Immer wieder Farbsounds

Tropische Verhältnisse durch die warmen und feuchten Tage. Ein Gewitterregen, der kühl auf den Tevesbeton rauschte, bildete Nebel, der an dem offenen Ateliertor vorbeizog. Die Pflanzen wachsen schnell und die Wiese wird dichter vom Wegerich.

Die morgendlichen Gänge durch die Parks ordnen die Befindlichkeiten. Mit den Schritten eilt das Denken voraus und fragt gleichzeitig nach Vergangenem. Gestern stand dann ein breiter Streifen roter Sonne zwischen den grauen Wolken – ein Zeichen, ein Bild, einprägend und besetzt vom Moment. Dieses besondere Rot, das die Wolken rundherum grünlich werden lässt, ist ein Ton, den du dir singen lassen möchtest. Wie das Himmelsgeschehen, so sind auch die Wiesen noch verschlafen und benetzen die Turnschuhe mit kühlem Tau.

So, wie das Wetter jetzt mit dir spielt, lässt du es gerne geschehen, hast deine eigenen Reaktionen darauf.

Dann spielst du in Erwartung der aufgehenden Farbsounds Gitarre. In die Stille hinein, die sich am Abend auf dem Gelände ausbreitete, sprichst du mit deinem Instrument. Du schlägst nur eine Saite an, die dir den ganzen Tag erzählt, der dir dadurch mit all seinen Verwicklungen vertrauter wird. Auf diesen Dialog willst du nicht verzichten, erinnerst dich dann an den Soundtrack von Gestern, legst das Instrument beiseite. Der Dialog mit den Tönen bekommt eine andere Qualität, keine komplizierten Griffe und Fingerübungen mehr, sondern nur noch das spielerische und notwendige Schwelgen in Farben, den Faden vom Vortag aufnehmend.

So schwingt es hin und her, und wenn du es behalten kannst, hält es etwas bereit, wie Ewigkeit und Hoffnung.

Songsammlung

Ab sofort zahlt dir eine Lebensversicherung einen monatlichen Betrag. Zusammen mit den Einkünften aus dem Workshop kannst du davon deine Ateliermiete zahlen. Das führt zu der verhängnisvollen Reaktion, dass du sofort deine Akquisebemühungen zurückfährst.

So war das ganze natürlich nicht gemeint!

Denk lieber an den Link von Nora zum Fraunhoferinstitut für graphische Datenverarbeitung. Du solltest eher dem Architekturmuseum vorschlagen, einen 3-d Drucker in die Workshopgestaltungen mit einzubeziehen, der vielleicht in deinem Atelier stehen kann.

Im Atelier hörtest du gestern die Zusammenstellung von Beatlessongs mit dem Titel „Love“. Durch die Verknüpfung der Songs mit Material von Originalaufnahmesessions, wird das Ganze zu einem lang anhaltenden zusammenhängenden Hörerlebnis. Als Endpunkt des Soundtracks erscheint dann folgerichtig am Schluss „All You Need Is Love“. Mit der entsprechenden Aufmerksamkeit, kann man die ganze Zeit über verfolgen, wie die Spannungskurve bis zu diesem Song ansteigt. Dabei bleibt die Gesamtkomposition des Albums locker und geradezu humorvoll. Es lassen sich viele Bezüge auftun, die mit den einzelnen Titeln verbunden werden können. „Here Comes The Sun“ erscheint dir deiner gegenwärtigen Farbinspiration und dessen, was du dir für den Rest deines Lebens wünschst am nahesten.

Somit erscheint der Sonnenaufgang als ein Gleichnis des Alterns. Sonne ist die Energie für deine Bewegungen. Du kannst taumelnd abheben, wie ein Falter, erreicht nur genügend Sonnenlicht deine Flügel.

Alles verschwindet

Zwei, Sieben, Vierzehn, Zahlen zählen. Sonniger Sonntagmorgen, du kommst nicht aus deiner Haut.

Du hast den ganzen Nachmittag Gitarre gespielt, warst leise, melancholisch berührt, lärmend trotzig, falsch und laut. Zusammen zu spielen, ist etwas ganz anderes.

Am Mittwoch gibt es im Rahmen des Rheingau Musikfestivals einen Bachabend mit Klavier, Improvisationen und einem Jazztrio, das ebenfalls Bach spielt. Sehr freundliches Kartengeschenk dafür… danke!

Lebensformen im Alter, war eines unserer Themen gestern Abend. Einer Essenseinladung folgend, saßen Hans und Carola mit uns am Tisch. Je weniger du trinkst, bzw. keinen Tropfen anrührst, umso weniger beteiligst du dich an Gesprächen. Die Knochen tun dir stattdessen weh, du willst aufstehen, am liebsten spazieren gehen, draußen in der freien Luft. Die anderen reden sich in einen gemeinsamen Rhythmus, der mit einem Einschenkrhythmus zusammen geht und haben sich viel zu sagen. Es geht um wichtige Dinge. Du bist blockiert und kommst dir, trotz der Mühe die du dir gibst, wie ein Hemmschuh vor.

Du siehst plötzlich die kommenden Jahre, die dir noch verbleiben könnten vor dir. Die Transparentpapierrollen verschwinden, deine Aufzeichnungen. Es bleiben nur die Erinnerungen der anderen, die verblassen.

Vielleicht aber blühen sie bei den Kindern, die dann erwachsen sind auf. Das ist die einzige Hoffnung.

Rundhorizonte

Rundhorizonte sind ein Element für die Museumsboxen, an dem du gestern mit den Hindemithkindern gearbeitet hast. Sie funktionieren als Hintergründe, wie bei Bühnenbildmodellen. Die jungen Leute kamen gleich nach der Zeugnisausgabe zu dir ins Atelier, wo es Bionade aus Sektgläsern gab und süße Teilchen vom Bäcker. Dann verzogen sie sich unter die Schatten spendende Weide von Roland und die Ferien begannen.

Du bist mit den Fortschritten der Farbarbeit nicht zufrieden. Das solltest du an den Abenden der kommenden Woche in Angriff nehmen. Die Farbsituationen in deinem Kopf sollten Gestalt annehmen und natürlich darüber hinausgehen.

Das Treffen auf dem Markt verändert sich durch deine nüchterne Perspektive. Gespräche über Reisen nach Berlin oder Konzertkarten sind eigenartig wattig. Das liegt an deinem Kopf, seiner gesteigerten Aufmerksamkeit, seiner schwenkenden Orientierung. Du kommst die vor, wie an einem Kamerakran.

Die Rundhorizonte, an denen ihr gemalt habt, sind allesamt Waldlandschaften. Manche ähneln eher Unterholzgesträuchen mit langen, dünnen Stangen, die sich selten verästeln. Andere Horizonte werden von dicken, geraden Stämmen zugestellt, die am hinteren Abschluss eine undurchdringliche Wand bilden. In der ersten Ferienwoche sollen weitere Horizonte entstehen, die andere Charaktere haben werden. Sie tragen dann indische Stoffstempelmuster, Sternenhimmel oder gerissene Collagen. Wir werden genug zutun haben, es muss nur alles vorbereitet werden.

„Bildbeschreibung“

Die Dämmerung ist mit etwas Regen vermischt. Kein Morgengang heute, weil die Hindemithkinder am Vormittag nach der Zeugnisausgabe zu mir ins Atelier kommen. Aber dieses Gehen durch das aufsteigende Licht fehlt dir jetzt schon, die Bewegung und die Wärme, die durch sie entsteht, das freie, glückliche Gefühl des Ausschreitens und Innehaltens. Dann spürst du das Streiflicht der gerade aufgegangenen Sonne.

Am Nachmittag ein Treffen der Tevesanrainer. Wenn es dort um eine Zukunftsgestaltung geht, sieht es etwas mager aus. Vierzehn Jahre hast du dich nun aufgerieben wegen dieses Geländes und für das Wohl dieses Stadtteils. Du möchtest, dass bis zum Ende des Jahres noch mal Fahrt aufgenommen wird, musst das forcieren mit der Initiative, die du angestoßen hast.

Danach Workshop zum Zusammenspiel von Farbe und Musik. Du hattest dir weitere Fortschritte versprochen. Vielleicht bist du zu ungeduldig und die Sache braucht mehr Zeit, viel Zeit und intensive Zusammenarbeit.

Das große Bild, das immer noch keinen Titel trägt, kommt nur langsam zu größerer Dichte. In der gesamten nächsten Woche hast du die Hindemithkinder in einem Ferienworkshop. Auch dann wird dir für deine eigene Arbeit weniger Zeit bleiben.

Du versuchst einen Song zu finden, der ein Leitfaden ist, für das Projekt, deine Zeit besser einzuteilen, sie besser zu nutzen. Du willst etwas von der Verantwortung dort hin abgeben.

Die Vehemenz des Neuanfangs mit Lichtfarben und Sound.

Nochmal „Bildbeschreibung“ von Heiner Müller.

Wintersequenz

Du sahst den Sonnenaufgang heute und meintest die zukünftigen anderen gleichzeitig mit zu sehen. Wie in einer Animation zeigt dir das Gestirn die Wintersequenz voraus. Der leicht modrige Geruch der Parkwäldchen erinnert dich daran, dich für die kommende Kälte zu rüsten. Die Gänse schwammen noch auf der glatt spiegelnden Fläche des Weihers, waren noch nicht, wie gestern, zu ihrer Morgenweide an Land gekommen. Weil kaum Wolken da waren, die die Dämmerungsfarben festhalten konnten, wurde das Licht eher angeknipst. Das Fingerschnipsen einer großherzigen Hand, als betätigte die Sonne selbst den Schalter zum Aufpoppen zu dieser Sekunde.

Vielleicht schon zum dritten Mal begegnest du einer Radfahrerin auf der kleinen schönen Fußgängerbrücke zum Zeppelinpark. Nun grüßt ihr euch, wie morgens auf dem Land.

Die Hanggänge sind derzeit schwer aushaltbar. Die gelben Farbspraymarkierungen sitzen wie die ersten Hiebe der Damoklesschwerter auf den Baumstämmen. Vor allem im unteren Teil des Weges wird eine weich geschwungene Welt untergehen, an der ich Jahre mit viel Liebe gebaut habe. Diese Bedrohung habe ich erst einmal zu verkraften und dann die Zerstörung.

Spaziergang rund um die Ackermannwiese. Alles ist fertig gebaut. Nun ist Platz für ein Zwangsarbeitergedenken. Darüber sollte ich wieder mit Helga ins Gespräch kommen.

Der Blick in die Krone einer alten Birke wirft Bildkompositionsfragen auf. Blattlichtpunkte werden von Astlinien durchzogen. Du wirst angestoßen, das beim Weitermalen zu bedenken. Änderungen sind immer möglich.

Sonnenaufgang

Langsam schalten deine Funktionen auf Beobachtung und auf Aufnahme. Schon ab fünf Uhr warst du in den Parkwäldchen unterwegs. Über den großen leeren Flächen, die noch ein Park werden sollen, spannt sich ein weiter Himmel. Seine Farben laden zur Malerei ein. Es scheint nur möglich zu sein, die emotionalen Wirkungen dieser Lichttöne des Sonnenaufgangs in die Emphase der Malerei umzusetzen. Es geht nicht um die Kopie der Farbwirkungen, sondern um Entsprechungen. Ihre Begrenzungen münden in Melancholie in Reaktion auf das scheinbar nicht Machbare. Das geht mit der Auflösung von Konturen einher, die neu festgelegt werden wollen. Das kann nur mit der stetigen Beschäftigung mit diesen Aufgaben gelingen.

Malerei gestern Nachmittag und am Abend im Wechsel mit dem Sound der Gitarre, den schwingenden Bewegungen der gespannten Fläche, dem Streichen, Tüpfeln, dem leichten Druck und den kräftigen Farbhieben, die mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen, als die kleinen Punkte, die das Ganze auflockern und gleichzeitig die Fläche schließen. Noch stellen sich zwischen den Klang- und Acrylfarben noch keine Verbindungen her. Nur ein Zusammenklang durch den Wechsel von Farben und Sound. Da hilft auch nur Kontinuität.

Du hast versucht, die Farbigkeit des großen Bildes, das noch gar keinen Namen besitzt, zu intensivieren. Das trug zur Verdichtung bei.

Im Wald hast du heute nachzuschauen, ob alles für die erste Ferienwoche mit den Hindemithkindern bereit ist.

Kinderschaukeln

Ein Morgengang ab Fünf in die tropische Dämmerung. Zunächst schimmert der nordöstliche Himmel nur rosafarben, während sich gegenüber ein Türkis etabliert, vor dem Tuschflecken aus hellem Rot schwimmen. Insgesamt ein beglückendes Panorama, dessen Reiz sich nicht zuletzt über die Konturen der Landschaftshorizonte aufbaute. Du willst dieses Gefühl aufbewahren, das dich von so viel Schönheit benommen macht, mindestens bis zum Abend, wenn die Malerei beginnt. Du stellst dir die Skulptur „Morgendämmerung“ vor, landest bei Rodin. Wenn die Morgengänge zu einer festen Institution werden, speisen sie mit ihren Farben die Malereien, sowohl im Tagebuch als auch auf der großen Leinwand im Atelier. Wie sich das niederschlägt wirst du vielleicht heute schon erfahren können.

Mitten in der Arbeit am großen Bild findest du andere Farbkonzepte, die sich mit dem vorherigen Geschehen verflechten. Das Ganze wird zwar dichter, bleibt aber noch eigenartig harmlos. Konzept wird von Emotion überlagert und umgekehrt. Alles was gerade seine Zeit hat, schiebt sich in den Vordergrund. Es gibt also keinen Grund, gegenzuhalten.

Damit diese Vorgänge beweglich bleiben, Schicht um Schicht mit der jeweiligen Umgebungssituation sprechen, benötigst du Zusammenarbeit und Gespräch.

Du wirst nach dieser langen Zeit wieder Heiner-Müller-Texte zur Hand nehmen, sie laut lesen und dann wieder neu verstehen, sie in deine Arbeit einflechten.

Es wächst mehr Verantwortung in dir heran. Mit jeder Umdrehung des Universums nimmt sie zu. Du erinnerst dich an deine Kinderschaukeln – Anlauf, hoch hinaus und Absprung…

Leinwanderkundungen

Am Sonntagabend gab es noch  Farbspiel mit Musik im Atelier. Wenn du dich auf die Oberfläche der Malerei konzentrierst, entdeckst du die Schönheit der kleinen Strukturen. Die große, gespannte Leinwand beginnt unter deinem Farbauftrag zu atmen, vibriert unter der Berührung. Gespannt bewegt sie sich wellenförmig und kommt manchmal deinen Expeditionsgängen entgegen. „…Es ist, als ob sie dich mit einer saugenden Bewegung anzog…“ Dieser Rhythmus sollte dann direkt in die Musik übergehen, die zwischen den Unternehmungen der Malerei auftaucht. Das ist die richtige Bezeichnung: „Die Musik taucht aus den Bewegungen der Leinwanderkundungen auf.“ Das ist der Vorgang, den es umzusetzen gilt.

Während der Malerei ist es oft so, dass du mit einer Farbe herumläufst, an verschiedene Stellen des Bildes kommst, um mit ihr Kreise, Ringe und Punkte zu variieren. Diesem Nacheinander kann die Arbeit mit dem Looper zugeordnet werden. Es geht allgemein um Bezüge der verschiedenen Sinneswelten. Heute Abend kann es damit weitergehen.

Schnelles schweißtreibendes Gehen in der Morgendämmerung. Die Bettwärme, die du an diesem Morgen noch dabei hast, verlässt dich in der tropischen Atmosphäre nicht. Im Gegenteil, sie umstrahlt dich, je mehr du dich bewegst.

Den vorigen Tag hast du noch nicht vollständig hinter dir, bist nicht in der Lage gewesen, alles geordnet abzulegen, und schon kommt ein neues Blatt hinzu, das du dankbar auf den Stapel legen kannst.

Soundfarbcluster

Du durchläufst die Familientreffen, ohne dich aus deinem Modus zu verabschieden. Liegst wach auf einer fremden Matratze, während die anderen noch weiter im Garten sitzen, um die Weine durchzuprobieren und die Familiengeschichten, die wir schon alle kennen.

Aber dich wälzen die Geschichten um Farben und Sound herum. Der fehlende Alkohol macht den Kopf klar, um die Dinge zu ordnen. Farben und Töne ordnen sich zu Clustern, ähnlich wie bei Chuck Close auf einem Karomuster oder wie bei Fugen von Bach.

Ein Stück der neuen Bearbeitung des großen Bildes ist nun auch in den täglichen Collagenstreifen des Arbeitstagebuches aufgetaucht. Das hilft bei der Weiterarbeit, weil du schon mal schauen kannst, wie sich die Malerei mit anderen Strukturen verträgt. Dabei steigt die Spannung, wie es weiter gehen wird.

Besuch von ganz unterschiedlichen Weingütern. Allen ist gemeinsam, dass sie Familienbetriebe sind. Die Bauern vermitteln einem oft wortreich, dass sie genau das Richtige in ihrem Leben tun und dass das natürlich zu ihnen gehört. Manchmal kommt es als Rechtfertigung den Städtern gegenüber an. Gleichzeitig bekommt man aber das Gefühl, kurzzeitig in diese Familien mit aufgenommen zu sein. Die selbstverständliche Offenheit von solchen großen, man möchte sagen modernen Bauernfamilien, die die Kontakte zu ihren Kunden in allerlei Gegenden pflegen, die dadurch viel mit anderen Menschen zutun haben, ist etwas eigenständig seltenes.

Hochsommerplasma | Schwimmen

Ohne Schwere schwimmst du in der Farbwelt des Hochsommerplasmas unter steil stehender Sonne. Gestern in diesem Sinne fast ganztägig Malerei, sogar als die Hindemithkinder da waren, ging es mit den Farben weiter. Sie bastelten an ihren Museumsboxen, bemalten Rundhorizonte und belegen die Böden mit trockenem Moos. Auch in den Ferien wirst du mit ihnen zutun haben. Manchmal hättest du gerne auch für sie mehr Zeit.

Aber es drängen sich so viele Dinge. Es sind Strecken zurückzulegen, Kulturabende zu bestehen, und wenn Du morgens um Fünf am Schreibtisch gesessen hast, danach im senkrechten Sonnenfarbenmeer geschwommen bist, dein Körper und dein Hirn sich aufgeheizt haben, du dann die Erinnerungen auszuhalten hattest, die sich mit dem Schöpfungskonzert in Eberbach verbinden, fällst du in eine Trägheit und bist dennoch die ganze Zeit unter Strom.

Aus der Hitze heraus zu malen, bedeutet in eine andere Form von Beweglichkeit und Farbbehandlung einzutauchen. Du schaltest das Nachdenken über die Farben aus und versuchst eine Situation zu schaffen, in der direkt das, was du während des Schwimmens fühlst auf die Leinwand wandert.

Die Schöpfung von Haydn war somit gestern die richtige Musik für dich, die den großen rohen Raum der Basilika füllte. Weit hinten erlebst du die feine Akustik des riesigen Kirchenschiffes. Ich erinnere mich an den Schöpfungszyklus und an die darauf folgende Beschäftigung mit monumentalen Zyklen zu Umweltthemen in Dresden vor fünfunddreißig Jahren.

Mantelfiguren

Noch bevor die Marktleute heute da sind, sitzt du zwischen den Papierstapeln deines Schreibtisches, vor deinem Fenster in die Welt.

Der Besitzer des Adlers bekommt heute deinen Projektentwurf mit dem Angebot für die künstlerische Dokumentation der Restaurierungsarbeiten am „Goldenen Adler“ auf den Tisch. Wenn es zu dieser Arbeit kommt, wird sie einen großen Teil dessen einnehmen, was du in den kommenden Jahren tun wirst.

Gestern ging die Arbeit am großen Bild weiter. Schon am Nachmittag hast du begonnen, weitere farbige Ringe und Kreise zu verteilen. Das Hauptaugenmerk liegt derzeit nur auf einer Verdichtung dieser Struktur. Einzige gegenständliche Elemente sind die großen Mantelfiguren. Sie heben sich in hellen Pastelltönen und weiß von den anderen, kräftigen Tönen ab. Du kannst dir Linien vorstellen, die zwischen den Kreisen verlaufen und der Struktur weitere Figuren abverlangen. Eine enge Verbindung gibt es zur großen Mantelfigur auf dem ersten „Frankfurter Kraftfeld“. Diese, im Geflecht der Relieflinien versteckte Figur, könnte auch in mehreren farbigen Interpretationen weiter verarbeitet werden. Weitere Mantelfiguren gibt es auf der Transparentpapierrolle, die du für die Gestaltung des Kraftfeldes angefertigt hast So lässt sich der spontane Beginn dieser Malerei mit weiteren Arbeitsvorgängen unterfüttern und voranbringen. Das könnte in bewährter Zusammenarbeit mit Maj geschehen.

Am Abend bei „Reverend Beat Man“ im Bett. Ein schweizer Unikum mit einer kompromisslosen Show, mit Humor und Kraft und Seltsamkeit, einer Stimme zum Fürchten, die nahe an die Kunst grenzt. Schöner, kurzer Abend mit den Freunden.

Forstarbeit | frische Malerei

Du bist bei deiner Adlerkonzeption nach dem ersten Anlauf nicht so recht weitergekommen. Du bekamst aber Hilfe. Jetzt haben die Textteile eine logische Reihenfolge und sind inhaltlich konkret. Nun kann das Ganze fertig zusammengestellt und abgeschickt werden.

Am Hang gibt es weitere Anzeichnungen von zu fällenden Bäumen im Bereich des zweiten Abschnittes meines Weges. Du hast das Gefühl, dass alles, was in drei Jahren gewachsen ist nun zerstört werden wird. Es ist keine Katastrophe, aber ein tiefer Einschnitt. Du weißt noch nicht, wie es dann weitergehen soll und etwas desillusioniert kehrtest du dann ins Atelier zurück.

Dort allerdings erwartete dich eine frische Malerei, die heute mit Schwung fortgesetzt wird. Das Ganze sieht noch etwas nach Klimt aus, muss aber freilich noch dichter werden, farblich ausgewogener werden. Mal sehen, was Euch dazu noch alles einfällt. Du hast vor, die Weiterarbeit mit dem Workshop zu verbinden, hoffst auf eine lang anhaltende Beschäftigung mit dem großen Format. Vielleicht könnt ihr dann aber irgendwann eine neue Leinwand aufspannen.

