Durch Eisenach

Eine Autofahrt durch Eisenach. Dort hatte ich ein halbes Jahr Grenzausbildung,die mich in die Lage versetzen sollte, die DDR-Bürger daran zu hindern, das Land zu verlassen. Diesem Dienst konnte ich nach Berlin, zum Bau des Palastes der Republik ausweichen. Aber ich erinnere mich an die Vereidigung auf dem Marktplatz, an dem das Museum steht, in dem ich dann später arbeitete. Die Vereidigungsformel sprach ich nicht mit, bewegte nur die Lippen. Rund um die angetretenen Blöcke der uniformierten Männer, Söhne, Brüder und Geliebten, standen die Familien, die sie lange nicht gesehen hatten, oder gingen neben den Marschkolonnen her. Ein kurzes persönliches Gespräch nach dem offiziellen Akt war erlaubt. Dann Einrücken in die Kaserne.

Die Gegend westlich von Eisenach war Sperrgebiet. Die Orte und Landschaften sah ich gestern erstmalig von der Landstrasse aus, auf die ich von der Autobahn gefahren war, weil ich noch genügend Zeit bis zur Verabredung in einem Restaurant hatte. Hinter dem immer noch heruntergekommenen Städtchen, dann die Hörselberge und der Hainich.

Die Methode des Verbatim Theatre habe ich schon seit einiger Zeit für meine bildkünstlerischen Projekte angewendet. Heute bin ich zu einem Treffen mit der Kulturdezernentin eingeladen, wo ich diese Arbeitsweise vorstellen will.

Ein Wunsch

Gestern, am Morgen, hatte ich den Wunsch, auf einem Bauernmarkt einzukaufen. Wahrscheinlich ist dies die Jahreszeit, die solche Gedanken aufkommen lässt. Als wir dann durch Zufall, mitten im Wald einen solchen fanden, kam ich mir vor wie in den Kulissen eines Filmes oder eines Theaterstücks. Mir kam die Situation des Erntedankfestes, wie für mich inszeniert vor.

Die Farbigkeit der Buchmalereien reduziert sich wieder stark. Das geschieht aber nicht zugunsten einer Verflachung, sondern schafft ihre eigene Tiefe in der Kombination von einem weichen, warmen Schwarz und dem dunklen Indigo. Das gelbliche Grün dabei, stammt aus einer anderen Jahreszeit, wie das frische Grün meiner Birke, jetzt im Oktober, das sie nach der Trockenheit trieb, in der so viele Blätter verloren gegangen waren.

Die Reduktion der Pflanztöpfe beschäftigt mich. Manche der alten Gefährten sind so groß geworden, dass sie sehr viel Platz im winterlichen Atelier besetzen werden. Aber es fehlt mir am Willen, der meine Sentimentalität überflügeln kann, die mich an diese Begleiter fesselt. Sie schränken meine Bewegungsfreiheit in vielen Hinsichten ein.

Ich wollte noch etwas über buddhistische Kunst lese, bevor wir uns auf die Reise in den Himalaja machen. Bis dahin werde ich auch meine Arbeit etwas einschränken müssen, damit vorher noch alle notwendigen Dinge erledigt werden können. Vielleicht tut mir das mal ganz gut.

Grenzgeschehen

Falk Richter schrieb ein Stück über Europa und seine Einwohner, seine Flüchtlinge, seine Geschichte und sein Meinungsmischmasch. Man sprach über alles, also über nichts gründlich. Aufgeschnappte Meinungen wurden wieder aufgesagt. Dazu tanzte ein Tanzensemble illustrative Bilder über die Flucht und die Integration. Wir sahen gesterm die Premiere in der Regie des Autors. Dieses Gemache auf der Bühne nervte mich und ging mir gegen den Strich. Das Publikum schrie und war begeistert. Conchita Wurst rammte mir an der Bar seinen Ellbogen in den Rücken, aber wir lernten auch eine ältere sehr neugierige Journalistin kennen, die uns Löcher in den Bauch fragte.

Die Theaterwissenschaftlerin schrieb mir etwas über meine Objekte, von denen ich ihr gestern Bilder schickte und stellte Fragen, die ich in der kommenden Woche beantworten will. Mich reizt das Grenzgeschehen zwischen bildender und darstellender Kunst.

Während eines Spaziergangs im Taunus gerieten wir in ein Erntedankfest auf einem abgelegenen Hof, dessen Geschichte ins 11. Jahrhundert zurückreicht. Wir sahen Buchbinder, Schmiede und Schnapsbrenner bei der Arbeit. Wir kauften Kartoffelpuffer, Apfelwein, Flammkuchen, Brot und Gewürze.

Verbatim Theatre

Oben habe ich einen Scan von einem Video von ONE FLAT THING REPRODUCED einmontiert. Dabei reizt mich das Zusammentreffen von den Bewegungen von Jone San Martin und David Kern mit der der Scanneroptik. Zeit bekommt hier eine Bildhaftigkeit zugewiesen, wie ich sie mir im Übergang zwischen unterschiedlichen Universen vorstelle.

Verbatim Theatre nennt sich die besondere Form des Dokumentarischen Theaters, über die ich mit einer Theaterwissenschaftlerin im Foyer des Staatstheaters Mannheim sprach. Sie schickte mir heute eine ausführliche Mail, die mir hilft, meine Herangehensweise an „Frankfurter Kraftfeld“ und „Biografie, ein Haus“, durch das Licht dieser Theaterarbeit erweitert zu sehen. Sie fragt nach dem Aussehen der Objekte, die gerade entstehen. Vielleicht schicke ich ihr ein Werkstattfoto.

Im Schauspiel sahen wir die Premiere eines Doppelabends. Es handelte sich um die zwei Einakter „One for the Road“ und „Der stumme Diener“ von Harold Pinter, in der Inszenierung von Jürgen Kruse. Wir sprachen eine Weile mit dem Schauspieler Isaac Dentler über diese Arbeit. Mit ihm würde ich gerne mal länger über Kunsttechniken reden.

Weil ich gestern in der Kaschemme meinen Brushpen vergessen hatte, begann ich mit Tusche, einem anderen Pinsel und Wasser die Gesichter zu lavieren. Dadurch wird das Ganze räumlich und plastisch.

Farben und Geologie

In meinen zwei Jahre alten Aufzeichnungen las ich über Versteinerungen und Farben als Gegensatz. Die Farben sollten mit helfen, aus einer Starre heraus zu finden. Jetzt schaue ich auf die zarten Übergänge in den Verwischungen der täglichen Buchmalereien und finde dort ein Gegenmittel gegen die Härte übereinander gepresster Schichten der Seelengeologie.

Draußen treiben die Birkensamen im Nordostwind über den Beton und bilden Inseln von gebranntem Ocker. Es ist als würde Sand herangeweht, der die alten Industriestrukturen langsam zudecken wird. Alles, was von den Bäumen auf mein Gärtchen herab fällt ist mit willkommen als weiche Humusschicht für meine Pflanzen. Es blüht immer noch in kalten Wind. Die kletternden Petunien und die Kapuzinerkresse strahlen mit Sommerfarben vor dem kalten Himmelsgrau.

Zum Scherbengericht III zeichnete ich die Splitter mit den Nummern 123, 126 und 129 auf kleine quadratische Einzelblätter mit einer Kantenlänge von 16,5 cm. Eine Größe die meinem Wunsch nach einfacher Handhabung entgegen kommt. Die ersten beiden Reihen von Scherben habe ich noch nicht auf Einzelblätter gezeichnet und frage mich, ob ich das noch machen soll.

Auf dem Zeichentisch liegt ein wenige Zentimeter großes Stück Zinklochband, das ein Mal gefaltet ist. Ein handliches Stück Punktraster, das sich vielleicht für Frottagen eignet. Ich könnte es auseinanderfalten. Je länger ich es anschaue, umso wertvoller kommt es mir vor.

Leuchtend

Die Blätter mit den Nummern 132, 135 und 138 des „Scherbengerichtes III“ liegen links neben mir auf dem Zeichentisch – leuchtend. Das ausgeformte Relief, das ich in die gestrige Sonne gestellt hatte, ist fast trocken. Nun steht es gemeinsam mit einer Maskenform auf der Heizung, die ich gerade angeschaltet habe.

Um Zehntelschritte steigt die Temperatur nun von 14 Grad in eine angenehme Wärme an, in der ich gut arbeiten kann. Das war nicht immer selbstverständlich hier, in den Wintern ohne Heizung.

Am Abend zeichnete ich wieder an der Wand und spielte mit den „Insassen“ des „Rebstockimbiss“ das Spiel “Wo ist mein Portrait?“. Es sind nun so viele Gesichter entstanden, dass ich jemandem, der nachfragt, eines zuweisen kann, das ihm so einigermaßen ähnlich sieht. Ich werde dadurch, dass ich mit meiner Arbeit an diesen unwirtlichen Ort gegangen bin, reich belohnt. Es handelt sich diesmal um kein didaktisches Werk, mit dem ich kunstfernen Menschen meine Arbeit näher bringen will. Ich räume lediglich zwei Dingen meiner Arbeit Platz ein: dem abgebildeten Gegenstand und den Reaktionen darauf. Ab und zu verschwinden die Gesichter in Strukturen, mit denen ich sie lustvoll in den Hintergrund dränge. Damit kann ich noch eine Weile weiterspielen.

Für heute habe ich mir nur Aufräumen, Kontaktpflege und Staubsaugen vorgenommen. Ein wenig Ordnung im Chaos.

Gesichter | Splitter | Shiva

Die Sonne wärmt das Atelier. Es sind fünfzehn Grad und draußen acht. Noch vor ein paar Tagen verkroch ich mich hier im Schatten.

Gestern nach der Tagebucharbeit, zeichnete ich vier Blätter zum Scherbengericht III. In der dreizeiligen Aufreihung der Splitter auf der Rolle 6, fing ich in der mittleren Reihe, hinten bei der Nummer 151 wieder an, ein Geduldsspiel. Dann modellierte ich das Relief Nummer 2 von Nathalie in der Reihe Biografie fertig. Jetzt könnte die Form gegossen und mit dem Ausformen dieses zweiten Motivs begonnen werden.

Ein weiteres Exemplar, das siebzehnte des ersten Reliefs, schaffte ich nicht mehr, habe aber alles bereit, um gleich damit anfangen zu können.

Vinzenz schrieb, dass er am ersten November in mein Atelier kommt. Das ist eine gute Sache.

Am Abend zeichnete ich, eingebettet in Gesichter, die Figur des tanzenden Shiva auf die Wand der Kaschemme. Drei Stunden in Rauch, Lärm und schlechtem Licht. Heute werde ich das Ganze noch ein wenig nachbessern. Die Modelle für die vielen Gesichter sitzen an den Tischen oder stehen an den Glücksspielautomaten. Die Physiognomien passieren den Filter meiner Bildproduktion. Wenn jemand danach fragt, ob ich ihn gezeichnet habe, dann kann ich auf irgendeinen Kopf zeigen, der ihm ähnlich sieht.

Regen | Lärm | Trauben

Das Geschrei der Ostdeutschen am Tag der Deutschen Einheit in Dresden, ist mir unangenehm. Vier- fünfmal so hoch wie im Westen, sei die rechtsextremistische Gewalt im Osten, meinte Wolfgang Thierse. Das schrieb er, Freund klarer Worte, den Beschwichtigern ins Stammbuch. Danke!

Die Weinberge des Rheingaus hängen noch schwer voller süßer Trauben. Als Wanderer auf den wegen der Winzer muss man sie kosten. Oben von Nierstein aus, hat man einen weiten Blick vom Taunus über die Skyline der Stadt bis zu den Auen des Kühkopfes. Viele blaugraue Regengardinen zogen über die Landschaften hinweg. Eine erwischte auch uns, und unser kleiner Schirm half zwar ein wenig, aber die Beinkleider waren durchnässt.

Ansonsten ist es ziemlich laut dort. Neben den Erntemaschinen, dröhnen die schweren Dieselmotoren der Schiffe, die der Eisenbahnen, zwischen den Reben knallen die Schreckschussanlagen, die die Vögel von den Trauben fernhalten sollen und große startende Maschinen ziehen über den Wolken in die Ferne.

Nun ist es kühl im Atelier. Die Heizung ist noch nicht angesprungen, obwohl das Thermometer am Morgen lediglich elf Grad zeigte. Und endlich hat es in den letzten Tagen reichlich geregnet. Die Wiese treibt noch einmal, die Birke hat so viel frisches Grün, wie in einem weiteren Frühling und die Eidechsen sind verschwunden.

Ich denke an den tanzenden Shiva.

BIRDLAND

Im Nationaltheater Mannheim hatte gestern „Birdland“ von Simon Stephens seine Deutsche Erstaufführung. Die Übersetzung wurde nach der Premiere allgemein gelobt, und das Werk bekam großen Applaus, als das Licht ausgegangen war. Eine schöne Inszenierung, der hoffentlich noch viele weitere folgen werden.

Vorher waren wir mit Simon und Nils bei einem Italiener. Ich erzählte ihnen von meinem Scherbengericht und wir sprachen auch über den Dokumentarfilm „Skeleton Tree“ zum gleichnamigen Album von Nick Cave mit den Bad Seeds.

Die Premierenfeier fühlte sich, seit langem wieder, wie ein Familientreffen an. Eine Theaterwissenschaftlerin erzählte von ihrem Forschungsprojekt, das sich mit einer speziellen Form des dokumentarischen Theaters beschäftigt. Dabei geht es um Interviews, die Schauspieler mit Menschen durchführen, die sie danach auf der Bühne darstellen werden. Mir erscheint diese Herangehensweise passend für die Zusammenarbeit zwischen Künstlern und benachteiligten Jugendlichen. Ich will mich weiter damit beschäftigen, um das nutzbringend für eine Initiative einzubringen, zu der ich eingeladen wurde.

Dann eine Nachfahrt über die schwarze Autobahn nach Hause.

Gewalt

Sonntagnachmittag

Birkensamen fliegen wie Insekten durch das Sonnenlicht, führen leuchtend vor Schattenwänden im Westwind, einen wilden Tanz auf. Das sechzehnte Relief steht draußen in der Form zum Trocknen in diesem Gestöber.

Ich schaue mir traditionelle Skulpturen des tanzenden Shiva an. Etwas uninspiriert zeichnete ich gestern an der Wand, auf die ich auch ihn darstellen will. Zerstörerisch allerdings erwiesen sich gestern eher die Würfelspieler. Sie droschen den Lederbecher mit den Würfeln auf den Tisch und schrieen dazu durcheinander herum. Mir gelang es kaum, mich zu konzentrieren, und ich gab nach einer halben Stunde auf.

Die düsteren Collagen bedienen sich aus den Buchmalereien und dem Scherbengericht, als wollten sie die zerstörerische Gewalt abwehren, die mich umgibt: Lärm der Baustellen, Geschrei der Trinker und ein Verkehr wie Sturm.

Gestern Abend im Schauspiel sahen wir eine Karaokeveranstaltung. Je mieser die Gesangsvorführungen waren, umso frenetischer tobte der Applaus. Unwirklich würdelos war das Ganze. Die sich auf der Bühne entblödeten, wurden gnadenlos vorgeführt. Wir hatten das Gefühl, im falschen Film zu sein und verließen die Veranstaltung vorzeitig.

Shiva

Nach einer regnerischen Nacht, ging ich am Nachmittag durch den leicht verwehten Niesel ins Atelier. Wenn ab und zu ein wenig die Sonne herauskäme, wäre dies mein Lieblingswetter.

Zwei Stunden Wandzeichnung gestern in der Kaschemme. An einer etwas versteckten Stelle entstand ein kleiner tanzender Shiva, zur Probe. Den möchte ich im Zentrum des ganzen Bildes größer zeichnen, umgeben von hunderten Gesichtern, Figuren und Tieren. Ich entwickle ein Bild der Weltzerstörung, von der ich an diesem Ort umgeben bin. Man bekommt einen Begriff, wie das Bild aussehen wird, wenn es fertig ist. Mona Lisa macht währenddessen die Bierflaschen auf.

Joana fertigte Dreiecksgittermodelle an, von denen wir ihr dann zwei Stäbe ins Kraushaar steckten. So entstanden Skulpturen, die auf dem Kopf zu tragen sind. Das wurde für die kommende Ausstellung fotografiert. Noah zeichnete gleichzeitig zylindrische Körper.

Vinzenz habe ich eingeladen, in meinem Atelier zu arbeiten. Er sagte zu. Ich hoffe, dass dann ein etwas anderer Geist hier einzieht – eine Erneuerung… Vielleicht arbeitet er auch mit den Kunstschülern.

Scherben | Wanderung

Scherben um mich herum. Die auf der Transparentpapierrolle 6 und die auf den Blättern 3,6 und 9, die gestern zum Scherbengericht entstanden sind. Für die Buchmalereien hatte ich mir Ruhe verordnet, kein Blick auf die Uhr sondern einfache Konzentration auf diese neuen konkreten Linien unter den Verwischungen. Auch an der gestrigen Collage hatte ich länger probiert. Wegen eines anderthalbstündigen Gesprächs am Nachmittag ist gestern auch kein Relief entstanden. Außerdem arbeitete ich auch an der Wandzeichnung nicht weiter. Den Zeitdruck drosselte ich also deutlich.

Zeit hatte ich deswegen für ein Telefonat mit dem Historischen Museum, um mich nach meinem Entwurf für „TRIXEL PLANET“ auf der Frankenallee und auf dem Bahnhofsvorplatz zu erkundigen. Bei dieser Gelegenheit erkannte ich, dass es von 1997 bis in die Gegenwart eine lückenlose Kontinuität der Beschäftigung mit menschlicher Wanderung gibt. Das geht deutlich bis in das Projekt „Biografie“.

Der Diskussion über Erinnern und Gedenken im Historischen Museum sehe ich mit Gespanntheit entgegen. Es wäre ein Anlass, wieder Aleida Assmann zu lesen.

Gerade habe ich noch mal die Stimmigkeit der Linien des Reliefs überprüft, dass nun in 15 Exemplare vervielfältigt ist. Wir werden heute, während des Biografieworkshops mal ausprobieren, wie die Dreiecke mit den Ornamenten an ihren Kanten zusammenpassen.

TRIXEL PLANET | Kraftfeld

Trotz eines Tagesbesuchs sind ein Relief, drei Blätter zum Scherbengericht und ein gutes Stück Wandmalerei entstanden. Ein Paar hat eine Beziehung zueinander aufgenommen. Ein Dritter versinkt in grauem Hintergrund, eine Umkehrung von Munchs Eifersuchtsthema, bei dem der Betroffene im Vordergrund steht. Solcherlei Zuordnungen gab es vorher noch nicht. Sie sind nur zufällig entstanden. Ich weiß auch nicht, ob es der richtige Weg wäre, diese Linie weiter zu verfolgen.

Zu einer Diskussion um das Gastarbeiterdenkmal bin ich in das Historische Museum eingeladen worden. Das ist sehr freundlich. Allerdings sind Teile meiner Entwürfe, die ich allesamt dorthin gebracht habe, nicht da. Da muss man noch mal genauer nachschauen. Nach einer Umarbeitung des Materials für ein kreisrundes Bodenmosaik auf dem Bahnhofsvorplatz, habe ich, wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, alles wieder zurück ins Museum gebracht.

