Verdinglichtes Gedankenspiel

Jeweils neun Zeichen des dritten Totenbuches zeichnete ich gestern auf drei verschiedene Transparentpapierblätter. So ergaben sich neun Konstellationen, von denen ich hoffe, dass sie die ersten Bausteine für die Brücken auf die Erinnerungsinseln bilden werden. Beim Anschauen der Zeichenüberlagerungen erwarte ich irgendwann, dass die Eilande aus dem Nebel des Vergessens hervortreten.

Ein weiterer Schritt dorthin ist das Extrudieren der einzelnen Flächen in einen Raum. Es entsteht also ein Gebäudemodell, ein Artefakt oder ein Bedeutungsvolumen, in das eine Erinnerung eingekapselt ist. Mit dem 3d Drucker handgreiflich erstellt, bilden sie die Metaphern im Reservoir des Erlebten, die Verdinglichung eines abstrakten Gedankenspiels.

Ein junges Regieteam unter der Leitung des dreißigjährigen Daniel Foerster hat mit dem „Totentanz“ von August Strindberg, die letzte Premiere der Spielzeit herausgebracht. Spiel, Kostüm und Maske erinnerten mich am Anfang an Arbeiten von Bob Wilson. Diese strengere Form zerfaserte dann aber später in eine Schmiermittelschlacht vorne auf der kleinen Bühne. Eine Sahnetorte zerbarst auf einem Gesicht, ein rohes Eigelb ging von Mund zu Mund und Augen liefen zerstochen aus. In der ersten Reihe fürchteten wir uns vor dem spritzenden Theaterblut, blieben dadurch aber in Distanz zur Handlung.

Unter dem Sternenhimmel einer späten blauen Stunde tranken wir, nach dem Beziehungsdrama in einer Ehehölle, auf dem Südbalkon kalten Rosè.

Splitter, Brücken, Spiegel

Die Systeme, mit denen ich meine Erinnerung strukturieren und herausfordern will, sind zeichnerischer und malerischer Art. Auch der Vorgang, Linien und Formen zu bestimmen, sie zu wiederholen und zu überlagern führt in die verschiedenen Schichten der aufgehobenen Bilder, Stimmungen und Sinneseindrücke. Dabei können die Figurationen zu Metaphern werden oder zu Brücken zu den Inseln in den Gewässern des Vergessens.

Gestern war ich verabredet, mein erinnerndes Vorgehen exemplarisch zu erläutern. Dazu zeigte ich die Väterportraits, ihre Überlagerung und Zersplitterung, wie auch die Neuordnung der Splitter in ein machtvolles Raster. Als Kontrast hatte ich die aktuellen Buchmalereien mitgenommen und erklärt, wie sie sich mit den Transparentpapierzeichnungen in den täglichen Collagen verbinden.

Danach setzte ich mich in ein Straßencafe auf der Bergerstraße, und blätterte langsam die rund einhundert Malereien durch. Dafür nehme ich mir zu selten Zeit, denn es ist vergnüglich und lehrreich.

Ein großer, in der Westecke des Ateliers senkrecht stehender Spiegel, erlaubt es mir vom Zeichentisch aus geradeaus nach Osten auf meine Wiese und den davor liegenden Garten zu schauen. Jetzt am Morgen ist es 20° warm und die Eidechsen sind schon auf der Jagd. Sie trinken das Zuckerwasser, das eigentlich für die Fliegen gedacht ist, die für ihre Ernährung da sein sollen.

Gleisfeldsteppen

Geduldig zeichnete ich die über 4 Meter lange Rolle mit den gleichmäßig angeordneten Doppelportraitsplittern fertig. Es sind gut 150 Zeichen, von denen jedes einzelne ein Fenster in die Vergangenheit sein kann.

Die langen Nachfahrten über die ausgedehnten Gleisfelder südlich von Berlin, mit ihren mit den rhythmischen, metallenen Klängen, wenn die Eisenräder über die Gleisstöße rollen. Immer zwei kurze Schläge hintereinander, dann gleich noch mal zwei Schläge, dann eine rollende Pause. In der Perspektive schoben sich die schwachen Lichter an den hohen Masten weiter vorne an den hinteren vorbei. Alles glitt unendlich langsam. Die Fahrten dauerten die ganze Nacht und einen halben Tag dazu. Wegen der Mauer mussten Umwege gefahren werden, um in den Osten der Stadt zu gelangen. Ich habe die Tränen meiner Mutter am Ostbahnhof nicht verstanden. Der Blick von den Bahnsteigen dort auf die andere verwunschene Fluss-Seite konnte ihr doch egal sein.

Die Steppen der verwaisten Gleisfelder.

Ich hörte verschiedene Versionen von Steve Reichs „Different Trains“. Darunter war ein Video mit einem Streicherensemble vor Fotografien von deportierten Juden. Diese Form der Illustration dieses Musikstückes finde ich ganz falsch. Es schränkt die Hörbilder erheblich ein.

Besuch im Atelier von Franz Konter in der Idsteiner Straße. Kurzes intensives Gespräch, wie immer.

Zwischen den Methoden

Die Buchmalereien zeigen die Schwebe während der Suche nach den Durchblicken in den Raum der Erinnerungen. Es entsteht ein Diskurs zwischen klaren konzeptionellen Splitterformen und den Farbatmosphären der Bücher. Und in den täglichen Collagen des Arbeitstagebuches bahnt sich ein sichtbarer Dialog zwischen den Methoden an. Das geschieht schnell, spontan und konzentriert. Wenn der neue Tagestext mit der Collage auf meiner Website erschienen ist, spüre ich die Kraft, die das kostet und gibt, gleichzeitig. Dieser Dialog ähnelt der Durchlässigkeit zwischen Speicher- und Funktionsgedächtnis. Die freie Methodik der Buchmalereien bereichert das konzeptionelle vorgehen auf Transparentpapier.

In Anlehnung der gestern formulierten Erinnerungsfigur der Gleise, meine ich nun eine zweite ausgemacht zu haben, die ebenfalls etwas mit Fortbewegung zutun hat. Es geht dabei um den Untergrund, den meine Füße beim Gehen berühren. Das kann der weiche Waldboden meines Pfades sein, oder das Natursteinpflaster der Schulwege, das aus hellem Kalkstein mit Riefen und unregelmäßigen Umriss bestand. Die Böden, auf denen ich ging hatten meinem Körper etwas mitzuteilen, ein Echo finde ich nun wieder.

Vom glasklaren Eis auf den Fischteichen des Klosters Gerode konnte ich tief in das Gewirr des unterseeischen Dschungels schauen. Auf der Klostermauer hatte ich das Gleichgewicht auf dem Kalksteingeröll zu halten das als Füllung zwischen den großen, fest gefügten Steinen eingeschüttet war. Wo aber damals die Fanfaren der Jungpioniere schallten, hängen nun hinduistische Glöckchen unweit der Marienfigur in Mandrola.

Unaufhörliches Selbstportraitieren

Mit meiner Arbeit mache ich mich auf die Suche nach Gedächtnisspuren. Wenn ich davon ausgehe, dass nichts wirklich ganz vergessen ist und in den mäandernden Erinnerungen alles wieder gefunden werden kann, geht es nur noch um die Methoden der Expeditionen in die Welten der abgelagerten Bilder und der Zusammenklänge von Gefühlen und Sinneseindrücken. Die Methode des Zeichnens führt in die Gedächtnisschicht, die noch keiner Erfahrungs- und Handlungsstruktur zugeordnet ist. Dieses ungeordnete Reservoir wartet darauf, an die Oberfläche zu gelangen und die dortigen Ordnungsbezüge zu verändern.

Indem ich die Splitter der Doppelportraits nummeriere und in ein regelmäßiges Raster einordne, begebe ich mich auf eine Reise in meine tieferen Erinnerungsschichten. Wenn ich das kontinuierlich fortführe, gelange ich zu Erinnerungen, die mir fremd erscheinen werden. Damit verändert sich mein Eigenbild. Es ist eine Form des unaufhörlichen Selbstportraitierens.

Es gibt da so einen Komplex, der mit Bahnschienen zutun hat. Ich selber bin als Kind und Jugendlicher oft auf Bahndämmen zu Fuß unterwegs gewesen. Auch die Klänge der Schienenstöße, die man im Waggon hört, gehören in diese Bilder und Wahrnehmungen. In diesem Zusammenhang ist mir eine Komposition von Steve Reich („Different Trains“) nahe gegangen und hat Bilder in mir ausgelöst. Mal sehn, was da noch alles kommt.

Bewgungsmuster | Sinnmuster

Die anatolische Steppe klingt. Es gibt Instrumente, die die Umgebung sofort vertrocknen lassen. Meine Wiese wiegt sich im Trommelrhythmus. Kleine Windhosen eilen dahin, wirbeln trockenes Material hinter meinen Augen auf und geben den Derwischen die Bewegungsmuster vor.

Die Arbeit an der Ordnung der abstrakten Bildzeichen führte ich gestern fort. Die einzelnen Scherben mittig in das Quadratraster zu setzen, bedeutet etwas Konzentrationsaufwand.

Die täglichen Buchmalereien gehen mir leichter von der Hand. Dort kombiniere ich das archivierte Material virtuoser als bei allen anderen Arbeitsmöglichkeiten. Diese Dinge stammen aus dem Speicher des Gedächtnisses, das das Material noch nicht für eine Funktion geordnet hat. Wenn sie jedoch gehäufter auftreten, kommt es dazu, dass sie sich in Sinnmuster ordnen und sie vielleicht auch verändern. Ziehe ich die Archivschubladen meines Gedächtnisses auf, springen mir die Motive und Techniken entgegen, die zur gegenwärtigen Situation passen. Bis ich misstrauisch werde.

Meine Schüler beschäftigen sich mit Geheimschriften. Ich zeigte ihnen ägyptische Totenbücher, aus deren Bilderschrift sie sich auf Transparentpapier bedienten. Was sie aber schreiben, weiß ich nicht.

Formenarchiv

Das „Scherbengericht II“, das Blatt also, auf dem ich den zweiten rechteckigen Ausschnitt des Vater – Großvater – Doppelportraits zersplittert habe, ordnete ich nun auf einem Transparentpapierstreifen neu. Nun stelle ich die Scherben, also die abstrakten Bildzeichen, nicht mehr nur auf Zeilen, sondern habe ein Quadratraster entwickelt, in das ich die 154 Zeichen einfügen kann. So entsteht eine strenge Ordnung, in die die unregelmäßigen Formen eingesetzt eine ganz neue Ausstrahlung bekommen. Durch den Platz, den sie um sich herum haben, werden die individuellen Formqualitäten hervorgehoben. Es erinnert an die Anordnung von archäologischen Fundstücken in einer Ausstellung oder in den Schubladenkästen der Archive. Auf das Archivieren von Fundstücken und Erinnerungsbruchteilen sollte ich mich im Zusammenhang mit dem Biografieprojekt näher einlassen.

Wenn ich den gestern gezeichneten Transparentpapierstreifen zusammenrolle, legen sich die abstrakten Zeichen übereinander und entwickeln in dieser Weise ein bildnerisches Eigenleben. Die neuen Kombinationen schaffen die Formen, von denen ich vorher nichts wissen konnte. Dem soll die Einlösung der Erwartung neuer Erkenntnisse für mich folgen.

Derzeit gehe ich die Wege, die man am Tag zurücklegt in erster Linie zu Fuß. Heute ist Biografieprojekttag, für den ich mit dem Rucksack einkaufen war, um gleich mit dem Kochen beginnen zu können. Mein Arbeitsweg, den ich normalerweise zweimal am Tag zurücklege, ist dann insgesamt 5,2 Kilometer lang. Das gehe ich in schnellem Schritt. So komme ich in der Woche auf über dreißig gegangene Kilometer. Das gefällt mir.

Fenster in die Vergangenheit

Nach zweieinhalb Monaten hatte ich gestern auf Rolle 6 wieder etwas zeichnerisch zu klären. Die erste Zeile des dritten Totenbuches führte ich in eine Überlagerungssequenz, die sich nur auf die inneren Felder der abstrakten Bildzeichen beschränkte. So füllten sich die leeren Felder mit den verschiedenen Überlagerungen der Umrisslinien der Scherben. Das Vokabular der Totenbücher soll so erweitert werden.

Ich kann mir noch mal die Nachwirkungen des vorgestern entstandenen hochformatigen Rollbildes vor Augen führen, die anhalten. Auch die Einfügung in die gestrige Collage hatte dieses befreiende Gefühl zur Folge. Es entstanden abstrakte Bilderschriftzeichen, die auf ihren Flächen Teile der vorausgegangenen Collagenarbeit zeigen. So etwa stelle ich mir die Füllungen der Flächen mit (farbigen?) Frottagen vor. Die Scherben als Fenster in die Vergangenheit.

Die gestrigen Arbeitsschritte dauerten ungewohnt lange und forderten von mir eine besondere Konzentration, die mich schnell anstrengte. Das kann aber auch mit an den etwas niedrigen Temperaturen im Atelier liegen, denen ich still am Zeichentisch sitzend begegnen muss.

Unter der Kuppel des Eidechsenappartementes haben sich nun 3 der Reptilien zu einer Wohngemeinschaft zusammengefunden. Sie schätzen die Wärme trotz der kühlen Außentemperaturen und die Trockenheit unter der Acrylhalbkugel. Je nach Sonnenschein strecken sie nur die Köpfe aus den Ziegelschlitzen oder liegen davor auf den dunklen Basaltwürfeln.

Splitter

Noch fließt die Tinte tiefschwarz aus der Feder meines Füllers. Gerade habe ich aber eine Patrone mit verdünnter Tinte eingesetzt, damit die zarten Farben der Zeichnung auf der Vorseite nicht so sehr durch die durchscheinende Schrift beeinträchtigt werden.

Die nächsten Totenbuchzeichen, etwa 140 Scherbenumrisse, habe ich auf eine hochformatige Rolle übertragen. Nun entstand eine „abstrakte Bilderschrift“ (schöner Begriff). Die ist Projektionsfläche und Voraussetzung für das, was nun an Verwandlungen, Inkarnationen und Wiedergeburten auf den nächsten Formaten passieren wird.

Zunächst werde ich mit der bewährten Überlagerungstechnik beginnen, mit der auf Rolle 6 innerhalb der Umrisse neue Strukturen entstehen sollen, die sich aus Fragmenten der anderen Umrisse ergeben. Daneben werden die weiteren Splitter der nächsten drei Doppelportraitteile in Zeilen geordnet. Um mich in den vielen spiegelnden Scherben nicht zu verirren, will ich zwischendrin einen Schritt zurücktreten und überprüfen, ob das nicht in eine Sackgasse führt.

Das neue hochformatige Rollbild, mit den in Zeilen geordneten Scherbenumrissen wirkt wie eine Befreiung. Ein ruhiger, geordneter Fluss der Zeichen aus meinem Willen. Erst nach einer Wartezeit trat die Reinheit dieser Zeilen am Morgen langsam in mein Bewusstsein. Wie haltbar diese Empfindung sein wird, hat Auswirkungen auf die weitere Arbeit.

Neuer Rhythmus

Mit vier Zeichnungen bin ich gestern ans Limit von dem gegangen, was ich an einem Nachmittag schaffen kann. Zunächst teilte ich das Doppelportrait „Vater / Großvater“ in vier gleichgroße Rechecke und vergrößerte jedes auf etwa Din A 4. Dann nahm ich mir viermal dieselbe Sequenz aus dem Blatt mit den Gravitationsschwüngen und zeichnete sie jeweils mit jedem der vier Teile des Doppelportraits durch. Somit zersplitterte ich die dunklen Flächen, während die geraden Kanten der vier Rechecke auf den Randscherben deutlich werden. Vielleicht sollten im nächsten Schritt die Scherben der vier Blätter, einzeln voneinander abgesetzt als Zeichen des Totenbuches angeordnet werden. Durch die Aufteilung in vier Rechecke und die Zersplitterung mit immer demselben Muster, entstehen teilweise identische Scherben. Damit ergibt sich in ihrer Zeilenanordnung ein neuer Rhythmus, der durch die gleichen oder ähnlichen Formen bestimmt wird.

Innerhalb der täglichen Collagen, deren Scans in den Arbeitspausen auf meinen Bildschirmen laufen, entdeckte ich Frottagen innerhalb von Rasterpunkten früherer Portraits. Sie stammten beispielsweise von Borkenkäferfraßspuren, die ihren Stammbäumen gleichen. Nun lassen sich die schönen Splitterumrisse auch mit anderen Frottagen oder Kombinationen füllen. Eine weitere Variante bilden die Überlagerungen der Scherbenformen auf Rolle 6, die sich nur als Binnenzeichnungen innerhalb der Umrisse zeigen.

Der Arbeitsplan der nächsten Zeit besteht aus der Verfolgung dieser Ansätze, um Dinge entstehen zu lassen, von denen ich vorher nichts wusste.

Figur und Umgebung

Die Figur, an deren Abbildung ich mich gestern im Zusammenhang mit dem alten Farbholzschnitt aus meiner Produktion der Achtzigerjahre erinnerte, Ist eine Bodhisattvastatue aus dem 17. Jahrhundert, deren Kleidung mit Miniaturszenen bemalt ist. Auch die Holzschnittfigur, die ich in den Achtzigerjahren begonnen hatte, ist mit Bildern ihrer Umgebung verwoben.

Ich erinnere mich, damit zusammenhängend, an die Choreografin Debroah Hay, die in einem Interview im Frankfurt LAB davon sprach, dass sie manchmal die winzigen kreisenden Bausteine ihres Körpers zu spüren glaubt, und somit seine Durchlässigkeit wahrnimmt. Die Erinnerung daran fügt sich nun in die Struktur meines Nachdenkens über den Buddhismus und verändert sie leicht.

Gestern half ich in meinem Gärtchen den winzigen Bäumchen, an etwas mehr Licht zu kommen, indem ich das Gras rundherum geschnitten habe. Die Existenz dieser Miniaturen besteht nur für mich. Niemand, außer mir, bekommt die zu Gesicht. Auch das Wiesenrechteck ein paar Meter weiter ist gut gewachsen, für alle gut sichtbar. Von denen, die es nutzen, wünschte ich mir etwas mehr Unterstützung bei dessen Pflege. Zugegeben – ein frommer Wunsch. Der Regen der letzten Tage hatte eine beruhigende Wirkung auf mich, als würde auch ich in ihm wachsen. Nur die Dächer, unter denen ich mich befinde, sind nicht ganz dicht. Um das über meiner Nische kann ich mich selber kümmern.

Nun nehme ich das „Totenbuch III“ wieder ins Visier. Ich möchte das letzte Doppelportrait in vier gleiche Rechtecke teilen, die ich dann mit dem selben Gravitationsmuster zersplittern möchte.

Sprechen

Mit Franz traf ich mich gestern auf dem Wochenmarkt an der Konstablerwache. Von oben herab, aus dem bedeckten Himmel drückte eine durchdringende Wärme auf unsere Köpfe. Ich trank erfrischenden Holunderblütensaft.

Während einer solchen Rückzugsphase, wie sie nun schon länger bei mir anhält, spüre ich, wie meine Sprechfähigkeit leidet. Wenn ich beispielsweise beginne, über das zu sprechen, was ich als nächstes vorhabe, verhaspele ich mich schnell, weil es so viel zu erklären gibt. Mein Mitteilungsbedürfnis steigt dann auch während des Erzählens an. Ich blühe auf dabei. Die Mysterien der Überlagerungen, Zersplitterungen und Neuformierungen der Scherbenschwärme rissen mich selber mit. Mein Erzählen bekam Schwung.

Den Farbholzschnitt, den ich gestern hervorgekramt habe, hängte ich als Zeichen zwischen die Rasterportraits. Es bedeutet, dass ich mich auf mein altes Vorhaben besinnen soll, viele Motive zu einer großen übergeordneten Figur zusammenzusetzen. Mir fallen dazu bemalte buddhistische Skulpturen aus den Klöstern des Himalaja ein.

Draußen kommen Regengüsse herab, die die Betonflächen in einen See verwandeln. Die Wiese trinkt, wie auch mein Gärtchen. Wasserbehälter und Blumenübertöpfe laufen über. Keine Eidechse weit und breit.

