateliers habe ich jetzt verlassen und sitze wieder auf meiner Truhe an der rauschenden Heizung. Das Thermometer zeigt fast zwanzig Grad an. Das ist bequem.

Vor einer guten Woche habe ich aufgehört zu zeichnen. Daran möchte ich nun wieder anknüpfen. Zwischendrin sind ein paar skulpturale Versuche mit Gitterdraht und Pappmache entstanden. Blätter sichten, ordnen und dann beginnen zu zeichnen. Es liegt eine freie Arbeitswoche vor mir.

Der Meister

18.10. 2015

Die Arbeit von Forsythe ist meistens von gebauten Räumen umgeben. Ihr ist nicht die Freiheit des Himmels oder weiter Landschaften gegeben.

Zwischen den hängenden und pendelnden Loten haben wir uns gerne bewegt, ohne sie zu berühren. Das ist eine Herausforderung. Mich erinnert es an meine Stadtgänge mit dem GPS, wo ich auch Hindernissen ausweichen musste. Allerdings hatte ich viel Zeit dafür. Eis war wie eine räumlich und zeitlich gedehnte Choreografie.

Jone traf ich und berichtete ihr, dass der Energietransfer über unsere angenäherten Handflächen und Augensichtlinien immer noch wirkt.

Gestern Nachmittag sind wir nach Saarbrücken gefahren, zu einem weiteren Konzert mit Bob Dylan und seiner Band. Fast waren die Bühne, die fünf Musiker und der Meister schon ein gewohnter Anblick. Aber es hat sich verändert, dass ich seine Art der Interpretationen, besonders seiner eigenen Songs, nun viel besser verstehe. Der vertraute Gesangsstil deckt die verschiedenen Sicht- und Interpretationsmöglichkeiten auf. Das ist mir nahe und verändert sein Werk.

Vinzenz ist wieder in Berlin. Wir hatten hier in der vergangenen Woche viele schöne Momente miteinander.

Raumexperimente

Die Kunstschüler waren gestern eingeladen, mit Vinzenz etwas choreografisch zu arbeiten. Sie schufen mit ihrem Gegenüber eine Skulptur ihrer Vorstellung, indem sie die Körper in Haltungen versetzten, die ihren Intensionen entsprachen. Dabei sollten die Figuren aus verschiedenen Materialien bestehen, aus Marmor, Metall oder Ton.

Von dieser Übung aus setzte sich die Arbeit mit Drainagedrahtgeflechten, Wachs, Transparentpapier und Pappmache fort. Die Eigenerfindungen aus den Materialkombinationen gewannen an Dynamik.

Vorher machten wir Bratkartoffeln für unsere Schützlinge, Joana steuerte Rührei bei und ich ließ noch etwas Speck warm werden. Dann saßen wir alle um einen der Arbeitstische und teilten uns alles.

Am Abend gingen wir zur Eröffnung von „The Fact of Matter“, der Forsytheretrospektive im MMK. Der eigene Körper wurde zum Bestandteil der Ausstellung, weil nur durch die eigene Bewegung in den Installationen dieselben verständlich wurden. Auch die choreografischen Arbeiten, bei denen ich selber gefordert war, mit zu produzieren, sind mir am meisten präsent geblieben. Wir bewegten uns mit Freude und sahen den anderen Gästen, bei ihrer Freude damit, gerne zu.

Verheißung

Die leeren Tagebücher stehen im Regal wie ein Block Verheißung. Eines von ihnen gab ich weiter an Vinzenz. Er erzählt von seiner Freundin, die diesen Raum mit seiner eigenen Geschichte ausgestellte, dass sie sich gestern in einem Laden einen Gegenstand auf den Kopf gestellt hat, worauf sie gemeinsam mit Vinzenz einen Tanz aufgeführte.

Wenig Arbeit zurzeit – Gespräche, Treffen und Abendveranstaltungen, wie immer in der Buchmessenwoche. Beim Fischerverlagsempfang erzählte mir jemand von seinen Segeltörns in der Arktis vor Grönland. Die Farben und bedrohlichen Bewegungen der Eisberge, wie man ihnen entkommt, sich in Sicherheit bringt, manchmal von ihnen gefangen gehalten wird. Ich lauschte begeistert.

Am Tisch vor mir sitzt Vinzenz und schreibt in sein Tagebuch. Er bleibt, wenn die Kunstschüler nachher kommen. Sie kennen ihn aus Berlin.

Ein Glas Wasser und mein Blick auf Rolle 6. Die Frische draußen, 6 Grad und feuchte Luft. Das stählerne Licht des Sommers wird nun egalisiert. Alles gut.

Heute die Eröffnung von „The Fact of Matter“ im MMK, die ihre dunklen Schatten voraus wirft durch einem Nebel aus Wasser, mit dem Leichen gewaschen worden sind. Bill Forsythe – alles geht.

Anhaltendes Gespräch

Zeitig am Morgen gestern mit Vinzenz im Atelier. Oft ist es so, dass wir gleich zur Sache kommen und uns über künstlerische Dinge austauschen, als ob wir ein lang anhaltendes Gespräch führen.

Dann durch Nebel, Regen und Schnee nach Thüringen zu meinen Eltern. Bei einem Spaziergang nahm ich mir Zeit um die kulissenartigen Baumreihen im Nebel der hügeligen Landschaft anzuschauen. Stehen bleiben und schauen. So einfach. Der Schnee blieb bis zum Abend liegen und erinnerte durch seinen Geruch an die Winter der Kindheit.

Nach der Rückkehr hatten wir dann noch Gelegenheit, redend über das Material Wachs und die Möglichkeiten, die digitale Medien eröffnen, das Bier zu trinken, was mir mein Vater mitgegeben hatte. Vinzenz postete einige Bilder aus meinem Atelier, und wir schauten schon, welche Follower sich das angesehen haben.

Am Abend Treffen im Bahnhofsviertel mit Leuten, die die Buchmesse jährlich nach Frankfurt bringt. Im Urban Kitchen ging es um die Arbeitsbedingungen von freien Lektorinnen in Berlin.

Zur Nacht noch ein Glas Wein am Küchentisch.

Türnische | Geschichte

In der Nachwirkung des Tanzworkshops, entdecke ich noch mal stärker meinen eigenen Hang zur Performance, die mit dem Ausfüllen oder Entleeren eines Raumes zutun hat. Auch in einem Gespräch mit Vinzenz ging es um das Ausmessen des Raumes mit dem Körper. Somit kann Architektur auch zu einem choreografischen Objekt werden, weil sie die Bewegungen der sich im Raum befindlichen Menschen beeinflusst.

Eine ehemalige Kommilitonin von Vinzenz stellte einen Raum und dessen Geschichte aus. Der Impuls dafür war eine zugemauerte Türnische, sagt er.

Bewegung und Geschichte.

Wie die Biografieblätter zu minimalistischen Frottagen und Zeichnungen tendieren zeigte ich und merkte, wie es Hand und Fuß hat.

Im Netz bestellte ich wieder leere Tagebücher, deren Verbrauch eine regelmäßige Angelegenheit ist. Der Druck steigt, wenn sie zur Neige gehen, neue zu beschaffen. Das zögere ich oft hinaus und genieße dann die Erlösung, wenn mit der Bestellung etwas wie eine Absicherung des Zukunftsraumes einhergeht.

Verkettung

Es ist, als seien die Leitungen unterbrochen. Nichts von dem, was ich mir vorgenommen habe, habe ich gestern umgesetzt. Eine Leere hat sich an die andere angeschlossen. Eine Verkettung.

Ewige Suche in einem Baumarkt nach einem Werkzeug, mit dem ich unsere heiß geliebte Kaffeemaschine retten kann, die gerade dabei ist, die wichtigsten Funktionen zu verlieren. Es ist, als ob man einem Lebewesen beim Sterben zuschaut. Stunden brachte ich damit zu, sie zu reparieren. Ohne Erfolg. Die Luftpumpe, die ich für mein Fahrrad kaufte, passte nicht an seine Ventile.

Auch ein Lebensmitteleinkauf erwies sich als zeitraubend, weil ich den Einkaufszettel vergessen hatte. Die Zeiträume, die für diese Dinge vorgesehen sind, führen zu einer eigenartig zersiedelten Daseinsweise. So begann ich auch nicht, die Skulptur zu schweißen oder wenigstens andere Haushaltssachen zu erledigen.

Heute schien noch mal die Sonne. In den nächsten Tagen kommt die Finsternis mit der feuchten Kälte.

Die Pflanzen müssen rein…

Winter.

Lichtstrom | Glas

Was kann ich mit dem Lichtstrom anfangen, der sich ins Atelier ergießt. Kann ihn nicht trinken, wende ihm und dem andauernden Donner der startenden Maschinen den Rücken zu, fange die Strahlen mit einem Spiegel, den ich an eine Stuhllehne stelle und schicke sie in eine Ecke, wo sie sonst nie hinkommen.

Die täglichen Dateien sind heute zu aktualisieren. Einkäufe am Nachmittag. Lebensmittel, Arbeitsmaterialien, Farben stehen auf dem Zettel.

Vielleicht beginne ich heute, eine Skulptur zu schweißen, die eine Lampe für unsere Wohnung werden soll, ein Dreiecksgittergestell für Glassteine von Kronleuchtern, Glühbirnen und anderem Glasperlenklingklang. Das kann man über die Zeit vervollständigen.

Mal schauen, was daraus an ernsthafteren Objekten entstehen kann, die vielleicht auch mit dem Biografiethema zutun haben können. Immer mal stelle ich mir Holzgegenstände vor, die in solchen Gittern gefangen sind.

Himmelszeichen | Tanzraum

Zuerst hört man die Schreie, dann geht der Blick in diese Richtung an den Himmel, um nach den Formationen zu suchen, in denen die Kraniche nach Südwesten ziehen. Manchmal lösten sie sich über einer der Taunushöhen auf und dann begann der Schwarm zu kreisen, entweder, um an Höhe zu gewinnen, oder um auf Nachzügler oder andere Schwärme zu warten, mit denen man sich zu einer größeren Gruppe vereinigen kann. Hinter den V-Formationen bilden sich noch andere Linien, die aussehen, wie Schriftzeichen. Sie zu lesen wäre Augurensache.

In jedem Herbst ist dies der melancholische Moment, der zeigt, dass es mit großen Schritten auf den Winter zugeht. Dann komme ich etwas in Bedrängnis, denn bei Frost müssen dann alle empfindlichen Pflanzen im Atelier stehen. Es ändert im Winter ganz seinen Charakter, wird zur Orangerie, wodurch weniger Platz für Arbeit ist.

Der Tanzworkshop wirkt noch nach in mir. Am meisten interessieren mich jetzt die Wirkungen, die ein Raum auf meine Bewegungen hat. In mehreren Gängen markierte ich die Traversen für Versorgungsleitungen an der Decke mit meinem Armen und Händen, ebenfalls die Linien am Boden, an denen der Tanzboden mit Klebestreifen zusammengehalten wird. Außerdem ging ich den Blickrichtungen starr verharrender Figuren anderer Teilnehmer nach, benutzte meine Handfläche als Sichtblende oder Fixpunkt.

Noch kein Tisch

In meinem neuen Zimmer in der Frankenallee sitze ich erstmalig mit Blick auf die Allee und schreibe. Es gibt noch keinen Tisch. Deshalb ist es mit dem Buch auf den Knien etwas umständlich. Vielleicht kaufe ich mir einen kleinen, alten, schönen Tisch, auf den ich eine Vase stellen kann.

Der Blick ist fast derselbe, den ich sechzehn Jahre von meinem Schreibtisch aus hatte. Nun aber befindet sich ein Balkon davor, auf den ich durch eine Flügeltür hinaustreten und hinabschauen kann. Wenn ich die im Sommer öffne, vergrößert sich das Zimmer um etwa ein Drittel. Außerdem gibt es einen großen, alten Heizkörper, fast ein antikes Stück mit einer Marmorplatte darüber.

Es ist heute schon Abend, während ich jetzt schreibe. Tagsüber war ich in einem Workshop zum Thema Tanz und Architektur. Aus einer anderen Warte über Gestaltung nachzudenken, war eine inspirierende Abwechslung. Ich hatte die Gelegenheit, darstellerisch auszuprobieren, was ich mir in dieser Hinsicht schon öfter vorgestellt hatte. Ein Gang durch den Raum beispielsweise, der immer wieder auf seiner Linie stockt und dann wieder rückwärts geht. Dieses Innehalten und Weitergehen ist dem Zeichnen ähnlich. Es ging viel um Improvisation und um den Raum des Körpers und um den, in dem er sich gerade befindet.

