BIRDLAND

Simons „Birdland“ sahen wir in einer Produktion des Schauspiels Frankfurt im Bockenheimer Depot. Die Übersetzung ist ziemlich vollständig gespielt worden. Die Figur des Rockstars Paul war einer Figurenentwicklung unterworfen, die so nicht im Stück steht. Es bezieht sich auf einen Text von Patti Smith, in dem es um die Verkennung der eigenen Sterblichkeit geht. Der Narziss Paul, meint, dass er wegen seiner Genialität nicht sterben kann. Der plötzliche Sturz der Figur ereignet sich in dem Moment, da ihr klar wird, dass das Geld, in der sie schwimmt von der Plattenfirma geliehen ist, die es wiederhaben will. Der Star findet sich am Boden der Hölle wieder, wo er als Marionettenmaschine zu funktionieren hat.

Vor und nach der Premiere kamen Kerstin Specht und Karlheinz Braun zu uns, mit denen wir nicht nur über dieses Stück sprachen.

Joana goss gestern im Atelier ihre bisher spektakulärste Wachsfigur. Sie wächst, wie eine große, bleiche Koralle aus dem Grund. Die Arbeitsweise hat noch viel Potential, vor allem, wenn sie mit dem Ausschmelzverfahren kombiniert wird.

Ich habe Gartenerde auf die Beete gehäuft und weitere trockene Pflanzen des vergangenen Jahres abgeschnitten. Manchmal sollte ich mir für die Gartenarbeit mehr Zeit nehmen.

Spannung

Seit über einem Jahr hängen die Pionierportraits in meinem Balkonzimmer in der Frankenallee. Auch, wenn ich sie täglich sehe, werden sie nicht schwächer. Genau das dachte ich auch schon vor einem Jahr am 03.03. 2016.

Damals machte ich mir auch über die Verbindungen von Buchmalereien und dem Biografieprojekt Gedanken. Die stellte sich wenig später von ganz alleine ein, denn die Gravitationsschwünge, die in den Büchern eine große Rolle spielten, bekamen diese dann auch in den Totenbüchern, die sich zum Scherbengericht entwickelten. Auch gestern zeichnete ich mit Feder und Tusche die Liniengeflechte auf das große Reinkarnationsblatt, die aus den Überlagerungen der vielen Scherben entstanden sind, deren Kantenformen von den Gravitationsschwüngen herrühren.

Die Weiterentwicklung der Biografiearbeit wird nun vom reinkarnierten Doppelportrait ausgehen. Daran zeichnete ich die ganze Woche und habe ein Drittel geschafft. Nun stehen mir die Techniken der Überlagerungssequenzen und der Synaptischen Kartierungen zur Verfügung, falls ich beim Material Transparentpapier, Tusche und Schelllack bleiben will, wovon ich ausgehe. Das Potential der sich dem Stillstand nähernden Langsamkeit der stark verdichteten Überlagerungen und der flinken Verwischungen, sich abstoßender Flüssigkeiten wie Wassertusche und Spiritusschelllack vor Augen, kann ich die Arbeit in dieser Spannung ruhig weiterführen.

Heute kommen meine Schüler. Joana wird an ihren Wachsausschmelzverfahren weiterarbeiten und die Jungs bleiben wohl bei der Vervollständigung der Kartierung der Biografiestadt.

Zeitaufwand | Toaster

Die täglichen Malereien Collagen und Texte zum Arbeitstagebuch dauern unterschiedlich lange. Am Beginn eines neuen Monats müssen verschiedene neue Dateien und Ordner für die Bilder und Berichte angelegt werden. Das Zusammenstellen der täglichen Collage benötigt den unterschiedlichsten zeitlichen Aufwand. Für alles zusammen brauch ich manchmal nur anderthalb Stunden, manchmal aber auch eine Stunde länger.

Die Splitter des „Scherbengerichts I“ sind nun mit ihren neuen Binnenstrukturen auf das erste Viertel des ersten Reinkarnationsblattes gezeichnet. Etwas davon befindet sich in der Collage oben.

Welcher der beiden Vorgänge, die Zusammenführung der beiden Männergesichter, die sich nie sahen, oder die Wiederauferstehung des Doppelportraits, der wichtigere ist, kann ich gerade nicht entscheiden. Ist vielleicht auch egal.

Weitere Möglichkeiten der Entwicklung der Strukturen lägen in der Weiterverarbeitung in neuen Überlagerungssequenzen des veränderten Doppelportraits. Durch diese Arbeitsschritte würde eine weitere Quelle für andere Rückblicke gespeist.

Die Morgensonne scheint in einen Spiegel und wärmt meinen Kopf von zwei Seiten, wie ein Toaster.

Tatoosplitter | Gartenschnitt

Die ersten zusammenhängenden Quadratzentimeter des Reinkarnationsblattes sehen zunächst etwas ornamental aus. Die Zeichen könnten von Tatooschablonen stammen. Der zweite Blick zeigt allerdings, dass alle Linien bald abbrechen. Zusammenhänge erscheinen dann erst wieder, wenn die sich wiederholenden Strukturen der Überlagerungssequenz von Rolle 6 erkannt werden. Aus der Ferne werden dieselben vier Gravitationsschwungfomate sichtbar, mit denen das Raster des Doppelportraits viermal gleich zersplittert worden ist.

Beim Zeichnen der bisher etwas über vierzig neu ausgefüllten Scherben, konnte ich gleich an die Konzentration anknüpfen, die meine Arbeit in den letzten Monaten an den Einzelscherben bestimmte. Das verschafft mir ein Gefühl weiter andauernder Kontinuität und Sicherheit. In Zukunft kann ich weitere Blätter in dieser Arbeitsweise anfertigen und somit die Art des Zeichnens und nicht die Zeichnungen selbst in den Vordergrund rücken.

Im Sturm schaffen die zerfetzten Regenwolken schnelle Lichtwechsel, deren nervöses Spiel besonders auf meinem Zeichentisch stören könnte.

Die Feuerschale mit weiterem Gartenschnitt habe ich aus dem Regen genommen und unter das Vordach gestellt. Am späteren Nachmittag, wenn das Material durch den Wind getrocknet ist, werde ich es anzünden. Am Abend wollen wir in die Schirnkunsthalle.

Reinkarnation im Viererrhythmus

Ganz locker konnte ich gestern mit dem ersten Reinkarnationsblatt beginnen. Auf ein Quadrat mit einer Kantenlänge von etwa 60 cm habe ich die ersten zusammengefügten 300 Scherbenumrisse, zunächst nur mit Bleistift gezeichnet. Nun kommen die nächsten Arbeitsgänge. Welche Materialien zum Einsatz kommen ist klar. Außerdem will ich das Papier von vorne und hinten bearbeiten.

Die Vierteilung des Formates wird nun auffällig. Viermal wiederholen sich dieselben Gravitationsschwünge, indem sie allerdings auf unterschiedliche Rasterkonstellationen treffen. So entstehen Scherben mit gleichen und verschiedenen Umrissen. Der Viererrhythmus erzeugt im Quadrat eine neue Dimension, von der ich noch nicht weiß, wie sie das Thema erweitern kann.

Die sich auf dem Bildschirm abspulenden Collagen der letzten Jahre fesseln immer wieder meinen Blick. Sie spornen mich an und versorgen mich mit einer Erfindungsenergie. Ich hätte Lust, einige von Ihnen auszudrucken und zu Rahmen, um ihre Langzeitwirkung zu überprüfen.

Gleich hat sich ein serbischer Künstler bei mir angemeldet, der in Deutschland arbeiten will. Die „simple“ Frage ist, wie er das machen soll…

Totenbuch | Scherbengericht | Tod den Vätern

Eine spezielle Ginstersorte, die der Nachbar gepflanzt hatte, blüht schon gelb strahlend. Die Asche von gestern kann ich nun unter die Erde mischen, die ich gestern schon anreicherte mit den Überresten des großen Feuers vor dem Wochenende.

Für den Vormittag habe ich mir wenig vorgenommen. Nur die Buchmalereien, und das Nacharbeiten der Arbeitstagebuchdatei. Das reicht für diesen Wochenbeginn. Mal sehn, was der Nachmittag bringt. Etwas aufräumen, zaghaftes Vorbereiten der neuen Arbeitsschritte…

Oder ganz pausieren, Materialeinkäufe machen, Ausstellungen anschauen, lesen oder Kontakte pflegen.

Mit Franz sollte ich nun über die Ausstellung sprechen. Die kann „Totenbuch“ heißen oder „Scherbengericht“, oder einfach „Tod den Vätern“. Manchmal denke ich, dass Objektrahmen für die Blätter des Scherbengerichtes richtig wären.

Musiktempel

Wir hatten Gäste und sprachen mit ihnen über Architektur und Akustik. Ich dachte dabei, man könnte einen Raum für nur ein Musikstück bauen, der genau dem Klang dieser Komposition entspricht. Spielt man dann in diesem Konzertraum andere Stücke, so werden sie im Stil der ursprünglichen Komposition gebrochen. Vielleicht kann man sogar mit einer veränderbaren Architektur und nur einem Ton komponieren. Das Haus als Instrument.

Wenn man Tempel für Götter errichtet, kann man solche auf für einzelne Musikstücke bauen.

Sonntagsspaziergang an der Roten Mühle. Danach saßen wir vor dem Atelier in der Sonne des Gärtchens am Tisch. Ich schnitt trockene Pflanzen des vergangenen Jahres ab, zerkleinerte sie und verbrannte das Material am Abend.

Verzierungen | Götter | Erdvorräte

Die Sonne lockt mich in meine Gärtchen. Durch das Schneiden der großen wilden Rosen entsteht eine Höhlung, in die man Stühle und Tische hineinstellen kann, ein neuer Platz mit neuen Ausblicken, Funktionen für andere Denkperspektiven. Immer wieder schneide ich an diesen Büschen und verbrenne dann am Abend das abgeschnittene Material. Dann, wenn später die Güterzüge auf dem dunklen Bahndamm langsam vorüberpoltern, die Holzkohle glimmt, meine Klamotten und Haare völlig durchräuchert sind, kommt eine kleine Erinnerung an Abendteuer auf. Ich schaffe so, ganz langsam, verschiedene Plätze für mich und auch für die anderen. Das gefällt mir.

Schriftfragmente, Vignetten und Verzierungselemente erscheinen in den Buchmalereien und werden in die Vergangenheit gewischt, wo sie herkommen. Andere Versuche mit den alten Materialien aus den „Synaptischen Kartierungen“ liegen auf dem Zeichentisch. So bewege ich mich langsam aus der Strenge der Produktion hinaus, drifte etwas davon und versuche das zu genießen. Etwas Ruhe ist nötig, um wieder Anlauf zu nehmen für das nächste größere Experiment.

Uns kamen gestern Abend die Erlebnisse in den tibetischen Klöstern Sikkims in unsere Erinnerungsgespräche. Die gefährlichen, monströsen Götter, die in den gewaltigen Bergmassiven hausen, die wir täglich vor Augen hatten, wurden, je weiter man die Etagen der Tempelbauten erklomm, um so schreckenserregender. Manchmal erscheint es mir so, als würden uns erst jetzt die Erlebnisse mit der Wucht treffen, die wir uns während der Reise etwas vom Leib hielten.

Die noch warme Asche von gestern Abend schüttete ich mit meinen Erdvorräten zusammen, mit denen ich meinen Garten auf dem Beton erweitern werde.

Reinkarnationsproben

In der Sonne auf dem Zeichentisch liegt der erste Versuch des Scherbenzusammensetzens, der erste Reinkarnationsversuch. Die Struktur, die dabei entstanden ist ähnelt einem Stadtplan. Sie könnte die innere Kartierung des Doppelportraits von Vater und Großvater darstellen oder die Wege ihrer Begegnung.

Die Tage plötzlich ohne die tägliche Scherbenproduktion zu verbringen, fällt mir nicht leicht. Ich spiele herum, unternehme Experimente, die sich mit Strukturen beschäftigen, die mit Graphit, Schelllack und Tusche auf Transparentpapier möglich sind.

Neben eine Hauschuppe legte ich ein Haar von mir auf ein Blatt. Beides goss ich in Schelllack ein. Als er durchgehärtet war, machte ich ein Frottage davon und überstrich sie wieder mit dem bersteinfarbenen, durchsichtigen Material. So könnte es weitergehen. Mich führt das wieder zu den Anfängen des Biografieprojektes, als ich mich mit den Jungpionierportraits beschäftigte.

Am Morgen dachten wir über meinen Wunsch eines Indienaufenthaltes nach. Gerne würde ich eine Zeit in Kerala verbringen, in der ich nicht herumreise, sondern an einem Ort bleibe. In dieser Zeit könnte ich auch auf Transparentpapier arbeiten. Die Materialien, die ich dafür benötige sind leicht zu transportieren. Vielleicht würde ich mich aber auch in traditionellen indischen Techniken ausprobieren.

Abwarten!

Eine Hautschuppe aus meinem Nacken, ließ ich auf ein Stück Transparentpapier fallen und schloss sie mit Schelllack ein. Mich interessiert, was passiert, wenn ich das mit einzelnen Haaren mache, eine Frottage davon probiere und mich weiter treiben lasse.

Deutlich wird, dass ich mich dem nächsten Arbeitsschritt mit leichter Hand nähern sollte. Komme ich sofort in der strengen Produktionsdynamik der Scherbenblätter zu den „Reinkarnationsexperimenten“, werden die Schrauben zu stark angezogen.

Zunächst möchte ich probieren, nur die Liniengeflechte, die sich innerhalb der Scherbenumrisse befinden, zusammenzufügen und schauen, was dabei herauskommt. Mit diesem Beginn stehen mir weitere Experimente offen, weil die Form nicht abgeschlossen, im Gegenteil, sehr offen ist. Dieser neue Schritt ist zu weitreichend, als dass ich ihn mit der, in den letzten Monaten eingerissenen Strenge gehe.

Gestern suchte ich die Blätter mit den Totenbuchzeichnungen, d.h. die zusammengesetzten Scherben ohne ihr späteres Innenleben, heraus. Es sind vier quadratische Formate, die ich alle am 13.06. 2016 gezeichnet habe. Nun liegen sie zum zerscherbten Doppelportrait aus ineinander geschobenen Rasterpunkten, im Viereck geordnet, unter einer Acrylglasscheibe auf dem Zeichentisch.

Abwarten!

Kleine Pause

Alle 166 Blätter des Scherbengerichtes Nummer IV sind nummeriert, mit einem Datum versehen und signiert. Ich habe die vier Stapel der vier Scherbenblätter – Sammlungen in die untere Schublade des Schreibsekretärs gelegt. Dort warten sie nun auf ihre Auferstehung.

Gegen 16 Uhr war ich mit dem Arbeitsgang der Vereinzelung der über 600 Scherben und ihrer Anreicherung mit Binnengeflechten fertig. Zum Trocknen blieben die letzten 20 Blätter auf dem Zeichentisch liegen. Mich zog es dann hinaus zu einem Spaziergang zum Rebstockweiher und einem Besuch im Atelier von Niklas Klotz. Wir sprachen über Portraits, und natürlich erzählte ich im vom Scherbengericht.

Mit Franz, der leider nicht da war, möchte ich nun die Ausstellung besprechen. Die Arbeit wird nur fragmentarisch ausstellbar sein, denn es würde uns überfordern, alle Blätter zu zeigen. Vielleicht kann man sie aber stapeln.

Nach dieser kleinen Pause gestern, drängt es mich nun doch schneller, als ich es gedacht hatte dazu, das Atelier aufzuräumen, um einen Arbeitsplatz für die „Reinkarnationsarbeit“, das Zusammensetzen der neuen Scherben auf einem Blatt, zu schaffen.

Die Buchmalereien springen aus der Gelassenheit der Verwischungen in die Unruhe der Vereinzelung von Zeichen und Strukturen. Ruppige Korrekturen harmonischer Klänge, Zufallsflecken an der Peripherie und das frühe beenden der Arbeit an einem Motiv, werden wichtiger und heben den Gleichklang hinweg.

Fortsetzungen

Als erstes am Morgen signierte ich die Blätter bis 174 des Scherbengerichtes IV. Das heißt, dass ich mit den Einzelblättern der Gesamtserie heute Nachmittag fertig werde.

Vielleicht mache ich, bevor die 600 Scherben wieder zusammengesetzt werden, eine kleine Pause, damit ich den folgenden Schritt leichter gehen kann. Ein wenig fürchte ich mich davor, mit den Einzelblättern aufzuhören, denn sie begleiteten mich jetzt 3 Monate an jedem Arbeitstag. Mir wird etwas fehlen.