In der Nische

Das Zeichnen alter Rasterportraits ist ein Hilfsmittel, unstrukturierte Erinnerungen in einen Rahmen zu fassen, sie in ein System zu setzen, das sich mit ihnen und durch sie verändert. Dieses System schafft eine Struktur, von der ich glaube, dass sie mich ausmacht. Aber darunter schlummern all die anderen Gefühlsbilder, die zwar keinen Sinn bilden, aber dennoch wirken. Steigt ein solches Bild durch die Beschäftigung mit den Portraits herauf, kann es sich als eine Bedeutungsfigur in die Ordnung einfügen. Diese Begegnungen geschehen allmählich. Langsam lösen sich neue Formen aus dem Nebel.

In meiner Nische im Gärtchen hatte ich gestern am späteren Nachmittag die vielen Ebenen meines Gesträuchs nah vor meinen Augen. Ich sah die verschiedenen, immer wiederkehrenden Bewegungsschleifen der Insekten und ihrer Jäger. Dort, wo sie sich zeitgleich kreuzten, was man aus dem Rhythmus scheinbar voraussagen konnte, machten die Eidechsen Beute. Gleichzeitig dachte ich an Zeichnungen von Gesträuchen, in denen sich mit zunehmender Dichte Figuren manifestieren. Auf den Scherben der Doppelportraits entstanden auf Rolle 6 solche Gesträuche durch Überlagerungen der Scherbenumrisse.

Ich dachte an eine große Figur, die das neue Leinwandgroßformat mit den vielen Einzelheiten dominieren könnte. Im Grafikschrank fand ich dazu einen Farbholzschnitt aus einer Serie von Motiven, deren zusammengesetztes Gesamtbild eine Figur ergeben sollte. Dieser einzelne Probedruck, der noch erhalten ist, stammt vom 29.12. 1983 und trägt den Titel:“ Kassandra- im Hain“.

Duft

Die Ganze Atelierfront, die nach Südosten ausgerichtet ist hat Sonne, genau wie der wolkenlose Himmel. Irgendwo summt ein größeres Insekt, das den Weg nach draußen nicht findet.

Gestern war den ganzen Abend lang ein Zitronengeruch an mir, dessen Herkunft ich erst am Morgen bemerkte. Im Gärtchen hatte ich Pflanzen und Bäume geschnitten und umgetopft. Dabei war eine Duftgeranie, die an einem langen Trieb in die Höhe wuchs. Weil ich die ganze Zeit mit der Erde beschäftigt war, entging mir, dass ich mich die ganze Zeit in dieser starken Geruchswolke befand. Aber schon am Abend in der Pizzeria bei Pietro bemerkte ich meinen fremden Eigengeruch. Und jetzt habe ich ein Duftgeranienblatt in mein Buch gelegt – eine Erinnerung für später. Interessant wäre zu wissen, ob die Wolken dieser Pflanzen meine Stimmungen verändern können.

Seit dem mir klar ist, dass meine handschriftlichen Aufzeichnungen vielleicht in irgendeiner Form in eine Öffentlichkeit gelangen können, ich dann auch Verantwortung über das haben werde, was ich über andere Menschen schrieb, verändern sich die Texte langsam. Der Filter, der sich zwischen meine Empfindungen und ihre Niederschrift setzt, schafft einerseits einen Verlust. Vielleicht kann alles aber auch anders, zurückhaltender und bearbeiteter, weiter bestehen bleiben.

Kreisende Tuschefüllungen flossen gestern in die derzeitigen Scherben des dritten Totenbuches.

Scherbengerichte

Das Rolltor hochziehen, ein paar Handgriffe im Garten und über den Zeichentisch auf die Arbeit des Vortages schauen – so fängt ein Ateliertag an einem Sommermorgen an. Wie auch gestern bin ich von zu Hause in der Frankenallee hierher gelaufen. Das dauert etwas mehr als zehn Minuten. Kein Grund, das Auto zu benutzen. Das erste und das letzte Drittel des Weges gehen durch Grünanlagen. Und hier ist es so still, wie es in einer Stadt mit ihrem Grundgeräusch sein kann.

Doppelportrait Vater / Großvater III – Scherbengericht I – zum Totenbuch III“ ist der etwas sperrige Titel des Blattes, das vor mir auf dem Tisch liegt. Ich selbst benötige das Titelsystem, um mich später in dem Wust von Arbeiten zurechtzufinden. Im „…Scherbengericht II…“werden dann die Umrisse der Portraitsplitter mit kreisenden Tuschelinien ausgefüllt. Damit habe ich, wie man oben sehen kann, gestern begonnen.

Die große Nesselfläche leuchtet nun schon einige Tage in diesen Raum hier. Sie hat in der Naturfarbigkeit eine beruhigende Wirkung. Ich beeile mich auch nicht, mit dem nächsten Bild gleich zu beginnen. Zunächst sollen die Motive noch reifen. Auf größeren Transparentpapierbögen ist noch einiges auszuprobieren, was ich schön an Kompositionen des Väterportraitthemas vor Augen habe.

Matthis berichtete gestern Abend, während eines Spargelabendessens, von seinen abenteuerlichen Ausflügen in die indogermanischen Sprachen. Auch seine Reisen und Arbeitsaufenthalte führen ihn dorthin, wo diese Sprachen noch wohnen.

Alte Techniken

Die Zeitflächen, die ich für meine Arbeit benötige, müssen derzeit nicht mehr so geschlossen sein, sie können etwas ausfransen oder auch unterbrochen werden. Der kontinuierliche Fluss ist durch das tägliche Arbeitstagebuch seit Jahrzehnten gewährleistet.

Gestern zeichnete ich ein neues Doppelportrait aus den Rasterabbildungen meines Vaters im Alter von 16 und seines Vaters im Alter von 26 (?). Später wird noch mein Einschulungsportrait im Alter von 6 hinzukommen.

Neuerdings gibt es virtuelle Proben der Rasterüberlagerungen, die ich auf Normalpapier ausdrucke. Die erste Zeichnung von gestern, die ich oben in die Collage eingefügt habe, kam mir zu zerrissen vor. Mit den größeren Rasterpunkten wollte ich eigentlich mehr Geschlossenheit herstellen. Das gelang mir dann auch nach längerem Probieren mit einem Grafikprogramm. Das Ergebnis werde ich dann heute auf Transparentpapier zeichnen. Dort entfalten die strudelnden Tuschelinien ein Eigenleben, das besonders zutage tritt, wenn Licht hinter dem Blatt ist. Überlagerungen, die ich beim Zeichnen finde, sind mir lieber, als die Ergebnisse, die ich am Bildschirm erziele. Es ist ihnen mehr zuzutrauen.

Ich denke an die Aufnahmesessions zu den letzten zwei Alben von Bob Dylan, die mit alter analoger Technik und nur im Lifezusammenspiel in einem Studio entstanden. Aus diesem Paradox entstanden Neuschöpfungen des alten Materials aus dem „American Songbook“. Verinnerlicht und spannungsvoll heben sich diese sparsamen Bearbeitungen deutlich von den pompösen Swingorchesterversionen der Fünfziger- und Sechzigerjahre ab.

Kleine Scherben

Mit dem vierten Scherbenblatt habe ich die erste Serie des dritten Totenbuches abgeschlossen. Alle Teile, sowohl die Rasterpunkte als auch die Scherben sind mir für den nächsten Arbeitschritt zu klein. Auch die Vielzahl der Einzelteile verhindert einen leichteren Überblick und das Einsteigen in das System. Die Gravitationsschwünge sind teilweise zu eng, sodass nur winzige Scherbenstücke entstehen in Millimetergröße, die sich auch sehr ähneln. Voraussetzungen für eine zweite, übersichtlichere Serie, sind also größere Rasterpunkte der Portraits und ebenfalls großzügigere Gravitationsschwünge.

Am Abend las ich in der Analyse von Dylans Spätwerk in Heinrich Deterings „Stimmen aus der Unterwelt“ über die Mysterienspiele im Spätwerk von Bob Dylan. Die verschiedenen Quellen, aus denen sich die Texte speisen, weiden haarklein erläutert. Das führt zu einem Reichtum an Ebenen, zwischen denen man leicht die Orientierung verlieren kann. Die Teile aus verschiedenen antiken Stoffen und Shakespearetexten, aus dem Brechttheater und der Romantik, werden mit poetischen Techniken miteinander verknüpft. Für mich entsteht dabei die Frage, ob die verschiedenen Quellen, die man innerhalb seiner Arbeit anzapft, Bedeutungsebenen gleichkommen. Müssen sie alle erkennbar werden, um das Wesen eines Songs zu erfassen?

Mir geht eine Geschichte von E.M. Foster mit dem Titel „Ansell“ durch den Kopf. Auf einer Kutschfahrt durch schwieriges Gelände geht eine „grausam“ schwere Bücherkiste verloren. Sie stürzt in eine Schlucht, geht zu Bruch und die Bücher verwandeln sich in schwirrende Vögel – in Natur. Der entlastete Wagen entrann mit knapper Not demselben Schicksal. Die zwei Freunde auf dem Kutschbock kamen mit einem Schrecken davon.

Zen

Schon während der Mittagszeit kündigten sich gestern die Gewitter an, die sich dann am Abend entluden.

Und schon um 13 Uhr gingen wir ins Kino, um einen Dokumentarfilm über eine Schweizerin zu sehen, die ein halbes Jahr in einem Zenkloster in Japan verbrachte. Der Meister, der das Kloster leitet, ist ein Deutscher und die Menschen, die dort meditieren kommen aus aller Welt. Die Frau, die mit der Kamera begleitet wurde, erkannte ich ziemlich schnell als Tänzerin. Die Art, wie sie sprach und natürlich auch, wie sie sich bewegte, ließ diese Vermutung zu.

Die Protagonistin hat in meiner Vorstellung mit dem Tanzen aufgehört. Das ist ein tiefer Einschnitt. Nicht mehr auf der Bühne zu stehen und nicht mehr mit einem Ensemble Choreografien zu erarbeiten, bedeutet sicher bei jeder Tänzerin und bei jedem Tänzer einen großen Verlust. Dann liegt es nahe, nach innen zu schauen, um Entscheidungen zu treffen, wie man mit der Fehlstelle umgeht.

Es ist nicht verwunderlich, wenn man über einen solchen Inhalt einen ruhigen Film macht. Aber die Atmosphäre traf mich nicht nur an der Oberfläche. Meine tägliche Arbeit hat Anklänge, die der Meditation ähneln, die einer Versenkung in das Innere des Zeichnens folgen. Manchmal gehen die Gedanken dabei verloren und die Zeit dehnt sich, wenn ich die Scherben der Zersplitterungen der Rasterportraits wieder und wieder auf Transparentpapier durchzeichne.

Struwelpeter

Drei Buchmalereien und die tägliche Collage sind alles, was ich gestern an Bildern produziert habe. Ich leistete mir einen ruhigen Nachmittag im Atelier, ordnete Zeichnungen, versah sie mit Titel, Datum und Signatur. Im Korbsessel in der Nische zwischen meinen Regalen, mit einem Dach über dem Kopf, ist mir der Miniaturdschungel meines Gärtchens ganz nah vor den Augen. Er wird zunehmend von Kleingetier und Insekten bewohnt. Für mich ist dies ein wichtiger Teil meines Rückzugsortes.

Im Schauspiel sahen wir die Premiere einer Dramatisierung des Struwelpeterstoffes für erwachsene Zuschauer. Einiges, was derzeit an bühnentauglichen Techniken ausprobiert wird, mischte sich da. Der kurzweilige Abend warf einige Fragen auf, denen wir uns noch auf dem Heimweg über die Münchener Straße widmeten. Psychosoziale Aufklärung, Klamauk und das so genannte Theater der Experten des Alltags collagierten die verschiedenen Szenen zueinander. Zunehmend fallen mir bissige Bemerkungen gegen die Politik von Erdoan auf der Bühne auf, sobald die Schauspieler etwas improvisatorischen Freiraum haben. Das scheint im Ensemble ein Thema zu sein.

Als wir weiterliefen in Richtung Bahnhof, begegneten wir dem unverschämten Blick eines bekannten Schauspielers. Mit einem braunen Lederkoffer, wie aus den Dreißigerjahren und in einem langen schwarzen Mantel schlug er eine Diagonale über die vier Straßenbahnschienen. Er schien sich seiner eleganten Erscheinung bewusst zu sein und choreographierte sich zwischen den parkenden Autos und den Menschen hindurch.

Scherbenschwarm

Noch im Beisein meiner Kunstschüler zeichnete ich weiter am Totenbuch III. Den Fehler, direkt auf das Blatt mit den Gravitationsschwüngen, mit denen ich die Rasterportraits zersplittere, mit Tusche zu zeichnen, nutze ich nun dazu, daraus ein ganz anderes Blatt zu machen.

Aus Geschichten, die die Teilnehmer am Biografieprojekt nach und nach erzählen, verändert sich der Charakter der Arbeit. Joanas Wachsdreiecke bekommen eine andere Bedeutung, wie auch die Umarmungsbilder von Natalie. Jemand entwickelt eine Geschichte aus Zeichnungen und Notizen. Ich greife selten ein. Versuche nur behutsam zu lenken.

Ich folgte gestern der Einladung zu einer Führung im Architekturmuseum. Der Kurator der Ausstellung „Die Zukunft von gestern“ gab tiefere Einblicke in die Entstehung verschiedener Entwürfe und Gebäude. Ich bemerke nun die Veränderungen der Ausrichtung meiner Arbeit durch diese Einflüsse.

Gestern wurde ich danach gefragt, was ich nun mit der 3×4 Meter großen, aufgespannten Nesselfläche machen will. Meine Antwort kam schnell und recht ausführlich. Das Väter – Erinnerungskarussell nimmt Fahrt auf. Die Fliehkräfte lassen die Scherben davonfliegen und sie formieren sich neu in einem Schwarm.

Materialität | Maniera

Die Zeichnungen von Gestern: 3 minimalistische Buchmalereien, ein Totenbuchblatt fertig und ein weiteres Totenbuchblatt begonnen. Bei der letzten Zeichnung unterlief mir ein Fehler. Ich zeichnete die linke untere Gesichtshälfte des Doppelportraits direkt auf den Bogen mit den Gravitationsschwüngen, anstatt ein weiteres Transparentpapier aufzulegen und darauf zu zeichnen. Nun will ich sehen, was sich aus diesem Fehler ergibt…

Auf einem Reststück Nessel, das ich von der Bespannung des Großen Formates abgeschnitten hatte, probierte ich die erste Technik, mit der ich die kleineren transparenten Blätter zeichne, die Frottage. Einen Muschelring legte ich unter den Stoff und rieb mit einem Graphitstift darüber, so dass sich die Muschel bewegte. Die Spur der abgebildeten Unebenheiten war ähnlich präzise und nah am Material, wie bei den kleineren Zeichnungen. Diese Direktheit des haptischen Eindrucks schafft eine andere Nähe, als es die Malerei auf grundierter Leinwand schaffen kann.

Die Materialität, die ich gestern in der Ausstellung „Maniera“ im Städelmuseum sah, hat nichts von dieser Unmittelbarkeit. Durch die Genauigkeit, mit der ein Seidenstoff gemalt ist, rückt er weiter von mir weg. Das Handwerk des Malers tritt hervor und bestimmt mein Schauen und Nachdenken. Andere Faktoren, wie die Architektur und das Farbprogramm der Wände, lenkten mich eher von den Bildern ab. Ich hatte zutun diese Präsenz zusammen mit den Bildern zu verarbeiten.

Der Maler Jacopo Pontomoro hinterließ ein Tagebuch, aus dem ein paar Seiten präsentiert wurden. Diese Verwandtschaft zu meiner täglichen Arbeit berührte mich am meisten.

Nessel roh

02.06. 2016

Eine zweite Scherbenzeichnung eines Doppelportraits ist zum Totenbuch III entstanden. Von denen wird es in der nächsten Zeit noch mehr geben. Ich habe die Idee, bei den anderen Doppelportraitausschnitten immer denselben Teil der Gravitationszeichnung für diesen Arbeitsvorgang zu benutzen. Die Parallelität der Gravitationsschwünge schafft dann, in der Überlagerung mit verschiedenen Rasterpunktkonstellationen, eine sichtbare Kontinuität. Manche der Scherben werden ähnlich oder identisch sein. Die stark verschlüsselten Arbeitsergebnisse werden so entzifferbarer, der Arbeitsvorgang wird transparenter.

Mit Blick auf die neue Nesselfläche, die ich gestern aufgespannt habe, denke ich an die Übersetzung meiner Arbeitstechniken, die auf den kleinen Transparentpapieren entstehen. Ich möchte sie auf das Großformat übertragen. Beim Abnageln und Zusammenrollen des großen Bildes sind Beschädigungen entstanden. Auch diese Tatsache lässt mich über die Arbeit auf ungrundiertem Stoff nachdenken. Außerdem möchte ich mit diesem Schritt eine Direktheit finden, durch die eine andere Materialität entsteht. Ich denke an Frottagen mit Graphit oder Ölkreide. Ich denke an Ausblühungen von Schelllack, Öl oder Tusche. So entstehen eher zeichnerische Collagen auf dem ungrundierten Nessel.

In der Nacht dachte ich daran, die Scherben der Doppelportraits auf Sperrholz zu übertragen, um sie dann auszuschneiden. Diese Holztafeln werden zu Holzschnitten verarbeitet oder zu Materialcollagen aus Pflanzenteilen und Fundstücken aus den Gegenden, in denen ich gearbeitet habe. Die können dann wieder mit verschiedenen Techniken auf dem Nessel abgebildet werden. Alles eher leicht und transparent.

Plastination

Ein Reisender bin ich und meine Geschichte kreist um mich“, meint der englische Romantiker Wordsworth und bezieht sich dabei auf das Projekt Autobiografie als Erschaffung seiner selbst durch Erinnerungsarbeit. Das zitiert Aleida Assmann in ihren „Erinnerungsräumen“ von 1998.

Ein Treffen mit meinem langjährigen Freund gestern, galt neben der Pflege unserer Freundschaft, auch der Wiederholung und Erneuerung der zusammen erlebten Geschichten. Sie präzisieren sich manchmal in der Rückschau, verändern sich aber auch.

Meine Haltungen und Einschätzungen gegenüber Geschehnissen variieren. Keine Aussage, die ich treffe steht sicher für nur eine Woche da oder gar für die Ewigkeit. Immer skeptischer stehe ich gegenüber fest gefügten Überzeugungen und Beurteilungen von Ereignissen. Wird ihnen ein Sinn zugeschrieben, der für die Gegenwart einige Relevanz zu haben scheint, wird das Geschehene plastiniert. In die Oberfläche des Acrylblocks kann dann die Sinnzuschreibung graviert werden, sodass sie untrennbar mit dem sinnstiftenden Artefakt verbunden ist. Nichts ist aber ewig, und ich kann mich oft nicht für eine einzige Wahrheit entscheiden. Das widerspräche meiner Erfahrung, und steht allerdings dem Bedürfnis nach Kontinuität und der darin ruhenden Sicherheit entgegen.

Heute will ich das linke obere Viertel des vorgestrigen Doppelportraits in Scherben zerlegen.

Gefährliches Gesicht

Zum Totenbuch III habe ich gestern ein additives Doppelportrait aus den Rastern der Vater- und Großvatergesichter überlagert. Das Ergebnis ist ein noch fremder und für mich gefährlicher wirkendes Gesicht, das aus den verschiedenen Vergangenheiten zusammengesetzt neue Erinnerungen hervorruft. Die beiden Portraits rahmen mit ihren Aufnahmedaten ziemlich genau die Zeit der Verheerung des zweiten Weltkrieges ein. Ich erinnere mich an die Propagandafilme der verschiedenen Kriegsparteien. Wenn es um die „Rote Armee“ ging, stand das Wort „ruhmreich“ an vorderster Front. Und das „Deutsche Heer“ führte die Ehre als Worthülse vor sich her.

Auf diesen Aspekt der Erinnerungen komme ich, weil ich gestern ein Interview eines Friedenforschers hörte. Die vergangenen Friedensjahrzehnte in Mitteleuropa bezeichnete er als Ausnahmesituation und als „Luxus“. Nun sei ein erneuter Krieg zwischen Russland und der westlichen Welt wahrscheinlicher geworden. Er würde an Herausforderungen alles in den Schatten stellen, was wir bisher erlebt hätten. Das ist glaubhaft.