Jetzt ist es soweit, dass ihr mit den Museumsboxen konkreter werden könnt. Die Zeit der Materialsammlung und des Objektbaus ist vorbei. Bei der Boxengestaltung geht es um Rundhorizonte vor denen transparente Artefakte präsentiert werden. Auch die Dinge, die Ihr mit der Panoramaschule gebaut habt, werden Eingang in die Gestaltungen finden.

Ringe und Kreise ineinander

Der Juli rauscht vorüber, feucht, warm und schnell. Gestern stelltest du fest, auch schon vorgestern, die Zeitraffung ist symptomatisch, dass es sich im Atelier ganz gut schreiben lässt. Deswegen hast du den Rechner mitgenommen, um endlich das „Adlerangebot“ fertig zu machen.

Das Beste passierte allerdings am Abend, als du begonnen hast, am großen Bild weiter zu arbeiten. Und es begann mit einer ganz und gar leichten Malerei, nichts als verschiedenfarbige Ringe und Kreise ineinander gemalt. So ergeben sich Farbklänge, die sich zunächst zufällig gruppieren. Im Nachhinein entwickeln sich Strukturen, die durch Pausieren, erneutes Hinschauen und durch den Perspektivwechsel hinter das durchleuchtete Bild, geordnet werden. Nachdem eine solche Struktur etabliert ist, verlässt du dich auf einen weiteren eigendynamischen  Prozess der ordnenden Blickverknüpfungsstruktur.

Vieles von dem, was dich zum Wiedereintritt in diese große Malerei ermutigte, hast du den Formaten zu verdanken, die in den letzten Monaten in Zusammenarbeit entstanden sind. So wurdest du auf die Farben aufmerksam, die in deinem Arbeitstagebuch täglich entstanden.

Vielleicht hast du jetzt erst, so spät in deinem Leben, die Farbe wirklich entdeckt. Dafür solltest du dankbar sein, denn es geht eine Tür in eine neue Landschaft auf. Und du bist auf die Entdeckung dieser Welt, auf die Wanderungen durch sie hindurch sehr gespannt. So einfach ist es manchmal.

Spielfelder | Parkwälder | Handschriftliches

Vormittags Tagebucharbeit und Mails. Am Nachmittag Konzeption für die Fortführung der künstlerischen Dokumentation der Sanierung des „Goldenen Adlers“. Damit begannst du handschriftlich im Atelier. Eine ganz andere Situation, als am Schreibtisch. Gedanken werden langsamer entwickelt, und diese Entwicklung wird sichtbarer. Jetzt aber ist das alles im Rechner noch zu ordnen, um es abschicken zu können.

Schon gestern am großen Bild weiter arbeiten zu können, gelang dir nicht. Die Zeit für eine solche Konzentration war doch zu knapp. Immer wieder schieben sich andere Dinge dazwischen, Ablenkungen vor dem Wiedereinstieg in die große Arbeit. Vielleicht gelingt es heute, den allzu großen Respekt abzulegen und wieder in die Selbstverständlichkeit der Malerei einzusteigen.

Gang durch die Parkwälder gestern Abend. Es waren viele Leute unterwegs: Jogger, Spaziergänger, Hundebesitzer. Du schaust dich um und entdeckst die Galegos auf einer Parkbank und willst immer schneller werden, schwitzen und Raum gewinnen.

Während des Fußballguckens sprachst du mit Vinzenz über Räume auf dem Spielfeld: dichtgemachte, zugestellte, freigelaufene und offene. Du kannst mit ihm wirklich gut über Arbeit reden. Den Waldpfad könnte man in ein Berlin-Frankfurt-Projekt mit einbeziehen. Mehrere Künstler aus Berlin könnten dort was installieren, und im Gegenzug werden wir im Berliner Stadtraum was machen.

Schweißtreibende Gänge

Allgemein positive Reaktionen auf unsere Wald- und Werkstattaktionen. Du hattest dich unhöflicher Weise noch nicht rückgemeldet. Es ist einfach zu viel los.

Am Morgen hattest du dich während des ausgedehnten Ganges durch die Parkwälder kurz unter einem Schutzdach einer Bushaltestelle untergestellt und hörtest den Gesang der Tropfen in den Höhlungen der Konstruktion und fühltest dich plötzlich zu Hause. Nach der Runde um den See, die Entspannung und schneller Gang zurück.

Wieder hast du diese wohltuenden Farben im Kopf, die motivieren zu einem anderen Arbeiten. Ich will mir nun die Abende dafür Zeit nehmen.

Tagsüber spaziertest du mit Vinzenz eine Runde am Main, ein schweißtreibender Gang wegen der herrschenden Schwüle. Dann kochten wir Lende und stärkten uns vor dem Endspiel der Fußballweltmeisterschaft.

Wir hofften im Gemeindesaal auf ein nettes gemeinschaftliches Fußballerlebnis und trafen dort aber eher auf wampiges Galluspersonal mit einem Wortschatz, der das Vergnügen etwas schmälern konnte. Mit zunehmendem Alkoholgenuss wurde die Stimmung aggressiver, und ein rutschiger Schlick aus Schimpfworten, von denen „Kanaken“ noch zu den freundlicheren gehörte, floss auf den Boden. Das ganze Übergewicht dieser Körper scheint aus Hass zu bestehen. Die deutsche Mannschaft hat gewonnen. Das hielt die Gesellschaft im Zaum. Dort werde ich nicht mehr hingehen.

Weit oben kreiseln Mauerseglerschwärme unter schnell nach Osten ziehenden Wolken, die etwas Frische bringen.

Soundfarben

Sonntag – Song im Kopf den wir gestern gespielt haben. Rote Quellwolken voller Wasser über unserer Party auf Teves. Das Gespräch über Musik und Farben geht weiter. Wie reagiere ich auf dies Rot mit der Gitarre? Einfacher wäre es als virtuoser Instrumentalist – oder nicht? Vielleicht ist das Laientum ja der Schlüssel zur unvoreingenommenen Beschäftigung mit Farben und Sound. Zunächst aber ist es einfach nur schön, gemeinsam zu musizieren. Zumal wir ja anfänglich schon Schwierigkeiten hatten, uns aufeinander abzustimmen. Nun hat es geklappt, und froh darüber spielten wir sogar, während das Halbfinalspiel der Fußballweltmeisterschaft auf einer Leinwand auf Teves lief.

Unsere halbjährliche Zwischenraumsitzung und eine Nachfeier von Helgas Geburtstag fielen zusammen. Eine nette Gesellschaft kam da zusammen.

Carola berichtete von Zitko, dass er gesagt habe, du seiest der einzige ernstzunehmende Künstler in Frankfurt. Obwohl du das nicht ganz glaubst, macht dich dieses Statement ziemlich stolz.

Ein Gewitter zieht vorüber. Immer wieder fallen große Regenmengen und bilden kleine Seenlandschaften. Sehr schwül ist es, dabei aber nicht sehr warm.

Am Morgen warst du schnell gehend unterwegs im Regen, tatest was für deine Gesundheit. Ab morgen wird eine Zeit lang auf Alkohol verzichtet, um die Produktionsmaschine wieder voll anzuwerfen und den Kopf klar zu bekommen.

Sonnenenergie

Seit ein paar Tagen ist Vinzenz im Atelier. Das neue Regal ist eingeräumt. Alles wirkt ein wenig geordneter. Licht kommt mit Energie und Farbe durch die Fenster.

Schöner Workshop mit den Hindemithkindern. Paolo griff sich irgendwann die Gitarre und spielte so, dass wir Lust hatten, mitzusingen.

Gespräch über Farbensingen am Weinstand. Das ist eine neue Welt.

Vinzenz zeigte mir viele Bilder, die er in China gemacht hatte. Die Kinder fanden, dass wir uns ähnlich sehen. Er sei nur jünger, dünner und hätte mehr Haare. Das war wirklich lustig.

Tagebucharbeit hinkt hinterher – alles ein bisschen viel.

Umräumen

Materialeinkauf und Regalbau in Handarbeit gemeinsam mit Vinzenz am Vormittag.

Dann Farben – darauf hast du dich gefreut: Altrosa und Graugrün, Klänge voller musikalischer Spannung. Das Zusammenfügen von Sound und Farbe ist keine einfache Sache. Du wechselst vom Papier zur Gitarre. Das geht ganz selbstverständlich und führt irgendwo hin. Wohin, weißt du noch nicht.

Umräumarbeiten durch die andere Dinge in das Gesichtsfeld rücken. Das große Bild beispielsweise, das endlich weiter gemalt werden soll…

Mittags Besuch von Frau Hollstein. Wir versuchten ein Konzept vorzubereiten, um die künstlerische Dokumentation der Arbeit am „Goldenen Adler“ fortzuführen. Wir listeten unser gemeinsames Interesse auf.

Die Personalunion von Feind und Schlachtfeld

Mit Vinzenz und den Kindern in der Panoramaschule. Wir kümmerten uns um die Behinderten. Es entstanden viele Transparentpapierobjekte. Schön ist es ihr Vertrauen zu spüren.

Im Kopf befinden sich die Reflexionen des Sonnenlichtes. Sehr unterschiedliche Klänge wachsen und verästeln sich.

Versiegelte Güterzüge rollen vorüber, setzen Bilder in Gang, als wären die Waggons einzelne Frames eines langen Filmes.

Dein Kopf ist ein Airbag in Wartestellung. Nach einem Kindervormittag fällt die die Konzentration schwerer als sonst. Du rast durch eine unübersichtliche Landschaft. Sucht der Geschwindigkeit, die plötzlich in Langsamkeit übergeht. Schnell ändern sich die Farben am Rand des Gesichtsfeldes.

Gestern hast du noch einmal der Heraklestext gelesen und Erinnerungen an die Theaterarbeit aufgerufen.

In den Wolken am Hang

Nach gewittriger Nacht der Ateliersommertag.

Mit zweiundzwanzig Kindern in den Wolken am Hang. Leiser Niesel die ganze Zeit. Dinge gebaut, Dinge gesammelt und morgen werden sie verarbeitet. Schön war der Nebel die ganze Zeit.

Vinzenz hat sich angesagt, trifft im Zollamt auf die hochmütigen Staedelleute. Da musst du nicht mitgehen.

Ansonsten wenig Konzentration. Lieber möchte ich mich den Farben widmen ihren Auffächerungen durch die Sonne. Manchmal willst du allein diese Begegnung, nur diese Ruhe um die Zeit zu dehnen.

Lichtbrechungen und Ruhe

Nach der gewittrigen Nacht, die dir den Schlaf geraubt hatte, hörte am Morgen der Regen auf. So sollte es bleiben, weil es heute mit den Kinderchen in den Wald geht.

Der gestrige Abend war noch schwül, dennoch leicht. Etwas Essen und trinken dort verleiht dem Ort mehr Heimat. Der Ateliersommer.

Du warst mit behinderten Schülern und einer Klasse aus der Hindmithschule am Hang. Die unterschiedlichen Verfassungen verlangen viel Aufmerksamkeit. Alle wurden mitten in den Wolken nass, haben aber gebaut und gesammelt. Morgen treffen wir uns noch mal in der Panoramaschule, die sehr gut ausgestattet ist. Dort werden wir das, was wir sammelten verarbeiten.

Vinzenz geht zu einer Eröffnung im Zollamt und wollte sich dort mit mir treffen. Ich werde nachher aber erst einmal ins Atelier gehen und zu mir kommen. Alles andere wird mir zu viel. Etwas mehr Konzentration auf die wichtigen Dinge, auf die Farben, ihre Brechungen im Sonnenlicht und auf die Raumplanung hinter dem großen Bild. Das Regal dort würdest du gerne noch in dieser Woche in Angriff nehmen. Weiter aufräumen, ausmessen, Materialeinkauf, anreißen, Schlitze stemmen und Sprossen mit Zapfen sägen. In dieses Regal sollen dann Formen und Werkzeuge kommen. Davor soll ein Raum entstehen, wie eine weitere Arbeitsnische.

Manchmal hast du alles im Atelier, die Lichtbrechungen und die Ruhe, hast aber keinen Produktionsdruck. Es ist als atmetest du das alles ein und hältst die Luft an. „Die Luft ist bei mir immer drinne“, wie Mathilda das formuliert.

Sturm

Wie der Herbst sah das Unwetter aus, das gestern schnell von Westen herangezogen kam. Das waren nicht einfach dunkle Wolken, sondern Ungetüme, die mit einem wuchtigen Sturm das heitere Sommergefühl verdrängten. Stühle flogen herum, alles Leichte in meinem Atelier wurde durcheinander gewirbelt. Ich geriet grundlos in Panik, die die Sonne weiter verdunkelte. Eine ungute Dynamik.

Aber das große Bild wird sehr präsent und fordert mehr und mehr auf, an ihm weiter zu arbeiten. Du denkst an Maltechniken, an einen lockeren Beginn, der die Düsternis vertreibt. Die jetzt noch weißen Punkte werden Farbfelder, die umrandet von Linien, miteinander verbunden sind. Du solltest sehen was dabei herauskommt und keine weiteren Konzepte mehr machen.

Morgen wird der junge Held Vinzenz auftauchen, um eine Weile zu bleiben. Es gibt viel zu erzählen und vielleicht kann man was Gemeinsames arbeiten, zumindest Regale bauen oder mit den Kinderchen am Mittwoch für die Kunst basteln. Dafür hast Du auch noch einiges vorzubereiten.

Eine allgemein andere Organisationsstruktur hast du dir vorgenommen. Dazu gehört beispielsweise ein vernünftiges Adressbuch in Verbindung mit einem funktionierenden Kalender. Das soll mehr Zeit für die wirklich wichtigen Dinge einräumen: Farben, Songs und alles durchdringendes Sonnenlicht. In diesem Zusammenhang sollen die Atelierabende eine feste Institution im Arbeitsleben werden. Es wird keine Zeit mehr verschwendet.

Durchdringendes Licht

Die Friedenskirchenglocke schlägt die Stunde. Der Morgen ist warm und voll, ein Sonntagmorgen. Den Sommer festhalten willst du, immer weiter malen in der milden Luft.

Die Blätter halten still, als warteten sie auf den befreienden Sturm. Die Baumkronen schweigen, kein Mensch unterwegs. Die Mieträder der Bahn sind in der Nacht umgeworfen worden, liegen wie vergiftete Tiere auf dem Gehweg.

Der Gitarrensound wird kompakter, steigert sich zu intensivem Lärm, der die Voraussetzung für Malereisongs sein kann. Das willst du weiterentwickeln, bist aber auf Unterstützung angewiesen.

Die Sonne ergreift den Gehweg. In den Schattenfeldern leuchte Farben auf: Altrosa, Ocker und Indigo. Dazu kommt alles, was das Hirn hergibt, was es an Sonnenfarberinnerungen ausschütten kann. Du merkst, wie dich Licht durchdringen kann.

Auf Teves gestern eine türkische Hochzeit. Höflich forderst Du die Staatskarossenbesitzer auf, von der Wiese herunter zu fahren. Eine schöne Dame in einem schwarzen Kleid und hohen Schuhen wird von deinem Gitarrensound angelockt, interessiert sich für das Projekt, fragt nach einem Spendenkonto!

Du trommelst Morast, Insekten und Quecksilber aus den Saiten, vertiefst dich in den Klang, wie in dich selbst. Das steigert sich, und der Hall zieht dich mit sich bis du nicht mehr aufhören willst. Du musst Dich losreißen, um nach Hause gehen zu können.

Malerinnerung

Im Hinterhof über den Gärten hörst du einzelne Erzählstimmen, die sich vom Grollen der Flugzeuge und dem stählernen Fahren der Bahnen abheben, leicht und sonntäglich. Der Wind verweht die Sirenen und Glocken nach Osten. Das Grau des Morgens lindert Sonnenbrände.

Acht Glockenschläge und der Blick in den Mauersegler strudelnden Himmel. Am Nachmittag triste Stimmung im Atelier. Nur Joana war da und schaute, ob die anderen noch kommen würden.

Dann hast Du dir noch mal die Bilder angesehen, die letztens entstanden sind. Am Ende bist Du vehementer geworden, hast dich an deinen Malrhythmus in der Achtziger- und Neunzigerjahren erinnert und bist nahe dran, das große Bild wieder in Angriff zu nehmen. Ich möchte ein Konzept finden, das sich mit Songstrukturen verbindet. Langsam stellen sich musikalische Entsprechungen zur Malerei ein. Mit einem Stab trommelst du auf die Saiten, lässt sie tropfen, zwitschern und brüllen wir im Wasserturm. Während des Traktierens der Saiten musst du die Farben im Blick halten, denn sie sind neu, plötzlich wie selbstverständlich durch die Tür gekommen, leuchtend und wertvoll durch die Sonne oder aus ihr.

Wir müssen öfter reden über die Kunst von Jasper Johns oder John Cage. So können neue Fundamente gegossen werden, die gemeinsame Fundamente sind.

Das Maigrün des Nachbarhauses trägt eine hohe Rauchspur vom Boden bis unter die Dachrinne, schöne Schattierungen, die dem Restgrün zugute kommen und es glaubhaft machen.

Zimmi in Zwickau

Eine Fahrt bis weit in den leuchtenden Osten, um der Tour von Bob Dylan zu folgen. Die Setlist ist hier in Zwickau im Vergleich zu Düsseldorf fast gleich geblieben, bis auf einen Wechsel von „What Good Am I“ zu Working Mans Blues #2“. Die Spielfreude war ausgeweiteter, Der Gesang war Variantenreicher mit Passagen zarter Hinwendung an sei Gegenüber. Manchmal setzen Songs mit einem kraftvollen Riff ein, wie bei „Wachtower“. Wer aber mitklatschen wollte wurde sofort durch leisen Gesang und musikalischem Improvisationsgeplänkel ausgebremst. Instrumentalpassagen waren wie Gespräche. Kleine Soundseifenblasen werden zwischen Piano und Gitarre hin und her geworfen. Und dabei klemmt der Meister hinter den Stutzflügelboogieläufen.

Unter Verzicht auf unsere Sitzplätze standen wir weit vorne am Piano, warteten geduldig bis zum pünktlichen Beginn. Auch die hatte sich kaum verändert. Zwei marmorweiße Büsten sind hinzugekommen, die auf Beethoven verweisen könnten und eine zweite auf irgendeine mythologische Figur, wie Inspiration oder Muse oder etwas Ähnliches aus dem neunzehnten Jahrhundert. Und natürlich stand der Oscar dabei. Um seinen Sockel gelegte Holzperlenketten verweisen auf religiöse Meditation oder so… Der Dylankosmos ist weit genug. Die Band blieb, wie immer zurückhaltend, und das schräge Klavier war ziemlich laut, keine Orgel diesmal.

Zwickau war eine Überraschung. Ein schöner gotischer Dom mit dabei stehenden uralten Priesterhäusern. In deren Obergeschoss fand ich wieder die Lehmritzungen, wie unterm Dach im „Adler“. Sie waren aber viel regelmäßiger, fast geometrisch.

Zeiterklärung

Zwischen den bedrohlich weitreichenden Zeichen an den Baumstämmen, die du nur teilweise deuten kannst, erscheint der Hangweg wieder in neuem Licht. Die Signaturen des Försters verfremden den Wald, kleiden ihn in neue Geheimnisse. Die weißen waagerechten Doppelstriche zeigen nicht die Transportschneisen der Holzerntemaschinen an. Sie tauchen hier und da wie Irrlichter auf und überlagern deine mühselig errichteten Wegzeichen mit einer neuen Organisationsschicht. Die Steine werden aus den Bäumen genommen, wieder am Boden gestapelt, eher setzt ein Rückbau des Ganzen ein. Das kann aber auch nur ein Verschanzen bedeuten, vor dem Großereignis des Holzeinschlags.

Das hoch stehende Gras schafft neue Bilder. Geschlossene Flächen stehen über dem kleinteiligen Boden. Aus flacher Perspektive füllt sich dieser Raum mit neuen Welten kleinen Gekrabbels.

In den Baumkronen rauscht ein wenig Westwind, der dich überirdisch flüsternd, als spräche er am Tag mit den Sternen, einhüllt, als erkläre er dir Zeit.

Nach dem Übergang von der Wald- in die Stadtmaschine, fuhr das Rolltor des „Rotationsraumes“ nach oben. Das große Bild, ewige Herausforderung, steht wieder auf seinem Platz. Vielleicht ist dies nun der Zeitpunkt für ein Weitermalen daran.

Malerei auch am Abend mit immer neuen Erkenntnissen. Manchmal tauchen, wie selbstverständlich Gegenstände auf, Figuren auch. Durch gemeinsames Arbeiten an den Formaten, tauchen Dir fremde Strukturen auf, auf die du beschwichtigend, ergänzend und ermunternd reagieren möchtest. Das Blatt liegt nass auf dem Brett. Im Umrunden schafft man den Perspektivwechsel, der Kompositionssicherheit erleichtert.

Rotationsraum

Das Atelier, das umgeräumt wird, kommt Dir vor, wie ein Bühnenraum, der in allen Achsen gedreht werden kann. Kontinuität wird zur unsteten Behauptung und die Rotation beginnt. Fliehkräfte greifen ins Volumen, dein Spiegelbild bleibt eigenartig ruhig, während sich rundherum Verknüpfungen verschieben. Die Haltegriffe sind das morgendliche Innehalten in den sich aufsplitternden Farben und Denkkapriolen.

Du kommst Dir am Schreibtisch so fern vor, fern von den hochhackigen Damen, die in schwarzen Anzügen ihren Dienstwagen mit einem Arm voll gereinigter Klamotten entgegenstreben. Ultramarinefarbener Seidenrock, das Tackern der Baumaschinen und von Ferne die Radio Hour von Mister Zimmerman, wie an jedem Morgen.

Es stellen sich neue Soundstrukturen ein. Aus einer Vielzahl von Diskrepanzen ergibt sich ein Muster textlich rhythmisierter Erinnerung.

Da hilft körperliche Arbeit. Formteile der Gruppen „Wien Varanasi“ und „Frankfurter Kraftfeld“ wanderten in den Projektraum „Balken“. „Komm liebe Schwester tanz mit mir“ steht jetzt dort oben, wie eine Anzahl von anderen Formaten, z.B. die alten Packpapierrollen, die ich auf Nessel aufgeklebt und bemalt hatte. Und unten im „Rotationsraum“ löst sich eine Spannung.