Am Morgen habe ich mich schon etwas gebremst, um die letzten zwanzig Blätter in Ruhe zu zeichnen, es herauszuzögern und zu genießen. Damit ich diese Arbeitsweise, die mir so entspricht, in ähnlicher Weise fortführen kann, dachte ich mir, das nächste Projekt, das ich zusammen mit dem Museum machen will, mit Fundstücken zu gestalten, die ich mit Schelllack und Tusche auf Transparentpapier präparieren kann.

Mit den Scherbenblättern, die den Blick in die Vergangenheit vertiefen, fällt ein Ereignis zusammen, das wiederum in die Zukunft über mich hinaus reicht. Seit einiger Zeit schon bin ich damit konfrontiert, dass ich Großvater werde. Ich glaube, dass die Art der Scherbenblätter mit ihren Nährflüssigkeiten, formal etwas mit diesem erfreulichen Vorgang, der emotional schwer fassbar ist, zutun haben könnte. Seit wenigen Tagen weiß ich, dass es dabei um einen männlichen Nachkommen geht…

Nostalgische Fingerübung – keine Fortsetzung

Auf meinem Balkon in der Frankenallee steht ein neuer Kulissentisch, den ich gestern in mein Zimmer holte, um an ihm, am Abend mit einem Glas Wein zu schreiben.

Jetzt aber, sitze ich wieder im Atelier bei Wasser und freundlichem Licht am Zeichentisch. Noch beschäftigt mich die Ausstellung, die wir gestern im Städel sahen. In Heidelberg noch, hatte ich Schablonendrucke zu einem Stück von Marivaux gemacht, die sehr von Glöckner beeinflusst waren.

Als wir die Freitreppe des Museums beim Hinausgehen schon hinter uns hatten, lief ich noch mal zurück, die Treppe hinauf. Dort sprach ich ein Ensemblemitglied des Frankfurter Schauspiels zu „Ich ein Anfang“ an, das wie in der vergangenen Woche gesehen hatten, und das mir immer noch nachgeht. Ich mache das öfter, dass ich Künstlern sage, wie mir ihre Arbeit gefallen hat.

Jeden Tag gehe ich viermal an der Kaschemme mit meiner Wandzeichnung vorbei und ging nicht mehr hinein. Das ist eine abgeschlossene Episode einer nostalgischen Fingerübung, die keine Fortsetzung haben wird.

Das serielle Konzept des „Scherbengerichts“, das es mir ermöglicht, in einer langen Reihe, vielen verschiedenen Dingen auf den Grund zu gehen, konzentriert die Produktion jetzt noch mal wesentlich.

Herrmann Glöckner | Nichte

Heute am Sonntag sahen wir im Städelmuseum noch mal mehrere Arbeiten von Herrmann Glöckner. Dabei waren auch zwei Blätter mit gezeichneten Schwüngen, die meinen Gravitationslinien ähneln, mit denen ich die Rasterpunkte des Doppelportraits der Väter zerschnitten habe. Die Ausstellung schöpft scheinbar aus einer reichen Sammlung seiner Arbeiten, die von der Deutschen Bank angelegt wurde. Die Verquickung dieses Museums mit den Banken macht mir öfter ein unangenehmes Gefühl. Die Kunst kommt mir dann angeschmutzt vor.

Das wenige, das ich in Dresden von Glöckner gesehen hatte, beeinflusste einige meiner Arbeiten, die ich später in Heidelberg anfertigte. Er war ein alter, produktiver Langstreckenläufer.

Für vierundzwanzig Stunden hatten wir die Nichte zu Besuch. Wir hatten uns viel zu erzählen, waren ausgiebig persisch Essen und saßen bis in die tiefe Nacht am Küchentisch. Vor einiger Zeit, während ihres mehrtägigen Aufenthaltes in meinem Atelier, übte sie mit ihrer Bratsche ein Barockstück von Zelter. Dazu habe ich eine Überlagerungssequenz gezeichnet.

Im Atelier schaute ich mir noch mal den großen Stapel von Einzelblättern aus der vergangenen Woche an. Ein gutes Gefühl. Eine Pause jetzt, wäre nicht schlecht.

Zahlen, Rhythmus und Beschleunigung

Die Gravitationsschwünge im Scherbengericht haben mich in die Zentrierung meiner Erinnerung gezogen. Ihre Funktion, das Doppelportrait der Väter zu zerschlagen, spielt mir die Möglichkeit zu, aus der bildlichen Begegnung der Männer, die sich nie sahen, eine Erneuerung zu bauen, indem ich die veränderten Scherben wieder zusammensetze. Die sich wiederholenden Arbeitsgänge beim Zeichnen der 600 Einzelblätter mit den veränderten Scherben, führen zum Weitergehen, um fremde, mir noch unbekannte Episoden zu erforschen oder zu erfinden.

So werden die zwei Fitznerbrüder, die wandernden Schreiner, zu denen, die meine gegenwärtigen Schritte zur Annäherung an die Ereignisse meines Lebens vorwegnahmen.

In diesem Zusammenhang bin ich mir nicht sicher, ob mich mein vierzigjähriges Tagebuch nicht eher an die alten Erfahrungen bindet, als mich frei zu lassen, um neue Erfahrungen zu machen.

Auf dem Zeichentisch liegen die Einzelblätter mit den neu gefüllten Umrissen des Scherbengerichtes IV, mit den Nummern 105 bis 125. Nun hätte ich an diesem Nachmittag noch Zeit, diese Blätter, die noch ohne die Schelllack- und Tuscheschichten sind, fertig zu machen. Das hieße, dass ich in dieser Woche 125 Einzelblätter fertig gestellt hätte – ein Scherbengerichtsrekord.

Zahlen, Rhythmus und Beschleunigung.

Zahlen

Im sonnigen Atelier, gegen 9 Uhr, etwas spät, versuche ich in die Konzentration zu kommen. Ein großes Glas Leitungswasser hilft dabei. Das beste Lebensmittel! Später eine Tasse Kaffee.

Der Text von Marianna Salzmann geht mir nach. Ein heimatloses Schweben, das den Worten misstraut. Manchmal erscheinen auch mir manche, wie Erfindungen. Ich bin mir nicht sicher, wenn ich denke: heimwärts, zeithin und unterschliffen. Ich traue meinem Hirn die Erfindungen zu, aber nicht die Erinnerungen.

Stille jetzt im Atelier. Nur die Blätter auf dem Zeichentisch, 21 quadratische Formate mit einer Kantenlänge von 16,3 cm, wölben sich transparent im wärmenden Licht. Temperatur steigt auf 22,7°C. Gestern habe ich das Scherbengericht IV bis zur Nummer 83 fertig gezeichnet. Wirklich schöne Blätter. Bernsteinfarbene, im Kreis strömende Flüsse schlagen mit einer ausblühenden Brandung an die starren Inseln aus Vogelkot, mit schwarzem Strassen durchzogen. Stickstofflager für die bleichen Tomaten, die in südlichen Wintersonnen zu früh reifen oder zu spät. Kein Ring des Jahres gilt.

Vorbereitet habe ich dann noch die Scherbenblätter bis zur Nummer IV / 104. Die kann ich mit dem glatten Bernsteinozean ummalen, gleich bevor meine Schüler kommen.

„Ich, ein Anfang“

Von Sasha Marianna Salzmann sahen wir gestern „Ich, ein Anfang“ in einer Regie von Bernadette Sonnenbichler in den Kammerspielen des Frankfurter Schauspiels. Eine aufwühlende Geschichte unter anderem von Gewalt gegen Kinder und der Heimatlosigkeit danach.

Ein Scherbengericht!

Auf dem Zeichentisch stehen die offenen Gläser meiner Arbeitsflüssigkeiten, die ich als Nährböden in Schichten auf Transparentpapier aufgetrage. Unterschiedliche Dichten des Schelllacks erzeugen Trocknungsstrukturen, die Höhenlinien hinterlassen, Kartierungen der archivierten Gefühlslandschaften. Die Tusche sammelt sich in deren Tälern und lässt Bernsteinhöhenzüge auftauchen. Orientierung wird möglich.

Seit Mai 2016 beschäftige ich mich nun mit diesen Scherben, die ich noch in diesem Monat zusammenzusetzen beginnen werde. Der in vier Felder geteilte Bogen kann dann von hinten und von vorne bearbeitet werden. Die Schichten können also, teilweise unabhängig voneinander, aufgetragen werden. Vielleicht spielen auch dort die Höhenlinien neben den Tuschegeflechten eine Rolle.

Diese Arbeitsgänge verbinden sich mit immer mehr alltäglichen Geschehnissen, die ihr Echo in den vielen hundert Blättern wieder finden.

Schönschrift

Über den Dächern der alten Tevesgebäude aus den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts steigt die Sonne auf und beleuchtet die Olivenblüten hinter den Scheiben des Rolltores. Fast könnte man schon, in diesem Morgenlicht, draußen sitzen, wie gestern Mittag im Korbsessel.

Gestern besichtigten wir den Inhalt der zusammenfallenden Baracken. Der besteht in erster Linie aus den Hinterlassenschaften unserer anatolischen Freunde. Die Kosten des Abtransportes und die Arbeit, die das Aussortieren des Mülls verursacht, sind eine Zumutung.

Die gezeichneten Schleifen innerhalb der Buchmalereien bekommen eine Anmutung von einer alten Handschrift. Es leuchtet die alte Schönschriftdisziplin durch, wie wir sie in den kreideverstaubten Klassenzimmern der Grundschule übten. Eine Einladung zu einem Klassentreffen ist gekommen. Auf diese regelmäßigen Termine in Waltershausen freue ich mich immer, denn ich kann den Erinnerungen nachgehen, die neuerdings für meine Arbeit viel wichtiger geworden sind.

Mit dem Scherbengericht IV kam ich gestern soweit, dass nun ein Ende abzusehen ist. Noch etwas 100 Blätter, dann habe ich es erst einmal geschafft. Heute widme ich mich zunächst den schon weit gearbeiteten Blättern 43 bis 62, und dann am Nachmittag bereite ich bis etwa Nummer 80 vor.

Lichtintensität | Liniengeflechte | Unabhängigkeit

Durch die Verwischungen haben die Buchmalereien manchmal etwas Unterseeisches. Es entstehen Lebensformen der Tiefsee, neu entdeckt und unerforscht.

Die Lichtintensität, von der ich die ganze trübe Zeit geträumt hatte, ist heute von der ersten Minute des Morgens da. Nun kann der kraftspendende Treibstoff nicht nur meinen subtropischen Vertikalwald hinter den großen Fensterscheibenflächen der Rolltore blühen lassen.

Unbeschwert und gestärkt kann ich mich also den 21 Blättern widmen, die ich gestern gezeichnet hatte. Tuschliniengeflechte in Splitterumrissen, die bis IV / 42 nummeriert sind. Nach den Buchmalereien und der Arbeitstagebuchdatei, werde ich zunächst Schelllackschicht und dann die Tuschekreise um die Scherben legen.

Auf einer Bank in der Sonne sitzend, stellten wir am Sonntag fest, dass Künstler nur glücklich sein können, wenn sie sehr erfolgreich sind, oder in einer Unabhängigkeit arbeiten können, wie ich. Wenn ich die Verrenkungen beobachte, die Künstler gegenüber Galeristen machen, sich jahrelang von ihnen hinhalten lassen, dann bin ich froh, meinen Weg eingeschlagen zu haben.

Mit diesem Gedanken mache ich mich jetzt erneut ans Werk und will mit den Scherben bis zum Ende des Monats fertig sein.

Disziplin

Ein etwas unsicherer Montagmorgen. Weiß nicht, ob mir die Arbeit nun Kraft geben wird oder nur solche kostet. Der kalte Ostwind macht mich etwas mürbe, zerrt an den Jacken und an den Nerven. Dazu die nebelige Trübnis. Aber die Auguren versprechen mehr Licht.

Aus dem kalten Einerlei heben mich die Buchmalereien heraus. Meine Motivation, das Scherbengericht nun zügig zu Ende zu führen, muss ich mutwillig erhalten. Das ist nicht immer leicht. Der Elan kommt nicht mehr von alleine. Die Dynamik der Kontinuität der Produktion ließ in der vergangenen Woche nach. Vielleicht motivieren mich die Zahlen der täglichen Scherbenblätter wieder.

Die barocken Schwünge, die ich mit den Aquarellstiften zeichne, liegen formal auf der entgegengesetzten Seite der spröden Scherben, die ja auch aus den schwungvollen Gravitationsschwüngen hervorgegangen sind.

Heute werde ich die ersten einundzwanzig Blätter des vierten Scherbengerichtes fertig zeichnen. Es sind nur noch die Tuschekreise um die Splitter herum zu malen. Alles andere habe ich schon in der vergangenen Woche angelegt. Dann kann ich beginnen, die morgige Produktion vorzubereiten, indem ich die Blätter zuschneide und vielleicht schon mal die Umrisse zeichne.

Treibstoff

Für die Lammkeule, die wir unseren Gästen gekocht hatten, vergrößerten wir unseren Wohnzimmertisch um sein, aus der Versenkung aufklappbares, Tischsegment. Gläser, Bestecke, Geschirr, Speisen, Wasser und Weine.

Auf diesen Tisch habe ich nun, an diesem neuen Morgen, meine Utensilien für das, was ich gerade schreibe und die dann folgenden Buchmalereien, gelegt.

Nach unserem Taunusspaziergang nachher, wollen wir gemeinsam ins Atelier gehen, wie am vergangenen Sonntag. Wir entdecken den Raum als gemeinsamen Aufenhaltsort.

Langsam beginne ich die ersten Pflanzen rauszustellen. Die Olivenbäume vertragen nun schon die Nächte, deren Temperaturen nicht mehr so tief sinken werden. Und mittags kommt manchmal eine milde Sonne hervor.

Die Buchmalereien nehmen neue barocke Wendungen. Sie tarieren mein seelisches Gleichgewicht in den Zeiten der strengen Scherbengerichte, die mich anstrengen. Die Disziplin braucht ein Ventil und auch Treibstoff.

Die Nesselreste, von der Bespannung des großen Rahmens, kann ich für Experimente nutzen, die dem Verhalten der Materialien Schelllack, Tusche und Graphit auf ungrundiertem Stoff gelten sollen. Wie gehe ich mit dickeren Schichten um, wenn die Leinwand abgespannt und zusammengerollt wird?

Flugträume

Der gleiche Bericht seit Monaten: wie viele Blätter habe ich für das Scherbengericht am Vortag gezeichnet. Zahlenrhythmen, Disziplin, Zerstörung und Erneuerung.

Motown Sound am Morgen in der Küche. Auch der war ein Magnet, der meine Ausrichtung nach Westen gedreht hatte. Die ganzen Lügen und Halbwahrheiten der so genannten „Großen Sozialistischen Oktoberrevolution“ und dieses unechte, verlogene Oktoberklubgesäusel konnten mir nicht so viel anhaben. Mein Gefühl leitete mich woanders hin. Und jetzt noch fühle ich den Triumph, im März 1984 mit der Eisenbahn die Grenze überrollt zu haben, diesem verstaubten, klebrigen Knast entronnen zu sein. Das habe ich später nie bereut.

Beim Gitarrespielen begegnen mir manchmal Erinnerungen an Flugträume, die mich weit fort trugen, nach Westen.

Das disziplinierte Zerscherben der Väterportraits wurde die ganze Zeit von den kleinen, wilden Buchmalereien begleitet. Sie waren das Gegengewicht, ohne das ich die Bearbeitung der vielen hundert Scherben nicht durchgehalten hätte. Es wird Zeit, dass ich fertig werde!

Letzte Überlagerungssequenz

Unter dicken Wolkenschichten finde ich in der grauen Finsternis zu wenig Inspiration, um mich an meinem Zeichentisch heimisch zu fühlen. Die Flugzeuge starten gegen einen kalten Ostwind über das Pultdach des Ateliers.

Rainer Bock, (er ist überall!) spielt in einem Film, der sich um die erste Generation der RAF drehte, einen Anwalt. Ein deprimierendes Stück Geschichte. Für das Fernsehen gedreht 2010.

Heute kommen die Kunstschüler. Das ist eine Gelegenheit, die Konzentration, die mich immer fester umklammert hält, zu lockern. Ich spüre nun diese Anstrengung der letzten Monate. Gestern machte ich die vierte und letzte Überlagerungssequenz des Scherbengerichtes fertig. Es wird Zeit, dass diese Arbeit zu Ende geht.