Der Aufbau der neuen Mythen ist in vollem Gange. Nationalismus blüht im Osten und schafft ihre neuen Banner, hinter denen man sich todesmutig versammeln kann. Das Eurozeichen, in der Frankfurter City, stelle ich mir als Angriffsziel, zu stürzenden Denkmal und gleichzeitig als aufgestecktes Banner an den neuen Frontlinien vor.

Dies alles wird also eingerahmt von den Väterportraits. Die Buchmalereien halten mich bei so viel Konkretion im Gleichgewicht.

Eisenquader

Während ich den Füller schreibbreit in der rechten Hand halte, wird die Lüftung der Küche angeschaltet, die zum Nachbarrestaurant gehört. Das Geräusch verliert sich dann tagsüber und wird erst wieder nachmittags, etwa um 4 Uhr, durch seine Abwesenheit bemerkbar, wenn es abgeschaltet wurde.

Über Mittag war ich gestern im Atelier. Manchmal muss ich die große schwarze Katze verscheuchen, die auf meine Eidechsen lauert. Überall sehe ich Gefahren, die ihnen auch von Amseln, Staren oder Falken drohen.

Am Nachmittag machten wir einen Ausflug in die wellige Landschaft um den Glauberg nordöstlich der Stadt. Aus seiner Flanke ragt waagerecht eine klare, konsequente Architektur in Form eines schwebenden Eisenquaders, der in hartem Kontrast zur weichen harmonischen Landschaft steht und sie deswegen umso mehr zur Geltung kommen lässt. In ihrer Klarheit und im Zusammenspiel mit der Umgebung, ist dies eine Form, der ich ihre Schönheit nicht absprechen kann. Aus dem Restaurant unter der lastenden Decke öffnet sich der Blick auf ein Superpanorama mit wenig Himmel und einem breiten Streifen welliger Hügel. Im Inneren wird die Sammlung von hochwertigen Funden aus der Keltenzeit präsentiert. Immer wieder begegnen uns Tierkörper als Schmuck auf Kultgegenständen, deren Köpfe um 180° nach hinten gewandt sind, als schauten sie auf die Zeitschleifen in denen die Erinnerungen ruhen, die die Gegenwart in ihrer steten rituellen Wiederholung noch prägten. Gräben, die möglicherweise als Prozessionswege dienten, kommen aus der Landschaft und umkreisen einen hohen Grabhügel. Die imposante Anlage ist rekonstruiert und lässt uns sie ähnlich erblicken, wie sie vor 2500 Jahren ausgesehen haben mag.

Musikbebilderung

Gestern sahen wir in der Oper den „Messiah“ von Händel in einer szenischen Interpretation eines australischen Regisseurs. Das Ganze kam mir vor wie eine überdimensionierte Weihnachtskrippe mit aktuellem Flüchtlingsbezug. Kitschige Videos verstärkten diesen eindimensionalen Eindruck der Bebilderung. Der Kontrast der feinen musikalischen Darbietung zum matten illustrativen Bühnengeschehen, war eher schmerzhaft. Die kleine Barockorchesterbesetzung musizierte, soweit ich das beurteilen kann, hervorragend, wie auch die Sängerinnen und Sänger mir „farbvollendet“ vorkamen. Aber das Bühnengeschehen hatte etwas von den enttäuschenden Musikvideos zu den Songs von Bob Dylan, die auch völlig flach die Dimensionen auf nur eine Ebene des Textes reduzieren und alle anderen Querverweise übertünchen. Dann doch lieber ein Oratorium in der Eberbacher Basilika, dessen Bilder dann im Kopf entstehen.

Die Buchmalereien von gestern wagten sich langsam in etwas neuere freiere Gefilde. Manchmal verschwindet die gewischte Farbigkeit zugunsten von Abdrücken, Wassersprengseln, Gravitationsschwüngen und ihren Kreuzungspunkten. Und immer öfter bilden alle drei Bilder einen Zusammenhang. Elemente wandern von einem zum anderen Format, werden noch feucht von dem Handballen aufgenommen und durch sanftes Hineindrücken in die andere Komposition, weitergegeben. Vielleicht ist dieser Dreiklang eine Struktur, die noch konsequenter herausgearbeitet werden sollte.

Eidechsenschlaf

In den weichen Schwemmsandboden auf einem großen brachliegenden Grundstück, das vor kurzem auf Blindgänger aus dem 2. Weltkrieg untersucht worden ist, werden nun tiefe Pylone gerammt. Schlagendes und rüttelndes Metall vervielfältigt seinen Klang an den Echowänden der nackten Neubauten rundherum. Unsere Steinzeitschicht wächst und wird immer schwerer zu entsorgen.

Hoch türmen sich Wolken über der feuchtwarmen Luft. Die Spannung zwischen der gleichmäßig temperierten Unterwelt der Schwermetalle und dem schnell finster auffliegenden Himmel wird stärker. In unsere gestrige Grillparty, zu der wir eingeladen waren troff und entlud sich auch ein Unwetter, das sich tagsüber aufgebaut hatte. Ich saß im Wintergarten und freute mich über das Trommeln des Regens. Es erinnerte mich an mein Atelier, das ich selbst gebaut hatte. Auch dort genoss ich die Sommergüsse, die vom selbst eingeglasten Dach abgehalten wurden. Auf der Terrasse gestern stand eine Marmorskulptur, die ich vor vielleicht zehn Jahren ohne jede Maschine hergestellt hatte. Nun begrüße ich sie, wenn ich sie sehe, indem ich über ihre etwas poröse, leicht geschwungene, nach oben zeigende, körperlich atmende Fläche streiche. Sie hat schon etwas Patina angesetzt, was dem großen Carraramarmorblock gut tut.

Nachdem ich gestern eingekauft, gekocht und meine Schüler in ihre Geschichten, und Techniken begleitet hatte, mit denen sie erzählen, fiel ich mit den Eidechsen in einen kurzen, tiefen Schlaf.

„Macbain“

Mit dem katholischen Feiertag Fronleichnam habe ich wenig zutun. Die Holländer, deren Gastspiel wir gestern im Staatsschauspiel Wiesbaden sahen, berichteten ganz erschrocken und begeistert von der Prozession und davon, wie sich die Leute auf die Straße knieten, Fahnen schwenkten, sangen und beteten. Am Nachmittag vor der Spielbank ein Oldtimercorso.

Dennoch, auch wenn das ganze Primborium nichts mit mir zutun hat, läuft der Tag gemächlicher ab. Tagebucharbeit erst mittags und am Nachmittag schon nach Wiesbaden, um uns mit den Theaterleuten zu treffen. Das Stück speiste sich aus zwei Quellen, dem Leben von Kurt Corbain und Macbeth. Folgerichtig heißt es „Macbain“.

Ein Gespräch über alte Familienfotos, die verschwiegene Geschichten aufdecken und die Kombination von Rock`n`Roll Sprache und Shakespeare im Stück (auch häufig bei Bob Dylan zu beobachten), gab mit weiter Anschub für mein Totenbuch III innerhalb der Biografiearbeit.

Heute Kunstschule. Mit Paulo möchte ich Bildentsprechungen für Zeitreise finden. Joanas Dreiecksform habe ich noch mal neu bauen müssen, weil uns beim Zusammenleimen ein Fehler unterlaufen war. Sie wird sie nun mit Wachs ausfüllen.

In Scherben

Gleich mehrmals bin ich gestern in ganz verschiedenen Zusammenhängen mit der Odyssee konfrontiert worden.

Zunächst sahen wir am Abend in den Kammerspielen ein Stück des Frankfurter Autors und Theatermannes Sascha Hergesheimer. Das Stück hieß: „Die europäische Wildnis, eine Odyssee“. In einem neuen Buch von Detering über das Spätwerk Bob Dylans las ich eine Besprechung des Songs „Roll On John“ vom Album „Tempest“. Beide Texte beziehen sich auf die trickreichen Möglichkeiten, die Höhle zu verlassen, in der man gefangen ist, um heimzukehren. Nur, wie kommt man nach Hause, und wo ist das?

Diese Fragen stellen sich überall anders, auf der Schauspielbühne, auf denen der „Neverending Tour“ oder in der Nacht, wenn wir von der Straßenbahnhaltestelle in die Schwalbacher Straße einbiegen.

Premierenfeiern in der Kantine sind immer eine feine Sache. Alt gediente Theaterleute der Frankfurter Szene sprachen erstaunlich offen von ihren Erfahrungen mit unseren anatolischen Freunden.

Das dritte Totenbuch ist gestern bereits in seine Scherben (oben) aufgegangen. Die spannenden Arbeitsschritte halten mich in Atem. Das leere große Format… (!).

Interferenzen

Am Morgen stand über Teves West eine in sich kreisende Wolke von Mauerseglern aus vielleicht hundert Vögeln. Ansonsten machen sie sich in diesem Jahr rar.

In der Erwartung von Gästen räumte ich gestern etwas auf. Aber in der Unaufgeräumtheit bilden sich die Wege ab, die ich gegangen bin, um zu meinen Arbeitsergebnissen zu kommen. Diese Anhäufung von Gegenständen, Materialien, Werkzeugen und verstreuten Zeichnungen benötige ich einerseits für meine Erfindungen, andererseits sind Aufräumaktionen befreiend. Jetzt sind die Pappmacheklumpen, Transparentpapierabschnitte mit Schelllack-, Graphit und Tuschespuren, Holzzerfaserungen und Bruchsteinchen geordnet – welche Ordnung das auch immer ist…

In der Konstruktion und Dekonstruktion von Erinnerungsbildern vermischen sich manche oder heben sich durch Interferenzen auf. Ich stelle mir Toniüberlagerungen vor, die sich gegenseitig auslöschen oder zumindest fragmentieren.

Mittags spielte ich elektrische Gitarre und zog genüsslich alle Register des Effektgerätes. Ich spürte, wie mein Körper den Rhythmen folgt und das Spiel davon wieder getrieben wird. Ganz anders am Abend mit der akustischen Gitarre. Da interessiert mich die Schwingung einer jeden einzelnen Saite. Die Töne vereinzeln sich, klingen aus, bevor sich ein neuer hinzugesellt.

In der kommenden Woche treffe ich mich mit meinem alten Schulfreund Andreas. Wir kennen uns seit vierundfünfzig Jahren. Nun befindet er sich im Ruhestand.

Konstruktion von Erinnerung

Manchmal fallen die Buchmalereien in letzter Zeit etwas minimalistischer aus als sonst. Zeitig, nach vielleicht erst zwei Gesten aus dem Handgelenk aufzuhören, das gefällt mir zunehmend.

Durch die Überlagerungen und anschließenden Fragmentierungen der Rasterportraits stellt sich der Neubeginn einer persönlichen Konstruktion von Erinnerung ein. Gestern zeichnete ich erneut Felder der sich überlagernden Rasterpunkte auf ein weiteres Transparentpapier durch. Das Ergebnis enttäuschte mich zunächst. Das Unheimliche, das sich in der Kombination der Portraits von meinem Vater und mir einstellte, oder eine ähnlich starke Wirkung kam nicht zustande. Aber heute, als am Morgen mein erster Blick auf das neue Blatt fiel, entstand ein geradezu teuflisches Gesicht, mit dem Lächeln einer dritten konstruierten Person, die vorher nicht da war.

Diese Verzögerung meiner Wahrnehmung schreibe ich dem gestern folgenden Arbeitsgang zu. Ich nahm in einer körperlich anstrengenden und komplizierten Aktion das große Bild vom Rahmen. Währenddessen dachte ich auch an die zehn Jahre seiner Entstehung und die verschiedenen Arbeitsphasen, die sich immer noch abbilden. Nun liegt es zusammengerollt in einem Regal. Die neue Leinwand ist bereits provisorisch aufgespannt. Ich möchte mich aber nicht beeilen, gleich mit dem nächsten Vorhaben darauf loszulegen, sondern will die leere Fläche erstmal behalten.

Die Kunstschüler haben die neuen Umarmungsphotos geschickt, die die Grundlage für einen Zweig unserer Weiterarbeit bilden.

Gegenwartspunkt | Traum

Das Ich als Gegenwartspunkt kann sich erinnernd und planend in die Vergangenheit und Zukunft ausdehnen. Und wenn dieser Punkt nicht nur auf einer Linie sitzt, sonder den Mittelpunkt einer Sphäre bildet, die sich rund um ihn dehnen kann, bietet dieser Raum viele Perspektiven in verschiedenen Dimensionen. So kann ich mich mit dem ungekannten Großvater forschend verbinden und zugleich mit dem Mikrokosmos in meinen Träumen.

Traum: Eine alte indische Stadt wurde von Kranichschwärmen heimgesucht. Die Vögel flogen aber nicht in Keilform, sondern als wirbelnde Strudel. Die Dichte der Tiere war so hoch, dass sie eine kreisende Masse bildeten. Von diesen Tornados gab es viele, und sie verdunkelten den Himmel, lärmten ohrenbetäubend, so dass man sich in die Tiefe der Unterwelt wünschte. Aus diesen bedrohlichen, über die Stadt ziehenden Gebilden fielen Tonnen von grauweißem Vogelkot, der sich durch die oberirdischen Kanäle zwischen den Häusern ergoss, um dann zu erstarren. Den Höhepunkt dieses apokalyptischen Sturmes bildete die ihm folgende absolute Stille.

Ein eleganter Falke vor der grauen Sonnenscheibe im Wind lud mich zu lesen ein, was meine Erwartungen für die nächste Zeit seien.

Vor dem Westgiebel unserer maroden Baracken hängte ich die Reste eines Polstermöbels, das zusammengebrochen lange Zeit im Wetter lag. Durchscheinend zeigt sich die Vergänglichkeit des vernachlässigten Materials vor einer sinnentleerten Wandmalerei und versucht somit eine gewisse Spannung herzustellen.

Boxcamp | Kammerspiele | Kletterpflanzen

Großer Auftrieb vor meinem Gärtchen. Das Projekt ONE DAY IN LIFE“ veranstaltet heute vier Konzerte in unserem Boxcamp. Daniel Libeskind ist da und viele Musikbegeisterte folgten ihm in unsere Enklave. Ich bin ganz froh, dass wir Teil einer solchen Konzeption sind. Eine Stiftung, die die Boxer unterstützt hat sich mit eingebracht, und auch dafür gesorgt dass wir in dieser Weise erscheinen können.

Der alte Affe Angst“ heißt ein Stück, das ein junger Regisseur in unserem Kammerschauspiel inszenierte. Eine reife Leistung eines Achtundzwanzigjährigen, der seiner eigenen Handschrift folgte, ohne Modernismen zu erliegen, die allenthalben designreich über die Bühnen strömen. Wir sahen das gestern Abend.

In der Kaiserstrasse danach noch etwas Pokalendspiel mit Elfmeterschießen und Bier am Tresen. Ich finde diese Kontraste reizvoll.

Die Kletterpflanzen, die im vorigen Jahr so sehr geblüht haben, säten sich von alleine wieder aus und erklimmen nun bei dem warmen Wetter mein trocken zusammengestelltes Gesträuch. Dazwischen sind die neu zugewanderten Eidechsen auf der Jagd.

„ONE DAY IN LIFE“

ONE DAY IN LIFE“ heißt ein Konzertprojekt, das Daniel Libeskind im Auftrag der Alten Oper Frankfurt für die Stadt konzipiert hat. Vor einem halben Jahr noch dachte ich, dass das etwas für unsere Arbeit mit dem Architekturmuseum wäre, verlor es aber wieder aus den Augen. Gestern Vormittag aber wurde vor dem Boxcamp eine Konzertbestuhlung abgeladen, wo morgen Musik von Beethoven erklingen wird. Die Kunstschüler fragten mich nach der Besonderheit dieses architektonischen Raumes, dass er für ein so hochkulturell angesiedeltes Projekt ausgesucht wurde. Wir kamen dann darauf, dass die Besonderheit von Räumen manchmal nur darin besteht, was in ihnen vor sich geht. In meiner Einschätzung, dass das Boxcamp die wichtigste Institution auf Teves West ist, wurde ich nun dadurch auch noch einmal bestätigt.

Das Gespräch kam dann auf Zeitreisen und erweiterte damit unseren Biografiebegriff. Das Problem bestand darin, wenn der Sohn seinen Vater vor seiner eigenen Zeugung umbringt, er danach die Vaterrolle übernehmen muss, um sich dann selbst zu zeugen. Noah warf ein, dass die Zeit nicht linear, sondern elliptisch verläuft. Das Projekt bekommt also deutlich neue Dimensionen. Nathalie begann mit Linolschnitten und Joana baute eine Dreiecksform zum Gießen von Wachsdreiecken. Am Horizont wuchs eine Wolke aus neuen Ideen…

Auf dem Weg zu einer Schauspielpremiere im Bockenheimer Depot begegneten wir dem Libeskind – Projekt noch einmal auf einem nicht mehr genutzten Gleis der U4 im Hauptbahnhof. Auf einer Draisine fuhr die Flötistin Claudia Warth hin und her, die dabei Barockstücke spielte.

Zwei Gesichter

Das Großvaterportrait reduzierte ich auf einen Ausschnitt zwischen Stirn und Kinn und stellte die Rastergröße so ein, dass sie mit der des Vaterportraits übereinstimmt. Dann zeichnete ich beide als Umrisszeichnungen übereinander, was die Voraussetzung für den nächsten Schritt ist. In ihm werde ich auf einem neuen Transparentpapierformat nur die sich überlagernden Flächen zeichnen und ausfüllen. So ergibt sich das nächste Portraitfragment. Auf diesen Arbeitsschritt bin ich sehr gespannt, muss ihn aber noch etwas verschieben, denn heute ist Kunstschultag, Reifenwechsel in der Autowerkstatt, Einkauf, Kochen, und am Abend gibt es eine Premiere im Bockenheimer Depot.

Oben probierte ich schon in der täglichen Collage die Wirkungen der zwei Gesichter übereinander aus. Weil aber auch noch die Wienwanderung darunter liegt, ist auch ein Teil von mir mit dabei. Die vielen Möglichkeiten, die Portraits zu vermischen und zu fragmentieren, werden die nächste Zeit bestimmen.

Manchmal denke ich, dass es Zeit wäre, den Handprint Berlin zu machen.

Das Große Format habe ich gestern so herumgedreht, dass nun die Rückseite in den Raum zeigt. So lassen sich die Tackerklammern, die ich vor zehn Jahren durch den Stoff ins Holz geschossen habe, besser abnageln. Das ist eine insgesamt sehr befriedigende Arbeit.

Eigentlich hatte ich diesen Schritt draußen auf der Freifläche unternehmen wollen. Aber die unsichere Wetterlage, und das aufwendige Freiräumen des Transportweges durch das Rolltor und den Garten, ließen mich die Arbeit im Innenraum beginnen.

Selbstportraits | Wanderungen

Weitere Zeichnungen mit dem Rasterportrait des Großvaters sind entstanden. Weil die ihm zugrunde liegende Fotografie in Grinzing bei Wien entstanden ist, stellte ich mir vor, wie damals in den Dreißigerjahren, die Brüder mit ihrem Holzmodell des Breslauer Domes auf einem Handwagen in den Gassen unterwegs waren. Ich nahm mir meine Aufzeichnungen aller Wege, die ich in Wien gegangen bin vor, meinen „Handprint Wien“ also, und zeichnete alle Linien auf ein Transparentpapierblatt durch. Darüber legte ich das Portraitraster von Oskar Pfitzner, dem Schreiner und Vater meines Vaters. Meine Erinnerungen an meine GPS – Gänge verbanden sich nun mit der Imagination der Wanderungen meines Großvaters.

In mir lösen diese Zusammenfügungen ein eigenartiges Gefühl von Übereinstimmung aus. Ich stehe von Zeichentisch auf, gehe in den Garten und die ganze Familiengeschichte, soweit sie mir bekannt ist, kommt ins Rollen. Diese Turbulenzen und Tragödien wurden eher verschwiegen. Es gibt noch eine alte Zeitzeugin, die ich in Berlin besuchen könnte, eine Großtante. Wenn ich aber mit ihr rede, werden ihre Versionen der Geschichten dominant sein.