Im Treppauf Treppab Erinnerung an eine Weinlese in Ungarn. Nach jedem Kopfüberkippen der vollen Holzbütt in das große Maischfass, nach jedem Bergauf und Bergab gab es den ganzen Tag über ein Glas vom ungepanschten Weisswein der Vorjahre, der alle Sonne schmecken ließ.

Songs und Parks

Am Abend in der letzten Sonne auf einer Bierbank, über die sich ein Haselnussbaum beugt. Die Geräusche der vorüberrollenden Güterzüge durchdringen dich vollständig. Alles wird plötzlich überdeutlich, gewinnt an Schärfe, und dann fallen dir Worte ein, die vielleicht zu einem Song gehören könnten, der auf eine Erinnerung zurückgeht, die mit diesem tiefen Sonnenstand zutun hat. Moosstreifen zwischen den grauen Knochenpflastersteinen leuchten kurz golden auf.

Du frierst, wenn das Licht verschwindet, gehst zurück ins Atelier und beginnst aufzuräumen. Der faulige Geruch der alten Farben stört, außerdem soll Platz geschaffen werden für die weitere Forschung. Beim Räumen entdeckst du dein Gesicht im Spiegel neben den neuen Malereien. Du denkst Songstrukturen, deren Entwicklung mit den neuen Bildern zutun haben. Die Farbflecke bedürfen an manchen Stellen noch einer linearen, ordnenden Schicht, ist noch nicht dunkel, aber du machst das Licht an, um alles genauer zu sehen.

Auf dem Segeltuchhocker vom alten Meister Roos nehme ich die Filzpappenformate der Hindemithkinder in die Hand, lehne mich an und blättere sie durch. Ruhe nimmt Besitz von mir und ich starre in die Tiefe des Bilderraumes unter mir.

Zuvor in den Parks, den großen unfertigen, den kleinen abschüssigen, in denen voll mit Fußball spielenden Kindern. Mit der Aufnahme von Geschwindigkeit steigen die als Düsternis abgelagerten bitteren Erinnerungen auf und werden transparent. Du gehst über das weiche Moos unter den Baumkronen der Rebstockbäume, willst noch mal schneller werden, umrundest zweimal den Rebstockweiher mit Schlenkern durch das Wäldchen, das einen Hügel krönt, merkst wie dein Körper zu dampfen beginnt und glaubst nicht, dass dir der Rückweg reicht. Mindestens drei Mal die Woche jetzt oder immer!

Bewegungen | Wendungen

Ich sitze ganz normal am Schreibtisch und beobachte das Aufräumen drüben am Cafe nach der gestrigen Fußballniederlage, die Mütter beim allmorgendlichen Transport ihrer Kinder und die Wolken die in die entgegengesetzte Richtung nach Osten fliegen und die Sonne frei lassen. Die Energie dieses Lichtes bekommt aber durch die nächsten Projekte eine andere Qualität. Die Vorhaben vervielfältigen sich, die Geschwindigkeit erhöht sich.

Gestern am Sonntag arbeitete ich mein Pensum ohne Groll ab, telefonierte und wir machten einen Spaziergang am Main. In dieser Bewegung kann ein ruhiger Austausch einsetzen. Gehen, sprechen, schweigen, klären und zur Ruhe kommen.

Von dieser Bewegung soll mein Alltag mehr profitieren. Mit überlasteten Gelenken habe ich vor einer Zeit das Laufen aufgegeben. Nun möchte ich wieder schnell größere Strecken zurücklegen, aber weicher gehend. Es ergab sich gestern noch mal eine schöne Runde mit Waldstücken, genug, um richtig warm zu werden. Das tränkt die Seele und befreit den Kopf. Es ist mir nicht ganz klar, warum ich damit nicht schon früher begonnen hatte.

Die Mauersegler haben nun wieder ihre Bedeutung bekommen, wie in den letzten Jahren. Gitta hatte uns zwischenzeitlich etwas mit einer Rundmail verunsichert, was unseren Kleinen vom Dachboden anging. Er wäre aber ohne uns dort oben verhungert. Jetzt kreist er wieder in Schleifen und Achten, Spiralen und kleinen abgehackten Wendungen.

Die Idee von der Vergrößerung des Atelierraumes gefällt mir. In den Stauraum hinter dem Bild würde noch ein großes Regal passen, in das man die Dinge tun kann, die jetzt dort einfach so rum liegen.

Neue Begriffe tauchen auf

Der Regen hat sich etwas stabilisiert, wie ich es mir für unsere Wiese gewünscht hatte. Zwei Wochen war ich nicht am Hang. Das fehlt mir nicht nur, sondern ist auch nachlässig. Die Bedrohung des nächsten Holzeinschlages, die derzeitig starke Vegetationsphase und das Projekt, das ich in der übernächsten Woche vorhabe, sind Faktoren, die es unbedingt nötig machen, am kommenden Mittwoch in den Wald zu gehen.

Nachmittags in der Ausstellung lernte ich junge Menschen kennen, die im fertig restaurierten „Goldenen Adler“ eine Wohngruppe bilden möchten. Mit einer Historikerin, die auch Ausstellungskuratorin ist, kam ich etwas gründlicher ins Gespräch. Das gemeinsame historische Interesse, das Projekt betreffend, könnte zu einem länger geknüpften Gesprächsfaden führen.

Der Bogen, den ich spannen möchte reicht über die gesamte Bauzeit, bezieht die Jahrhunderte mit ein, in denen das Haus gebaut und bewohnt wurde, verbrannte und neu erstand. Es geht dabei insbesondere um die Empfindungen dem Material gegenüber, das bei der Restauration verloren gehen wird. Die Container mit diesen Stoffen hätte ich am liebsten neben meinem Atelier. Die Schichten, mit denen der Brunnen Meter um Meter zugeschüttet wurde bilden die Grundlage für eine konzeptionelle skulpturale Arbeit. Neue Begriffe tauchen auf: Musterrollen, Grundwasser, Hopfen und Malz. Die lange Treppe in den tiefen Brauereikeller ist ein starkes räumliches Element.

Die Gedanken, die um die Gestaltung der Konzepte eines künstlerisch-dokumentarischen Projektes kreisen, das die Verwandlung des Hauses begleitet, beziehen auch mit ein, dass einem nur einmal im Leben ein solch reiches Thema über den Weg läuft.

Klangteppich

Gewitter in der Nacht, wohltuender Regen, ich denke an unsere kleine spärliche Wiese auf Teves.

Ausstellungseröffnung gestern im „Goldenen Adler“. Viele Menschen, Wein, gehaltene Reden und Gespräche. Die Möglichkeit einer weiteren künstlerischen Dokumentation ist ins Auge gefasst. Ich werde dem Besitzer des „Goldenen Adlers“ ein Angebot über eine künstlerisch-dokumentarische Begleitung des Umbauprojektes machen. Die würde ich dann einfach so weiterführen, wie ich jetzt begonnen hatte. Als Endprodukt schwebt mir eine Publikation vor, die Faktizität und Inspiration verbindet. Gerne würde ich mich auch weiter mit den Wortspielen befassen, die ich begonnen hatte.

TOBACCO ROAD   LUNGE   RUSS  FETT

STROH  STAUB  WEIDEN  LEHMPUPPEN

SIEBENZINKENKAMM

Wohin das führt wird man sehen. Besonders interessant wird das Abrissmaterial.

Danach in der Pizzeria um die Ecke, Versuche über das gemeinsame musizieren zu sprechen. Es gibt Diskrepanzen zwischen dem, was wir wollen und dem was wir können. Maj hat viel Musikpraxis hinter sich, ist deswegen virtuos im Vergleich zu mir. Ich möchte mich eher mit Sounds beschäftigen. Wir sind nun drauf gekommen, dass sie einen Klangteppich mit dem Bass knüpft, auf dem ich meine Schwingungen ausprobieren kann. Vielleicht ist es auch möglich, brachial anders in das Geschehen einzugreifen, hörbar eine andere Linie zu verfolgen. Ich rede wie der Blinde von der Farbe! Als nächstes muss eine regelmäßige Probenzeit her.

Segeln

Vor einiger Zeit, es ist bestimmt schon Jahre her, da hat mit Maj von ihren Mauerseglerbefreiungsaktionen erzählt. Manchmal verfliegen sie sich auf ihrem Dachboden, versuchen, wieder hochzukommen, rascheln dabei herum. Ohne Hilfe gelingt es ihnen nicht, wieder aufzufliegen. Dann geht sie hinauf, fängt sie vorsichtig ein, nimmt sie zwischen ihre Hände und wirft sie hoch in die Luft. Ich wünschte mir immer sehr, das auch mal tun zu können.

Und heute Früh, vor Acht kam der Anruf, ob ich kommen wolle, weil sie wieder eines dieser kleinen wunderbaren Tiere eingefangen hatte. Es befand sich in einem Korb abgedeckt mit einem indigofarbenen Tuch, in eine Ecke gedrängt.

In manchen Sommern beschrieb ich täglich die Figuren, Schwünge und Wendungen, die sie fliegen, das Licht unter ihren Flügeln und ihre quirlig strudelnden Versammlungen in der Luft.

Jetzt also saß am Boden eines Wäschekorbes so ein kleines, zartes, junges Exemplar. Vorsichtig, mit einem Paar Handschuhen, umfasste ich den Köper von beiden Seiten, trug ihn mit festem Griff zum Küchenfenster, nahm ein wenig Anlauf und schleuderte ihn so weit wie möglich in den Himmel. Schnell bekam er genug Luft unter die Flügel, nahm Tempo auf und startete direkt in das Treiben über den Dächern. Vielleicht war es schon ein Jungtier, das sich in diesem Sommer erstmalig auf die große Reise machen wird. Wir konnten ihm nachschauen, wie es noch ein paar Runden in der Nähe drehte. Das war ein erhabener Augenblick. Danke Maj.

Gestern im Frankfurt Lab mit der Festivalgemeinschaft aus ganz Europa. Wir sahen „Drei Tage Hölle“ von dem Weißrussen Pawel Prioschka. Eine Alltagstextfläche armer sehr einfacher Menschen, mir vielen Schichten und Verwebungen. In einem Militärzelt, in dem wir saßen, wurde ein Sack Kartoffeln ausgeschüttet. Schöner, strenger Text. Das zweite Stück des Abends hieß „Dementia“, kam aus Ungarn, und ich will es schnell vergessen.

Farben | SONNE | Musik

Nun sind alle Blätter auf die Räume des „Goldenen Adlers“ verteilt. Somit kommt der erste Stock ein wenig in die Schwebe. Meine Konzentration reichte gerade so aus, um diese fünf Räume fertig zu gestalten.

Am Nachmittag stellte ich ein paar Texte aus dem Tagebuch zusammen und ordnete sie umgekehrt chronologisch, was ich heute wieder rückgängig machen will.

Jetzt aber interessieren mich eher die Farben der Sonne, und das, wie ich sie mit Klängen verbinden kann. Während eines Spaziergangs um den Rebstockweiher schob sich ein dunkelindigofarbenes Gewitter vor das diffuse blassblaue Licht einer dunstigen Dämmerung. Auf der Wasserfläche, die mit vielen schlammgrünen Algen durchsetzt ist, berührten die ersten Tropfen die freien, glasklaren Flächen und setzten ihre Ringe darauf. Unter einem Blätterdach konnte ich sehen, wie die milliarden Tropfen glühten, sich wie ein goldgelber Schleier vor die erdig chromoxydfarbene Landschaft setzten. Um mehr von diesem rauschhaften Anblick und dem aufsteigenden Geruch zu haben, setzte ich meinen Weg von einer schützenden Baumkrone zur nächsten fort.

Und dann frage ich mich, was eine klangliche Entsprechung dessen sein kann, die nicht illustrativ ist. Aus einer solchen Stimmung heraus zu musizieren oder zu malen, kann zu der Intensität führen, die der Auslöser hatte, aber etwas anderes bedeuten.

Innerhalb der Tagebuchzeichnungen wird das nun möglich. Wie sich diese Arbeitsweise ins Atelier übertragen lässt, wird sich zeigen.

Saitenschläge

Im „Goldenen Adler“ gestaltete ich gestern mit sechzig Blättern drei Räume. Jetzt sind noch knapp vierzig Blätter da und zwei Räume habe ich noch vor mir. Die Art und Weise, die Formate zu installieren hat sich bewährt. Wenn man allerdings die Fenster öffnet, fliegt alles durcheinander.

Vorher hatte ich vor dem Haus eine Weile auf den Schlüssel zu warten. Wegen der Unberechenbarkeit der vor mir liegenden Arbeit, musste ich mich zwingen, ruhig zu bleiben.

Am Abend im Atelier wässerte ich die Pflanzen und spielte noch etwas Gitarre. Dabei gesellte sich das geheimnisvolle Paar Farbe und Musik zu mir. Es ist spannungsvoller als Klänge und Zeichnungen, die nur schwarzweiß sind. So versuchte ich auf der Gitarre Dinge zu produzieren, die Farbklängen entsprechen. Das Schönste dabei ist, den Tönen lange und genau nachzuhören, die aus der Box kommen. Es ist dem genauen Hinsehen bei der Arbeit vor der Natur oder einen Gegenstand ähnlich. Es gibt Saitenschläge, in die ich mich wohlig hineinlegen kann und die ich festhalten will. Wenn ich einen Klang gleich bleibend halte und mit anderen rund herum kombiniere, gleicht das den malerischen Vorgängen der Farbkompositionen in den Arbeitstagebüchern. Dort kombiniere ich das kontinuierliche dunkle Indigo mit einem kalten Chromgelb, einem lichten Grün und Violett. So kann ich mich langsam an die Zusammenhänge heranarbeiten.

Vielleicht ist das ein besserer Ansatz, als lineare Strukturen mit Musik zu verbinden.

Viel Licht

Die langen Junitage gönnen dem Körper weniger Schlaf und wollen das mit einem Überangebot an Licht wettmachen. Ich denke noch mal an den schönen Sonnenaufgang über der Sportfläche neben der A5 und an das Erwachen wie nach einem durchtanzten Schlaf. Die donnernden Laster, die Stromüberlandleitungen über den Schrebergartenanlagen, die Mütter, die sich am Morgen mit ihren Fußballkindern einfanden und ihnen am frühen Sonntagmorgen neben dem Spielfeld beistanden.

Nach den durchlaufenden Partys am Wochenende, die nur mit wenig Schlaf unterbrochen worden sind, bin ich nun reif für eine Woche schöner konzentrierter Arbeit im „Adler“.

Dabei geht mir jetzt am Anfang der Woche die Installation der Transparentformate durch den Kopf und wie ich die mit Texten aus dem Arbeitstagebuch ergänzen kann. Damit könnte ich die Beziehungen zwischen dem Bau, den Fundstücken, deren Frottagen und der Forschungsfenster des Denkmalschutzes nochmals etwas verdeutlichen. Eine Borste einer Schornsteinbürste hat mit der alten gemauerten Feuerstelle in der ersten Etage zutun, wie mit den im Keller gefundenen Kohlestücken, das Abstandskreuz der Fliesenleger mit den Modernisierungen und den Überdeckungen historischer Bauteile. Auf diese Zusammenhänge habe ich die Texte noch mal durchzugehen.

Eine ganz andere Arbeitsweise bilden die Malereien die ich donnerstags mit Maj unternehme. Der Teil der Farbuntersuchungen daran hat eher mit den täglichen Zeichnungen im Tagebuch zutun. Die Dynamik der gegenseitigen Inspiration auf einer gemeinsamen Malfläche über einen langen Zeitraum gelingt nicht selbstverständlich.

Fest

Das antirassistische Fanprojekt der Frankfurter Eintracht weihte gestern eine Fassadengestaltung mit dem Porträt des schwarzen Spielers Yeboah ein. Das eigentliche Ereignis für mich war, diese Welt der Fußballfans zu sehen und zu schauen, ob es zu meiner Arbeit irgendeinen Bezug gibt. Bis zum Auftritt des Fußballstars bin ich nicht geblieben. Das hätte zu langes Warten in einer mir fremden Welt bedeutet. Ich bin mir noch nicht sicher, ob es richtig wäre sich in diese Arbeit einzuklinken, um dort eine wirklich künstlerische Arbeit zu platzieren.

Am Abend hatte Helga zum sechzigsten Geburtstag eingeladen. Gefeiert wurde, wie könnte es auch anders sein, auf dem Sportgelände einer Regionalfußballmannschaft. Und natürlich wurde das zweite Spiel der deutschen Mannschaft in der Fußballweltmeisterschaft gemeinsam auf einer Leinwand angeschaut. Nach dem Ende machten wir die Musik laut und begannen zu tanzen. Das ging mit kleineren Pausen bis in den Morgen. Zwischendurch betrachteten wir den Sternenhimmel über der großen Kunstrasenfläche und dann stieg bald der Sonnenball rot über der Skyline auf.

Mit Aufräumen dauerte die Feier bis Acht. Ein langsamer weiter Heimweg dann durch die Wärme des Morgens mit Helga und Maj, die das ganze Fest organisiert hat. Das war ihr Geschenk – sehr sehr nett, sehr großzügig.

Nach etwas Schlaf am Vormittag verbrachte ich den Rest des Tages mit arbeiten und telefonieren.

Klangmotive

Bei den Adlertransparenten habe ich erstmals Farbe benutzt. Ich grub eine alte Tube mit Krapplack aus. Die Ölfarbe lässt sich mit Spiritus gut verdünnen und als Film auftragen. Es entstanden fünf Blätter, die mich überrascht haben. Die erste Schicht trug ich in der Rolltechnik der „Synaptischen Kartierungen“ auf und ließ sie dann trocknen.

Während dieser Zeit probierte ich Klangflächen mit der Loopfunktion und der Gitarre zu schichten. Es gelangen bisher eher heroisch – schleppende Rhythmen. Die Welt der leichten, schwebend flirrenden Töne blieb noch verschlossen.

Im Gegensatz dazu, gelang mir das auf den Blättern durchaus. Ich setzte wieder Frottagen und Fundstücke ein. Die Motive machen das vor, was ich bei den Klängen noch erreichen möchte.

Vormittags transportierte ich den Wein für Helgas sechzigstes Geburtstagsfest. Wir hatten Zeit zu sprechen, tauschten uns über die Jugendarbeit aus und hatten die Idee, heute gemeinsam eine Kunstaktion eines Fanprojektes gegen Rassismus zu besuchen.

Am Abend kamen Cordula und Nora noch zum Weinstand. Dort war unsere gemeinsame Zeit am Heidelberger Theater Thema und meine Rolle dort als Malsaalchef. Weil ich meinen Erinnerungen immer weniger traue, war es eine nette Überraschung, dass sie unsere Arbeit dort genauso hoch einschätzten, wie ich. Sie waren auch tolle Mitarbeiter Die Zeit dort gehört zu meinen besten Arbeitserfahrungen. Unser Abend war lang und nett noch bei Pietro zum Pizzaessen und dann im Atelier.

Schichten | Loop | Boxer

Glücklicher Nachmittag mit meiner Gitarre im Atelier. Die vielen Funktionen des Effektgerätes kann ich nur langsam kennen lernen. Ich hatte drei Stunden, keine Verpflichtungen oder Verabredungen, konnte jedem einzelnen Ton lange nachhören und die Schwingungen der einzelnen Saiten wahrnehmen. Mit der Loopfunktion habe ich ein Stück aus fünf Schichten hergestellt, Vielleicht gelingt mir das auch noch freier, später nur mit Geräuschen, die ich den Bildern zuordnen kann, die mit den Rhythmus der Frottagen und dem Schweben der Schelllackblasen zutun haben.

Die Boxer auf Teves luden mich zu ihrem Grillfest ein. Später kamen sie in mein Atelier. Die Erklärung, was ich dort tue dauerte fünf Minuten, dann wurden sie unruhig. Aber meine Anweisung nichts anzufassen wurde gehört und befolgt.

Mit dem Auto brachte ich B. in ein kleines Hotel in Wiesbaden, wo sie während des Theaterfestivals „Neue Stücke aus Europa“ wohnen wird. Sie leitet einen achttägigen Übersetzerworkshop, in dem es um die Arbeit an Theaterstücken geht.

Auf Teves sprach ich mit Deniz über seine Malerei, und dabei über eine Serie von Porträts. In morbiden Farbigkeiten und Strukturen zeigt er hier Tendenzen des Verfalls und des Vergehens, das lange Sterben der Gesichter. Mich erinnerte das, besonders in der Farbigkeit an Caravaggio.

Gleich bin ich mit Helga verabredet und später mit Cordula und Nora, die noch zum Weinstand kommen wollen. Danach gehen wir ins Atelier.

Humus

Nein, die Mauersegler, deren Anzahl über unserem Viertel sichtbar abgenommen hat, sind es nicht, die mich in diesem Sommer zu emotionalen Höhenflügen inspirieren. Eher sind das die schwebenden Motive auf den Transparentpapieren. Sie entstehen schnell und scheinbar leicht. Ihre durchlässigen Strukturen sind fein und sehen so aus, als würden sie gleich wieder verweht. Man kann lange hinschauen. Ich hoffe, sie verführen dazu, das zu tun.

Zwischendurch, wenn eine der Lackschichten trocknet, kann ich mich um meinen Garten kümmern und immer mehr ausgejätetes Kraut aus den Töpfen in die Erdschicht auf dem Beton pflanzen. Grashalm um Grashalm wurzelt in der humosen Matte. Den Beton begrünen! Ein Motto, das sich mittlerweile auch andere Nachbarn auf die Fahnen geschrieben haben. Ich bin nicht mehr allein.

Musikalische Strukturen für die Motivschichten zu finden, setzt einen Arbeitsprozess voraus, den ich nun erst einmal beginnen muss. Oft spiele ich ein wenig zwischendurch, so wie ich gärtnere und lande dann meistens bei einem Blueschema. Nun sollte ich aber ernsthafter daran gehen und beispielsweise den Looper nutzen. Er ist bestens geeignet, um in Ruhe mehrere Sounds neben- und übereinander zu platzieren. Kann sein, dass sich das Partiturenhafte der Blätter durch die Beschäftigung mit Sounds verstärkt.

Am Abend malte ich mit Maj. Für das erste Blatt nahmen wir uns viel Zeit, das zweite ging schon schneller und das dritte schlossen wir in Windeseile ab. Die Qualität litt darunter nicht.