Eine halbe Stunde sah ich mir gestern eine Diashow meiner täglichen Collagen an. Ab und zu ist es mal gut, wenn ich mir darüber bewusst werde, was alles im Laufe der Jahre ohne Öffentlichkeit entsteht. Die täglichen Buchmalereien sind ein Arbeitsgang, ein Ankerpunkt, ohne den es nicht geht.

Gestern sprachen wir darüber, uns im Frühjahr mal auf eine Bank auf dem Spielplatz zu setzen, um den Kindern dort zuzuschauen. Kinder, vertieft in ihr Spiel, sind ein tröstlicher Anblick.

Geschwindigkeiten

Für den Weg ins Atelier am Morgen nahm ich mir heute Zeit, sammelte trockene Samenkapseln eines fremden Baumes, mit Löchern zum Auffädeln darin, sah zu, wie die Segmente eines Baukrans zusammengesetzt wurden und trödelte einfach ein wenig. Der kalte Ostwind und das niedrige Licht der Sonne, deren Aufgangsposition sich derzeit rasant ändert, ließen die Augen tränen.

Im Zusammenhang mit den anstrengenden Arbeitstagen der letzten Wochen dachte ich über die Geschwindigkeiten meines Lebens nach, die ich selber regulieren kann. Meistens beeile ich mich, als würde ich für Langsamkeit, auf die eine oder andere Art bestraft.

Wichtig aber ist, dass ich einen Rhythmus beibehalte, der meiner Produktivität entgegenkommt. In den letzten Tagen habe ich es mit der Dauer des Zeichnens übertrieben.

Mit der Überlagerungssequenz des vierten Teils des Scherbengerichtes werde ich spätestens morgen fertig sein. Die dann folgenden zwei Wochen gehören den 166 Einzelblättern, worauf das gerasterte und überlagerte Doppelportrait von Vater und Großvater wieder, aus etwa 600 Scherben zusammengesetzt werden kann. Dann habe ich die beiden, die sich nicht kannten gründlich vereinigt! Wie lange dieser Arbeitsgang dauert, weiß ich nicht. Länger als zwei Wochen aber kaum. So könnte ich nun mit Franz wegen einer Ausstellung sprechen.

Formenzusammenhänge

Echos aus zeitlicher Ferne und Vorstellungen davon vermischen sich mit den Linien der neuen Überlagerungssequenz auf Rolle 6. Sie weisen die Konstruktionslinien des Sperrholzmodells des Breslauer Domes vom Großvater Fitzner aus den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts auf, die nun wieder mit den Balkenlagen zutun haben, die die Zimmermannslehrlinge mit meinem Vater 1950 zu einem Dach zusammenfügten. Auch die Wegstrecken scheinen sich darin zu verbergen, die die Fahrenden Brüder Fitzner zwischen Breslau, Berlin und Wien mit ihrem 8 Zentner schweren Modell auf einem Plattenwagen zurücklegten.

Die Linienmuster innerhalb der Scherbenumrisse ordnen die Erinnerungen zu realen Formenzusammenhängen. Es entstehen darüber hinaus Räume, in denen Gefühle und Sinneswahrnehmungen stattfanden, die jetzt neue Bedeutungen bekommen. Das sind die Erinnerungsstrukturen, deren Empfindungen stetig auf Schritt und Tritt mitlaufen.

Im Netz fand ich eine Dissertation über Erinnerungskultur in Breslau. Es geht um Architekturvermittlung im gebauten und medialen Raum.

Gestern zeichnete ich die 156 Umrisse des Scherbengerichtes IV auf das Transparentpapier der Rolle 6. Ich schaffte bis in den Abend zwei Überlagerungsschichten, deren Liniendichte sich schon langsam an die anderen 3 Scherbengerichtssammlungen angleicht. Jetzt kommt noch eine dritte Schicht hinzu, dann kann ich mit den Einzelblättern beginnen.

Beschleunigung

Die langen drei Reihen des Scherbengerichtes IV hatte ich gestern auf eine Extrarolle Transparentpapier fertig gezeichnet. Von hier aus kann ich die Splitter nun einfach auf Rolle 6 übertragen, um dann die Überlagerungssequenz zu beginnen, die für die neuen Muster innerhalb der Scherbenumrisse verantwortlich sein wird.

Manchmal komme ich mir vor, als überdeckte mich eine solche Scherbenschicht. Diese Verglasung ist der Anzug, der bei jeder Bewegung neu splittert, um dann im Schlaf wieder neu zusammenzuwachsen.

Die Arbeitsgeschwindigkeit nimmt mit dem näheren Ende dieser Arbeitsphase des Scherbengerichtes zu. Am Abend zeichnete ich bis zu einer Belastungsgrenze. Dabei denke ich an die Beschleunigung des Textes „Herakles II oder die Hydra“ von Heiner Müller. Das ist die Schlacht!

Auf der Frankenallee ist das Dylankonzert vom 24.04. dieses Jahres in der Festhalle plakatiert, für das wir schon lange Tickets haben. Im August 1969 trennte sich Dylan von seinem Manager, seiner Vaterfigur und Landlord Albert Grossman, er ließ einfach den Vertrag auslaufen und verließ das Haus in Woodstock, das er wie selbstverständlich bewohnt hatte.

Vaterfiguren verlieren sich immer mal. Eine solche von mir, meinen Mentor als junger Künstler verlor ich, weil sie mein Stasispitzel war, was ich erst viel später erfuhr und ihm in seiner gehobenen Position nie zugetraut hätte.

Ateliersonntag

Ateliersonntag gestern. Ich zeichnete die ersten Umrisse des Scherbengerichtes IV. Das geschieht, indem ich die Splitter einzeln in einer Dreierreihe und in regelmäßigen Abständen auf eine gesonderte Transparentpapierrolle zeichne. Diese lange Dreierreihe ist dann die Grundlage für die nächste Überlagerungssequenz auf Rolle 6. Diese zwei Vorgänge werde ich hoffentlich Mittwoch abschließen können. Dann kann ich mit den Einzelblättern beginnen. Dieser Schritt dient mir zunächst dafür, die Einzelscherben mit ihren neuen Binnenzeichnungen in einer Weise weiterzuentwickeln, dass die Linien gleichmäßiger und die Muster dadurch klarer werden. Wie sich das dann auf das erneute Zusammensetzen der Scherben zu dem Doppelportrait auswirkt, werde ich sehen.

Gestern hatte ich die Gelegenheit das Projekt mit knappen Worten jemandem zu erklären, der es noch gar nicht kennt. Dabei fiel mir auf, dass das Konzept und seine Folgerungen nun deutlicher hervortreten. Alle Aspekte der Erinnerung, die damit zusammenhängen, weisen über das Familiäre hinaus in die Zusammenhänge allgemeiner Übereinkünfte oder Konflikte, die aus dem Erleben ganzer Gesellschaften entstanden sind.

Immer öfter treten innerhalb der Buchmalereien Achsen auf, um die herum sich die Gravitationsschwünge gruppieren. Das Kreisen der Erinnerungen schafft bei jeder neuen Umrundung eine Veränderung der Verhältnisse. Sie entstehen durch Verwischungen und dann folgenden Wiederholungen von Bewegungen auf denselben Bahnen, auf denen die wechselnden Farben laufen. Der Dreiklang, den der Austausch von Motiven und Handballenabdrücken unter den drei täglichen Malereien erzeugt, schafft die nächste Dimension. Sie öffnet sich zu den Scherbengerichten.

Sieben gegen Theben / Antigone

Ein Sonntagsspaziergang, wie ihn Männer meines Alters machen: Hände auf dem Rücken, ab und zu stehen bleibend, um dann auf einer Bank in der Sonne zu sitzen. Mein ferneres Ziel dieses Gangs war das Atelier, das ich nun auf Umwegen erreicht habe.

Das Licht spielt zwischen den Pflanzen. Musik geht durch den Raum, Lärm schleppt sich nach mit den alten Maschinen in die Wolken nach Nordosten, und die gefährliche tiefschwarze Katze sprang aus meinem Gärtchen einer Amsel hinterher, die ich aufgescheucht hatte, lag dabei in etwa 1,60 Meter Höhe in der Luft und verfehlte sie nur knapp.

Im Bockenheimer Depot sahen wir „Sieben gegen Theben“ von Aischylos in einer Texteinrichtung von Durs Grünbein zusammen mir der „Iphigenie“ von Sophokles. Regie hatte Ulrich Rasche geführt, dessen Inszenierungen immer viel mit dem Vorgang und dem Rhythmus des Gehens zutun haben. Das präzise Sprechen dieser klaren und gut verständlichen Übersetzung steigerte sich Schlag auf Schlag und Schritt für Schritt, unterstützt von einer Begleitband mit zwei Posaunen, Schlagwerk und Elektrobass. Mir erschien der Abend sehr gelungen. Ein klares Konzept ging in einer durchgehenden Form auf.

Im Foyer trafen wir noch Boris Hruschka, an den wir uns noch am Vorabend auf dem Sofa erinnert hatten. Wir kennen ihn aus unserer Heidelberger Theaterzeit, und nun ist er gerade dabei, auf Rügen ein Minitheater zu erfinden.

Zeichnen läuft voraus

Materialeinkauf: Schelllack, Tusche, Pinsel, Papier und Wachs.

Jetzt bin ich bei den Buchmalereien, wie sie nach Gedanken an die Reihen von Vätern, bis hin zu Abraham, von der Hand gehen.

Joana arbeitete gestern weiter an den biografischen Hohlformen im Wachsausschmelzverfahren. Ich brachte das dritte Viertel des Väter – Scherbengerichtes zu Ende. Es besteht nun aus 164 Einzelblättern, die jetzt im Schreibsekretär lagern.

Ließen sich die Gedanken an eine künftige Arbeit, die sich in ähnlicher Weise den Müttern widmen könnte, jetzt schon zeichnen, liefe die Zeit schneller und würde die Uhren in ihre Schranken von nur einer Wahrheit verweisen.

Meine konzeptionellen Werkblöcke haben sich stark entfernt von der Arbeit, die ich damals mit Helge Leihberg, Cornelia Schleime und Ralf Kerbach gemacht habe. Sie, die Kollegen von damals, sind sich, nach allem was man im Netz besichtigen kann, treu geblieben. Ich fühle mich meilenweit entfernt von dieser Tradition. Das hat sich aber erst hier in Frankfurt entwickelt.

Serielles Pensum

Nummer 140 des zweiten Scherbengerichts zeichnete ich gestern Vormittag noch. Alles war gut vorbereitet, und trotz einer Verspätung schaffte ich mein Pensum, das ich mir vorgenommen hatte.

Während eines Gesprächs bei Roland am Nachmittag mit einer Kostümbildnerin, die ich aus dem Museum der Weltkulturen kenne und einem französischen Bildhauer, bemerkte ich beim Erzählen, dass mich Philip Glass, der vorgestern achtzig Jahre alt geworden ist, damals während unserer Zusammenarbeit in Heidelberg, ziemlich beeinflusst hat. Das serielle Element gab es ja schon in den Achtzigerjahren bei mir. Damals entstanden insbesondere längere Reihen von Monotypien, die immer aufeinander aufbauten. Das hat sich dann in den Neunzigern aber noch mal verloren und dann aber, mit dem Erleben der Choreografien von Bill Forsythe, vertieft und verändert.

Nun sind die Serien oft ein Mittel, mit dem ich andere kompakte und konzentrierte Arbeiten vorbereite. Das gilt auch für das Scherbengericht. Zunächst will ich mit den neuen Scherben ein neues Doppelportrait auf Transparentpapier zusammensetzen. Je nach dem, wie dieses Ergebnis ausfällt, werde ich dann versuchen, dieses Bild auf dem großen Leinwandformat weiterzuentwickeln. Dafür habe ich aber noch einige handwerkliche Vorbereitungen zu machen, während derer ich ausprobiere, wie sich die ungrundierte Leinwand unter der Verwendung verschiedener Materialien verhält. Muss auch mal schauen, wie das Motiv dann überhaupt noch funktioniert. Der Grad der Abstraktion interessiert mich dann auch. Wann erkenne ich den Gegenstand, wie wichtig ist das dann noch…?

Erhöhung der Konzentration der Bezüge zwischen den Geschehnissen

Ich hatte mir für den Vormittag viel vorgenommen. Auch deswegen, weil eine, für den Nachmittag anberaumte, Tevesanrainer – Zusammenkunft mir viel meiner knappen Arbeitszeit wegnehmen wird.

Die Zeiteinteilungen meiner gegenwärtigen Arbeitsvorgänge sind so optimiert, dass ich Verzögerungen kaum noch wettmachen kann.

Gestern zeichnete ich wieder zwanzig Blätter fertig und bereitete weitere zwanzig schon bis zu einen fortgeschrittenen Stadium vor. Bei der Beschleunigung der Arbeitsvorgänge spielt auch die Erhöhung der Konzentration eine Rolle. Die vielen Stunden, die ich intensiv mit den Scherben zutun habe vertiefen die Einblicke in die Erinnerungsarchive Tag für Tag.

Stetig komme ich weiter voran, wenn es um die Vernetzung der Geschehnisse der Biografien geht. Die Galerie von kleinformatigen Fotografien neben meiner kleinen klaustrophobischen Arbeitsnische hilft mir, Bezüge zwischen vergangenen Ereignissen herzustellen.

Gestern ein Film über Hannah Arendt. Ich erinnerte mich an meine Arbeit zum Stück „Bruder Eichmann“ von Heinar Kipphardt am Staatsschauspiel in Dresden. Damals kam ich erstmalig mit ihren Gedanken in Kontakt. Ihre Bücher aber waren in der DDR nicht zu haben.

Paradies Periskop

Ein Blick durch mein „Paradies Periskop“ zeigte mir die nächsten Seiten meines Buches bereits beschrieben und mit Buchmalereien versehen. Zwischen den Tagesaufzeichnungen klafften Lücken, als fehlten in der Zukunft Erinnerungen.

Während meines Fußweges am Morgen erinnerte ich mich an Florian Schwinn. Nur sein Name fiel mir nicht gleich ein. Langsam entwickelte er sich aus Moritz Schwindt etc. Er war mal in meinem Atelier und reichte mich gleich weiter zu Barbara Henke, die mit mir auf Hr2 ein Interview machte. Seine Geschichten sind mir noch lebhaft in Erinnerung. Sie drehten sich um die polnische Gewerkschaftsbewegung der Achtzigerjahre und die Frankfurter Spontis.

Keine Ablenkung! Ich tappe jetzt nicht in die Zerstreuungsfalle. Treu und konzentriert bleibe ich bei meinen Scherben.

Von denen umgab ich gestern weitere zwanzig mit der bewährten Nährflüssigkeit aus Schelllack und Tusche. Sie ist angereichert mit meinen gelösten, fluiden Erinnerungen. Das Brüllen und leise gefährliche Töne erscheinen aus meinem Archiv. Ich stehe neben mir, lausche und schaue dieser Beschleunigung der Arbeit zu, die mir kaum noch Zeit für andere Dinge lässt. Das habe ich nun zu akzeptieren.

Dunkle Luft

Paranoides Periskop dachte ich am Morgen, während ich dunkle Luft einatmete. Im Atelier wünsche ich mir einen schweren Stein, den ich hin und her wälzen kann, von der einen Seite auf die andere. Die Spuren auf seiner glatten Oberfläche zeugen dann von meiner Arbeit.

Gerade signierte ich zwanzig Blätter, die ich gestern noch bis in den Abend gezeichnet hatte. Auch dies ist eine Arbeit, wie einen Stein zu wälzen.

Ich musste meinen brutalen Ausruf: „Tod den Vätern!“ erklären. Und gestern besuchte mich ein Ateliernachbar, dem ich nun, nach einem guten halben Jahr, mein Scherbengericht zeigen und beschreiben konnte.

Aus dem Rebstockimbiss, dem Ort meiner großen Wandzeichnung, kam ein Trinker, der mir erzählte, dass seine Lebensgefährtin im Alter von 66 Jahren gestorben sei. Nun sollte ich für sie einen Grabstein machen. Ich kann das nicht, sagte ich ihm. Sie haben dort meine Zeichnung, mehr ist nicht drin… Ich fühlte einen starken Widerwillen gegen Alkohol.