In der Schirn sahen wir die Selbstportraitausstellung, die mehr mit meiner derzeitigen Arbeit zutun hatte, als ich ahnte. Das kam mir dann so nahe, dass mir ganz mulmig wurde. Erst als wir danach noch ein Glas Wein getrunken hatten, blätterten sich die ganzen Zusammenhänge auf. Vor ein paar Tagen schrieb ich: „Das fluide System der eigenen Veränderungen lässt sich in Selbstportraits ergründen. Das können auch die täglichen Buchmalereien sein, oder die unterschiedlichen Blicke auf die Vergangenheit.“ Nun sah ich die Bestätigung in der Schirn Kunsthalle.

Totenbuch | Großvater

Gestern zeichnete ich das gespenstische Rasterportrait von Oskar Pfitzner auf ein kleines Stück Transparentpapier. Daneben setzte ich die kleine Frottage eines Super 8 Filmschnipsels, auf dem die Mutter meines Vaters in Serie abgelichtet ist. Eine Trennungsgeschichte, denn der Vater meines Vaters reiste fort, vielleicht zunächst zurück zu seiner eigentlichen Ehefrau und ward später nie mehr gesehen. Nur eine Postkarte erinnert an ihn. Auf der ist zu lesen, dass er mit seinem Bruder zusammen mit einem Modell des Breslauer Doms auf einem Handwagen durch Europa wandern will. Dann hatten sie das Ziel Amerika ins Auge gefasst.

Auf einer weiteren Zeichnung kombinierte ich die Frottage einer Perlonschnurschleife mit dem Doppelportraitfragment von mir und meinem Vater. Das war nun der vorsichtige Einstieg in die weitere Arbeit an den Totenbüchern.

Direkt vor mir an der blauen Mittelsäule des Ateliers hängen Ketten aus Steinen, Muscheln und Seetierschalen, die ich an den Stränden der verschiedenen Meere gesammelt und aufgefädelt habe. Dafür benutzte ich immer die Perlonschnüre, die ich an Ort und Stelle finden konnte. Und weil die meistens etwas morsch vom Meerwasser, Licht und Wetter sind, kommt es hier ab und zu dazu, dass die Schnüre reißen. Meistens passiert das bei Ketten mit vielen Steinen, die besonders schwer sind. Dann zerbersten die Schalen zwischen dem herabstürzenden Gestein, und der malende Vorgang der Wellen wird nun anders fortgesetzt. Weil jeder aufgelesene Gegenstand einzigartig ist, gelingt es mir manchmal, mich an die Fund- und Fädelsituationen zu erinnern.

Selbstportraits | Totenbücher

Nach drei Atelierstunden gestern, kurzer Spaziergang am Main. Ein ruhiger Tag, der heute eine intensive Wirkung auf mich ausübt.

Lammcurry am Abend.

Erinnerungsfiguren verflüssigen sich. Sie schienen starr in Beton gegossen zu sein. Die Erinnerung an die Starre flexibilisiert die Gegenwart. Ist das feste Material verflüssigt, das Feste also abwesend, tritt an seine Stelle die Erinnerung daran. Das fluide System der eigenen Veränderungen lässt sich in Selbstportraits ergründen. Das können auch die täglichen Buchmalereien sein, oder die unterschiedlichen Blicke auf die Vergangenheit. Wie sieht die Zukunft meiner Tagebücher aus? Auf dem gebundenen Papier, befinden sich außer den täglichen Malereien auch persönliche Aufzeichnungen…

Die Zeichnungen auf dem Tisch rufen mich. Nun soll das Portrait von dem Schreiner Pfitzner aus Breslau dazukommen. Er ist der Vater meines Vaters. Sicherlich beschäftige ich mich heute mit diesen Vätertotenbüchern.

Ich möchte mir für das Atelier einen Gaskocher besorgen, damit das Zubereiten der Mahlzeiten für die Schüler mehr Spaß macht und mit den elektrischen Kochplatten nicht mehr so viel Strom vergeudet wird.

Vergessene Figuren

Zehn Meter Leinwand werden morgen an mich abgeschickt. Mit einer Breite von 3.20 m kann ich den großen Rahmen nun gut zweimal bespannen.

Vor mir auf dem Tisch liegen die Zeichnungen vom Januar bis März, mit denen ich die Totenbücher entwickelt habe. Vieles von dem Entwicklungsmaterial befindet sich auch auf Rolle 6. Ich bin nun auf den Anschluss gespannt. Mit der Lust auf die Fortführung der Arbeit erinnere ich mich an ein Gespräch mit C. Wolf, die davon sprach wie viel Freude ihr die Entwicklung von Figurencharakteren macht. Mir scheint, dass ich mit den Totenbüchern das Gegenteil mache. Ich reduziere Figurenportraits bis zur Unkenntlichkeit und lasse sie dann verschwinden, oder in einer neuen Form als Schriftinkarnation wieder ganz anders erscheinen.

Über Abwesenheit las ich kürzlich in einem Interview mit Hürlimann, in den Texten von A. Assmann und in denen über die Tanzformen von Bill Forsythe. Alle reflektieren Erinnerungsräume auf ihre Art.

In den letzten drei Malereien des Buches, dass ich vorgestern abgeschlossen, d.h. voll geschrieben und –gemalt habe, traten die drei Figuren auf, von denen ich gestern schon berichtet hatte. Sieben Jahre habe ich menschliche Figuren aus dem täglichen Arbeitstagebuch verbannt und bin zu vollständig abstrakten Buchmalereien übergegangen. Wie kommt es zu dieser erneuten Begegnung? Wie ist es mit der Präsenz der ausgelöschten und vergessenen Figuren bestellt?

Licht- und Wassersäulen

Auf der Rückfahrt von meinen Eltern stand weiße Gischt im Gegenlicht zwischen den schnell wechselnden Lichtkaskaden und finsteren Wassersäulen auf dem Autobahnasphalt. Dahinter unwirklich indigolasiertes Himmlelsblau mit der Polarluft, die vorgestern noch Gewitterwolken aufströmen ließ. Mein Garten, die Wiese, der Beton und die Gullys tranken, das Auto wurde gewaschen.

Auf den jeweiligen Enden der Welt, an denen unsere Eltern wohnen steigen silberne Flammen aus den Bergen.

Mein Rückzugsort wird von rauschenden Heizkörpern gewärmt. Ich sitze mit leerem Kopf an einem weißen Tisch, habe im Auto laute Musik gehört und mitgesungen. Jetzt schaue ich auf die gestrigen Zeichnungen, die drei ähnliche menschliche Figuren beherbergen, die per Handballenabdruck entstanden sind. Nichts fällt mir dazu ein.

Die Jugendlichen, die sich die Industriebrache auf Teves Ost teilweise als derzeitiges Revier unter die Nägel gerissen hat, standen gerade versammelt vor den verkohlten Resten des Wohnwagens. Ich hielt mit dem Auto an und versuchte in so viele Augen, wie möglich zu schauen. Sie haben sich verdrückt, großmäulig und feige.

Brände

Unter der Bahnbrücke, die den Eingang zu Teves West bildet, ist ein Brandanschlag auf den Wohnwagen des Nachbarn verübt worden. Nur ein paar verkohlte Reste blieben. Die Brücke ist an ihren Entwässerungsleitungen beschädigt worden.

Ich spüre deutlich, wie der Druck auf uns aus verschiedenen Richtungen wieder zunimmt. Investoren schauen gierig aus ihren schwarzen Großraumlimousinen auf dieses Gelände, das in ihren Augen eine Brache ist. In den Labyrinthen von Teves Ost treiben Jugendgangs ihr Unwesen, halten sich obdachlose Flüchtlinge auf und kommen mit ihnen in Konflikt. Ein Auto, das zum Schlafen genutzt worden ist, ging in Flammen auf, ein anderes wurde vollständig demoliert. Dieser Vandalismus und die Auseinandersetzungen kommen immer näher.

Immer mal werfe ich einen Blick auf die letzten Transparentpapierzeichnungen aus den Totenbüchern. Daran will ich nun in der kommenden Woche anknüpfen.

Joana hat schon begonnen das große Bild abzunageln. An der rechten drei Meter hohen Flanke zog sie alle Klammern.

Befreit

Der große Lochziegelstein im Garten wird nun als mehrstöckiges Appartementhaus von den Eidechsen genutzt. Manchmal stecken einige von ihnen die Köpfe aus den Ritzen und verharren so stundenlang.

Befreit vom großen Malereiformat tragen mich meine Beine leichtfüßig durch die Gegend, über Treppen, Straßen, Parks und Gärten hin in einen wohligen Zustand. Während ich langsam am Arbeitstagebuch arbeite, ein wenig im Garten grabe und säe, am Nachmittag die Ausstellung im Architekturmuseum abbaue, sammelt sich Kraft für etwas Neues.

Die alten Holzschnitte fallen mir als Gegenstände für Frottagen ein, die ich auch auf Leinwand platzieren könnte. Zusätzlich stelle ich mir lange Drähte vor, die jemand von hinten gegen die Leinwand pressen müsste, damit ich von vorne mit Graphit darüber schraffieren könnte.

Im Gästebuch der Ausstellung „Passend gemacht“, war ein netter Eintrag mit einer Zeichnung über zwei Seiten von Coop Himmelb(l)au. Die Ausstellung war, wie ich finde sehr besonders. Nun ist sie schon Geschichte.

Heute Kunstschüler, Holzschnitte vielleicht. Ihre schönen Umarmungsmotive könnten so vervielfältigt werden.

Abschluss

Vier Leute aus dem Planungsamt der Stadt waren zu Besuch im Atelier. Ich zeigte ihnen meine GPS-Aufzeichnungen vom Gustavsburgplatz, weil sie gerade dabei waren über die Gestaltung dieser Fläche noch mal nachzudenken. Auch die zwei Handprints von Wien und Frankfurt druckte ich aus, um sie ihnen zu zeigen. Zeigen – darauf läuft es doch manchmal hinaus. Außerdem ging es mir aber darum, ihnen anzubieten, meine Raumunternehmungen beim Nachdenken über die Flächengestaltungen mit einzubeziehen. Außerdem sprachen wir über die Bebauung in der Nachbarschaft und darüber, wie wir unsere ruhige insulare Lage trotz der Öffnung des Geländes beibehalten können. Interessant war eine Idee, ein Kunstwerk zu schaffen, das die Aufmerksamkeit der Fußgänger in bestimmte Richtungen lenkt. Wo ich immer an Abgrenzung, Zäune und trennende Elemente dachte, kommt nun dieser buddhistisch anmutende Vorschlag von Frau K. aus dem Amt.

Über zehn Jahre Stand das 3×4 Meter große Format als stete Herausforderung da. Ich habe mir gerade die erste Malerei auf dieser Leinwand angesehen, deren Komposition von einer Tagebuchzeichnung übernommen war. Daraus entwickelte sich eine barocke, in den meisten Teilen abstrakte Arbeit. Als ich ihr überdrüssig wurde, übermalte ich sie mit drei großen, weißen Mantelfiguren die aus dem Frankfurter Kraftfeld stammten. Sie wurden dann von den verhängnisvollen bunten Kreisen übermalt, derer ich schnell überdrüssig war, weil sie einen Tiefpunkt in meiner Arbeit darstellten. Nun wendete ich mich mit der weiteren, letzten Überarbeitung, vor zwei Jahren dem Biografieprojekt zu. Daher stammten das Selbstportrait als Sechsjähriger und die Verbindung zu den Felsgravuren. Sie waren Bestandteil des Trixelplaneten seit 1998. Nun ist beschlossen, dass es nun genug sein soll. Neue Leinwand für den großen Rahmen ist schon bestellt.

Das blaue Gnu

Neue Brunnen werden für die Messung der Vergiftung der Unterwelt gebohrt. Den Arbeitern am Orkus habe ich Strom und Wasser gegeben, damit zwei ihrer Aggregate aus bleiben und nicht noch mehr Lärm und Abgase in die Oberwelt blasen. Im Inneren ihres laufenden Spezialfahrzeuges, bildet sich meine gestrige Phantasie der Funktionsräume in der Tiefe ab. Pulsierende Leitungen, Messinstrumente, Monitore, aber oben vor meinem offenen Rolltor. Der Diesel rumort und stinkt. Sie geben mir etwas Geld für meine Hilfe.

Warum mische ich mich ein und ziehe mich nicht in das geschlossene Innere meines Ateliers zurück?

Wütend schwoll Farbigkeit in das große Bild. Fast ist es schon zerstört dadurch. Die weißen Begleitlinien der Verbindungsleitungen zwischen dem blauen Gnu, der Giraffe, der Antilope und mir, sind blaugrüngelb geworden. Die Kreuzungen der Linien haben rote Punkte bekommen. Alles schreit, knallt bunt heraus, dass die zweieinhalb Jahre alten Kringel noch mehr in den Hintergrund wandern. Aber so verpufft die Farbwirkung. Ich will nun aus den verwendeten Lasurfarben eine Mischung machen, mit der ich Areale eindunkle. Am liebsten wäre mir eine geometrisch anmutende Figur dafür.

Nach dem langen Arbeitstag fand ich mich im Rebstockimbiss wieder. Dort lamentierte der Witwer der Seeräuberjenny, der zu lange untätig am Spielautomaten gestanden hatte. Er dankte uns allen für unsere Hilfe, sie sei nun aber doch am gleichen Abend in der Klinik verstorben. Trotzdem: Vielen Dank!

Lichtblaue Aura

Wenn die Güterwaggons langsam über die Gleise auf dem Bahndamm laufen, ist jedes einzelnen eigenes Geräusch vernehmbar. Ein Chor zieht vorüber mit vielem Stöhnen, Quietschen, Ächzen, Knarren, Poltern, Knirschen und Röhren. Ein beweglicher Klangraum, der je nach Standort oder ob man selber in Bewegung ist, als serielle Komposition erlebt werden kann.

Eine verwandte Zusammenstellung stellt sich aus den Einflüssen der Erinnerungen und des Täglichen ein. Das alles für die Arbeit in der Waage zu halten, bedeutet die ganze Aufmerksamkeit dafür zu bündeln. Die Lektüren, wenn man Glück hat, auch die Theaterstücke, die Ausstellungen und die alltäglichen Begegnungen, die Rauschmittel und die Landschaften, das Licht und die Temperaturen, bilden sich dann ab.

Die leere Innenfläche des Gnus sah ich innerhalb der neuen großen Komposition eher als ein Fenster in die vorherigen Schichten des Bildes. Nun aber habe ich sie vollständig weiß abgedeckt und will ein lichtes Blau darauf setzen. Es kann auch die Verbindungslinien zwischen dem Gnu, der Giraffe darunter, der Antilope darüber und meinem Portrait als Sechsjähriger daneben, als Aura umgeben. Die farbigen, zweieinhalb Jahre alten Kreise sind fast vollständig abgedeckt. Es wäre möglich, heute die Arbeit daran zu beenden.

Über meine zwei neu angekommenen Eidechsen, die den warmen Steinstapel bewohnen, habe ich die Acrylglaskuppel mit einem Abstand zum Boden gestülpt, dass sie sie immer verlassen oder betreten können – ein Luxusappartement.

Unterwelt – Raum des vorläufigen Vergessens

Das ruppige Kreisen über der Orangenuhr der ersten gestrigen Zeichnung, scheint ein direktes Echo des Theaterabends zuvor zu sein. Es entstanden gewaltvolle dunkle Schwünge von ähnlicher Art, wie auf dem großen Format im Atelier. Dort rücken sie kraftvoll Schichten der zehnjährigen Arbeit in den Raum des vorläufigen Vergessens. Diese Herstellung einer Abwesenheit ist einer der der wichtigsten Arbeitsvorgänge der letzten Jahre. Er braucht und bekommt meine ganze Aufmerksamkeit.

Ein Fahrzeug der Stadtwerke mit großen Vakuumpumpen greift in die Unterwelt des Geländes. Gleich füllt der Gestank von dort den Raum des klaren Morgens. Das Rolltor ist offen – kein Entrinnen.

Sigmar Polkes „Die Vermittlung zwischen dem Oben und dem Unten“ wird vor meinen Augen durch Leitungen unterschiedlicher Stärke ergänzt, die unter den Strömungsschlägen erzittern, die die Oberwelt in Gang halten.

Auch aus der Ferne ist das Rumoren aus dem Orkus hörbar. Metallzäune auf dem Gelände östlich des Bahndamms werden für die Zufahrt von Großfahrzeugen eingerissen, die zwischen dem Sommerfliederwildwuchs Filter austauschen sollen. Sie gehören zu einem Recyclingprogramm, das den giftigen Schlamm im Grundwasser, dessen schädliche Konzentrationen sich in siebzig Jahren des vergangenen Jahrhunderts verdichtet haben, neutralisieren soll. Die Ruinen darüber sind nur kleine Fragmente der Gebeine, in deren DNA Geschichte eingelagert ist.

Clockwork Orange

Tag der Befreiung“ – so wurde drei Jahrzehnte meines Lebens dieser Tag benannt. Ein staatlich verordneter Erinnerungsraum für den Sieg der ruhmreichen Sowjetarmee über den Hitlerfaschismus.

Jetzt im offenen Tor im Atelier, zurück von der „Susebank“ im Taunus mit dem Blick über die Wiese, durch das noch zarte Grün der Waldrandbüsche in das dunkle Unterholz des ansteigenden Hanges. Suse davor als weiße Umrissfigur der vergangenen Woche, als Fehlstelle.

Im Bockenheimer Depot sahen wir gestern eine Bühnenfassung des Romans „Clockwork Orange“ von Anthony Burgess vom Anfang der Sechzigerjahre. Christopher Rüping hat die Fassung und die sehr bemerkenswerte Regie gemacht. Das Grundthema der menschlichen Wahlmöglichkeiten dominierte das Bühnengeschehen und den Umgang mit dem Publikum. Wenn Sekt und Häppchen gereicht werden, kann jeder entscheiden ob er das im Angesicht der dargebotenen Grausamkeiten eines Gewalttäters verzehren will. Als Höhepunkt wird der geschundene und blutende Körper des Mörders durch den Zuschauersaal getragen und das Publikum wird aufgefordert, ihn zu schlagen. Jemand tut es auch, nach den Häppchen. Die streng regulierten Arbeitnehmer aus den Bürotürmen finden hier ihr Gleichgewicht. Für diesen Event bekommt das Team vom verrohten, aber auch vom anderen Teil des Publikums einen herzlichen Applaus.

Mit Wut male ich mein Großformat zu. Die bedrohlichen schwarzen Verbindungslinien zwischen meinem Portrait und den wilden Tieren der Savanne, stehen vor dem blendenden Weiß des Vergessens, das notwendig in eine Wendung der Arbeit führt, die allein auf mich zielt.

Vätertotenbuch

An der Schwelle des offenen Rolltores steht ein Arbeitstisch. Der Blick geht durch mein Gärtchen in die Flucht des Weges und ist halbverstellt von Pflanzen, die ich von den Kanaren mitgebracht habe. Sie leiden nach den dunklen Wintermonaten im Atelier, nun am Übermaß an Licht.

Ein Rabe hat neben dem Kräutergarten auf der Wiese seit einigen Tagen seine Tränke entdeckt. Von dort aus kann er noch sein Nest sehen. Wenn die Elstern einfallen, sind sie schnell von ihm verscheucht. Mein ängstlicher Blick gilt der Gefahr für meine Eidechsen.

Im Grafikkabinett des Städelmuseums sahen wir gestern eine kleine Ausstellung mit frühen Druckgrafiken von Sigmar Polke. Das Blatt „Die Vermittlung zwischen dem Oberen und dem Unteren“ zeigte mir eine Struktur, die für das nächste Großformat, das „Vätertotenbuch“ möglich wäre. Ein Zusammenspiel zwischen Zeilen von Zeichen aus Fragmentierten Rasterpunkten und Rasterfotografien in mehreren Malereischichten könnten zu einer passenden Komposition und zu dem, was mir zu zeigen vorschwebt führen kann.

Als Lesezeichen steckt ein Super 8 Filmschnipsel mit Portraits meiner Großmutter väterlicherseits zwischen den Seiten von Aleida Assmann, die mir alles über Erinnerung erklärt, was ich jetzt für meine Arbeit brauchen kann.