Musikalische Blätter

Ein erneuter Anlauf mit den „Adlerartefakten“, Transparentpapier, Graphit und Schelllack. Es sind einige Blätter mit dem Kreuz, Faser- und Netzstrukturen hinzugekommen. Am Abend begann ich noch mal mit der Rolltechnik der „Synaptischen Kartierungen“ etwas andere Blätter anzufertigen. Damit werde ich nun auch noch weiterarbeiten.

Was derzeit entsteht, kommt mir sehr musikalisch vor, rhythmisch die entstehenden Strukturen. Das wäre eine Partitur für eine weitere Schicht oder eine räumliche Ausweitung, die mit Gitarrentönen gefüllt werden könnte. Eine Rotunde von sieben Stücken für E-Gitarre und Effektgerät.

Am Abend sahen wir im Mousonturm „tauberbach“ ein Stück von Alain Platel, gespielt von „les ballets C de la B“. Die tänzerischen Szenen wurden von einer Schauspielerin gerahmt, die im Dialog mit einem Regisseur im Off steht. Sie ist, wie auch die vier Tänzer auf der Suche nach ihrer Rolle auf dem Berg Klamotten, die die Bühne ausmachen. Taubenflattern, Bachkompositionen und das Summen einer Fliege sind die akustischen Hintergründe vor denen das hoch engagierte Spiel auf der Müllhalde stattfindet. Die außergewöhnlichste und emotionalste Tonkonserve bilden die Gesänge von Gehörlosen, die singen, wie sie sich Bach vorstellen. Später zum Ende der Vorstellung hin, versuchen das auch die Darsteller, bleiben von der existenziellen Intensität der vorausgegangenen Aufnahmen entfernt.

So ähnlich wie die Gesänge der Gehörlosen, stelle ich mir die Übersetzung meiner kleinen „Adlerblätter“ mit Gitarrenmusik vor. Schwebende zurückhaltende Klänge in einem weit hallenden Raum wechseln mit kurzem, trocken gedämpften und leisem Krachen, das das brüllende Universum, wie durch einen Riss eindringen lässt.

Splitterraum

So, wie sich die Farbmischungen innerhalb der Tagebuchzeichnungen auffächern wie prismatisches Licht, das in sehr flachem Winkel auf eine helle Fläche trifft, so bewegen sich die Strukturen der Frottagen von den „Adlerartefakten“ über das Format. Sie wechseln durch die Reibung ihre Lage, wandern gewisse Strecken und hinterlassen so die frottierten Spuren. Die Bewegungen erzählen rhythmisch ihren Raum und die Konsistenz der Materialien, mit denen sie sichtbar und haltbar gemacht und eingegossen werden.

Irgendwo auf dem Boden habe ich einen kleinen kreuzförmigen Abstandshalter aus Plastik gefunden, den man für die Gleichmäßigkeit der Fugen beim Fliesenlegen braucht. Seine zarten Dimensionen sind sehr ausgewogen und erinnern in diesem Zusammenhang sofort an christliche Symbolik. Z.B. an Reliquienkästchen zum Schutz des Daches gegen Blitzschlag mit kleinen Pergamentzetteln, auf die mit Tusche Bittgebete geschrieben wurden.

Während der Arbeit tauchen Erinnerungen auf und ordnen sich neu. In einem ehemaligen Kloster, während der kommunistisch – kulturrevolutionären Fünfzigerjahre, wurde zu hohen Festtagen die Marienfigur über dem Eingang schamhaft mit einem roten Spruchband verhüllt. So wurde sie auch geschützt.

Die Verhüllung der Figur einer Gebärenden im großen Tempel von Madurai wurde nur unterbrochen, wenn die Schürze wegen des andauernden Butterkugelbeschusses gewechselt werden musste.

Während der Arbeit mit dem Transparentpapier nähere ich mich einem meditativen Zustand splitternder Erinnerung.

Vom Ende einer Geschichte

Im Museum für Angewandte Kunst fand die letzte der siebenunddreißig Premieren dieser Spielzeit statt. Mit kindlichem Stolz erklärte uns der Intendant, dass demnach im Durchschnitt etwa alle 8 Tage eine Premiere raus kam.

Gestern also die Arbeit von unserer Freundin Lily Sykes, die einen Roman von Julian Barnes mit dem Titel „Vom Ende einer Geschichte“ dramatisiert hat. Es geht um die Lebenserinnerungen eines älteren Mannes und darum, wie sehr diese ein Ort von Umdeutungen sind, die wir zur Orientierung in der Gegenwart benötigen.

Dieses Phänomen interessiert mich besonders im Hinblick auf die Rolle, die die jeweiligen Gesellschaften den Zeitzeugen bestimmter wichtiger geschichtlicher Ereignisse zukommen lassen. Oft genug erscheinen sie als Mahner im Zusammenhang von drohenden Wiederholungen bedrohlicher Entwicklungen. Gleichzeitig fungieren sie als das Gewissen und Schuldkompensatoren kultureller Gemeinschaften.

Wir sahen ein Einpersonenstück, facettenreich und sensibel gespielt von Peter Schröder. Virtuos und gleichzeitig zurückhaltend schlüpft er in viele Rollen, spielt sie sehr verinnerlicht und seelenvoll.

Der museale Ort, für den das Stück inszeniert wurde, ist deswegen eine Herausforderung, weil das Farbspiel der Dämmerung in den lichtdurchfluteten Räumen und draußen zwischen den Bäumen so nuanciert ist, wie ein Bühnenlicht nie sein kann. Die Kulisse wird mit einer falschen Gestaltungsgeste sofort zur unechten Pappe und das Spiel leicht zu einem künstlichen Vorgang. Diese Gefahren wurden von Lily und dem Team, besonders aber von Darsteller bravourös umschifft.

Krähentheater

Am Nachmittag brachte Maj ihren Bass mit ins Atelier. Die Umsetzung dessen, was ich ihr vorher als Maßgaben meiner Spielvorstellungen mühelos formulieren konnte, erwies sich als schwer umsetzbar, weil mir einfach das Handwerk fehlt, um dem Spiel von Maj zu folgen. Ich bin allerdings auch kein Mensch, der am Tag zwei Stunden Gitarre übt. Und mein Mangel wird oft genug vom Effektgerät kompensiert. Das reicht mir auch, denn es geht mir um den Klang, so wie es mir bei den Zeichnungen derzeit um die Farbe geht, die sehr präsent und täglich neu beglückend erscheint. Diese Intensität wird bei Gitarrespiel nicht mehr zu erreichen sein.

„Gefährliche Liebschaften“ – Premiere am Abend im Schauspiel. Sparsam – schaurige Musik, reich kostümierte und gut geführte Schauspieler, ein funktionierendes Bühnenbild mit viel Kronenleuchterstrass – ein perfekter Abend. Aber die zwei Krähen, die sich auf dem Dachfirst des Nachbarhauses gegenüber sitzen, sich mit schiefen Köpfen fixieren, bis eine von beiden auffliegt und die andere den Kopf ihr nachdreht, erzählen mir mehr als der ganze pompöse Abend zusammen, der eher ins Popcorn-Kino gehört. Boulevard auf hohem Niveau. Das so etwas zunehmend auf dem Spielplan landet, sieht aus wie Sponsorentheater. Das haben wir nicht verdient!

Doch in der Panoramabar sprachen wir mit Schirin und beim Fest des Verlages der Autoren später mit Dea über Indien und das, was wir nicht beschreiben können. Das Goetheinstitut in Bangalore, soll ein reichhaltiges Künstlerprogramm haben, meinte Dea. Vielleicht sollte ich das mal ins Auge fassen, um eine große indische Hand laufen zu können.

Farbe

Die Tagebuchzeichnungen sind in letzter Zeit eher Farb- und Strukturexperimente. Die Farbe hat in meiner Arbeit fast immer eine eher untergeordnete Rolle gespielt. Wichtiger war stets die Linie der Zeichnung. Nun rücken die Töne, die die Aquarellstifte hergeben durch die stetige Beschäftigung mit ihnen immer mehr in den Mittelpunkt. Sie werden genauer ausgewählt und mit breitem Strich, sich kreuzend fest aufgetragen. Diese Diagonalen bekommen eine möglichst genau berechnete Wassermenge, die mit immer demselben Pinsel, meistens überkreuz, den Linien folgend aufgestrichen wird. Wenn nun mit dem Handballen über die noch groben Farbstrukturen hinweggewischt wird, fächern sich die vielen Nuancen der Vermischungen auf. Mit weiteren Wischbewegungen, die das verbliebene Farbwasser möglich macht, kann nun die Komposition beeinflusst werden. Willentliche Gestaltung und Zufall treffen aufeinander. Manchmal wird die unterste Schicht völlig überlagert und unsichtbar. Meistens aber bleibt noch etwas von ihr übrig.

Wenn ich mit zu viel Wasser gearbeitet habe, bleiben an den Rändern dunkle Pfützen stehen, die alle eingesetzten Farben in sich haben. Falls das zu viel ist, nehme ich diese Flüssigkeit abermals mit der Handkante auf und verteile sie auf einer vorausgegangenen oder auf derselben Zeichnung noch einmal. Meisten ergeben aber diese Handkantenabdrücke die Struktur für die letzte, dritte Zeichnung des Tages. Davon kann ich gar nicht genug haben.

Gestern am Freitag dem Dreizehnten ist nix passiert. Trotz aller Aufgeklärtheit, vermeiden wir über dieses Datum zu sprechen, um das Pech nicht herbeizurufen, das an diesem Tag angeblich öfter als sonst über die Köpfe der Unglücklichen herab gegossen werden soll.

Buchstabenstempel

Es begegnen sich ein beschlipster Mann in weißem Hemd, der seine Zigarette austritt, die Kippe aufhebt und zum Papierkorb trägt und eine Chinesin im ganz und gar europäischem Gang, den man als Stolzieren auf hohen Absätzen bezeichnen könnte. Das findet im lichtdurchfluteten Marktgeschehen des Morgens statt, welches von meiner Sichtseite als angenehm flirrend erscheint.

Während ich mit den Buchstabenstempeln letzte Korrekturen an den Transparentpapierformaten einrichtete, stellte ich eine Rückkopplung zum rhythmischen Gitarrenspiel des Nachmittags fest. Der kurze, sich mehrmals wiederholende Hall, der langsam leiser wird, korrespondiert mit den blasser werdenden Buchstabenreihen auf den bewegten Untergründen.

Außerdem schließt sich die Beschäftigung mit den Buchstaben, auf verschlungenen Wegen mit der Bildungsferne oder dem Verdammen „westlicher“ Bildung von radikal muslimischen Bewegungen kurz. Einzig der Koran kann dort Recht und Naturwissenschaft begründen.

Algorithmen, die unser Handeln voraussagen und Abweichungen als beobachtenswerte Anormalitäten registrieren könnten, beginnen unsere Hirne zu verändern. Der Fluchtinstinkt davor lässt Schwärme entstehen. Anonymität wird nur noch gewährleistet, wenn vorausgesagte Verhaltensweisen auch eintreffen.

Beide Wege der Machtausübung wollen lediglich mehr Einfluss im Weltgeschehen, wobei sich Territorien auf der einen Seite auflösen und mittelalterlichen Rückfällen dort ein Vakuum bieten. Die Mechanismen und ihre Folgen sind wiederum abzusehen: Amerikaner schicken Drohnen, Türken sind in ihrem Stolz verletzt, denn Öl wird immer noch gebraucht.

Kleine Formate und Geflechte

Viele Maschinen älterer Bauart starten dröhnend über unser Quartier. Ein kleiner Schwenk der Windrichtung am Boden von Nordwest auf Nordost löst das aus. Die Bewegungen der Luftschichten schieben Wolken verschiedener Höhen über- und gegeneinander hinweg.

Die Textarbeiten und die Zeichnungen am Vormittag gehen ineinander über. Collagen, Leporello für unsere Zwangsarbeiterpräsentation und so weiter. Diese Energie des Morgens würde ich gerne nahtlos in die Atelierarbeit hinüber gleiten lassen. Das holpert oft, weil unterwegs etwas Kraft verloren geht.

Am Hang hat der Förster die Bäume angezeichnet, die demnächst geschlagen werden sollen. Demnach wird im unteren Drittel der schmale Streifen, der sich im Verlauf der letzten Jahre in eine parkähnliche Landschaft verwandelt hat, von der Holzerntemaschine verwüstet. Räume, die aufeinander abgestimmt sind, Wellen, Schwünge, Bögen werden verschwinden. Trost wird sein, dass dort neues Material zur Veränderung des Ganzen bereitgestellt wird.

Gestern beschäftigten mich kleinere Geflechte, Fotografie. Ich war schnell unterwegs.

Nach der Rückkehr im Atelier habe ich eine Befestigungsart für die kleinen Transparentpapierformate gefunden und ausprobiert. Außerdem wurden sie gesichtet und sortiert. Nun bin ich auf die Installationsarbeit sehr gespannt.

Präsentationen

Die Amseln singen immer noch ihr Revier aus. Es ist noch nicht Fünf, und das Licht tastet noch zart nach den Wolkengespinsten der Nacht, wie um sie schon freundlich zur Auflösung zu überreden. Es wird aber anders kommen, nämlich zu grellen Lichtwechseln Zusammenballungen und großtropfigem Regen.

Vormittags sind ein paar Seiten für das Leporello der Dokumentation der Zwangsarbeiterforschung entstanden, dazu ein einführender Text zu meinem Arbeitstagebuch. Das Einsetzen der Texte in die aufgehellten schwarz-weißen Bilder ist eine ungewohnte Arbeit, von der ich auch kaum weiß ob ich sie befriedigend lösen kann. Es müssen nun auch Einladungen für dem 30. 06. mit einem noch zu findenden Titel der Präsentation raus. Ausstellungsmaterial ist auch noch auszudrucken. Vielleicht kann ich mit den täglichen Collagen auch eine Animation machen.

Am frühen Nachmittag ein Treffen mit den Künstlerkollegen zum Thema unserer Initiative zur Zukunftssicherung von Teves West. Ich stellte meine Ideen noch mal vor und sie ergänzten sie mit ihren Intentionen. In der kommenden Woche können wir so konkreter werden. Nun kann das Gespräch über Geldbeschaffung geführt werden.

Minimalistische „Adlercollagen“, danach Konzentration auf die Frottagen der Borsten des Schornsteinfegerbesens. Manche Konstellationen hielt ich auf mehreren Blättern fest. Sie bekamen dadurch einen seriellen Anflug. Nun ist ernsthaft die Befestigung der Blätter an den Wänden dran, die unaufwendig gestaltet werden sollte.

Donnerräume

Nach all der Hitze kam am Abend ein Gewitter herab. Kurz vor seinem Abzug weit nach Mitternacht, blitzte es fast unaufhörlich und die Größe des Wetters wurde durch die weiten Donnerräume beschrieben. Bis zum Ende blieb ich fasziniert auf dem Balkon sitzen und schaute auf die vielen verschiedenen kurzen Lichtsituationen. Durch die Konstellationen, die durch den Ort der Entladungen und ihre Heftigkeit bestimmt wurden, wurden manchmal die Silhouetten der riesigen Dampfgebäude hervorgehoben, manchmal wie Lampions von innen beleuchtet, oder die scharfzackigen Lichtbögen blendeten direkt vor allen Wolkenkulissen. Mein vom Tag erhitzter Körper wurde vom Sprühwasser des senkrecht herabströmenden Regens lindernd eingehüllt.

Von uns war das Gewitter nicht voraussehbar, weswegen wir die Pflanzen vom Roland, von Startorante und mein Gärtchen wässerten.

Jetzt steigt die Temperatur wieder, schwere Wolken schieben sich zusammen und bereiten den nächsten Guss vor.

Außer etwas Nachtrag in der Arbeitstagebuchdatei, meinen dazugehörigen Zeichnungen und Collagen, keine weitere Arbeit am Pfingstmontag. Es wird Zeit, dass ich wieder ins Atelier komme. Dort will ich mich in den kommenden Tagen weiter mit den „Adlercollagen“ beschäftigen, so dass ein Fundus entsteht, aus dem ich beim Ausstellungsaufbau dann schöpfen kann.

Dann geht es in den nächsten Tagen noch um den Leporello, den ich gemeinsam mit Helga zum Zwangsarbeitergedenken machen werde.

Schwebende Transparenz

Auf der Autobahn zeigte das Außenthermometer unseres Autos siebenunddreißig Grad an. Über die Pfingstfeiertage erleben wir also eine satte Hitzewelle.

In Hamm besuchten wir die neuen Praxisräume der Ärzte, innerhalb eines Rehabilitationsneubaus. Durchdachter Grundriss, schöne Möbel, tolles Farbkonzept, die Blicke nach draußen gehen ins Grüne auf alte Bäume, Pferdekoppeln, den Kanal, wilde Blumenbeete und auf einen Kindergarten. Sie hatten mit der Einrichtung und mit dem Umzug viel Arbeit, sind aber nun mit einem neuen Lebensgefühl belohnt.

Am Ende der Führung gelangten wir an eine Wand, die noch eine Gestaltung braucht. Dabei schauten sie mich erwartungsvoll an. Ich könnte mir vorstellen, dass das System mit dem ich seit einiger Zeit verschiedene Themen bearbeite, sich auch in dieser Praxis harmonisch einfügen könnte. In diesem Fall würde ich mit Fundstücken arbeiten, und diese in der Umgebung des Neubaus sammeln. Ich stelle mir dann eine Art Objektrahmen vor, dessen Rückwand auch aus Glas besteht, um der Transparenz des Objektes mehr Sichtbarkeit zu verleihen. Vielleicht würde ich auf zu viel Tusche verzichten, um den Bernsteincharakter mehr zu unterstreichen, der dem Ort angemessener als dunkle Wolken erscheint.

Die Präsentation der Objekte im Adler sollte auch eher einen schwebenden Charakter haben, mit etwas Abstand und im rechten Winkel zu den Wänden. Eine Weiterarbeit stelle ich mir in der Zusammenstellung verschiedener Formate zu einem größeren vor. So könnte auch ein Zwischenschritt des Fremdarbeitergedenkens aussehen.

Verständigung klappt

Hamm, unterm Nussbaum. Ein kleines Exemplar eines solchen hat mir meine Schwägerin in einen Topf gesetzt, den ich zu Hause richtig in die Erde bringen will. Das kann ich in Absprache mit Roland, der sich mittlerweile um die Flächeneinteilung auf dem Gelände kümmert, einfach auf Teves tun. Beiden Künstlerkollegen habe ich noch mal meinen erweiterten Text zur Künstlerinitiative gemailt. Am Dienstag wollen wir besprechen, wie wir damit weiter verfahren wollen.

Die Fotoarbeit mit den Adlertransparentpapieren auf Teves im Zwischenraum von Atelier und Garten, haben noch mal zum Nachdenken über ihre Präsentation angeregt, die dem Objektcharakter mehr Geltung verschaffen soll.

Während der improvisierten Reparatur unseres Staubsaugers mit einer Gardinenklammer und einem Stück festen Draht, hatte ich die Idee eines Reparaturcafes auf Teves. Die Lust am Basteln und die Aversion gegen das schnelle Wegwerfen, würden sicherlich einige Ältere zusammenführen können.

Hier in Hamm im schönen Garten haben wir lange auf den Bierbänken gesessen, gegrillt, geredet, getrunken und gegessen, haben das nachgeholt, wofür während der letzten Begegnungen nicht genug Zeit war.

Aus den Nachbargärten kommen jetzt am Morgen Kinderstimmen, Taubengurren und das kurze krächzen der Dohlen, die in Scharen durch die Gärten zwischen den Häusern treiben. Allenthalben werden Tische gedeckt, Teller klappern, kleine Löffel fallen auf Untertassen. In freudiger Stimmung wird zu Frühstück gerufen. Die Verständigung klappt –Pfingsten.

Kanon

In federleichtem Wind fächeln die Blätter mit schwenkenden Bewegungen auf und ab, wedeln gemeinsam mit dem flackernden Lichtspiel des einsetzenden Pfingstfestes der Übersetzer.

Sets kommt das Ringeltaubenpaar mit einem Zweig im Schnabel zum Nest zurück. Instandhaltung der Wohnstatt, Schutz für das Ei, das trotz der vielen Elstern, die sich herumtreiben immer noch da zu sei scheint. Auf den Satellitenschüsseln der Dachfirste sitzen sie ebenfalls gerne und stimmen in einen Kanon ein, der von vielen im weiten Raum gemeinschaftlich zum Klingen gebracht und lange gehalten wird.

Auf dem Markt ein Gespräch mit Helga über unsere gemeinsame Arbeit. Sie erzählte von Fassadenarbeiten zu politischen Themen im Rahmen von Fanprojekten der Eintracht und meinte, dass mein Trixel Planet dazu passen würde. Natürlich gibt es vor allem auf den Transparentpapierrollen eine Menge Material. Spontan fällt mir die mittelalterliche Illustration ein, die Wolfram von Eschenbach zeigt, der den Juden, Christen und Muslimen predigt, sich nicht die Köpfe einzuschlagen. Ich habe die Figurengruppe fragmentiert und dann mehrfach verschieden angeordnet.

Die „Adlertransparente“ sind gestern im Licht vor dem Atelier fotografiert worden. Die freie Umgebung lässt sie eher wir Objekte erscheinen. Das ist für die Ausstellung im Adler von Bedeutung. Vielleicht ist ein Abstand von den Wänden von Vorteil.

Noah von den Hindemithkindern hat ein Dreiecksgitterobjekt gebaut und dazu Frottagen mit Waldgras gemacht, ähnlich wie mit den Besenborsten umgegangen wird. Wenn der Schelllack und die Tusche getrocknet sind, werden die Formate in das Objekt eingebaut.

FETT STROHPUPPEN RUSS LUNGE LEHM WEIDENBÄUME

Die Öffentlichkeitsarbeiterin der Firma, die den alten „Adler“ restaurieren wird, war gestern zu einem Kurzbesuch im Atelier. Das Gespräch erreichte bald die Phase, in der wir über Möglichkeiten einer Fortführung dieser Arbeit sprachen. Die könnte mit einer Publikation zusammenhängen, die sich mit dem künstlerisch-dokumentarischen Raum beschäftigt.