Heute hoffe ich, das Scherbengericht II bis zum Blatt 100 voranbringen zu können. Wenn mir das gelingt, dann habe ich die Chance, diesen Teil der Arbeit in dieser Woche abzuschließen, um dann in der nächsten Woche mit dem Scherbengericht IV, dem letzten Teil, beginnen zu können.

Bohnenkaffee | Büchner

Der Montagmorgen ist trübe. Auf den tiefgefrorenen Boden fällt Regen. Das macht das Gehwegpflaster glatt. In der Stadt rundherum hört man andauernd Signalhörner.

Kaffee im Atelier. Das ist eher eine Ausnahme. Ich kaufte im Supermarkt fünfhundert Gramm gemahlenen Kaffe und Milch, brachte eine kleine Kanne von zu Hause mit, in der ich das Pulver aufbrühen und mit einem Kolben dann, nach einer Weile, herunterdrücken kann. Ich nehme mir eine Tasse, die uns Gabi Speckbacher aus New York mitgebracht hat. Das Dekor zeigt eine Sonne, die hinter den Twintowers des World Trade Centers, rot untergeht.

Kaffee war Luxus für mich in den Siebziger- und Achtzigerjahren. Den gab’s nur am Wochenende. Zwei Tassen Bohnenkaffee zum Sonntagsfrühstück. Ich erinnere mich, wie sehr ich mich damals darauf freute.

Nach einem langen Spaziergang gestern, der uns mit einem sonnigen Himmel überraschte, besuchten wir das Geburtshaus von Georg Büchner in Goddelau. Als erstes fiel mir die Enge auf. Oft bekam die Mutter Kinder und dauernd wurde umgezogen. So wenig stetig behaust, in der flachen Landschaft zwischen Rhein und Odenwald. Als wäre die Bewegung in dieser Fläche leichter, als hätte man nicht so viel Gepäck gehabt, das auf einen größeren Leiterwagen passte, den man leicht über das Pflaster ziehen konnte (Pflaster? Waren die Wege nicht eher sandig, staubig oder schlammig?).

2° weißgrau

Über die kahle Frankenallee ist ein 2 Grad kalter Himmel gegossen, weißgrau, still abwartend. Die Gehwege sind leer, die Menschen bleiben zu Hause. Uns zieht es in die Rheinauen des Kühkopfes im Hessischen Ried. Frühstück und dann los.

Mit einer gewissen Regelmäßigkeit begann ich an den letzten Wochenenden, nicht mehr ins Atelier zu gehen, um meine Arbeitsaufzeichnungen zu machen. Stattdessen sitze ich in zu Hause, schaue auf das Geschehen draußen auf der Straße, finde kaum in Arbeitsthematiken und will mich jetzt auch davon etwas entfernen. Die Scans der Buchmalereien und die Vervollständigung der Arbeitstagebuchdatei erfolgt dann am Montag. Dafür brauche ich etwas mehr Zeit, als sonst, kann dann mit dem Scherbengericht erst am Nachmittag so richtig loslegen.

Ich habe überschlagen, dass ich mit diesem Teil meines Biografiethemas im Februar fertig werden kann. Dann habe ich zu entscheiden, wie es weitergehen soll. Kann dann die große Malerei stattfinden und wann geht es dann um die Mütter?

Tod den Vätern!

Mit meinen seit Monaten ungeschnitten wachsenden Haaren spüre ich einem rebellischen Gefühl meiner Jugend nach. Unsere Langhaarigkeit war ein Zeichen persönlichen Protests gegen den eingemauerten real existierenden Sozialismus. So öffentlich zu Schau gestellte Fundamentalkritik, von der Mitte bis zum Ende der Sechzigerjahre, zog den Argwohn der „Organe“ auf uns. Wir wurden beobachtet. Indem ich nun die Spitzen meiner Stirnhaare an meinen Wangen spüre, kehrt die Haltung wieder, mit der man durch eine leichte Kopfbewegung all das Haar aus dem Gesicht schwang. Schaut mich an, ich bin es, der nicht einverstanden ist. Diese Geste illustrierte Überzeugungen.

Verschiedentlich wurde ich brüllend aufgefordert, mir die Haare zu schneiden, wurde deswegen beschimpft und verraten, was mir ein Leben lang nachging. Vielleicht schmelze ich eine Wachsskulptur, der ich diese Begebenheiten zuordne.

Trotz der Ausschmelzarbeiten zur Biografiethematik gestern mit den Schülern, bin ich noch dazugekommen, weitere 20 Blätter zum „Scherbengericht II“ fertig zu stellen. Wenn ich mich ranhalte, schaffe ich es, diesen Teil der Arbeit in der nächsten Woche zu beenden. Dann folgt noch das „Scherbengericht IV“, wonach ich dann endlich das reinkarnierte Doppelportrait zusammensetzen kann.

Tod den Vätern!

Bruchkanten

Mit dem Scherbengericht will ich dem Tod allgemein zuvorkommen. Zunächst nannte ich ja die Arbeit wegen ihrer Ähnlichkeit mit den ägyptischen Grabbeigaben auf Schriftrollen „Totenbuch“. Meine Zeichen sind aber keinem Bild verpflichtet, sondern den Verflechtungen der Lebenslinien; die aus den Kanten der Scherben bestehen. Auf diesen Bahnen verbergen sich die Flüche und Taten, Erlebnisse und Verdienste, die auf der abgelebten Zeit lasten.

Dafür habe ich gestern die nächsten zwanzig Blätter mit ihren liniengefüllten Splittern fertig gezeichnet. Sie liegen trocknend auf dem Schreibsekretär und animieren mich, gleich mit dieser Arbeit fortzufahren. Es ist, als würde sie keinen Aufschub ertragen können, um die Scherbenzeichnen wieder zusammenzufügen, als hinge davon eine Erlösung ab.

Die nächsten zwanzig Formate sind schon geschnitten, und auf den ersten vieren sind schon die Umrisse gezeichnet. „Los weiter!“ ruft es.

Heute aber mache ich aber die Arbeitsflächen frei für unsere Wachsausschmelzverfahren und deren Anknüpfungen an biografische Ankerpunkte. Außerdem: Einkaufen von Fisch, Gemüse und Reis.

Die Sonne steigt über den Dachfirst des Nachbargebäudes, ich denke an die „Landmarken – Arbeit“, die als nächstes kommt, an die Glaszylinder in denen die Objekte vor den weiten Aussichten aus den Hochhäusern stehen.

Tägliche Triptychen

Gestern machte ich die Blätter 1 – 21 des zweiten Scherbengerichtes fertig. Sie liegen zum Trocknen auf dem Sekretär und müssen nur noch signiert werden. Weitere zwanzig Blätter habe ich auf 16,3 cm x 16,3 cm zugeschnitten und schon die Umrisse der nächsten Scherbenumrisse bis zur Nummer 41 darauf gezeichnet. Jetzt fehlen noch die Innenstrukturen aus der Überlagerungssequenz, die ich in der vergangenen Woche auf Rolle 6 angefertigt habe.

In die Collage oben fügte ich einen Ausschnitt des Scherbengerichtes II/2 von vorgestern ein. Und wieder habe ich einen Stapel von zehn Umrissen, von hinten durchleuchtet und fotografiert. So läuft alles sehr regelmäßig und die Konzentration vom Vorabend ist am Morgen noch da.

Die Schwünge, Linien und Kreise der Buchmalereien fungieren zunehmend als Elemente, die unter den drei täglich entstehenden Arbeiten, per wässrigem Handballenabdruck, ausgetauscht werden. Dieser Austausch führt zu einem Zusammenklang der drei Motive, die man deswegen jeweils als Triptychon anschauen könnte.

Das ist ein ruhiger Arbeitstag, an dem ich mich nun auch noch um die Finanzierung der weiteren Zusammenarbeit mit meinen Schülern kümmern will.

Zählungen | Sichtachsen

Die Umrisse von zwanzig Scherben zeichnete ich gestern auf einzelne Transparentpapierquadrate und nummerierte sie von „Scherbengericht II/1“ bis „Scherbengericht II/21“. Manchmal gibt es ein paar Ungereimtheiten in der Zählung. Die aber werden am Ende keine gravierenden Auswirkungen haben, es sei denn, sie führten mich auf einen neuen Pfad.

Ich fotografierte alle Blätter von gestern auf einem Stapel mit einer starken Rückbeleuchtung, sodass alle Umrisse, nach hinten immer unschärfer, übereinander lagen.

Vielleicht kann ich heute die zwanzig Blätter fertig zeichnen, will mich aber damit nicht hetzen, will mich nicht unter einen zu großen Zeitdruck bringen.

Im Museum habe ich gestern besprochen, dass ich für die nächste Zeit das Hochhaus – Sichtachsenprojekt weiterentwickeln werde. Der Aspekt der erneuten Annäherung an Themen der Stadtgestalt und der Rückgriff auf die Kontinuität der Raumexperimente der Vergangenheit, gaben den Ausschlag für diese Arbeitsrichtung.

In dem Fortgang der Arbeit mit meinen Schülern entsteht nun eine Lücke, die finanziert werden muss. Eine lösbare Aufgabe.

Landmarken | Framebrücke | Echo

Die Überlagerungssequenz, mit der ich die Splitter des Scherbengerichtes II auf der Transparentpapierrolle 6 füllte, ist fertig. Sechs von ihnen habe ich oben in die Collage eingefügt Jetzt kann ich mit den Einzelblättern beginnen. Dennoch sitze ich spät, erst gegen 9, am Zeichentisch. Zu hause, am Morgen gingen mir einige Dinge durch den Kopf, die sich mit einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Museum beschäftigen.

Das meiste Potential hat das Wachsausschmelzverfahren, das dem Biografieprojekt zugeordnet ist. Die Spannung zwischen innerer und äußerer Form gleicht einem Verhältnis von Erinnerung an ein Ereignis und seinem Echo. Es ist in unseren täglichen Reaktionen auf gegenwärtige Ereignisse hörbar. Wenn wir also die Skulpturen bestimmten Erlebnissen zuordnen, sie eingießen und dann ausschmelzen, werden diese in einer intensiven Weise bearbeitet. Das negative Volumen wird dann von einer neuen Form umfangen. Das erinnert an Entwicklungsschritte des Tanzes bei Forsythe, während derer die klassischen Arabesken von anderen Tanzfiguren umschrieben werden. Das Innen ist die abwesende Erinnerung, die von der äußeren Erscheinungsform gezeigt wird.

Zwei weitere Vorhaben würde ich gerne noch in den nächsten zwei Jahren angehen. Erstens das Landmarkenprojekt, das Sichtachsen von Hochhäusern in der Innenstadt zu markanten Punkten an der Stadtperipherie und von dort aus zurück thematisiert. Eine andere Idee widmet sich einer gläsernen Brücke zwischen dem Film- und dem Architekturmuseum. Der Kubus besteht aus den Schichten von Filmframes eines Kameraschwenks. An seinem Rand bilden sich die Gegenstände, Landschaften oder Kulissen ab, die den Rahmen der Leinwand verlassen. Metropolis wäre ein schönes Thema.

„Kultur aufs Land“

Aus einem purpurnen Grundton steigen die Farben der Morgendämmerung dem Apricot entgegen, das eine seltene Winterfarbe ist. Im Farbrauschen ändern sich die Wellenlängen, machen Sprünge und überlagern sich mit der akustischen Gravitation. Die Visualisierung von Tönen trifft auf den Klang der Malereien oder der Webmuster, wie sie in einer Jahrhunderte alten Tradition überliefert sind. Kompositionen, die im Weltkulturenmuseum zu hören sind, bedienen sich dieser Strukturen, machen diese Überlieferungen hörbar.

Die Streuobstwiesen bei Hochstadt, sind die Grundlage für den Apfelwein, der dort produziert wird. Wie spazierten durch die Hanglagen, die der Sonne zugewandt waren. Vor einem der Bienenstöcke zog schon eines der Insekten seine kleinen verschlungenen Bahnen. So warm fing sich das Sonnenlicht an manchen Stellen und erzeugt eine Frühlingsahnung.

Werden wir uns einst an die guten Zeiten des kulturellen Austauschs erinnern, oder sind die lauten gegenwärtigen Äußerungen der Politiker, die der Landbevölkerung ohne internationale Vernetzung, den Verlierern der Globalisierung in unseren Breiten, nach dem Maul reden, nur eine vorübergehende Erscheinung?

In der DDR ging es irgendwann mal um die Nivellierung der kulturellen Unterschiede zwischen Stadt und Land. Das war ein Programm, dem die Kulturschaffenden folgen sollten: „Kultur aufs Land!“ hieß es. Die Mitglieder einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft sahen dann den „Faust“ im Kulturhaus. Sie skandierten mit Blick auf das Verhältnis von Faust zu Gretchen: „Heiraten soller se!“.

Das skulpturale Außen und Innen

Die ersten viel versprechenden Ergebnisse der negativen Wachsausschmelzfiguren führen zu einer Vielzahl von Möglichkeiten, diese Arbeit weiter zu führen und zu optimieren. Zwei skulpturale Wertigkeiten treffen aufeinander. Da ist zunächst die äußere Form des Gipsblocks, in die die Wachsskulptur eingegossen ist. Sie besteht zurzeit einfach aus der Schüsselform des Gipsbechers, weil sie die erste nahe liegende Möglichkeit bildet. Diese kann nun aber weiter bearbeitet werden. Wir haben den Block als erstes in der Mitte durchgesägt, damit wir die zwei Teile der Wachsfüllung leicht unter Beobachtung ausschmelzen können. Nun kann man natürlich noch weitere Schnitte sägen, um andre Einblicke in die negative ausgeschmolzene Form zu bekommen. Die Höhlung tritt so in ein Verhältnis zu der Außenform. Dieses weite Feld der skulpturalen Arbeit breitet sich nun langsam vor unseren inneren Augen aus und erfüllt uns mit einer großen Erwartung.

Vom Atelier aus telefonierte ich mit meinen Eltern. Bei diesem Satz fällt mir auf, wie die Bedeutung eines Ortes, von dem aus man spricht, abnimmt. Mittlerweile kann man von den meisten Orten auf der Welt telefonieren. Es spielt eine immer geringere Rolle, wo wir uns befinden. Die Instagram – Bildersammlungen haben etwas unbehaust Nomadisches. In diesem Spannungsfeld erscheint mir meine Arbeit, die in einem Rückzug in die Stille meines Ateliers stattfindet, anachronistisch. Gleichzeitig werden hier aber Explosionen ausgelöst, die die Splitter der Biografien durch den Raum jagen lassen.

Ich erinnere mich an das deutliche Gefühl der Andersartigkeit eines Raumes hinter einer geografischen Grenze. Der Grenzübertritt bleibt für mich immer noch ein sehr emotionaler Vorgang.

Negativskulptur

Die Stahlsäulen der Notstromaggregate der Netzknoten am Bahndamm leuchten purpurn in der Abendsonne.

Die Tagesarbeit gestern bestand aus der ausgeschmolzenen Negativfigur einer Wachsskulptur von Joana. Der runde Gipsblock, der die Plastik umschloss, ist in zwei Hälften zersägt und gibt die Höhlung preis, die entstand als wir die Formteile erhitzten. Das war nur der Anfang. Mit den Erfahrungen der nächsten Versuche werden wir unser Vorgehen optimieren. Das verspricht noch spannende Ergebnisse.

Die Überlagerungssequenz des zweiten Scherbengerichts auf Rolle 6, habe ich nun etwa zur Hälfte gezeichnet, so dass ich in der kommenden Woche mit den Einzelblättern beginnen kann.

In der Mittagszeit saß ich in der Windstille auf meinem Korbstuhl im Gärtchen und spürte die Sonne heiß in meinem Gesicht. Ich schnitt dann die Bäumchen zurück und kümmerte mich noch um eine Sitznische in einem Wildrosengesträuch am Rande unserer wilden mageren Wiese.

Im Gegensatz dazu spülte die Übertragung der Amtseinführung des US-Präsidenten viel giftigen Schlamm in mein Atelier. Der Mann hat die Hitlerreden studiert und erinnert sehr an Mussolini. Was soll man nun über die Amerikaner denken, die ihn wählten?