Wächter

Aktuelle Motive, sagt Aleida Assmann, sind Wächter über das Erinnern und Vergessen. Mit meinen Einnerungsgeflechten übermale ich auf meinem großen Bild im Atelier die Schicht einer bestimmten Zeitspanne. Ich möchte einen künstlerischen Tiefpunkt tilgen und wieder in der Mitte meiner Arbeit ankommen. Noch langte ich mit der Malerei nicht bei den Totenbüchern an, bin aber mit großen Schritten unterwegs dorthin. Bald soll eine neue Leinwand aufgespannt werden, auf der ich als erstes das Väterbild anlegen werde, das Voraussetzung für die Totenbücher ist.

Gestern bin ich außen meinem Arbeitstagebuch zu nichts gekommen. Auf dem Hauptfriedhof besuchten wir die Urne unserer Freundin Heike Knoll, stellten eine Blume daneben und dachten daran, dass sie gestern sechsundfünfzig Jahre alt geworden wäre. Wir erinnerten uns an den frierenden Trauerzug vor sieben Jahren und an ihre schnatternden Werbekollegen. Dann strichen wir mit unseren Händen über die Urne, um ihrer Asche nahe zu sein. Vor der dunklen, trockenkalten Gruft empfing uns das gleißende Mittagslicht.

Was heißt das Versprechen: Wir werden nicht vergessen?

Im Gärtchen muss ich nun manchmal Kontrollrundgänge machen. Dabei verscheuche ich die Katzen und zähle die Eidechsen durch, die übrig sind. Manche haben die Katzenangriffe nur verstümmelt überlebt. Aber ihre Sollbruchstellen an den Schwänzen haben sie gerettet.

Heute Kunstschule…

Erinnerungskonstruktionen

Oh ja, ich habe Lust auf diese kraftvolle Malerei, die auf diesem großen Format von mir erzählt. Die Schwarzen Linien stechen aus dem lasierenden Weiß heraus und drängen die Farbkreise langsam immer mehr in die Ferne. Ich gebe einer gewissen Rücksichtslosigkeit Raum, die mit den letzten Jahren aufräumt. Es herrscht Malwut.

Am Morgen, in der Sonne auf dem Balkon, las ich im zweiten Erinnerungsbuch von Aleida Assmann. Jeder Satz sprach mich auf eine Weise an, als könne er sofort in neue große Malereiformate umgemünzt werden. Dabei denke ich an die Totenbücher, die aus den Überlagerungen und Fragmentierungen der Väterportraits erstanden sind.

Was nehme ich mir aus den Zwischenräumen der Generationssprünge, das für mein gegenwärtiges Überleben notwendig ist? Der konstruierten Kollektiverinnerung in der DDR steht meine eigene Erinnerungskonstruktion gegenüber. Womit verbindet sie mich innerhalb der Umgebungen, die mir wieder andere Entwürfe zueignen wollen. Die aufsteigenden Gefühle meiner Jungpionierzeit sind von einer Machtlosigkeit dominiert. Einengung, Drill, Angst, Gehorsam und Wunschverdrängung. Vor dem Aufbegehren sollte ich in der Masse aufgehen. Das führte mich logisch in das folgenreiche Individualexperiment eines Künstlerlebens.

Mirós Großformate gestern in der Schirn ließen mich kalt. Zu oft sah ich die Reproduktionen als Fehlstellen des respektvollen Umgangs mit künstlerischer Arbeit.

Rückeroberung

Nahe vor der Leinwand stehend male ich an den Motiven, die erst aus größerer Entfernung zusammenhängend sichtbar werden. Seit vielleicht zehn Jahren arbeite ich immer mal wieder an diesem Format. Natürlich sind es am ehesten die Dinge, die mich in diesen verschiedenen Phasen interessiert haben, die ich übereinander schichtete. Nun ist es meine Biografie, die dazukommt. Die weit auseinander liegenden Orte Weißenborn – Lüderode, der Ort meiner Einschulung, von der das Portrait stammt, und Twyfelfontein in Namibia treten nebeneinander auf. In den nächsten Tagen will ich dieses Bild zu Ende bringen. Leider können die Techniken meiner Buchmalereien dort keine entscheidende Rolle spielen, weil die Leinwand 4×3 Meter misst. Das spontane Wischen mit dem Handballen, mit dem ich die Aquarelle in den Büchern derzeit in vage Landschaften verwandle, müsste zu einer neuen kleinformatigen Gestaltungsschicht umgearbeitet werden, aus der sich Motive oder Farbflächen zusammensetzen.

Mit schwarzer und weißer Acrylfarbe dränge ich die banale Farbigkeit der letzten Malschicht in den Hintergrund. So hebe ich das Rasterportrait mehr hervor und werde auch die Tierumrisse und ihre Verbindungslinien damit deutlicher machen. Dieser Vorgang hat etwas mit Gründlichkeit, Wut und Rückeroberung eines gestalterischen Terrains zutun.

Gestern jagte ich eine schwarzweiße, wilde Katze aus dem Gärtchen, die sich vor dem warmen Steinstapel gesetzt hatte und in seine Ritzen starrte. Sie will meine Eidechsenpopulation dezimieren. Dass ich das nicht erlaube, habe ich ihr hoffentlich deutlich gemacht. Die Acrylkuppel fungiert jetzt, neben der Wärmespeicherung, als Schutzraum.

Kraftfelder

Die Gartennische zwischen den Regalen, in der der Korbstuhl steht, ist auch ein Leseort. Dort saß ich gestern nach der Malerei mit dem Buch „Erinnerungsräume“ von Aleida Assmann. Der Zusammenhang, in dem meine Arbeit steht, bekommt dadurch für mich eine entscheidende Erweiterung. Ich bin nun eher in der Lage, sie zu gegenwärtigen Erinnerungskulturen und zu solchen aus der weiteren Vergangenheit, in Beziehung zu setzen. Dabei habe ich das Gefühl, mich von den gegenwärtigen Strömungen absetzen zu müssen. Dazu gehört etwas Abstand, etwas mehr Raum. Ich denke dabei wieder an Susannes Text zum Kraftfeld.

Auf dem großen Bild befinden sich nun drei schwarze Felsgravurbilder aus Twyfelfontein. Eine Giraffe, ein Gnu und eine gehörnte Antilope. Ich zeichnete sie als klare Formen auf das bunte Kreisgewurschtel als ersten Akt der Befreiung von einem künstlerischen Tiefpunkt der vergangenen Jahre. Ich bin froh, dass die Malereien aus dieser Zeit nicht mehr im Atelier lagern. Nun kann das Bild wieder die Spannung bekommen, die es zuvor eingebüßt hatte, und vielleicht sogar ein neues Kraftfeld werden.

Die Verbindungslinien zwischen den Tierumrissen und den Rasterpunkten des Portraits, sollen nun auch ins Innere des Gesichtes führen, das mich als Sechsjährigen zeigt. Das Liniengeflecht soll recht dicht werden. Um es weiter hervorzuheben will ich die Linien auch hell umranden. Die Kreuzungspunkte bekommen kleine schwarze Kreise. Das ist der Fahrplan für die nächsten Tage.

Erscheinung

Im Taunus saßen wir gestern auf einer Bank und schauten in das aufbrechende, sonnenbeschienene Grün, neben einer Lichtung und vor dunklen Stämmen verschiedener Baumgruppen. Durch einige Schichten der kleinen Blätter und Zweige unterschiedlicher Farbtemperaturen, konnten wir tief in den gestaffelten Raum des Unterholzes bis zu einem ansteigenden Hang blicken. Eine Stelle, an der man lange schauen und die Zeit aus dem Auge verlieren kann.

Mitten in dieser meditativen Vertiefung tauchte S. vor uns auf dem Weg auf, die jetzt in Rostock als Rektorin arbeitet. Wir fragten uns gegenseitig, wie es uns geht. Sie plauderte gleich schnell und viel und engangiert und freundlich drauflos, wie sonst auch. Innerhalb von zehn Minuten kannten wir uns in den dortigen Theaterquerelen aus und wissen nun, wie verfahren die Situation der Häuser ist. Man konnte ihr gegenwärtiges Glück in ihrem Gesicht und an ihrer Haltung sehen. Und dann verschwand sie genau so schnell, wie sie aus dem Nichts aufgetaucht war – wie immer.

Wir sahen wieder in die Tiefe des Raumes ohne diese Erscheinung dazwischen. Ich dachte an den Text, den sie in der bitteren Kälte des Ausstellungsraumes, angesichts meines 12 Meter langen Kraftfeldes Frankfurt schrieb. Ich will ihn nun suchen.

Unter der Acrylglaskugel organisiert sich das Eidechsenleben neu. Das soll aber nicht ihr Endzweck sein. Noch suche ich nach einer besser geeigneten Stelle.

Steinhaufen mit Glaskuppel

Während der Fahrt nach Köln gestern, sah ich die Farben der grün treibenden und gleichzeitig verblühenden Bäume. Mit dem durchscheinenden Holz wurde das im Vorbeifahren zu einem verwischten Altrosa. Heute wollen wir uns das noch mal während eines Spazierganges im Taunus langsamer und genauer anschauen.

Das Gärtchen ist etwas trocken im frischen Ostwind und wird gleich von mir gegossen. Wenige Eidechsen sitzen auf den Sonnenbrettern oder den dunklen Steinen, die zuerst warm werden.

Nun habe ich eine Halbkugel aus Plexiglas, die ich als Form für meine Sonne nutzte, mit einem Durchmesser von 90 Zentimetern und einem 15 Zentimeter großen Loch darin. Gern würde ich sie als Baldachin über eine Sitzgelegenheit montieren oder irgendeine Installation im Garten damit machen.

Gerade stellte ich sie zunächst über einen Steinhaufen, auf dem eine Eidechse saß. Das führte dazu, dass sofort eine zweite dieses Revier für sich in Anspruch nahm. Ein Revierkampf in Form einer blitzschnellen Jagd entbrannte daraufhin.

Morgen also gehe ich an das große Bild…

Explosion | Sturm

Schon kurz nach Acht im Atelier. In einer guten Stunde wollen wir das Sonnenobjekt nach Köln transportieren und es dort in eine Museumsinstallation mit der Simulation der Mondphasen einbauen.

Meine Kunstschüler bekommen viel Druck von vielen Seiten. Und wenn sie dann am Freitagnachmittag hier erscheinen und spüren, wie er nachlässt, explodieren sie auf verschiedene Weisen.

Gestern begannen sie so genannte physikalische Experimente zu machen, bei denen sie Schwebekörper über Kerzenflammen fliegen lassen wollten. Mir kam das so vor, dass sie eine Lust an Flammen entwickelten, der ich so nachgab, dass wir draußen ein richtiges Feuer entzündeten, in dem wir die Gartenabfälle, die sich im Frühjahr angesammelt hatten, verbrannten.

Am Abend sah ich im Schauspiel Shakespeares „Sturm“ in einer Inszenierung von Andreas Kriegenburg. Seine Bilder cremefarbener Geisterfiguren mit schwebenden roten Sonnenschirmen ärgerten mich manchmal. Alles war sehr ästhetisch – Spiel in einer bühnengroßen, fünf Zentimeter hohen Wasserwanne, mit schönen Spiegelungen des Lichtes auf einen cremefarbenen gebauten Baum, an den lauter Zettel mit Gedichten hingen… Das war mir doch etwas zu viel. Dennoch war es ein amüsanter, nicht ganz kurzweiliger Abend.

Kontinuierlicher Monolog | Bratkartoffeln

Nachdem ich nun viele Tage mit dem Bau des Sonnenobjektes verbracht habe, entdecke ich an diesem Morgen noch einmal die Wichtigkeit der kontinuierlichen Arbeitstagebucharbeit. Sie verschafft mir die Möglichkeit, durch die Fortführung dieses inseitigen Monologes, immer sofort in meine Welt einzutauchen. Das dient der Vervollständigung meines Werkes.

Während der Bastelei an dem Objekt, bemerkte ich die Anstrengung, die es mich kostete, nicht an meinem Biografieprojekt weiterarbeiten zu können. Ich glaube, dass es mir während meiner zwölfjährigen Theaterarbeit ähnlich erging, ohne dass es mir immer bewusst war. Auch deswegen verwandelte ich meine Aufgaben dort in ein selbstbestimmteres kreatives Schaffen, das immer mehr Einfluss auf die Gesamtergebnisse des Theaters hatte. Das stieß allerdings an seine Grenzen, die mich dann die Konsequenz ziehen ließ, mich wieder ganz auf meine eigene Arbeit zu konzentrieren. Aus meiner jetzigen Sicht war das sehr richtig.

Während eines Gespräches gestern kündigte ich nun die Fertigstellung des großen Bildes in der nächsten Woche an. Es hat sich nun genügend Druck angesammelt, das Unternehmen anzugehen. Der Untergrund kann nun nur als Negativschicht dafür dienen, was nun kommen soll. Ich freue mich auf diese Arbeit, die sich zugleich mit meiner fernen und jüngeren Geschichte beschäftigen wird.

Ein paar elektronische Nachrichten an meine Schüler sollten sie erinnern, dass ich wieder da bin. Es gibt heute Bratkartoffeln mit Pilzen. Ich freue mich auf sie.

3 Zeichnungen für die Seeräuberjenny

Am Morgen, während sich die Rolltore in der Sonne aufwärmen und die Geräusche der Ausdehnung den Zeittakt geben, steifte ich das Innere der Sonnenhalbkugel aus.

Gestern Abend war Chris da und schaute sich das Ergebnis der bisherigen Arbeit am Sonnenobjekt an. Danach gingen wir auf eine Pizza bei Pietro. Geschichten unserer Arbeit tauschten wir aus. Ich möchte mit der Verrohung der Umgangsformen in der Arbeitswelt nun nichts mehr zutun haben.

Danach habe ich mir ein Montreuxkonzert von Shade aus dem Jahr 1984 angehört. Auch heute Vormittag höre ich das mit Vergnügen.

Am Abend, während eines Fußballspieles, erzählte mit Kayo im Rebstockimbiss, dass die Frau, die ich mit der Seeräuberjenny in Verbindung brachte, am Abend vor unserer Reise nach Andalusien gestorben ist. Noch an dem Tag als ich das erste und letzte Mal mit ihr gesprochen habe, beendete sie ihr Leben im Krankenhaus. Die Gründe ihres Endes bleiben im Dunkel des Todes versteckt.

Nun gibt es drei Zeichnungen für die Seeräuberjenny, deren zweite ich oben in die Collage eingefügt habe.

Sonnenkälte

Geschwind kommt von Nordwesten Polarluft und lässt die Temperaturen wieder in Richtung Gefrierpunkt fallen. Durch die Ritzen der Rolltore dringt der kalte Wind, weil ich die Isolierungen schon lange entfernt hatte.

Gestern arbeitete ich vier Stunden an dem Sonnenobjekt für das Kölner Museum. Grundierungen und Farbschichten, wie früher im Malsaal des Heidelberger Theaters.

Nach einer Reise komme ich nun, wegen dieser ablenkenden Arbeit nicht so schnell, wie ich es mir gewünscht hätte, in die Beschäftigung mit meinem Biografieprojekt. Gern würde Ich nun schnell das große Format zu Ende malen, eine neue Leinwand aufspannen und ein neues beginnen.

Mit dem Scannen der Zeichnungen der letzten zwei Wochen habe ich auch noch nicht begonnen. alles muss warten wegen dieses profanen Objektes.

Seeräuberjenny

Auch im Lied von der Seeräuberjenny geht es um die Zerstörung einer Erinnerung. Mit dem Schleifen der Stadt und der Ermordung aller Einwohner durch die Seeräuber, die unter 8 Segeln in die Bucht kamen, wird die erlittene Schmach verwischt. Das elende Dasein hat sein Ende im blutigen Vergessen gefunden. Das ist ein Grund für Rache. Die rauchenden Trümmer im Rücken, breitet die Freiheit des Meeres ihr Schweigen über die Vergangenheit.

Dass Dieser Song einen jungen Musiker, wie Dylan, der am Anfang der Sechzigerjahre in New York angekommen ist, begeistern musste, leuchtet mir ein. Filmaufnahmen von Lotte Lenya zeigen sie bei der Interpretation dieses Songs mit sehr zurückhaltenden Gesten und wenig Bewegung als eine bedrohliche Figur des besonderen Vergessens.

Manchmal erscheinen mir die Szenen im Rebstockimbiss so, als würden sie direkt aus der 3 Groschen Oper stammen. Der deformierte blutunterlaufene Kopf einer Trinkerin, die vor 3 Wochen obdachlos geworden ist, zeigt sie dem Tod näher als dem Leben. Ihr Freund steht zockend am Spielautomaten und kümmert sich nicht um sie. Der Zorn des Wirtes und aller Gäste trifft ihn. Er redet und redet, findet Ausflüchte, um nichts tun zu müssen. Seine Freundin weigert sich, Hilfe anzunehmen. Die Situation eskaliert im engen verrauchten Raum, bis er sie anschreit: Stirb! – mehrmals. Ein Gast ruft die Sanitäter, während sich die fahlblaugraue Frau immer noch weigert, Hilfe anzunehmen: Ich komm nicht mit! Die Polizei nimmt sie dann unter sanftem Druck ins Sanitätsfahrzeug.

Viele Geschichten der Seeräuberjenny sind unterwegs.

Erinnerungslücken

Die Zerstörung von Erinnerung setzte häufig nach Umwälzungen ein. Revolutionen, wechselnde Herrscherfamilien und neue Kultureinflüsse tilgten Sprachen, zerstörten Tempel und bauten auf diesen Fundamenten andere Gotteshäuser. Sammlungen und Bibliotheken wurden verbrannt, Bräuche verboten…

Nun stellt sich aber die Frage, ob die erzwungene Abwesenheit von Erinnerungsmedien, die memorierten Fakten oder Mythen ganz verschwinden lassen kann. Ist es nicht eher so, dass zunächst die sichtbare Lücke erst recht auf das Fehlende verweist? Ersteht nicht irgendwann, wenn ein Mythos gebraucht wird, eine Begebenheit wieder im Bewusstsein einer Gruppe, die lange als verschollen galt?

Auf dem Boden des Ateliers fand ich gestern beim Gitarrespielen eine große, schwarze, tote Hummel. Ich setzte sie im Regal auf eine nabatäische Scherbe, die vor der Fotografie der Pioniergruppe liegt, mit deren Portraits ich eine Weile gearbeitet habe. Dieses Ensemble fotografierte ich dann. All das zielt auf spezielle zukünftige Erinnerung, auf mein Totenbuch.

Heute kommen die Kunstschüler schon früher. Wir haben per WhatsApp diskutiert, was wir heute kochen wollen. Ich beginne gleich, wenn ich eingekauft habe, mit einem vegetarischen Curry mit Nudeln.

Kartoffelsalat im Wald

Die Emotionen, die beim Betrachten der Super 8 Filme meines Vaters aufkommen, führen in Vorgänge der Rekonstruktion von Ereignissen, die mir gerade jetzt wichtig sind. Die Gründe für deren Bedeutung sind mir oft genug verschleiert.

Die familiären sommerlichen Waldunternehmungen ließen Hitze und Trockenheit dadurch besonders wahrnehmbar werden, dass an dem anderen Ende der Freizeitskala das Schwimmbad stand, der Ort des nie enden zu scheinenden Sommerferienvergnügens. Pilze suchen war ein Schönwetterspaß meiner Mutter, zu dem die anderen Familienmitglieder mitgenommen wurden. Waldesnähe erfuhr sie offensichtlich auch während ihrer Kindheit, denn es gibt Fotos mit geblümten selbstgenähten Sommerkleidchen. Die Inszenierung des Lebens als Vision des Paradieses überdauert Generationen. Mitgenommener Kartoffelsalat galt als lecker und wurde immer wieder festigend erwähnt.

Mit fällt ein, dass die steten Wiederholungen von Erzählungen der älteren Menschen etwas mit dem Nachdruck zutun haben, mit dem sie die wichtigen Szenen ihres Lebens im Gedächtnis herausfiltern und bei den Nachgeborenen aufgehoben wissen wollen. Dazu gehören Pilzesuchen und Kartoffelsalat im Wald.