Gestern ging es mir bei dieser Reihung der Arbeiten und ihrer Produktion um die Frottagespuren, die die winzigen Artefakte auslösen. Diese Vertiefung des geschichtlichen Raumes beinhaltet einen dialektischen Prozess. Er fußt auf dem ganzen Schmutz, dem Zerfall und die Verengung der Kammern durch immer neu übereinander gesetzte Schichten von Wandmaterial und führt durch die absolute Nähe zum Material zu einer Reinheit, die aus der Betrachtung entsteht. Die dokumentarische Methode verleiht dem Vorgang eine diamantene Oberfläche. Der Kunst kommt somit die Aufgabe einer Umdeutung des Raumes zu. Nicht zuletzt die Wortketten, die sowohl fragmentiert, als auch übereinander geschichtet abgebildet sind, übernehmen die Aufgabe einer Bändigung und Festlegung des Ortes der Umwandlung.

FETT  STROHPUPPEN  RUSS  LUNGE  LEHM  WEIDENBÄUME

Ich denke, dass ich in der Beschäftigung mit dem Ort den Analysen des Denkmalschutzes einen neuen Aspekt hinzufüge. Umso mehr interessiert mich der Inhalt der gesamten Analyse, die mir für meine Arbeit neue Impulse liefern würde.

Fast habe ich den Eindruck, dass ich mit dem Stand meiner jetzigen Arbeit nur einen kleinen Teil der Zeitstruktur des Ortes gerecht werden kann. Und ich frage mich ob man die Erweiterung der Arbeit ernsthaft ins Auge fassen sollte.

Frottagen

Gestern war ich nicht auf dem Pfad am Hang. Das passiert mittwochs selten. Die Projekte sind in den kommenden Wochen etwas gedrängt. Die Ausstellungen im „Goldenen Adler“ und auf Teves West zum Zwangsarbeitergedenken finden an aufeinander folgenden Tagen statt. Bis dahin entstehen noch Drucksachen, die ich auch bedienen muss.

Das führt aber im Atelier zu einer anhaltenden Produktivität. Die Beschäftigungen mit den Frottagen der Strukturen aus dem „Adler“ bringen neue Arbeitsschritte hervor, die zu überraschenden Ergebnissen führen, die auch anderweitig genutzt werden sollten, beispielsweise beim „Schattenboxen“.

Mit einem Buchstabenstempelkasten füge ich Buchstaben in Tuscheabdrücken zusammen, die Worte ergeben, die wieder fragmentiert werden. Die auf das Transparentpapier gestreuten Borsten des Schonsteinfegerbesens verrutschen zwischen jedem Frottagevorgang. Die so entstehenden nervös fächelnden kurzen Linien kontrastieren das ruhige fließen der Schelllack-Tusche-Mischung und die schweren großen Blockbuchstaben.

Mit den Möglichkeiten der Zusammenstellungen der verschiedenen Materialien bin ich noch lange nicht am Ende, muss mich aber zurückhalten, denn andere Arbeitsschritte sollten noch für die Installation des Ganzen getan werden.

Kurzer Besuch der Leiterin der neuen Altenwohnanlage auf der Frankenallee. Wir verabredeten kurz und konkret die weiteren Schritte zur Zusammenarbeit. Das passt in das Programm der Zukunftssicherung auf Teves West.

Kontrast Nolde

Unterm Dach des „Goldenen Adlers“ sind viele Frottagen entstanden, die das Holz der Balken, der Bodendielen und die Kammmuster der Lehmschichten zwischen dem Fachwerk an den Wänden abbilden. Weil die Sonne schnell höher stieg und den Raum aufheizte, wurde das Schraffieren während des Festhaltens des Papiers etwas mühselig.

Der Tag kam durch die Fahrten, um einen Schlüssel fürs Haus zu holen und wieder zurück zu bringen etwas aus seinem Rhythmus. Am Nachmittag hatten wir uns auch noch die Noldeausstellung im „Städel“ vorgenommen.

Das war ein seltsamer Kontrast zu dem gefilterten Licht, den Schlammfarben und dem Staub unter den achthundert Jahre alten Dachbalken. Nach so vielen Jahren, als wir in Seebüll waren, blieb der Nolde für mich etwas enttäuschend. Zunächst fiel mir das Umschalten von meinen archaischen, sich dem Zufall hingebenden, in feine Strukturen eintauchenden Blättern auf das Farbberserkertum etwas schwer. Hinter den müden Augen wurde so etwas wie Widerwillen geweckt. Die allzu großen Reize zwischen Gelb und Violett, leuchtendem Grün und kalt loderndem Rot störten mich in meiner Arbeitsphase. Dazu verliehen die grotesken Figuren den gewagten Farbströmen eine gewisse Harmlosigkeit: „…ist alles nicht so schlimm, ist nur ein Märchen“. In dieser Weise rückte auch die Gruppe „Das Leben Christi“ von mir ab, allzu gekonnt, wenig Zweifel und wenig existenziell.

Deswegen war ich froh, am Abend wieder in meinem Atelier zu sein, die Frottagen vom Vormittag sichten zu können, um dann die Arbeit mit ihnen zu beginnen.

Gefaltete Worte

Wortbezüge zu den Fundstücken aus dem „Goldenen Adler“ finden über den Materialeinschlüssen zwischen den Transparentpapierformaten Platz. Die Borsten eines kleinen Schonsteinfegerbesens rieseln, wenn ich ihn etwas ruckartig bewege herab und bleiben in zufälligen Konstellationen im Schelllack liegen. Falte ich dann das Papier zusammen und wieder auseinander, verrutschen sie. Die verschiedenen Stellungen kann ich mittels einer Graphitfrottage festhalten, wodurch sich die Borsten schärfer anheben. Dieser Vorgang kann mehrmals wiederholt und ihr Weg über das Format somit beschrieben werden.

Tusche kommt mit einer dicken Bambusfeder dazu ins Spiel. Buchstaben erscheinen und setzen sich zu gefalteten Worten zusammen, deren zweiter Teil sich auf der Gegenseite rückläufig und durchscheinend abbildet. Worte fallen mir ein wie: Schlot, Esse, Schornstein und Ruß, Fett, Kohle, oder  Leiter, Dach, Glück und Herd, Schamott, Ofennischen und Lunge.

Die Worte könnten aus mehreren Formaten zusammengesetzt werden. Ein Buchstabe, der ein ganzes Format füllt, überlagert sich mit dem nächsten auf der Rückseite. Dafür aber sollte ein System gefunden werden, das die Bezüge lesbar macht.

Gestern sind zwölf Formate von vielleicht sechzig entstanden. Ich muss aufpassen, weil die Arbeit auszuufern beginnt.

Die Frottagen werden einem anderen Bezugssystem ausgeliefert: Lehm. Holzschnitzer, Flussweiden, Strohpuppen…

Spannung im Zwischenraum

Die Schatten liegen still am Boden, die Blätter aber bewegen sich in kleinen Radien schnell hin und her. Beim ersten Hinschauen ist das Phänomen nicht erklärbar. Genauer hinsehen, denn die Schattenbewegungen sind nur weniger sichtbar, weil sie nicht scharf umrissen in der Flächigkeit verharren. Dann rückt die Farbe in den Vordergrund. Der Split der Gehwege ist mit organischem Material angereichert und tendiert an seinen Rändern ins Indischrot. Die schattigen Flächen daneben werden umso blauer, wie im südlichen Licht.

Sehr schnell gehend strebt ein Vater mit Businessanzug und Kinderwagen der Stadt zu. Eine junge Familie mit drei Kindern und einem ziemlich kleinen Vater mit Hipstermütze läuft in die Gegenrichtung. Eine junge Frau mit grünem Pullover und langen roten Haaren mit einem kleinen Kind an der Hand, trifft auf eine hochhackige Japanerin, ebenfalls mit Kinderwagen und eine hellblau wedelnde Frau fährt mit behelmtem Kind nach Westen. Ich könnte die ganze Zeit so weitermachen. Ständig begegnen sich sehr verschiedene Menschen und schaffen auf diese Weise eine Spannung in der Luft dazwischen. In den letzten Zwanzig Jahren haben die Verschiedenheiten zugenommen. Frankfurt ist noch internationaler geworden.

Um dem ausgelieferten Gefühl zu entgehen, muss ich mir mit den sich im Sommer zusammenballenden Projekten mal einen übersichtlichen Kalender anfertigen, der dann auf dem Schreibtisch liegt und immer sichtbar bleibt.

Es schlägt Neun und es ist still im Haus. Das Wechselspiel von Konzentration, Routine und Leere, die sich nicht alleine überlassen wird, kann beginnen. Vertiefung erwarte ich erst am Nachmittag über den Transparentpapieren

Aeronautik

Weit oben die Schrift der Mauersegler, die Worte ihrer gemeinsamen Jagd schwungvoll und unsichtbar in das Blau des Sonntagmorgens zeichnet. Kitschverdacht – aber Balkonwärme im Rücken. Ein Spinnfaden hat das Gewöll einer Samenflugmaschine gefangen, das mal hell, mal dunkel vor den verschiedenen Hintergründen hin und her tanzt. Morgenkaffee, startende Flugzeuge, eine vorüberwedelnde Krähe, Insekten über den Röhrennetstern der vor Wind schützenden, unverwüstlichen Schilfmatte.

Spät nach einem Grillabend mit den Freunden, spielte ich noch ein wenig auf meiner Gitarre. Mathilda setzte sich in den Einbaum und ließ sich von mit über den wogenden Betonozean schippern.

Ein kleiner Ballon, ein schwarzes Herz beschreibt durch die verschiedenen Luftschichten und Windrichtungen einen lang gezogenen Spiralbogen. Aeronautik heute hoch im Kurs.

Mit dem Architekten am Weinstand sprach ich am Freitag über die Kammmuster auf dem Lehm zwischen dem Dachgebälk des „Goldenen Adlers“. Er sagte, das seien keine Verzierungen sondern nur Hilfsmittel, um die nächste Putzschicht zu halten. Vielleicht spricht mich ihre ornamentale Zufälligkeit deswegen an, weil sie nichts mit Schmuck zutun hat. Auch deswegen erzählen die Muster einiges über die Beschaffenheit ihrer Urheber. Sie haben im Format des Fachwerkes alle Freiheit. Das rückt die Frottagen, die ich morgen von ihnen anfertigen will noch mal in ein anderes Licht.

Während ich das Atelier für unser kleines Grillfest einrichtete, verpackte ich die empfindlichen Fundstücke in Kartons, nahm sie alle noch mal in die Hand.

Briefträger | Bäcker | Tischler

Ein Briefträger auf einem Fahrrad, die Sonne im Rücken, in einer schwarzgelben Radleruniform mit großen gelben Taschen auf dem vorderen und auf dem hinteren Gepäckträger, tritt langsam in die Pedalen, langhaarig und nach vorne gebeugt. Ein großer Mensch.

Eine junge Frau mit roter Jacke und blonder, wippender Frisur, schließt ihr silbernes Auto auf, fährt ohne jeden Umstand sofort los, als wolle sie nur kurz zum Bäcker. Einige neue Läden, die Backwaren verkaufen, haben in der Gegend aufgemacht. Das sind aber keine Bäckereien mehr, in denen man von mit Mehlstaub überpuderten Menschen bedient wird, die mitten in der Nacht aufstehen mussten, um den Brotteig anzusetzen. Im Einzugsgebiet meiner Frühstücksbrötchenexkursionen während meiner thüringer Kindheit lagen drei Bäckereien. Die unserer Meinung nach besten Brötchen gab es in der Bäckerei Kaufmann, die doppelt so weit von der Wohnung entfernt war als die mit dem Namen Gasterstädt.

Wegen der Hindemithkinder bin ich gestern nicht zu meiner Arbeit gekommen. Das fehlt mir, weil ich mir so viel vorgenommen hatte.

Am Vormittag begann ich einen Förderantrag zu schreiben, in dem es um die Objekte geht, die ich eigentlich im vergangenen Jahr bauen wollte, die Finanzierung dafür aber fehlte. In diesem Zusammenhang dachte ich schon öfter daran, die Dreiecksgittergerüste aus Holz zu bauen. Das würde besser zu mir passen, als sie zu schweißen. Allerdings sind die Holzverbindungen und ihre Winkel eine Herausforderung.

Ein anderes Problem ergäbe sich aus der Fertigung der Reliefs mit Pappmache. Denn ich könnte die gebauten Teile nicht im Balken lagern, weil dieser Raum zu feucht ist und das Pappmache sich verformt.

Afrikanische Komödie

Mit kleinen Schritten gehen Chinesen über den Wochenmarkt, schauen neugierig hin und her. Von Westen her scheint die tief stehende Sonne nach kalter Nacht fast waagerecht durch die offene Seitentür vom Verkaufswagen des Bäckers.

Im Museum für Moderne Kunst sahen wir gestern die Ausstellung „Die Göttliche Komödie“, Himmel, Hölle, Fegefeuer aus Sicht afrikanischer Gegenwartskünstler. Viele der Arbeiten berührten mich zwiespältig, weil sie einerseits von der westlichen Kunstentwicklung angesteckt waren, in afrikanischer Gewandung und Materialität steckten und gleichzeitig oft eine Tendenz zu harmlosem Kitsch aufwiesen. Eine auf Video aufgezeichnete Performance zeigte lauter Models in weißen Brautkostümen, die die Scham frei ließen. In die langweilige Choreografie griff immer wieder die Künstlerin ein, indem sie der Akteurinnen zeigte, wie sie sich bewegen sollten. Das war laienhaft, abstoßend und ohne jede Spannung. Andere Arbeiten überzeugten mich, wie die von Nicholas Hlobo aus Kapstadt. Er nähte aus vielen Gummischläuchen von Auto und Lastwagenbereifung einen großen lang gestreckten Körper zusammen, der in einen dünnen langen Schwanz ausläuft. Es könnte ein Wal oder ein schwarzer Darm eines riesigen Tieres sein.

Die regnerischen Tage scheinen nun erst einmal vorüber zu sein. Die Zeit, die ich mit der Pflege meines nun üppig treibenden Gärtchens auf dem Beton verbringe, ist zumeist eine glückliche. Unter der Birke, die nun bald die Dachrinne erreicht haben wird, wachsen eine Eiche, eine Weide und ein Ahorn. Dazwischen habe ich drei Eidechsen beobachtet, die sich auf dem trockenen Laub sonnen.

Verlust

Beim Hanggang gestern hatte ich die riesigen Brocken wieder aufzustellen, die nach einem Jahr wieder jemand umgeworfen hat. Sonst ist im mittleren Abschnitt nichts zerstört worden. Solche hoch aufragenden Schwergewichte reizen natürlich und Vinzenz, der mit seiner jugendlichen Kraft die größten Steine aufstellte, die er finden konnte, hat mir nun die Aufgabe hinterlassen, mich stets um ihren aufrechten Stand zu kümmern. Das geht ins Kreuz…

Auf dem Rückweg mit Monika kam es zur denkwürdigen Begegnung mit dem Förster, der die zunehmenden Aktivitäten seit drei Jahren beobachtete. Der Umfang, den die Arbeit angenommen hatte, macht es nun notwendig das Ganze zu offizialisieren. Somit haben wir uns geeinigt zusammen zu arbeiten und Regeln festzulegen, die beachtet werden müssen. Ich freue mich über diese Begegnung und hoffe auf eine Zusammenarbeit, die neue Impulse aussenden kann.

Im Atelier sichtete ich noch mal die vielen Blätter, die ich vorgestern mit dem Material aus dem „Adler“ gemacht habe. Schon ist ein Produktionsprozess in Gang gekommen, der dem der „Synaptischen Kartierungen“ ähnlich ist. Diese Arbeiten sind aber von einer anderen Dichte und deswegen auch etwas aufwendiger herzustellen. Die Intensität kann allerdings in den kommenden Wochen noch zunehmen. Die Implantationen von Fundmaterial in fließende Zeichnungen haben gerade erst begonnen.

Gerade habe ich erfahren, dass Forsythe nach Los Angeles zur Glorya Kaufman School of Dance geht. So langsam hat sich sein Abschied angekündigt, dennoch bin ich schockiert, dass der Mann nun Frankfurt verlässt, der mich jahrelang mit wichtigen Inspirationen versorgt hat. Ein großer Verlust für uns.

Dramaturgie

Mein Krishnababy zeigt mit seiner bronzenen Patschhand auf das mit Tusche geschriebene Wort „TAPETENSCHICHTEN“. Es ist nach dem zweiten Drittel gefaltet und läuft von dort aus in entgegengesetzte Richtung, auf der Rückseite des gefalteten Transparentpapierbogens mit „HICHTEN“ spiegelschriftlich zurück. Diesen Schriftverlauf, der sich in seiner Transparenz mit „TAPETENS“ überlagert, kann man noch mal deutlich nachziehen, denn er verweist auf den auf dem Zeitstrahl rückwärts wandernden Blick.

Einige der vorgestern entstandenen Formate, liegen nun auf dem Schreibtisch. Aber erst im Gegenlicht der Lampe geben sie einen Teil ihrer Geheimnisse preis. Die eingeschlossenen Fundstücke bilden Archipele, kartiert inmitten des erstarrten Stromes aus Spiritus, Ruß, Tusche und Schelllack im Maßstab von eins zu einer Million. Die Tabakblätter zerflusen in hunderte von Inseln, die von hellen Atollen aus Luftblasen umgeben sind.

Ein Argument gegen die Verdeutlichung der Schrift, ist der Vorgang des Verwischens vieler Geschichten, die das Haus umwehen und nur fragmentarisch zutage treten.

Die Arbeit an den kleinen Formaten im Atelier ist deswegen anstrengend, weil die Schichten der verschiedenen Schattierungen, Formen und Durchlässigkeiten eine konzentrierte Arbeitsweise fordern. Sie soll der Dichte und Qualität all der innewohnenden Bedeutungen gerecht werden. Die Reduktion der Mittel wäre ein weiterer Schritt auf Klarheit und zugleich auf Spannung hin. Ihr minimalistischer Gestus hebt sich sowohl von der Umgebung, als auch von den reich verdichtet gestalteten vorausgegangenen Arbeiten ab. Im schwingenden Hin und Her zwischen diesen Polen, besteht die Dramaturgie der Ausstellung.

Tobacco Road

Unter dem Kellergewölbe des „Goldenen Adlers“ fand ich ein Stück Steinkohle und zeichnete im Atelier damit eine bräunliche Struktur auf Transparentpapier. Unter dem Arbeitstitel „Tobacco Road“ habe ich eine Reihe von Arbeiten begonnen, die von der Tabaktrocknungsschnur inspiriert sind, die ich unter dem Dachfirstbalken gefunden habe. Die rußig fettigen Gespinste assoziierte ich mit dem Schmutz aus dem Song und dem Romann mit dem gleich lautenden Titel. Sowohl die Texte von Erksine Caldwell aus auch die vielen Lifevarianten des Bluesrockssongs von Eric Burdon erweitern das Maß eines möglichen Gedankenwanderungsnetzes, das mit Verarmung, Maloche und Entwürdigung die letzte Nutzungsepisode der Räume mit einbezieht. Die mit Nägeln für mancherlei Schnüre gespickten Balken hat der Denkmalschutz auf ein Alter von bis zu achthundert Jahren geschätzt. Somit existierte das Dach schon vor dem Bau des Hauses. Seine Konstruktion und handwerkliche Präzision besitzt eine höhere Qualität, als die der Nachbarhäuser. Die differenzierten Winkel, engen Sägeschnittfugen, das Maß von Zierbalken und das von Andreaskreuzen, von denen eines jeweils über ein Viertel der Dachfläche reicht, wirft ein eigenes Geschichtsforschungsfeld auf.

Ich sammelte Material, das zwischen den Bergen von Taubenkot, welcher durch die Ritzen der breiten Dielen eine Etage weiter nach unten rieselt. Zertreten finden sich dort winzige Schiefer- und Glassplitter, Taubenknöchelchen, Blechstückchen und Holzspäne. Im ersten Obergeschoss fotografierte ich alle „Zeitfenster“ des Denkmalschutzes, die ich mit meinen eigenen Schichtungen kommentieren möchte.

Dieser zweite Besuch galt noch eher der Oberfläche. Die Verarbeitung des gesammelten Materials, kann erst in der Folge zu dem Raum führen, dessen Maß die universellen Prozesse aufzeigt, deren Geschichte mit dem Bau verbunden ist.

Schichten | Maß | Struktur

„Schichten | Maß | Struktur“, das ist der Titel des Projektes, das ich nun im „Goldenen Adler“ in Hoechst beginnen will. Die Hülle, die den geschichtlichen Raum umschließt, gibt das Zeitmaß schon vor, in dem wir uns bewegen, wenn wie die Beschaffenheit der Bausubstanz auf uns wirken lassen. Material, das seit Jahrhunderten geschichtet ist soll einer näheren Betrachtung unterzogen werden. In Schelllack eingegossene Artefakte liegen zwischen Transparentpapierschichten, die Grundrisse, Frottagen oder mit Tusche geschriebene Texte aufweisen. Die Worte beschreiben das, was die „Zeitfenster“ der Denkmalpflege aufgedeckt haben. Sie sind so reduziert, dass sie wie Wegzeichen für die Denkpfade sind, die angesichts der dünnen Farbreste hinter dem Gipskarton vorgeschlagen werden. Die Kleinheit der Kammern und der große Bogen des Kellergewölbes, die Umrisse der Fachwerkfüllungen, die Stärke der Balken und ihre Schwünge an Stellen im Giebel; diese Maßverhältnisse bilden eine weitere Schicht des Materials, das für diese Arbeit wichtig ist. Die Abstände der Zinken eines Kammes, mit dem Verzierungen in den frischen Lehm der Fachwerkfüllungen aus Weidengeflecht gezogen worden sind gehören dazu, wie die Linienführung der Ornamentzeichnungen selber. Sie verraten in ihrem leicht zitternden Strich etwas über den Handwerker, der weit oben, dem Himmel etwas näher seine Handschrift hinterließ. Planvoll vorgehen hieße, im Keller zu beginnen, zwischen den Ritzen des Pflasters in den Schütten an den Wänden oder im zugeschütteten Brunnen nach Nutzungsspuren zu suchen, um sich dann langsam Etage um Etage nach oben zu arbeiten. So fügen sich dann die Schichten des Baus mit denen der Transparentpapierarbeiten übereinander. Strukturen der Oberflächen werden mit Graphitschraffuren auf Papier sichtbar gemacht und überlagern sich mit den Tuschelinien der Texte. So entsteht eine künstlerische Bestandsaufnahme dessen, was Ausgangsbasis für die Sanierung des „Goldenen Adlers“ ist.

Sprachklang

Bevor an diesem klarblauen Morgen die Sonne den Balkon erreicht, sitze ich trotz der Kühle, es ist um die dreizehn Grad, draußen. Der Schatten des Hauses wandert an der hellen Nachbarwand nach rechts. Es dauert nicht mehr lange, bis mich das direkte Licht erreicht haben wird.