Insel | Scherbengricht II | Ausschmelzverfahren

Die Scherbe mit der Nummer 123 des ersten Scherbengerichtes, besitzt die Form eines Messers mit einem kurzen Griff. Umgeben ist dieser Umriss von den Gezeitenlinien unter einem ovalen Tuscheschlick. Die Binnenzeichnungen sind auf ein Drittel auf der linken Seite der Klinge beschränkt. Es gibt da Diagonallinien, die sich dreimal wiederholen, wie ein Walzermotiv mit Variationen. Die Vielen anderen Linien kreuzen sich häufig miteinander und mit den Diagonalen. Es handelt sich um ein Wegesystem auf einer kleinen Insel, das nur zu Fuß begangen wird. Am südlichen Strand, auf der windabgewandten Seite, werden die Boote an Land gezogen. Dann gibt es noch eine kleine Bucht, die südöstlich ausgerichtet ist. Die ist felsig und kein Weg führt dorthin. Auf der winzigen, aber bewohnten Insel, gibt es nur eine Tanzschule, die von den Bewohnern der Nachbareilande besucht wird. Alles andere, was man für das Leben benötigt, lernt man auf dem Meer.

So ließe sich für jede Scherbe ein Szenario entwickeln. Sicher würden sie sich ähneln. Manche aber sind ganz unbewohnt, weil viel zu klein. Das sind die Stationen der Seevögel, die sie mit ihren Nestern und ihrem Kot bedecken.

Gestern widmete ich mich dem Scherbengericht II. Es besteht aus über 150 Splittern, die ich in einen Dreierreihe geordnet, mit regelmäßigen Abständen auf Rolle 6 gezeichnet habe. Als nächstes beginne ich mit der Überlagerungssequenz die Umrisse zu füllen.

Mit meinen Schülern würde ich heute gerne die abstrakten, spontan und zufällig entstandenen Wachsfiguren, biografischen Stationen zuordnen. Mit dem Wachsausschmelzverfahren kann man dann negative Volumina davon herstellen.

Giacometti | Schelllackozeane

Jede einzelne der etwa 300 Scherben mit ihren Binnenstrukturen, erscheint mir wie die Kartierung eines Landes. Sie ließen sich einzeln unter die Lupe nehmen und erforschen. Die Landschaften, Straßen und Flüsse. Mit dem Zerspringen der Doppelportraits geht die Befreiung von einer Verspanntheit einher. Ein Schuss ist auf eine Glaskuppel abgefeuert worden. Man kann sich schütteln und aufstehen.

Gestern zeichnete ich 35 Scherben mit ihren Binnenautobahnen. 20 von ihnen sind schon auf den Tuscheinseln in den Schelllackozeanen angekommen.

Da ich viermal dasselbe Muster mit Gravitationsschwüngen benutzt habe, um die vier Teile des Doppelportraits zu sprengen, gibt es da, wo die Umrisse nicht von den Rasterpunkträndern beeinflusst sind, übereinstimmende Scherbenkonturen. So könnte ich diese Scherben austauschen und falsch zusammensetzen, um verschiedene Varianten des reinkarnierten Bildes zu schaffen.

In der Kunsthalle Schirn werden derzeit Werke von Alberto Giacometti und Buce Nauman gegenübergestellt. Die Giacomettiwerke gehen mir, wenn ich sie langsam umrunde, ziemlich nahe. Es wird deutlich, mit welcher Intensität er sich der Komposition widmete. Die Maßverhältnisse erscheinen immer so, als könnten sie gar nicht anders sein. Es ist ei Glück, das sehen zu können. Die Oberflächen oder Fragmente können schwebend zu Ende gedacht werden.

Der Geruch des Zahlenschreibers

Die Wandlungen der Buchmalereien führen zu den Kräften, die innerhalb der Scherbengerichte walten und dahin, was aus ihnen erwächst. Die Energieversorgung durch die schwarzen Tuschekreise der einzelnen Blätter, fließt über die Bahnen der Binnenstruktur der Scherben hinaus in meine Erinnerungsgeflechte. Von dort aus entstehen die suchend kreisenden Gravitationslinien, und markieren den Anfang der morgendlichen Malerei.

Ich erinnere mich an das Aktzeichnen bei Frank Lehmann in Coswig bei Dresden. Dort zeichnete Ralf Kerbach, dessen Arbeit sich bis heute, soweit man das im Netz sehen kann, nicht sehr gewandelt hat, eine Figur und füllte sie mit einer Spirallinienstruktur, die er dann wieder übermalte. Dieser Vorgang war mir dann noch lange gegenwärtig und schafft bis heute mitunter eine eigene, versteckte Vielschichtigkeit der Blätter. Manchmal verdichten sich auch jetzt noch aus solchen Spiralen klarere Formen, mit denen ich dann weiterarbeiten kann. Nicht zuletzt sind die Gravitationsschwünge ein Echo davon, das ich jetzt bei Franz Konter wieder gefunden habe.

Im Schreibsekretär liegen nun über 100 Blätter des 3. Scherbengerichtes. Wenn ich die Blätter in dieses Schränkchen legen, rieche ich den Menschen, der zuvor daran gearbeitet hat – ein Zahlenschreiber, wie manche durchgedrückte Kugelschreiberlinien auf dem Furnier der aufklappbaren Schreibplatte verraten.

Das Schweben der derzeitigen Buchmalereien hat die Unentschiedenheit eines Gleichgewichts. Vielleicht ist die Suche nach der vagen Waage ihr Thema.

Akustische Gravitation

Durch akustische Schwingungen können kleine Massen in der Schwebe gehalten werden. Diese kleinräumigen Gravitationen stellen ein Gleichgewicht her. Dieses Gleichgewicht interessiert mich im Zusammenhang mit der dreidimensionalen Bildkomposition.

Die akustische Gravitation im Weltall, die etwa durch die Verschmelzung von Schwarzen Löchern entsteht, inspiriert mich unter anderem zu meinen Inkarnationszeichnungen innerhalb der Scherbengerichte. Die Energieflächen der schwarzen Kreise, die die Scherben umschließen, durchströmen mit reagierenden Substanzen ihre Binnengeflechte.

Gleichzeitig durchströmen diese hochflüssigen Stoffe meine Austauschbahnen zwischen den Erinnerungsmustern. Dieses Strömen zwischen den abgelagerten Gefühlen, die sich aus erinnerten Sinneseindrücken zusammensetzen, hat eine Wirkung, die man mit der aufscheinenden Lichtenergie vergleichen kann.

Es ist die Jahreszeit solcher Phantasien!

Am Abend verschaffte ich mir einen Überblick über die verbleibende Arbeit an den Scherbengerichten. Bisher hatte ich mich etwas verschätzt, denn die Anzahl der Scherben erhöhte sich auf fast 600. Ihre zunehmende Größe verlangt auch mehr Binnenzeichnung.

Muster

Im Museum der Weltkulturen gibt es keinen Mangel an ausstellbaren Exponaten. Die große Sammlung, die sich ja auf das Leben anderer Völker an sich bezieht, trägt aus heutiger Sicht natürlich einen Makel mit sich herum. Das ist die koloniale Haltung, mit der alles zusammengetragen und katalogisiert wurde. Aber angesichts der immer gegenwärtigen Zivilisationsverdrossenheit, gelingen uns heute wenige nüchterne Blicke auf die realen Lebensumstände der fotografierten Bewohner an den Rändern unserer Horizonte.

Der Rote Faden“ ist der Titel einer Ausstellung, die ich mir gestern dort angeschaut habe. Werkzeuge und Exponate des textilen Handwerks aus Asien und Südamerika bestritten den Hauptteil der Schau.

Textile Begriffe des Alltags bildeten die äußere Klammer für die tiefer gehenden Inhalte, die gewebte Muster als gesellschaftliche Übereinkünfte überliefern können. Es geht dabei aber auch um die Grundbausteine des Denkens, deren Muster Verhaltensweisen erzeugen. Ich bin gerade dabei, die Muster zu suchen, die das Verhalten der Väter prägen. Die, die ich während dieser Arbeit finde, erlauben es mir dann wieder, die Fäden der Erinnerungen aufzunehmen und weiter zu spinnen.

Gestern, am Sonntag, entstanden nur die luftigen Maschen der Gravitationsschwünge der Buchmalereien. Aus Hamburg bekam ich ein Bild mit einem Blick von der Aussichtsterrasse der Elbphilharmonie. Ansonsten war es ein stiller Tag.

The Who and The What | Cave

Über eine dünne Schneedecke folgte ich den Spuren in meine sonnige Höhle. Bin nicht mitgefahren zur deutschen Erstaufführung von Ayad Akhtars „The Who and The What“ in Hamburg. Wir telefonierten am Morgen. Es war ein Erfolg. Auch was jetzt schon in der Presse zu sehen ist, sieht gut aus…

Jetzt erinnere ich mich an den ansteigenden Lichtbalken in einer Höhle in Ellora, der von der untergehenden Sonne ausgehend, langsam einen Buddha erleuchtete. Eine illustrative Sonnenlichtinstallation.

Es mischt sich das flache Winterlicht mit „Skeleton Tree“ von Nick Cave, tritt durch die Pflanzenwand und flirrende Schatten werfen mir Äpfel in den Schoß. Ich schneide sie in Stücken, wodurch der Duft über den Zeichentisch hinwegschwebt in meinen Körper.

Mir begegnete das Erlebnis, dass Eltern ihre Kinder verstoßen, in einem Dokumentarfilm über das Erbe der Akten des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR wieder. „Die Schuld der Anderen“ heißt er und stieß mich erneut an, mir den Rest meiner Akte zukommen zu lassen.

Die Durchlässigkeit der Erinnerungsschichten stelle ich mir dreidimensional vor. Ein Block aus Splittern, die in einem Plasma – Malstrom verschmelzen, um sich dann neu zu formieren.

„Eine Familie“ | Konstruktionen | Gemüsesuppe

Eine Familie“ von Tracy Letts in der Übersetzung von Anna Opel, wurde im Schauspiel Frankfurt von Oliver Reese inszeniert. Wir sahen gestern die Premiere, die zwischen zwei Zuschauertribünen stattfand. Depressive, aggressive Alltagsroutine mit großem zerstörerischem Potential. Aber kein Scherbengericht vermochte die gläserne Starre zu zersplittern, auch wenn viel Geschirr zu Bruch gegangen ist. Einzig der Song, den die tote Vaterfigur mit einer Countryband sang, verwies auf den fortlebenden Zwist, der seine Bestimmung in der Familienapokalypse finden wird. Sie kündigt sich schon in einer Verwandlung der Tochterfigur in das Bild der tablettenabhängigen Mutter an. Generationen tragen die Last der Schicksalsschläge ihrer Vorfahren immer weiter in die Zukunft.

Manchmal tragen mich Erwartungen ins Atelier. Sie kristallisieren sich bei mir in der Form, dass sie in den Buchmalereien zu sichtbaren Verflechtungen heranreifen. Die Kombination der verschiedenen Techniken des Umgangs mit den Wasserfarben, führt zu vagen Gefühlsfigurationen. Sie formulieren Konstruktionen schwebenden Glücks und begeben sich somit auf die Suche nach Schönheit.

Gestern allerdings kochte ich in Ruhe eine Gemüsesuppe für meine Schüler, mit denen ich dann einen recht ruhigen Ateliernachmittag verbrachte. Ich kam nicht zu meinem „Scherbengericht I“, aber vielleicht heute. Keine Verabredungen fürs Wochenende, eine gute Voraussetzung, in den Splittern weiter nach vergangenen Ereignissen zu suchen.

Durchlässigkeit der Erinnerungsschichten

Die19 neuen Blätter zum Scherbengericht I, von gestern, legte ich auf den Stapel aus nun 66 Scherben, weil ich Platz zum für die Buchmalereien benötige. Der Stapel vom Scherbengericht III im Schreibsekretär, besteht aus 153 Blättern. Ich merke, wie ich unter einen zeitlichen Druck gerate, der durch die ungeduldige Neugier auf das Zwischenergebnis, das die Inkarnation des Doppelportraits darstellt, ausgelöst wird.

Die Durchlässigkeit der Erinnerungsschichten erhöht sich durch die ständige Beschäftigung mit den Scherben, als lösten sich die Zeitebenen auf und vermischten sich miteinander. Ich sehe den Schreiner Pfitzner neben seinem Bruder, in das Geschirr des Plattenwagens mit dem Modell des Breslauer Doms eingespannt, eine bergan laufende Landstrasse entlanggehen. Sie unterhalten sich keuchend über ihr nächstes Ziel und die Annehmlichkeiten dort. Sicherlich haben sie Geldsorgen.

Draußen Stürmt es bei +2°, Regen und Schnee. In der kommenden Woche soll es kälter werden…

Immer öfter geht mir das große Format durch den Kopf. Das passiert ab und an, wenn ich in wichtigen Phasen irgendeiner Arbeit bin. Das entsteht der Wunsch das Material näher unter die Lupe zu nehmen.

Heute aber kommen die Schüler, für die ich zunächst kochen werde. Dann werde wir hoffentlich mit unserer Weiterentwicklung der Wachsskulpturen beginnen können.

Näher herangehen

Schon jetzt erscheint das Doppelportrait der Väter wie ein altes Menetekel, das hätte früher entziffert werden müssen. Nun will ich das Versäumnis nachholen und so weit wie möglich korrigieren. Dazu kann ich ein großes gezeichnetes Exemplar nutzen. Bei einer Größe von 3 x 4 Metern kann ich nahe an die Scherben herangehen, die neuen Zeichen innerhalb ihrer Umrisse lesen und interpretieren. Es kann ein Erinnerungsraum entstehen, der über die Zeit meiner Existenz hinaus, zurückreicht.

Ich bin gespannt auf die Begegnungen zwischen den Schichten der Tusche, des „Bernsteinlacks“ und der Graphitspiele. Mit Glück begegne ich mir, innerhalb der durchscheinenden Splitter neu.

Jetzt kann ich aber gar nichts wissen, denn alles wird während des Arbeitens passieren und innerhalb der Erfindungen, die dann dazukommen werden.

Auch bei den Buchmalereien scheint sich eine neue Schicht hinzu zu gesellen, denn die Verwischungen habe ich noch nicht ganz beiseite gelegt. Sie gehen nun Verbindungen mit den Gravitationsschwüngen ein. Neu ist eine gewisse Wildheit. Auch sie tendiert ab und an zu größeren Formaten, innerhalb derer ich mich besser austoben könnte und auch hier die Möglichkeit hätte, näher heranzugehen.

Vätergesichter

Am Abend hatte ich mir den Zeichentisch für den heutigen Morgen vorbereitet. Die Blätter zum Scherbengericht I legte ich in den Schreibsekretär zu den anderen. Weitere habe ich schon begonnen. Sie müssen nur noch mit Schelllack und Tusche umgeben werden.

Neben den Kindheitserinnerungen, die durch die Beschäftigung mit den Scherben aufsteigen, beschäftigt mich die Geschichte des Nachnamens der väterlichen Linie. Männer, die sich aus dem Staub gemacht hatten, d. h. Frauen und Kinder alleine ließen, wurden mit Vergessen bestraft. Die Namen wurden ausgelöscht, niemand redete über sie. Umso spannender erscheinen nun die Geschichten ihres Verschwindens, ihrer Verantwortungslosigkeit und ihres Willens zur Freiheit.

Pfitzner, der Großvater, zog mit einem Handwagen, auf dem das Modell des Breslauer Doms stand, durch Europa und träumte davon, mit dem Schiff nach Amerika zu fahren.

Ich frage mich, wie sich diese Träume, Taten und Katastrophen auf mein Tun auswirkten. Vielleicht werde ich darüber etwas erfahren haben, wenn das Scherbengericht fertig ist, wenn ich tat, wovon ich träumte, wenn ich die Gesichter der Väter auslöschte und wieder neu zusammensetzte.

Ein Dienst

Oben habe ich die Scherbe mit der Nummer 10 des ersten Scherbengerichts in die Collage eingefügt. Neun Blätter habe ich gestern fertig gezeichnet. Daran werde ich nun täglich weiterarbeiten.

Am Morgen ging mir eine weitere Entwicklung dieser Gesamtarbeit, als große Zeichnung von 4 x 3 Metern durch den Kopf. Ich würde sie auf die Leinwand bringen, die ich schon auf den großen Rahmen aufgespannt habe. Am liebsten wäre mir, wenn der Stoff ungrundiert bleiben könnte, damit ich mit Tusche, Graphit und Schelllack etwas Neuland betreten könnte. Ich stelle mir vor, dass direkt auf dem Stoff eine größere Direktheit zu erzielen ist, die mit anderen Mitteln, wie Frottagen oder anderen Abdrücken erreicht werden kann. Einen differenzierteren Fortgang der Arbeit will ich kaum weiterdenken, denn der sollte dann vom Tun gelenkt werden.