Bei der Gelegenheit habe ich mal in meinen Dateien zum „TRIXEL PLANET“ nachgeschaut und so viel Material entdeckt, dass es sich tatsächlich lohnen würde, daraus mal eine Ausstellung zu machen. Das Gesamtprojekt hat sich ja dann zum Frankfurter Kraftfeld weiterentwickelt, an dessen Struktur ich ja auch mit dem Projekt „Biografie – ein Haus“ weiterarbeite.

Herr Bruni, der Initiator des Gastarbeiterdenkmals, hat mir damals deutlich zu verstehen gegeben, wie sehr er sich dafür einsetzen würde, dass mein Projekt nicht umgesetzt wird. Er hat es als „Machwerk“ bezeichnet.

Parallele Stile

Am Wandbild zeichne ich nun schon seit Anfang dieses Monats. Am Beginn waren das noch ganz zaghafte Versuche. Die Zeichnungen waren klein und mit dünnen Strichen gezeichnet. Jetzt steht mir wieder ein größeres Arsenal an Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung. Ich habe mich in eine Mischung von alter Hochschulkonvention und Theatermalerei eingearbeitet. Die Mittel sind also eher konservativ und haben nichts mit dem gemein, was ich in den letzten Jahren an Bildsprachen entwickelt habe.

Folgerichtig existieren das „Scherbengericht“, die Buchmalereien und „Biografie, ein Haus“ dazu parallel.

Zum Scherbengericht sind gestern die Blätter mit den Nummern 21, 24 und 27 entstanden. In die Collagen eingesetzt wirken sie zusammen mit den Verwischungen der Buchmalereien fremd. Die Buchmalereien sind aber derzeit auch einer Wandlung unterworfen. Durch die konkreten Strukturen, werden die weichen Farbübergänge gestört. Daraus entsteht wieder die Spannung, die auf den ersten Blick funktioniert. Das kommt von der Wandzeichnung.

Mit der Vehemenz des Wandzeichnungsvorganges scheine ich an eine Grenze zu stoßen. Die Reaktionen der Insassen der Trinkeranstalt sind zwar euphorisch, manche verstummen aber schon vor der Lawine an Charakteren, Figuren und Tieren. Die Körper sind wie bemalt und tätowiert. Ein Übermaß an Information. Ich lasse es aber einfach laufen und frage nicht danach, ob weniger vielleicht mehr wäre. Mein Spaß steht im Vordergrund.

Geflecht

Das bildnerische Pensum gestern strapazierte. Die Buchmalereien nehmen neue konkretere Strukturen auf, die von der Wandzeichnung beeinflusst sind. In der Flut der gegenständlichen Formen, insbesondere Gesichter, entdecke ich eine lange vernachlässigte Freude am Erfinden von Charakteren. Vielleicht hat das mit einem Vorgang der Reinkarnation zutun, den ich beim Scherbengericht anstrebe. Seine neuen Splitter folgten einer Bestandsaufnahme der gesamten Nummerierung, die stimmig sein muss, wenn ich die Scherben wieder zusammensetzen will.

Am Abend zwei Stunden Wandzeichnung gegen den Lärm der Baustellen und der Trinker. Eine Herausforderung für das konzentrierte Zeichnen der ineinander greifenden Motive. Erstmals habe ich eine größere Figur mit Gesichtern eingekleidet. Dazwischen formte ich über Mittag noch ein Relief aus. Es wird den ganzen Tag benötigen, um zu trocknen. So kann ich mich, anstatt ein weiteres Exemplar anzufertigen, nun um das Einmontieren der Dreiecke in die Gitterkonstruktionen kümmern. Dafür fiel mir in der Nacht eine Lösung ein, die ich heute ausprobieren will.

Die Heldenbilder von Baselitz sprechen immer noch mit mir. Ihre sich auflösenden Konturen haben mit meinem bildnerischen Denken zutun.

Die Tagebücher sind eng mit meinem entstandenen Werk verbunden. Es wird durch sie katalogisiert und die einzelnen Arbeiten werden in einen Zusammenhang gebracht oder eingeordnet. Somit sind beide Stränge der Arbeit nicht getrennt voneinander zu sehen, verlieren Informationsgehalt und Wert, wenn sie getrennt werden.

Lärm im Wimmelbild

In die stagnierenden Buchmalereien ist nun frischen Wind gekommen. Der weht von der Wand mit den vielen Gesichtern und Figuren her. Ich zeichne konkretere Formen, die von Gegenständen, Figuren und Köpfen herkommen, und verwische sie dann.

Gestern Abend arbeitete ich eine Stunde an dem Wandbild, und es entstand viel. Unter anderem ein Beethovenkopf. Mir gehen große Figuren durch den Kopf, die aus vielen Gesichtern bestehen. Das wäre auch nur eine Fingerübung. Sie findet aber in der Öffentlichkeit statt, hinter einer Panoramascheibe auf der Mainzer Landstraße. Nachts, wenn der Laden offen ist leuchtet das Wimmelbild in die Dunkelheit. Autos, Straßenbahnen, Fußgänger, Radfahrer treiben vorüber. Die Situation ähnelt der im Schaufenster des Ladens an der Galluswarte, wo ich eine Transparentpapierrolle zeichnete mit dem Gewusel auf dem Verkehrsknotenpunkt.

Ich frage mich nach dem Antrieb, in dieser Situation zu arbeiten. Ist es ein Ankämpfen gegen den Lärm der Baustellenstadt, ein Ringen um Öffentlichkeit oder ein pädagogischer Ansatz, der zum Ziel hat, das Miteinander in diesem unwirtlichen Raum anders zu gestalten, neue, andere Gäste anzulocken, den ganzen Laden umzukrempeln? Da wäre Vorsicht geboten!

Die großen Figuren, die aus lauter Gesichtern bestehen, sind eine weitere Stufe des Raumexperimentes.

Baselitz

Junge Flüchtlinge reden leise miteinander in fremden Dialekten in der Sonne auf unserer Wiese. Warme Töne, warmes Licht, spätsommerlich.

Im Städelmuseum sahen wie die Heldenbilder von Baselitz. Ich sah die kräftige Malerei in direkter Seelenzwiesprache. Mir kam der Rilketext “Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ in den Kopf, den das Keersmaeker Ensemble bearbeitet hat. Manchmal erschienen mir die Gestalten längs aufgetrennt, zerrissen oder sich in löchrigen Steppdecken auflösend. Wattierte Umrisse in denen noch weitere Figuren zu hausen schienen. Die Gesichter zart und verletzlich.

Auf dem Eisernen Steg traf ich David – bis bald!

Gleich zeichne ich noch etwas in der Kaschemme, mein Arbeitspensum ist gerade so zu schaffen. Ich sollte es reduzieren. Für alles ist zu wenig Zeit.

Dennoch – Sonntag.

Kulturarbeit

Die Wandzeichnung bei Kayo strengt mich immer mehr an, als würde sich irgendein Ungleichgewicht vergrößern. Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht lange an einer solchen Fingerübung bleiben kann, ohne ernsthafter werden zu wollen. So ein unendlicher Spaß ist nicht so sehr meine Sache. Manchmal zieht mich auch das Gequatsche der alten, alkoholisierten Männer runter, die sich im Satz dreimal widersprechen, um wieder am Anfang anzugelangen. Dann wird es schwieriger, konzentriert und erfindungsreich zu bleiben. Aber die Leute dort sind meine Modelle.

Wieder wurde ich zu einer Arbeit im Kulturleben der Stadt eingeladen. Das zuständige Dezernat scheint nun die Prioritäten abzustecken. Wenn ich dabei eine Aufgabe bekomme, bei der ich meine Erfahrungen in die Waagschale werfen kann, sage ich gerne zu. Es soll um längerfristigere Zusammenarbeit zwischen Künstlern und benachteiligten Jugendlichen gehen. Da bin ich Experte. Mittel werden sowohl für die Jugendlichen, die Stipendiaten werden sollen, als auch für ihre Begleiter zur Verfügung gestellt.

Mit Noah verbrannte ich gestern etwa die Hälfte des getrockneten Gartenschnitts des vergangenen Sommers. Wir redeten lange über die Fragen, die uns gerade besonders interessieren. Am meisten beschäftigt ihn derzeit der US-Wahlkampf. Nicht schlecht für einen Sechzehnjährigen…

Ich lese in alten Tagebücher über die DDR-Zeit, wodurch es mir manchmal kalt den Rücken runter läuft.

Nährflüssigkeit und Licht

4 neue Splitter des Scherbengerichts und ein trocknendes Relief sind die Ausbeute von gestern, wenn ich von den Buchmalereien und von der täglichen Collage absehe. In dieser finden sich Scherben, Buchmalereien und Wandzeichnungen zusammen. Das war gestern,

Jetzt liegt rolle 6 vor mir mit dem ganzen Material zum Scherbengericht. Die Sonne kommt quer rein, das Rolltor ist oben, trotz des kühlen Morgens. Fürs heutige Essen habe ich schon eingekauft.

Keine Wandzeichnung gestern. Monologe und Pizza bei Pietro. Danach der Dokumentarfilm „Eight Days a Week – The Touring Years“ über die frühen Jahre der Beatles bis 1966. Da war ich zwölf Jahre alt. Die späteren Jahre hätten mich mehr interessiert, der Einfluss von George Martin insbesondere. Im Abschluss war ein restaurierter Film eines Stadionkonzertes mit 56.000 Zuschauern in Amerika zu sehen. Alles sehr nett und amüsant…

Wenn ich die gestrigen Blätter des Scherbengerichtes mit ihrer schwarzen Nährflüssigkeit um die Splitter stapele und gegen die Sonne halte, verschmelzen sie mit dem Universum und beginnen den Inkarnationsvorgang. Vielleicht nehme ich ein paar Blätter mit in den Himalaja, um sie noch ein Stück näher zu dem Leuchten zu bringen, das die notwendige Energie liefert, damit die Arbeit weitergeht.

Keine Kunst

Nein, die Wandzeichnung ist keine Kunst. Es ist eine spaßige Fingerübung, von der die Trinker glauben, dass sie Kunst ist. Wenn ich daran weiterarbeite kann es irgendwann dazu kommen, dass künstlerische Elemente auftauchen. Jetzt schon werden Hilfslinien zu Kompositionsbestandteilen. Das stammt aus meiner Dresdner Zeit. Derzeit kommen immer mehr Ganzfiguren dazu, die aber kaum in Beziehung zueinander stehen, abgesehen davon dass sie nahe beieinander abgebildet sind. Es kommen mehr Gäste, als vorher. Das hat zur Folge, dass ich immer weniger Ruhe habe, um mich zu konzentrieren. Es kostet mehr Kraft. Sie kommen, weil sie jemandem beim Zeichnen zuschauen können, um zu beobachten, wie das Bild wächst und dichter wird. Und die vier Baustellen, die direkt an den Gustavsburgpark stoßen, entfachen einen Lärm, den die Trinker nicht überbieten können. Jemand bot mir an, mit dieser Art Zeichnungen Mode zu machen. Da hat er den Nagel auf den Kopf getroffen. Für so etwas eignen sie sich.

Gerade hatte ich Besuch von jemandem, der in der Sächsischen Schweiz wandern war. Ich zeigte ihm die gerahmte Zeichnung sächsischer Felsen von 1976, die hier im Atelier an der Wand hängt.

Der Rückzug ins stille Atelier ist ein Seelensegen. Gerade zählte ich fünf Eidechsen in meinem Gärtchen. Sie finden sich im Lochziegel langsam zu einer Wohngemeinschaft zusammen.

Drei weitere Blätter sind zum Scherbengericht entstanden und das dreizehnte Relief steht zum Trocknen in der Morgensonne.

Fleißig, fleißig.

Fingerübung

Die Gesichter und Figuren, die ich bei Kayo zeichne, gehen mir nach. Erwache ich nachts, stehen sie vor meinen Augen. Gestern zeichnete ich insgesamt 4 Stunden auf diese Wand, bis spät in den Abend. Neben dem Gewusel der vielen Köpfe, habe ich begonnen Figuren zu zeichnen, die mit beiden Beinen auf dem Boden stehen, mit den Armen und Händen gestikulieren oder tänzerische Haltungen einnehmen. Davon hätte ich nun gerne mehr. Vor allen würde mich Tanz interessieren.

Immer mal höre ich die Gesangsschleife von Forsythes Quintett. Im Gegensatz zu meiner Erinnerung, ist die Stimme von einem reichen Instrumentalensemble begleitet. Manchmal singe ich es tagsüber leise vor mich hin.

Am Nachmittag stellte ich Pappmache her und formte ein Reliefexemplar aus, das zwölfte. Kein Scherbengericht gestern. Alles schiebt sich dicht zusammen. Wenig emotional gehe ich mit den Buchmalereien um. Sie sind die derzeitigen Stiefkinder.

Oben habe ich nun etwas von der Wand in die Collage gesetzt. Ich überarbeitete diese Partie schon wieder, so dass es diesen Bildausschnitt nicht mehr in dieser Form gibt. Über den Stellenwert dieser Fingerübung in der Kaschemme, bin ich mir noch nicht so recht klar. Aber es macht Spaß.

Quintett

Das Forsythestück, zu dem die Melodie gehört, die mir gestern immer deutlicher in der Erinnerung erschien, heißt „Quintett“ und stammt aus dem Jahr 1993. Gestern sah ich mir einige Videos dazu an. Es sollte der letzte Liebesbrief an seine Frau sein, die ihn aber mit 33 Jahren todkrank, nicht mehr sehen konnte. Auch ohne diese Information fand ich das Stück immer herzzerreißend, auch wegen seines Gesangs.

Drei Einzelblätter, die gestern zum „Scherbengericht III“ entstanden, liegen auf dem Tisch. Sie tragen die Nummern 67, 70 und 73 und sind noch nicht beschriftet. Ihr quadratisches Format besitzt eine Kantenlänge von 16,5 cm. Die Blätter sind schnell gemacht, was für eine Kontinuität sorgt, die auch in Situationen gewährleistet bleibt, in denen sich andere Dinge in den Vordergrund drängen. Ich variierte den Vorgang, den Schelllack aufzutragen, lockerte das Ganze etwas.

Das scheint der Einfluss der Tuschezeichnungen zu sein, die derzeit beginnen, die Innenwand der Kaschemme immer dichter zu bedecken. Rundherum ist die Hölle los. Die drei Grußbaustellen, die sich seit Monaten dort treffen, stoßen nun auf Gleisbauarbeiten, genau vor den großen Panoramafenstern. Lärm und Gewalt rundherum. Manchmal bin ich nur ein Stündchen dort, trinke eine Limonade und zeichne ein paar Gesichter. Dabei kommt es immer häufiger vor, dass ich ältere Zeichnungen überarbeite, um sie dem neuen Strich anzugleichen.

Anna Teresa De Keeresmaeker

Anna Teresa De Keeresmaeker zeigte gestern im Mousonturm eine Performance mit dem Text: “Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ von Rainer Maria Rilke. Dabei waren die Flötistin Chryssi Dimitriou und der Tänzer Michael Pomero. Gegangen, Gespielt und Getanzt wurde auf einem, mit Schlämmkreide beschichteten und getrockneten Tanzboden, wodurch von Anfang an alle Bewegungen am Boden sichtbar wurden. Am Ende schien an wenigen Stellen das Schwarz des Tanzbodens durch. Man kann sich alleine mit diesem Gestaltungsmittel eine Weile beschäftigen, den es haftete im Verlauf des Abends an den Kostümen, den Haaren und an der Haut der Darsteller. Und mit fortschreitender Zeit des gut einstündigen Abends, hatte man das Gefühl, dass die Luft schwer wurde vom Staub der Bühne. Es kam eine Sehnsucht nach Farbe auf im allgemeinen Grau der Gesamtausstattung. Die kam dann auch am Schluss. Rote Beleuchtungsfolie besiegelte das Ende, den blutigen Tod des Soldaten. Die Klarheit, mit der der Abend geformt war, die nachdrückliche Konzentration und Ernsthaftigkeit hatte einen hohen Grad von Schönheit.

Am gestrigen, frühen Nachmittag zeichnete ich noch in der Kaschemme Gesichter an deren Wand. Immer wieder komme ich währenddessen mit den Gästen darüber ins Gespräch. Der Strich lockert sich immer weiter, was der Arbeit gut tut. Manche schauen mir beim Zeichnen zu, als würden sie mitlesen oder fernsehen.

Stück für Stück nähere ich mich in meinem Kopf der Melodie einer Gesangsschleife, die in einem Forsytheballettabend ablief. Anstoß zu dieser Erinnerung war mir der Gesang von Nick Cave.

Revierverhalten

Jemand schreibt seinen Namen und „…was here“ unter meine Zeichnungen an meiner Kaschemmenwand. Ich habe ihn schon zur Rede gestellt. Ein respektloser Mensch und der Bruder des Betreibers. Mit Wut im Bauch übermalte ich gestern mit groben Strichen seine ungelenken Schmierereien. Dies ist die Schattenseite des Raumexperimentes, aber der erste Widerstand, der sich dort regt, ein Revierverhalten. Gleichzeitig bedeutet es auch eine gestalterische und emotionale Herausforderung…

Eine anregende Ausstellungseröffnung von Collagen, die Franz zusammen mit einem Wiesbadener Künstler gemacht hat, der sich Brandstifter nennt. Es handelt sich um 70 zusammengeklebte Zeitungsausschnitte, die teilweise überzeichnet sind.

In der Mitte auf einem schwarzen Postament steht ein kleiner schwarzer Phonowürfel, aus dem ein vierstündiges improvisiertes Stück der beiden Künstler tönt, das sie mit einem alten Kassettenrecorder aufgenommen haben. Wir fühlten uns wohl.

Schwungvoll gingen mir gestern die Buchmalereien von der Hand, bevor ich mich der Wand von Kayo zuwandte. Vielleicht gehe ich gleich noch mal kurz rüber, um ein wenig zu fotografieren und weiter zu zeichnen.

Pensum

Im Spalt zwischen meiner Stahlateliertür und ihrem Stahlrahmen steckte ein etwas knittriger Zettel von Franz, der sich mal wieder aufgemacht hatte, um auf Verdacht bei mir vorbei zu kommen. Aber wenn wir uns zunächst auch verpasst haben, sehe ich nachher eine Vernissage von ihm und einem befreundeten Künstler, mit dem er manchmal zusammenarbeitet.

Ein größeres Pensum an Gesichtern leistete ich gestern wieder mit meinem Tuschepinsel in Kayos Spelunke ab. Langsam wird das Ganze lockerer. Die Gesichter entstehen aus einer schnellen Pinselstruktur, die zunächst abstrakt ist und dann den Eingebungen der Gegenständlichkeit folgt.

Ich dachte, ich könnte ein großes Gesicht, das jetzt schon in den Benutzungsspuren der Wand vorhanden ist, aus vielen kleinen Gesichtern zusammensetzen.

Mit Joana sprach ich gestern, dass wir Dreieckgittermodelle als Schmuck für ihren Kopf bauen sollten. Dort hinein könnte sie dann Möbiusbänder mit ihrer Geheimschrift einmontieren. Das würden wir dann mit verschiedenen Ansichten ihres Kopfes fotografieren. Ich greife damit auf die Idee eines äthiopischen Künstlers zurück, auf dessen Kopfskulpturen mich Vinzenz aufmerksam gemacht hatte.

Nathalie modelliert an ihrem Relief, dessen 12 Abgüsse für das zweite Objekt bestimmt sind.