Ein Jagdschloss, das Tenneberg heißt liegt über der Stadt Waltershausen am westlichen Ende des Burgberges. Es beherbergt ein Puppenmuseum, in dem mein Bruder arbeitet. Der Innenhof hat einen kleinen Arkadengang, der an seinen Bögen Ornamente trägt, die schon klassizistisch anmuten, obwohl es sich um einen Barockbau handelt. Jedes Mal, wenn ich diesen Raum sehe, blicke ich mit anderen Augen auf ihn. Er ist wie ein Spiegel meines ästhetischen Empfindens, das immer neue Orientierungspunkte anpeilt. Man braucht ein paar solche Orte, die den Zustand des inneren Diskurses filtern. Sie sind wie Messpunkte an denen die Bewegung des Denkens verfolgt werden kann.

Dort war gestern ein Fest mit den bekannten Familiengesichtern. Zunehmend gewinnen Rückblicke an Bedeutung, die die Fehlstellen abgelaufener Lebenszeit einspinnen. Diese Kokons enthalten die Dinge, die man hätte tun können, solange man die Kraft dafür noch hatte. Die Schwester meiner Mutter nahm sich eine Zeit lang mein tägliches Zeichnen zum Vorbild, wollte auch Tagebuch schreiben, schrieb aber Gedichte, die jemand vom Bund der Vertriebenen absurderweise ins Schlesische übersetzen wollte. Schlesisch aber, sagt sie, sei keine tote Sprache, sondern würde noch in der ostsächsischen Lausitz gesprochen. Dort sollte man mal auf den Klang dieser Sprache hören und spüren, was er einem zu sagen hat. Außerdem schunkelte und tanzte man zu einem ärgerlichen Stehgeiger, der es besser wissen müsste, d.h. besser spielen könnte – eine andere Kultur.

Zählen

Hör auf zu zählen! Ich muss nicht bis zehn zählen, wenn der Kaffee unsere Maschine verlässt und unter Druck in den kleinen Stahlbehälter fliesst, in den gerade ein doppelter Espresso passt. Schon wieder eine Zahl. Ich muss diesen kurzen Zeitabstand nicht messen, nicht mit den interstellaren Vorgängen vergleichen, die das Maß begründeten und uns den Rhythmus des wechselnden Lichtes aufprägten. Ich stelle mir eine flexible Maßeinheit vor, die lang gezogene Momente, in denen die Wahrnehmung auf Slow Motion schaltet, stufenlos darstellen kann.

Im Moment der beschwingten Stimmung verweilten wir unter dem Licht des andauernden hellen und milden Abends auf dem Wochenmarkt bei zumeist grauem Burgunder.

– Langsam zurück –

Von Flatterbändern zerschossener Nachmittag. Keine Konzentration im Atelier möglich. Ein Politiker fragt mich, ob mich das Festival auf dem Gelände stört. Ich sagte, dass wir auf Teves West Demokratie lernen müssen, die bislang fehlt.

Mit den Hindemithkindern habe ich gegipst. Gips, Pappe, Schellack und Transparentpapier. Kiara spielte Gitarre.

Für mein Projekt in der Architektur des „Goldenen Adlers“ habe ich nun doch eine Zusage bekommen. Zur Präsentation dieser Arbeit habe ich eine ganze Etage zur Verfügung, kann dort alle Eingriffe des Denkmalschutzes einbeziehen. Am Montag werde ich die Räume noch mal besichtigen, sollte noch einen Titel dafür finden und auch einen Text machen, der das Ganze beschreibt.

Langsam weiter zurück

Es ist mir, als verginge die Zeit schneller an diesem Morgen. Deswegen versuche ich langsamer zu schreiben und dabei die Vorgänge im Rücklauf zu betrachten.

Mit Maj am Abend Rock`n Roll. Sie hat ihren eigenen Verstärker mitgebracht. Vorher malten wir gemeinsame Blätter auf nasses Papier mit Acrylfarben. Eine intensive Arbeit, kein Idyll, sondern stabile Kontinuität. Die Blätter werden besser. Man kann aber noch eine Weile dabei bleiben.

Ein Salsawochenende auf Teves West. Niemand wurde rechtzeitig informiert. Gestern eine Mail des Vermieters zu bevorstehenden Beeinträchtigungen. Ich frage mich, warum wir immer stundenlang zusammensitzen und formulieren dass so etwas abgesprochen werden muss.

Langsam weiter zurück.

Maj kommt mit Bass und Amp angeradelt, Gespräch mit den Kollegen über den Goldenen Adler. Es kam eine Ablehnung der Beteiligung an einer Ausstellung dort. Zuvor Gespräch im Architekturmuseum. Es ging um eine längerfristige Zusammenarbeit. Ich erzählte von den Zusammenhängen in der Arbeit mit den Hindemithkindern und den „Verstrickungen“ der Waldarbeit mit den Stadtproblemen: Ausgrabungen von Drahtglasscherben an der Ackermannwiese, tagtäglicher Rassismus auf dem Schulhof, salafistische Ideologie, Schönheit unserer Objekte, Rock`n Roll als antifaschistischer Reflex. Zuvor Arbeit am Rock`n Roll Thema auf Rolle 6, seitlich zum Eingang sitzend, um das Gerumpel, Getöse und Rangieren der Vorbereitung des Partywochenendes nicht dauernd im Kopf und in den Ohren zu haben. Vormittags Förderantrag für Kulturfonds und Förderzusage vom Kulturamt.

Geflechte | Zeichnungen | Drahtglas

Treffen am Vormittag in der Schule. Es ging um weitere Projekte in der Zukunft. Ich lernte die Kunsterzieherin kennen, die offen für Kooperationen ist. Die werden auch gefördert. Vielleicht kann man „Querwaldein in der Stadt“ gemeinsam machen. Mit diesem Antrag beschäftige ich mich seit einiger Zeit, so auch gestern Vormittag neben der Tagebucharbeit. Durch die Nachtarbeit nimmt die Anzahl der Arbeitsstunden zu.

Gestern am Hang stand ein Auto der hessischen Forstverwaltung auf der Kreuzung von meinem Pfad und dem ersten Querweg nach dem unteren Abschnitt. Das ist meist kein gutes Zeichen. Sicher geht es um die weiteren Holzeinschlag. Chaos also, Industrialisierung und Unruhe.

Unter meinen Füßen spürte ich die große Trockenheit an der Oberfläche, die durch den warmen Wind ausgelöst wird, „der von allen Seiten zu wehen schien“. Das verflochtene Holz schrumpft und wird instabiler, die Tannenzapfen krachen, wenn man auf sie tritt. Als wir am vergangenen Wochenende ganz oben ankamen, blieben Wanderer stehen und blickte auf mein großes Rondell. Ein Wanderer gestern mit I-Phone und Stöpseln im Ohr, bemerkte mich nicht, als ich meine Spiralen lief, schwitzte bei siebenundzwanzig Grad im Schatten. Die Fingerhüte oder Königskerzen beginnen zu wachsen, das Waldgras schießt in die Höhe und Rotkehlchen schmettern ihren Gesang, wie aus einer automatischen Waffe in den Raum. Kleine Veränderungen an den Geflechten folgen zeichnerischen Impulsen. Ich verfolge eine entstehende Linie, hänge einen trockenen Zweig an ein aus dem Baumstamm stehendes Aststück, geselle einen zweiten hinzu, probiere, was noch weiter geht und fotografiere.

Im Atelier stellte ich zwei weitere ausgegrabene Drahtglasscheiben auf die schmalen Leisten der Fenster, probiere so aus, was sie hergeben.

Geschlossener Kreis

Unter dem hochgezogenen Rolltor zeichnete ich im Atelier an der Sequenz „Der Rock`n Roll höhlt einen Jungpionier aus“ auf Rolle 6 weiter. Die Pionierzeichnung von 1995 gewinnt nun aus den Überlagerungen an Fülle. Wie die Spuren von fünfzig Jahren auf einem Körper, legen sich die Strukturen übereinander. Die elektrischen Gitarren verbinden sich untrennbar mit der Figur und zerfetzen den stalinistischen Traum von der Gleichschaltung der Gehirne.

Indem ich mich mit der fast zwanzig Jahre alten grafischen Reihe noch einmal beschäftige, verbindet sie sich ganz natürlich, wie von selbst mit der Arbeit der Gegenwart. Der pervertierte Antifaschismus, wie ich ihn bis zu meinem dreißigsten Lebensjahr in Ostdeutschland direkt erlebt habe, führt durch die heutige Beschäftigung mit dem Zwangsarbeitergedenken zu einer deutlicheren Abgrenzung mit ihm. Aus der hohlen Formel entwickelt sich etwas grundsätzlich anderes. Gleichzeitig ist dies ein Kommentar zu Verbrüderung der Rechten im „paneurasischen“ Raum mit seiner Galionsfigur Putin. Somit fügen sich die Themen auf Rolle 6 folgerichtig aneinander. Auf GPS-, Trümmer-, Zeltersequenz folgt die Elektrisierung.

Im rechten, westlichen Rolltorfenster steht eine der ausgegrabenen Drahtglasscheiben. Diese Bruchstücke sind für mich die bezugreichsten Exemplare von der Ackermannwiese. Sie führen direkt zu einem vielschichtigen Zugang in die Umgebung meines Ateliers in den Vierzigerjahren des vorigen Jahrhunderts.

In der Folge der Zeichnungen spielte ich zur Entspannung am Abend noch etwas Gitarre, ging im Europaviertel spazieren, sah die Flugzeuge wie an einer Perlenschnur einschweben und verglich den westlichen Boulevard mit der Stalinallee in Berlin. So schließt sich der Kreis des Tages, als würde er sich auf das Leben hochrechnen lassen.

Gin

Sechs Uhr morgens sind nur die Spitzen der Baumkronen von zartem, direktem Sonnenlicht beleuchtet. Schon stürzen sich ein paar Mauersegler mit ihrem schrillen Geschrei zwischen unsere Wohnverschachtelungen, um gleich wieder ganz weit oben winzig vor den wenigen Wolken zu fliegen.

Vormittags schrieb ich an einem Konzept für den Goldenen Adler in Hoechst und machte einen Finanzplan dafür. Eine extra für den Anlass angefertigte Arbeit, hätte den Vorteil, dass die Dokumentation dessen später noch, nach der Sanierung genutzt werden könnte.

Im Atelier nahm ich mir die „Rock`n Roll Sequenz“ auf Rolle 6 noch mal vor, hörte dabei Partiten von Bach und pflegte daneben noch mein Tevesgärtchen. Auf der Wiese stellte ich ein paar trockene Stangen unserer wuchernden Essigbäume zusammen und lasse sie ab sofort langsam über das Gelände „laufen“. Immer, wenn ich da bin, verrücke ich die Füße langsam Stück für Stück. Das ist ein Reflex der Ergebnisse der Hanggänge. Das Material stammt aber ausschließlich vom Gelände.

Am Abend besuchten wir eine Lecture Performance des Amerikaners Chris Kondek mit dem Titel „Denken und Trinken“ im Mousonturm. Auf Rechnung des Hauses bekam man zunächst einen Cocktail der osteuropäische, südamerikanische und vor allen griechische Spirituosen mied. Das hatte mit dem Themen Euro und Europäische Zentralbank zutun. Die Basis des angebotenen Cocktails war Gin. Entsprechend milde gestimmt konnten wir dem humorvollen Vortrag folgen, der Einspielungen der monatlichen Pressekonferenzen Draghis bereit hielt, aber auch die Gegenbewegung der Bitcoins in Frankfurt beleuchtete.

Auf dem Heimweg noch ein Stündchen in einem Straßencafe im hellen, langen milden Abend.

Farbspiele

Ein sehr blondes Kind, das gerade gelernt hat Fahrrad zu fahren, fährt an der Seite seiner blonden Mutter auf dem gegenüberliegenden Gehweg westwärts. Rotweiß sind das neue Rädchen und auch alle Kleider die beide tragen. Interessant wäre es zu wissen, ob die jeweiligen Nationalfarben auch die Farbgewohnheiten im Alltag beeinflussen. Nationalismus greift ja überall in Europa um sich. Und nicht nur in Südosteuropa ist ein Rechtsruck zu beobachten, sondern auch in Frankreich, Italien, Polen und Russland gibt es gefährliche Farbspiele.

Gestern waren wir im Taunus auf dem Pfad. Es kommt sommerliche Wärme auf, die sich explosiv mit feuchter Luft mischen wird. Schon am Mittwoch, wenn ich meinen nächsten Hanggang unternehmen will, geht es los. Diesmal haben wir den Weg einfach so als Abkürzung genutzt, um dann ganz oben auf dem Forstweg nach Osten in Richtung Fuchstanz zu laufen. Ich fotografierte etwas, sammelte aber nichts auf – Sonntag.

Auf dem Satellitenfoto von Google Earth ist das große Rondell auf der oberen Lichtung sichtbar. Eine Schneise zeigt ziemlich genau die Flugbahn, die der Kampfjet in der letzten Sekunde seiner Existenz am Ende der Siebzigerjahre genommen hat, bevor er im „Siegfriedidyll“ zerschellte. Man könnte mit einigem Aufwand dort ein Zeichen installieren, das die Absturzstelle für die kommenden Aufnahmen markiert.

Eine Weile sprach gestern noch der schöne Tanzabend „Partita 2“ mit mir. Ich dachte mir, dass seine starke Wirkung von Einfachheit, Klarheit und Harmonie ausging. Das hat auch viel mit Reduktion zutun, die durch ein straffes Konzept möglich wird.

Eine politische Veranstaltung von linken Gruppen gestern Abend auf Teves West. Selbstverständlich wussten wir davon nichts, nichts von den Absperrungen und dem Lärm, der sicherlich am späteren Abend noch einsetzte.

Luther, Eisschnelllauf und Gret Palucca

Bachs „Partita Nr.2“ gab dem Tanzstücke von Anne Theresa De Keersmaekers, der belgischen Tänzerin und Choreografin, den Namen. Im Black, in Völliger Finsternis, wurde das Stück für Violine von Amadine Beyer in der Mitte der Bühne, direkt vor mir gespielt. Schon das war tänzerisch beschwingt, mit einer Hingabe, die sich auf mich übertrug. Durch die Dunkelheit konzentrierte sich die Aufmerksamkeit nur auf die Musik. Im Abgang der Musikerin, nach einem abrupten Ende des Spiels setzte Licht ein. Ein einzelner, automatisch schwenkbarer Scheinwerfer, warf ein kaltes Lichtrechteck an die Wand, das von Links nach Rechts, langsam wie ein Stundenzeiger über die Bühnenwände glitt. Zu einem Pas de deux zu der gerade gehörten Musik kamen Keersmaekers und Boris Charmatz auf die Bühne. Und nun folgte etwas, das bei mir die Assoziationen von Luther, Eisschnelllauf und Gret Palucca hervorrief. Was getanzt wurde, war ein folgerichtiger Kommentar zum kontrapunktischen Stück, das vorher zu hören war. Die Bewegungen im stillen Raum reagierten mit einer selbstverständlichen und schönen Art aufeinander, ohne dass irgendetwas Glanzvolles hervorstach. Glanz lag auf dem Gesamtabend. Dieser mittlere Teil fand ohne Musikklang statt. Die Musik fand sich nur im Tanz. Orientierung gaben lediglich auf den Bühnenboden gezeichnete Kreidekreise, deren Bahnen ineinander geschlungen die Wege der Tänzer aufzeigten. Im dritten Teil, der durch ein kurzes Black abgeteilt war, fanden nun das Musikstück mit der Violinistin und die Tänzer mit ihren Pas de deux zusammen. Alle drei wiederholten einfach das, was wir vorher schon gesehen oder gehört hatten, nur diesmal zusammen. Dadurch wurde deutlich, wie genau vorher die Musik ohne Klang getanzt wurde. Im Zusammenspiel wurde der Höhepunkt des Dreiklangs erreicht.

Erinnerungsschnüre

Fächeln der Ahornblätter im gelblichen Morgenlicht. Die westliche Seite der Baumkronen scheint dieses Hin und Her gewichtiger zu nehmen. Dieser Eindruck wird vom Schatten ausgelöst, der Ernsthaftigkeit, Melancholie und Gemessenheit vermittelt, während der helle Osten Leichtigkeit ausstrahlt. Die Ringeltauben dazwischen, bewegen sich etwas schwerfällig, wirbeln Wind auf, der nicht benötigt wird.

Im Workshop gestern setzten wir das genau um, was ich mir am Vortag überlegt hatte. Es ist nun noch ziemlich viel aufzuräumen, wie immer nach Gipsarbeit.

Im Atelier fotografierte ich die am Mittwoch ausgegrabenen Drahtglasscheiben. Das auseinander gerissene Material bezeugt den Grad von Gewalt, den Sprengbomben auslösen. In der erdigen Finsternis fand ich die Spuren der Brände, unter den Trümmern geschmolzenes Glas. Schaurige Schönheit im Gegenlicht, eigenartiges Gestein, innen Lava ähnlich porös und außen geschmolzene Glätte. Alles wusch ich in Wassereimern, machte es dadurch erst erkennbar. Es sind in sich schöne Ausstellungsstücke.

Eine neue Köchin aus den Startorante besuchte mich im Atelier und entdeckte meine „Fädel“. Als ich ihr erzählte, dass ich mich an viele der Strände, an denen ich die Steine, Muscheln und Korallen aufsammelte, gut erinnern kann, nannte sie sie Erinnerungsschnüre. Eine nette Bezeichnung, durch die das Auffädeln von löchrigen Gegenständen noch erweitern werden kann.

Muster | Restmaterial | Texte

Vormittags Besichtigung des „Goldenen Adlers“, eines sehr alten Gebäudes in der Altstadt von Höchst, das die KEG sanieren wird. Vom Denkmalschutz wurde das Haus bereits untersucht. Durch diese Arbeit, die Fenster in die Oberflächen geschnitten hat, kann man ins Innere der Wände schauen, die mit Gipsplatten verkleidet sind. Die Freilegung dieser Zeitschichten erzeugt eine besondere ästhetische Qualität. Diese kleinen Fenster in die Vergangenheit bilden mit den Zimmern zusammen einen reich gefüllten geschichtlichen Raum. Am Schluss war er voll gestopft mit Menschen, denen man Matratzen vermietet hat. Reste dieser kläglichen Existenz waren noch an den Wänden und am Boden sichtbar. Diese Spannweite von Informationen führt zu einer Raumausstrahlung, der ich künstlerisch nur mit minimalisierten Kunstäußerungen gerecht werden könnte. Dabei geht es um Materialien und Strukturen des Hauses, die Rückschlüsse auf seine Geschichte zulassen: Frottagen von Kammspuren, die zu Mustern im Lehm zwischen dem Fachwerk innen unterm Giebel gezogen worden sind, Schelllackeinschlüsse von Restmaterial aus dem Keller und Texte zu den vom Denkmalschutz geschaffenen Fenstern in den zeitlichen Raum.

Der Workshop heute Nachmittag steht unter dem Motto „Objekte aus Motiven des Zweifigurenreliefs des FRANKFURTER KRAFTFELDES“. Davor erkläre ich den Zusammenhang zwischen Hanggang im Wald und diesem Relief. Dann werden noch zu findende Figuren aus den Geflechten des Reliefs ausgeschnitten und als Grundköper für Skulpturen benutzt.

Gestern Abend beim Workshop zunächst Musik mit Majs Bass und meiner Gitarre, dann Malerei während der sechs mittlere Formate aus weichen Farbverläufen und harten Zeichnungsstrukturen entstanden. Danach noch einmal Musik, für die wir etwas mehr Zeit brauchten.

Glas

Hanggang gestern im grellen Wechsellicht des Nachmittags des Taunus. Neben der Vervollständigung der Materialien für die Schattenboxen, brachte ich ein paar Bäumchen mit, die chancenlos an dunklen Stellen unter den Tannen trieben. Das waren zumeist zweijährige Eschen. Die Buchen waren schon zu weit.

Auf meinem Rastplatz am oberen großen Rondell lagen ein paar Zwiebelringe und etwas Paprika im Gras. Diese Stelle, abseits von den Waldwegen und Forststraßen, fand also noch jemand außer mir anziehend zum Pausieren.

Ansonsten unternahm ich die allgemeine Pflege, kickte Tannenzapfen zur Seite, schichtete den Steinhügel höher, was eine mühevolle und langwierige Angelegenheit ist und vervollständigte einige Astgeflechte.

Ein überraschendes Entgegenkommen beim Telefonat über eine Förderung mit einem Kulturfonds, womit ich nicht gerechnet hatte. Deswegen begann ich ganz optimistisch mit einer Projektbeschreibung die zwischen Wald und Stadt angesiedelt ist.

Roland erzählte ich vom Skulpturvorhaben eines wandelnden Objektes aus den Stangen unserer Essigbäume. Es könnte langsam über unsere Wiese laufen.

Helga erzählte, dass auf der Ackermannwiese wieder gegraben wird. Am Abend schien die Sonne warm in die aufgeworfenen Gräben. Wieder fand ich insbesondere Keramik und Glas zwischen den Trümmern. Mir war ganz seltsam zumute, als die Bälle der Fußballer immer gegen die Bauzäune krachten. Viel Glas war geschmolzen und einiges Drahtglas fand ich, das Gedenkmaterial schlechthin.

Blick in den Raum

Die Tage sind kühl, weil die Luftströmungen über den noch winterkalten Atlantik zu uns heranziehen. Mein Atelierrolltor ist aber offen. Seit Jahren sitze ich dort an einem Zeichentisch mit Blick auf das Gelände. Dort besuchen mich manchmal Leute, die auf Teves arbeiten oder ausgebildet werden. Ich mag den direkten Kontakt mit meinen Nachbarn und fühle mich dadurch in meiner Arbeit und Konzentration nicht gestört, denn das was ich mache, hat mit ihnen zutun. Ich spüre dann, wie alles zusammengehört.

Gestern gab es beispielsweise ein längeres Gespräch mit den Ateliernachbarn über die Rolle, die wir auf dem Gelände spielen. Durch den angekündigten Abriss der Baracken sind wir etwas aufgeschreckt. Denn die Einteilung des Raumes und seine gliedernden Elemente sind zu wichtig, als das man sie mit einer Aktion, die in keiner Weise diskutiert wurde einfach wegradiert.