Auch mein Waldpfadprojekt hatte etwas von Paradiesinszenierung, fernab von der Stadt. Sich nah versenkend in den Anblick eines Mooskissens, dessen Dickicht einem bizarren gemäßigten Regenwald nahe kam, rückten die städtischen Herausforderungen nur als vergleichbare Strukturen in die Wahrnehmung. Was also bleibt von diesen verschiedenen verbundenen Rückschauen?

Kraftfeld Biografie

Vorgestern arbeitete ich am Totenbuch II weiter. Die 72 Umrisszeichen erhielten zusätzliche Binnenlinien. Manchmal laufen mir Figuren aus dem Kraftfeldprojekt über den Weg, die ich mit diesen Zeichen zusammenbringen möchte. Ich welcher Weise, muss sich noch herausstellen. Vielleicht verschränken sie sich mit den Binnenzeichnungen, vielleicht stehen sie aber auch nur in derselben Reihe. Sie bilden eine Gegenkraft zum Prozess des Verschwindens der Doppelportraitsplitter. Jetzt käme mir diese Kraft gelegen. Sie ist etwa wie das Grün, das nun aus den Zweigen meiner Birke im Gärtchen hervortritt.

Die tiefe Nacht wird von einem klaren Morgen weggewischt. In seiner Sonne draußen steht eine Acrylhalbkugelschale und dampft. Ich beschichtete sie gestern von innen mit Pappmache, benutze sie als Form für ein Objekt, das ich noch vor unserer Reise zu bauen habe. Das tritt zwischen meine Biografiearbeit, unterbricht sie.

Lieber würde ich jetzt mit dem dritten Totenbuch beginnen und dabei die Kraftfeldfiguren mit ins Geschehen rücken. Es entstehen ja nun neue Figuren aus den Umrissen, die die Schüler zeichnen werden. Auch sie könnte ich mit einfügen. Somit verbindet sich die Kraftfeldarbeitsweise ganz natürlich mit der Biografiearbeit.

Die Portraitsplitter sind nummeriert. Mit ihnen könnte ich zeitorientiert weiterarbeiten. Ich meine damit, dass ich die Nummern mit Jahren oder Daten und mit den damals stattfindenden Ereignissen um mich herum verknüpfen kann.

Konstruktion von Erinnerung

Die Schleier der Vergangenheit legen sich über die Projektionen der Super 8 Filme, deren historische Qualität nach fünfzig Jahren einen besonderen Reiz ausübt. Ich habe diese Zeit erlebt und gestaltete die Form dieser Erinnerung mit. Falls sich die Filmrollen und die Projektoren für dieses Format erhalten, wird der spätere Blick auf diese Bilder, wenn alle die dort abgebildet sind, nicht mehr leben, veränderte Deutungen zur Folge haben.

Vinzenz lebte damals noch nicht. Die Hochzeit seiner Eltern fand in der Kirche in Deubach bei Eisenach statt, die ich später, mit wenig Erfahrung, zu einer Hochzeitskapelle ausmalte.

Besonders eindrucksvoll sind in der Stummfilmbilderfolge die schwingenden zwei Glocken im Glockenstuhl, gleich neben der Kirche, die mit Schnüren gezogen, kräftig geläutet wurden. In dieser Vorwendezeit erscheinen sie nun im Rückblick der Gegenwart, im Zusammenklang mit den Bildern der späteren Friedensgebete und dem anschließenden Mauerfall, als ein Hinweis auf die kommenden Ereignisse. Einen Schritt weiter kann man sie zum Geschichtskitsch umfunktionieren.

So beginnt die konstruierte Erinnerung,. Sie bezieht die späteren Ereignisse, von denen wir während unserer Dissidentenzeit und den regelmäßigen Treffen zwischen Ost- und Westkirche, noch nichts wissen konnten, schon mit ein. Aus meiner jetzigen Perspektive ging ich zu dieser Zeit, mit einem Bein im Knast, auf Messers Schneide zwischen Widerstand und staatlicher Überwachung.

Wiederholungen

Immer noch lärmen die Krähen über dem Dach. Ein Regenschauer fiel an diesen milden Morgen in mein auferstandenes Gärtchen vor den Rolltoren. Ich habe es etwas großzügiger mit mehr Platz eingerichtet. Das Umtopfen und Zurückschneiden der Pflanzen muss noch etwas warten, weil die Transporte der großen Kübel so anstrengend waren und viel Zeit brauchten.

In meinem Zimmer in der Frankenallee sahen wir gestern Abend Teile der Super 8 Filme meines Vaters. Dabei fiel uns insbesondere die Großaufnahme des Gesichtes meiner Mutter in irgendeiner Gaststätte auf. Mit großer Präsenz beherrschte dieses Gesicht die Szene. Es strahlte Missbilligung, schlechte Laune und ein Leiden an der Situation aus. Niemand am Tisch konnte sich dem entziehen.

Ungefilter tritt das Morgenlicht jetzt durch die Scheiben. Wie in jedem Jahr könnte ich nun sagen:

Die Stelle, an der sie am Morgen über den Horizont steigt, wandert nun schnell nach Links, wo Osten ist. Irgendwo hinten über der Krone des Bahndamms leuchten gelb Forsythien und weiß durchsetzt ist das graue Gestänge des Winterholzes…“

Das ist ein Zitat vom 30.03. 2015.

Wiederholungen. Wie lange werde ich das noch tun? Schaffe ich es, irgendwann damit einfach aufzuhören?

Fama

Sonntagmorgen im Atelier beginnt der Sommer. Das Zeichen dafür ist, dass alle frostempfindlichen Pflanzen draußen im Gärtchen sind. Im Atelier bildet sich so mehr Raum.

Der Tempel der Fama ist auf einem Eisblock erbaut, lese ich bei Aleida Assmann. Auf seiner Südseite sind die eingemeißelten Ruhmestaten schon abgeschmolzen und machen Platz für neue erinnerungswürdige Nachrichten. Der Ort ist einer ohrenbetäubenden Stimmengewirrs und keiner Wahrheit verpflichtet.

Hand in Hand ging ich elfjährig mit meinem Bruder ein paar abgemessene Schritte vor meinen Eltern in die todlangweiligen Sonntagsspaziergänge. Das patriarchale Familiensystem ließ keinen Protest zu. Ich hatte keine Wünsche zu haben in meinen geputzten Schuhen.

Zeichnungen vom Freitag liegen noch auf meinem Tisch, wie auch eine Dreiecksgitterkonstruktion. Noah will sich ein Objekt mit fortlaufenden ornamentalen Zeichnungen schaffen. Hierfür umriss er die Figuren einer Fotografie – eine Umarmungsszene. Für die Fertigstellung benötigt er noch eine Portion Konzentration und Zeit.

Himmelsgeschehen

Mit den Kunstschülern sprach ich gestern über das Thema unserer unterschiedlichen Erinnerungspraktiken. Wir verglichen die Verläufe der familiären Entwicklungen bei ihnen und bei mir. Und wir nahmen ins Auge, dass jeder seine eigene Erinnerungspraxis erfinden muss. Die gegenwärtigen kulturellen Herkünfte der Eltern in diesem Viertel unterscheiden sich beispielsweise grundlegend von denen meiner Generation in Thüringen oder Brandenburg. Wir bemerken, was der Satz: „Ich erinnere mich.“ Für eine Lawine in Gang setzen kann.

Wir begannen Umrisse zu zeichnen, die von Fotografien unserer Leben stammen. Irgendwann werden wir verstehen, wie wir sie für unser Projekt benutzen können.

Noah erzählt von Wanderungsgeschichten seines Großvaters, davon, dass er seinen Namen geändert hat, und so weiter.

Im Gärtchen schreibend finde ich einen Bleistift, der auf dem Boden überwintert hat. Ich nehme ihn und zeichne mit ihm. Über mir kreisen die Bussarde, die in der Nachbarschaft ein Nest haben. Die Eidechsen, die in der Sonne liegen, beobachten aufmerksam das Himmelsgeschehen. Krähen und Elstern lärmen über dem Dach und fechten einen Revierstreit aus. Saharasand macht das Licht mild. Meine Pflanzen, die ich nach dem Winterdunkel rausgestellt habe, halten diese gedämpfte Strahlung gut aus und müssen erst mal nicht geschützt werden.

Filmschnipsel

Auf dem Fußboden des Ateliers liegen Filmschnipsel, Abschnitte der Super 8 Filme mit den fünfzig Jahre alten Familienszenen. Ich hebe das alles auf, weil ich auch mit den Einzelbildern der Filme was anfangen kann.

Die Schüler, die trotz Ferien heute kommen wollen, sollen eigene Familienbilder mitbringen, die wir einscannen und weiterverarbeiten können.

Bei Aleida Assmanns Büchern über Erinnerung stoße ich ständig auf Aspekte, die wir für die Biografiearbeit gebrauchen können. Es mach Spaß, da tiefer einzudringen.

Ich hatte gestern einen konzentrierten Tag und blieb bei den Arbeiten, die ich mir am Morgen überlegt hatte. In der Folge entstanden die Zeichen für das „Totenbuch II“. Es sind einundsiebzig Scherbenumrisse, die ich auf Rolle 6 in eine Reihe gebracht habe. Durch einmaliges Übereinanderrollen und Durchzeichnen füllten sich die Innenfelder mit Linien, wie das im Negativ von 11 Zeichen in der heutigen Collage sichtbar ist. Diese Kombinationen von Linien heben die Auslöschung der Portraits meines Vaters und von mir auf, der die Totenbücher eigentlich gewidmet sind. Die Partikel der geborstenen Rasterbilder setzen sich immer neu zusammen, indem sie sich überlagern und stehen somit anders wieder auf.

Auch mit der Umsetzung der skulpturalen Ideen habe ich gestern begonnen und druckte einen Versuch aus.

Dreidimensionale Totenbücher

Auf Rolle 6 habe ich mit einer neuen Totenbuchsequenz begonnen. Auf ein Stück Transparentpapier zeichnete ich zunächst eine Wolke von Gravitationsschwüngen. Mit diesen Linien zerschnitt ich dann die Rasterpunkte der Portraitmischung von meinem Vater und mir, indem ich sie darüber legte und die Kombination dieser Schichten, die Scherben also, auf Rolle 6 übertrug. Im weiteren Verlauf der Rolle verdoppelte ich das Ergebnis, indem ich es noch mal fortlaufen ließ, und konnte so durch mehrmaliges Hin- und Herrollen und immer erneutem Durchzeichnen, die Sequenz am Nachmittag starten. Oben legte ich einen Ausschnitt davon über die gestrige Collage.

Durch den Beginn der Beschäftigung mit den Texten von Aleida Assmann, rücken neue Dimensionen der Erinnerungsaufbereitung in mein Blickfeld. Die neuen technischen Möglichkeiten erlauben andere Zugriffe auf die archivierten Daten. Somit erscheinen mir beispielsweise dreidimensionale Darstellungen der Totenbücher als eine neue Art und Weise, diese Arbeit weiter zu führen. Die einzelnen Scherben könnten gestapelte Querschnitte von Strängen sein, die Figurationen bilden, die ich ausdrucken kann.

Außerdem denke ich an die Veränderungen der Erinnerungskulturen zwischen den Generationen. Wenn ich nach den Vätern innerhalb eines einheitlichen nationalkulturellen Gebildes in einer überschaubaren geografischen Situation suche, befinden sich meine Schüler innerhalb von multikulturellen Patchwork – Familienstammbäumen mit weit verstreuten Herkünften. Wir werden nicht umhin kommen, innerhalb unseres Biografieprojektes nach neuen Techniken zu suchen, um unsere Erinnerungen sichtbar zu machen.

Amerikanischer Wald

Im Buch von Aleida Assmann begegnet mir Durs Grünbein wieder. Wir waren 1983 Gäste von Wolfgang Engel, während seiner Proben zu „Nibelungen“ von Hebbel am Staatsschauspiel Dresden. Er lud gerne Künstler anderer Gattungen ein, weil das den Probenprozess belebte.

Grünbein erzählte mir damals von seinen Schriftwechseln mit den Berühmtheiten der literarischen Welt der DDR. Briefeschreiben – eine verschwundene Art des Gedankenaustauschs.

Nebenher entstand gestern oder vorgestern eine kleine Zeichnung mit Handballenabdrücken und roten Schwüngen auf einem Bogen Druckerpapier. Außerhalb der Bücher erscheint mir das Motiv reizvoll fremd.

Der Flugplatz von Bonames wurde vor seiner Renaturierung von amerikanischen Soldaten betrieben. An deren Stiefelsohlen sind Baumsamen eingewandert, die nun einen Wald gebildet haben. Die Pionierpflanzen dort sehen denen auf meinem Schotterfeld, aus dem ich eine Wiese gemacht habe, sehr ähnlich. Zwischen den aufgebrochenen Flugfeldplatten ist ein See mit Schilf entstanden. Ich erkannte den Ruf der Kraniche im Röhricht wieder, die uns vor ein paar Tagen in akustischen Formationen überflogen.

– Schreiben für die Toten, denn sie kommen als Nachwelt zurück, meint Herder. Ich zeichne meine Totenbücher für mich.

Lesezeichen

Verbummelt habe ich den Morgen zwar nicht, bin aber etwas später als sonst dran. Von schräg links hinten dringt das Sonnenlicht durch die Scheiben und durch die Pflanzen, die ich nun rauszustellen beginne.

Die Tore knacken, wenn sie am Morgen nach der Nachtkälte warm werden. Die Stimmen der Ringeltauben sind erwacht.

Die Sukkulenten aus Teneriffa, die in kleinen Bonsaischälchen stehen, habe ich beschnitten. Aus den Wunden tritt Wolfsmilch, weiß, klebrig und giftig.

Am Nachmittag wollen wir einen Ausflug nach Bonames machen, wo ein kleiner ehemaliger Flugplatz renaturiert wurde. Man pflanzte Weiden zwischen die Betonplatten, die nun von den Wurzeln angehoben und gänzlich verworfen werden.

Gestern gingen mir weitere Totenbücher durch den Kopf, mit denen ich beginnen könnte. Außerdem liegt neuer Lesestoff auf dem Zeichentisch. Darunter: „Erinnerungsräume, Formen und Wandlungen des Kulturellen Gedächtnisses“ von Aleida Assmann und „Eine winterliche Reise an die Flüsse Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien“, in dem ich schon öfter herum las.

Immer noch knacken die Rolltore und im Vorwort von Aleida Assmann steckt bereits ein fragmentiertes Doppelportrait von meinem Vater und mir, als Lesezeichen.

Atmosphären ohne Bilder?

Eine geschwungene, etwas wellenförmige Verwischung innerhalb der gestrigen Buchmalereien, kam von dem veränderten Winkel, mit dem ich die Stellung der Hand über der Wasserfarbenmischung, zum Rand des Formates hin veränderte. Das mache ich öfter, damit am Ende der Wischbewegung ein senkrechter Abdruck des Handballens stehen bleibt. Lasse ich die Hand parallel zum Blattrand, so steht der Abdruck mit etwa -20° etwas schräg in meiner bewegten Landschaft. Aber ich möchte klare Bewegungen und eine geordnete Geschwindigkeit in all dem Schichtenwirrwarr. Dass aber bei der Wischbewegung eine Welle herauskommt, ist eher selten.

Während eines Osterspazierganges gestern ging das Gespräch um in uns aufsteigende Atmosphären, die aus Bilderinnerungen entstehen. Was geschieht aber mit der puren Existenz der Atmosphären ohne die Bilder. Bleibt sie abstrakt?

Umgekehrt erinnern wir uns in bestimmten Atmosphären an erlebte Bildsequenzen, die aus einem Dunkel erscheinen und wieder darin verschwinden. Die Szenen bekommen durch die Erinnerung und Wiederholung aus den scheinbaren Nichts heraus einen bedeutenderen Stellenwert.

Das Spiel von Glenn Gould ruft in mir die Erinnerung an meine Wiener Arbeitsklause im Oktober, November und Dezember 2007 hervor. Ich vergleiche die jetzige Situation am Zeichentisch mit der in der Freundgasse. Die Buchmalereien damals waren figürlich mit abstrakten Umgebungen. Auch die Farbigkeit ist mir nicht geheuer. Tief ins Papier gegrabene Linien durchkreuzen die Szenen. Oben habe ich das mit den gegenwärtigen Malereien gemischt.

Noch nicht geschrieben

Wie abwesend wollte ich gerade einen Text speichern, den ich noch nicht geschrieben hatte. Ein schöner Vorgang!

Jetzt am Ostersonntag Vormittagsregen über meiner Teveswiese. Der Spaziergang muss noch etwas warten, die Schlammpisten im Taunus.

Am Morgen sah ich die blauen Blümchen, deren Zwiebeln ich während irgendeiner Zeremonie gemeinsam mit Frau Brünner in den Boden gesteckt hatte. Manchmal spaziere ich über die Baustellen und neuen Wohngebiete, an deren Planungen ich mittelbar beteiligt war. Stationen, Tunnel, Wohnhochhäuser, Parks, Traufhöhen und Verkehrsführungen. Ein quälend langwieriger Prozess. Jetzt aber ist fast alles da.

Der Zusammenhang der Zeiträume und ihrer Themen rückt in mein Interesse. Inwiefern nämlich haben die trostlosen Fassaden, die auf den Super 8 Filmen so nebenher die Atmosphäre der Zeit dokumentieren, damit zutun, dass ich mich so vehement in die Planung eines neuen großen Stadtteils eingebracht habe?

Gleichzeitig erinnere ich mich an die Busfahrten kurz nach meiner Ankunft im Westen, im März vor 32 Jahren. Vom Notaufnahmelager Gießen nach Hofheim im Taunus, den grauen bleiernen Staub noch auf den Sachen, auf der Haut und in den Atemwegen.

Nicht so wichtig

Erstmalig sitze ich in diesem Jahr draußen im Sonnenlicht mit meinem Buch. Ich schreibe etwas schräg und unbequem und höre im Südwestwind die A5. Ein orangefarbener Schmetterling öffnet sein Flügelornament zu Sonne hin, wie ich die Seiten zum Licht hin wende, die ich beschreiben will, die noch weiß sind und vielleicht so bleiben wollen.

Ostersonntag – düstere Musik auf einem neuen Album von Iggy Pop. Am Main, während eines Spaziergangs, zerstreut das gekräuselte Wasser die projizierten Filmbilder meiner Kindheit und Jugend, die durch meinen Körper rattern. In all der Enge leuchtet da manchmal ein Strahl der Befreiung auf.

Meine Arbeit ruht derzeit. Nur die dunklen Wolken der Buchmalereien behaupten sich zwischen den Gängen, die ich im Atelier und im Gärtchen unternehme und die ich zurückschalten will. Alle Linien sollen nicht so wichtig sein, sich nicht so wichtig nehmen. Feiertage sind auch für mich.

Ich kann mich etwas um mein Gärtchen kümmern, ein paar von den Keimlingen in Töpfe setzen, die jetzt allenthalben zwischen dem alten Laub hervortreten. Mir ist es selten gelungen, eine Auszeit zu nehmen, ohne dabei ein schlechtes Gewissen mir selbst gegenüber zu haben.

Bleistaub

Eine graue Zeit.

Es ist, als würde ihr Bleistaub von mir gewaschen, wenn ich mich mit dem Filmmaterial aus meiner Kindheit und Jugend beschäftige. Er sitzt tief und giftig in den Poren, dass die Reinigung schmerzt.

Gestern sah ich auf vielen kleinen Spulen Ausflüge, Verwandtenbesuche und Wintersport. Dabei die umhegten und gebietenden Großmütter. Jugendweihen, Hochzeiten und Geburtstage. Mein Cousin Christian hatte zur Jugendweihe meiner Cousine Heidi ein Plastikalbum zum Blättern mit Beatsingles dabei, die wir uns anschauten, bevor wir in einen roten Bus stiegen, in dessen Eingang wir wie John, Paul, George und Ringo posierten, um dann in das Haus des Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei in Niedergrunstedt zum Feiern zu fahren. Ganz in der Nähe, in Gelmeroda, befindet sich die Kirche, die Lionel Feininger während seiner Bauhauszeit oft malte.

Mir fällt die Verschiedenheit meiner Großmütter auf. Mütterlicherseits gibt es einen Hang zur natürlichen Eleganz und zu Manieren. Eine Schneiderin, die wusste, was Mode ist, was einem steht, Hüte trug und sich in den Sechzigerjahren von ihrem Mann trennte.