Raumexperiment

Der Morgen ist sanft, kein hartes Licht, wolkig, niedrigere Temperaturen. Meine Augen trinken die Farben der gestrigen Buchmalereien. Ich lasse das Rolltor unten. Das macht geschütztere und konzentriertere Arbeit möglich. Alles soll etwas reibungsloser laufen an diesem Morgen, denn nachher kommen die Kunstschüler mit den Flüchtlingen. Ich überlege ein vegetarisches Essen. Kartoffeln mit Frühlingszwiebeln und Kichererbsen. Und ich überlege, wie ich die alte zusammengeschweißte Truppe mit den Neuankömmlingen zusammenbringen kann.

Jemand interessierte sich für meine Arbeit, für meine Herkunft und dafür, wie die Gemeinschaft auf Teves entstanden ist. Während eines Festivals soll es eine Stadtbegehung geben, die sich mit Gruppen beschäftigt, die für ihre Umgebung arbeiten.

Am Abend schauten wir uns bei Kayo meine Zeichnungen an den Wänden an. Mein Antrieb sind dabei nicht nur meine Erzählfreude und das Feedback, das sofort und ungefiltert kommt, sondern der Ehrgeiz, diesen besonderen Ort besonders auszustatten, ihn dadurch zu erhalten – gegen die Investitionswut und das Diktat des Geldes. Ich spüre rund um meine dortige Tätigkeit eine Verbesserung der Stimmung. Vielleicht ist es auch möglich, sich dort mal mit anderen Leuten zu treffen. Die Wertschätzung aber, die ich den an diesem unwirtlichen Ort beheimateten Menschen entgegenbringe, bekomme ich sofort zurück. Gleichzeitig wird der Raum auch emotional verändert. Er füllt sich mit all den Schicksalen, die sich hinter den gezeichneten Gesichtern befinden. Ich kann die Freude, die ich bei dieser Arbeit empfinde, durch das Zeichnen sofort weitergeben. Das ist alles, was ich gegen die zunehmende urbane Aggressivität tun kann.

Mimik

Langsam komme ich mit dem neuen, von mir zusammengestellten Aquarellstiftsortiment, für die Buchmalereien, aus neun Farben besser zurecht. Die Unausgewogenheit der Auswahl stellt mich vor Farbkompositionsprobleme, die ich nur mit Mühe beheben kann.

Das Scherbengericht läuft unaufgeregt weiter. Zwischendrin kann ich schnell drei Blätter zeichnen. Ich entferne mich etwas davon, weil sich die Bemalung der Wand als Erlebnis in den Vordergrund schiebt.

Mittlerweile geht es da insbesondere um Gesichter, die teilweise drastisch ihre Geschichten erzählen, bzw. von den Betrachtern, also den Kaschemmenbewohnern verlangen, sich die Geschichten hinter den Zeichnungen auszudenken. Mimik hat mich in der letzten Zeit nie beschäftigt.

Die Wut

Das Pokerface

Die Trauer

Die kleine Freude

Der Hochmut

Die Angst

Der Ernst

Die Frage

Das Forschen

Das Staunen

Die Skepsis

Der Spott

Die Wand der Kaschemme

Nun wechselte ich die Farbpalette für die Buchmalereien. Gestern, wie auch heute, kam ich mit ihr noch nicht zurecht. Zu groß ist der Sprung von der vorhergehenden gedeckten Farbigkeit in diese lauten Töne.

Den Vormittag beendete ich in Kayos Kaschemme. Dort zeichnete ich die Bäume mit dem Vogelschwarm auf die Wand. Zwischen den Baumstämmen erstreckt sich nun eine weite Landschaft, über deren Horizont sich ferne dunkle Bergspitzen erheben. Sie treffen mit den, von den unteren Ästen nach unten zeigenden Schnabelspitzen zusammen.

Nachmittags formte ich das neunte Relief aus, das sicherlich am Nachmittag schon soweit getrocknet ist, dass es Platz für Nummer Zehn macht.

Am Abend zeichnete ich wieder an Kayos Wand. Manchmal schaue ich dort in etwa zehn Jahre alte Tagebuchtzeichnungen, um vielleicht Ideen von dort herauszutransportieren. Aber ich merke, dass die Wand eine andere Dynamik hat. Sie ist vielmehr mit der dortigen Atmosphäre verbunden. Die Tagebuchzeichnungen kämen mir da eher fremd vor. Vielleicht aber wird es sich ergeben, dass diese vielen Figuren in ein Geflecht geraten, das den Strukturen meiner älteren Zeichnungen ähnelt. Dann nehme ich die Besatzung der Kaschemme mit auf diese Reise. Von außen schaut man nun in der Nacht von der Mainzer Landstraße aus auf diese beleuchtete Menagerie. Sie besteht aus mondänen Damen, Halunken, DJ`s, Serviererinnen, Matrosen, Folkloreköniginnen, Liebepaaren und Mischwesen. Etliche Gesichter verstecken sich in den Wirbeln der Pinselschwünge. Sie bilden die hoffnungsvolle Struktur, die das ganze weiterentwickeln kann.

Wände voll Zeichnungen

Draußen, im heißen Morgenlicht trocknet das achte Exemplar des ersten Umarmungsornamentes in seiner Form. Die Hälfte der zwanzig benötigten Reliefs sollte in dieser Woche fertig werden. Das ist eher eine Pflichtübung zur Vervollständigung der Verwirklichung der konzeptionellen Vorgabe.

Nachdem ich das Rolltor hochgezogen und die Stahltür, die nach Westen hinaus führt, geöffnet habe, sinkt die Temperatur des lichtgefluteten Raumes auf 24 °. Am Nachmittag dann, verflüssigen sich die Gedanken und der Orientierungssinn schwindet. Gläser werden umfallen, Möbel angerempelt und Zeichnungen werden verwackeln. Die Umrisse der Splitter des Scherbengerichtes verschwimmen zwischen den Tuschsee und dem Schelllackmeer. Die drei Scherben von gestern liegen in ihrer „Nährflüssigkeit“ auf dem Zeichentisch, der nun auch von der Sonne erreicht wurde. Sie sind mit Titeln und Datum versehen, nummeriert und signiert. Jetzt kommen sie in die „Wartekiste“.

Ganz anders als ein Pflichtprogramm, erweist sich das abendliche Zeichnen bei Kayo in der Kaschemme. Neben einer Giraffe zeichnete ich gestern noch weitere 14 andere Figuren und Gesichter. Ich will nach wie vor kein Bildprogramm, will zeichnen, was mir gerade in den Kopf kommt. Mir fallen Bäume voller Vögel ein, die sich in Schwärmen in den Himmel auflösen. Ich denke an bemalte Masken, die ich zwischen die Gesichter montiere und muss aufpassen, dass ich die Aktion vor lauter Freude nicht übertreibe. Es macht ja Spaß, zwischen den vielen Leuten die Wände voll zu zeichnen…

Der Verlust der Forsythe Company

Jacopo Godani hat mit seiner Tanzcompany „One Flat Thing – Reproduced“ auf siebzehn Minuten verkürzt und den Takt beschleunigt. Der schnelleren Gangart fiel die konkrete Körperarbeit der Forsythechoreografie zum Opfer. Vielleicht dachte er, dass man das bei höherer Geschwindigkeit nicht so merkt. Das Bewegungsvokabular, das Forsythe mit seiner Company jahrzehntelang entwickelt hat, ist aber eine Voraussetzung, das zu tanzen.

Am Nachmittag sahen wir uns noch mal den Film aus dem Jahr 2006 an, mit „unseren“ Tänzern, den Einzelpersönlichkeiten. Mit den Szenen arbeitete ich lang und komme auch jetzt immer wieder auf das zurück, was ich in den 25 Jahren zuschauend, im Bewusstsein, eine besondere Ära zu erleben, gelernt habe. Nun kann ich mir noch mal die Form des Reliefs heraussuchen, in dem ich eine besondere Haltung von Georg Reischel festgehalten und mit anderen Linien verknüpft habe.

Manchmal spüre ich den Impuls nach Los Angeles zu fahren, um dieser Arbeit wieder nahe sein zu können. Diese Nähe des Ballettsaales und der Arbeit im Frankfurt LAB fehlt mir nun sehr. Aber ich nahm mit meiner Arbeit an den Bewegungen teil.

Als kleinen Trost bestellte ich mir den Newsletter der „USC Glorya Kaufman School of Dance“, um noch ein wenig mit dabei zu sein und zu sehen, wie die Lehre nun mit Forsythe geht. Darin liegt nun die Hoffnung, dass sich diese Tanzsprache in der Welt verteilt und nicht verloren geht.

Lear als Königin

In der zweiten Schauspielpremiere der Spielzeit wurde der „Lear“ von einer Königin gegeben, einer Finanzmagnatin in ihrem Alterszerfall. Das Shakespearestück ist von einem belgischen Autor überschrieben worden. Warum man das Stück braucht, wenn es den Shakespearetext gibt? – Diese Frage steht im Raum.

Auf der Premierenfeier blieben wir nur kurz, weil der Abend so lau war. Die Straßen waren voll von Menschen mit Gläsern und Flaschen in ihren Händen. Sie verschmelzen zu einer zusammenhängenden klingelnden Pflanze, die ihre Tentakeln regt und fortwährend brabbelt.

In das Gärtchen vor dem Atelier pflanzte ich noch eine Hortensie. Das flache Erdreich ist von vielen Wurzeln verfilzt und lässt sich deswegen nur schwer aufgraben. So kommt mit neuen Pflanzen auch neue Erde oben drauf. Ich versuche in der Hitze dieser Wochen, immer eine feuchte Atmosphäre zu schaffen. Das lockt die durstigen Bienen, die ich oft, an den Rändern der vielen Wasserbehälter zugast habe.

Bei Kayo arbeite ich meist eher im vorübergehen, auf meinem Weg ins Atelier oder nach Hause. Das zeichnerische Mittel, die kleinen Tuschepinsel, sind noch nicht das optimale Material, mit dem ich die poröse Wand bearbeiten könnte. Die Figuren sind noch etwas steif. Sicherlich wäre es von Vorteil, wenn ich mich von alten Tagebuchzeichnungen inspirieren lassen würde.

Psychopool

Mit den jungen Flüchtlingen habe ich nun mit den ersten Produktionsschritten zu ihrem „Biografiehaus“ begonnen. Handyumrissbilder zeichneten sie auf Transparentpapier und fügten sie schon ornamental in Dreiecksformate ein. Das Prinzip des dreidimensional umlaufenden Ornamentrapports ist begriffen. Außerdem baute einer von ihnen ein erstes Modell von einem Dreiecksgitterobjekt, das nun am kommenden Freitag geschweißt werden kann. Ein Relief haben sie auch schon ausgeformt. Und das alles in einer guten Stunde. Nathalie war schon am Vormittag da und half beim Kochen. Sie begann mit dem Modellieren ihres Umarmungsmotives. Joana schreibt in einer Geheimschrift in ein Buch. Ich bin gespannt, wie das in unserer Ausstellung sichtbar werden kann.

Als Spielzeiteröffnung sahen wir gestern im Kleinen Haus eine Performance zu „Iphigenie“. Ein lackroter Pool war der Ort der meist wortlosen Psychoplanschspiele. Ein junges Regieteam, barbusige Schauspielerinnen, griechische Texthappen und faschistoide Arno-Breker-Posen waren Zutaten zu den Denkspielen, die man vom Publikum forderte.

Diese erste Premiere war ein wenig wie der erste Schultag nach den Ferien. Alle Bekannten aus diesem Zusammenhang waren da und begrüßten sich. Wir trafen nach langer Zeit auch David wieder mit seiner netten Frau und Karlheinz Braun. Mit ihm zu sprechen ist fast immer eine sehr schöne Sache. Während der Premierenfeier saßen wir an einem Tisch und sprachen über das Stück und Nachlässe.

Skeleton Tree

Nach den Aufzeichnungen und Buchmalereien, zeichnete ich gestern noch drei Scherben des Vater-Großvater-Doppelportraits auf einzelne Blätter. Dann war es 11 Uhr und ich hatte noch eine gute Stunde für 5 Figuren an den Wänden von Kayos Kaschemme. Nebenher begannen wir uns über eine Vergütung zu einigen. Es ist nicht so leicht, wie am Abend zu zeichnen, beschwingt von Bier und den Kommentaren der Gäste. Am Nachmittag hatte ich noch zwei Stunden für das zweite Dreiecksgitterobjekt, das ich nun tatsächlich, nach mehreren Anläufen fertig schweißte. Das Relief von Vorgestern konnte ich trocken aus der Form entfernen.

Im Kino sahen wir am Abend den Dokumentarfilm „One More Time with Feeling“ zu den Aufnahmen des Albums „Skeleton Tree“ von Nick Cave. Die grundsätzliche Veränderung in einem Leben, das mit dem Verlust eines eigenen Kindes traumatisiert weiterläuft, war das musikalische Hauptthema. Alle Texte und Interviews spielten direkt und indirekt darauf an. Für mich entstand in meinem Kopf sofort die Beziehung zu „See Wall“ von Simon Stephens.

Heimweg durch das Licht der Baustellennacht. Auf dem S-Bahnsteig warfen uns zwei junge Männer aus Versehen eine riesige, hässliche Keramik eines Delphins vor die Füße…

Ein paar wenige Wolken jetzt am Morgen, die etwas Linderung bringen. Alle Türen und Tore sind offen, Windstille und Ruhe auf dem Gelände. Nach dem Einkaufen werde ich ein vegetarisches Curry kochen. Heute erwarte ich noch vier Flüchtlingsjungs, die sich ohne Eltern oder Verwandte auf den Weg nach Europa gemacht haben. Ihre Biografien werden in unser Projekt eingespeist.

Bildfilter

Blütenfotografien und Kaschemmenzeichnungen sind schon verschickt. Rolltor hoch, denn die Sonne heizt ab sofort ein. In der Wärme steht das sechste Relief, genau im rechten Winkel zu den Strahlen. Ich habe es gestern Abend gerade noch, zwischen zwei Terminen, fertig bekommen.

Die Frage am heutigen Morgen wie an vielen Tagesanbrüchen: „Wie kann ich für alles, was ich machen will, genügend Zeit haben?“. Die Antwort: „Alles in Ruhe tun.“.

Eine ganze Stunde saßen wir gestern Nachmittag in der indischen Visastelle, um Einreisen für Indien und extra noch für Sikkim zu bekommen. Diese Stunde fehlte mir dann für eine Zeichnung an der Kaschemmenwand oder für das Zusammenschweißen des nächsten Objektes, das ich wie ein Stahlflechter auf dem Bau vormontiert habe.

Keine Songs, kein Radio, keine klassischen Kompositionen, nur der Gesang der Tauben und das Rauschen des Universums.

Es ist bemerkenswert für mich, welche Bilder aus meinem Inneren auf der Wand von Kayo landen, denn es gibt einen Filter, der nicht alles herauslässt. Letztlich müsste ich auch hier mit dem Verwischen arbeiten. Vielleicht kommt das aber noch in Form von Lasuren, die ich anwenden kann, wenn die Wand ganz voll ist. Jetzt aber erst mal die Buchmalereien: Chromgelb, Indigo und Orange ins Gleichgewicht bringen.

Erzählen

Die Zeit geht schnell. Und schnell nähere ich mich wieder dem figürlichen Arbeiten. In der Kaschemme von Kayo lasse ich diese Lust raus. Die dreckige, abgeranzte Wand mit Spuren von jahrzehntelanger Nikotinablagerung, Bohrmaschinen, Möbeln und halbherzigen Anstrichversuchen, ist genau das Richtige für mich. Im Rücken habe ich, neben viel Wohlwollen, auch zweifelhafte Kommentare der Trinker und die Stummheit der Automatenspieler. Vielleicht spüren sie, dass die Zeichnungen nichts mit der Enge zutun haben, die in manchen Gesprächen eingeschnürt ist. Während des Zeichnens entsteht eine Erzählfreude, wie ich sie lange nicht mehr erlebte. Diese Arbeit ist wie ein Ventil. Die verschiedensten Figuren treten auf: ein buddhistischer Mönch, ein Katzengeneral und Anke Engelke. Auf einer Klippe steht ein eleganter Herr mit einer großen Nase und schaut einer Meeresschwimmerin nach. Artistisch serviert eine Kellnerin auf einem Tablett ein schmales hohes Glas. Die Zeichnungen stützen sich auf eine Arbeitsweise, wie ich sie bis zum Ende des Jahres 2010 gepflegt habe. Dann lösten sich die Figuren auf, für viele Jahre.

Ich bekam eine Geschichte zugeschickt, die von meinem Wanderungsspurenprojekt inspiriert ist. Und nun soll ich mir überlegen, ob ich Illustrationen dafür mache. Eigentlich bin ich da genau der Falsche. Aber wenn die Figuren, die derzeit entstehen, die Geschichte erweitern können, dann ginge es.

Wieder steht ein Relief in der Morgensonne, das ich gestern ausgeformt habe. Es könnte sein, dass es heute noch trocknet, und ich gleich ein weiteres produzieren kann. Zwanzig werden benötigt und fünf Rohlinge sind schon vorhanden.

Gegenständlichkeit

Olivgrün, Indigo und Sepia sind die Farben, in denen gestern die Buchmalereien entstanden sind. Wandelgänge verwischter Figurengruppen.

Dass die abstrakten Verwischungen plötzlich Figuren in sich tragen, verdanke ich einem gegenständlichen Impuls gestern bei Kayo im Rebstockimbiss. Wie ich schon am 28.08. notierte, interessieren mich dort die Benutzungsspuren an den Wänden. Auch sie tragen Figuren in sich. Manchmal saß ich eine Weile vor ihnen und sah die ganzen Gesichter und Personen, die sich dort verstecken. Gestern nahm ich mir einen Pinsel mit einer Tuschepatrone und zeichnete spontan auf die Wand, was ich sah. Sichtbar wurden Köpfe, Figuren und Vögel im Sturzflug, mondäne Frauen und traurige Männer, gewalttätige Gesichter und böse Schwiegermütter. Danach stellte ich mir vor, wie sich im gezeichneten Zigarettenrauch immer mehr Figuren entwickeln, wie sie durcheinander wuseln und immer neu überlagernd erscheinen, wie bei den Animationen von Kentridge.

Zuvor schweißte ich vergebens an der nächsten Gitterstruktur. Die vorgefertigten Teile, waren in falschen Winkeln zusammengefügt. Ich muss noch mal von vorne beginnen und ein paar gleichseitige Dreiecke vorfertigen, um sie dann zunächst mit Bindedraht provisorisch zu der Figur zusammenzusetzen, die wir entworfen hatten.

Außerdem formte ich ein Relief ab, das nun in der Morgensonne trocknet. Die Beschäftigung mit den Möglichkeiten der Befestigung der Reliefdreiecke in den Dreiecksgittern bringt mich langsam dahin, das wieder mit den Klammern zu machen, mit denen ich schon so viele Objekte zusammengefügt habe.

Bunt und symmetrisch

Durch schnelles Gehen komme ich durchgewärmt ins Atelier. Auf dem Furnier der Schreibplatte des Sekretärs entdecke ich, mit einem Kugelschreiber durchgedrückte, Zahlen und Buchstaben. Es gibt das Wort: „esmerion“. Die Handschrift ist recht groß und ausgeschrieben – von einem älteren Menschen. So liegen also kleinere Geheimnisse aus Zahlenkombinationen und fremden Wörtern unter meinem schwarzen Buch.