Ich merke, wie meine fragile Produktion sich langsam in diesen Raum vortastet. Abgesehen davon, dass dies ein normaler Frühjahrsimpuls ist, spielt es auch mit den wöchentlichen Hanggängen zusammen. Stangen und Äste, die ich auf dem Gelände finde, stelle ich zusammen, wie bei der Waldarbeit. Die Bewegungen, die die Objekte vollführen, die in ihrem Zusammenstürzen von mit gestützt werden, lassen sich auch auf unsere Wiese und auf die Betonflächen übertragen. Von den schnell wachsenden Essigbäumen kommt Materialnachschub. Man kann das Gelände auch als Experimentalraum auffassen.

Eine Zusammenarbeit der Künstler in diesem Areal hat die Schwierigkeit der großen Unterschiede der Herkunft und Ausprägungen ihrer Arbeit. Dann steht also die Suche nach den Gemeinsamkeiten zunächst im Vordergrund. Das soll unsere Rolle stärken.

Wald auf dem Beton

Ich kümmerte mich am Nachmittag weiter um die Schattenboxen. Man muss die Arbeit der Schüler ernst nehmen und den Ergebnissen weitere Gestaltungsvorschläge hinzufügen. Langsam komme ich dahin, Fundobjekte selbst mit Schelllack zu überziehen, um sie zu eigenen freistehenden Objekten zu machen, die in den Räumen der Boxen ein höheres Gewichthaben.

Vor unseren Ateliers gibt es immer wieder Anlässe zu Diskussionen über unsere, an den Wochenenden aktiven Mitmieter. Oft geht es dabei um kleine Zerstörungen. Eine schöne, mehrfach verleimte Tischplatte bekam vor Ostern ein Spraymuster, als sich eine offensichtlich irrelevante Besetzergruppe auf Einladung auf unserem Gelände einrichtete, um ihre nächsten Aktionen zu besprechen, die dann auch Ostern folgten. Auf dieselbe Platte wurde während eines Frühlingsfestes mit einem Feuer auf unserer, der Unwirtlichkeit abgetrotzten Wiese, durch einen Standgrill ein Brandfleck auf dem Holz verursacht. Gleichzeitig ist eine Fußmatte zerschnitten, oder anderweitig zerstört worden und Bierflaschen standen herum. Am Montag lagen Pappbecher rund um den Abfalleimer und Aschenbecher mitten auf unserem gemeinsamen Platz. Das sind alles lächerliche Kleinigkeiten und gleichzeitig ständige Übergriffe. Es ist zu spüren, wie der Druck dadurch wächst und das Vertrauen in eine gute Zusammenarbeit weiter zurückgeht. Das ist traurig und sehr schade.

Aber ich habe noch einige Bäumchen ausgegraben und in die bereitstehenden Töpfe gepflanzt. Es kann nun auf dem Beton ein kleiner Wald wachsen. Alles Unkraut, das ich mit etwas Erde aus den anderen Blumentöpfen entferne, streue ich auf den Beton. So entstehen Vegetationsinseln, die weiter mit Erde und angewehtem Material angereichert werden.

Bewegungen

Der Ausblick aus dem Fenster vor meinem Schreibtisch ist voller verschiedener Bewegungen. Ganz langsam ziehen sehr hohe, sich verändernde weiße Schleier vorüber. Davor fliegen ganz tief und schnell Wolken, die das Licht andauernd verändern. Mauersegler zeichnen ihre Schwünge vor diesen Raum und im Wind fächeln die Blätter, die seit einigen Wochen wieder die Außenfarbigkeit beherrschen. Es handelt sich also bei genauerem Hinsehen um eine unruhige Aussicht.

Unten auf dem Grünstreifen sind wieder die Gärtner unterwegs, bei denen ich in der vergangenen Woche die Grundausstattung für meine Baumschule geschnorrt habe. Heute bekam ich noch mal fünfzig Töpfe für die vielen Platanen, die hoffentlich bald im Sand auf den Spielplätzen wachsen werden. Da die Plastikbehälter sonst weggeworfen und geschreddert würden, halte ich die nochmalige Nutzung auf meinem Beton für dreifach nützlich. Die gestrigen Regengüsse hielten uns von einem Spaziergang ab, und so waren wir gemeinsam für zwei Stunden im Atelier. Ich pflanzte die ersten fünfzehn Bäumchen ein, die nun nicht mehr im Winter ins Atelier geräumt werden müssen.

B. übersetzt ein Stück von Simon, in dem er sich mit der Persönlichkeitsveränderung von einem zu Ruhm gekommenen Rockstar beschäftigt. Im Titel greift er auf „Birdlands“ von Patti Smith zurück.

Im flackernden Morgenlicht hören wir nun oft die Radiohour mit Bob Dylan. Es sind die seltenen Gelegenheiten in denen wir Countrymusic hören. Es gibt aber auch viel Blues, Rock und alles was das amerikanische Songbook hergibt.

Der Leiter der Strafvollzugsanstalt Rockenberg schrieb mir, dass mein Konzept „Kunstrasen“ den Insassen nur schwer zu vermitteln sei. So bleibe ich also um einige Erfahrungen ärmer.

Baumschule

Im Regen grub ich Bäumchen aus, die demnächst der Mähmaschine des Grünflächenamtes zum Opfer gefallen wären. Der Boden im Park am Rebstock ist lehmig und tiefer auch steinig. Mit einer kleinen Schaufel stach ich Erdwürfel mit den Keimlingen aus und brachte sie vors Atelier. Der Kauf der Pflanzerde war eine nasse, schmuddelige Angelegenheit. Nun aber ist alles bereit dafür, die Baumschule zu gründen. Demnächst ist zu erwarten, dass die Samen der Platanen austreiben. Wenn sie aufgegangen sind werde ich einige einsammeln und sie meiner Schule hinzufügen. Vielleicht ist diese Beschäftigung die richtige für mich im Älterwerden. Auf all dem Beton auf Teves ist das der Schmuck der lindern kann. Mir fehlen noch Kiefern, die sich aber offensichtlich nicht so leicht aussäen.

Im Atelier hatte ich außerdem einiges mit den Nachbereitungen des Hindmithkinderworkshops zutun. Ein paar Formate waren zu retten, weil sie durch das Pressen zusammen klebten.

Vor ein kaltes fast waagerecht fließendes Morgenlicht, schiebt sich von Westen her eine Wolkenbank, die wieder Regen bringen wird. Das Regenradar zeigt blaue Schlieren, die über das hessische Bergland heran wabern.

Während einer Essenseinladung sprach ich mit den großen, jungen Männern, die wir alle noch als Babys kannten. Sie erklärten mir ihre Graffitis, wie sie da rangehen und die Scheu vor dem öffentlichen Raum.

Bass | Insekt | Einschlüsse

Auf dem Grünstreifen unserer Allee sind gestern neue Büsche und Bäumchen gepflanzt worden. Das war genau der richtige Tag dafür, denn es regnete wie aus Kannen. Bei den Gärtnern staubte ich mehr als hundert mittelgroße Blumentöpfe ab, die wir sonst kaufen müssten. So kann ich nun eine größere Umtopfaktion starten, noch mehr Pflanzen in mein en Garten stellen, deren Keimlinge ich nun im exotischen Rebstockgarten ausgraben kann, denn die Erde ist tief durchnässt.

Die Hindemithkinder haben gestern fleißig alle Kartons zusammengebaut und fingen danach an, weitere Transparentpapierfähnchen mit den Waldeinschlüssen und Tuschezeichnungen zu basteln. Die fertigen Exemplare wurden dann gepresst, indem wir sie unter ein Brett legten, um sie dann mit einigen schweren Pflastersteinen zu beschweren.

Auf dem Markt traf ich Tilly und ging mit ihr auf den Spielplatz. Ihre Mutter trug ein seltsames längliches Insekt mit vielen Füßen, vorne gelb und hinten schwarz. Von Mathildas Hand krabbelte es auf meine und wieder zurück.

Maj erzahlte von ihrem Bass, dem Vergnügen, ihn zu Hause zu spielen. Ich freue mich schon auf den kommenden Donnerstag, wenn wir wieder zusammen musizieren können.

Am Abend die Talheimerinszenierung „Nora“ im Schauspiel. Frau Hoppe in der Hauptrolle stand wie angewurzelt am rechten Bühnenportal. Dort bot sie trotz ihrer holzpuppenartigen Figurenzeichnung eine spannende Darstellung der Entwicklung dieser Frauenfigur. Schöner Abend überhaupt mit einem sparsamen Bühnenbild und strenger Regie.

Interview | Hangang | Musizieren

Vormittags im Atelier fragten mich gestern Hindemithkinder nach meinen Erfahrungen mit Respekt in meiner Kindheit. Ich sollte sie mit meinen heutigen Wahrnehmungen vergleichen. Es wurden auch diesbezügliche Fragen in mit Blick auf mein Künstlerdasein gestellt. Da gibt es natürlich einiges zu erzählen. Ich berichtete außerdem über den Rassismus in der DDR und über die Ausgrenzung von Ausreiseantragstellern oder dissidentischen Künstlern durch staatliche Stellen. Eine etwas schwierige Situation entstand dadurch, dass ich präzise auf unpräzise Fragen antworten wollte. Das dauerte immerhin eine Dreiviertelstunde. Sie haben alles mit ihren Smartphones aufgenommen und fügen verschiedene Interviews zu einem Projekt zusammen.

Danach zu Hause am Schreibtisch ging es um Förderanträge. Zwischen den Arbeitsphasen mit dem Architekturmuseum und auch denen um das Zwangsarbeitergedenken, sind weitere Projekte möglich.

Bei wechselndem Wetter fuhr ich dann zum Hangang in den Taunus, weil ich das am Mittwoch, durch unsere Zusammenkunft in Cafe nicht machen konnte. Das Licht forderte mich nicht gerade zum Fotografieren heraus, sondern stand oft genug als blendender Korridor den Feinheiten der Waldarbeit im Weg. Im mittleren Bereich ist der Pfad bereits soweit ausgetreten, dass das nun neu spießende Gras sich dort zurückhält. Ich bewegte keine großen Dinge, hielt mich an Kleinigkeiten und sammelte Material für den heutigen Workshop.

Am Abend brachte Maj ihren neuen Bass mit. So konnte ich erstmalig in meinem Leben mit jemandem zusammen musizieren. Außerdem entstanden drei Blätter, die wir teilweise zusammen malten. Wir reduzierten das Material auf Tusche, Graphit und Schelllack und arbeiteten auf Transparentpapier.

Die kleine Form

Mit meinen Gedanken am Schreibtisch bin ich im Atelier und gleichzeitig im Ausstellungsraum des DAM. Durch das Aufstellen der Museumsboxen auf den Tischen im Atelier, kommt ein neues Nachdenken über die Räume auf, die sie bieten. Die Transparentpapierelemente werden in ihren Formen und Inhalten erweitert.

Am Abend nach einer Zusammenkunft der Tevesanrainer im Cafepavillon gegenüber, ging ich noch mal ins Atelier, um etwas an den kleinen Figuren in meinem Garten zu arbeiten und um mich dann auf einen Hocker in die Abendsonne zu setzen.

Diese kleinen, mit Schelllack überzogenen Formen ziehen mich an. Sie entstehen aus der Lust, zunächst einmal nur bestimmte Naturformen wahrzunehmen. Bis zu einer gewissen Größe begann ich sie im nächsten Schritt zu sammeln. Zunächst beschränkte sich diese Tätigkeit auf die Zeit der Reisen. Das hat auch etwas mit den Schilderungen in den Tagebüchern zutun. Solche Sammlungen befinden sich auf vielen Regalbrettern und in Kartons, wie auch beschrieben auf den Blättern der Reisetagebücher. Oft genug finde ich einen Stein oder ein Stück Holz auf der Straße, die ich mitnehme. Und die kleinen Figuren die manchmal daraus entstehen oder entstehen wollen, üben derzeit eine große Anziehungskraft auf mich aus.

Auch das Gitarrenspiel kann mir, ganz klein, wenig kunstvoll, nur durch sein Schwingen anziehend sein. Das ist mit den täglichen Zeichnungen verbunden, in denen die Naturform der Handoberfläche mit kalkulierten Farben und dem Zufall nach dem Verwischen zusammen gehen. Der Zufall ist es, der mich täglich an diese Arbeit zurückkehren lässt.

Gegenbewegung

Die Museumsboxen habe ich im Atelier nun auf einen Tisch gestellt. Bisher wehrte ich mich eher gegen ihre Haptik und einengende Gestalt. Probeweise sind drei Installationen entstanden. Wenn genügend ansprechendes und gut zusammen passendes Material vorhanden ist, kann man schnell etwas bauen. Ich denke dabei an einfache Kompositionsübungen, wie in einem Zengarten. Die Dinge, die man bisher zusammenfügen kann, bestehen in erster Linie aus Einschlüssen von Waldfundstücken in Transparentpapier mit Tuschzeichnungen, aus Aststücken und Filzpappe. Mit der Pappe haben wir Boden und Plafonds der Kästen belegt, damit das stumpfe Weiß der Wände nicht so dominiert. Vor ein paar Jahren experimentierte ich mit ihr, mit Acrylfarben und Schellack. Daraus entstanden eher dekorative kleine Bilder, mit denen man nun aber durchaus die Wände der Boxen gestalten könnte. In diesem Zusammenhang ließen sich auch die Reliefs der Umrissfiguren nutzen, die ja aus der Sinnumgebung der Hanggänge stammen.

Mit dem bevorstehenden Abriss von historischer Industriebausubstanz in unserer direkten Tevesumgebung sollte sich eine Gegenbewegung etablieren, die sich um den historischen Raum kümmert. Die Erforschung der Zwangsarbeit auf dem Gelände erzeugt einen solchen Gegendruck, der dann ein Gleichgewicht erzeugen kann, wen das neue Wohngebiet dieser Geschichte gewidmet wird. Das ist ein Ansatzpunkt einer Kunstinitiative, die helfen kann den kulturellen Standort Teves West zu sichern.

Vor dem Atelier überziehe ich Holz und getrocknete Pflanzenteile mit Schelllack, entwerfe Miniaturwelten zwischen dem Gigantismus der städtischen Welt. Auch dies ist eine Gegenbewegung. Und in den trockenen Laubbetten vor dem Rolltor haben sich wieder die Eidechsen eingefunden, die ich ein paar Tage vermisste.

Redenreden

Erstmalig legte ich gestern Abend den Stand meiner Arbeit am Zwangsarbeitergedenken vollständig und geschlossen dar. So etwas dient auch zur eigenen Orientierung und zur Klärung dessen, durch welche Forschungen ich da angekommen bin, wo ich mich nun vorübergehend befinde. In einer Ausstellung und einer begleitenden Publikation wollen wir sowohl die Geschichtsforschung als auch das künstlerische Material zeigen, das bisher angefallen und erarbeitet worden ist. Mein Material ist durch das Blog schon für eine Veröffentlichung vorgeformt. Ich kann auf die täglichen Bildcollagen und auf meine Texte zurückgreifen. Mit der Darstellung der Geschichtsforschung steht noch mehr Arbeit ins Haus. Die Quellen sind verschiedenartig und reichhaltig, dass die Konzentration der Informationen eine schwierige Aufgabe sein wird.

In der Zeit meines laufenden Ausreiseantrages, der dann schnellen und überraschenden Übersiedlung nach Westdeutschland, habe ich acht Tafelbilder für die Stadt Coswig zu Ende gemalt und geliefert. Sie wurden durch meinen Umzug in die andere Welt nie vollständig bezahlt. Jetzt aber sollen sie in ein Museum kommen, wofür es noch einige Dinge zu regeln gibt. Ich wurde gestern deswegen angerufen. Somit kann ich in gewisser Weise auch unter diese Phase meines Lebens einen Strich ziehen.

Mit Roland redete ich über die Kunstinitiative, mit der wir das Tevesgelände in seine sich verändernde Umgebung einbetten wollen. Dabei ging es auch um künstlerische Arbeit mit älteren Menschen, was ein neues und interessantes Thema für uns wäre. Entsprechenden Kontakt hatten wir schon mit einer Dame des Frankfurter Sozialverbandes, der in der Frankenallee einen neuen Raum eröffnete. Außerdem ging es darum, das Tevesgelände und seine Umgebung als geschichtlichen Raum wahrzunehmen. Dabei kann Kunst hilfreich sein.

Extruder | Stele

Kreiselnd fielen Millionen von Ahornsamen im Ostwind auf den Boden und bedecken ihn wie Schnee. Über Mittag wird der Wind auf Süden drehen, den Fluglärm vermindern, aber die Mauersegler nun endlich mitbringen.

Dass sie so lange auf sich warten ließen, hat unsere Überzeugungen und die daraus folgenden Erwartungen völlig über den Haufen geworfen. Anstatt die Legende zu bestätigen, dass sie immer nahe beim 28.04. eintreffen, haben sie sich trotz des schönen Wetters und der vielen Insekten um eine volle Woche verspätet

Mir kam im Zusammenhang mit dem Zwangsarbeitergedenken ein Extruder in den Sinn, mit dem ich verschieden geformte Umrisslinien so miteinander verbinden kann, dass der in dieser Weise entstehende Strang diese Formen und die Übergänge zwischen ihnen in sich trägt. In einer solchen Art könnten die Schichten der Zeiten übereinander gestapelt sein und eine Stele bilden. Nur welche Umrisse inhaltlich und folgerichtig mit dem Thema zutun haben, kann verschiedenen Zusammenhängen entspringen. Da gibt es beispielsweise die Zeichen, mit denen die Gefangenen an ihrer Kleidung klassifiziert wurden. Oder die GPS-Gänge, die mit den Grundrissen verbunden sind und aus deren Liniengeflecht wiederum andere Figuren hervorgeholt werden können…

Mein Vater erzählte mir mal von Spielzeugfiguren, die Gefangene hergestellt hatte, aus Holz geschnitzt oder aus Brot(!) modelliert. Darüber habe ich nun noch eine Weile nachzudenken, oder das Ganze erst mal beiseite zu legen. Weitere Ideen kommen dann von alleine.

Schichten | Gedenken

Hotel zum Schwan in Dillenburg. Vor dem Fenster fahren wenige Autos über einen grob gepflasterten Platz mit Linden. Er ist von barocken Gebäuden umgeben, die Schieferdächer tragen und so etwas, wie die Stadtbibliothek beherbergen. Am westlichen Abschluss allerdings, befindet sich ein modernes Sparkassengebäude, das mit hellen Sandsteinplatten verkleidet ist. Nach Süden hin schließt sich eine Durchfahrt zu einem weiteren Platz an, der aber eher ein begrünter Kreisverkehr ist. In dessen Mitte steht ein finsterer Obelisk, der an seiner von hier aus nicht sichtbaren Seite bestimmt eine Bronzetafel zur Erinnerung an irgendetwas trägt. Dann aber fliegt der Blick gleich weiter in eine Landschaft, die von den blauen Hügeln begrenzt wird, die das Dilltal umschließen.

Wenn die Autobahnen nicht voll sind, genieße ich die Fahrten zwischen Frankfurt und Dillenburg. Immerhin geht es durch die weiter Wetteraulandschaften in den Westerwald hinein. Dort können Nebelbänke die Sicht auf die schwungvollen Landschaften verhüllen und schnell kann das Licht wechseln.

Morgen Abend trifft sich die Arbeitsgruppe, die sich mit dem Fremdarbeitergedenken befasst in meinem Atelier. Der Korpus einer Stele, die den Sehschlitz mit dem Acrylkristall beherbergt, kann aus Schichten bestehen, die aus verschiedenen Materialien übereinander liegen, wie am Rand einer archäologischen Ausgrabung. Eine gemauerte Abbruchziegelschicht, eine Schicht mit einem Sehschlitz und darüber vielleicht eine Betonschicht des Vergessens. Das alles existiert ziemlich deutlich in meiner Vorstellung, ist aber in noch keinem Entwurf visualisiert, was die Teilnahme anderer Menschen an diesem Nachdenken ermöglichen würde. Vielleicht könnte ich ein Modell aus Pappschichten herstellen. Das wäre eine Aufgabe für Morgen Nachmittag.

Geisterwälder

Mit den Hindemithkindern hörte ich „My Life In The Bush Of Ghosts“ von vorne bis hinten. Obwohl sie etwas abfällige Bemerkungen gemacht hatten, schien es ihnen nicht richtig langweilig zu werden, und sie drängten nicht weiter darauf, ihre eigene Musik hören zu müssen, um kreativ sein zu können.

Tilly war gestern mit ihren Seifenblasen auf dem Wochenmarkt. Es gibt schöne Aufnahmen von uns beiden vor dem Atelier, wo sie mich in der vergangenen Woche mit Anja und ihrer Mutter Silke besuchte. Sie schickte mir die Smartphonefotos als Erinnerung.

Die Hindemithkinder diskutierten gestern über den inneren Frieden und darüber, wie er zu erlangen sei. Während eines von ihnen der Meinung ist, ihn bereits gefunden zu haben, meinte Paolo, innerer Frieden sei eine Utopie und deswegen nicht zu erreichen, weil sich immer etwas in den Weg stellen würde. Dann malte er sich seine dunkelbraunen Hände mit schwarzer Tusche an und gab sich seinem Lieblingsthema, der Apokalypse hin. Die Waldgeister des Taunus, die eingegossen in den dreieckigen Transparentpapierhüllen gefangen waren, begannen sich mit denen in der Musik zu verbünden. Die finsteren und dennoch verspielten Formate, die durch die Verwendung von Tusche und Schelllack teilweise ihre Durchsichtigkeit verlieren, bekommen natürlich etwas Magisches. In der Wahl der Mittel sind die „Kinder“ radikal und gehen auch etwas rücksichtslos vor, was der Frische der Arbeiten zugute kommt.

Das Atelier wird nun auch zunehmend zu einem Ort der Musik auf verschiedenen Ebenen. Vielleicht kommen demnächst weitere Instrumente hinzu, mit denen man dann auch mal zusammen spielen kann.

Unter Dächern, Bäumen, Schirmen

Unter den verschiedenen Bäumen des künstlichen, etwas exotischen Waldes beim Rebstock ging ich mit einem Schirm während eines Stadtgewitters über die feuchten Wiesen, die manchmal stattliche Seenlandschaften bildeten. Unter den Baumkronen wachsen vielerlei Keimlinge der Bäume, die sich darüber erheben. Es würde sich lohnen, sie auszugraben und sie zwischen den Beton auf Teves zu setzen.