Gewalt | Armierungsstahl

Den zarten Blättern mit den Graphitfrottagen, den dünnen Bleistiftlinien, die Gravitationsschwüngen nachspüren und den Schelllackwolken, habe ich gestern Gewalt angetan. Mit viel Tusche zeichnete ich Figuren aus Twyfelfontein dazu, versetzte sie gleich mit Schelllack und rollte die Formate zusammen. Die Umrisse der Felsgravuren wurden unkenntlich und zu Landschaften auseinander gezogen. Die Eingriffe waren brutal aber wirkungsvoll. Außerdem denke ich daran, eigene Texte einzufügen.

Die täglichen Malereien in den Büchern verändern sich durch die Gravitationsschwünge. Sie verdrängen die Verwischungen und rufen andere Gestaltungsreaktionen auf den Plan.

Gestern kaufte ich Stäbe aus Armierungsstahl und Schweißelektroden im Baumarkt. Daraus sollen nun Dreiecksgitterobjekte entstehen, die mit anderen Materialien zusammengefügt werden sollen. Es bieten sich an: Pappmaché und Gips, geschnitztes Holz und das alles mit Schelllack bearbeitet. Außerdem können die Masken mit den aufgemalten Rasterportraits eine Rolle dabei spielen. Von denen sollen nun noch mehr entstehen.

Noah malt schöne kleine Formate mit Acrylfarben und Joana bleibt seit Monaten treu bei ihrem Wachstropfenobjekt.

Einzelgänger

In der Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel gibt es demnächst einen Workshop zum Thema „Gehen“ und im Mousonturm am kommenden Sonnabend einen zu Tanz und Architektur. An beiden werde ich teilnehmen. Das ist ungewohnt für mich. Eher fühle ich mich als Einzelgänger.

Ein wenig Organisation gestern. So etwas schiebe ich gerne vor mir her. Auch Materialeinkäufe und alle Dinge, die mich scheinbar von der Arbeit abhalten, haben es schwer bei mir.

Ein Blatt mit Frottagen, das ich vor sechs Tagen angefertigt hatte, ergänzte ich gestern durch mein Pionierselbstportrait, das auf das Jahr 1963 zurückgeht. Das Portrait zieht Tanzzeichnungen oder Felsgravuren nach sich, um ein Gleichgewicht der Komposition zu behalten. Somit geht der minimalistische Gestus der Frottagen verloren. In der Collage oben spielen noch die Gravitationsschwünge der dritten Zeichnung von heute mit einem Abdruck meines Handballens eine Rolle.

Ich frage mich ob diese Zeitschichten, diese Ereignisgesträuche nicht in die Irre führen, ein eklektisches Wirrwarr anrichten. Anders gefragt: Wie lange werde ich an diesen Collagen festhalten, bis etwas Neues geschieht.

Impulse

Bewegung und Raum, Tanz und Architektur wie auch Wanderungen und Siedlungsstrukturen finden sich im Zentrum der derzeitigen Arbeitsimpulse.

Ein Nachbar schenkte mir ein Stück Holz. Unter der entfernten Rinde finden sich Fraßspuren eines Borkenkäfers. Im Zentrum einer Figur befindet sich der gerade Graben der Eier legenden Generation. Von deren Strang aus im rechten Winkel gehen von den Eierablagen nach beiden Richtungen die Gräben der geschlüpften Käfer ab. Das sind gegrabene Stammbäume.

Kleine Straßendörfer oder Oasen sehen nachts aus dem Flugzeug ähnlich aus.

Der Scan einer laufenden Tanzszene aus „One Flat Thing – Reproduced“, ist das wichtigste Arbeitsergebnis der letzten Tage. Diese Arbeit würde ich nun gerne weiterführen. Es besteht die Möglichkeiten das Ganze mit Rollsequenzen auf Rolle 6 weiterzuentwickeln, die ich seit dem 18.02. 2015 nicht mehr angerührt habe. Auch von der Weiterarbeit in diese Richtung erhoffe ich mir neue Impulse für die Biografiearbeit, die ich „Biograf“ nennen könnte.

Rolle des Biografen

Der Beton vor dem Atelier wird unter einem warmen Regenguss zu einem See. Das Gärtchen saugt sich voll und treibt aus den Sommersamen neue Kletterpflanzen, Blüten und unbekanntes Kraut.

Am Zeichentisch entstanden gestern weitere fünf abstrakte Blätter mit Frottagen wandernder Gegenstände, Gravitationsschwüngen und Synaptischen Kartierungen. Ich schlüpfe aus der Rolle des Biografen und lasse mich unprogrammatisch treiben in scheinbarer Freiheit. Die bestünde auch darin, vielleicht gerade diese Blätter als Verweis auf die Perspektive, aus der heraus die Zeitschichten und Verwischungen betrachtet werden, in das biografische Geschehen wieder einzuordnen, sie mit Pionierportraits oder anderen Motiven zu verbinden.

Mir steht mein zeichnerisches Gewurschtel aus den Siebzigerjahren nahe, mit dem ich versuchte, mich auf mich zu beziehen. Das alles vor der Natur, den Landschaften, die mir damals begegneten oder im Kneipenportrait.

Das politische Klima an der Pädagogischen Hochschule Erfurt während der Biermannausbürgerung, will ich gerne durch Dokumentarmaterial betrachten. Dieses soll sich mit meiner Erinnerungen verbinden, die vernebelt und wieder in klaren Bildern erscheint, wie ich dieses Institut verließ. Die Stasiakte wäre hilfreich.

In die Irre

Zum Abschluss unserer diesjährigen Spielzeiteröffnung sahen wir gestern das neue Ballettensemble im Bockenheimer Depot. Es war die erste Produktion der Dresden Frankfurt Dance Company. Fünfzehn junge und begabte Tänzerinnen und Tänzer sind für die Forsythe Company eingestellt worden, dann wurde der Name geändert und jetzt werden sie von dem neuen Chef Godani in die Irre geführt. Gedankenlos reihen sich vorhersehbare Figuren aneinander. Immer spreizen sich die Finger zu flügelhaftem Geflatter eleganter, manieristischer Blesshühner. Das Ganze erinnerte mich an eine Eisrevue. Das junge Publikum schrie und trampelte vor Begeisterung. Nichts wurde ihm abverlangt. Das gefällt.

Danach am Küchentisch fanden wir alleine in der Tatsache Trost, dass wir die ganze Forsytheära in Frankfurt gesehen haben, und dass sein Werk nun weiter wirken wird. In meiner Arbeit ist es fest verankert. Aktuell findet sie sich innerhalb der Frottagen der sich bewegenden Gegenstände und in dem Videoscan, den ich heute aus lauter Sentimentalität in die Collage oben eingefügt habe. Dennoch bin ich traurig darüber, dass sein Erbe nicht in Frankfurt fortgeführt wird. Ich könnte mir ein Forsythearchiv mit ständiger Ausstellung und einem Forschungsprogramm für Choreografen und Künstler vorstellen, das beispielsweise mit der Hochschule für Darstellende Kunst verbunden wäre.

In den kommenden Monaten werde ich meinen Teil tun, indem ich mich intensiv mit der Ausstellung „The Fact of Matter“ im MMK beschäftige. Vielleicht kann ich mit Fotografie und Zeichnungen so einiges für mich festhalten.

Verweigerung

Das zweite Stück „Terror“, nach dem „Zerbrochenen Krug“, wurde weitgehend von denselben Schauspielern bestritten. Beide Texte haben nur Äußerlichkeiten gemeinsam. Die Beschreibungen der zwei Gerichtsverhandlungen sind sehr verschieden. Während Kleist die kleine Gesellschaft eines Dorfes mit ihren Sehnsüchten umschreibt, spitzt von Schirach ein rechtsphilosophisches Problem zu. Am Ende sollten wir Zuschauer elektronisch entscheiden, wie der Angeklagte, der eine vollbesetzte Passagiermaschine abschoss, um ein vollbesetztes Stadion am Boden zu verschonen, schuldig oder frei gesprochen wird. Ich fühlte mich manipuliert und verweigerte die Abstimmung. Das gleiche tat eine ganz kleine Minderheit des Publikums.

Wir waren uns einig, dass „Der Prinz von Homburg“ die bessere Wahl gewesen wäre, um dem „Terror“ zu begegnen. Ob dieses Stück allerdings in seiner Vertracktheit besser auf die Bühne gebracht worden wäre, als die eindimensionale „Krug“ – Inszenierung, bleibt fraglich

Auf dem Heimweg kauften wir uns beim Yok Yok in der Münchner Straße noch eine Flasche Bier. Abertausende Menschen strömten von der zentralen Einheitsfeier dem Bahnhof zu. Träge ließen wir uns von diesem Strom nach Hause spülen.

Weiter, weiter…

Ein verregneter Sonntag. Ich höre das Vergnügen in den Partiten von Bach. Am Abend gehen wir zum neuen Ballett ins Bockenheimer Depot

Kleine Weltgesellschaft | Doppelthaterabend

Beim Spaziergang im Liederbachtal bogen wir in einen Seitenweg, der auf eine wenig begangene Wiese führte. Am Waldrand standen Apfelbäume, unter denen wir in der Sonne saßen.

Am Morgen im Atelier ein Gespräch über ein Stadtwanderungsprojekt mit Flüchtlingsjugendlichen in Kooperation mit dem Architekturmuseum. Ich wollte einen Überblick über die Zusammenhänge meiner Arbeit mit der Besetzung des Tevesgeländes bis hin zur Rezeption all der Arbeit von Bill Forsythe geben. Es sind die Jahrzehnte meiner kulturellen Wanderung.

Die Ateliergang vergrößert sich. Spanische und afrikanische Einflüsse nehmen zu. Eine kleine Weltgesellschaft innerhalb meiner Arbeit. Es ist die logische Fortführung der Wanderungsspurenarbeit.

Feierlichkeiten zur deutschen Einheit. Nach weiteren fünfundzwanzig Jahren werden sich die Perspektiven, mit denen man auf die deutsche Teilung schaut noch einmal stark verschoben haben. Sie wird unwichtiger werden.

Gestern im Schauspiel „Der zerbrochene Krug“ von Kleist als der erste Teil eines Doppelabends, dessen Fortführung „Terror“ heißt. Das ist ein Stück von Ferdinand von Schirach.

Zeitmessung

Zeitig, während die Sonne über den Bahndamm steigt, am Tisch im Atelier. An den Wänden leuchten Farbübergänge. Schattenflackern von wedelnden Blättern. Immer noch hebt der Ostwind den Fugverkehr über mein Dach.

Mit den gegenwärtigen Zeichnungen zeige ich Bewegungen meiner Hand, von den Gegenständen, die unter der Schraffur der Frottagen über die Tischplatte wandern und vom Kreisen der Bleistiftspitze in Gravitationsschwüngen.

Der Wunsch der klassischen Tänzer, zu schweben, geht mit den Träumen der sowjetischen Suprematisten einher, die Städte ohne Schwerkraft zeichneten.

Gestern scannte ich eine Videoszene mit Jone San Martin und David Kern aus „One Flat Thing, Reproduced“. Weil der Scanner die sich bewegende Szene langsam von der einen Seite zur anderen erfasst, werden die Bewegungen von drei Sekunden zu einem Standbild zusammengefasst und somit verzerrt festgehalten. Diesen Effekt gibt es stilisierter auch in meinen Zeichnungen aus den Ballettsälen oder vom Blick aus dem Zugfenster. Es handelt sich also um eine spezielle Wiedergabe von verstreichender Zeit durch das optische Abtasten des Raumes.

Das führt zurück zu den Frottagen der über die Tischplatte wandernden Steine.

Atelier | She She Pop | Frottagen

Atelier, Sonne, Stille.

Das leichte Lamento, die künstlerische Produktivität betreffend, löste sich am Nachmittag auf. Mit einem Graphitstift fertigte ich Frottagen von sich bewegenden Objekten auf Transparentpapierbögen an. Das geschieht in der Weise, dass ich beispielsweise einen Stein auf eine glatte Tischfläche lege und das Transparentpapier darüber. Wenn ich nun schraffiere und den Stein nicht fixiere, bewegt er sich unter der Papierfläche. Die Spuren seiner Wanderung über den Tisch werden mit seiner Oberflächenstruktur auf dem Papier zu sich wiederholenden Mustern. Durch verschiedene Effekte bekommen die Zeichnungen nun etwas Körperliches. Mit feinen Bleistiftgravitationslinien, die von Konzentrationspunkten der Figuren starten und wieder an anderen zurückkehrten, sich verankern, weitete ich die Zeichnungen aus. Mit Tintenpunkten wurden dann die Linienkreuzungen verstärkt. Am Ende fügte ich noch die gerollte Schellackstruktur hinzu.