In der Alten Oper sahen wir gestern „Porgy and Bess“. Dekoration, Kostüme, Maske, Requisiten und Choreografien waren historisierend. Die Inszenierung war im Zuschnitt auf das Zielpublikum, das erschienen war, bunt und symmetrisch. Dirigent, Orchester, Solisten und Chor musizierten, soweit ich das beurteilen kann, perfekt. Manchmal, wenn die schwarzen Darsteller Klischees der unterprivilegierten schwarzen Schichten bedienten, ging es auf der Bühne etwas derb zu. Das erinnerte an die Form der Minstrelshows. Am Schluss war dann alles gesagt und gesungen, und man konnte beruhigt in die S-Bahn steigen.

Das Relief, das ich am vergangenen Freitag mit meiner Besatzung ausformte, habe ich gerade aus der Form genommen. Heute soll ein weiteres entstehen. Die Formmasse war etwas zu flüssig, weswegen sich der Trocknungsvorgang etwas in die Länge zog.

Außerdem werde ich heute alleine am zweiten Objekt weiterschweißen. Kann nicht immer auf Paulo warten.

Performance – Zirkus

Nach einem langsamen, verregneten Vormittag schaue ich auf die Pflanzenfamilie, die meine, vielleicht 500 Quadratmeter große, Wiese bildet. Sie haben mehr Durst, als der wenige Regen hergab. Drei Tage Niesel wären optimal… Aber erneut treiben Wolkenlücken vorüber, die die Fenster für die direkten Sonnenstrahlen bilden. Sie heizen auch das Atelier schnell wieder auf.

Der Performance – Zirkus, den wir gestern im Frankfurt LAB sahen, trug den Titel: THE GREATEST SCHOW ON EARTH. Das war ein furioses Experiment, das ein neues Genre gebar. Zahlreiche Performancekünstler waren vom Mousonturm eingeladen, kurze Nummern zu entwickeln, die eine Welt reflektieren, in der wir stetig dazu aufgeordert werden, alles zu geben. Das ausloten des Limits wird zum Alltag, der uns überfordert.

Das neue Genre Performance – Zirkus, bedarf nun mehrerer Hände, die die Nummern dramaturgisch straffen, intelligenter und genauer machen. Es handelt sich immer noch um eine junge Kunst, um die sich der Veranstalter verdient gemacht hat.

Zuvor richtete ich am Nachmittag meinen neuen Sekretär als Ort des aktuellen handschriftlichen Arbeitstagebuches ein. Die Schubkästen sind Aufbewahrungsort für die Blätter zum Scherbengericht, an dem ich gerade arbeite.

Am Abend wehte uns der Wind die fernen Klänge eines Konzertes von Billy Joel vom Waldstadion auf unseren Südbalkon.

Rauch | Plasma | Erfindungskraft

Es stehen Kartons herum, in denen sich die gesammelten Dinge meines Lebens befinden. Beim Kramen fand ich einen Räucherstäbchenhalter, den ich in Thailand erstanden hatte. In Indien kaufte ich mehrere Bündel von Räucherwerke, die ich jeweils kaum mit beiden Händen umspannen konnte. In Madurai sah mich ein Verkäufer ungläubig an. „Das ganze Bündel?“

Gestern viele verschiedene Dinge auf einmal. Reliefs ausformen, einkaufen, schweißen, kochen, Produktion in Gang halten.

Sechs Scherben zeichnete ich auf einzelne Blätter. Sie tragen die Nummern 103, 106, 109, 112, 115 und 118. sie bekamen die Umgebung einer Schellackschicht und eine Tuscheplasmablase. Das ist eine Nährlösung für diese Einzelzellen, in der sie schwimmen, bis sie sich erneut vereinigen können.

Ein Dreiecksgitterobjekt musste repariert werden, weil sich eine Schweißnaht geöffnet hatte. Wir experimentierten dann damit, wie wir die gegossenen Dreiecke in die Gitter einmontieren. Noch ist keine Lösung gefunden. Ich merke aber, dass ich nicht alleine auf meine Erfindungskraft angewiesen bin.

Ein produktiver Tag also.

Inkarnationsscherben

Erst jetzt, 9 Uhr im Atelier. Vorher habe ich Essen für die „Factory“ eingekauft. Ich finde, dass diese zusammenarbeitende Gemeinschaft etwas hat, von diesen Kunstproduktionszentren der bedeutenderen Großkünstler. Immerhin bestreiten wir jährlich eine Ausstellung im Architekturmuseum, und ich könnte mir da auch noch woanders mehr vorstellen.

In der Hoffnung, dass es heute nicht so heiß wird, habe ich das Rolltor weit hochgezogen. Dort soll es bleiben, bis ich am Abend nach Hause gehen werde.

Vinzenz sandte ich gestern ein Foto von einer meiner „Inkarnationsscherben“. Darauf antwortete er mir mit einer schönen Selbstpotraitserie, bei der seine Hände vor dem Gesicht verschiedene Haltungen einnehmen. Dabei immer ziemlich adrett.

Scherben von französischen Kirchenfenstern schenkte ich gestern meinem Bildhauernachbarn für seine Hilfe beim Wässern meines Gärtchens. Meine eigene Arbeit am Scherbengericht ging gestern mit den Nummern 143 und 146 weiter. Vorher Einkauf von Transparentpapierrollen in meinem alten Zeichenbedarfsgeschäft. Heute kommen hoffentlich die jungen Flüchtlinge und schauen sich an, was wir hier so tun. Ich hoffe, dass ein paar dabeibleiben um unseren Inspirationen zu bereichern.

Die Tage der Woche waren durch viele geplante und ungeplante Ereignisse zersiedelt. Verabredungen, Anrufe, Besuche, Reparaturen und so weiter. Und am Wochenende geht die Theatersaison wieder los…

Wärme Licht Zeit

Einstündiger Anruf kam, bevor ich mich an den Zeichentisch gesetzt hatte. Ich muss mit meiner Zeit gelassener umgehen. Eigentlich wollte ich Transparentpapier kaufen gehen – verschiebe es also auf den Nachmittag.

Ich ziehe das Rolltor, das ich gestern eine Stunde lang reparierte, nun so hoch, dass der Schatten des unteren, geschlossenen Teiles weiter in den Raum zeigt und die oberen Fenster teilweise abdeckt. Der Wechsel an den Schattenplatz des Schreibsekretärs beeinflusst mein Zeitgefühl. Der Sonnenstand ist relativiert, das Digitalthermometer zeigt 23,9° an. Wärme, Licht, Zeit. Ich denke an die Schneestürme des Winters.

Bevor ich gestern Besuch bekam, zeichnete ich noch die Scherben mit den Nummern 118, 121, 124 und 127 des dritten Scherbengerichtes auf einen kleinen Streifen Transparentpapier. Sie lassen sich in dieser Weise besser benutzen, als wenn ich die ganze Rolle 6 hernehmen muss, um die kleinen, mit Mustern gefüllten Bruchstücke erneut durchzuzeichnen. Dann übertrug ich 118 und 121 auf Einzelformate und um gab sie mit einer spiralförmig aufgetragenen Schelllackschicht. Dann wurde ein ovales Tuschefeld auch mit spiralförmig geführtem Pinsel im Inneren um die Scherben angelegt. Ein sich wiederholender Arbeitsgang.

Vor mir in der Nische des Schreibsekretärs sitzt Krishnababy auf einer dunkelbraunen Holztruhe, die in ihrer Form en einen Skarabäus erinnert. In ihr befinden sich kleine Anstecker mit Landesflaggen. Unter ihnen liegen viele farbige Spitzen, die von meinen Aquarellstiften abgebrochen sind.

Oben | losgelöst

Die Farben für die Buchmalereien am Morgen geben etwas Energie, leuchten in mich hinein, nach den Schwarzweißträumen der vergangenen Nacht.

Beim Hochziehen des Rolltores ist heute am Morgen die improvisierte Getriebemechanik entzwei gesprungen. Es folgte eine einstündige Reparatur auf der Leiter in vier Meter Höhe, hinter den von der Sonne durchschienenen Oberlichtglasscheiben. Meine Sauna – Wellness – Landschaft. Ich hatte Angst vor dem Abstürzen und mich, wie vor Jahren, in einer ähnlichen Situation, wieder schwer zu verletzen. Zwischendrin zwang ich mich zu Pausen, zum Nachdenken und sicherte die Leiter oben mit einer Drahtseilschlaufe. „Wie beim Klettern im Fels“, dachte ich.

Schon der Aufstieg mit den Dachdeckern aufs Atelier vor ein paar Wochen, war eine Herausforderung und ein Mittel gegen die Absturzangst.

In der Zwischenzeit ist draußen das zweite Relief getrocknet, das ich gestern noch ausformte, nachdem zwei Scherbenzeichnungen entstanden sind. Sie sind eigenständige Blätter, deren Bedeutung für mich vor allen in ihrer Vereinzelung, nach der Zersplitterung des Doppelportraits, liegt. So probiere ich Vereinigung, Tod, und Neudefinition mit den Zeichnungen. Ein losgelöstes Gefühl entsteht.

Mit dem zweiten Relief kann ich nun die Übergänge des Rapports der gleichseitigen Dreiecke mit ihren Linienanschlüssen überprüfen.

Verdunklung | Rückblicke

Das Relief, das ich gestern ausformte, trocknete in der Nacht langsam vom Rand her nach innen. Nun habe ich es, gleich bei meiner Ankunft, in die Morgensonne gestellt, damit sich der Vorgang etwas beschleunigt. Vielleicht ist es so möglich, heute noch ein zweites Exemplar herzustellen. Die Verwirklichung des Vorhabens, mehrere Dreiecksgitterobjekte mit einer großen Anzahl von Reliefs herzustellen, dauert länger, als ich dachte, umso intensiver bleibe ich dran. Das Arbeitsergebnis wird wieder im Museum präsentiert. Das ist eine Verpflichtung, der ich gerne nachkomme.

Für den kommenden Freitag, wenn die Flüchtlinge kommen, habe ich noch Material einzukaufen. Es geht um Transparentpapier, um Umrissbilder aus den Smartphonespeichern herauszuzeichnen. In diesen Dateien ruhen Teile der Erinnerungen der jungen Männer. Als ich bei meinem Besuch das Thema im Rahmen von „Biografie – ein Haus“ anschnitt, nahm ich eine Verdunklung im Raum wahr. Ich muss behutsam damit umgehen.

Olivegrün, Chromgelb und ein kaltes Grau, waren die Farben der heutigen Buchmalereien. In der Collage oben kann man immer noch die Zeichnung des Scherbengerichtes ahnen. Durch die transparenten Stellen, die ich in die Scans einfüge, sind solche vagen „Rückblicke“ Programm.

Die Arbeit am Scherbengericht stagniert etwas zugunsten des Objektbaus. Vielleicht kann ich die Trocknungspause der Reliefabformung jetzt gleich für eine weitere Zeichnung nutzen.

Das durchgestrichene „Und“ von Schiller

Der Morgen ist, verglichen mit den letzten Tagen, relativ kühl. Aber im Atelier sind es immer noch 26°. Also Stahltür auf und Rolltor hoch, Wasser in den Bottich und mit der gelben Gießkanne auf die Pflanzen und Eidechsen. Die Sommerruhe ist vorbei, das Restaurant geöffnet und die Schule ging wieder los.

Auf dem Weg hierher, sah ich ein Graffiti einer Kringellinie, die der ähnelt, die wir vor vielen Jahren im Literaturarchiv in Marbach gesehen haben. Mit der hat Schiller das letzte Wort auf einem Blatt mit einem dramatischen Fragment durchgestrichen. Wir hatten das Original in unseren Händen. Das Wort, das er da durchgestrichen hatte, hieß „und“. Ihre Dissertation mit den Titel „Die Splitter des Scheins“, der die Reise diente, steht immer noch griffbereit in meiner Schreibnische.

Die gestrigen Buchmalereien sind etwas wilder ausgefallen, als wollte ich die fehlende Formel, die die Reihenfolge der Farbvarianten regeln sollte, wettmachen. Die lasierenden Farbabdrücke schaffen Strukturen und Schattierungen, die gut vergrößerbar sind.

Die Lücke im Arbeitstagebuch erfüllt mich mit Genugtuung. Ich habe die Datei im Griff – nicht die Datei mich… Gestern der Tatort von Niki mit dem Titel „Hal“. Er zitiert auf indirekte Weise den Film „2001 – Odyssee im Weltraum“. Schöner Film, gut ausgestattet, klarer Plot.

Formel | Comic

Auf der Terrasse von dem Restaurant, das derzeit geschlossen ist, gibt es kühle, schattige Plätze. Dorthin habe ich mich zum Schreiben und für die Buchmalereien verzogen. Im Atelier herrscht ein lastendes Klima bei etwa dreißig Grad. Mit der Drehung der Windrichtung sind ein paar Wölkchen aufgetaucht, die etwas Hoffnung auf Linderung bringen. Vielleicht quellen sie ja zu einem Gewitter auf, das den heißen Beton ablöscht.

Vor meinem Gärtchen sitzend denke ich die ganze Zeit schon an den Herbst und daran, wie schnell der Sommer vergangen ist. Dabei plane ich, die Pflanzen diesmal anders in ihrem Winterquartier unterzubringen, mich dabei auch von einigen zu trennen, denn sie werden immer zahlreicher und nehmen immer mehr Platz ein.

Ich blättere in meinen Malereien und finde die Farben ganz schön in ihrer Reduziertheit. Mir fehlt aber ein System, mit dem ich die neun Farben, die ich ausgesucht hatte, regelmäßig neu kombiniere. Ich benötige eine Formel, die das Ganze aus der Beliebigkeit herausholt.

Bei Kayo zeichnete ich einen abstrakten Comic. Manchmal sehe ich an seinen Wänden Figuren, die aus den Spuren alter Tapeten, Möbelbefestigungen, Farbschichten, verputzter Löcher oder umstrichener Regale entstehen. Manchmal hätte ich Lust, diese ganzen Figuren dort an Ort und Stelle an die abgewetzten Wände zu zeichnen. Mich interessieren die Bilder, weil sie aus meinen Erinnerungen und den Vergleichen gesehener Konstellationen von Figuren, Räumen und Umrissen zusammengesetzt werden.

Erste Ernte | Wasser

Sonnabend – erst nachmittags im Atelier. Hier drinnen sind es 29°, draußen etwa 34° und über dem aufgeheizten Beton noch mehr.

Gleich legte ich den Wasserschlauch in den Bottich, tauchte die Gießkanne immer wieder ein, um zunächst den ärgsten Durst der Pflanzen zu löschen. Ich muss dabei aufpassen, nicht meinen eigenen zu vergessen. Wasser – das großartigste Lebensmittel! Die Eidechsen allerdings flüchten vor meinen Güssen aus dem gefährlich gelben Gefäß.

Joana half mir gestern, die Form von dem festgebackenen Pappmache zu reinigen. Das dauerte eine Weile. Danach legte ich sehr sorgfältig eine Trennschicht an, damit ein solcher Misserfolg nicht noch mal passiert.

Ich überlegte eine Sammlung von schwarz umflorten Doppelportraitscherben herzustellen. Das wäre ein Schritt zur Verlangsamung des Reinkarnationsprozesses. Dieser Arbeitsvorgang kann neue Begegnungsvarianten der Scherben in Gang setzen. Das ist auch wie eine erste Ernte.

Manchmal zähle ich Veränderungen auf, die sich im laufe der Zeit ergeben haben, um mir die daraus folgenden Entwicklungen deutlicher zu machen. Den Taunuspfad habe ich vor knapp zwei Jahren aufgegeben, ebenfalls eine Weinrunde auf dem Freitagsmarkt vor meiner Tür und den Donnerstagsworkshop. Deswegen bekam ich mehr Zeit für meine Einkehrarbeit, die seit dem wieder eine größere Tiefe bekommen hat.

Zellen für Inkarnation

Rolltor hoch – draußen ist die Luft noch morgenkühl. Die Hitze macht mir die Arbeit schwer. Dennoch zeichnete ich gestern endlich die erste Scherbe mit ihrem Inhalt, wie eine einzelne Zelle auf ein quadratisches Stück Transparentpapier. Wie sich nun der Zellenverband zusammenfinden wird und langsam zur Inkarnation zusammenwächst, wird sich bald zeigen.

Der Abguss des Reliefs trocknet nicht richtig, weil die obere, steinharte Schicht nicht zulässt, dass die unteren richtig durchtrocknen. Ich muss die Masse nun rausholen und mit der ganzen Arbeit noch mal beginnen.

Gestern las ich den Attentäter – Wackelpeter – Text vom Franz und kam danach selber ins Quatschen. Das ist eher selten, wenn niemand da ist, der sich für meine Arbeit interessiert, wie zwei Damen, von zwei verschiedenen Ämtern der Stadt, gestern hier auf dem Platz, vor meinem Atelier, im Angesicht des Gärtchens auf dem Beton.

Also Rolltor hoch und Garten wässern. Ich mache das nach und nach den ganzen Tag über, tauche die Gießkanne in den Wasserbottich, der immer langsam von einem Schlauch aufgefüllt wird. Meine Pflanzen müssen sich von der letzten Woche erholen, in der sie Blätter verloren haben und manche fast vertrockneten. Jetzt trinken sie, strecken sich und treiben wieder neu aus.

Rüchzugssekretär

In der Hitze des Morgens sitze ich erstmalig an meinem neuen Sekretär, dessen Füße ich gestern neu angesetzt und mit dem Korpus verleimt habe. Ich stellte ihn in eine schattige Nische. Auf seiner ausklappbaren Schreibplatte geht es etwas eng zu. Auch die Knie haben nicht so viel Platz.

Tagsüber beschäftigte ich mich gestern noch mal mit dem Relief, stabilisierte es mit einer zweiten Schicht Pappmache, das ich mit einem zusätzlichen Bindemittel angereichert habe. Sie ist übernacht angetrocknet, und hoffentlich übernimmt nun die Tageshitze den Rest.

Gestern ein sehr schönes und ermutigendes Treffen mit den Jungen Flüchtlingen, die sich alleine auf den Weg gemacht hatten, um hier in Deutschland ihr Glück zu finden. Sie kommen in erster Linie aus Afghanistan und Syrien, manche auch aus Afrika. Nun werden sie hier im Atelier erscheinen, meine Arbeit kennen lernen, um dann zu entscheiden, ob sie am Biografieprojekt teilnehmen werden. Die kleinen Anfangsübungen mit Smartphonebildern und Transparentpapier habe ich ihnen schon erklärt, auch den Zusammenhang zwischen Haus und Biografie.

Am Abend in der Schirn sahen wir die Ausstellung „Pioniere des Comic“. Wieder hatte ich das Gefühl, dass diese Arbeiten in das Museum für Angewandte Kunst gehören. Das Metier dieser Bildererzählungen ist mir nicht sehr nahe, weil ich im Zusammenhang mit Kunst immer Probleme mit illustrativer Arbeit habe.

Zwischendurch

Erstmal stellte ich das Dreiecksrelief, das Paulo und ich gestern ausgeformt hatten, hinaus in die Morgensonne. Übernacht ist es im Atelier fast nicht getrocknet, was ich nicht erwartet hatte. Ich muss aufpassen, dass nun die Oberfläche der Rückseite nicht zu schnell trocknet, weil sie sich dann zusammenzieht und den Rest des Pappmaches von der Formfläche zu früh ablöst. Dadurch wird die genaue Abformung, die man mit dem Material erzeugen kann, verwaschen

Das Schweißen haben wir verschoben, weil mein Mitarbeiter viel zu spät gekommen ist. Vielleicht gehe ich da auch mal selber alleine ran.