Die Birke, die neben einer Eiche und einem Ahorn auf den kleinen Erdhügel vor meinem Atelier wächst, neigt sich etwas von der Mauer weg. Noch stütze ich sie nicht und warte darauf, dass sie ihr Ungleichgewicht durch das eigene Wachstum ausgleicht.

Gestern sichtete ich die Fotografien, die ich am Mittwoch in dem besonderen Licht am Hang gemacht habe. Im Nebel herrschte eine verwunschene Künstlichkeit. Deutlich, wie Zeichnungen auf Transparentpapier hoben sich die Figuren und Geflechte vom milchigen Hintergrund ab.

Während des heftigsten Regengusses gestern bildeten sich unter den Dächern von Bushaltestellen, in überdachten Eingängen, unter Balkonen und in Pavillons Gruppen von wartenden Menschen, die anders als sonst durch das gemeinsame Abwarten eines Naturereignisses, miteinander ins Gespräch kamen.

Unten auf der Allee ist der Wochenmarkt im Gange. Durch die Feiertage in den letzten zwei Wochen ist die Kontinuität etwas ins Stottern gekommen. Das kann in den kommenden Wochen wieder anders werden.

Waldlicht

Am Morgen las ich einen Text von Simon über einen jungen britischen Dramatiker, in dem er die Kraft der Erneuerung beschwört. Ich weiß nicht, wie man als Künstler fortgeschrittenen Alters sein Werk und die Herangehensweisen immer neu hinterfragen und absichtlich herbeiführen kann, es vor der Erstarrung zu bewahren. In der stetigen Suche nach kleinen Neuerfindungen sollte einem das sowieso passieren und im Fluss der stetigen Arbeit erwischt es einen einfach. Wenn nicht, hat man Pech.

Gestern war ich am Vormittag am Hang und wurde von einem traumhaften Licht empfangen. So drehte ich mich im Gehen der Sonne zu, die die Nebelbänke durchleuchtete und meine Wegzeichen in eine mystische Beleuchtung tauchte. In erster Linie war ich mit Staunen und Fotografieren beschäftigt, bevor ich wieder daran ging, den Weg vorsichtig zu erweitern und anzureichern. Nach oben hin nahmen die Insekten, die Wärme und der Sonnenschein zu. Um die obere Lichtung herum dampfte der Wald. Dort baute ich die letzte Installation, die das Ende des Weges hinter dem Ritualplatz mit den Spiralwanderungen anzeigt aus. Der Ring aus rund um einen Baumstamm und in Augenhöhe flach gestapelten Stäben fing an abzurutschen. Diese Diagonalbewegung fing ich auf und stellte noch einen weiteren Stapel oben darüber. Beim Abstieg wurde der Nebel dichter und der Wald verfinsterte sich. Im Wegfahren sah ich, wie eine Frau in rotem Anorak mit einem Hund auf meinen Weg einbog.

Auf Rolle 6 beschäftigte ich mich mit dem alten Zyklus „Der Rock`n Roll höhlt einen Jungpionier aus“. In der radikalen Verdichtung und Überlagerung nimmt er sich ganz neu aus.

Hier zu Hause nehme ich mir manchmal die akustische Gitarre und spiele Songs mit, die aus den alten großen Lautsprechern mein Zimmer und meinen Körper anfüllen.

Musikbilder

Die noch nicht eingetroffenen Mauersegler lassen den Himmel grau und leer. Es herrscht noch die Vorfreude auf die gleitenden Sommergäste.

Im Atelier räumte ich das Waldmaterial auf. Ihm muss ich mehr Platz in den großen Regalen geben. An der äußeren, westlichen Atelierecke habe ich die trockenen, im Verlauf der Jahre gesammelten Essigbaumstangen zusammengestellt, ähnlich wie ich das auf dem Pfad am Hang im Wald mache. Dazu kommen die abgestorbenen und vom Sturm herunter gefegten Äste der großen benachbarten Pappel. Ich könnte mir vorstellen, davon noch mehr auf unserer Wiese aufzustellen.

Auf Rolle 6 begann ich gestern mit dem Material der Mappe „Der Rock`n Roll höhlt einen Jungpionier aus“ zu experimentieren. Interessant ist, dass ich schon in diesen Jahren mit den Überlagerungen gearbeitet habe. Letztlich geht es darin um die Überwindung der Mauer, wie ich es Keith Richards bei unserem Zusammentreffen gesagt habe. Später habe ich das Thema noch einmal konkreter aus einer Zusammenarbeit mit Philip Glass entwickelt. Immer Musik! Vielleicht mischt sich das Material auch mit der Ackermannwiesenarbeit. Für die kann ich das Stück „Different Trains“ von Steve Reich als Projektsong einsetzen.

Größere Äste würden auch ganz gut ins Architekturmuseum passen. Und vielleicht erzähle ich den Hindemithkindern die Geschichte vom Jungpionier bis zur „Voodoo Lounge“.

Heute habe ich den Hanggang auf den Vormittag vorgezogen, weil am Nachmittag mit Starkregen zu rechnen ist. Der Regen der letzten Tage hat die Landschaft schon etwas durchtränkt, dass das Grün nun prall wird. Hoffentlich wächst nun unsere Wiese auf Teves weiter.

Eingegossene Formen

Kleine Waldarbeiten, zwischen Transparentpapier in Schelllack eingegossen. Etwas davon, vor allem die variierende Durchsichtigkeit des Materials möchte ich noch mal auf Rolle sechs genauer einsetzen.

Die Experimente mit den unterschiedlichen Transparenzen begleiten mich auch bei der Arbeit an den täglichen Collagen. Durch die weitere Fortführung dieser Technik soll auch eine Sicherheit darin befördert werden, das Zwangsarbeitergedenken in einem Acrylblock zu installieren. Dieser Block, dessen Form noch nicht klar ist, der aber eher etwas Facettenartiges haben sollte, ist die Darstellung eines geschichtlichen Raumes. Dieser wird durch die schwebenden Dokumente, Ausgrabungsstücke von der Ackermannwiese, Zeichnungslinien und Textteile, die sich auf die Widmung des Werkes beziehen angefüllt. Ich stelle mir z.B. die Herkunftsorte, aus denen die Menschen auf die Ackermannwiese transportiert worden sind in Originalschreibweise vor.

Ich denke daran, wo ich Abbruchsteine herbekommen kann, mit denen ich jetzt schon einmal eine Sockelsituation für eine Stele simulieren kann, die den Acrylkristall aufnehmen soll. Wie muss das Innenleben einer solchen Stele beschaffen sein, damit das Licht die eingeschlossene Collage zur Geltung bringen kann. Vielleicht kann ich mal mit unbehandeltem Acrylglas experimentieren. So kann wieder ein Bezug zur Glasmalerei hergestellt werden. Das Material ist auch durchscheinend bedruckbar und eignet sich auf diese Weise für die Gewinnung von Figurationen für die Collage.

In den Medien schließen sich die Berichte um das Jubiläum des Ausbruches des ersten Weltkrieges und die um die aktuelle Krise in der Ukraine zusammen. Es scheinen Übereinstimmungen der Mechanismen auf.

Baumarktlaufsteg

Dem Datum nach wäre heute mit der Ankunft der ersten Mauersegler zu rechnen. Bisher allerdings blieb der nun wieder graue Himmel leer. Im vergangenen Jahr ist um diese Zeit die Vorhut gleich wieder zurückgeflogen. Vielleicht haben sich das die Vögel bis in diese Saison gemerkt.

Ein ruhiger Tag gestern, der viel mit lockerer, lustvoller Schreibtischarbeit zutun hatte. Ein kleiner Spaziergang bis in den Parkwald mit den vielen verschiedenen Bäumen am Rebstock. Von einer Bank aus sahen wir den Vorübergehenden zu – dicke, große Männer mit kleinen dünnen Hunden und umgekehrt.

Am Abend im Bockenheimer Depot „The Returns“ mit der Forsythecompany. Yoko Ando war die hellsichtige Maniküristin, die mit nervend schriller, unaufhörlich plappernder Stimme durch den Abend führte, der sich entlarvend slapstickartig mit Kunstklischees befasste. Am Ende wurde eine atemberaubende Laufstegnummer abgezogen, bei der die kindlich vergnügliche Erfindungskraft auch von Stephen Galloway tragend war. Ein Kostümrausch aus Alltagsmaterial aus dem Baumarkt, Müll, Erotikversatzstücken und life geplotteten Parolen. Die absurden, wunderbar improvisierten Verkleidungen nahmen sich dabei, selbst aus der Modekunstwelt stammend, nicht ernst. Folien aller Art, gewebte Schlauchrollen, Packpapierbahnen, zusammengehalten von Stricken, Draht und Tape aller Art. Eine Materialschlacht mit schnellen Umzügen als eine andere Konzentrationsherausforderung für die Tänzer, als die Choreografien, in denen das Material mit viel Ernst zusammengefügt und weiterentwickelt wird. Ein hartes Stück Arbeit für unser Vergnügen. Am Ende sah die Bühne wie ein Schlachtfeld aus.

Ateliermusik

Gestern hätte ich beinahe vergessen, mein Tagebuch fertig zu schreiben. Mir fiel es erst am Abend als ich aus dem Atelier nach Hause kam wieder ein.

Mehrere Tage habe ich die Eidechsen nicht gesehen. Vielleicht verscheuchte ich sie mit dem Wässern der Pflanzen und des Erdhügels . Das wäre schade. Im besten Falle haben sie ein Gelege mir Eiern zurückgelassen, aus den demnächst die neue Generation schlüpft.

Im Günestheater probierte gestern bis zum frühen Abend laut eine Bluesband. Ich konnte im Atelier mit ihnen spielen. Manchmal reißt mich ein doppelter Hall, der einen mittelgroßen Saal imitiert mit und ist mir Rhythmusgeber, der mich in einen lärmenden Blues führen kann. Manchmal spiele ich auch einfach den „Cold Irons Bound“ mit, entspanne mich in der Bewegung mit der Musik. Manchmal verliere ich mich im Schwingen eines Vibratos, das ich mit dem Anschlag nur eines Tones auslöse. Somit lebe ich im Atelier eine Seite aus, die ich gerade erst an mir entdeckt habe oder sie mir erst jetzt gestatte.

Die ganze Nacht hat es geregnet. Es wurde Zeit für etwas Wasser vom Himmel und von mir aus könnte es noch drei Tage so weiter regnen. Vorhin kam kurz die Sonne raus, es waren um die Siebzehn Grad und ein paar glitzernde Tropfen waren noch in der Luft- mein Lieblingswetter, wie in La Gomera.

Am Telefon sang ich meiner Freundin Irene zu ihrem sechzigsten Geburtstag zwei Zeilen aus „Forever Young“.

Gitarre

Aus einem der Atelierregale zog ich eine alte, etwas verstaubte Mappe mit den Drucken, also Radierungen Holzschnitten und Kopien zum Thema „Der Rock`n Roll höhlt einen Jungpionier aus“. Darunter sind auch Zeichnungen, anrührendes Material, fast zwanzig Jahre alt. Darunter fanden sich auch noch Zeichnungen und Aquarelle, die ich 1984 in Dresden zu „Nibelungen“ direkt in den Proben unter Engel gemacht habe. Diese sind nun ziemlich genau dreißig Jahre alt.

Die Arbeiten hätten das Potential, sie noch mal in den Transparentpapierrollen aufzunehmen. Besonders die Blätter in die ich Muster anderer Zeichnungen geschnitten habe und somit die Motive miteinander verband, interessieren mich. Die elektrische Gitarre spielt in fast allen Blättern als Zeichen einer Musikalischen Revolution eine herausragende Rolle.

Hinter mir in der Küche beginnt „Birdlands“ von Patti Smith. Erst jetzt glaube ich sie zu erkennen. Manchmal steht man einfach zu lange im Wald… Nun aber der gestimmte Raum einer Lichtung, die Stimme dieser gereiften Poetin. Pelikane an den Mülltonnen von Swakopmund fallen mir ein. Segelndes Elend weit entfernt von Heliumraben des Songs.

Auf den Tevesgelände probierte eine Bluesband so laut, dass ich in meinem Atelier mitspielen konnte. Vielleicht hätte ich auch ein Musiker werden können.

– Gitarre – Knarre an die Kandarre –

Tilli erzählte mir von der Katze, die Gitarre spielt mit dem trommelnden Hund und der Geige spielenden Ziege. Ich erzählte ihr, dass ich auch Katze genannt werde und spielte ihr dann ein wenig Blues vor.

Leicht und schwer

Die Rhythmen, die ich gestern Abend im Atelier auf der Gitarre gespielt habe, gingen mit noch in der Nacht durch den Körper. Diese entspannte Leichtigkeit schwang einerseits mit der Arbeit einher und verband sich auch in der Nacht mit Ideen, die meine Bildproduktion beeinflussen.

Im Atelier entstanden leichtfüßig mehrschichtige Transparentpapiere in Dreiecksform, in deren inneren Schichten ich ganz feines Walmaterial aus Moosen und Gräsern in Schelllack eingoss.

Im dunklen Schlafkosmos schwebte eine Musikbox vorbei, in deren Geäst Lautsprechermembranen hingen, aus denen eine Waldmusik trat. Zu den Originalgeräuschen aus Vogelstimmen, Ästeknacken und Geflüster treten Gitarrensounds hinzu. In der hallenden Basskathedrale wuseln silbern blinkende Ameisen diskant umher.

Man müsste die Boxen mit Einschnitten, die aus Wänden, Böden und Decken herausgeklappt werden können, ganz aufbrechen. Durch diese Öffnungen kann eine Gitterstruktur leicht, wie ein Gewächs, die Kiste verlassen, um Ausschau nach den Nachbarn zu halten. Das wächst zu einer einzigen Konstruktion zusammen, in der auch die Boxen vorkommen.

Bei der Beschäftigung mit dem Verein Zwischenraum, erlebe ich die kontinuierliche Arbeit an den Themen und Projekten als einen Block, dessen Gewicht zunimmt. Vielleicht schrumpft er irgendwann, wird aber trotzdem schwerer. Zunehmend interessiert mich das Eindampfen und Reduzieren, was die Konzentration ermöglichen soll, die eine Strahlung erzeugt.

Raum schaffen

Sechs Uhr am Schreibtisch. Mir ging die Lichtsituation der Boxen für das Architekturmuseum durch den Kopf. Die ist, wie sie derzeit erscheint, unbefriedigend. Deswegen wäre es hilfreich, Oberlichter in die Decken zu schneiden, die man ja dann mit Transparentpapier abdecken kann. Überhaupt stellen die Boxen eher ein einengendes Problem da, über das man sich vielleicht etwas radikaler hinwegsetzen muss. Die Objektgrößen werden dadurch vorgeschrieben und das Material ist billig aber teuer.

Ganz gegenteilig gestalten sich die Waldsituationen. Ästhetisches Material gibt es im Überfluss. Davon habe ich wieder einiges für die Atelierobjekte gesammelt. Ich bekomme einen Blick für die Bogenspannung kleiner Äste und für die verwunschenen Formen der Flechten.

Die Hauptarbeit bestand aber darin, im zweiten Abschnitt den Großteil einer Lichtung freizulegen. Sie ist durch Holzeinschlag im vergangenen Jahr in Mitleidenschaft gezogen worden. Alles Restmaterial, die Spitzen der gefällten Bäume und alle Äste sind im Gras liegengelassen worden. Die verrottenden Nadeln und Ästchen verbanden sich am feuchten Boden zu Moder, der den Wintergeruch noch in sich trug. Alles stellte ich an die breit stehende große Tanne, und schuf somit wieder den Raum, der mich vor drei Jahren zu den ersten Waldzeichen inspirierte.

Manchmal stand ich eine Weile vor den schweren Holzteilen und überlegte, wie ich die aufheben und drehen könnte, ohne am nächsten Tag das mit Rückenschmerzen büßen zu müssen. Die weitere Arbeit bestand in der Verdichtung der Wegzeichen, die den Raum auf Schritt und Tritt säumen, gestalten und definieren.

Gegensätze

Die neuesten Aktivitäten hinsichtlich der Erinnerung an die Verbrechen im deutschen Faschismus, die teilweise von offizieller Seite angestoßen und finanziert worden sind, treffen auf viel Kritik. Zwischen einer dauerhaften Konfrontation mit der Gedenkkultur und den temporären Konzepten, wie sie vom Kulturamt gefördert werden, gibt es einen Konflikt, der im Ansatz besteht und deswegen grundsätzlich ist. Temporäre Kunstwerke verwischen mit ihrer kurzen Erscheinung die Erinnerung eher, als dass sie sie vertiefen oder durch die tägliche Konfrontation im Vorübergehen, zu neuen Einsichten führen.

Im Atelier beschäftigte ich mich mit der Erscheinungsform der Füllungen der Dreiecksgitterobjekte, die teilweise von den Hindemithkindern gebaut worden sind. Jeweils drei zueinander faltbare Dreiecke bilden die Schichten, in denen die Waldfundstücke in Schellack eingegossen werden. Außerdem ist es möglich in diesen Schichten Artefakte aus der Stadt und Waldmaterial zu kombinieren.

Mit Deniz plauderte ich etwas über eine künftige konzeptionelle Ausrichtung der Weiterentwicklung der Funktion des Tevesgeländes durch die bildenden Künstler. Dabei haben wir den Aspekt der Wirkung unserer Arbeit auf den Stadtteil mit der darüber hinaus verbunden. Somit sollen sich beide Welten gegeneinander nicht ausschließen können. Während unseres letzten Treffens schien mir die Ausrichtung zu sehr auf den lokalen Aspekt ausgerichtet zu sein. Mit zunehmender Arbeit aber zeitigt unsere Arbeit Wirkungen weit über das Gallus hinaus. Die internationale Arbeit von Vinzenz ist hier ein Beispiel dafür. Sie hat aber jetzt auch Auswirkungen auf unsere gegenwärtige Arbeit. Denn die Erfahrungen, die meine Praktikanten nun in aller Welt sammeln, fallen irgendwann in verschiedenster Art auf Teves West zurück, wie das auch mit negativen Beispielen der Fall ist.

Laufrichtungen | immobile Pose

Die bevorzugten Laufrichtungen vor dem Fenster befinden sich auf der Ostwestachse der Allee. Die Schüler, die im rechten Winkel dazu unterwegs sind, bewegen sich nur bis zur Hindemithschule an der Idsteiner Straße. Erst wenn man weiter durch den neuen Park, in dessen Mitte immer noch ein riesiges Erdloch für den geplanten Verkehrstunnel klafft, in Richtung Rebstock läuft, wird eine neue Bewegungsachse deutlich spürbar, eine Nordsüdachse.

Das ehemals Trennende der Bahnanlage wird erst allmählich von den schon lange hier wohnenden Menschen vergessen. Man muss häufig mutwillig die neue Bewegungsmöglichkeit in Anspruch nehmen, um sie zur Normalität werden zu lassen. An dieser Stelle hat sich ein hermetischer Raum in der Stadt geöffnet.

Die geheimbündlerische Versammlung, die vor ein paar Tagen hinter den zusammenfallenden Baracken auf unserem Gelände stattgefunden hat, steht offensichtlich in Zusammenhang mit den erneuten Hausbesetzungen in der Stadt. Die angekommenen setzten sich als erstes auf den Boden und bildeten dadurch schon eine Besetzertraube. Dabei handelt es sich offensichtlich um eine immobile Besetzerpose linksradikaler Ausprägung. Ich musste sie, als ich mit dem Auto nach Hause wollte, weiträumig umfahren.

Bei aller drängenden Enge gibt es viel Leerstand in der Stadt, der sich sinnvoll zwischennutzen ließe. Was aber eine sinnvolle Zwischennutzung ist, bleibt eine politische Frage.

Schauen

Auf dem flachen Dach des niedrigen Nachbargebäudes kann ich von unserem Balkon aus die aneinander auffliegenden Tänze der Ringeltauben beobachten. Ihre lauten begleitenden Gesänge werden von den rundum stehenden Häuserwänden zurückgeworfen. Ein akustischer Raum im leisen Ostersonnabendmorgen. Aus dem klaren Himmel trifft Sonnenschein auf mein Gesicht. Dazu Hummeln und Amseln – wie auf dem Land.

Im Tal der Kleinen Wisper wanderten wir dreieinhalb Stunden durch den Rheingau. Vom Schiefer, den wir allenthalben in Felsformationen ansteigen sahen, sind die gebauten alten Kerne der Dörfer, die wir berührten geprägt. Gesäumt sind sie von atemberaubend schönen Wiesenschwüngen, über die das Frühlingslicht heranrauscht.

Beim langen ruhigen Schauen auf ein solches Dorf kam mir in den Sinn, dass manche Familien vielleicht schon seit Jahrhunderten dort ansässig sind. Vielleicht gibt es genauso alte Fehden, deren Gründe schon längst verwischt sind.

Am Bach flüchtete eine Hirschkuh vor uns und Schmetterlinge, die vor uns aufflogen, begleiteten uns jeweils ein Stück des Weges, manchmal gegen den Wind trudelnd. Rote Admirale, Pfauenaugen, Zitronenfalter, Kohlweißlinge und andere deren kleine Flügel orange- und cremefarben eingeteilt sind. Noch fällt es uns leicht in drei Stunden etwa zwölf Kilometer und die paar hundert Höhenmeter zu laufen.

An einem kleinen Angelsee rasteten wir und sahen zwischen den Wasserläufern kleine Fischchen springen, wie im Sommer.

Alles Farben

Manchmal genügt es mir, jeden Morgen nur die sich ändernden Farben anzuschauen. Der Split auf den Wegen geht in seinen sonnigen Abschnitten ins Orange. Weiß nicht, woher er die Rottöne nimmt, während der silberne Flugzeugrumpf an seiner östlichen Seite zitronengelb glänzt, wie ein Falter.

Krishnababy zeigt auf:

das stromnetz von detroit.

wo elektrizität ist, knistert gewalt

Das schrieb Patti Smith, die im weiterlaufenden Text auf ein Bild von Jackson Pollock eingeht. Gestern hörte ich vergleichend die Platte „Horses“ von 1975 und in einer neueren Lifeeinspielung von 2005. Die großartig gereifte Stimme wurde im Vergleich deutlich.

Krishnababy zeigt auf:

– de kooning: auflöser der weiblichen form

– gorky: erleuchteter feigling

– rothko: schwarze wahrheit

– pollock: lizensierter killer.

Bei Patti Smith kann man viel entdecken.