She She Pop zeigte gestern im Mousonturm eine Performance mit dem Titel „Schubladen“. Darin trafen drei Westfrauen auf drei Ostfrauen. Alle waren in den Siebzigern geboren. Anhand von Erinnerungsstücken wurden die unterschiedlichen Erinnerungen an die Zeiten vor und nach der Wiedervereinigung Deutschlands gegenübergestellt. Sehr direkt und klar, ohne große poetische Anstrengungen gelang ein eher amüsanter Abend, nicht ohne Tiefgang.

Angezogene Handbremse

Der Motor springt nicht an. Ich komme an keine weiterführenden Dinge. Angezogene Handbremse zwingt meine Kreativität in die Knie. Entsprechend geht die Produktion gegen Null. Immerhin eine Tanzzeichnung von 2003 gesellte sich ganz verändert zu einem Blatt von Vorgestern. Ansonsten herrscht Arbeitshemmung.

Die Kapuzinerkresse ist wieder aufgestanden und bildete, nachdem ich sie am Nachmittag gewässert hatte, ein großes Kissen aus beblätterten Ranken und vielen Blüten in Orange und Rot. Das ist immerhin ansehnlich.

Ich spüre, wie die Themen langsam ausbluten. Die Variationen werden entleerter. Einzig, die tägliche Malerei in den Büchern, entwickelt sich unaufhaltsam und wird an manchen Tagen zur Hauptsache.

Am Nachmittag in der Sonne las ich einen recht kurzen Essay über das Propagandagenre der Kosmonautik in der sowjetischen Kunst. Interessant dabei ist der Übergang vom suprematischen Gestus zum sozialistischen Realismus. Dies zeigt die Diskrepanz zwischen dem Künstler und den Auftraggebern.

Neue Dance Company

Nach einem Morgengespräch schon später Vormittag im Atelier. Ich drehe der Sonne den Rücken zu lade mich so auf, um die gestrige Produktion heute Nachmittag zu vervollständigen. Auf die preußischblauen Blätter mit Schelllackinseln darin, zeichnete ich eine Ballettsaalszene in drei verschiedenen Varianten. Dann überrollte ich sie noch mal mit Schelllack. Das fragmentierte sie Szenen wieder so stark, wie ich es mir wünschte.

Gerade las ich ein Interview mit dem neuen Frankfurter Ballettchef Jacopo Godani, der unser Ballett in „Dresden Frankfurt Dance Company“ umbenannte und ausschließlich neue Tänzer beschäftigt. Seine Äußerungen klingen etwas konzeptionslos, aber man muss abwarten, bis wir den ersten Spitzentanz mit Kitscheinlagen erleben durften.

Gleichzeitig erschien in der FAZ eine ganzseitige Ankündigung der großen Forsytheretrospektive im Museum für Moderne Kunst. Frau Gaensheimer zeigt so ihre Ambition, sich zumindest kommentierend in künstlerische Entwicklungen in der Stadt einzumischen. Das kann nur gut sein und hilft meiner Trauerarbeit.

Meine eher mäßige Produktivität widmete ich gestern Vormittag den weltlichen Notwendigkeiten.

Der 3d Drucker steht etwas abseits, weil mich gerade andere Dinge beschäftigen. Vielleicht kann ich heute aber mal eine Filmsequenz auf ein einzelnes Blatt scannend komprimieren.

Überlebenskraftfeld

Es ist, als laufe jetzt am Morgen der Raum des Ateliers von Licht über. Nach einer kalten Nacht, wieder so ein sonniger Morgen.

Keith hat eine neue Platte gemacht. Das hörte ich am Frühstückstisch. Den Zyklus „Der Rock`n`Roll höhlt einen Jungpionier aus“, vielleicht der Anfang der Biografiearbeit, widmete ich ihm 1995 und erinnere unser Treffen aus diesem Anlass.

Die Verbindung zwischen dem naiven Kinderdasein und der Zeit des Zweifels, bildet die Musik. Eitle und überlange Gitarrensoli, Trommelklang im Herzrhythmus, die Bässe im Bauch und der wüste, röhrende, poetische Gesang waren die Begleitung dieses Übergangs. Und natürlich löste das den Wunsch aus, dort hin zu gehen, in den Westen und dazu zu gehören. Später weiter im Westen, in Brasilien, sollte der Trommelklang noch eine andere Dimension erreichen, noch tiefer in den Körper dringen, Schlaf und Hunger überdeckend. Es gibt Zeichnungen, die ich in Salvador auf der Straße gemacht habe, die im Geiste immer verbunden waren mit der dortigen Landlosenbewegung und ihren Quilombos im Hinterland.

Und nun interessiert mich die Spannung der Sambablocks der Straßenkinder in Salvador und deren Überlebenskraftfeld.

Unter den Überflügen, hinter dem Baustellengrummeln und den Güterzügen herrscht eine unwirkliche Montagsstille, hier auf der Inselabgeschiedenheit mitten in der Stadt.

Echo

Auf einem Fest trafen wir gestern den Kurator und Ostasienexperten, der die wunderbare Buddhaausstellung im Museum für Angewandte Kunst gemacht hatte. Ein Indienfahrer, mit dem wir uns einiges zu erzählen hatten. Ansonsten mischten sich Künstler, Kulturschaffende und Kunsttheoretiker, die sich die Weingläser gegenseitig füllten.

Irgendwann musste die Rede auf meinen Pfad im Taunus kommen, den ich seit einem Jahr nicht mehr aufgesucht habe. Die Zerstörungen durch die Forstwirtschaft, aber auch andere Veränderungen führten aus diesem Wald hinaus. Ein erneutes Interesse an solcher Arbeit müsste sich auf ein neues Areal konzentrieren. Vielleicht ist ein Pfad alleine ohne Installationen an seinem Rand der richtigere „Weg“.

Innerhalb der Biografiearbeit taucht ein Echo aus dem Jahr 1976 auf. Es wäre interessant, die Stasiakte aus dieser Zeit einzusehen. Wir reagierten damals auf die Biermannausbürgerung mit unserem verhaltenen studentischen Protest. Das reichte aber dafür aus, dass ich die Pädagogische Hochschule verließ, um mich ganz der Kunst zu widmen. Die Pendelfahrten zwischen Gotha uns Erfurt hörten auf.

Damals allerdings entstand der Gedanke, dieses Land zu verlassen. Dieser Schwenk wäre ein neuer Aspekt der Biografiearbeit.

Hendrix | Fehler | Grappa

Am frühen Abend besuchte ich Franz Konter in seinem Atelier. Zunächst sah ich ihm etwas beim Arbeiten zu, weil er die Musik von Jimi Hendrix so laut hörte, dass er mein Klopfen an der Scheibe nicht gleich mitbekommen hatte. Es war als läge er in seinen Zeichnungen. Wir sprachen dann über Fehler und Dinge, die nicht zusammenpassen. Der Wein floss schnell und unterstützte das erfrischende Gespräch.

Danach Pizza bei Pietro, der dann noch einen Grappa spendierte, und der Abend war noch lang.

In Gegenwart meiner Kunstschüler bereitete ich Blätter für weitere Zeichnungen zum Biografiethema vor. Ich nutzte das abstoßende Verhalten zwischen spiritusbasiertem Schelllack und stark verdünnter preußischblauer Ölfarbe für psychedelische Muster, die sich dann später mit den Tanzzeichnungen aus den Ballettsälen und mit den Gravuren der Kalaharibuschleute verbinden sollen. Neun Blätter sind so entstanden.

Der Oberbürgermeister hat gestern wegen eines Jubiläums auf unserem Gelände, neben meinem Atelier eine lange Rede gehalten. Es ging unter anderem um die vielen Flüchtlingsjugendlichen, die täglich in großer Zahl nach Frankfurt kommen. Wir werden mit ihnen arbeiten. Dabei werden die Unterschiede unserer kulturellen Prägungen deutlich hervortreten. Das kann ein produktiver Ausgangspunkt für die Weiterarbeit sein.

Tanzlinien | Umrisse

Auf dem sonnigen Platz vor meinem Atelier wird ein Fest vorbereitet. Seit dreißig Jahren bilden die Nachbarn, die das Restaurant betreiben, junge Frauen aus. Sie haben also damit begonnen, als ich neu in den Westen gekommen war. Jetzt stellen sie Stehtische auf, haben ein Buffet vorbereitet und erwarten den Oberbürgermeister.

Mit den gestrigen Zeichnungen habe ich umgesetzt, dass ich mir vorgenommen hatte, die Pionierportraits manchmal aus den Liniengefügen herauszuhalten. Dabei korrigierte ich eine Tanzzeichnung aus den Jahr 2003 und stellte sie gemeinsam mit einem Antilopenumriss in ein Format aus preußischblauen Flecken und Schellackverwischungen. Auch bei der zweiten Zeichnung ließ ich die Portraits weg. Die Konzentration auf die Themen der nomadisierenden Buschleute und die Tanzlinien der Forsythecompany, ließ Platz dafür, den Bewegungszusammenhang aufzuzeigen.

Gestern Abend in der Kammerspielen ein Text des Künstlers Hans Op de Beek. Eine Auftragsarbeit für das Schauspiel Frankfurt. Er schuf das Bühnenbild, führte selber Regie und schien keine dramaturgische Beratung bei sich gehabt zu haben. So hatte der Abend seine Längen, nahm erst im zweiten Teil etwas Fahrt auf. Auch die von ihm angefertigte Gestaltung des Programmheftes ließ mich nicht versöhnlicher an den Kollegen denken.

Tanzlinien | Wintergarten

Mein Blick fällt auf die Gesimse über den Atelierrolltoren im Licht der gewellt strukturierten, kleinen Glasscheiben, die von einem Betonraster gefasst sind. In diesem Winter möchte ich sie intensiver als Quartier für meine frostempfindlichen Gartenpflanzen nutzen. Das in den dunklen Monaten tröstliche Grün wird die Lichtfarbe im Raum wieder verändern. Es sind nun noch ein paar warme Tage angekündigt worden, in denen ich die neuen Stellflächen für die Töpfe in Ruhe vorbereiten kann.

Gestern begann ich die Zeichnungen der Biografieserie mit Datum und Signatur zu versehen. Somit systematisiert sich die Arbeit etwas mehr, was bei der Fülle des Materials notwendig wird.

Tanzlinien und das Bild der in den Fels polierten Antilopenfigur aus Twyfelfontein, erschienen plötzlich als ganz zusammengehörig. Die fehlende Qualität mancher Zeichnung, die ich im Ballettsaal gemacht habe, kann ich nun ganz in Ruhe auf Transparentpapier korrigieren. Vielleicht wäre es nun richtig, die Pionierportraits manchmal aus den Liniengefügen herauszuhalten. Die Begegnungen der verschiedenen Welten geschehen auf diese Weise ungestörter und die Räume werden weiter.

Aufräumen heute Vormittag noch, dann Selbstportraitmonologe am späten Nachmittag und morgen Mittag die Invasion der Kunstschüler. Dazwischen Zeichnungen und Musik.

Herbstarbeit

Die Verbindungslinien zwischen den Rasterpunkten eines Jungpionierportraits und dem schwebenden Raumanzug eines sowjetischen Kosmonauten, weisen Schlingen auf, die Aber keine Gravitationsschwünge sind. Ornamental schweben sie im Raum und versorgen beide angeschlossene Systeme gegenseitig. Darunter verfließender Schelllack und das verdünnte Preußischblau des VEB Lacufa.

Auf einem weiteren Blatt der gestrigen Produktion befindet sich eine Tanzzeichnung in Verbindung mit ähnlichen Verwischungen, die nur fleckiger und kräftiger ausgefallen sind. Vielleicht kommt dort noch ein Pionierdoppelportrait hinzu.

Diese zwei Zeichnungen markieren den Beginn der diesjährigen Herbstarbeit.

Lange habe ich mir eine Ausschreibung angesehen, in der es um Stadterforschung etc. geht. Die Zielrichtung ist eine klar soziokulturelle. Ich hatte das deutliche Gefühl, mich nun von einer Erweiterung dieser Arbeitsrichtung fernhalten zu müssen. Die Freitagsinvasion in meinem Atelier reicht mir aus.