In Erwartung der großen Hitze der nächsten Tage wässerte ich dann das Gärtchen, das in der vergangenen Woche etwas gelitten hat. Etwas Gartenarbeit, tagsüber und zwischendurch, tut mir meistens gut.

Manchmal probiere ich schon mal Möglichkeiten, die Reliefs in den Dreiecksgitterstrukturen zu befestigen. Je nach Wirkung, die ich erzielen will, können das verschiedene sein. Wenn es mir nicht so sehr um den Rapportanschluss geht, dann dürfen Lücken zwischen Relief und Gitter entstehen. Aber wenn deutlich werden soll, dass es sich um ein zusammenhängendes Liniensystem handelt, dann sollten die Stäbe im Idealfall zwischen den Reliefs nicht hervorschauen. Dann gehen die Linien über die Eckkanten hinweg.

Möbel | Form | Flüchtlinge

Auf meinem Fußweg nach Hause, lag im heruntergekommenen Eingangsbereich von Teves Ost ein Möbelstück, das mein Interesse weckte. Es handelte sich um einen Schreibsekretär, dessen alte Außenfassade original zu sein schien. Die Restauration des Möbels war dann etwas schlampig ausgeführt worden, betrifft aber nur das Innenleben der Schubkästen und die Rückfront.

Zunächst ging ich weiter, um bei Kayo ein Bierchen zu trinken. Ich konnte aber dieses schöne Möbel, das irgendjemand einfach so abgekippt hatte, nicht liegen lassen. So kehrte ich also um, nahm mir einen meiner Rollwagen, lud das nicht sehr große Stück auf und transportierte es hierher ins Atelier. Nun steht es mitten im Raum und glänzt. So sehr viel Präsenz braucht es in Zukunft nicht. Aber, nachdem ich die Schreibklappe aufbekommen habe, für die kein Schlüssel vorhanden ist und einige kleine Reparaturen gemacht habe, die mein Schreinerherz erfreuen, bekommt es einen schönen Platz.

Fast den ganzen Tag beschäftigte ich mich gestern mit der Reliefform. Zunächst schnitt ich die erhabenen Stege so nach, dass sie keine Hintergriffigkeiten mehr besaßen, die beim Ausformen stören oder die Form beschädigen, wenn das trockene Pappmache entfernt wird. Das weichte ich gestern auch schon ein.

Morgen treffe ich eine Gruppe von Flüchtlingsjugendlichen. Ich möchte ein paar von ihnen gewinnen, um am Biografieprojekt mitzuarbeiten. So erfülle ich nun Stück für Stück alles, was zwischen meinen Auftraggebern und mir vereinbart wurde und engagiere mich darüber hinaus.

System | Konzept

Der erste Morgen im Atelier nach einer kurzen Auszeit. Draußen ist es noch nachtkühl, aber die Sonne hat den Raum schon etwas angewärmt. So kann ich sanft eintauchen in das, was sich meine Arbeit nennt.

In der Abwesenheit der gewohnten Arbeitsumgebung habe ich neue Möglichkeiten probiert, die Buchmalereien weiter zu systematisieren. Mit einer Beschränkung der Farbpalette auf neun Farben, probiere ich die verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten aus. Wenn ich alle mit den zusätzlichen Möglichkeiten der Reihenfolgen der senkrechten Farblinien ausprobieren wollte, komme ich auf 729 Variationen. Das fange ich mir jetzt aber nicht in aller Ausführlichkeit an. Es wäre ein Extraprojekt zu den verschiedenen Schattierungen des Vergessens innerhalb des Biografieprojektes und es hat die musikalische Komponente der Fuge.

In der arbeitsarmen Abwesenheit von hier, freute ich mich auf die Weiterentwicklung des Scherbengerichtes. Vielleicht sollte ich mich mal um eine paar kleinere dieser Formationen kümmern und sie mit anderen Techniken weiter ausformen, denn die neuen Innenleben der Scherbenumrisse sind ja ihrerseits interessant genug, um sie mehr zu nutzen.

Ich merke, dass mein Garten mit der wenigen Erde ein anderes Konzept benötigt, falls es mir nicht gelingt, die Erdschicht weiter aufzustocken. Eine Art Bonsaimethode wäre wohl das Angemessene, denn manche Bäume verlieren jetzt schon ihre Blätter.

Korrespondenz der Arbeitslinien

Das Ornamentrelief habe ich gestern fertig modelliert. Heute wird es abgegossen, dass die Form in der kommenden Woche richtig durchtrocknen kann.

Die inhaltliche Korrespondenz der verschiedenen Arbeitslinien hat auch einen ermüdenden Aspekt. Alle Dinge haben miteinander zutun. Die Scherbengerichte mit den Biografien, die Totenbücher mit den Ornamentreliefs, die täglichen Verwischungen mit den Überlagerungssequenzen. Alle Seitenlinien könnten weiter verfolgt und intensiver untersucht werden. Diese unendlich vielen Möglichkeiten und die tägliche Arbeit ihrer Auswahl, sind ein ununterbrochener Kraftaufwand. Ich spüre das jetzt gerade in aller Deutlichkeit.

Deswegen fühle ich mich zu den Gärten hingezogen. Sie beruhigen mich. Meine Hände und meine Augen folgen einfachen Kausalitäten. Ein Schnitt in ein Strauchwerk hat lange andauernde, sich verändernde Folgen, die von mir lange Zeit beobachtet werden können.

Auf dieser Insel hier, im Fließen der Stadt, herrscht nun eine Sommerstille. Selbst die wenigen Aktivitäten kommen hier fast zu Erliegen. Die Schmetterlinge besuchen die farbigen Kelche der Ranken in meinem Gesträuch, die Hummeln suchen sich violettblaue Blütenstände und die Eidechsen sonnige Ausblicke. Manchmal kommt nun auch glücklicherweise die Ideenproduktion zum Stillstand. Auch die Worte werden weniger.

Tropenmedizin | Rapport | Nische

Das Tropenmedizinische Institut der Uniklinik Frankfurt ist eine etwas heruntergekommene Villa in Sachsenhausen. Dort sorgen wir meistens für unsere Asienreisen vor. Mein Impfpass gab diesmal darüber Auskunft, dass ich lediglich eine Typhusimpfung auffrischen müsste.

Dann Parkplatzsuche zwischen den Baustellen der Stadt, denn wir wollten noch in zwei Kaufhäuser auf der Zeil. Ein anstrengendes Unterfangen für ein paar Klamotten, die man eigentlich nicht braucht. Das gnadenlose Überangebot, die Verkehrsaggression und vor mir noch ein Arbeitstag. Jetzt im Atelier bin ich aufgehoben. Stille, denn die drei Nachbarbaustellen sind etwa 100 m Luftlinie entfernt und durch den Bahndamm getrennt von unserer Insel.

Um 14 Uhr kommen Kiara und Paulo und werden sich ihren Arbeitsplatz unter dem Balkendach vor dem Atelier einrichten. Der zweite Polyeder ist recht raffiniert und etwas minimalistisch, nicht leicht zu schweißen.

Lange zögerte ich den Arbeitsgang beim Modellieren des Reliefs heraus, der sich gestern als doch nicht so aufwendig erwiesen hat, wie ich vorher gedacht hatte. Es ging um die Passgenauigkeit des Rapports der Motivornamente auf den Vervielfältigungen der Pappmachereliefs, die in die Dreiecksgitter der Objekte eingepasst werden sollen.

Zum Ausgleich schnitt ich mir danach einen Nischenplatz in eine Rosenhecke für kühle Tage, die den Nordwestwind abhält und nach Südosten zeigt. Ich schuf mir einen weiteren Platz zum Sitzen und zum Schauen.

Garten | Langfristigkeit

Bin noch nicht wieder an das Relief, dessen Reproduktionen in die Dreiecke der Objekte eingefügt werden sollen, herangegangen. Die Arbeit hat nun am Schluss mit viel Präzision zutun, damit die Rapportanschlüsse auch genau stimmen. Nicht immer bin ich dazu in der Lage, das alles auszumessen und der Komplexität gerecht zu werden.

Dann gehe ich in den Garten und kümmere mich um die Pflanztöpfe, was mir meistens ein gutes Gefühl verschafft. Der Geruch der Erde und des Grüns strahlt etwas aus, das ich oft vermisse. Es wirkt direkt, ohne nachzudenken. Ich könnte mir vorstellen mich mit zunehmendem Alter mehr damit zu beschäftigen. Irgendwann brauch ich dann ein Gewächshaus, denn schon für diesen Winter muss ich die Pflanzen, die dann im Inneren des Ateliers, in den Regalen stehen, reduzieren. Für die Ausstellung und den Transport der großen Objekte in das Architekturmuseum muss das Rolltor in diesem Winter frei bleiben. Von einigen kleineren, seit Jahrzehnten vor sich hin siechenden Gewächsen trenne ich mich auch ganz gerne. Vor ein paar Tagen schnitt ich einen wilden Rosenstrauch, um für einen Essigbaum Platz zu machen, den ich in Zukunft pflegen will. So kristallisieren sich so langsam ein paar dominante Bäume heraus, die durch meine Arbeit ihren Platz gefunden haben. Die Langfristigkeit solcher Vorgänge macht mit Freude.

Nun möchte ich so langsam wieder zurück zu meinen Scherbengerichten. Ich kann mich nicht nur mit der Ausstellung im Winter beschäftigen, sondern habe noch ein paar biografische Felder zu beackern, die darüber hinausgehen. Auch das ist langfristig ausgerichtet.

Currylüge

Farbleichen in den Malereien von gestern. Gründe für die Auswahl der Ausgangstöne sind verborgen (Currylüge). Ich träumte einen chaotischen Traum, der während einer indisch – hinduistischen Prozession stattfand. Betrug, Unsicherheit und Spott. Ich fühlte mich danach wie ein alter, wieder zusammengeflickter Stromstecker.

Wir sahen in Kerala sehr große Prozessionswagen und gestern in der Ausstellung war das Gründgerüst eines kleineren Teiles zu sehen. Es bestand aus aufgespaltetem Bambus, der mit Fäden zusammengebunden wurde. Keine Knoten nur mit Lehm verklebt, sodass sich das Ganze im Wasser wieder auflösen kann

Gestern am Main Wärme – der Rücken, eine Solarzelle. Ich fletsche die Zähne, wegen des Gerüchtes, dass viel Sonnenenergie über sie in meinen Körper geleitet wird. Komme mir wieder betrogen vor. Steck deine Zähne weg!

Die Schwere des Traumes drückte mich aufs Bett. Blieb ein wenig länger liegen als sonst.

Kiara und Paulo sind schon da. Sie entwarfen ein neues Polyeder aus Holzstäben und schneiden nun die Eisen dafür zurecht. Achtzehn Stück müssen es sein.

Indisches Handwerk

Mit Kiara und Paulo fühlte ich mich wohl in der vergangenen, sehr produktiven Woche. Unser Gitterobjekt bleibt nicht das letzte.

Unter dem Balkendach vor dem Atelier gestern ein langer Grillabend. Insekten rannten durch die blauen Lichtkegel über den noch aufgeheizten Beton. Ein Rotschwänzchen, das keine Nacht mehr kennt, jagte ihnen hinterher.

Das Studio Mumbai, ein Architekturbüro, entdeckte das Alte indische Handwerk wieder. Auf unseren Reisen durch Indien sahen wir es überall auf den Straßen. Körper ersetzten Werkstatt und Werkzeug. Tischler, die ihren Körper wie eine Hobelbank brauchen, im Schneidersitz auf dem Werkstück, mit dem ganzen Körpergewicht eingespannt. Und mit den einfachsten Werkzeugen werden solide Holzverbindungen geschaffen. Das gleiche gilt für die Bildhauer und Kokosfasernverarbeitung, für die Wäscher und Besenbinder. Die Architekten bauen mit den traditionellen Baustoffen und den alten Techniken neue, moderne Häuser. So werden Westen und Osten miteinander verbunden. So zeigt es derzeit eine Ausstellung im Architekturmuseum.

Manchmal fühlte ich mich zwischen den Ausstellungsexponaten, wie im Dschungel meines Ateliers, mit meinen Mitstreitern, mit denen es mir jetzt besonders gut geht. Und mit dem ganzen gefundenen und angehäuften Material, das uns zur Inspiration dient.

Mit dem Objekt durch die Stadt

Draußen auf der Straße probieren irgendwelche Schauspieler. Ich bin froh, von solchen Arbeitsweisen weit entfernt zu sein. Oft denke ich: „Was für ein schrecklicher Beruf!“

Beim Zurückschneiden eines Rosenstrauches glaubte ich, dass in mir ein Gärtner verloren gegangen ist. Immerhin ist das auch eine gestalterische Herausforderung. Zunächst war da ein geschlossener Dornenbusch, dann aber konnte ich schon bald hindurchgehen und nun steht ein Baum dort mit einer Krone. Ein anderer Baum, eine Platane, die sich ausgesät hatte, hat nun auch Raum, um in die Höhe zu wachsen. Das Formen eines Strauches hat einiges mit Bildhauerei zutun.

Mit Kiara begann ich dann, die zweite große Form für das Gitterobjekt zu schweißen. Am späteren Nachmittag fügte ich es mit Paulo vollends zusammen. Wir verschickten Fotos, als wir fertig waren und bekamen viele schöne Reaktionen. Nach diesem Grundgerüst werden in der kommenden Woche noch andere Formen entstehen, möglichst noch zwei. Dann müssen nur noch die Reliefs gemacht und alles zusammengebaut werden. Das ist der Hauptbaustein für die nächste Ausstellung.

Vinzenz hatte die Idee für einen Gang durch die Stadt mit dem Gitter um den Kopf und schickte auch ein Link zu einem Äthiopischen Künstler, der so etwas in den Straßen seiner Stadt macht. Mir kam meine Idee in den Sinn, in einem Kugelobjekt durch die Stadt zu laufen, es zu bewegen und am Boden Dreiecke zu hinterlassen.

Doppelportrait, Scherbengericht, Reinkarnation

An vier Tagen im November des vergangenen Jahres zeichnete ich an einem Blatt, das ich gestern verschenkte. Es gehört zu einer Serie von Pionierportraits, von denen sehr viele in kurzer Zeit entstanden sind. Wir feierten wir einen runden Geburtstag unserer Freundin C. in der Kaiserstrasse.

Im Atelier zeichnete ich den ganzen Tag ungestört in einem konzentrierten Schwung das dritte Scherbengericht, also dessen Überlagerungsverdichtung, fertig. Die Scherben sind in 3 jeweils 4 Meter langen Zeilen angeordnet. Die Muster innerhalb der Umrisse haben verschiedene Dichten. Das wird relevant, wenn ich die Scherben auf einem großen Transparentpapier wieder zusammensetze, denn die zerscherbten Rasterpunkte sollen das Doppelportrait wieder neu erstehen lassen. Die Arbeitsschritte des Totenbuches teilen sich also in „Doppelportrait“, „Scherbengericht“ und „Reinkarnation“. Gleichzeitig gehe ich gehe ich eine historische Parallelstrecke ab, vom alten Ägypten bis hin zum hinduistisch – buddhistischen Indien.

Ich vermeide in letzter Zeit, Nachrichten zu hören. Stattdessen fotografiere ich an jedem Morgen eine Blüte in meinem Garten und verschicke sie.

Meine Schüler habe ich heute mal erst für 14 Uhr bestellt, damit ich in Ruhe einkaufen und kochen kann. Sie werden dann am Dreiecksgittergerüst unseres Biografieobjektes weiter arbeiten. Ich halte mich da weitgehend zurück und zeige immer mal nur ein paar Tricks, damit die Arbeit einfacher wird.

Rolle vorwärts und rückwärts

Das erste Teilstück unseres ersten großen Objektes, das aus fünf Dreiecken besteht, haben Kiara und Paulo zusammengeschweißt. Es müssen zwar noch Verbindungen nachgebessert werden, aber wir können das Dreiecksgitter Gerüst eventuell noch in der kommenden Woche abschließen.

Texte jenseits des Klischees „Mädchenroman“ werden von Annes Autorenkollektiv in Berlin gelesen. Sie wollen sich bei einer Veränderung des Genres verdient machen. Die Aktivitäten gefallen mir. Ich denke gerne an die Lesung vor der Feuerwache in Neukölln vor ein paar Wochen zurück.

Ein Mitbewohner von Vinzenz besuchte mich gestern überraschend. Vinzenz selbst scheint wieder in Canterbury zu sein. Hat er Sehnsucht nach der Bauhütte, nach all den Konzepten? Zurück zu den Wurzeln, Steinarbeit, Maßwerke?

Während die Mitstreiter draußen vor der Tür geschweißt haben (fast ganz alleine und ohne meine Hilfe), konnte ich mich am Zeichentisch um die Überlagerunge der dritten Scherbensequenz auf Rolle 6 kümmern. Die Rolle rückwärts geschieht mit dem größeren Radius der fast fünfzig Meter aufgerollten Transparentpapiers. Durch den entsprechend größeren Radius verschieben sich auch die Elemente, die sich innerhalb der Scherbenumrisse zum Durchzeichnen anbieten. Allerdings zieht dieser Arbeitsschritt einen weiteren Gang des Zeichnens nach sich: eine 2. Rolle vorwärts.

Verdichtete Muster

Heute vor zehn Jahren stand ich vor dem Carrara – Marmorblock, aus dem ich einen Brunnen geschlagen habe. Gemeinsam mit Vinzenz begutachtete ich ihn damals beim Steinhändler. Er wusste, wie man das macht.

„… und die Erinnerung an Gestern, ein unzureichender Anker, der keinen Impuls auslöst, sich an Schreibbarem entlang hangelnd in den Tag zu begeben.“ Das schrieb ich im Eindruck der großen körperlichen Anstrengung, der ich mich damals mit Meißel und Hammer aussetzte.

Die täglichen Zeichnungen aus dieser Zeit sind dennoch klein und fein, farblich vielleicht etwas fragwürdig, beliebig und dekorativ. Über vertiefte Linien, die ich mit afrikanischen Haarnadeln in das Papier grub, schraffierte ich mit den Aquarellstiften, wodurch sie weiß stehen blieben.

Gestern aber übertrug ich das Scherbengericht vollständig auf Rolle 6 und begann mit der Überlagerungssequenz. Eine Papprolle mit etwas größerem Durchmesser sorgte dafür, dass sich die Scherben, die in gleichem Abstand in drei Reihen gezeichnet sind, beim Zusammenrollen direkt übereinander legten. Dadurch verdichteten sich die Muster innerhalb der Umrisse viel schneller, als wäre ich bei dem anderen Radius geblieben. Oben in der Collage ist das zu sehen.

Man sieht auch das Schwarz, das dunkle Indigo und das gewischte Altrosa. Das gestrige Grün schimmert noch ein wenig hindurch.

KOBALTGRÜN, MAGENTA HELL, LICHTER OCKER

KOBALTGRÜN, MAGENTA HELL, LICHTER OCKER. Das sind die Farben der Morgenerinnerung, dreimal verwischt vom Handballen. Die Senkrechten sind unruhig, die Linien unregelmäßig strukturiert. Seit einem knappen Monat beschäftige ich mich innerhalb der Buchmalereien mit diesem Dreimaldrei-Farbensystem.