Väterlicherseits geht es proletarischer zu. Man trägt Kopftuch im Thüringer Winterwald und zu großes Gebiss. Die Gesten meines Vaters, die des Narziss, der manchmal das alles abstreifen will und sich dabei selbst filmt.

Lachfalten der Hände

Die dritte Wiederholung des Doppelportraitfragmentes hängte ich gestern an die fortlaufende Sequenz auf Rolle 6. In den Binnenfeldern hat somit die Verdichtung, wie man oben in der Collage im Vergleich zu gestern sieht, zugenommen. Im Gegensatz zur Tusche, stehen die Tintenlinien zart und durchscheinend im Licht.

Mit dem Arbeitstagebuch, den Buchmalereien und der Fortsetzung der Zeichnungssequenz verbrachte ich den gestrigen Vormittag. Innerhalb der Buchmalereien bestimmten gestern minimalistische Vorgänge den schnellen Ablauf. Eine Verwischung trägt auf ihrer rechten Seite, dem Anfang und Ende einer Hin- und Herbewegung des Handballens, winzige Bleistiftschwunglinien. Die Abdrücke der Hautfalten am Ansatz des rechten kleinen Fingers, sehen aus wie die von Lachfalten – Lachfalten der Hände.

Am Nachmittag transportierte ich den Projektor, sein Zubehör und die Filmrollen ins Atelier, und setzte ihn ohne Gebrauchsanweisung in gang. Die flimmernden Filme projizierte ich auf ein weißes Din A 4 Blatt. Aus dem Untergrund der Bilder standen dann die Stimmungen auf, die aus der Atmosphäre von Tristesse, Langeweile, Disziplin und kleinbürgerlichen Glücksinszenierungen herrührten. Nicht die Bewegungen der Figuren, das Defilé der Verwandtschaft, die teilweise schon lange tot unter der Erde liegt, rührte mich so an, sondern die dunklen Innenräume mit den kümmerlichen Zimmerpflanzen, die Spaziergänge, zu denen mein Bruder und ich uns als Kinder in Anzügen und weißen Hemden, langweilten und die von grauen Fassaden gesäumten Straßen. Mein Onkel in seiner Offiziersanwärteruniform…

Zersplittern | Schichten | Materialschlachten

Gespräche, Telefonate und der Terror in Brüssel haben meinen gestrigen Arbeitstag zersplittert.

Die Sequenz des Doppelportraitfragmentes vom 18.02. und vom 17.03. setzte ich fort. Wenn ich die sich füllenden Umrisse, ein kleiner Teil ist davon oben zu sehen, ein drittes Mal auf die fortlaufende Rolle 6 zeichnen würde, könnte ich die Füllungen mit den so entstehenden Schichten durch Zusammenrollen des Transparentpapiers und Durchzeichnen der durchscheinenden Linien, verdichten. Die zunehmende Dichte innerhalb der Felder erhöhte sich um eine Stufe.

Glücklicherweise kann ich die zwei Produktionsweisen, also die Transparentpapiersequenzen und die Buchmalereien, in den digitalen Collagen, die täglich entstehen, zusammenführen. Oben machte ich das mit einem Scan von Rollenausschnitt und Buchmalerei, dich ich übereinander auf den Scanner legte. Vom 17. bis 20. März machte ich das mit Bildbearbeitungstechniken. Das geschieht allerdings nur sporadisch, während der regelmäßigen Vormittagsarbeit.

Ich überlege, die Projektoren mit ins Atelier zu nehmen, weil ich hier anders und konzentrierter mit dem Material arbeiten kann, als in meinem kleinen Zimmer zu Hause.

Heute war ich zeitig hier. Es ist jetzt noch nicht Neun. Gefährliche Geräusche von Nutzfahrzeugen dringen von außen herein – bedrohliche Abrisse, Baugruben und Neubauten – Materialschlachten.

Handschrift

Nein, es entstehen keine großen, neuen Dinge zurzeit. Ich beschäftige mich zu sehr mit Anderem. Die Rückschau auf die Buchmalereien der letzten Tage versöhnt mich aber.

Meine Zustände in den Strukturen der Malerei wieder zu finden, gelingt mir öfter. Zwar entfernen sie sich von dem, was man herkömmlich als eine malerische Handschrift ansehen würde. Die Linien von meiner Hand werden verwischt, um dem Abdrücken meines Handballens Platz zu machen. Der persönlich geführte Strich, der etwas über mich verrät, wird vielleicht vom Temperament der Wischbewegung abgelöst und vom Rhythmus der Handballenabdrücke im Format.

Die Linien meiner Haut sind nicht von mir gezeichnet. Sie geben eine Struktur meines Körpers wieder, verbinden sich noch mit den Gravitationsschwüngen und wiederholen sie manchmal schwächer, zusammen mit den Handlinien. Was würde ein Betrachter in diesem Liniengewirr für und von sich finden?

Im Bethmannpark und hier auf dem Gelände beobachte ich die brütenden Bussarde. Sie müssen sich den geschickten Angriffen der Krähen und der Frechheit der Elstern erwehren. Das hindert sie daran, konzentriert nach Futter zu suchen.

Buchmalerei | Projektor

Eine aufmerksame Dame aus der Verwandtschaft brachte mir einen Super 8 Projektor mit. Es ist ein viel besseres Gerät, als das meines Vaters aus tschechoslowakischer Produktion. aber komplizierter zu bedienen, sodass ich eine Betriebsanleitung benötigen werde, um ihn in Gang zu setzen.

Wie ich dann aber mit dem Bildmaterial arbeiten werde, ist mir noch nicht klar. Vielleicht kann ich von den Filmprojektionen Videoaufnahmen machen.

Die schönen Buchmalereien von gestern setzten sich heute fort. Farbig sparsam, Gravitationsschwünge, teilweise mit einer afrikanischen Haarnadel nachgezogen, sodass sie vertieft nochmal entstehen, wodurch ich wieder verschiedene Möglichkeiten für den Umgang mit ihnen bekomme. Die in das weiche Papier gravierten Linien können durch Schraffuren hervorgehoben werden und sind am nächsten Tag noch mal zu nutzen, weil sie sich auf die nächste Seite durchdrücken. In die Vertiefungen kann ich die feuchte Farbe wischen, wie man das beim Druck von Radierungen macht. Reichlich kommt zwischen den Verwischungen die Oberflächenstruktur meines Handballens zur Geltung und lässt eine körperliche Atmosphäre entstehen. Tatsächlich bin ich versucht, die Abdrücke mit harten Linien zu Skulpturzeichnungen umzuarbeiten.

Wieder ein paar Gartenhandgriffe. In der Sonne saß ich am Morgen im Korbstuhl, geschützt vorm Nordwestwind.

Fest mit Darbietungen

Kalte, etwas windige Luft während der Spaziergänge im Westerwald und am Main. Man musste sich warmlaufen. Grau der gekräuselte Fluss, die Schiffe wie Windbrecher.

Ein Fest mit Darbietungen. Gesänge und Klavier, Horn, Bratsche, Cello. Ich habe keinen Darstellerberuf, kann mich zurückziehen und schauen, als sei dies das eigentliche, was zutun bleibt.

Die Bratsche mit der Spielerin fuhren wir von Frankfurt in den Wald. Den Hornisten mit seinem Instrument vom Wald nach Frankfurt, teils schlafend, in seine Wohnung in der Stadtmitte. Da war die Bratschistin schon zu einem Konzert in Heidelberg.

Die Buchmalereien sind schwer und leicht zugleich, luftig und erden. Ansonsten wegen der Reisen keine Arbeit. Ein paar Handgriffe im Garten, der wichtiger wird.

Feuer

Mit den Jungs habe ich gestern neben der Wiese auf Teves West ein Feuer gemacht. Wir begannen mit kleinen trockenen Pflanzenteilen, die wir im vergangenen Jahr geschnitten haben und die den Winter über getrocknet sind. Sie wissen, dass so ein kleines, heißes Feuer keinen Rauch macht, und dass man es langsam größer werden lassen kann und später auch frischen Pflanzenschnitt hinzutun kann, ohne dass viel Rauch entsteht. So schnitten wir die wilden Rosensträucher zurück und befreiten einen Essigbaum vom Gesträuch, das ihn zu ersticken drohte, um ihn den Sommer über pflegen zu können.

Vorher haben sich Zitronensaft gemacht und meine Tortilla gegessen, die ich am Vormittag herstellte.

Die wildfarbigen Buchmalereien gestern hatten wenig mit meiner Stimmung zutun, die heutigen schon eher, obwohl ich heute etwas wenig Zeit zu haben glaubte. Die eiligen Verwischungen und die schnellen Konzentrationen, die das Vorübergehen festhalten, verzaubern die Flüchtigkeit.

Feuergeruch von gestern, Portraitscherben der vergangenen Monate und das Totenbuch auf Rolle 6 jetzt.

Filtern

Das Doppelportraitfragment, die wenigen, in Scherben zersplittert gezeichneten Überbleibsel der Rasterpunkte vom 18.02., übertrug ich gestern auf Rolle 6. So beginnt sich nun wieder die Rollenkontinuität einzurichten, die ich ein Jahr lang unterbrochen hatte. Über weite Räume setzen sich Schockwellen von Erschütterungen fort und verformen meinen Raum.

Das Weltkulturenmuseum stellte gestern eine Arbeit vor, die es mit Flüchtlingen im Gallus gemacht hat. Mich sprach sehr die improvisierte Form an, mit der sie die Ergebnisse im Galluszentrum präsentierten. Ich würde gerne in Kontakt bleiben und schauen, ob wir zusammen etwas Neues finden können.

Jugendliche Afghanen (?) zeichneten im Museum nach afrikanischen Holzschnitten aus den Achtzigerjahren. Auf Hartschaumplatten schnitten sie die Motive in die Oberflächen und druckten sie danach auf Papier. Es ist, als seien die Sujets durch einen fremden Filter gegangen und bekämen dadurch eine noch rätselhaftere Qualität. Manche Formen verselbständigen sich und wirken, wie abstrakte Zusätze. Sieht man den Holzschnitt nicht, von dem die Figur stammt, wirken manche Konstellationen surrealistisch. Die Detailfreude der feinen Bleistiftzeichnungen passen so gar nicht zu den gröberen Holschnittstrukturen und schaffen gerade dadurch eine Erweiterung. Über diese Formen der Auseinandersetzungen könnte man nun natürlich gelehrte Monologe halten… Vielleicht kann man aber auch einfach weitermachen.

Thema im Thema | Ornament

Die Arbeit am Totenbuch auf Rolle 6 wird ornamental. In dieser Phase bekommen die fragmentierten Scherben und Muster etwas Harmloses. Vielleicht liegt das auch an der Tinte, die ich anstatt der Tusche benutze, um diesem Vorgang etwas vom Schreiben zu geben.

Ganz anders geht es mit den Buchmalereien, deren Kraft aus jetziger Sicht zunimmt. Ich merke ziemlich genau, wann ich aufhören muss, und das ist in letzter Zeit häufig sehr zeitig.

Am späteren Nachmittag ging ich noch mal ins Architekturmuseum, um mir die Präsentation des prämierten Entwurfes aus dem vergangenen Jahr anzuschauen. Es liegen einige Bücher aus, darunter Aleida Assmanns Arbeit über Erinnerung, die mit der Architekturkonzeption zutun haben. Das weckte Assoziationen hinsichtlich der Forschungsergebnisse von Jan Assmann, der die Werke seiner Frau auch zitierte, wenn es um den ägyptischen Totenkult ging.

Nun spielte mir meine eigene Erinnerung den Streich, dass ich bei oberflächlicher Betrachtung der Ausstellung, diesen prämierten Bau als eine monumentale Manifestation des Zusammenklangs verschiedener Erinnerungsweisen ansah. Die Addition meiner Arbeit mit dem Erlebnis dieser Konzeption führte zur Monumentalisierung der Rückschau. Sie illustriert das Thema im Thema. Deswegen war der Ausstellungsbesuch gestern enttäuschend.

Verwischungen, Schwünge, Scherben

Etwas zögerlich begann ich gestern auf Rolle 6 am Totenbuch weiterzuarbeiten. Diesmal nahm ich das vergrößerte Detail des Doppelportraits, das ich am 17.02. mit Gravitationsschwüngen in Scherben schnitt und zeichnete die Flächen in ihrer Originallage auf das Transparentpapier durch. Das tat ich dreimal nebeneinander, rollte dann die Motive rückwärts mit dem kleineren Rollendurchmesser übereinander und füllte die Flächen mit den Linien, die durchschienen.

Und heute fügte ich am Morgen in der Collage oben, Verwischungen, Schwünge und diese Zeichnung zusammen. Damit dokumentiere ich den Stand der Arbeit am Totenbuch innerhalb des Biografieprojektes.

Den Schülern werde ich diese Arbeitsschritte erklären, damit sie ihre Möglichkeiten, an diesem Thema zu arbeiten, erweitern können. Dann kann unser Biografiehaus solche Elemente aufnehmen. Ich denke darüber nach, ob die Dreiecksgitterkonstruktion ausreicht, um den Erinnerungen eine Form zu geben, auf denen sie ihr ornamentales Spiel treiben können. Lücken in den Füllungen würden zumindest für Abwechslung sorgen.

Mich hat der Siegerentwurf des Architekturpreises verunsichert. Hier greift sich eine strenge Denkweise überzeugend Raum. Dagegen sind die Dreiecksgitter eine historische Spielerei. Aber bleiben wir andererseits konsequent beim Spiel, ergibt sich bestimmt noch etwas Weiterführendes, etwas Neues.

Im Park

Am Morgen im Bethmannpark fotografierte ich einen Raubvogel. Er flog flach, wenige Zentimeter über dem Weg und landete elegant auf einem unteren Ast eines großen, alten Baumes. Dort schaute er sich in Ruhe, ohne sich durch mich stören zu lassen um und setzte, nach etwas zwei Minuten, seinen Flug fort. Diesmal landete er auf einer Schmucksteinspitze des Eingangsportales des Chinesischen Gartens. Von dort aus ging es dreißig Meter weiter bis zur Umfriedungsmauer und dann aus meinem Blick.

Am Boden wärmten mir die Frühblüher von innen mein Empfinden. Vorfrühling nennt man das an diesem kalten, klammen Morgen.

Gestern im Korbsessel in der Sonne las ich im Ägyptischen Totenbuchtext „Osiris“, den Jan Assmann zusammengestellt hat. Diese „Reden mit den Toten“ soll mit diesem Theatertext wieder lebendig werden, wieder hörbar, wie es vielleicht von 3000 Jahren klang.

Ich interessiere mich vor allem für die Strukturen der Verse und für die Anordnung der Schriftzeichen. Die senkrechten Kolonnen berichten formelhaft, wie unsere heutigen Totenredner vom Leben der Verstorbenen.

Die Anordnung meiner Doppelportraitsplitter stoßen allerdings noch in eine andere Erinnerungsrichtung. Sie versuchen das Tor zu den Bildern aufzustoßen, die sich wie ein fließendes Gewässer ergießen, sobald man den ersten Schritt getan hat. Die Zeichnungsüberlagerungen führen zu einer Partitur, die man in Musik verwandeln könnte. Wohin führt das?

Erinnerungsformen

Die Bezeichnungen meiner Techniken spielt zusammen mit den Titeln der Arbeiten eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Produktion. Zunächst kann ich die Frage danach aufwerfen, warum ich beispielsweise von Buchmalereien spreche. Will ich mir da eine Tradition geben, fühle ich mich in ihr aufgehoben oder benötige ich ein Zugehörigkeitsgefühl? Miniaturen – da wird es schon komplexer. Was ist mit dieser Form der Bescheidenheit? Oder geht es eher um Effizienz. Kann ich in den kleinen Formaten mehr und schneller ausprobieren? Was ist mit dem Anspruch der digitalen Vergrößerbarkeit? Da fällt die Bescheidenheit plötzlich weg.

Aber Bezeichnungen erweitern den Bedeutungsrahmen der Arbeit, kommentieren sie oder beschreiben auch Arbeitsvorgänge. „Überlagerungssequenz“ beschreibt einen Vorgang. Kommt dann noch der Begriff Totenbuch hinzu, verweist das wieder auf die Tradition, die zumindest eine formale Voraussetzung bietet.

Während der Arbeit im Museum fiel mir die Konzeption des Siegerentwurfes des Architekturpreises 2015 auf. Bei der Rekonstruktion des Meisterhauses von Moholy-Nagy spielten verschiedenen Erinnerungsweisen eine sinngebende Rolle. So ist das Innenleben eine genaue Kopie des zerstörten Hauses. Man erinnert Gänge eines Hauses, in dem man lange gelebt hat, genau. Seine äußere Hülle aber hat man nicht begangen, sie wird verwischter oder grober erinnert. Somit haben die Architekten die Außenhülle stilisiert. In diesem Zusammenhang ist als eine Voraussetzung ein Buch von Aleida Assmann zum Thema Erinnerung angegeben und auch in der Ausstellung verfügbar. Ich las darin und wusste sofort, dass das eine Rolle beim Biografiehaus spielen wird.

Biografiehaus

Ruhe – ein Versuch. Stille im Rückzug ins Atelier mit den lärmenden Buchmalereien. Durch die kahlen Stangen der Pappeln geht ein östlicher Weberwind. In meiner Müdigkeit sehne ich mich nach einem Sonntagnachmittagsschlaf.

Die Miniaturstürme auf den letzten Seiten des fast vollen Buches, die sich winden und einen störrischen Stapel aufgeworfenen, gebundenen Papiers bilden, werden wilder. Ich schaue auf die jeweils dritten Bilder des Vormittagsarbeitswalzers. Sie sind zumeist am freiesten, aber schon kurz vor dem Abschwächen der Konzentration.

Die Totenbuchsequenz, die in der gestrigen Collage eine Rolle spielte, kommt mir heute eher kraftlos vor. Lapidare Tintenlinien, die eine weitere Schicht einer anderen Struktur mit einem neuen Rhythmus benötigt. Eine Synaptische Kartierung oder Frottagen von, sich über den Tisch bewegenden, fachen Gegenständen: Kokosfasern, Muscheln, Drahtstücken.

Mir geht die Konstruktion des Biografiehauses durch den Kopf. Dreiecke mit gleicher Kantenlänge werden zunächst zu einem Gerüst zusammengebaut. Das kann aus Metall oder Bambus sein. Ganz gerne würde ich die Stäbe zusammenbinden, wie es die indischen Bauarbeiter mit ihren Gerüsten machen.

Neustart

Reichlich erschienen meine Schüler gestern nach unserem schönen Erfolg im Museum. Gleich begannen wir uns, mit unserem neuen Thema „Biografie – ein Haus“ zu befassen. Jeder für sich startete mit kleinen Anfängen von neuen Geschichten.

Auch ich setzte mich an meine Rolle 6 und zeichnete an meiner Totenbuchsequenz weiter. Die Scherben der Portraitüberlagerungen zerteilen sich weiter. Ich zeigte den Schülern diesen Arbeitsvorgang noch einmal und wies insbesondere auf die Formen der Fragmentierung hin. In der gegenwärtigen Sequenz werden sie zu einer Landschaft, über der Gestirne schweben. Und wieder erscheint sie mir wie die Partitur, diesmal eines Totengesangs. Schon in der Küche vorhin hörte ich Steve Reich, und seine Musik folgt mir nun bis in meine Arbeit.

Für die nächste Ausstellung plane ich nun einen Raum aus Dreiecksreliefs, die die Wanderungsbiografiesplitter ornamental aufnehmen werden, die uns in den Geschichten, die von den Flüchtlingen erzählt werden, zugetragen werden sollen. Die Herangehensweise ist handwerklich-künstlerisch in den vergangenen Jahren erprobt worden.

Gestern versuchte ich den Super 8 Projektor meines Vaters in Gang zu bringen. Einerseits aber ist ein Kraftübertragungsriemen wegen der Alterung des Gummis zerbrochen und andererseits funktioniert die Stromzufuhr zur Lichtquelle nicht. Da liegt also noch ein Stück Arbeit vor mir.