Farbige Flecken

Atelier.

Das schlummernde Tier in mir bekommt farbige Flecken. Ein sachte atmender Vorgang, wie bei einem Chamäleon.

Eine Straßenbahnfahrt in die Stadt, ist nach so langer Zeit wieder fremd. Alle Reize befinden sich in einiger Entfernung oder wie hinter einem Gazevorhang. Nichts stört mich. Nach all der Stille in Istrien, spüre ich keinen Widerwillen.

Gehen“ heißt ein mehrtägiger Workshop zu dem ich nach Wolfenbüttel eingeladen bin. Er behandelt Gehen im Zusammenhang mit Choreografie. Es geht wahrscheinlich auch um Wege der geografischen Erkundung.

William Forsythe hat demnächst eine Ausstellungseröffnung im Museum für Moderne Kunst hier in Frankfurt. In der Zeit bis Ende Januar habe ich nun noch einmal die Möglichkeit, seinen Ideen direkt zu begegnen und mich ausführlich mit ihnen zu beschäftigen. Es wird die ausführlichste Ausstellung seines bildkünstlerischen Werkes bisher sein.

Der Herbst ist da. Trüber, kühler Vormittag.

Doch nicht so banal

Frankfurt, Atelier.

Blicke im Halbschatten des großen Ficus, der nur versprengte Kanäle des milden Herbstmorgenlichtes auf meinem kleinen Dreieckstisch durchlässt, der sich für vielerlei kleinere Zeichnungsarbeiten und für das handschriftliche Tagebuch, wegen seines Formates sehr gut eignet, auf leeres Papier. Die staubigen Fenster fangen die Schatten der wild wuchernden Pflanzen draußen, der Birke und des Sommerflieders. In der Zinkwanne vor dem Tor blüht erneut eine Seerose und die Ranken der Kapuzinerkresse bilden ein blühendes Polster zur schauenden Erholung.

Für die Ausstellung „Dinge, die nicht zusammenpassen“ stelle ich mir ein Bündel von Masken vor, die mit unseren Rasterportraits bemalt sind.

Beim zweiten Hinsehen erwiesen sich die Exprimente, die ich vor meiner Abwesenheit anstellte, als doch nicht so banal. Das Durchschauen des bläulichen Blätterstapels zeigt ein erfreuliches Zusammenspiel von verdünnten Ölfarbverwischungen und konkreten Tuschezeichnungen.

Das Gefühl, mich nun noch mal zurückzulehnen, die Weiterarbeit noch ein wenig herauszuzögern, verschafft mir eine produktive Ruhe, auf die ich länger gewartet habe.

Anwesende Farben

Frankfurt, Atelier.

Ich habe mich leicht wieder einrichten können, weil der Raum vor der Reise aufgeräumt worden ist. Die Experimente, die sich während der Abwesenheit verdichtet hatten, erscheinen mir nun eher harmlos. Freilich sind sie nur eine Schicht eines Blattes, das mit Zeichnungen noch bereichert wird. Es bleibt Zeit, das weiter zu treiben.

Ich denke noch mal an die Farben des Chiemsees und an die der Berge in Istrien und in den Alpen, an die Farben der Adria bei Sonnenschein und Sturm.

Hier in Hessen herrscht Regenwetter. Das müsste eine Weile anhalten, wollte es den trockenen Sommer wieder wettmachen. Meinem Gärtchen, das ich gerne wieder sehe, tut das gut.

Morgen werden die Kunstschüler kommen und weitere Termine kündigen sich an. Ansonsten sieht alles ruhig aus. Vinzenz hat sich für November angesagt. Er wird Tutor bei Ai Weiwei und wird auch sonst viel zu erzählen haben.

Alte Ölfarben

Die Beschreibung des Lichtes könnte wie gestern ausfallen. Manchmal kommt ein wenig Wolkenschatten hinzu.

Auf dem Transparentpapier allerdings ist ein Orange hinzugetreten, das kompakt leuchtend durchschienen werden kann. Die Ölfarbentube ist über dreißig Jahre alt und ist in einer Farbfabrik in Nerchau hergestellt worden. Sie gehörte zu einem volkseigenem Betrieb, einem VEB Kalichemie, der wiederum in ein Kombinat integriert war, das den schönen Kürzelnamen „Lacufa“ besaß. Rubens Künstlerölfarben waren die einzigen, die es gab. Ich kaufte sie in einem kleinen Künstlerbedarfsgeschäft hinter der Brühlschen Terrasse.

Die Wiederentdeckung der Ölfarbe ist eine metaphysische Angelegenheit. Sie verweist für mich auf meine malerischen Anfänge, die mit der Lasurmalerei ihren emotionalen Höhepunkt erreichten. Gartenszenen, Flusslandschaften und Blumensträuße im Glas. Später kamen große thematische Zyklen hinzu. Und dann begann das letzte DDR-Jahr für mich, in dem sich ein zeichnerischer Stil ausprägte, der die Malerei in den Hintergrund drängte und mit dem ich weitere Jahrzehnte künstlerischer Produktion bestritt.

Aus der gegenwärtigen Experimentalsituation heraus sind gestern viele Blätter begonnen worden, die nun erst trocknen müssen, bevor ich sie weiteren Arbeitsschritten unterziehe. Auch die Ölfarben eignen sich für die Rolltechnik der Synaptischen Kartierungen. Die Figur einer Felsglättung in Twyfelfontein, die nur bei einem bestimmten Sonnenstand durch Reflektion sichtbar wird, diese Antilope malte und verarbeitete ich in der bewährten Weise durch Zusammenlegen und Übereinanderrollen.

Sparsamkeit

Mittwochmorgen ist das Atelier von Sonnenlicht geflutet. Es trifft auf die vielen Blätter mit den Rollstrukturen aus Preußischblau und dem warmen Schlelllackfluss. Dort wo Terpentin und Spiritus aufeinander treffen, bilden sich Archipele mit Korallenbänken. Mit Ölfarbe gemalte Figuren vervielfältigen sich durch das Zusammenrollen des Papiers, aber auch durch das Übereinanderlegen der verschiedenen Blattareale. Dieses Drehen, Wenden und Zusammenschlagen des Papiers geht auch ohne Faltungen.

Die Materialbeschränkungen, die überall innerhalb meiner Arbeit auftreten, entsprechen einem sparsamen Impuls, der viele Lebensbereiche durchdringt. Einerseits sammle ich viele Dinge und werfe wenig weg. Andererseits gehe ich sparsam mit Ressourcen um. Das macht unabhängiger.

Auch die Idee, die Miniaturformate zu monumentaler Qualität zu verdichten, entspringt diesem Streben. In dieser Weise wird auch die Banalität winziger Fundstücke durch ihre Verarbeitung innerhalb mehrschichtiger Transparentpapiere aufgehoben.

Zwischen meine verschiedenen Kletterpflanzen, von denen ich derzeit Samen zum Aussäen im kommenden Frühjahr sammle, haben sich verschiedene Knöterichranken geschmuggelt. Ich frage mich, ob ich sie dort wuchern lassen soll, damit sie meinem langsam wachsenden Rückzugsbedürfnis einen Schutzraum schaffen.

Preußischblau

Preußischblau ist die erste Farbe, die neben dem bernsteinfarbenen Schelllack auf Transparentpapier vorkommt. Die verdünnte Ölfarbe leuchtet lasierend und intensiv. Somit stellt sie einen Gegenpart zur anhaltenden warmen Farbigkeit der Vergangenheit dar. Die irrige Annahme, dass sich Verdünnung und Spiritus miteinander vermischen lassen, führt nun zu Farbverläufen, die überraschend sind und zu anderen Strukturen zusammenfließen, als sie zwischen Schelllack und Tusche auftraten.

Nach all der Beschränkung erscheint das Blau wie ein Abenteuer. An mehr Farben will ich noch gar nicht denken.

Lindernd wirkt ein feuchter, herbstlicher Luftstrom auf all die aufgeheizten Flächen und Räume. Die Bienen haben ihre Arbeit im Garten eingestellt und mein Rolltor bleibt am Vormittag unten.

Dass ich vor über dreißig Jahren Ostdeutschland den Rücken zugekehrt hatte, war sicherlich nicht nur den vordergründigen politischen Verhältnisse geschuldet. Die nun aus ihren Nischen hervordrängenden xenophobischen Bürgerprotestler repräsentieren einen Typus dumpfdreister, engstirniger und abstoßender Einheimischer, den es schon damals unter der Decke der murrenden Unbescholtenheit gegeben hat. Folgerichtig färbten sich die Folgen des Anschlusses an Westdeutschland und vor allem an seine Währung immer rotbrauner. Ich wollte und könnte dort nicht mehr wohnen.

Anderer Garten | Blüteninstrument

Frankfurt, Atelier. Auf die aufgeheizten Straßen und Landschaften fiel in der Nacht kühler Regen, und nach einem sonnigen Morgen schieben sich wieder Wolkenschichten als Lichtfilter nach Osten.

Die gestrige Gartenbeschreibung könnte ich nun fortführen. In den wuchernden Rucolabüschen flirren Bienenschwärme, schaukeln mit den Blüten, wie mit einem Musikinstrument, das sie gemeinsam spielen. Lichttöne, gelb und sanft klimpernd. Auf kleinere unvorsichtige Insekten lauern darunter Eidechsen, deren Jagd schon manchmal in meine Aufzeichnungen fand. Ein Rabe watschelt über unsere Straße und genießt die sommerliche Ungestörtheit. Er erinnert mich an meine Gesprächsversuche mit seinen Artgenossen in der Frankenallee, über Lichtzeichen von meinem Schreibtisch aus.

Am Morgen wurde ich gefragt, was ich heute tun werde. Ich antwortete unter anderem, dass ich Ölfarbe und Schelllack vermischen will. Die Idee stammt von Vorgestern und wurde noch nicht umgesetzt, weil wir die ganze Zeit unterwegs waren. Nun bin ich gespannt darauf, welche Arbeitschritte sich aus der neuen Farbigkeit der Synaptischen Kartierungen ergeben werden.

Nach einer Reise ist zumeist die Arbeitstagebuchdatei auf den neuesten Stand zu bringen. Das geht mit den Collagen einher, die sich dann in erster Linie auf die täglichen Malereien in den Büchern stützen, die die vorangegangenen Motive langsam überdecken.

Garten in Hamm

Hamm. Die große Fensterfront des Wintergartens wird von Grün der Walnussbäume beherrscht. Licht spielt mit dem im Wind fächelnden Laub. Die wenigen Himmelsdurchblicke sind blass, auch die Farbe der Blätter. Sonnenlichtflecken zwinkern auf den grauen Baumstämmen goldgrün. Ein Eichhörnchen verleiht dem Raum durch sein huschendes Versteckspiel etwas Geheimnisvolles. Nun können Geschichten beginnen, wie die Sommerpahantasien der Impressionisten, wie die Orchesterwerke, die die griechischen Mythologien in schwingende Atmosphären ummünzen. Pfauen könnten nun auftreten, Götter und Quellnymphen. Sie wandeln, flüchten, erstarren und lösen sich auf. Alles fügt sich in ein Bild der Gleichzeitigkeit. Amseln nehmen einen Goldton an und über den Baumkronen schwebt noch das Echo der Mauerseglerschwünge.

Aber Ihre Choreografien haben sie schon längst wieder in den Süden geführt. Zwei sah ich noch in Frankfurt. Nachzügler, die sich mit den Schwärmen der Schwalben, in der Hoffnung auf eine spätere gemeinsame Reise, zusammenfinden.

Ein Sommerfeuer am Abend im Garten. Grillnaschwerk die ganze Zeit hindurch. Was für Gastgeber! Später rückten wir das Feuer näher an die Bänke heran und fanden in die Geschichten der Nacht.

Auf dem Boden des Esszimmers steht ein Wechselrahmen mit einer Zeichnung von mir. Sie hat den Gestus der Achtzigerjahre, beruft sich auf den Deutschen Expressionismus. Ein schönes, kraftvolles Blatt.

Verlangsamung

Die Biografiearbeit hat sich verlangsamt. Zu glatt entstehen aus dem System immer neue Blätter. Sie beginnen mich zu langweilen. Die Mittel sind zu gleich – etwas fehlt. Die Motive wiederholen sich, was ja Absicht ist. Sie gruppieren sich immer neu zueinander. Gestern entstand ein Blatt mit einer namibischen Felsgravur, deren abstrakte Form am ehesten einem stilisierten Weltraummodul ähnlich sieht, einer figürlichen Tanzzeichnung, einem Stück Raumanzug und zwei lockeren Pionierportraits.