Kiara und Paulo kamen am Nachmittag, um am Objekt weiterzubauen. Sie schnitten jetzt so viele Rundstahlabschnitte auf die Länge von 60 cm, dass sie für den nächsten Arbeitsgang des Zusammenschweißens reichen werden. Wir haben auch schon eine Möglichkeit ins Auge gefasst, die schwierige Konstruktion der Winkel so hinzukriegen, dass wir nicht umständlich messen müssen. Morgen geht es los.

Ich modellierte das Umarmungsrelief, das diese Dreiecke ausfüllen wird, in der Weise, wie ich es gestern ins Auge gefasst hatte. Die Seiten lasse ich weich auslaufen, um die Übergänge der Ornamente von einem Dreieck zu den nächsten drei Nachbardreiecken angleichen zu können, falls irgendwelche Maße nicht genau stimmen.

Ich werde mich heute um den Fortgang des Scherbengerichts kümmern. Dafür zeichne ich die über 150 Scherben nebeneinander auf Rolle 6 und beginne mit einer Überlagerungssequenz, so wie bei den zwei vorigen Scherbengruppen. Ich frage mich ob dieser Arbeitsvorgang etwas für meine Schüler wäre.

Cadmium, Cadmium, Kobalt

Heute erwarte ich Kiara und Paulo am Nachmittag. Sie sollen weitere Dreiecke schweißen. Dafür habe ich noch dünnen Rundstahl zu kaufen, der normalerweise zum Armieren von Betonteilen benutzt wird. Anschließend sollen sie dann die Dreiecke miteinander zu dem Objekt verbinden, das Paulo vor ein paar Tagen mit Holzstäben entworfen hat. Es wird spannend, wie wir die Winkel einhalten können und in welcher Reihenfolge das Zusammenschweißen der Dreiecke sinnvoll und am einfachsten ist.

Gestern fuhren wir noch mal, wie am vergangenen Wochenende an den Rhein. Wir spazierten am Ufer der Rheinarme entlang und genossen die weiten Blicke über die Inseln bis zu den Bergen des Rheingaus. Dort ballten sich dunkle Wolken, von denen wir aber nur Sturm abbekamen. Wellen schlugen an einen Sandstrand, an dem die Menschen auf Decken lagen, grillten und das Strandleben genossen. Jetzt erst nach fast zwanzig Jahren, die wir schon in Frankfurt sind, entdeckten wir diese Perspektiven jener Landschaften.

Der Cousin, der mich kürzlich besuchte schickte mir einen Link, zu einer Stelle im Netz, an der die Fotografien lagern, die er hier in Frankfurt gemacht hat. Auf die freue ich mich… – bin gespannt.

Heute bestand der Ateliermorgen aus reiner Farbarbeit innerhalb der Buchmalereien. Cadmiumrot, Cadmiumgelb und Kobaltgrün in verschiedene Reihenfolgen zum Verwischen senkrecht nebeneinander gezeichnet.

Franz Konter

Ich taste mich vorsichtig in die Stille des Ateliersonntags. Im Gärtchen sinkt das zerstäubte Wasser nieder auf die Kapuzinerkresse. Daneben steht ein blauviolett blühender Strauch, der dicht an dicht mit Hummeln besetzt ist. Ein Bussard kreist niedrig über unserer Insel.

Mit Franz Konter gestern im Struwwelpetermuseum. Er zeigte uns seine Ausstellung mit Zeichnungen und Malereien.

Am meisten kann ich mit seinen Zeichnungen anfangen, die sich zumeist auf zwei zusammenhängenden Formaten befinden und somit zu einem Diptychon verbunden sind. Die Materialwahl, der Strich und die erzählten Geschichten strahlen eine Sicherheit aus, die von vielen Jahrzehnten intensiver Arbeit herrührt. Ich kann mich darin wohl fühlen und eine Ruhe finden.

Die Malereien überfordern mich gleich ein wenig. Die Zeichnungen decken mehr auf. In den größeren farbigen Formaten auf ungrundierter (!) Leinwand bleibt manches versteckt, weniger transparent. Die Textteile in den Bildern ergänzen die Erzählungen, ohne dass beide Elemente, weder Bild noch Wörter, illustrativ wirken. Genügend Raum für eigene Entdeckungsreisen boten auch seine mündlichen Erläuterungen.

Mein Sehverhalten zieht sich immer mehr auf Einzelheiten, auf kleine Bausteine der Bilder zurück. Ich möchte lange auf eine Zeichnung blicken und sie ganz ergründen.

Paint It Black

Paulo hat gestern fünf Dreiecke zusammengeschweißt. Kiara half ihm bei diesem zweiten Schritt zum Bau des Gitterobjektes. Wir mussten uns etwas abmühen, die Schweißtechnik wieder in den Griff zu bekommen. Aber nach einer guten halben Stunde konnte ich mich von dieser Arbeit zurückziehen und die beiden alleine weitermachen lassen.

Ich modellierte am Relief weiter, das für die Metalldreiecke noch eine Idee zu klein ist. Ich überlege, die Ränder so zu gestalten, dass man ohne große Verluste die Pappmacheformate an das Gitter anpassen kann. Also modellieren wir das Relief mit dem Umarmungsmotiv etwas größer und flexibeler.

Der Titel „Paint It Black“ von den Rolling Stones ging mir in der Nacht noch mal durch den Kopf. Er könnte der Soundtrack zu unserem Objekt werden und ihm auch die Farbgestalt stiften. Die Oberfläche könnte matt und lavaartig sein und die Linien weißglühend.

Ein paar Tage ohne Regen, und das Gärtchen sieht schon sehr durstig aus. Das liegt an der dünnen Erdschicht, die bei Hitze und Wind schnell ihre Feuchtigkeit verliert. Also stelle ich meinen improvisierten Wassersprenger an die verschiedenen Stellen und lasse ihn arbeiten.

Jetzt gleich treffen wir uns mit Franz in seiner Ausstellung „Wackelpeter Attentäter“ im Struwwelpetermuseum.

Volles Programm

Paulo, mein derzeitiger Assistent, hat Rundstahlstäbe in 60 cm lange Stücke geschnitten. Fünfzehn Stäbe sind die Hälfte von denen, die wir für unser erstes geschweißtes Objekt des Projektes „Kraftfeld Biografie“ benötigen. Er arbeitet ganz ruhig, genau und gleichmäßig und ist mir somit eine wahre Hilfe.

Plötzlich ist der Zeitpunkt reif, an dem wir beginnen dieses jahrelang geplante Projekt anzugehen. Das hatte eine elektrisierende Wirkung auf mich. Nach drei Jahren konkretisiert sich die vage Vorstellung.

Mein Part war gestern, an dem Tonrelief von Noah weiter zu arbeiten. Ich möchte bald die Form davon gießen, damit wir beginnen können, die zwanzig identischen Pappmachereliefs herzustellen, die wir benötigen, um alle Dreiecke des Objektes auszufüllen. Dann wird sich das Ornament gleichmäßig über die Oberfläche verteilen.

Ein etwas volles Programm heute:

Zunächst die tägliche Tagebucharbeit, dann Arzttermin, dann Einkauf und Kochen für die Workshopteilnehmer, dann gemeinsames Essen, dann das Schweißen mit Paulo, das Modellieren des Reliefs und das Drucken von Linolschnitten und anschließend aufräumen, Küchenabwasch und Feierabend.

Munter werden

An diesem Morgen ist der Himmel wieder leer. Die Mauersegler zeigen ihren Jungen den Rückweg in den Süden. Manchmal auf Reisen trifft man sie dort wieder und sie erinnern dann an unsere Sommer.

Die Buchmalereien haben verschiedene Funktionen. Einerseits funktionieren sie als Initialzündung, die den täglichen Produktionsmotor startet. Aber andererseits versichere ich mich auch der Vorgänge des Vergessens und des Erinnerns mit ihnen. Ich könnte sagen: ich erinnere mich, indem ich verwische.

3 Chillies liegen auf meinem Tisch und erinnern mich an den Chai Masala in Mamallapuram. Das scharfe Getränk, das nur noch entfernt an Tee erinnerte, eignete sich ebenfalls dafür, in der Hitze Südindiens munter zu werden.

Gestern habe ich einen Cousin, der mich besuchte, erstmals näher kennen gelernt. Das war ein Tag des Sprechens. Meine normale Schweigsamkeit konnte ich etwas überwinden, denn er interessierte sich für unseren Großvater und die Kunst, die mit den wenigen Erinnerungen an ihn entsteht.

Ich denke dabei auch an Annes Idee der Breslau Brothers, die im mittleren Westen der USA auf einen Kopfjäger treffen. Sie erklären ihm, wie viel Leim, Holz und Sägeblätter sie für den Modellbau des Breslauer Doms benötigt haben, den sie auf einem hölzernen Plattenwagen hinter sich her durch die weite Landschaft ziehen.

Kraftfeld Biografie

Paulo begann gestern die Modelle für unsere Gitterskulpturen zu bauen. Ich schätze, dass wir in der Ausstellung etwa 3 Objekte im Raum präsentieren können. Neben den Vollplastiken sollte es aber auch eine Reliefwand geben, die zeigt, wie vielfältig die Dreiecksreliefs zu nutzen sind.

Außerdem sollen Transparentpapiere mit Wanderungsrouten und anderen Zeichnungsexperimenten gezeigt werden. Das Material soll erklären, wie die Objekte entstanden sind.

Immer mehr verbinden sich die Projekte „Kraftfeld“ und „Biografie“. Ich knüpfe dort an, wo ich vor etwa drei Jahren aufgehört hatte. Damals konnte ich die Planungen wegen fehlender Finanzierungen nicht umsetzen.

In Anwesenheit von Paulo zeichnete ich gestern „Scherbengericht III“ fertig. Jetzt will ich damit pausieren und mich mehr um die Objekte kümmern.

In den Buchmalereien benutzte ich heute einen indischen Stoffstempel für eine Frottage (sieht man im linken Teil der heutigen Collage). Außerdem drückte ich ihn in die feuchte Farbe (rechts).

Gärten

In den Vergrößerungen der Buchmalereien kann ich die Farbqualitäten innerhalb der Verwischungen genauer beurteilen. Die Reduktion auf ein Detail, an das ich ganz nahe herangehen kann, eröffnet die neuen Dimensionen.

Morgens gehen immer neue Blüten im Gärtchen auf. Ich fotografiere und versende sie. Vielleicht habe ich bald in einer kühlen Stunde Gelegenheit, die Rosenhecken zu schneiden. Sie wuchern andere Pflanzen zu, an denen mir liegt. Dazu gehört eine Platane, die von selber am Rand der Wiese wächst. Außerdem unterstütze ich die Leute vom Restaurant, ihren Garten zu pflegen, denn sie haben keine Ahnung.

In den vergangenen Tagen dachte ich daran, Dreiecksgitterkonstruktionen zu schweißen, in die man die Pappmachereliefs einsetzen kann. Das eröffnet neue Möglichkeiten beim Ausstellen. Inspiriert hat mich die Instagramseite vom Studio Olafur Eliasson.

Paulo habe ich eingeladen, mir bei dieser Arbeit zu assistieren. Er hat schon zugesagt. Jetzt muss man prüfen, welchen Umfang das bekommen kann. Aber ich kann ihn bei den handwerklichen Arbeiten wirklich gut gebrauchen.

Franz hat uns zu seiner Ausstellung „Wackelpeter Attentäter“ ins Struwwelpeter Museum eingeladen. Sie gewinnt in diesen Tagen an Aktualität.

Das Verwischen und das Zersplittern

An den Stellen des Rheinufers, wo man die Boote auf Anhängern über eine Rampe ins Wasser bringen kann, baden die Bewohner der Orte dieser Flusslandschaft. Noch vor vierzig Jahren wäre das wegen der Wasserverschmutzung undenkbar gewesen. Jetzt aber wird es langsam normal, dass man in den Flüssen wieder schwimmen kann.

Über meinem Winterarbeitsplatz an der Heizung hat es während eines Wolkenbruchs hereingeregnet. Teile der Deckenverkleidung sind heruntergekommen. Wasser spritzte auf meinen Rechner, den 3d Drucker und vor allem auf Rolle 6, die nun beschädigt ist. Mehrmals mahnte ich das undichte Dach an. Nun ist es zu Folgeschäden gekommen.

Von vielen Gewaltakten junger muslimischer Männer ist zu hören. Das wird in der rechten Szene sicherlich ausgeschlachtet. Es bestärkt mich aber in der Arbeit mit den Flüchtlingen, die mir über den Weg laufen.

Die Auffächerungen der senkrechten Farblinien spielen mit den Erinnerungen zusammen, die aus der Arbeit am Scherbengericht entstehen. Auch die Vorgänge des Verwischens und des Zersplitterns ergänzen und bestärken sich gegenseitig.

Das Einatmen – Ausatmen

Ein Farbstrich von unten nach oben ist wie Einatmen. Die Wischbewegung von links nach rechts mit dem Handballen ist dann das Ausatmen. Zeitrafferartig werden die Bilder, die im Halbschlaf entstehen von der aufsteigenden Linie gebündelt. Viele Filmschnipsel werden zu einem Strich verdichtet und geraten dadurch in die Unsichtbarkeit. Die Auffächerung dieser Linie durch Wasser und die darüber gleitende Hand, schafft dann die neue Dimension in einem ganz anderen Bild.

Dieser Vorgang ähnelt dem des Scherbengerichtes, der aus den Rasterportraits ebenfalls ein neues Bild herstellt.

Langsame Sonntagsarbeit, die ich immer mehr einschränken möchte, um Zeit für andere Dinge zu haben.

Für den Nachmittag haben wir uns beispielsweise einen Ausflug an den Rhein hinter Mainz vorgenommen. Immer schon mal beobachtete ich die spannende Auenlandschaft des Flusses von den Weinbergen gegenüber aus. Sie hat Weite und eine wilde Ausstrahlung mit den vielen Inseln und Baumstafflungen auf schmalen Landzungen.

SCHERBENGERICHT

Und endlich wieder am Scherbengericht, was mich beruhigt und stärkt. Das ist das Thema in meiner Arbeit, das mich jetzt am meisten interessiert.

SCHERBENGERICHT

wäre auch ein schöner Titel für eine Ausstellung bei Franz Konter.

Ansonsten mache ich nun etwas Sommerpause. Das Relief von Noah muss noch fertig modelliert werden, damit es abgeformt und im Spätsommer mit Pappmache vervielfältigt werden kann. Er hat mit meiner Hilfe schon einiges geschafft. Im Herbst sollen dann die Architekturen aus den Pappmachedreiecken zusammengesetzt werden. Ich frage mich, inwiefern wir Dreiecksgitterkörper vorher schweißen müssen.

Ich habe unsere Arbeits-Freitage auch in den Ferien angeboten und hoffe, dass das Angebot kräftig genutzt wird.

Querdenkstoff

Alle Türen offen. Schwache Luftbewegung. Die Restaurantküchenventilation ist noch ausgeschaltet. Ringeltaubengesänge, Baulärm aus der Ferne hinter dem Bahndamm, startende Maschinen und keine A5-Brandung wegen Ostwind.

Vor mir auf dem Zeichentisch liegen eine Postkarte der Pfitznerbrüder und eine Malerei von Paulo. Paulo verschwindet im Schwarz. Auf den Schulhöfen wurde er wegen seiner Hautfarbe häufig angemacht – schon in der Grundschule. Die Pfitzner- Schreiner-Brüder zeigen sich auf der Karte als die Erbauer des Modells des Breslauer Domes, mit dem sie zu Fuß um die Welt wollten. Ich stelle sie mir vor, 1939 auf dem Platz des Himmlischen Friedens, umzingelt von den Überzeugungstätern der Revolution.

An Anne und Vinzenz habe ich die Postkarte per whatsApp geschickt Und nun daddeln wir uns gegenseitig zu.

Sie bietet wieder viel Material, das ich scannen und weiterverarbeiten kann. Oben in der Collage die Augen des Ur-Oskar. Außerdem bieten die skurrilen statistischen Angaben, die den Bau des Modells umgeben und aufgelistet sind einigen konzeptionellen Querdenkstoff:

„…Die Arbeitszeit betrug 4575 Stunden…. Das Modell hat mit Wagen ein Gewicht von 8 Ztr. …“

Meisterschüler

Nun konnte ich das Pfauenauge, das seit zwei Tagen durchs Atelier schlingerte, mit einem Wasserglas an der Scheibe einfangen und dann zur Tür hinaustragen. Dort flatterte es sofort zum nächsten Sommerflieder, um zu tanken. Es hat die ganze Nacht geregnet. Die Temperatur ist um über zehn Grad gesunken. Man kann wieder durchatmen.

Vinzenz hatte gestern seine Prüfung zum Meisterschüler von Ai Weiwei. Über WhatsApp schickte er uns die Fotografie seiner Urkunde, die er für besondere künstlerische Leistungen bekam. Nun ist es also soweit – es beginnt sein Künstlerleben.

Die neuen Buchmalereien fächern ganz andersartige Stimmungen auf, als sie es sonst konnten. Heute bestehen die gewischten Streifen aus rötlichem Helioblau, gelblicher Grünerde und mittlerer Fleischfarbe. Das sind natürlich die Farbbezeichnungen der Firma, die die Aquarellstifte herstellt. Aber ich habe den Eindruck, dass dort mein Inneres zu leuchten beginnt.

Mit den Schülern setzte ich gestern meine alte Druckmaschine wieder in Gang. Es ist eigentlich eine Lederpresse, die ich etwa 1980 von Wilfried Wilke geschenkt bekommen habe. Nun druckten wir eine Linolschnittstruktur, die ich vor ein paar Wochen im Rahmen des Biografieprojektes angefertigt habe. Die Druckfarben dafür sind dreißig Jahre alt und stammen aus Dresden. Als Abschluss der Ferienwoche im Atelier möchte ich heute mit den Schülern Linolschnitte machen.

Kadmiumrot, Kobaltblau, Chromgelb

Arbeitstagebuch 2016_Seite 185

Die Ateliertür steht offen, aber das Pfauenauge findet nicht hinaus. Die Temperatur ist jetzt am Morgen im Atelier bereits fast bei 25 °, und schon der Fußweg hierher war schweißtreibend.

Die Konzentration der Kunstschüler hat gestern zum Ende hin noch mal zugelegt. Sie zeichnen an einem großen Format mit vielen kleinen einzelnen Motiven.

Im Weltkulturenmuseum sahen wir Holzschnitte und andere Arbeiten aus Südafrika. Mir lief da wieder David Moufagenjo über den Weg, dessen Arbeit ich schon in den Neunzigerjahren in seinem Geburtsland Namibia gesehen hatte. Das waren Holzschnitte politischen Inhalts, insofern Themen im Südafrika der Achtzigerjahre überhaupt unpolitisch sein konnten.

Heute nun druckten wir Linolschnitte. Vielleicht könnten wir morgen auch welche schneiden. Mal sehen, wie viele wir morgen sind.

Unsere eigenen Wanderungslinien in der Welt haben wir ja in eine Berglandschaft verwandelt. Die verdichteten wir mit der Rollsequenztechnik. Ich möchte mehrere Verdichtungstechniken zeigen.

Kadmiumrot, Kobaltblau und Chromgelb waren die heutigen drei Farben der Buchmalereien.