Totenbuchsequenz

Nachdem sich nun die Wogen geglättet haben, und ich wieder Herr meines Ateliers geworden bin, nahm ich mir gestern am Abend in Ruhe die Rolle 6 vor. Dort arbeitete ich an einer Totenbuchsequenz, die auf meine Zeichnungen von 23.02. zurückgeht, mit denen ich die Arbeit an diesem langen Format wieder aufnahm. Die Sequenz besteht nun erst aus einer Umdrehung, ich brenne aber schon darauf, damit weiter zu arbeiten. Sie mündet nun direkt in den Neubeginn des Biografieprojektes mit den Schülern. Vielleicht sollte ich ihnen den Arbeitsvorgang des Totenbuches zeigen und erklären.

Am Morgen dachte ich daran, aus dem Dokumentationsmaterial der Ausstellung eine Broschüre zu machen. Abbildungen gibt es, Texte auch und die Praktikantinnen machen einen guten Job.

Tatsächlich glaube ich, dass die Ausstellung in der Museumslandschaft Frankfurts besonders ist. Sie wird sicher auch stark frequentiert. Somit scheint mir das der derzeit öffentlichste Teil meiner Arbeit zu sein. Sein Potential der Verbreitung meiner Herangehensweisen, bekommt durch die Schüler eine besondere Dimension in der Zukunft.

Wild kreisten heute meine Linien in den Buchmalereien und die Verwischungen zerstörten die vorangegangenen Strukturen. Manchmal stelle ich mir vor, diese Arbeiten groß auszudrucken.

Ausstellung

Im Rhythmus der Lichtwellen vibrieren die Schatten an der blauen Mittelsäule des Ateliers. Tausende von aufgefädelten Muscheln werfen ihre immer länger werden den Formen dunkel an die Wand. Ich beobachte die Bewegungen, versuche etwas davon zu beschreiben und will dabei über eine Art von Genauigkeit hinauskommen. Diese Umwandlung in Sätze kann zu einer Erinnerung führen oder Assoziationen wecken, die in der Ferne liegen.

Die Ausstellungseröffnung gestern im DAM hat mir noch mal deutlich gemacht, wie nahe mir meine Schüler auf meinem künstlerischen Weg folgen, ohne etwas in irgendeiner Weise zu kopieren. Es geht um Haltungen. Deshalb ist es auch aufregend für mich, wenn sie ausstellen. Meine Textkommentare verdeutlichen die Strecke, die wir mit jedem einzelnen Objekt, das mit anderen zu Installationen zusammengestellt ist, zurückgelegt haben. Somit gewinnt die Qualität unserer Arbeit durch diese Ausstellung noch einmal.

Dankbar bin ich über die freundliche Hilfe von der Seite des Museums her. Die Schüler, die gekommen waren, waren in aufgekratzter Stimmung und sprachen von der Einmaligkeit unserer Gruppe.

In der Dämmerung spazierten wir noch am Ufer des Mains entlang und sahen, wie sich die Farben der Dämmerung mit denen der Skyline verbanden. Die Lichtstärken von innen und außen glichen sich an. Ein Schwebezustand.

Miniaturinstallationen

Durch die Wand der Pflanzenregale trifft das Morgenlicht auf die Tische und Regale. Die Gerätschaften und der Kram auf der Hobelbank, die Zeichnungen auf dem Grafikschrank, alles bekommt dieses frische Licht und wird verdientermaßen aufgewertet.

In den letzten zwei Wochen, in denen ich vor allem mit der Ausstellung zu tun hatte, ruhte meine Biografiearbeit. Bei den Kästchen im Museum handelt es sich, wie mir heute aufging, auch um Miniaturen. Sie haben sich von alleine an die Formate meiner Buchmalereien angepasst. Mit dieser handlichen Größe lässt sich gut experimentieren. Diese Experimente füllen sich so langsam unsere Regale und werden zum Wichtigsten, was wir in die Arbeitswelt einbringen können.

Der Gestus der Schülerarbeiten entwickelt sich außerdem aus der Beschäftigung mit den verschiedenen Erscheinungsformen von Bewegung im Verhältnis zu Architektur.

Gestern Nachmittag machte ich die Titel und Texte für die Exponate fertig und schickte sie ins Museum, wo sie freundlicherweise von den Praktikantinnen ausgedruckt und in der Ausstellung platziert wurden. Am Abend druckte ich die ausgesuchten Arbeitstagebuchtexte aus, die ich heute mitnehmen will. Sie zeigen zusammen mit Fotos etwas von der Lebendigkeit der Vorgänge im Atelier.

Kinetische Energie und Gravitationsschwünge

Ganz schnell und temperamentvoll setzte ich heute die Buchmalereien zwischen die Texte. Das Wirbeln benötigte ich nach der ungewohnt vielen Textarbeit der letzten Tage und Wochen. Manchmal erzeugt das so etwas, wie eine kinetische Energie in mir, die durch eine Gravitation wieder aufgehoben, oder ins Gleichgewicht gebracht werden will.

Sofern es mir gelang, verlief der Vormittag etwas nervös und gleichzeitig entspannt. Eine komische, vielleicht aufgekratzte Stimmung, so kurz vor der Ausstellungseröffnung im Museum. Gestern war ich noch mal am Nachmittag länger dort, um weitere Texte zu entwerfen und um die letzten Handgriffe an den Boxen zu machen. Dabei stürzte mir das Barbiebeinhaus von der Wand, wodurch natürlich die ganzen Gipsabgüsse zerbrachen. Sofort aber erschienen mir die zerbrochenen Platten viel passender zum Thema, und ich legte die Bruchstücke einfach zurück in den schwarzen Kasten.

Der Widerspruch zwischen den erwachsenen Werken, die meine Schüler mittlerweile schaffen und den Erwartungen an das Jugendlich-Kindliche einer solchen Ausstellung, kann nur mit einer ernsthaften Entscheidung getilgt werden. Und die traf ich zugunsten der Ernsthaftigkeit der Beschreibung der Arbeitsvorgänge, die zu dem Ergebnis führten, das nun im Museum zu besichtigen ist. Ich kann die Schüler nicht zu erwachsenen Kunstleistungen bringen, um sie dann zu banalisieren.

Heute mache ich die Texte fertig, schicke sie zum Ausdrucken ins Museum und fahre dann dort hin, um dafür zu sorgen, dass sie gut gehängt werden.

Ausstellungstexte

Den ganzen Sonntag beschäftigte ich mich mit der Museumsausstellung „Passend gemacht“. Zunächst ordnete ich die Objekte in den Kästen noch mal in verschiedenen Konstellationen zueinander. Manche Kombinationen blieben und einige sind gestern neu entstanden. Vor die harten schwarzweißen Rasterportraits montierte ich als Kontrast weiche Transparentpapierzeichnungen mit warmen zeitbeschreibenden Verwischungen und Tuscheschwüngen.

Zu vielen der Installationen kann man längere Texte schreiben. Ich aber wollte mich auch wegen der Zeitbegrenzung, die die Museumsbesucher vorantreibt, kürzer fassen. Auf einem Hocker sitzen schrieb ich mit einem Klemmbrett auf den Knien zu jedem Kasten ein paar Zeilen. 21 schwarze Boxen hängen an der Wand und vielleicht steht eine auf einem Postament. Nun möchte ich unter jede Installation ein Blatt hängen, die alle zusammen eine mehr oder minder fortlaufende Beschreibung der Ausstellung ergeben sollen. Nachmittags im Atelier hatte ich nicht mehr so viel Zeit, um die ganzen handschriftlichen Notizen zu brauchbaren Abschnitten zusammenzufügen. Das passiert heute.

Während unserer Zusammenarbeit sind die Schüler erwachsener geworden. So sehen nun auch die Arbeiten aus, die von mir als Künstler kommentiert werden. Keine Kinderkunst mehr!

Am Abend im Theaterhaus hörte ich eine Lesung von neu übersetzten Stücken in verteilten Rollen. Das war ein Ergebnis eines Workshops des Jugendtheaterfestivals „Starke Stücke“. Erstaunlich ist, wie die Ausschnitte schon die ganzen Theatertexte repräsentieren konnten.

Nachmittagsarbeit

Die Farben und die Formen innerhalb der Buchmalereien, die Übergänge und Grenzen, die ihnen zugewiesen werden, die Figuren, die dadurch entstehen, haben für mich eine Qualität, die seelischer Nahrung gleicht. Die erste Malerei, die ich gestern, als ich gerade von der Autobahn herunter war, angefertigt habe, kommt mir an diesem Morgen stärkend zugute. Solange ich in der Lage bin, mir diese Dinge zum Geschenk zu machen, versorgt mich ein lebensbejahender Quell. Um aber die Kraft der Farben in sich aufzunehmen, bedarf es eines Codes. Der hat bei mir natürlich mit dem Impuls zutun, der dafür sorgt, dass ich eine bestimmte Farbkonstellation auftrage, um sie dann mit Wasser zu vermalen und mit der Hand zu verwischen. Das ist ein kulinarischer Vorgang, dessen tägliche Übung den Sockel für die Nachmittagsarbeit bildet. Aber auch ein kurzzeitlicher Sonnenstrahl traf mich auf meiner linken Gesichthälfte und meine Buchseiten.

In den letzten Jahren habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, zunächst die drei Textabschnitte mit dem Füller so einzurichten, dass ich drei Lücken für die darauf folgenden Malereien freihalte. Dann habe ich die drei Bilder so in einem Zug anfertigen können, dass Farbabdrücke meines Handballens von einem in das andere Formet wandern konnten. Somit bekommen die drei Abbildungen mehr miteinander zutun. In den letzten drei Tagen kam das wieder durcheinander. Manchmal machte ich zuerst die Bilder und setzte dann die Texte dazwischen usw.

Jetzt gehe ich ins Museum, um an den Installationen weiter zu arbeiten und Texte und Titel dafür zu finden – die Nachmittagsarbeit.

Wilde Akribie

Von den Autobahnen her sah ich Landschaftsbilder aus Regenfarben und Sonnenuntergang direkt in Fahrtrichtung. Prasselnder Regen ging mir unter die Haut.

Auf der Fahrt nach Thüringen gingen mir die Texte durch den Kopf, die ich noch für die Ausstellung der kleinen schwarzen Kästen mit den Installationen schreiben möchte. Eine schöne etwas aufwendige und aufregende Arbeit, die mir die Möglichkeit gibt unsere lange kontinuierliche Arbeit darzustellen. Die kleinen Installationen sind auf den ersten Blick ein Kontrast dazu. Das muss man den Leuten wohl auch sagen. Es lauert so viel Erfahrung und aufgewendete Zeit dahinter, von der ich erzählen kann.

Mein Vater packte mir alle seine Super 8 Filme ein und einen Projektor, mit dem ich sie abspielen kann. Die große Tasche mit dem ganzen Material bringe ich zunächst erst einmal in die Frankenallee. Die Biografiearbeit bekommt dadurch einen neuen Anstoß. Gerade versuchte ich mit mäßigem Erfolg einen Filmschnipsel einzuscannen. Wahrscheinlich muss ich mit diesem Material anders arbeiten.

Ich male und zeichne mit einer wilden Akribie in mein Buch und freue mich auf die Texte, die ich morgen zu schreiben beginne.

Ritual | Totenbuch | schwarze Kästen

Das morgendliche Ritual, sich an den großen Zeichentisch zu setzen, das Licht wahrzunehmen, das die Struktur des Papiers zeigt, weil es flach von der Linken Seite, von Osten, ein Kompass, der auf meinem Gesellenstück, einem Mahagonizeichenschrank herumliegt, bestätigt mir die Richtung, sichert den Tagesbeginn.

Die Buchmalereien gestern entstanden in dem Wissen, ihrer großen Bedeutung für mich. Denn ihre Farben sind die Nahrung meiner Empfindungen, wärmen meine Regungen oder frieren sie ein.

Unter dem Eindruck des allgemeinen Verschwindens meiner Arbeit, bäumte ich mich gestern doch noch mal auf und stellte einige Arbeiten, unter meinem Menü „Biografie, ein Haus“, auf meine Website. Ich zeige hier, wie sich durch die Überlagerungen meines Kinderportraits mit demjenigen meines Vaters im Alter von sechzehn Jahren das Totenbuch entwickelt. Die verschiedenen Fragmentierungsvorgänge werden vorgestellt.

Die schwarzen kleinen Kästen, Schatzschatullen oder Pixelkästen hängen nun schon teilweise an den Wänden des Museums. Wenn ich die Installationen aus den Arbeiten meiner Schüler fertig installiert habe, kann ich Titel und Texte zu den Arbeiten schreiben. Die Sprachen der Jungen und die meine müssen sich im Idealfall so mischen, dass unser Verhältnis deutlich wird.

Kästchen unter Beobachtung

Gestern hier im Atelier kümmerte ich mich um die schwarzen Kästchen für die Ausstellung „Passend gemacht“, die am 09.03. um 17 Uhr im Deutschen Architekturmuseum eröffnet wird. Die vielen Exponate, die von meinen Schülern geschaffen worden sind, müssen geordnet und ausgewählt werden. Experimentreihen kommen zutage, aus denen die exemplarischen Beispiele herausgesucht werden müssen.

Dann am Nachmittag im Museum ging es um das Probieren von Zusammenstellungen, ging es darum, zu schauen, wie die Sammlung wirken kann. Postamente stehen zur Verfügung, die ich aber wahrscheinlich nicht benötigen werde. Die Kästen hängen an den Wänden, im Bezug zu den quadratischen Öffnungen des Raumes weit oben. Der Rhythmus wird stark durch diese Architektur bestimmt.

In meiner Arbeit richtet sich die Konzentration derzeit sehr auf die Buchmalereien. Sie sind nicht aufwendiger als sonst, werden aber genauer beobachtet. Bisher glichen sie manchmal morgendlichen Aufwärmübungen oder einer zu erledigenden Pflicht. Jetzt rücken sie näher an mich heran und werden nicht so von der Biografiearbeit überdeckt. Täglich ziehe ich während ihrer Betrachtung Schlüsse für die Weiterarbeit.

Das Biografieprojekt lebt hier im Atelier eher vom Schwarzweiß, geht von Dokumentarischem aus, um dann in den Fragmentierungsschredder zu fallen. Im Zimmer in der Frankenallee hängen drei Pionierportraits. Auch sie stehen unter Beobachtung. Bisher aber haben sie bestanden, interessieren mich zunehmend.

Forsythe | Richter

Am Abend las ich das gestern von Bill Forsythe signierte Buch. Seine Gedanken zu den, mit seinen choreografischen Objekten korrespondierenden, Kunstwerken aus der Sammlung des Museums für Moderne Kunst, waren mir neu. Seinen engen Verbindungen zur Konzeptkunst und zur Minimalart erscheinen mir logisch. Aber dadurch, wie er sie durch seine kontrapunktische Sehweise mit seinem Werk und seinem Denken in Verbindung bringt, entstehen für mich weitere Möglichkeiten, mit meinen Erkenntnissen aus der Vergangenheit dazu umzugehen.

Gleichzeitig verbinden sich diese Gedanken mit denen aus einem Interview mit Gerhard Richter zu seiner Serie aus 4 abstrakten Bildern zum Vernichtungslager Birkenau. Auch er als Maler bekennt sich verbal zur Konzeptkunst des vergangenen Jahrhunderts, die seine Arbeit nachhaltig beeinflusst hat.

Auf dem Arbeitstisch liegen die Arbeiten meiner Kunstschüler, die ich für die Ausstellung aussuchen will. Das meiste davon sind die Wachsarbeiten von Joana, die auch eine besondere Intensität besitzen.

Gestern transportierte ich weitere Kästen ins Museum uns beschäftigte mich mit ihnen auch danach weiter hier im Atelier. Ich habe mir die ganze Woche dafür freigehalten und hoffe, dass diese Ruhe, die ich mir nehme, in der Ausstellung auch spürbar wird.

Lichtflut

Lichtflut – so überraschend nach dem gestrichenen, mehrschichtigen Grau der letzten Tage. So findet die Sonnenwärme direkt ihren Weg in meine Seele.

Die minimalistischen Zeichnungen von Gestern, festigen die Haltung, die für die Richtigkeit dieser Herangehensweisen nötig ist. So oft ich an ihnen zweifle, sprechen sie doch ohne große Umwege aus meinem fühlenden Leib. Die dritte gestrige Zeichnung, verdient es alleine und vergrößert zu stehen, aufgeladen mit der Bedeutung des Totenbuches. So etwas kann ich in den täglichen Collagen, so wie oben, entwickeln. Wenn auch nicht deutlich durchdacht, wird deutlich, was mir wichtig ist.

Die ersten Dinge für die Ausstellung habe ich gestern ins Museum transportiert und mir gleichzeitig noch mal gründlicher den Raum angeschaut. Die schwarzen Kästchen in all dem Weiß werden „herausleuchten“.

Am Abend war eine Buchvorstellung im Museum für Moderne Kunst. Es ging um die Publikation zur Ausstellung „The Fact of Matter“ von Bill Forsythe. Wir sprachen ihn danach kurz, während der uns das Buch signierte. Sein Name steht da wie eine choreografische Zeichnung. Er meint es sei so wunderbar in der Universität in Kalifornien zu lehren. Das kann ich gut verstehen.

Farbige Rettung

Etwas verspätet am Morgen im Atelier lösche ich erst einmal alle e-Mails auf meinem Telefon. Eine kleine Entlastungsaktion. Das Gerät fühlt sich nun leichter an.

Gestern hatte ich hier Ruhe zum Arbeiten. Die Scherbenzeilen verwandelten sich in Erinnerungsketten. Ungemütlicher Wind fegte durch die Landschaft, wie heute unter einem konturlosen, grauen Himmel. Die Rettung ist dann die farbige Welt der Buchmalereien, die über manches Grau einen zarten Schleier freundlich breiten. Erst dann wird die Arbeit wieder möglich.

In dieser Woche werde ich mit dem Ausstellungsaufbau im Museum beginnen. Die Kästen habe ich mit Joana schon schwarz gestrichen…

Gestern Abend im Bockenheimer Depot ein Ballettabend der Nachfolgecompany der wunderbaren Forsytheleute. Niederschmetternd ist es, diese vergeudeten Talente beim Auswalzen der platten Ideen des Ballettchefs zu sehen. Eine SPD-Sportveranstaltung! Das Volk kann jubeln und sich spiegeln. Schöner glatter Tanz gleich aussehender Darsteller, nicht verstörend, sondern schön.

Vielleicht hätten wir bleiben und dem Choreografen beim Künstlergespräch zuhören sollen.

Oval

Scherben, die abstrakten Erinnerungsaufrufe des Totenbuches überlagern sich in ineinander greifende, fortlaufende, im Inneren memorierte Bilderfolgen.

Die Form eines Ovals beispielsweise, das an einer Seite spitz zuläuft, löst verwaschen zartfarbene Filmschnipsel vom sonnigen Untergrund eines niedrigen Waldes, an dessen Boden verschiedene Quellen Rinnsale speisten, die in einem Areal von vielleicht 200 Quadratmetern zusammenliefen. Kleine Sedimentteilchen wirbelten an die Ränder von winzigen Kratern über der Unergründlichkeit der Wasseradern. Das Bächlein folgte einer Senke am Rand einer großen Wiese zu kleineren Fischweihern, den Ozeanen unserer Entdeckungsfahrten auf selbstgezimmerten Flößen. Aus einem dieser tiefen Teiche zog ich irgendwann um Ostern meinen kleinen, fast leblosen Bruder und machte mit ihm Wiederbelebungsübungen, die ich aus einem russischen Zeichentrickfilm kannte. Im Sommer darauf lernte ich schwimmen.

Überlagert sich nun dieses Oval mit der an einer Seite spitz zulaufenden Form mit dem nächsten, das aussieht wie die aufgespannte Haut eines Tieres, tauchen Eskimobilder auf: Eisbären, Walrosse, Kajaks und Eisberge. Als Gefühl gesellt sich ein ziehender leichter Schmerz hinzu, den ich als ein erwachendes Fernweh bezeichnen würde, von meiner heutigen Sicht aus so sehen will.

Auf Rolle 6 habe ich zurückverfolgt, seit wann ich mich mit dem Biografiethema beschäftige. Die erste gerasterte Zeichnung machte ich am 15.12. 2014.