Am Morgen dachte ich daran, Ölfarben mit ganz hellem Schellack zu verdünnen und mit diesem Material neue Synaptische Kartierungen anzufertigen, die die anhaltende ermüdende Bernsteinfarbigkeit bereichern. Die Ölfarben wieder heraus zu holen, ist ein spannender Vorgang.

Das gestern vermisste Buch habe ich wieder gefunden. Dort wird die Lehrergeneration Richter, Polke, Immendorff mit den Jungen Wilden, ihren Schülern also, gemeinsam behandelt. Im Untertitel heißt das Buch: „deutsche malerei der gegenwart“ und es ist 1982 erschienen.

Ich erinnere mich an die Beeinflussungen durch diese Wilde Malerei. Sie ist auch noch gut in den aufgehobenen Arbeiten sichtbar.

Schale Achtziger

Von der etwa 300 Meter entfernten Baustelle schallen Klopfgeräusche herüber, Flugzeuge starten übers Atelier, Kletterpflanzen winden sich mittlerweile ins Leere, ein Glas Wasser steht auf dem Tisch, Sonne wärmt und Insekten tummeln sich auf den gelben Blüten der Rucolabüsche.

Ich kann ein Buch über die Malerei der Achtzigerjahre in Deutschland nicht finden. Es hieß „Hunger nach Bildern“. Das ist ein etwas irreführender Titel, meine ich mittlerweile. Im Städel sahen wir gestern eine Ausstellung mit Werken aus dieser Zeit. Wenige erreichten mich, viele ließen mich kalt. Schon heute muss ich mich um Erinnerung bemühen. Manche malerische Gesten wirken heute mit ihrem banalen Sendungsbewusstsein etwas lächerlich. Das Revolutionäre war schnell abgenutzt und schien eher aufgewärmt.

Die Zusammenkunft der Tevesgemeinschaft war eine angenehme Sache. Vor den Fenstern regnete es beruhigend, und wir gerieten manchmal in ein etwas schwärmerisches Brainstorming über Glaskuben, mit denen wir die verrottende Bausubstanz umgeben wollen, Schicht für Schicht entstehen dann Ablagerungen durch Laub, Müll und Schimmel. Ich finde, dass solche etwas abgehobenen und freien Ideen aufhebenswert sind, denn das Gelände hat, wenn es nach dem Willen des Planungsamtes geht, noch eine lange Zukunft vor sich.

Schriftrichtung

Die „Mitschrift“ der Zugfensterlandschaften habe ich auf einem der Kosmonautikblätter so gewendet. Dass sie sich ab der Mitte der Zeile spiegelschriftlich mit dem Anfang der Zeile zurücklaufend überlagert. In welche Richtungen laufen Schrift und Zeit? In diesem Zusammenhang erweitert sich das frühsowjetische Avantgardebestreben und taucht in einen allgemeingeschichtlichen Zusammenhang ein.

Gerne würde ich mir in diesem Zug noch mal die Relieferzählungen der altägyptischen Gräber vornehmen, um zu schauen, wie dort mit zeitlicher Abfolge umgegangen wird. Wo existieren Gleichzeitigkeiten?

An einigen der letzten Blätter arbeitete ich parallel. Die Entscheidungen, wann die Blätter fertig sind, werden dabei immer wichtiger.

Im Kino gestern ein Film über Amy Winehouse. Eine Lebensgeschichte erzählt, mit dem frühen Tod im Gepäck. In Brügge sah ich kürzlich eine Maria mit Kind, die einen solchen todesgewissen und zuvor trauernden Blick hat. Die Aneinanderreihung des Filmmaterials dagegen, war oft ermüdend. Auf Dauer schwer erträglich bleibt die Wackelvideoästhetik auf großer Kinoleinwand. Deswegen hatte ich manchmal den Impuls, hinaus zu gehen.

Rettungswunder

Eine mittelalterliche Mosesfigur, die mit einem Stab das Rote Meer teilt und die Ansicht der Rettungskapsel der Raumstation ISS, fanden sich gestern als Umrisszeichnungen auf einem Blatt zusammen, auf das ich vorgestern ein Stück der „Mitschrift“ der am Zugfenster vorbeiziehenden Landschaft und eine verwischende Synaptische Kartierung zeichnete.

Die Teilung des Roten Meeres war eine Rettungswundertat. Das Pharaonenheer, das das jüdische Volk verfolgte, wurde von dem sich wieder schießenden Schilfmeer ertränkt. Die Rettung wurde von den Frauen mit einem Trommellied gefeiert.

Weltraumtrümmer sind eine stetige Bedrohung, für eine Raumstation. Die Module können so beschädigt werden, dass sie unbewohnbar werden und verlassen werden müssen. Der Blick aus ihren Fenstern ist also nicht nur auf die Erde und die anderen Gestirne gerichtet, sondern auch auf diese Rettungskapsel. Sie verweist auf den Stab des Moses, der das Rote Meer teilt, der den göttlichen Willen verwirklichend auch Wasser aus dem Felsen springen lässt, um Moses vor dem Zorn des dürstenden, ängstlichen und murrenden Volkes zu bewahren, die Idee Gottes somit zu retten.

Juri Gagarin hat von seiner Kapsel aus keinen Gott gesehen. Er war aber der erste Mensch, der den Blauen Planeten aus der Ferne sah und bald einen Personenkult um sich zuließ, der Religionsersatz für das Sowjetvolk zu sein schien.

Zeichnungen entstehen zu diesen Themen und alltägliche Fundstücke werden auf diese Weise zusammengefügt.

Aufgeweckt

Viele verschiedene Geschichten beeinflussen mein tägliches Arbeiten. Manchmal sind sie unterschwellig und sehr alt. Sie wirken eher im Verborgenen, sind oft mythologisiert und gehören zeitlich ferner Geschichte an. Je wichtiger solche Ereignisse oder Mythologien für eine Standortbestimmung in späteren Zeiten waren, umso sorgfältiger sind sie aufgehoben worden.

Solche Prozesse sind mir in meinem Arbeitsalltag nicht fern. Nun aber bin ich abermals durch einen Text von Jan Assmann aufgeweckt worden. Es geht um Moses und den Exodus als Revolution der alten Welt. Er betrifft mein „System“ scheinbar direkt, bestätigt und erweitert es.

Voraussetzungen, dass dieses Buch bei mir auf so fruchtbaren Boden fällt, sind drei andere Werke von ihm, die mit kulturellem Gedächtnis, mit der Mosaischen Unterscheidung und mit Moses dem Ägypter zutun haben. Sie begleiten mich seit vielen Jahren und unterstützen meine Arbeit durch Impulse, die nicht leicht zu erklären sind. Ich las gestern und unterbrach die Lektüre immer wieder, um schnell etwas zu zeichnen. Solche Bücher regen mich direkt zur Produktion an.

So nahm ich mir ein paar Blätter, zeichnete Varianten der vorübergleitenden Landschaft im Zugfenster und versah sie, noch feucht, mit Schelllackschwemmen der Synaptischen Kartierungen, die sie leicht verwischten. Es gesellten sich in schneller Arbeitsweise Ballettsaalgravitationen hinzu. Die Blätter hängen nun trocknend vor den Regalen und warten auf die Weiterarbeit, auf neue Schichten.

Kapseln

Der Tisch liegt voller Zeichenutensilien und Blätter, die Aquarellstifte etwas verstreut, Federhalter, offene Tuschegläser und weiche, saugfähige Tücher, an denen ich die Tuschefedern abstreife. Mittendrin ein Reiseplanflyer vom IC 2253, der alle Stationen, Ankunftszeiten und Anschlüsse zwischen Frankfurt am Main und dem Ostseebad Binz auflistet.

Mit einer kleinen Zeichnung versuchte ich den mitreisenden Kunstschülern zu demonstrieren, wie ich die vorüber fliegenden Landschaften mit einer Linie festhalten kann. Diese Linie habe ich nun mit Tinte auf Transparentpapier übertragen, will sie nun vergrößern und schauen, was ich noch damit anfangen kann. Zunächst sitzt sie schon mal durchscheinend in der heutigen Collage oben.

Mir geht nach wie vor die sowjetische Weltraumarchitektur durch den Kopf. Die fotografischen Aufnahmen der engen Wohnstätten der Weltraumkapseln, zeigen etwas abgewohnte Schachteln, in denen es weder Oben noch Unten gibt. Alle Seiten sind gleich. Es wäre also egal, wie herum ich sie auf Transparentpapier darstelle. Meine Zeichnungen haben zumeist unten einen Schwerpunkt. Würde sich das in der Schwerelosigkeit des Alls ändern?

In meiner Atelierkapsel herrscht die Stille der Eremitenhöhle. Das Rolltor ist wegen der niedrigen Außentemperatur zu. Die Nachbarn sind nicht da, keine Restaurantküchenlüftung, keine laut lachenden Telefonate, kein Theater, kein Boxkampftraining. Ruhe fährt fort.

Ballettsaalgravitation

Ein schnell mit Pinsel und Tusche hingeworfenes Rasterportrait gesellt sich nun, nach weiteren Fragestellungen, zum steifen Mosaikumriss Juri Gagarins und zu den Ballettsaalgravitationen.

Vielleicht ist es ganz gut, dass ich mit der Fertigstellung des großen Bildes noch nicht begonnen habe, denn jetzt kommt mir der Zugriff auf die Felsgravuren, in diesem Zusammenhang, etwas zu kurz vor.

Für den Herbst habe ich mich bei einem Workshop angemeldet, in dem es im Mousonturm um Tanz und Künstlerkollektivbildung geht. Mal sehn, was ich tun kann, wenn ich dort als Zeichner teilnehme. Was derzeit an Bewegung innerhalb der täglichen Malereien passiert, stimmt mich ganz optimistisch, was diese Zusammenhänge angeht.

In der Nacht hat der lang ersehnte Regen eingesetzt, der nun schon bis Mittag anhält und auch noch eine Weile so langsam vor sich hin rieseln soll. Ich atme tief durch und genieße das Wasser auf meiner Haut. Vielleicht kann es den Boden bis zu einer gewissen Tiefe durchtränken.

Ein Oboenkonzert von Bach versetzt mich in eine sonntägliche Stimmung hier im Atelier. Ruhe setzt ein.

Ich stelle hier die Fragen

Mythologisierungen der ruhmreichen Sowjetunion, Valentina Tereschkowa, die erste Frau im All – nun ihr zerstörtes Gesicht, Mosaiken im Sternenstädtchen, Schönfärbereien, Episoden die sich in die Erinnerungen an die Jungpionierzeit eingegraben haben. Auch die Embleme auf den Raumanzügen, die Linienführungen der Architekturzeichnungen, alles ist eingebrannt.

Die Zentrifuge, die die Fliehkräfte beim Start in den „Kosmos“ und beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre simuliert, kann sich in vielen verschiedenen Achsen drehen, die Körper martern.

Währen ich das schreibe, beobachte ich die Jagd der Eidechsen. Nach einer leichten Abkühlung scheinen auch sie bewegungsfreudiger geworden zu sein. In der Nacht hat es etwas geregnet und neuer Regen ist angesagt. An den Glaube ich aber erst, wenn ich ihn sehen, hören und fühlen kann.

Überraschend schnell war ich gestern mit der Antragsarbeit fertig, wodurch ich Zeit zum Zeichnen gewonnen hatte. Aufzeichnungen von Gravitationslinien aus dem Ballettsaal, Schelllackverwischungen und Mosaikstrukturen aus dem Sternenstädtchen: Sozialistisch – realistischer Zuckerguss. Dazu kommen Felsgravuren und Rasterportraits.

Ich stelle hier die Fragen!

Staubige Apologesen

Der Staub der Entwürfe für das sowjetische Raumfahrtprogramm legt sich in der Hitze dieses Sommers auf die feuchte Haut, verklebt die Poren und hindert den Organismus daran, richtig frei durchzuatmen. Wenn ich mit den Versatzstücken dieser Zeit in meinem Biografieprojekt arbeite, spürt mein Körper außerdem einen Impuls zum Rückzug seiner Funktionen auf das Notwendigste. Ich kann auch mit ganz wenig in einem ganz kleinen Raum existieren – Affekt des Einsiedlers, des Kosmonauten.