Kobaltgrün, Chromgelb, Schwarz

Ein Pfauenauge gaukelt durchs Atelier. Es entzieht sich meiner Gefangennahme mit einem umgestülpten Glas, mit dem ich es befreien will. Zumindest mache ich ein Foto und schicke es herum. Es wird als Pokemon erkannt.

Windstille und Hitze schon am Morgen. Im einwöchigen Workshop ging es gestern um unsere Herkünfte. Es wurden Flüchtlingsrouten auf einer großen Weltkarte gezeigt. Afghanistan, Iran, Irak, Türkei, Griechenland, Mazedonien, Ungarn, Österreich, Deutschland. Andere aus Eritrea und aus Nigeria. Wieder Andere kamen mit dem Flugzeug aus Mittelamerika und aus Südkorea. In dieser Weise sind wir also nun an diesem Ort vereint und machen uns Gedanken, warum das so ist.

Die Reiselinien, die Alexander gezeichnet hat, übertrugen wir auf Transparentpapier, wo sie sich wie ein Gebirge ausnahmen. Unter die Horizontlinie des mehrfach übereinander gezeichneten Linienbündels, wurden dann viele Umrisslinien von Handyfotos gezeichnet, die etwas mit der Biografie der Teilnehmer zutun haben. Wir arbeiteten bis fast siebzehn Uhr. Was nach einem langen Schuljahr, am ersten Ferientag, mit so viel konzentriertem Arbeiten, etwas zu viel war.

Die heutige Folge der senkrechten Farblinien der Buchmalereien: Kobaltgrün, Chromgelb, Schwarz. Keine Ausgewogenheit der Farbtemperatur. Das interessiert mich derzeit nicht. Oben scheinen noch die gestrigen Verläufe durch.

Hochsommer

Der Lüfter der Restaurantküche, die ferne Brandung der A5, Windgeräusche der landenden Flugzeuge, S-Bahnen, Insektenvibrationen verschiedener Frequenzen, das Knarren der sich ausdehnenden Rolltore in der heißen Morgensonne – das ist die Stille dieser Insel.

Rolltor hochziehen, Nachrichten verschicken, an den Zeichentisch setzen. Ich sehe auf die Buchmalereien von gestern. Sie zeigen schon etwas davon, wonach ich auf der Suche bin. Heute verknappte ich das System noch mal, schränkte mich auf drei Farben ein. Indisch Rot, Kadmium Gelb, Indigo. Ich wechselte nacheinander die Reihenfolge der senkrechten Linien und versuchte mit möglichst idealer Wassermenge und gleichmäßigem Druck des Handballens beim Verwischen zu arbeiten. Die Collage oben zeigt Ausschnitte aller drei Bilder in Übergängen miteinander kombiniert. Das Gefühl erst am Anfang dieser Arbeit zu stehen, tritt ein, wenn sich trotz der Reduktion der Mittel, immer vielfältigere Möglichkeiten ergeben.

Ein Schwarm gemischter Vögel durchstreift das Gärtchen. Pflanzentopfuntersetzer dienen als Tränken. Ich traf auf eine grüne Heuschrecke, fotografierte und verschickte sie, wie gestern die Seerosenblüte. Im Dickicht wohnt eine Amsel, die ich beim Wässern der Pflanzen aufscheuche. Zitronenfalter schaukeln in der aufgeheizten Luft. Hochsommer.

Seerose | Tonrelief | Küche

Eine Seerose in einem Zinkzuber in meinem Gärtchen vor dem Atelier ist aufgegangen. Die Blüte habe ich fotografiert und per WhatsApp verschickt.

Jetzt benetzte ich das Tonrelief aus dem Umarmungsmotiv von Noah mit Wasser. Ab Morgen kann er daran weiterarbeiten. Die neuen Schüler sind nun in das gewachsene „Kollektiv“ einzugliedern. Dafür eignet sich eine solche ganze Woche, in der wir ab Montag alle zusammenarbeiten, ganz gut.

Alexander hat Ideen entwickelt, wie wir das machen können und ich vertraue auf meine Intuition, die mehr mit Materialität und Beobachtung zutun hat.

Gestern habe ich nun endlich hier m Atelier die Küche aufgeräumt, abgewaschen, Leergut weggebracht und die Kochstelle grundgereinigt. Sofort bemächtigt sich die aufgeräumte Stimmung auch meiner, ich höre Retrosongs von Amy Winehouse in einer Lifeaufnahme vom Glastonbury Festival.

Wenn ich nun noch Zeit hätte und Kraft für mein Scherbengericht… Es reicht aber heute nur noch für die Buchmalereien, ihre Scans, die Collage daraus und für die Vervollständigung der Textdatei, die ich zuguterletzt täglich ins Netz stelle.

Klarheit | Autonomie | Stille

Schon am Vormittag begann der Ateliertag mit meinen Schülern. Wir kochten gemeinsam. Gelöste Stimmung, lautes Lachen in meinem sonst so stillen Raum. Am Montag beginnt die Kunstferienwoche. Schon gestern begann ich mit Noah ein Relief aus seinem Umarmungsmotiv in Ton zu modellieren. Die Zeichnung der verschlungenen Linien war etwas kompliziert. Ungenauigkeiten, die man sich wegen des Rapports nicht leisten kann, können beim Modellieren korrigiert werden.

Damit wird das Projekt „Frankfurter Kraftfeld“ fortgeführt. Ab 2012 habe ich mit den Dreiecksmotiven begonnen zu arbeiten, die mit Ornamenten überzogen sind. Deswegen ist der Einstig in das Dreiecksmotiv mit einer Kantenlänge von 60 Zentimetern nun etwas leichter.

Daneben liegt mein Scherbengericht, an das ich jetzt nicht herankomme. Es ist derzeit auch nicht daran zu denken, die Scherbenumrisse in extrudierte Skulpturen zu verwandeln. Das alles muss verschoben werden.

Oben in der Collage finden sich wieder Ausschnitte der neuesten Verwischungen. Ich zeigte sie meinen Schülern. Die Strenge hat mehr mit dem Scherbengericht zutun, mit der Klarheit seines Konzeptes.

Trotz der Nachrichten fürchterlicher Bluttaten in Nizza und in der Türkei, bleibe ich bei meiner Arbeit. Keine Korruption, keine Waffen, keine Eifersucht hier. Nur Einsamkeit und Autonomie, Stille und Konzentration.

Gleichförmige Farbtemperaturen

Der Versuch, den Materialeinkauf gestern vergnüglich zu gestalten, schlug letztlich fehl, denn das Angebot beim Boesner ist dergestalt, dass ich mit allem, was es dort zu kaufen gibt, arbeiten könnte. Das ist anstrengend. Und schnell sind hundert Euro weg – ein paar gute Pinsel, Tusche, ein paar Stifte und Ton für die kommende Kunstwoche mit den Schülern.

Zwischen diesem Einkauf und der regelmäßigen Donnerstagsverabredung, war nicht genug Zeit, um sich noch auf das Scherbengericht konzentrieren zu können. Stattdessen überspielte ich mit dem Effektgerät der Gitarre mein Nichtkönnen und machte schönen Lärm.

In der kommenden Woche besuchen wir mit den Schülern das Weltkulturenmuseum. Es gibt einen netten Kontakt dorthin. Die Themen der Ausstellungen dort sind nahe an dem, womit ich mich die ganzen letzten Jahrzehnte beschäftigt habe.

Tief im Osten scheint die Sonne nach einer kühlen Nacht durch die Rolltore, die sich knackend ausdehnen. Der Garten blüht. Vogelscharen halten sich gerne in seinen Gesträuchen auf. Ich habe aber den Eindruck, dass auch Amseln meine Eidechsenpopulation dezimieren.

Die Verwischungen der Buchmalereien heute sind etwas gleichförmig ausgefallen. Das kann an den ähnlichen Farbtemperaturen der Stifte liegen, die ich ausgewählt hatte. Ocker, Altrosa, Chromoxydgrün und eine warmer Grauton.

Buch 121

Die neue systematische Qualität der derzeitigen Buchmalereien ist ausbaubar. Mit diesem Herangehen fühle ich mich nun wohler als zuvor. Wenn ich nun Ausschnitte der Farbauffächerungen in der täglichen Collage nebeneinander stelle, dann stelle ich mir Frage nach meinen Bezügen zu diesen Verwischungen, die immer mit denselben Farben, senkrecht in unterschiedlichen Reihenfolgen gemacht werden. Die Farbveränderungen sind auf die unterschiedlichen Gewichtungen zurückzuführen. Nach meinen Beobachtungen haben die Farben, die als letzte in der Reihe von senkrechten Linien gezeichnet werden, den größte Einfluss auf das Gesamtbild, wenn ich in diese Richtung wische, wo sie als letzte stehen. Natürlich kommt es auch auf die Intensität des Farbauftrages, auf den Druck des Handballens und die Wassermenge an, die ich zuvor über die erste Linie male.

Heute habe ich das 121. Buch beendet. Bei dieser Gelegenheit schlug ich mal das erste Buch aus dem Jahr 1978 auf, in dem ich begonnen hatte, über meine Arbeit an den Holzschnitten zur „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz Buch zu führen. Dieses Fenster in die Anfänge meiner künstlerischen Arbeit fördert die Gefühle zutage, die mich in dieser Zeit beherrschten. Und das geschah in keiner leichten Atmosphäre, sondern unter lastendem Druck. Die Einengung wird körperlich wieder spürbar. Dabei denke ich an Vinzenz, der in dem Alter ist, in dem ich damals war und nun seine letzten Tage als Meisterschüler bei Ai Weiwei hat. Er erlebt das Gegenteil, nämlich alle Freiheit. Auch da ist es schwer, seinen Weg zu finden.

Mich zieht es nun wieder zu meinen zerscherbten Doppelportraits und zu den Erinnerungen, die sie für mich bereithalten.

Freundschaftlich

Brückenbauworkshop am Vormittag im Architekturmuseum. Ich als Einspringer im kalten Wasser schwitzend. Drei Stunden Engagement bis zum Anschlag.

Nun aber am Zeichentisch mit einem großen Glas Wasser, das ich ganz herunterstürzen will. Ruhe für die Arbeit, die ich ganz so intensiv bis zur Untätigkeit haben will.

Am Abend Gäste.

Die systematischen Verwischungen der täglichen Buchmalereien bekommen in den Collagen des Arbeitstagebuchtextes eine größere Dichte. Die Mehrteiligkeit der täglichen zusammenhängenden Formate tritt enger zusammen.

Und auch am „Scherbengericht III“ habe ich gestern Vormittag weitergezeichnet. Ein Drittel ist nun in den Dreierkolonnen auf Transparentpapier. Manchmal treten die Scherben als neblige Zeichen, als blinde Flecken oder als Fenster in die durchscheinenden Schichten der Arbeit der vergangenen Tage auf.

An der Straßenbahnhaltestelle traf ich gerade Noah. Wenn er mich fragt, wie es mir geht, dann habe ich ihm mehr zu erzählen, als manch anderem, der mich das fragt. Es ist freundschaftlich, dachte ich.

Unscharfe Zeitlupe

Die Buchmalereien sind derzeit mein Fixpunkt und bilden die Brücken von Insel zu Insel im Meer der Alltäglichkeiten. In ihnen versuche ich nun das System genauer zu fassen, die Reihenfolgen deutlich einzuhalten und die Wischbewegungen möglichst gleichmäßig mit einer immer ähnlichen Wassermenge durchzuführen. Ausschnitte der drei Malereien von heute habe ich oben in der Collage mit den durchscheinenden gestrigen Flächen zusammengefügt. Wenn ich davon ausgehe, dass die senkrechten Linien fixierte Erinnerungen darstellen und die Wischbewegung so etwas, wie den Vorgang des Vergessens zeigt, dann bedeutet das Vergessen auch gleichzeitig eine Auffächerung der Farben zu einem Allgemeineindruck, eine unscharfe Zeitlupe bindet, in der die Gefühle der Erinnerung aufsteigen können, ohne die Bilder.

In meinem Zimmer in der Frankenallee steht nun ein neuer, flacher Schubladenschrank. Der hat weiße Füße, schwarz lackierte Kastenvorderteile und eine weiße Deckplatte, die auch als Sitzfläche dienen kann. Darauf kann ich nun auf einem Kissen sitzend, an die Wand angelehnt, mit dem Blick auf die Kronen der Alleebäume, auf der akustischen Gitarre spielen. Die Schubladen sind dafür da, dass nun wieder mehr Dinge meines Privatlebens vom Atelier in die Frankenallee wandern.

In der kommenden Woche möchte ich, während der Ferienwoche mit den Kunstschülern, durch das Modellieren von dreieckigen Reliefs, den Grundstein für die Abschlussausstellung des Biografieprojektes am Ende des Jahres legen. Die Kontinuität von fünf zusammenhängenden Tagen ist die Chance dafür.

Neue Systematik der Buchmalereien

Mit den gestrigen Zeichnungen versuchte ich eine neue Systematik. Ich setzte die Farblinien in unterschiedlichen Reihenfolgen nebeneinander. Das hatte zunächst nicht den gewünschten Effekt einer sich zwischen den Formaten entfaltenden Spannung, wie ich ihn mir vorstellte. Es sind weitere Versuchsreihen notwendig, um sich dem anzunähern, was ich suche.

In den nächsten Tagen werde ich wieder nicht dazukommen, mich weiter konzentriert an das Biografieprojekt zu machen. Zu viele Ablenkungen stehen an. Morgen möchte ich am Nachmittag im Museum den Mittwochsworkshop vorbereiten, heute über Mittag wollen wir einen Schrank kaufen. Der muss dann aufgebaut und eingerichtet werden. Am Mittwoch dann der Workshop und am Abend Gäste zum Essen. So kann keine länger anhaltende Konzentration entstehen.

Bei den heutigen Buchmalereien griff die Systematik schon etwas besser. Ich habe nur mit drei Farben gearbeitet und veränderte ihre Reihenfolge drei Mal. In der Collage oben habe ich zwei Malereien gegenübergestellt, indem ich eine spiegelte und beide durch transparente Übergänge mit dem Hintergrund verschmelzen ließ. Die Scherben stammen aus dem 3. Scherbengericht.

Gravitationsschwünge der Mauersegler

Hamm

Warmes Morgenlicht. Die Mauersegler ziehen vor blassblauem Himmel ihre Gravitationsschwünge. Ich bekomme einen Kaffee auf eine Terrasse über einem schattigen Garten.

Nach den gestrigen Buchmalereien im Atelier, die sich wieder mit dem Triptychon – Thema beschäftigten, mit den durch Handballenabdruck von Bild zu Bild wandernden Motiven, die einen formalen Zusammenhang zwischen den Malereien herstellen, wässerte ich noch das Gärtchen, denn es sind heiße Tage, an denen wir reisen.

In der kommenden Woche werde ich kaum zu konzentrierter Arbeit am Biografieprojekt kommen. Zu viele andere Dinge benötigen ihre Zeit. Insbesondere der Brücken – Modellbauworkshop beschäftigt mich mehr, als mir lieb ist. Auch am Dienstagnachmittag werde ich noch mal die Materialien im Museum sichten, mit denen dann gebastelt werden soll. Da ich davon überhaupt keine Ahnung habe, muss ich mich einarbeiten.

Hier in einem anderen Garten höre ich Glockengeläut über flachem Land. Alles scheint hier anders zu klingen und es ist mehr Platz.

Das 3. Scherbengericht

Die Zeit für die täglichen Aufzeichnungen und Malereien ist heute knapp. Und entsprechend fällt auch die Collage aus. Etwas ruppig und dokumentarisch.

Sie besteht aus den Resten der gestrigen Scans der älteren Scherben, einer verwischten Linie von heute und einem Ausschnitt aus dem 3. Scherbengericht, das ich gestern mit 27 von 151 Scherben begonnen habe. Insgesamt, wenn alle vier Teile der zerborstenen Doppelportraits von Vater und Großvater in Scherbensequenzen aufgegangen sind, komme ich am Ende wahrscheinlich auf eine Anzahl von etwa 600 Splittern, die ich dann, mit neuen Linien angefüllt, wieder zusammensetzen kann. Ein langwieriges Verfahren, das sich noch über den Sommer hinziehen kann.

Die nächste Sequenz aus dem 3. Scherbengericht, die dadurch entsteht, dass ich die Umrisse übereinander rolle und sie damit zeichnerisch anfülle, was durch das Transparentpapier durchscheint, möchte ich diesmal mit einem Rollendurchmesser machen, den ich bestimmen kann. Auf Rolle 6 ist er vorgegeben und verändert sich dadurch, dass die leere Seite der Rolle immer kleiner wird und die andere, auf der schon gezeichnet worden ist, immer umfänglicher. Richte ich den Radius konstant in der Weise ein, dass sich immer möglichst viele Scherben überlagern, werden sich die Umrisse schneller mit den Linien der anderen Splitter füllen.

NO SERVICE

Die vielfarbigen senkrechten Linien, die ich innerhalb der täglichen Malereien verwische, tragen noch viele Möglichkeiten in sich, mit diesem Vorgang systematischer umzugehen. Heute benutzte ich beispielsweise dieselben vier Farben, zeichnete sie aber vor dem Verwischen in 3 unterschiedlichen Reihenfolgen übereinander senkrecht übereinander. Das Ergebnis unterschied sich jeweils stark, obwohl ich exakt dieselben Farben benutzte. Der Zusammenhang der drei Bilder jedoch bleibt bestehen und sichtbar. In der nächsten Zeit werde ich das Phänomen ausloten, es ist genügend Raum dafür vorhanden.

Für das heutige Kochen habe ich schon eingekauft, zog das Rolltor hoch und öffnete auch die zweite Tür, weil es ganz windstill und ziemlich warm ist. Außen auf die Stahltür habe ich, gegenüber der Speiseterrasse des Restaurants, ein knalliges Plakat geklebt. Es trägt die Aufschrift: NO SERVICE. Ich kaufte es in der Volksbühne in der vergangenen Woche. Das Statement könnte auch heißen: BITTE ANKLOPFEN, denn es gibt immer wieder Menschen, die glauben, mein intimster Raum sei öffentlich.

Gestern nahm ich einen noch nicht ausgeräumten Karton aus einem der Regale. Es handelte sich um den Inhalt meines alten Holzschreibtisches. Erinnerung an das Wohnen in der Frankenallee in den vergangenen Jahren, das nun ganz neu ist, ohne Schreibtisch, ohne Regale, etwas minimalistischer. Dafür ist hier im Atelier alles voll gestopft.

Freiräumen

Mit der Stahlfeder zuerst ist mir mein Füller gestern auf den Betonboden gefallen. Nun versuchte ich die Spitze wieder zurechtzubiegen, was mir aber nur teilweise gelang. Sie gleitet nicht mehr so regelmäßig und weich auf dem Papier, scheint es eher etwas aufzureißen. Das Schriftbild verändert sich, die Linien sind schmaler und feiner. Geduld – wir werden uns wieder aneinander gewöhnen.

Den ganzen Tag hielt ich mir für die Vorbereitung des Brückenmodellbau-Workshops frei. Materialien und Bauweisen habe ich neu kennen zu lernen. Kam damit auch leidlich voran, obwohl das Basteln nicht gerade zu meinen Stärken gehört.

Für heute habe ich mir Aufräumen vorgenommen, Flächen freimachen, Staubsaugen und so weiter. Das soll mir gut tun.

Fühle mich gerade etwas, wie in den alten Frankenalleezeiten vor zehn Jahren. Vieles wird schwerer vorhersehbar.