Dieses fragmentierte, bis zur Unkenntlichkeit zersplitterte und wieder zusammengesetzte Doppelportrait der Väter, kann die Last ihrer Taten überschreibend, verblassen lassen. Ich tue ihnen einen Dienst damit und mir auch.

Am Morgen bin ich über neuen, feuchten, klebenden Schnee hierher zum Zeichentisch gelaufen. In der gedämpften Landschaft, hörte ich jeden Schritt meiner Schulsohlen. Den Klang des Flockenteppichs, der von meinem Gewicht zusammengepresst wird, kann ich nur schwer beschreiben. Am ehesten ist es mit einem kurzen Knurren vergleichbar.

Montagmontag

In den Kammerspielen des Schauspiels gestern ein „Finanzwestern“ mit dem Titel „Der kalte Hauch des Geldes“. Die Arbeitsweise, das Stück gemeinsam mit dem Ensemble zu erarbeiten, führte diesmal zu einem harmlosen Abend, den man getrost schnell vergessen kann.

Wir hätten uns nicht einen Tag zuvor den Kleist anschauen sollen…

Obwohl ich durch den frischen Morgen ins Atelier gelaufen bin, bin ich noch nicht so recht munter geworden. Auch nicht durch die Buchmalereien, wie ich es gehofft hatte. Mit ihnen fiel ich eher zurück in alte Gewohnheiten.

Ein Montagmontag.

Prinz Friedrich von Homburg

Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ sahen wir gestern in der Inszenierung von Michael Thalheimer am Schauspiel Frankfurt. Wie so oft bei den Abenden dieses Regisseurs beherrscht ein klarer Gedanke die Form. Auf Requisiten wird weitgehend verzichtet, als störten sie nur die Konzentration auf das Wort, das in diesem Fall auch besonders wertvoll und deswegen schützenswert erscheint.

Immer wenn ich es mit diesen preußischen Denkmodellen zutun habe, kommt mir meine Kindheit in Brandenburg oder in dem Erziehungsheim Gerode in den Sinn. Ein, von einer Mauer umschlossenes Dasein, geprägt durch das Gehorchen.

Der hohe, portalbreite Zylinder auf der Drehbühne war auf einem Drittel seines Umfangs geöffnet. So konnte der Raum durch Drehung nach vorne geschlossen dastehen. Er zeigt das Denkmodell der Befehlstreue mit einer erlösenden, gleichzeitig trügerischen, sich immer wieder schließenden Lücke. Ein weiteres Bild wurde durch eine Lichtgasse mit Trockeneis auf der Vorderbühne gebildet, in die die Figuren aus der Finsternis des Hintergrundes für die Dauer ihres Textes hell hervortreten. Noch mal eine Textkonzentration.

Die Sprache kam mir vor, wie aus einer kristallinen Ornamentik gebaut, die sich zur Einheit von Rhythmik und Emotion verdichtet. Diese dramatische Beschleunigung macht die Sogwirkung des Textes aus.

Keine Seerosen

Gestern entstanden 9 Blätter zum „Scherbengericht I“. Wegen der Straffung der Arbeitsvorgänge ging es schneller als sonst. Schon denke ich daran, wann ich das Doppelportrait wieder neu zusammensetzen kann. Bin zu eilig, sollte langsamer machen, die Arbeit genießen…

Besonderen Reiz entwickeln die Einzelblätter, wenn sie von hinten durchleuchtet werden. Dann wird das Zusammenspiel der verschiedenen Schichten aus Schelllack und Tusche sichtbar. Vor allem, wenn die Lackschicht noch nicht ganz trocken ist, stoßen sich die unterschlichen Materialien etwas ab. Das erzeugt fließende Strukturen, die den abstrakten Linienmustern entgegenstehen. Das erzeugt eine gewisse Spannung.

Joana legte ich gestern zwei Gedichtbände von Uwe Gressmann hin. Sie war auf der Suche nach Texten, die sie in ihre Außerirdischensprache übersetzen kann. Als sie das dann wieder zurückübersetzend vorlas, kamen mir die Texte neu vor, allein durch dieses suchende Lesen.

Der Dichter war ein Heimkind mit schwerer Tuberkulose und hatte die Liebe zur Lyrik alleine gefunden. Seine Gedichte sind naiv bis kindlich, meist unpolitisch, fast idyllisch und erschienen dennoch 1966 und 1972 der DDR.

Schnee fällt nun in der abendlichen Dämmerung auf den kalten Boden. Die Wasserbehälter draußen sind vollständig, durch und durch gefroren. Wahrscheinlich wird es im kommenden Sommer keine Seerosen geben.

Rolle 7 | Buchmalerei

Auf dem Zeichentisch liegt eine Papprolle mit der Aufschrift: “Materialsammlung Kraftfeld 2010“. Mit meinen Splittern habe ich mich davon nun entfernt. Keine Wanderungsspuren mehr. Nur noch abstrakte Strukturen, die sich allenfalls entfernt auf Gegenständliches zurückführen lassen.

Die Überlagerungssequenz des „Scherbengerichtes I“ habe ich gestern auf Rolle 7 fertig gezeichnet. Die Dichte der Binnenstruktur entspricht der vom „Scherbengericht III“ auf Rolle 6.

Im nächsten Schritt werde ich die Einzelblätter für die neuen Splitter herstellen. Wegen der Erfahrungen mit dem „Scherbengericht III“, geht nun alles etwas schneller.

Länger dagegen dauern die Buchmalereien. Wegen der Mischung verschiedener Techniken, vervielfachen sich die Möglichkeiten, die Abdrücke, Verwischungen und Farbzeichnungen zu kombinieren. Ich versuche das immer weiter zu treiben und hoffe damit an einen Punkt zu kommen, an dem es eine entscheidende Erneuerung innerhalb meiner Arbeit hervorbringt.

Ich denke daran, diese Handballenabdrücke auch mit anderen Materialien auf einem Schelllackgrund durchzuführen. Das könnte ich mit durchscheinenden Collagen kombinieren.

Liniengeflechte

Die Utensilien des Scherbengerichts I, für diesen Arbeitsschritt, auf dem Zeichentisch, sind die Transparentpapierrolle 7, Rohrfeder und Tusche. Der Vorgang des Zusammenrollens der durchscheinenden Scherbenumrisse, zieht die Liniengeflechte innerhalb der Splitter nach sich. Mehrere solche Arbeitsgänge sind notwendig, um etwa die Strukturdichte zu erzielen, die auch im Scherbengericht III vorhanden ist.

Die passende Musik für diesen Arbeitsgang sind Bachs Cellosuiten von Pieter Wispelwey gespielt.

Ich erinnere mich an die Zeit, in der es nur möglich war, seine Lieblingsmusik zu bestimmten Zeiten, einmal in der Woche zu hören. Das waren sehr aufregende Stunden. Jetzt ist alle Musik fast immer verfügbar. Man muss sie aus einem riesigen Angebot auswählen und sich dann die Zeit für sie nehmen.

Die Buchmalereien benötigen in der letzten Zeit mehr Aufmerksamkeit. Ich verharre länger bei ihnen, weil sie sich, im Vergleich zu den letzten Jahren, derzeit schneller wandeln. Die Elemente dieser Arbeit fordern mich nun intensiver. Abdrücke, Verwischungen, kräftige und zarte farbige Linien kombinieren sich zu abwechslungsreichen Gespinsten.

Weil stärkerer Frost droht, habe ich die Olivenbäume nun hereingeholt. Der große, schwere steht auf einem Wagen, damit ich ihn bei milderer Witterung gleich wieder rausstellen kann.

Scherbengericht I

Die erste Phase des Scherbengerichtes I zeichnete ich bereits am 13. und 14.06. 2016 auf einen kleineren Transparentpapierbogen. Damals ordnete ich die Splitter erstmalig in Zeilen. Mir war auch schon klar, dass ich die Überlagerungstechnologie, die auf dem Zusammenrollen des Transparentpapierstreifens und dem Durchzeichnen der sich stapelnden Motive beruht, zur weiteren Verarbeitung des Materials benutzen würde. In dieser Weise werden die Scherben mit neuen Strukturen gefüllt.

Gestern zeichnete ich die Umrissfiguren noch mal in drei gleichmäßigen Reihen auf einen etwa 8 Meter langen Streifen. Das ist die Grundlage für die neue Überlagerungssequenz. Mit ihr werde ich die Rolle 7 beginnen, die wieder eine Gesamtlänge von 50 Metern haben wird. Meist zieht sich die Arbeit an diesen Transparentpapierrollen über mehrere Jahre hin, sodass sich die Beschäftigung mit unterschiedlichen Themen dort nacheinander abbildet. Von Rolle 7 aus wandern dann die Scherbenumrisse wieder auf die Einzelblätter, von denen es innerhalb von Scherbengericht I etwa 135 geben wird. Die Einzelblätter sind wiederum die Grundlage für die Neuzusammensetzung des Raster-Doppelportraits von Vater und Großvater.

Die letzte der täglichen drei Buchmalereien besteht jetzt manchmal zu großen Teil nur aus Abdrücken der vorangegangenen farbigen uns abstrakten Motive. Nur vorsichtiges Hinzufügen von Linien und farbigen Punkten vervollständigt die Malerei.

Mich beunruhigt der Trend zur Simplifizierung der Sprache. Sie klingt wie die der Menschen, die einfache Wahrheiten bevorzugen.

Schwarzes Lamm

Endlich wieder Im Atelier. Heizung aufdrehen, ein großes Glas Wasser und am aufgeräumten Zeichentisch Platz nehmen.

Als ich den Schreibsekretär aufklappte, lag da der quadratische Stapel des Scherbengerichtes III drin. Darunter leuchtete die nächste, nahe liegende Arbeit auf. Ich werde die ganze Arbeit des Totenbuches und der darin eingebetteten Scherbengerichte sichten und dann mit dem Scherbengericht I beginnen.

Zwölf Buchmalereien, die ich über Neujahr in der Kaisermühle am Rimbach angefertigt habe, sind nun gescannt. So kann ich sie weiter ausprobieren und beispielsweise in Collagen einfügen, wie oben. Vorhin dachte ich darüber nach, wie ich von den täglichen Zeichnungen zum Begriff Buchmalereien gekommen bin. Dabei wird deutlich, wie sehr sich die Arbeitsweisen in den vergangenen Jahrzehnten verändert haben. Die kleine Form macht es mir leichter, Entwicklungen langsam, über weite Zeitläufe, geschehen zu lassen. Nun kehren wieder mehr zeichnerische Elemente ein. Das Verwischen hat an Wichtigkeit eingebüßt und tritt hinter die konkreten linearen Strukturen zurück. Ausgeschnittene Fragmente, die sich zu den Collagen zusammenfügen, geben die Zeichnungen nur ungenügend wieder. Darum geht es auch nicht. Mit den Collagen suche ich eine andere Kontinuität, die was anderes aufdeckt.

Vor dem Fenster der Mühle stand eine Schafherde mit einem kleinen schwarzen Lamm auf der Weide. Es probierte springend seine eigene Neuheit aus. Dieses Bild soll mich in diesem Jahr begleiten.

Scherbengericht III fertig

Das Scherbengericht III ist nun fertig. Durch eine weitere Änderung des Arbeitsablaufes, ging die Produktion gestern flüssiger voran. Es sind die letzten 17 Blätter entstanden. Der mit Schelllack angelegte Untergrund trocknet, je nach Stärke der Schicht, wie eine Landkarte mit Höhenlinien auf. Es gibt Trocknungsränder, die sich besonders unter der später aufgestrichenen Tusche abzeichnen, wie es in der Oberen Collage zu sehen ist.

Damit ist nun diese Phase des Scherbengerichtes vorbei. Im kommenden Jahr kann nun mit den weiteren 3 der 4 Teile begonnen werden. Zunächst werde ich sichten, was alles schon bei den Scherbengerichten I, II und IV an Material vorhanden ist.

Während der Arbeit hörte ich am Nachmittag „Bird Cage“ von John Cage. Eine längere Komposition mit Vogelstimmen und der des Komponisten, keine Zwitschermaschine. Das hat mich inspiriert, Erinnerungen aufgerufen und bei der Stange gehalten.

Mir kam in den Sinn, dass die Wand in der Kaschemme mit dem Scherbengericht zutun hast. Die Möglichkeiten verschiedener Gesichter, die entstehen können, sind schon zum Teil durchgespielt. Dieser Schritt auf dem Weg zum Unbekannten Ergebnis, vollzog sich unbewusst.

Am Abend sahen wir in der Kunsthalle Schirn die Ausstellung eines großen Teils des Lebenswerkes von Ulay. Vieles schien mir verwässert. Manchmal schien eine starre Behauptungswut aus fehlendem Denken hervorzutreten.

Vage Gravitation

Manchmal dauert das Zusammenfügen der Collage aus dem täglich hergestellten Material einfach zu lange. Ich kann dann mit dem Ergebnis nichts mehr anfangen, kann kaum einschätzen, ob mich das überhaupt ein Stück weitergebracht hat.

Oben fügt sich nun eine von den 8 Scherben, die ich gestern angefertigt habe, zusammen, mit einem Stück Buchmalerei von heute und dem, was noch von gestern durchleuchtet. Eigentlich verliert alles an Klarheit und eigenständiger Kraft. Geopfert wird sie, damit die Such nach etwas anderem weitergehen kann. In den Collagen ist alles in Bewegung.

Nur unmerklich verändern sich die Blätter des Scherbengerichtes III. Die Produktion läuft an solchen Nachmittagen reibungslos.

Am Morgen stellte ich fest, dass nur noch 23 Blätter anzufertigen sind, damit ich mit dieser Phase noch in diesem Jahr fertig werde. Das wäre zu schaffen, wenn ich mich an meinen zwei verbleibenden Arbeitstagen von 2016 richtig ranhalten würde. Dann aber entsteht der Druck, den ich bei dieser Arbeit nicht gebrauchen kann…

Die Buchmalereien fliegen auseinander, als müssten sie sich wieder neu zusammensetzen. Die Arbeitsweisen der verschiedenen Projekte färben gegenseitig aufeinander ab.

Fremdzeichen

Während der Weihnachtstage arbeitete ich lediglich an den Buchmalereien, die mir täglich die Gelegenheit geben, ein wenig gestalterisch zu forschen. Sie sind in der Frankenallee, in meinem Balkonzimmer entstanden, mit dem etwas ablenkenden Blick auf die Bäume, die Strasse und ihr Treiben. Es gibt klare Unterschiede zwischen dem Material, das hier und dem, was in diesem Zimmer entsteht. Die großen kreisenden Bewegungen sind zu Rotorblättern verwandelt. Es zählt eher der Motor, als die Bewegung und Kraftentfaltung. Sie versteckt sich in der flüssigen, verschwimmenden Form. Reduktion auf Kraft, ohne ihre Entfaltung – kinetische Energie.

Jetzt bin ich wieder im Atelier und traktiere das Papier des Buches, weiche es durch und drücke die Farbe in die weichen Stellen übereinander. Es ist, als zwänge sich das auf, indem es ins Material sinkt.

Der auf Teves Ost abgeladene Abfall der Sperrmüllentwickler von Teves West dient mir in Mikrodosen als Materiallieferant für kleine nebensächliche Installationen, die Raumzeichen sein können. Stühle, die langsam im Wetter zerfallen sind beispielsweise ein sehr dankbarer Materiallieferant. Auf Sperrmüllhalden abgekippte Dekorationsteile bieten kleine Billig – Pretiosen zum Aufstecken auf einen Zweig meiner Hecke. Sie ist durchsetzt von dererlei Fremdzeichen.

Ich träumte in der Nacht von einer großen, gemalten zwanzigminütigen Animation. Eine Stadtlandschaft mit Türmen und Menschen. Ein impressionistisches Gewimmel, auf dessen Gebäudefassaden die Schatten eines Sonnenuntergangs emporwuchsen.

Dynamiken

Zehn Blätter zum Scherbengericht – gestern. Langsam wächst der Stapel. Aber die Bewegung ist ansonsten minimal. Gleichklang herrscht da.

Ganz anders bei den Buchmalereien. Diese Dynamik ist ein Gegenpol. Die Ruhe der steten Verwischungen und Farbauffächerungen ist dahin. Alles wirbelt, erschafft Echos und schwingt in der Strukturen der Haut meines Handballens. Die Farben rufen nach Ergänzungen vom gegenüberliegenden Segment des Farbkreises, die sie nicht bekommen. Das schafft unangenehme Spannungen. Man möchte wegschauen, fernbleiben und zum Fenster gehen, raus aus der Höhle der Disharmonien.