An irgendeiner Stelle aber trifft die apologetische Ingenieurskunst auch auf das andere Ende des Spektrums, nämlich auf die Verherrlichung der Werbeästhetik bei Doug Aitken. Die Rückhaltlosigkeit dieser Apologesen zweier Zeitgeister ohne den leisesten Hauch eines Zweifels, die reine Feier der reinen Überzeugung, das haben diese Gebrauchskunstwerke gemeinsam.

Während der Konzeptarbeit am Biografieprojekt hatte ich einen Text von achttausend auf zweitausend Zeichen zu kürzen. Das tat ich mit unterwegs zunehmender Lust. Bin allgemein weiter gekommen als ich dachte.

Jetzt am Morgen kommt ab und zu ein kühles Lüftchen durch das geöffnete Rolltor. Manchmal kommen aber auch die Meisen herein und bringen mir meine sensible Ordnung etwas durcheinander. Großen Gefallen finden sie an meiner Insektensammlung die ihnen als Nahrung dient. Aber sie werfen auch Skulpturen von den Gesimsen oder schauen in der Küche nach Abfällen. Das Gesträuch draußen mit seinen diversen kleinen Wasserstellen dient ihnen als Bad.

Schlagsahne

Noch mal zu schöne Bilder gestern in der Schirn bei Doug Aitken. Wir haben uns die restlichen zwei Videos angesehen, die wir bei unserem letzten Besuch der Ausstellung ausgelassen hatten. Danach trieb uns der Wunsch zu verdichten ins Metropol. Es war so viel schöner Schaum unterwegs, so viel Schlagsahne, dass ich erstmal zwei Biertrinken musste, um wieder normal schmecken zu können. Bei aller Überhöhung der Werbeästhetik, fehlt es an Dramaturgie, an Schärfe und Gegensatz, um eine kritische Haltung dem Verkaufshandwerk gegenüber zu zeigen. Wenn das aber gar nicht die Intention ist, hat das Ganze nichts mit mir zutun.

Tagsüber entstand wie nebenher etwas, das sich nun innerhalb meiner Biografietransparente weiter etablieren kann. Ich zeichnete einen Mosaikumriss des Kopfes von Juri Gagarin auf ein Blatt mit Ballettgesten und einer Synaptischen Kartierung. Ich versuche mit den abstrakten und sozialistisch-realistischen Strukturen den vielschichtigen Rückblick. Die Wirkung der Bilder spricht für diesen simplen Akt. Dank der Ausstellung über sowjetische Weltraumarchitektur im DAM, kann ich nun diese Elemente weiter in meine Biografiereihe einfügen.

Gestern begann ich den Förderantrag für kommendes Jahr zu organisieren. Formulare ausfüllen, Kooperationspartner finden und herunter gebrochene Formulierung des Biografiethemas suchen, das sind die Aufgaben.

Wind | Vibration | Wut

Kurz nach dem Erwachen zog ich das Rolltor herauf und öffnete die kleine Seitentür, die nach Westen hinausgeht. Durch die Luftbewegung setzte etwas Linderung ein.

Die Füße in kaltem Wasser saß ich am Abend im Korbsessel. Den ganzen Tag brachte ich barfuss auf dem warmen Beton zu. Draußen wird er so heiß, dass es schmerzt, ihn zu betreten.

In meinem Birkenbaum wohnt eine Grille. Ihr Gesang gleicht dem Aufziehen einer Armbanduhr. Zeit zwischen Daumen und Zeigefinger, bis man die Spannung der Feder merkt, die das mechanische Räderwerk in Gang hält. Fehlt es an Fingerspitzengefühl, kann es passieren, dass die Feder bricht

Wind kam auf. Als sei er der Strom der Zeit, unterbrach er schnell das Konzert.

Jetzt donnern die Flüche der startenden Maschinen, die sich aus Wut in die Luft erheben, setzt das Geräusch der Restaurantküchenlüftung ein und das Vibrieren der Wespen, die ihren Teil abhaben wollen.

Ich patrouilliere an den Tomatenpflanzen entlang, damit ich eine reife ergattern kann. Konzentriertes Zeichnen am Morgen.

Ruhe floh

Die Nacharbeit des Arbeitstagebuches stand nach der Reise an. Die Malereien waren ein paar Tage wilder geworden, ausufernde Farbigkeit, grobe Schwünge und Gesten, soweit es die kleinen Formate zulassen. Die Ruhe floh aus ihnen. Manchmal haben sie aber die Kraft zur Monumentalität behalten.

Heute und in den nächsten Tagen geht es noch mal um die Konzeption des Biografieprojektes. Neue Mittel müssen beantragt werden. Dazu ein Termin heute im Museum.

Immer wieder gehen mir Möglichkeiten durch den Kopf, die Technik der Miniaturen aus den Büchern auf andere Materialien und Formate zu übertragen. Nach den lang anhaltenden Beschränkungen auf die Bücher, sollte ich nun mal loslassen und mich etwas befreien. Ich weiß nun, was ich das im kleinen Format bewerkstelligen kann, dass ich mich beschränken kann.

Soeben ist der Lüfter unseres Restaurants angegangen. Er ist nicht sehr laut, bildet aber einen Teil des Klangteppichs bis in den Nachmittag hinein. Wenn er dann abgeschaltet wird, ist das immer eine Erlösung.

Tropisches Wachstum

Atelier. Frankfurt.

Auf unserer Rückfahrt besichtigten wir den alten und verunstalteten Aachener Dom. Wieder Touristenmassen, verzückt vor den alles verschlingenden Mosaiken, den Ornamenten und Marmorverblendungen. Von der Architektur bleibt kaum was übrig, nichts von ihrer funktionalen Großartigkeit. Gegenwartsgeschmäcker geschichtslosen Geistes überdecken Vieles.

Manchmal musste ich an die Gestaltung von griechischen Villenvorgärten auf dem Land denken.

Ganz anders hingegen, die noch vorhandenen Freskenreste im Altarraum. Die Lichterscheinungen der riesigen bleiverglasten Fenster stammen aus den Fünfzigerjahren.

Nach dem nächtlichen Gewitter wechselt jetzt am Morgen das Licht im Atelier schnell, weil noch hohe Quellwolken vorübertreiben. Manchmal bringen sie kleine lindernde Regenschauer. In der tropischen Luft scheinen die Eidechsen ausgeflogen zu sein und die Kletterpflanzen verknoten sich dort, wo es keine himmelwärts strebenden Stäbe mehr gibt.

Niemandsland

Brügge.

Alle Tage waren strahlend blau, wie die letzten Wochen zu Hause. Ich suche den Schatten und sehne mich nach Wolken. Die Strahlen werden zur Last, brennen in den Augen und auf der Haut. Aber sie schaffen auch das Licht, das Architekturlinien schärft und auf den Malereien der flämischen Meister zu sehen ist.

Die alte Innenstadt ist zu Fuß gut zu erkunden. Sie ist von einem Kreiskanal und Wällen, auf denen Windmühlen stehen, umgeben. Fotografierende Menschenmassenkolonnen schieben sich auf den Hauptachsen eng voran und machen jeden sonstigen Verkehr unmöglich. Tritt man aber zwei Schritte in eine Seitengasse verhallt der Lärm schnell. Es ist als verharrten die Einheimischen, besonders in der Nähe des Gebrülls, hinter ihren Backsteinmauern. Ein menschenleeres Niemandsland beginnt, das erst wieder langsam in beträchtlicher Entfernung belebt wird. Diesmal sind es die Bewohner, die sich durch Gepflegtheit und Stil von den Touristen zu unterscheiden suchen. Bei der weniger geschmackssicheren Jugend führt das leicht zu etwas Übertreibung und in der Folge zu Schnöseligkeit.

Nach so vielen Bildern ist eine anderthalbstündige Siesta fällig, nach der man noch mal den Abend beim Bummel und Essen genießen kann. Auch das Essen wäre ein eigenes Thema…

In den Bilderlandschaften

Brügge.

Eine Kunsttriennale beschäftigt sich hier mit der Frage, was nötig wäre, wenn alle Gäste der Stadt blieben. Millionen kommen jährlich.

Auf einem der Kanäle entstand so ein temporäres Freibad aus mit Brettern belegten Schwimmpontons.

Auf ihnen sitzend stellten wir uns vor, wie es geklungen haben mag, als die Stadt im Siebzehnten Jahrhundert so schnell wuchs. Die gebrannten Ziegel für die teilweise pittoresken Häuser wurden sicherlich mit segelnden oder getreidelten Lastkähnen herangefahren und mit Ochsenkarren weiter verteilt. Holzkräne waren in Betrieb, Pferdekutschen waren unterwegs.

Überall sind die schönen Stadtlandschaften der Niederländer erkennbar, für die wir heute einen ganzen Tag zur Verfügung haben. Außerdem werden wir uns die hiesige Sammlung Alter Meister anschauen.

Ein Thema für sich sind die Schornsteinabdeckungen, die einfach aber Kunstvoll gestaltet wurden.

Fädeln

Muschelsand an einem Strand westlich von Zeebrugge. Die dichte Besiedlung scheint sich hier auf der Nordsee fortzusetzen. Vor dem Offshorewindpark auf dem Horizont treiben riesige Containerschiffe hin und her. Dazwischen andere Schiffe und Boote, schließlich die Segler, die nur zum Vergnügen die Wasserfläche benutzen. Uns es dauert keine zwei Minuten, dass ich beginne Bruchstücke, die den Stand ausmachen, also solche mit Löchern, aufzufädeln.

Wir haben festgestellt, dass es in der Stadt Brügge Lichterscheinungen gibt. Außer dem neuen Flugkörper am Himmel, der auch dort zu sehen war, werden die doppelwandigen bleigefassten Fenster auf eine besondere Weise durchschienen. Die durch mehrere glückliche geschichtliche Zufälle konservierte Stadtstruktur hat zur Folge, dass man in den Bildern flämischer und niederländischer Meister zu gehen scheint.

In der Gegend, in der die Erfindungen und der Genuss von Biersorten identitätsstiftend zu sein scheint, war es zunächst nicht so einfach, eine Kneipe zu finden, in der man diesem Genuss frönen konnte. Am Abend aber erkannten wir den Wirt unserer Wahl, der uns dazu noch einen reichlichen Eintopf servierte.

Langer Tag – zeitiger Schlaf.

Zeitlücke

Auf dem Esstisch in der Frankenallee steht ein Hochzeitsgeschenk, eine schöne Keramikschale voller Obst. Rechts an der Wand hängen Fische, indische Malereien aus Madurai. Links geht der Blick auf die Allee, vor der ich Jahrzehnte lang über das tägliche Hin und Her der Menschen, Schatten und das jährliche Farbenspiel der Bäume Tagebuch schrieb.

Nun berichte ich vor dem weiten, bewohnten Himmel auf Teves, verbunden mit meinem Gärtchen und nahe meiner Arbeit.

Gestern auf dem Südbalkon sah ich abermals eine gleichmäßig von West nach Ost ziehende Lichterscheinung. Es scheint sich um einen Aufklärungsflugkörper zu handeln, der in geringerer Höhe als die Satelliten die Erde umkreist.

Die fehlerhafte Montage zweier Teile an der Vorderachse unseres kleinen grünen Autochens und die damit verbundenen brutalen Geräusche, verhinderten die frühzeitige Abfahrt nach Brügge, wie wir sie uns vorgenommen hatten.

Schrieb ich erst am Abend, nach der Ankunft, als jetzt am Morgen in der überraschend aufgetanen Zeitlücke, wäre der Eintrag anders ausgefallen.

Druckfehler

Bachradio.org. Das ausschließliche Senden von musikalisch einheitlichem Material geht mit der kontinuierlichen Regelmäßigkeit der Tagebucheinträge und ihren Miniaturmalereien einher. Der Empfang dieses Zusammenspiels ist wie der von Morgenkaffee, von frischer Atemluft, wenn ich das Rolltor hochziehe oder von einem Glas Wasser.

Am Rechner entstand gestern eine sehr spontane Skulptur. Eine Fläche warf ich durch schnelles Durchschlagen zu einer Landschaft aus schmalen Platten und Schluchten auf. Bei solchen gestisch flotten Experimenten, entstehen Gebilde, die an die konstruktivistischen Kompositionen der frühen Sowjetzeit erinnern. Auf diesem Wege verbinden sie sich mit meinem Biografieprojekt.