Den Nachbarn erzählte ich gestern von der Berlinreise, von meiner Tochter bei der Lesung des Autorenkommandos, von der Kentridge – Ausstellung, von Olafur Eliasson und Ai Weiwei, ihren Ateliers und Produktionsstätten. Das erzeugt immer wieder Gespräche über die verschiedenen Wege, sich der Kunstproduktion zu verschreiben. Soll man sich einem Markt anpassen, oder nicht? Soll man nach neuen Ausdruckweisen suchen oder es bleiben lassen…?.

Auffächern

Acht Uhr, die tief stehende, blassgelbe Morgensonne aus Ostnordost trifft auf meine Wände, Regale, Bilder, und meinen Staub. Die Eidechsen liegen auf den warmen Brettern im Garten.

Und ich denke über Brückenbau nach, über Schluchten, Wasserflächen, Autobahnen, Schiffsverkehr, Lianen, Beton, Styropor, Bambus und Holzspieße. Ein Workshop am kommenden Mittwoch, den ich heute noch mal in Ruhe gründlich vorbereiten werde.

Somit ruht die Arbeit am Biografieprojekt, jedenfalls was meine Scherbensequenzen und die gesamte Maschinerie meiner Erinnerung angeht.

Ein Cousin von mir, möchte mich im Atelier besuchen. Ich freue mich über das überraschende Interesse.

Die Lüftung der Restaurantküche läuft an, von Ferne die Brandung der A5 und auf den Gleisen des Bahndamms warten die Dieselloks, die gleich die ächzenden Güterwaggonschlangen in Gang setzen.

In der täglichen Malerei etabliert sich ein neues Element. Dabei handelt es sich um senkrechte Linien, die aus vielen übereinander gelegten Farben bestehen. Wenn ich sie verwische, fächern sich die Farben auf.

Brücken

Schwüle Luft draußen. Im feuchten Sommer geht es den Pflanzen in meinem Garten und auf der Wiese, die ich dem Schotterplatz abgetrotzt habe, gut. Auch für mich fühlt sich diese Feuchtigkeit gut an.

Für das Biografieprojekt hatte ich gerade ein Treffen in einer Flüchtlingsunterkunft. Das Projekt wird nun auf unbegleitete Flüchtlingsjugendliche ausgeweitet. Gestern im Architekturmuseum und heute Nachmittag auch. Ich sichte das Material, das mir für den Brückenworkshop zur Verfügung steht, und stelle fest, was noch besorgt werden muss.

Für den Oktober steht eine Reise des Museumsteams nach Venedig zur Architekturbiennale auf dem Programm. Der deutsche Pavillon, der vom DAM verantwortet wird, hat Kontroversen ausgelöst. Es geht dabei um den Umgang mit Migration in Verbindung mit Architektur. Und natürlich werden hochoffizielle Umgangsweisen mit dem Phänomen in Frage gestellt. Es gibt ja viele verschiedene Ansätze in Europa und in der Welt.

Auf Rolle 6 beendete ich die Arbeit an der Sequenz zu dem Väterdoppelportrait. Eine Zäsur setzt ein. Ich dränge die Atelierarbeit notwendigerweise etwas zurück.

Entehrt

Das Stück von Ayad Akhtar hat im Amerikanischen einen Titel mit einer anderen Bedeutung als im Deutschen. Eigentlich heißt es nicht „Geächtet“ sondern „Entehrt“. Dieser trifft eher die Gemütslage der jungen, radikalisierten Anhänger des schiitischen Faschismus. Der Theaterabend geht mir nach. Fast bin ich der Meinung, dass es sich weniger um ein Konversationsstück als um ein Lehrstück handelt.

Die Hoffnung, dass sich das muslimische Denken aus sich selbst heraus reformiert, rückt in weite Ferne. Die jungen Menschen, die den dschihadistischen Populisten hinterher laufen, legen keinen Wert auf ein eigenes aufgeklärtes Geschichtsbewusstsein. In meiner Nachbarschaft sammeln sie sich offen und leben ihre Jugendkultur, die aus den gewalttätigen Videoclips der diversen „Gotteskriegerorganisationen“ mit bestätigenden Bildern versorgt wird. Der Ehrbegriff ist, wie schon so oft in der Geschichte, missbraucht.

Weil ich mich seit Jahrzehnten mit dem Migrationsthema befasst habe, glaube ich nun, mir erlauben zu dürfen, mich um ein ureigenes Thema, nämlich meiner Erinnerung widmen zu können. Auch in Ai Weiweis Atelier begegnete mir die Flüchtlingsproblematik auf Schritt und Tritt.

In der Dunkelkammer meiner Erinnerung schwimmen Formate in der Entwicklerflüssigkeit, die nur zögerlich die Konturen der Momente preisgeben, die bisher nicht festgehalten wurden. Im Nachhinein ist es schwierig, die Tiefenschärfe zu bekommen, die die Bilder, die vielleicht fünfzig Jahre zurückliegen, klar werden lassen.

Ayad Akhtar „Geächtet“

Nach der Preisverleihung gestern erledigte ich im Atelier das tägliche Pensum, während in der Nachbarschaft Kindergeburtstag gefeiert wurde.

Am Abend nach Wiesbaden, um die Übersetzung von „Geächtet“ von Ayad Akhtar, einem amerikanischen Autor pakistanischer Abstammung, zu sehen. Gezeigt wird die langsame Steigerung eines multiethnischen Konfliktes zwischen Kollegen und Freunden. Die religiös – kulturelle Herkunft wird als fast unüberwindbar gezeigt. Aus ihr erwachsen in den Konstellation zwischen Schwarz und Weiß und zwischen Moslems und Juden, explosive Situationen mit dramatischen folgen. Ein fließender Text, gut hörbar und verstehbar, übersetzt von meiner Frau.

Ein Text von Simon Stephens zu einem solchen Thema wäre viel verschlüsselter und mehrschichtig anwendbar gewesen. Sehr unterschiedliche Autoren. Gestern sahen wir ein so genanntes „Gebrauchsstück“, schreckliches Wort.

Auf der Heimfahrt im Radio auf der Autobahn schalteten wir Kommentar zur ersten Halbzeit des Spieles Italien gegen Deutschland ein. Zu Hause dann die zweite Halbzeit, die Verlängerung und das spannende Elfmeterschießen.

Unendlich

Die Beschäftigung mit dem Möbiusband stand gestern beim Biografieworkshop im Vordergrund. Das heißt aber, dass es um die Überlagerung von verschiedenen Universen, Paralleluniversen und um Unendlichkeit ging. Worte, die bei den Diskussionen immer wieder auftauchten schrieben wir auf und druckten sie dann mit Buchstabenstempeln auf Transparentpapierstreifen, die zu Möbiusbändern zusammengeklebt werden.

Daneben entstehen auch Biografiecomics und Wachsreliefs, die Schrifttafeln ähneln. Die Müdigkeit, die mir auch nach diesem Schuljahr manchmal entgegenschlägt, wie auch die Tiefe meines eigenen Schlafes derzeit, haben auch viel mit anstrengender Unendlichkeit zu tun.

Ich freue mich über die Idee, die Scherben des Doppelportraits nach der Arbeitsphase auf Rolle 6, wieder zusammenzusetzen. Bei Campbell lese ich von den hinduistischen Erinnerungen an vorherige Leben. Der Mehlwurm erinnert sich an seine Verfehlungen als König.

Am Abend lagen wir in den Liegestühlen und machten dem Himmel zum Hauptereignis der Stunden bis Mitternacht. Haie mit grausilbernen Flossen glitten unendlich langsam sehr weit über uns in den verschiedenen Schichten des tiefen Ozeans.

Heute Vormittag, die Verleihung des Binding Kulturpreises an den Schöfflingverlag. Ich erinnere mich noch mal an in mein voriges Leben und die fürsorgliche Beschäftigung, die Karlheinz Braun meinem Vorhaben „Trixel Planet“ entgegenbrachte und es dann für diesen Preis vorschlug. Ich fühlte mich geehrt und aufgehoben.

Kochen | Triptychon | Scherbenenergie

Schon 9.15 Uhr. Also spät im Atelier. Vorher Einkauf für meine Schüler, die ich heute wieder bekochen will: Blumenkohl, Frühlingszwiebeln, Schinken, Creme Fraiche, Kartoffeln und Fetakäse. Dazu ein Sixpack für den Abend hier. Alles trug ich im Rucksack her, denn das Auto bleibt in der Frankenallee stehen. Kühlschrank eingeräumt und Rolltor hochgezogen. Das wird immer schwerer gängig – Frühsport! Der ganze Apparat muss mal geölt, die Federspannung justiert werden.

Am Zeichentisch im Wechsellicht des Himmels glaube ich, schon einen ganzen Tag hinter mir zu haben. Die gestrigen Buchmalereien hängen eng zusammen. Motive wandern mit den Handballenabdrücken von einer Miniatur zur anderen. Auf Stoff gedruckt, gerahmt und zu einem Triptychon geordnet, würde das deutlicher werden.

Bei der Arbeit an der Totenbuchsequenz auf Rolle 6 dachte ich daran, die Scherben, die Durchblicke in den Zeitraum, wieder in die ursprüngliche Ordnung zu bringen, das Doppelportrait von Vater und Großvater wieder zusammenzusetzen. Aber allein die in Dreierreihe, in strengem, gleichmäßigem Raster angeordneten Scherben haben mit ihrem neuen Innenleben eine Energie.

Wieder reizt mich die Gegenüberstellung der klaren Linien mit der täglichen Malerei.

Katakomben | Brücken

Hier im Atelier brachte ich das Arbeitstagebuch und damit auch die Website auf den neuesten Stand. Das dauerte mit den Scans, Collagen und Texten einen ganzen Tag. Der Berlinaufenthalt glitt noch mal hinter den Augen hindurch. Das ist der Lohn für die etwas mühselige Arbeit.

Im Atelier von Ai habe ich die Bodenfliesen mit den Spiegelungen aus dem nach oben geöffneten Schacht fotografiert. Einen anderen Schacht nahm ich auf dem Alexanderplatz auf. Es sind die geheimnisvollen Katakomben, die unter allen Städten eine andere, dunkle, städtische Schicht bilden.

Ich denke oft über die Produktion von Vinzenz nach, die aus einem großen Teil Verweigerung besteht. Die Ufer, zu denen er Brücken bauen will, befinden sich hinter dem Horizont. Da ist großer Kraftaufwand vorprogrammiert.

Einen Brückenbauworkshop soll ich gleich demnächst im Architekturmuseum geben. Gerne würde ich von den Dingen ausgehen, die nicht zusammenpassen. Sie stehen an verschiedenen Ufern und können nicht zueinander. Wie sähen die Brücken aus, die wir dann zwischen diesen Eilanden aufspannen würden? Brücken mit Schirmen, mit Kabinenbahnen, mit Brettern, die man hinter sich wegnehmen und vor sich hinlegen muss und so Stück für Stück über eine Seilkonstruktion gelangt…

Ai Weiwei | Olafur Eliasson

Frankfurt, Atelier

Auf dem Fußweg hier her empfand ich das Nachhausekommen sehr stark. Die wenigen Tage Berlin haben den Faden nicht abreißen lassen und gleichzeitig Energie erzeugt, weiter zu machen.

In der Mitte der Stadt habe ich gestern noch mal Erinnerungen gesucht. In der Box des Humboldtforums wollte man mir noch mal erklären, warum das Monstrum des alten Stadtschosses dort hin gehört, und ich habe den Blick von der Aussichtsterrasse noch mal fotografiert, den ich vor vierzig Jahren vom Dach des Palastes der Republik dort auf Packpapier gezeichnet hatte.

Am Nachmittag Treffen mit Vinzenz, der uns Ai Weiwei und Olafur Eliasson vorstellte. Im Atelier des chinesischen Meisters, der nun Vinzenz zum Meisterschüler macht, sahen wir die aktuelle Arbeit im Entstehen. Gediegenes Handwerk und schöne Materialien. Die Hocker der älteren Installationen standen noch herum und die neuen Arbeiten, die in aller Welt gezeigt werden, warteten auf den Abtransport. Kistenstapel in den Katakomben. Im Hinausgehen begegneten wir uns und gaben uns die Hand. Scherze mit Alexej, der mit dabei war und mittlerweile fast 4 Jahre alt ist.

Er lockerte die Situation etwas auf und wir spielten nett mit ihm. Nach einer Pause sahen wir uns noch die Fabrik von Eliasson an. Er öffnete das Fenster in Parterre vor uns, um Vinzenz und uns zu begrüßen. Sehr freundlich!

Das waren also die Mentoren von Vinzenz.

Kentridge | Pollesch

Berlin, Mariannenplatz

Die Stadt bietet eine Reihe von Ausstellungen, aus denen wir uns die von William Kentridge im Gropiusbau aussuchten. Zu einem Zeichner entsteht, wenn er es ernst meint, von mir aus so etwas, wie eine natürliche Affinität. Die Videoarbeiten des südafrikanischen Künstlers beschäftigen auf einer Ebene mit dem Prozess des Zeichnens, der von Bewegungen im Raum bestimmt ist. Andere Ebenen betreffen die Geschichten des Verhältnisses zwischen Innen und Außen, zwischen Symbol, Vision und Funktion. Überzeichnete Buchseiten fügen sich zu Daumenkinos zusammen.

Das inspiriert mich zu einem möglichen Umgang mit den Super 8 Filmen meines Vaters. Ich könnte nämlich Szenen in einzelnen Frames so zerlegen, dass mich darin immer nur einzelne Gegenstände, Gesichter oder Räume interessieren. So kann ich handgezeichnete Animationsschleifen herstellen.

Es gibt da noch einen Zusammenhang zwischen den Radierungen, die mit dem Zuckeraussprengverfahren gemacht worden sind, und Videos von Ameisen, die sich offensichtlich an Zuckerlinien orientiert gruppieren. Sehr schöne, einfache Zusammenhänge, denen man ihre Entwicklung ansieht.

In der Volksbühne danach noch ein Pollesch: „I love you, but I`ve chosen Entdramatisierung“.

48 Stunden Neukölln

Berlin, Mariannenplatz

Die schöne Thomaskirche leuchtet rot-ocker und die Engel auf den beiden Türmen scheinen in den vollkommenen Farbkontrast des Himmels abheben zu wollen. Das ist in vielen Spiegelungen in den Zimmerfenstern zu sehen.

Im Viertel bestimmt ein Kunstfestival das Straßengeschehen. Die Autoren des Kommandos Thorben B. hatten eine Lesung vorbereitet, die Anne zu großen Teilen organisiert hat. Der Titel „All you can READ“ stand unter dem Motto: „Wir tischen Geschichten auf, bis sich die Balken biegen!“ Die gediegenen Texte hatten alles was mit Essen zutun. Ich habe gelacht und konnte gut zuhören. Auch Vinzenz kam. Später sahen wir das Fußballspiel der Europameisterschaften, in dem die Deutschen 3:0 gegen die Slowaken gewannen.

Bei dem Inder, bei dem ich auch mit den Kunstschülern war, sprachen wir über Arbeitsmöglichkeiten nach der UdK. Das Neue, das dann kommt, wird auch für mich spannend beim Zuschauen.

Immer fort, fort, fort. Raus aus Berlin, raus aus dem Kunsteinerlei in die neuen Unmöglichkeiten des Allumfassenden.

Schaubühne

Berlin, Mariannenplatz

Nachmittags im heißen Kreuzberg unterwegs. Auf einem offenen Parkdeck eines Kaufhauses, mit Blick über einen großen Teil der Stadt, ließen wir es langsam angehen. Dank der Ortskenntnis meiner Stadtführerin Anne, zogen wir uns bald in einen kühlen italienischen Garten zurück. Schatten, Weißwein und Worte, die sich zu einem verschlungenen Miteinandersprechen ordneten.

Treffen auf dem Lehniner Platz, am Kurfürstendamm und Abendessen. Dann in der Schaubühne Wortkaskaden von Falk Richter. Eine Textcollage aus rassistischen, neofaschistischen und nationalistischen Tondokumenten der Gegenwart. Litaneien der Pegidaanhänger wurden bis zum Erbrechen wiederholt. Für welches Publikum wird das eigentlich gemacht? Ich habe mich oft gelangweilt.

Ich weiß… ich weiß…

Danach ein alternativer Christopher Street Day in Kreuzberg, an dessen Rand noch ein paar unterschiedlich kalte Biere mit guter Aussicht genossen werden konnten. Die ganze Nacht war Hip –Hop – Bewegung von einem Hotspot zum anderen.

Möbiusband | Biografie

Berlin, Mariannenplatz

Vom Zug aus blickten wir in aufgeheizten Nebellandschaften, die den Regen waasergesättigt gleich wieder dampfend entließen.

In meiner Nische sitzend konnte ich mich gestern lange nicht von meinem Gärtchen trennen. Die improvisierten Wasserspiele setzten Regenbögen in den grünen Raum. Die Eidechsen waren verschollen aus diesem Paradies.

Mit den Schülern versuchte ich am Nachmittag ein Bild für Paulos Traum von der Zeitreise und den elliptischen Zeitgedanken von Noah zu finden. Wir kamen auf ein Möbiusband, das entsprechende geheimnisvolle Eigenschaften besitzt. Joana schrieb in ihrer Geheimschrift ein Ewigkeitsgleichnis auf einen Streifen Transparentpapier, das wir dann zu einem solchen Band zusammenklebten. Aus solchen Bändern entstanden lauter kleine Objekte, die in den schwarzen Kästen der vorigen Ausstellung schön zur Geltung kommen. Wegen der Hitze ging alles etwas langsamer und nicht so konzentriert, wie sonst.

Ebenfalls bei tropischer Hitze haben wir heute vom Ostbahnhof aus zu Fuß die ehemalige Grenze über die Schillingbrücke überquert und wohnen gleich neben der Thomaskirche und schräg gegenüber vom ehemaligen Bethanienkrankenhaus, mit Blick auf die Kirchenfassade.

Auf dem Meer des Vergessens

Alle Zeichen des zweiten Scherbengerichtes aus dem dritten Totenbuch füllen sich nun auf Rolle 6 mit dem, was die vielen Schichten beim Zusammenrollen des Transparentpapiers durchscheinen lassen. Auch dieser Vorgang, der sich nun einige Male wiederholen wird, ist eine Metapher für das Erinnern. So, wie sich jetzt die Umrisse mit den weiteren Zersplitterungen füllen (siehe oben) beschreiben sie einen möglichen Erinnerungsvorgang an sich und werden selbst Ausgangspunkt für Erinnern.

Die Schichten des Transparentpapiers sind der Nebel auf dem Meer des Vergessens. Wenn Wind aufkommt, tauchen vielleicht Inseln der Erinnerung aus der milchigen Umgebung auf. Man muss etwas aufpassen, denn leicht geht die Orientierung verloren.

Heute Biografieworkshop. Die Wachstafeln, die zurzeit gegossen werden haben einen direkten Bezug zu dem Instrument, mit dem die Schüler in der Antike schreiben gelernt haben. Sokrates verwendet dieses Bild, um den Zusammenhang von Erinnerung und Wahrnehmung zu beschreiben. Die Zeichen, die in eine glatte Fläche eingeritzt werden, können von uns mit Gips ausgegossen und zu Bausteinen des Boigrafiegebäudes werden. Die anderen Motive sind nach wie vor die diversen Umarmungen und vielleicht die Wanderungsrouten der Familien, wie ich es gestern mit Alexander besprochen habe.