Ein interessantes Experiment scheint sich an der Volksbühne in Berlin anzubahnen. Da ist ein Museumsmann berufen worden, der sich mit bildender Kunst auskennt und deswegen der richtige für die Zukunft des Theaters sein kann. Das wäre eine Gelegenheit für Vinzenz, wenn ich mir die Interviews anschaue. Kann natürlich sein, dass die Alteingesessenen unkündbaren Theatertiere der Volksbühne da was dagegen haben und das den neuen Chef auch spüren lassen.

Der leuchtende Osten!

Mit Joana würde ich heute gerne wieder Wachsexperimente machen. Vielleicht können wir eine Hohlform anfertigen…

Wandbild | Scherben | Buchmalerei

Immer öfter tauschen die Buchmalereien Elemente untereinander aus, wiederholen sie in abgeschwächter Form, oder nehmen sie zum Anlass innerhalb der eigenen Komposition etwas Neues zu entwickeln. Manchmal entstehen daraus auch wässrige Atmosphären aus denen Figuren der benachbarten Formate hervortreten.

In den Collagen kombiniere ich nun Fragmente dieser Vorgänge mit anderen Motiven, wie beispielsweise den Splittern des „Scherbengerichtes III“ meines Biografieprojektes. Oben handelt es sich um die Scherbe mit der Nummer 83.

Gestern beendete ich die Arbeit am Wandbild. Ich werde mich nun zwingen müssen, daran nicht weiter zu zeichnen. Manchmal denke ich daran, eine solche Arbeit mal hier im Atelier zu machen. Da habe ich aber nicht dieses anspornende Publikum, das mir von hinten auf die Schulter klopft.

Heute gehe ich wieder in Ruhe an das Scherbengericht. Das Wandbild hat mich doch etwas aus meiner normalen Atelierkontinuität herausgenommen. Es wird Zeit, dass ich mit den Scherben vorankomme, denn der nächste Arbeitsschritt sollte nun bald folgen, um nicht auf der Stelle zu treten. Zu aller Kontinuität gehört auch Dynamik.

Morgen kommen meine Schüler vielleicht zum letzten Mal in diesem Jahr. Ich werde aber das Angebot zwischen Weihnachten und Neujahr aber aufrechterhalten und schauen, wer kommt.

Doppeldeutig

Endlich ging die Arbeit am Scherbengericht weiter. Nachdem ich die zerborstene Frontscheibe des Sattelschleppers sah, der Vorgestern in einen Weihnachtsmarkt gerast ist, fühle ich beim Zeichnen der Splitter den Untergrund nachgeben. Die Geschichten werden doppeldeutig, fahren in die Abgründe.

Die Sonne ist heute 8,6 Stunden über der Wolken- und Hochnebeldecke. Gestern, als sie gegen 15 Uhr zu sehen war, stand sie nicht mehr weit über dem Horizont. Aber das Blatt wendet sich nun.

Bei Kayo werde ich nun noch einmal zeichnen. Dann erkläre ich die Arbeit für abgeschlossen. Lediglich eine Schutzlasur sollte ich noch darüber legen. Im Gedenken an die vielen Stunden, die ich dort zugebracht habe, an die unvergesslichen Szenen, die mit Gleichgültigkeit, Liebe, Sucht und Tod zutun hatten, ist das Werk entstanden und der Nächstenliebe gewidmet. Es kann den Titel „…aber unsere Liebe nicht“ tragen. Er wäre angemessen.

Meine Atelierarbeit, besonders die Buchmalereien, sind so weit davon entfernt und doch parallel möglich.

Höhlenzeichnung

Was ich an der Wand vom Rebstockimbiss produziert habe, ist eine Höhlenzeichnung. Gestern fünfeinhalb Stunden im Qualm und ohrenbetäubenden Lärm der Lautsprecherboxen, im Geschrei der Trinker, mit dem Kopf im Nacken, auf der Eckbank vor der Wand stehend. Die sich wiederholenden Rituale in der ausgemalten Höhle, haben nur am Rande mit den Zeichnungen zutun. Sie hangeln sich eher an Schlagertexten entlang, an Marmorstein und Eisen. Kayo hielt mich mit Schokolade und Pizza am Leben.

Steve Reich beschreibt sehr knapp und präzise seine Arbeitsweise bei „Different Trains“. Schon damals dachte er an eine „…neue Art des dokumentarischen Musik / Videotheaters…“. „The Cave“, das wir am Sonntag erlebt haben, schloss formell direkt an diese Arbeit an, bedient sich aber außer der Tonaufnahmen der Interviews, auch ihrer Bilder. Dieser grundlegende Unterschied schwächte meiner Meinung nach, durch die Aufhebung der alleinigen Konzentration auf das Gehörte, das System der Wahrnehmung.

Die Wandzeichnung bei Kayo fand unter einem zunehmenden Zeitdruck statt, weil ich mir vorgenommen hatte, bis Weihnachten fertig zu sein. Dadurch war ich gezwungen, mich zunehmend auf das Wesentliche zu konzentrieren. Das hat dem zeichnerischen Rhythmus und der Klarheit gut getan. Der zurückhaltende Beginn zeigt sich auch an der dünnen Kleinheit der Figuren. Jetzt folgt ihre Größe auch dem wuchtigeren Strich, der sich im Verlauf der Arbeit befreit hat.

The Cave

Bei manchen Stücken von Steve Reich herrscht ja eine gewisse Erklärungs- und Mitteilungslust. Und passend zu diesem Gedanken, sahen wir gestern seine Komposition „The Cave“ im Bockenheimer Depot. Der Dirigent Brad Lubman, aus den USA, gilt als Experte und studierte das Stück mit dem Ensemble Modern ein.

Der Videoteil der Multimedia-Oper oder des Video-Oratoriums, der von Reichs Frau Beryl Korot stammt, ist schon sichtlich angestaubt, obwohl er erst 23 Jahre alt ist. Die Musik allerdings kommt frisch daher, auch wegen der Präzision des Orchesters. So trifft die Zeitlosigkeit der Komposition auf ein eigenartig illustrierendes Element, das aber schon vor der Musik existiert hat. Die Interviewsequenzen dienten als Grundmaterial, dem Rhythmus und Melodie folgten. Ein ähnliches Kompositionsprinzip findet sich bei dem Stück „Different Trains“, das ich allerdings nur ohne Video kenne. Es gibt wohl auch Videofassungen, die ich aber nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Denn die Bilder, die allein durch die Musik in meinem Kopf entstehen, verschaffen mir einen anderen, höheren Genuss.

Gestern nahm ich mir eine Auszeit, ließ das Arbeitsjournal liegen und fertigte zu Hause nur die täglichen Buchmalereien mit ihrem Handschrifttext an. So etwas sollte ich mir öfter einrichten.

Sonntag

Sonntag.

Keine Arbeit.

Nur die Buchmalereien zu Hause mit Blick auf die Frankenallee. Beobachtungen der Passanten, wie früher.

Stillhalten

Um den Ton des Fernsehers meines Nachbarn und das Geschrei der Videofilmer auf dem Dachboden über mir in den Hintergrund zu setzen, habe ich mir das Mozartrequiem ausgesucht, um es nun in der entsprechenden Lautstärke zu hören.

Ich verfolge voller Spannung, wie sich die Buchmalereien verändern, während von den Nachbarn Brote am Atelier vorüber getragen werden. Immer mal schaffen sich die konkreten Linien Raum und verdrängen die flächigen Farbauffächerungen. Man kann das wie einen Pendelschlag verfolgen. Die verschiedenen Funktionen des Handballens, in Verbindung mit Wasser, schaffen diese sehr unterschiedlichen Zugriffe auf Linien und Farben.

Während des Hörens des Requiems fällt mir auf, dass es eine Sehnsucht nach musikalischerem Arbeiten gibt. So wie die Handballenabdrücke die Motive verändern und vervielfältigen, werden musikalische Muster zur Wiedererkennung auf einen Zeitstrahl gesetzt. Nun sind diese zeichnerischen Kompositionstechniken schon oft und in aller Breite auf den Transparentpapierrollen zu sehen. Auch in den Buchmalereien ist es nicht neu, dass die Motive sich zumindest verdoppeln und Echos hervorrufen.

Ich warte auf den nächsten Schritt, halte still, denn dann geschieht das Wichtige.

Tauchgang

Die Lektüre meines Tagebuches von 1984 ist ein tiefer Tauchgang in die Gefühle, die ich damals während der Zeit der Ausreise mit mir herumgetragen habe. Zweifel und Unsicherheit, dass der eingeschlagene Weg mit Erfolg begangen werden kann, und Abschiedsschmerzen bei den vielen Begegnungen mit Menschen, die man wahrscheinlich nicht wieder sehen wird. Die Nervosität des Neuanfangs und der damit verbundene Aktivismus. Manchmal habe ich vor großen Reisen einen kleinen Anflug solcher Empfindungen.

Gerade haben wir für den April Tickets für ein Dylankonzert in der Festhalle gekauft. Die Preise haben deutlich angezogen, was sicherlich auf den Nobelpreis für Literatur zurückzuführen ist. Seine Abwesenheit während der Verleihung wurde von Patti Smith in dem Vortrag eines Liedes umschrieben. Ich stelle mir vor und meine es auch aus seinem Grußwort entnommen zu haben, dass ihn dieser Auftritt überfordert hätte. Ich denke dabei auch gleichzeitig an das Fernbleiben von Elfriede Jelinek, damals als sie den Preis bekommen hatte.

Am Morgen waren die Buchmalereien wieder neu. Die konkreten Linien der Gravitationsschwünge und der Dreiecksgitterkonstruktionen, werden durch die Verwischungen nicht mehr ganz beseitigt. Die Handballenabdrücke verdoppeln das Motiv manchmal in einer sanften und unscharfen Wiederholung. Dadurch kommt eine deutlich andere Qualität zustande.

Zu sprechende Collagen

Eine Einladung zum Essen am Abend.

Wir hatten Gelegenheit von unserer Indienreise zu erzählen. Nicht häufig interessieren sich die Menschen so für unsere Erlebnisse und die Gründe, warum wir immer wieder solche anstrengenden Unternehmungen auf uns nehmen.

Unser Koch zeigte uns später, nach dem köstlichen Essen, seine Vorlesungsvorbereitungen, die er handschriftlich mit Bleistift auf Papier schreibt. Aus Korrekturen entstehen Collagen aus übereinander geklebten Zetteln und so mehrschichtige Sammlungen aus Gedanken. Die Sätze werden zusätzlich von Intonationsbögen überwölbt und Worte werden durch Unterstreichungen hervorgehoben, dass vor den Augen ein zu sprechendes Gebilde entsteht. Sicherlich hat der Gesang neuer Musik seiner Frau, unserer Köchin, mit dieser Arbeitsweise zutun. In dieser schreibenden Sprechweise versucht er seinen Studenten, teilweise staubtrockene, soziologische Zusammenhänge, näher zu bringen. Er hat Erfolg damit, weil immer wieder sehr viele freiwillig zu seiner Vorlesung erscheinen.

Ich habe Sehnsucht nach Handwerk. Ich denke an Bildhauerei, an das Wachsausschmelzverfahren, denke an Transparentpapier in dreidimensionaler Form, an Schreinerarbeit, Holz, Leim und Schelllack.

Für ein weiteres Baumschnittfeuer habe ich die Eisenschale vorbereitet, um in den nächsten Tagen den Berg Gesträuch und einiges trockenes Buschwerk, das noch auf der Wiese steht, zu verbrennen.

Abstrakte Gegenstände

Die zweite der drei gestrigen Buchmalereien macht einen Raum auf. Das geschieht durch ein kleines abstraktes Möbel, das unabsichtlich konstruiert, deshalb rätselhaft erscheinend, durch seine Zartheit und Kleinheit in den Hintergrund rückt. Links davor befinden sich zwei große und wichtige Volumina aus Handballenabdrücken, die mit farbigen Schwüngen miteinander verbunden sind.

Alles schwebt in einem weißen Raum.

Es setzt eine Suche nach Gegenständen ein, wo sie nicht beabsichtigt waren. Das ist gewiss etwas mit der Arbeit an den Wänden der Kaschemme verbunden, wo ich nach Körpern, Köpfen und Gesichtern suche.

All das Gegenständliche steht im scheinbaren Gegensatz zum Scherbengericht, das die Fotoraster des Väterdoppelportraits zersplittert.

Unglücklicherweise hat Kayo seine Fenster halb mit matter Transparentfolie zugeklebt. Das ändert dien ganzen Sinn des Raumes. Einst ein offenes Zentrum, ein wichtiger Treff, wird die Kaschemme nun zu einer geschlossenen Gesellschaft. Mir fehlen die Blicke auf die Kreuzung, die Straßenbahnen, die Baustellen und auf die vielen Passanten. Ich zettele Diskussionen unter den Gästen an, um zu erwirken, dass die Folien wieder abgezogen werden.

Wenig Licht

Atelier. Am Zeichentisch – ein Geschenk, hier in Ruhe zu sitzen.

Wenig Licht. Zögerlich vergeht die Nacht.

Am Abend zeichnete ich bei Kayo, an der östlichen Innenwand seiner Kaschemme, weiter an dem, was die Gäste „das Kunstwerk“ nennen. Manchmal hätte ich gerne mehr Zeit dafür, besonders, wenn ich mich in einzelne Charaktere hineinarbeite. Durch die Zeitbegrenzung aber, komme ich vielleicht eher auf den Punkt.

Ansonsten hatte ich es mit zahmen Buchmalereien und den Steuerunterlagen zutun.

Manchmal denke ich an die Skulpturen vom Klotz, die ich im Atelier in der Idsteiner Straße sah. Vielleicht sollten Joana und ich noch mal die Arbeit mit Wachs aufnehmen. Formenbau mit Gips und Abgüsse in Beton – verlorene Formen.

Auch heute sind die Buchmalereien sehr zurückhaltend, lehnen sich nicht gegen den künstlerisch ereignisarmen Tag auf.

Am Abend aber zeichne ich wieder auf die Wand.

Alte Zeichnungen

Es geht um die Durchlässigkeit biografischer Schichten. Die spontanen Strukturen der Zeichnungen, die unter den täglichen Buchmalereien liegen, unter den Verwischungen und Handballenabdrücken, kommen aus den Siebzigerjahren. Diese Bewegungen teilen immer noch den Seelenzustand mit, der vor vierzig Jahren für den Linienrhythmus verantwortlich war. Ich spüre den Bewegungsablauf aus dem Oberkörper über die Schulter bis in die Finger.

Ich habe Bahnsteige vor Augen, über die ich zu den häufigen Nibelungenproben des Schauspiels in die Probebühne 3 fuhr. Die dichten Bühnenzeichnungen und Aquarelle hatten eine Qualität, an die ich erst viel später wieder herankam. Jetzt lege ich diese über dreißig Jahre alten Blätter wieder auf den Zeichentisch. Es ist, als hörte ich die Stimmen und den Klang des Geflüsters zwischen den Vorhängen, das plötzliche Schweigen, das manchmal wie auf Kommando einsetzte. Alles rückten einem näher auf den Leib – Luft anhalten. Von heute auf morgen konnten Karrieren, Lebensentwürfe und Existenzformen beendet sein.

Wie viele Berichterstatter befanden sich zwischen den schwarzen Wänden der Probebühne 3, der tiefen Höhle im Gestein? Die gelegentlichen Wutausbrüche des Regisseurs waren das kleinere Übel.

Eintrag vom 10.02. 1984: „Dresden ist auch eine schmutzige Stadt.“

Unterirdische Verbindungen

Mir kam in den Sinn, Teile meiner Biografiearbeit mit meinen Tagebuchaufzeichnungen zu kombinieren, um zu schauen, wie sie zusammen wirken.

Auch die gegenwärtigen Buchmalereien haben unterirdische Verbindungen in verschiedene Räume, in denen mein Leben stattfand, spielte oder gespielt wurde.

Um mich von der Geschwätzigkeit des skandalös schlechten Theaterabends von gestern zu erholen, höre ich die Kunst der Fuge, nach einem schönen Licht am Main, das metallisch und niedrig war. Sogar die Schnäbel der Kormorane glänzten wie das Silber der Fischkörper.