Beim Ausdruck dieser schnell hingeworfenen Struktur, stellte der Drucker ein feines Gewebe her, Das sich wie ein Spinnennetz zwischen die Platten legte. Diese durchscheinenden Fäden, die eigentlich einen Druckfehler darstellen, erscheinen bei einem bestimmten Lichteinfall wie die Verbindungsröhren einer Raumstation. Somit hat der fehlerhafte Druckvorgang eine monumentalisierende Wirkung. Gleichzeitig verbinden sich diese Strukturen mit denen der täglichen Miniaturen, aber auch mit den Umwandlungen der Tanzzeichnungen durch die Kombination mit Fundstücken, Synaptischen Kartierungen und GPS-Aufzeichnungen.

Mir scheint, als sollte ich mehr Wert auf die Dokumentation der Konstruktionszeichnungen legen, die die spontanen skulpturalen Gesten der virtuellen Arbeit festhält. Denkbar wäre eine Serie, die dem Biografieprojekt gewidmet ist. Und vielleicht sind die Datensätze wichtiger als die Ausdrucke.

Ballettzeichnungen benutzen

Fast nebenher sind gestern neue Zeichnungen entstanden. Nach der Hitze hatte ich eine Siesta gemacht und nahm mir danach die Ballettzeichnungen von der Forsythecompany vor und schnitt ein paar Transparentpapierformate.

Es gibt ja auch viele solcher Zeichnungen aus Heidelberg aus den Neunzigerjahren. Mit denen habe ich allerdings heute nur noch wenig zutun. Sie zu benutzen, würde eine noch größere Veränderungsarbeit nach sich ziehen.

Ich nahm also einzelne Elemente der Linienführungen, abstrahierte sie nochmals und fügte sie neu zusammen. Bei einem Blatt riss beim Auseinanderrollen eine Querspur heraus. Dieses Blatt verklebte ich mit einem weiteren zu zwei Schichten und werde daran noch weiter arbeiten.

Jedenfalls war dieser Nachmittag überraschend produktiv.

Vor einer kleinen Reise werde ich nun mit dem Malereien, die ich mir vorgenommen habe, nicht mehr beginnen. Stattdessen ist noch ein wenig Einkauf und Organisation zu erledigen.

Relief | Spaziergang | Malerei

Auf einem Wappenrelief neben dem Eingangstor des Klosters Gerode posiert ein Drachentöter, sicherlich ein heiliger Georg mit einem sehr menschlichen Untier, das erschrocken aus der Szenerie schaut. Ein Gegenstand, der nähere Untersuchung lohnt.

Gleich am Morgen stellte ich den Rasensprenger an, um die wenigen Tautropfen auf der Wiese zu vermehren. Sie besteht aus Wegerich, Kräutern, Blumen und nicht sehr viel Gras, eher Pionierpflanzen, die nun an Größe gewinnen, seit ich das Stück wässere.

Unter dem Olivenbaum in meinem Garten sitzt wippend ein Rotschwänzchen, auf der Suche nach seinem Frühstück. Die Eidechsen scheinen teilweise abgewandert zu sein. Ihre Reviere wurden zu eng. Die Jungen dieses Jahres sind aber noch da.

Sonntagsspaziergang auf der Mainzer Landstraße gestern. Zwischen lauter Serben an kleinen Tischen ein Kaffee. Dann Kriegkstraße und auf der Lahnstraße langsam zurück.

Gestern dachte ich daran, die Art der Malereien aus den Büchern auf andere Formate zu überführen. Auf grundierte Filzpappe mit Acrylfarben, Schelllack und Tusche.

Der Büßer als Eremit

Ein ruhiger August kann nun kommen. Die Kunstschule pausiert. Nur Paulo kommt vielleicht ab und zu vorbei.

Gestern waren alle, gemeinsam mit Alexander, noch mal da und wir zeichneten, arbeiteten mit Pappmache und grillten. Die Berlinreise wurde rekapituliert, sowohl mit Zeichnungen als auch beim Erinnern am Mittagstisch.

Wieder entdecke ich neue Dinge bei den täglichen Malereien. Die Beendigung des großen Bildes liegt mir etwas auf der Seele.

Über weite Strecken bin ich am Wochenende alleine. Das will ich genießen, nach der Übermacht der Jugend.

Ich erinnere mich an den Winter. Weihnachten und die Tage bis Neujahr alleine hier auf Teves, kaum draußen. Der Büßer als Eremit. Einsamkeit als Läuterung. Ein paar Telefonate nur. Eine kalte Zeit.

Türme und Kuppeln

Frankfurt, Atelier.

Gestern bin ich am Morgen noch mal mit Anne zur Baustelle des unsäglichen Schlosses gegangen. In seinem Rohbau hat das Ganze etwas klotzig-gegenwärtiges. Die absolutistische Geste des Herrschers wirkt in dieser Weise gebrochen. Leider wird nun aber alles verklinkert und sahnig zugegossen. Diese Form kann keinen humanistischen Gedanken aufnehmen und sich als Humboldtforum verkleiden.

Anne kennt alle Schleichwege und Oasen im Gedröhn der touristengesättigten Innenstadt. Man kann so sehr gut mit ihr in der Stadt unterwegs sein.

Nach der Heimfahrt setzte ich mich ins Cafe an der Quäkerwiese, kam etwas runter vom Gedröhn des Zuges und den am Fenster vorüber gleitenden Landschaften.

Nun erwartet mich mein Atelier als ein mit neuen Ideen angefüllter Aktionsraum. Das große Bild steht da und fordert auf, es fertig zu machen. Das Tagebuch muss nachgearbeitet werden. Seine verschlungenen Malereien werde ich, wie immer seit fünfzehn Jahren, scannen und mit anderen Dingen zu Collagen zusammenführen.

Wie immer.

Geschichten

Berlin.

Anne und ich haben in Neukölln bei ein paar Drinks von einem Terrassenrestaurant auf die Stadt geschaut. Während Türme, die aus der Häuserebene heraustreten Orientierung verschafften, sank die Sonne.

Die Halbkugel des vergleichsweise kleinen Kuppelgerippes des Neubaus des alten Schlosses gesellt sich nun zu all den anderen Kirchen, Rathäusern und dem alles überragenden Fernsehturm mit seinem Kugelufo, einem christlichen Missionsfahrzeug, das sein Kreuz immer der Sonne zuwendet, wie die Sonnenblumen ihre schweren Blüten.

Alle Türme und sichtbaren Orte verbinden sich bei Anne mit Geschichten, denn sie ist Stadtführerin. Am Vormittag geleitete sie uns durch eine interessante Neuköllner Stadtsituation, die einerseits sehr vom Mauerbau geprägt ist, andererseits ein Bermudadreieck von gescheiterten Bauprojekten bildet. Dazu gehören ein Kanal, eine U-Bahnstation und ein Autobahnkreuz. Die vielen Geschichten, die sie zu den vielen Plätzen parat hat, bevölkern nun die Hirne unserer zehn Kunstschüler. Sehr engangiert hielt sie die jungen Menschen bei der Stange. Nach einem Essen in einem indischen Restaurant bummelten wir noch den ganzen Nachmittag gemeinsam durch die Stadt.

Am Abend las mir Anne eine eigene sehr amüsante Geschichte vor, bei der ich an verschiedenen stallen selber entscheiden konnte, wie sie weitergehen soll.

Berlin

Berlin.

Die Katzen räkeln sich wo immer es geht und interessieren sich für den Inhalt meiner Aktentasche, die auf den bernsteinfarbenen Dielen liegt. Schon öfter habe ich in diesen Räumen geschrieben und gezeichnet.

In der UdK trafen wir Vinzenz, der uns eine Führung gemacht hat. Die Kunstschüler haben gelernt, wie es in etwa bei so einem Kunststudium zugeht. Sie verstanden, wie viele Fächer dort studiert werden können und warum sich deswegen die Einrichtung Universität nennen darf. Vinzenz berichtete Von seiner Arbeit und sagte, welchen Inhalt sie hat, berichtete von der Situation bei Ai Wei Wei, der demnächst dort eine Professur antreten wird.

Danach mit Vinzenz alleine in der Kantine. Ein wenig konnten wir voneinander erzählen und uns gegenseitig fragen. Ich würde gerne noch mal einen ruhigeren Besuch machen, mehr Zeit haben für uns zusammen.

Mit der Anne ein Abend bei ihr zu Hause.

Vor Mitternacht ins Bett.

Grenzübertritt

Die alte Eisenbahnstrecke nach Berlin. Ich erkenne die Stelle auf dem Bahnsteig von Herleshausen, auf der ich vor gut dreißig Jahren erstmalig westlichen Boden nach dem Bau der Mauer betreten habe. Fünfjährig saß Anne damals mit in diesem Waggon. Sie bemerkte, dass man die Grenze daran erkennt, dass die Häuser plötzlich weiß sind.

Auf ihrer Gardine in jetzt in Neukölln zeichnet sich wellig und etwas verschroben der Umriss einer Katze nach. Es ist, als würde sie Menschenbewegungen nachmachen, um mich zu lenken:

Mach doch mal die Balkontür für mich auf!“

An der Bahnstrecke durch Thüringen und Sachsen Anhalt überwuchert ein Pappeldschungel alte Bahnkörper. Schöne neogotische Backsteinindustriebauten fallen ein, dazwischen ist viel Platz. Mit vielen der Orte verbinden sich kleine Geschichten. Die Kunstschüler haben allesamt den „Grenzübertritt“ verschlafen.

Die abgespeckten Ballettzeichnungen mit den GPS-Aufzeichnungen zu kombinieren, macht immer mehr Spaß. Es sind mehrere Blätter entstanden, obwohl am Montag schon die Kunstferien bei mir im Atelier begonnen hatten.

Gleichförmiges Rauschen

Jetzt gegen Neun im Atelier streifen die Äste der Birke von außen über die kleinen, geriffelten Oberlichterscheiben, durch die im Winter viel Wärme verloren geht. Durch das junge Holz entsteht auf dem Glas ein sanft klickernder Laut, wie von einem Perkussionsinstrument. Der Baum ist in diesem Jahr kaum gewachsen. Er konkurriert mit vielen anderen Pflanzen um sehr wenig Erde. Ein Ahorn, eine Weide, eine Eiche, Efeu, Kartoffeln, Rucola und Thymian wachsen dort auch.

Der Sonntag gestern war kühl und am Abend regnerisch, so dass ich mir das Wässern der Gärten sparte. Ansonsten Transport eines Schrankes mit einem etwas überdimensionierten Auto von Friedrichsdorf in die Frankenallee.

Durch die Atelierscheiben höre ich die Ringeltauben und das gleichförmige Rauschen von Wind, Flugzeugen, Zügen, der Autobahn und der vielen Lüfter von Servern, Küchen und Klimaanlagen rundherum.

Gerade telefonierte ich mit Vinzenz. Die Kunstschüler werden sich mit ihm in Berlin in der UdK treffen und etwas über seiner Arbeit hören. Ich möchte mich mit ihm mal alleine, oder vielleicht mit Anne zusammen treffen, denn es gibt viel zu erzählen.

Haltbarkeit der Zeichnungen

Die Ruhe am Sonntagmorgen, kein Wind mehr, ein paar S-Bahnen auf dem zweigleisigen Damm unter den filigranen Oberleitungen, mit ihrem abstrakten Linienpotential. Überschwänglich überziehen meine Kletterpflanzen das Trockengesträuch im Gärtchen, bis in seine Spitzen hinauf, mit blauen Blütentrichtern.

Nachdem sich die Flugzeuge im gestrigen Anflug auf die Landebahnen unruhig bewegten, gleiten sie heute wieder gleichmäßig von Osten heran, wie ein ruhiger Fischwanderungszug.

Obwohl ich den ganzen Tag im Atelier war, habe ich nicht gezeichnet. Eher beobachtete ich die Linien und die sich im Licht verändernden Strukturen der Produktion der vergangenen Woche. Manchmal ist es gut, unaufhörlich zu produzieren, manchmal ist es gut, innezuhalten. Es könnte immer so weitergehen, Linien zeichnen und ihre „Haltbarkeit“ überprüfen, daraus Rückschlüsse ziehen und weiter zeichnen.

Die Gärten habe ich etwas gepflegt, Brombeeren herausgerissen, Essigbaumtriebe, die überall aus der Erde treten, abgeknickt. Die Wiese müsste nun einmal gemäht werden. Dafür brauche ich eine scharfe Sense.

Tanzfigurenumrisse

Sturm zersprüht Wasser. Die Gärten trinken, der Beton glänzt und spiegelt in Pfützen das Geschehen. Wegen der nordwestlichen Luftströmung bin ich etwas geschützt und genieße, im offenen Rolltor sitzend, die Linderung nach den heißen Tagen. Das stundenlange Wässern bleibt mir heute erspart.

Trotz der gestrigen Heimsuchungen der Kunstschüler schon am Morgen und dem nachmittäglichen Besuch durch die Flüchtlingsjugendlichen, habe ich fleißig gezeichnet.

Ballettzeichnungen übertrug ich auf Formate, auf die GPS Linien der Wanderung „Handprint Frankfurt“ gezeichnet sind. Sie fügen sich sehr gut mit den abstrahierten Linien der Ballettbewegungen zusammen. Außerdem spielt der Bühnenraum, bzw. der des Ballettsaales eine Rolle. Die Figürlichkeit der Tänzerumrisse soll zugunsten einer Konkretheit der Raumform zurückgenommen werden. Die zeichnerischen Figurenumschreibungen werden bislang dem Forsythekonzept nicht gerecht. Das aber kann ich nun korrigieren. So navigiere ich mich durch den Gravitationsraum der Linienbeziehungen.

Während einer solchen Zeichnung erklärte ich meiner Kunstschülerin Natalie mein Vorgehen, begründete jede Abweichung von der unterlegten Zeichnung und machte mit somit selber klar, was geschah. Während des Rollvorgangs der „Synaptischen Kartierung“ werden die Tuschelinien von den Lösemittelanteilen des Schelllacks teilweise wieder angelöst, was die Dopplung von Motivteilen durch abermaligen Abdruck zur Folge hat.

Zeichnen lernen von Mauerseglern

Weiteres Zeichnen gestern. Routinemomente treten auf, ich zögere und mache dann doch weiter, bis ich sie überwunden habe, bis ich nicht mehr so genau weiß wie es weiter geht. Ich nehme mir aus der Erinnerungskiste wahllos Dinge und füge sie zu einem Bild zusammen, das mit meiner Zeit zutun hat.

Darüber nachdenkend, was die täglichen Miniaturen mit den Transparentpapierarbeiten und ihrem veränderten Zeichnen zutun haben, fällt mir ein, dass es sich um verschiedene Dinge handelt. Wenn mein Auge nach Annäherungen von Linien sucht und den Energieraum zwischen ihnen spürt, dadurch die Hand mit der Tuschefeder geführt wird, kommt es zu kompositorischer Perfektionierung. Eher wurde dieses Zeichnen von den Rollsequenzen der Transparentpapierrollen beeinflusst. Dort kamen, beim häufigen Durchzeichnen ein und derselben Form, ständige kleine Korrekturen zustande, die spannungsvollere Zwischenräume erzeugten.

Unter einem schönen Abendhimmel saß ich am Rand meiner Wiese und schaute den Mauerseglern zu. Manchmal glaubte ich, einen Draht zu ihnen zu haben, als könnte ich sie mit meinem Willen zu bestimmten Schwarmkonstellationen zwingen. Nicht alle Flugbahnen sind ebenmäßig geformt. Manchmal kommt es zu rhythmischen Störungen und zu kleinen eckigen Bewegungen. Fast sah es so aus, als wollten sie mir zeigen:

So zeichnet man!

Verknappung | Dampf

Kaum erwähnenswert, dass der Morgen sonnig und warm beginnt, sich dann zur Mittagshitze steigern wird. Aber über dem Schwarzwald entwickelt sich eine nordwärts ziehende Gewitterwolke, die uns hoffentlich am Nachmittag erreicht. Der Beton strahlt, die gewässerte Wiese dampft.

Eine der weniger gelungenen Zeichnungen habe ich mit einem Jungpionierportrait übermalt. Sofort wechselt die Gewichtung in die dokumentarische Struktur, was dem Blatt entscheidend gut tut.

Dann nahm ich mir die alten GPS-Spuren der Frankfurtwanderung vor. Alles Material auf Transparentpapier ist nun wertvoll für diese spezielle Biografiearbeit. Gut, dass ich das alles aufgehoben habe. Die Linienführungen der Ballettzeichnungen veränderte ich nach den gestrigen Maßgaben. Und sofort folgen die Linien anderen energetischen Zusammenhängen. Die Gravitation wird wichtiger. Außerdem führen die Fragmentierungen die Bleistiftlinien der Stadtwanderung und die der Ballettzeichnungen, d.h. Figurengruppenumrissen in eine besondere Ähnlichkeit.

Bei einer weiteren Zeichnung setzte ich auf Verknappung und kombinierte eine Ballettsituation lediglich mit einer Synaptischen Kartierung. Auch das geht ganz gut.

Geht also vorwärts mit den Zeichnungen.

Geheimnis und Intuition

Bei weitem nicht alle Tanzzeichnungen die ich 2003 im Ballettsaal der Forsythe Company gemacht habe, weisen die hohe Qualität auf, wie die, die ich kürzlich für eine Collage benutzt habe. So fielen auch die gestrigen Versuche hinter diesen neuen Sprung zurück. Ich bin skeptisch, was die allzu deutlichen Figuren angeht, die ihr Geheimnis nicht bewahren. Dennoch will ich abwarten, ob nicht vielleicht eine spätere stärkere Wirkung zustande kommen kann. Würde ich die Figuren fragmentieren, wäre das eine spannungsvollere Angelegenheit.

Während vieler Gespräche, aber auch während des Zeichnens versuche ich eine spielerische Konzentration zu behalten. Das führt manchmal zu intuitiven Ungereimtheiten. Allzu großer Ernst aber, mit dem man an die Arbeit oder an ein Gespräch geht, hat vielleicht mit fehlendem Feedback bei der Kunst zutun, oder mit Unsicherheit in den Gesprächen.

Schöne Abende jetzt am Mainufer. Gestern war es etwas regnerisch und entsprechend leer dort. Die Lichter schaukelten schön im schwarzen Main.

In meinem Garten pflanzte ich weitere Weiden aus, die sich nun auf der Erde, die ich auf den Beton häufe, festwurzeln sollen. Aber die Schlingpflanzen, die alles überwuchern und derzeit einen undurchdringlichen Urwald schaffen, haben schon eine Weide auf dem Gewissen. Mal sehen, wer sich dann im kommenden Frühjahr durchsetzt.

Frisch gewaschen

Immer noch vergeht die Zeit schnell – weiß nicht ob ich das nach wie vor gut finden soll.

In meinen Träumen erfinden Kinder „Leiterworte“ und „Weißes Fliegen“. Sie sind noch klein, haben nichts mit meinen Kunstschülern zutun.

In der Schirn Kunsthalle sahen wir zwei von vier Videoinstallationen von Doug Aitken. Sie sind eher Design als Kunst scheint mir im ersten Augenblick. Tiere, die in saubere Motelzimmer gestellt werden, sind ebenfalls frisch gewaschen. Einzig ein Augenblick, in dem eine Lampe umfällt und droht, eines der Zimmer in Brand zu stecken, entsteht ein zwingend dramatischer Moment. Kaum Spuren, wenn sich ein Bison an einer tapezierten Ecke sein Fell wetzt. Auch der schamponierte Fuchs schien nicht zu riechen. Die gepflegten Bilder im Rondell von „Song 1“, rufen nach einem halben Tag Abstand so etwas wie Widerwillen bei mir hervor. Vielleicht ist das die nachhaltige Wirkung dieser „Kunst“.

Wir verbrachten einen Teil unseres Nachmittags zwischen diesen Videobildern und sparten uns die weiteren für einen zweiten Besuch, während dem wir unser Urteil überprüfen wollen.

Gestern hatte ich erneut Besuch von Flüchtlingsjugendlichen aus Afghanistan, Eritrea, Syrien etc.. Ich zeigte ihnen die Arbeit zur „Biografie“. Vielleicht können einige von ihnen unsere Freitagsarbeit bereichern.

Echos

Im leichten Westwind gleiten die Flugzeuge über die Blüten meiner Pflanzen hinweg. Die Luft ist gesättigt von Feuchtigkeit, dass ich das Gefühl habe, schwer atmen zu können.

Meine Arbeitskonzentration findet sich an manchen Tagen, die von vielen anderen Notwendigkeiten durchsetzt sind, einzig in den täglichen drei Miniaturmalereien wieder. In deren Kompositionen spielen die Abdrücke meiner Haut, insbesondere die der rechten Handkante eine nicht geringe Rolle. Sie nehmen in ihren Linien auch Strukturen der Verbindung des Wassers mit den Pigmenten der Aquarellstifte auf. Manchmal erzeugen wiederholte Abdrucke dieser Vermischungen Echos innerhalb eines Bildes oder in der ganzen Dreierserie. Oft geschieht das schnell und wenig geplant. Umso schöner sind manchmal die Ergebnisse. Vielleicht könnte ich die verschiedenen Linienbündel meiner Hand auch bewusster einsetzen.

In meinen Mappen suchte ich gestern nach Zeichnungen, die ich im Ballettsaal der Forsythe Company gemacht habe. Sie sind nun schon zwölf Jahre alt. Obwohl sich mein Zeichnen in dieser Zeit noch stark verändert hat, sind sie so etwas, wie ein Höhepunkt meiner Arbeit. Jetzt nehme ich sie mir wieder vor, kombiniere und verändere sie, suche nach ihrem Potential für die Zukunft.

Polyederpappen | Zusammenfügungen

Während meine Kunstschüler gestern Polyederpappen falteten und die Körper dann aus Einzelteilen zusammenbauten, zeichnete ich.

Zuvor hatten wir Spaghetti mit einer, der Hitze entsprechenden kalten Sauce gekocht und gemeinsam gegessen.

Ich nahm mir Tanzzeichnungen die ich bei der Forsythecompany gemacht hatte vor und kombinierte sie mir Fundstücken vom Handprint Frankfurt, so wie man es oben sieht. Die Zusammenführung der unterschiedlichen Motive und Techniken weckt neue Impulse. Außerdem fügte ich eine abstrakte Felsgravur aus Twyfelfontein zu einem Pflanzenteileinschluss in Schelllack zusammen. Irgendwo lagert noch viel Material aus der Beschäftigung mit Tanz und von der Reise nach Namibia. Ich muss mal die vielen Mappen durchforsten, um einen Zugriff auf das Material im Zusammenhang mit dem Biografieprojekt zu bekommen.

Die Polyederpappmodelle haben noch ein großes Potential, weil es ein Programm gibt, mit dem man sämtliche Volumina in solche Faltmuster umwandeln kann. Eine Kunstschülerin möchte Innenausstatterin mit dem Ziel Innenarchitektur zu studieren lernen. Während ihrer Lehre möchte sie weiter meinen Workshop besuchen. Mit ihr werde ich dieses Faltthema weiter bearbeiten. Joana zeige ich immer wieder die Arbeiten von Jackson Pollock, Hans Hartung und anderer dieser Richtungen. Sie arbeitet nach wie vor mit Wachs und Filzpappe. Das werden immer schönere Objekte. Sie bleibt auch einfach dran, mit Ausdauer und Ruhe.

Vages Versprechen

Es ist ein sehr schwülwarmer Morgen. Die Mauersegler, die sich zu schnellen Schwärmen zusammenschließen, fliegen tief und stoßen dabei ihre schrillen Rufe aus.

Nun habe ich die Zeichnung, die ich gestern beschrieb, noch mal ganz in das Arbeitstagebuch oben eingefügt. Beim längeren Nachdenken und Erklären gestern, erschien sie mir noch wichtiger als vorher. Lediglich einen Ausschnitt der dritten heutigen Miniaturmalerei habe ich hinzugefügt. Die Linie, in die die linke Figur übergeht erscheint wie ein Schild oder ein Spiegel von der Seite, mit dem Kontakt zu der Verwischung von heute aufgenommen wird. Nun möchte ich an dieser Stelle weiterarbeiten in weiteren Zeichnungen. Vielleicht kann ich die Rastermotive auch ganz weglassen und die Tanzzeichnungen nur mit den Felsgravuren oder mit in Schelllack zwischen Transparentpapierlagen eingeschlossenen Fundstücken verbinden. Ein vages Versprechen.

Das Zusammenspiel von abstrahierten und fragmentarisierten Formen entspricht dem Vorgang des Aussprechens von Vorhaben oder Erkenntnissen, die noch nicht zu Ende gedacht sind.

Einem Falter der sich vor einer Scheibe aussichtslos vor einer Scheibe meines Rolltores müde flatterte, schenkte ich, auf dem Tisch stehend, auf dem ich jetzt schreibe, mit einem Staubwedel die Freiheit.