Auf dem Weihnachtsmarkt aß ich dann auch ein Matjesbrötchen. Dazu gab’s heißen Apfelwein.

Die Lektüre meiner Tagebucheintragungen der letzten Monate in der DDR berührte mich. Das stete Gefühl der Unsicherheit, der Angst vor der Verhaftung und der Wut auf die Macht, stellte sich wieder ein.

Biografieschichten

Auf der Straße vor meinem Atelier tanzt ein schwarzes Mädchen in rotem Nebel, den Jungs gezündet haben, die sie mit Kameras aufnehmen. Eine schwarze Hip Hop Gang, gut ausgerüstet. Als Kulisse dienen ihnen die halb zerstörten Baracken und die Graffitis darauf. Das alles soll aussehen wie ihr Werk und ihre Umgebung.

Mit meinen Schülern arbeitete ich weiter am Biografiestadtplan. Wir sprechen währenddessen über Filme, Musik und die Kunst der anderen. Die sehr neue Musik Joanas vergleichen wir mit den „Different Trains“ von Steve Reich, an die sie anknüpft.

Ein paar Blätter zum Scherbengericht sind entstanden mit den finsteren Tuscheseen, die sie nährend umgeben. Scherbe um Scherbe verschwindet und wartet in der Unterwelt auf den kommenden Aufstand.

Am Abend im Schauspiel traf ich Durs Grünbein. Ein Stück hatte in seiner Übersetzung Premiere. Wir erinnerten uns an unsere Begegnungen bei den Proben zu Nibelungen unter Wolfgang Engel 1983 und 84. Und nun forsche ich weiter in den Tagebüchern, entdecke vergessene Einzelheiten und bin verführt, Geschichten zu erfinden, die sich nicht zugetragen haben, als sei die Biografie ein Medium, durch das neue Geschichten erwachen. Die mimetischen Formen der Biografie – Stadtkartierung, die ich mit den Schülern mache funktionieren ähnlich. Formen orientieren sich aneinander und verändern langsam sich und die Erinnerungen.

Erinnerung | Schauder

Am Morgen habe ich das Glück meiner Buchmalerei. Die Hautstrukturen meines Handballens verbinden sich mit den Farben. Diese Abdrücke enthalten unbekannte Informationen, die man sicherlich irgendwann entziffern kann. Die Erinnerungen, die von vergangenen Generationen in uns schlummern, teilen sich vielleicht schon über die Abbildungen meiner sich täglich verändernden Körperstruktur mit. Die Richtungen der Hautlinien wachsen schon in die Malereien, werden von den Stiften und Pinseln aufgenommen, manchmal verstärkt und manchmal weggewischt. Was teilt sich also mit?

Gestern sprach ich mit Franz Konter und Niklas Klotz. Es ging wieder um das Thema Erinnerung, um die Brühlsche Terrasse und um Erinnerungen, die wir selbst nicht erlebten, die aber bei uns gespeichert sind.

Mir kommt wieder meine unvollständige Stasiakte in den Sinn, die mir vor vielen Jahren zugeschickt wurde. Ich habe mich später nicht mehr um die fehlenden Aufzeichnungen gekümmert, obwohl ich innerlich mehrmals dazu Anlauf genommen hatte. Die Lektüre des Fragmentes schon lehrte mich das Schaudern. Entsprechend wächst der Respekt von den restlichen Enthüllungen.

Aber auch das ist ein Teil meiner Biografiearbeit, den ich noch tun will. Es ist als weite sich das Scherbengericht aus.

Fülle der Stille

Das war gestern eigentlich gar kein richtiger Arbeitstag. Das Handschrifttagebuch am Morgen mit den Buchmalereien und der Aktualisierung der Datei des Arbeitsjournals, waren die einzigen Spuren, die ich gestern in meinem Atelier hinterließ.

Stattdessen war der Streik der Kommunikationsbasis in der Frankenalleewohnung abzuwenden. Ein langwieriges Unterfangen mit Fahrt zum Computerladen, dem Transport verschiedener Rechner in verschiedene Richtungen, um Fehlerquellen zu ermitteln.

Am Nachmittag ein Lebensmitteleinkauf, Mails, Telefonate bis in den Abend und ein Gesprächstermin in einem anderen Stadtteil. In der Straßenbahn sah ich eine unwirklich schöne Frau in einem beigefarbenen Wintermantel, roten Haaren, feinen Handschuhen und einer überaus geschmackvollen Handtasche. Ein Filmstar hatte sich in die Straßenbahnlinie 11 verirrt.

Keine Scherbenblätter, keine Wandzeichnung, keine Konzepte, Zeichnungen oder Skulpturen. Keine Fotos und Videos.

Aber in die Buchmalereien treten weitere Worte ein, die dann wieder verwischt werden. Das Verschwinden der Worte, die Abwesenheit des Denkens und die Fülle der Stille. Das war gestern.

Zeichnend denken

In die Farbverläufe Worte zu schreiben, das fiel mir gerade ein, während ich an den Buchmalereien war. Zwischendrin kommen immer mal Nachrichten auf meinem Telefon und bei uns zu Hause streikte die Telekommunikation. Das zieht Ablenkungen nach sich, aber auch Worte.

Lebensmitteleinkäufe sind auch Kunstverhinderer. Spaziergänge vielleicht nicht.

Gestern zeichnete ich fast die Hälfte der noch nicht gestalteten Wand bei Kayo voll. Es ist eine Figurengruppe entstanden, die von zwei Frauen dominiert wird. Die andern beziehen sich auf sie, gruppieren sich um sie herum. Ihre Präsenz wirk auf die anderen Personen anziehend. Es entsteht ein Gedränge.

Mich fragte jemand, was ich denke, wenn ich zeichne. Das konnte ich ihm kaum erklären – am ehesten nichts! Ich konnte ihm aber klarmachen, dass das Denken bei ihm stattfinden muss. Normalerweise zeichne ich einfach drauflos und sehe die Gesichter schon vor dem ersten Strich in der Wand. Dann entstehen Ähnlichkeiten mit Menschen, die ich schon irgendwo gesehen habe. Die kann ich dann noch unterstreichen, die Übereinstimmungen verstärken. Immer fragt auch jemand, wo im Gewimmel sein Gesicht zu finden ist. Meistens gibt es dann irgendwo eines, wo ich behaupten kann, dass dies sein Gesicht sei.

Das war gestern ein langer und produktiver Tag. Viele Scherbenblätter sind entstanden, die Buchmalereien und die Wandzeichnung.

Splitter | Zensur

Der Morgenspaziergang ins Atelier führte durch eisig herabfallenden Hochnebel. Gestern Vormittag zog er von Süden her schnell auf. Ich stelle mir die Lichtreflektion vom Flugzeug aus vor. Dunkle Berginseln, die aus dem gleißenden Meer herausragen.

Die Vereinzelung der Splitter des „Scherbengerichts III“, auf quadratischen Transparentpapierblättern, beschäftigte mich gestern in der Hauptsache. Die Lücken der Zahlenreihen auffüllend, bin ich nun bei der Nummer 47 angelangt. Das nächste Blatt trägt die Nummer 57. Das umschreibt den Umfang der heutigen Arbeit am Zeichentisch.

Außerdem aber lockt noch die Wand in Kayos Kaschemme, auf der die große Zeichnung weitergehen soll. Am liebsten würde ich sie in einem Zug fertig machen. An einem Vormittag beginnend und dann bis zum Abend zeichnen.

Im Fernsehen sah ich gestern den Film „Lauf Junge Lauf“ auf Arte. Rainer spielte wieder einen schrecklichen Nazioffizier. Interessant waren die Verstrickungen der unterschiedlichen Gruppen mit den Geschehnissen im Zweiten Weltkrieg, vor dem Hintergrund der Geschichtszensur der aktuellen polnischen Führungspolitiker. Die Filmemacher wanderten auf einem Grat. Man müsste noch mal schauen, woher die Förderung dieses deutsch-polnischen Projektes kam.

Ovid und der Blues

Die Düsternis der Buchmalereien etablierte sich gestern während eines Anrufes. Sprechen und malen, entsprechend einfärben – ein Stimmungsprotokoll. Wiederholtes Kreisen von venezianischem Rot auf feuchtem Olivgrün. Indigoflecken dringen durch das Papier auf die heutigen Seiten durch und werden erneut übermalt.

Ich las die dreißig Seiten von Detering über „Workingman`s Blues # 2“ von Bob Dylan und hörte mir den Song zweimal an. Auch diejenigen vorher und nachher auf dem Album „Modern Times“, spielte ich an. Die vielfältigen Bezüge zu Ovid, Shakespeare oder Goethe waren mir natürlich nicht bewusst. Die Verkörperung der längst verloschenen Stimmen durch den Sänger auf der Bühne, öffnet einen weiten Zeitraum. Alte Texte werden miteinander verschränkt und lassen ihre Allgemeingültigkeit durch die Zeiten hindurch erkennen. In der Koppelung von Ovid und Blues aber, entsteht das Neue.

Wir sind mit Franz Konter verabredet. Ich möchte mit ihm über das Scherbengericht und seine Präsentation sprechen, wie ich sie mir vor ein paar Tagen vorstellte. Heute werde ich weitere Scherbenblätter anfertigen. Eine gleichmäßige Fahrt auf dem ruhigen Fluss. Längst nicht alles kann gezeigt werden.

Mit dem eintretenden Morgenlicht steigt auch die Temperatur im Atelier. Hell und verheißungsvoll leuchtet der Zeichentisch, auf dem ein Glas Wasser steht.

Frankfurt Testosteron

Vinzenz sah im Deutschen Theater „Warten auf Godot“. Das Bühnenbild stammt von Mark Lammert, der eine Weile mit Heiner Müller gearbeitet hat. Ein Quereinsteiger.

Ich fühle mich gerade in der stillen Lichtflut des Ateliers wohl. Spiele wieder etwas Gitarre, versuchte Anne zu erreichen, telefonierte, schrieb, suchte einen sonnigen Platz für das Auto nach der kalten Nacht und habe sonst nichts vor. ein schöner Sonntag.

Bei Kayo entkleidete jemand gestern seinen Oberkörper, um mir seine Tätowierung zu zeigen. Ein kunstvoll gezeichneter, ziemlich großer Drache. Seine Frau sagte dazu, er solle das Ding wegmachen. Außerdem erzählte er mir von einem Film, den jemand nur mit den Frankfurter Straßengangstern gedreht hat. Er heißt „Frankfurt Testosteron“. Und er spielte da mit.

Rumänen, die alle Brüder zu sein schienen hatten einen Stick voll mit Balkanmusik mit, nach der sie tanzten. Der Hysterielevel stieg. Aber ich fühlte mich sicher und wohl. Ein Schutzraum. Ganz anders als in den Kneipen voller Deutscher, die unter sich bleiben wollen. Bei Kayo wird die Verschiedenheit zum Prinzip, das gefeiert werden muss. Er hat das im Griff.

Leitungswasser

Nach einer Fahrt nach Thüringen zu meinen Eltern, bin ich nun noch voll mit dem Summen des Motors auf der Autobahn. Ich freue mich auf ein Bier bei Kayo, das etwas Abhilfe schaffen kann.

Auf den Straßen in den Bergen herrschte Dauerfrost. Manchmal, auf Nebenstrecken, waren sie glatt vom Reif oder anderem Wasser. Sonnenschein und Nebel wechselten sich ab. Manchmal waren die Äste der Bäume und die Wiesen voller hell leuchtender Kristalle.

Mit Joana arbeitete ich gestern am Biografiestadtplan, den Vinzenz mit Noah begonnen hatte zu zeichnen. Die Grundrisse von Phantasiegebäuden werden kleinteiliger, dichter und für Architektur abwegiger.

Jetzt steht ein großes Glas voll Leitungswasser neben mir auf dem Zeichentisch. Das beste Lebensmittel für mich. Ich spiele zwischendurch Gitarre. Der Blues macht mich gelassen. Die Buchmalereien sind farbig gedeckt , aber zeichnerisch wild.

Die wandernden Orte

Mich beschäftigt das Eintauchen in die Super 8 Projektionen im Zusammenhang mit dem Scherbengericht. Abgesehen davon, dass sich hier verschiedene Biografiearbeiten ergänzen, bedeuten die Anwesenheiten von realen gegenwärtigen Figuren und ihre Verbindung mit den bewegten Vergangenheitsbildern eine Zeitreise. Wir befinden uns mitten in der Gratulationsszene der Jugendweihe im Jahr 1968 vor den Herrmann – Duncker – Haus in Waltershausen, das mittlerweile abgerissen ist. Die Szene ist in mein Zimmer in der Frankenallee verlegt und wird durch die realen Körper von Vinzenz und von mir stufenweise verlebendigt.

Ansonsten bestimmen die Scherbenzeichnungen meine Produktion. Mit etwas mehr helfender Technologie gelingt es den gleichmäßigen Fluss aufrecht zu erhalten. Gestern sind acht Blätter entstanden. Ich möchte nun etwas mehr Wert auf die Ästhetik des Einzelblattes legen. Öfter kommt es zu versehentlichen Ausrutschern, weil sich das Transparentpapier in der Trocknungsphase des Schelllacks gerne zusammenrollt. Dem kann ich entgegenwirken, indem ich die Blätter auf dem Untergrund fixiere.

Ich weiß noch nicht, wie sich Scherbengericht und die Videos von den Projektionen verbinden können. Vielleicht genügt es, sie parallel zu zeigen. Ich stelle mir das immer im Atelier von Franz Konter vor, wo ich die Arbeiten ja irgendwann ausstellen möchte.

Die wandernden Orte.

Lieber Franz! Es dauert noch…

Rückblicke

An den Scheiben der Rolltore drehe ich manchmal die Pflanzen mit ihren Rückseiten zum Licht, sodass sie in alle Richtungen in den Raum treiben. Eine der Duftgeranien, die im Sommer in die Höhe gewachsen ist, rankt sich nun weiter am Stamm eines Bäumchens empor, das ich vor vielen Jahren aus einem Samen gezogen habe, und dessen Name mir unbekannt blieb.

Die Projektionsexperimente, die Vinzenz und ich mit der Super 8 Filmen gemacht haben, befinden sich nun schon in seinen Instagram – Veröffentlichungen.

Die Scherbenproduktion läuft immer besser. Ich höre Klavierkonzerte von Philip Glass und denke ich dabei an unsere Zusammenarbeit vor über zwanzig Jahren (?) in Heidelberg.

Gestern sahen wir das Dance On Ensemble in einem Gastspiel im Schauspiel Frankfurt. Diese neue Gruppe widmet sich der Fortführung von Tanz durch ältere Akteure. Jone San Martin ist mit dabei und Christopher Roman von der ehemaligen Forsythe Company. Außer einer viertelstündigen neuen Choreografie für zwei Tänzer, blieben mir die 7 Dialoge mit einem britischen Musiker und Künstler fremd. Mir scheint, dass die Kreativität der Tänzer eine ordnende und fordernde Hand braucht. Ich hatte mir von der Reife, gerade der ehemaligen Forsythe Künstler, viel mehr erhofft. Vielleicht ist es aber zu früh, ein Urteil zu fällen.

Motor beginnt wieder zu laufen

Wieder alleine. Vinzenz ist am Morgen zurückgefahren nach Berlin. Zum Schluss haben wir noch mit einer gemeinsamen Arbeit begonnen. Wir nahmen uns in den Projektionen der Super 8 Filmen aus den Sechzigerjahren auf. So unternahmen wir eine Zeitreise. Wir waren mitten in der Schuleinführung des Vaters von Vinzenz und in meiner Jugendweihe.

Ich arbeitete gestern schon am Vormittag am Scherbengericht weiter und füge nun die fehlenden Splitter in die Reihenfolge der anderen ein. In der Collage oben ist die Scherbe mit der Nummer 10 zusehen. Gleich geht es weiter damit.

Die Buchmalereien haben ihren ruhigen Charakter aufgegeben. Sie sind nun wilder und farbig nicht mehr so homogen, wie in der Vergangenheit. Es ist vorbei mit den ruhig gewischten Farbflächen.

Der Motor beginnt wieder zu laufen. Auch die Arbeitsjournaldatei mit den Collagen wächst wieder weiter.

Heute findet ein Tanzabend mit älteren Tänzerinnen und Tänzern im Schauspiel Frankfurt statt. Jone San Martin ist auch mit dabei! Darauf freue ich mich sehr.

Licht füllt den Raum

Ein paar Tage mit Vinzenz im Atelier.

Um mich herum auf dem Zeichentisch liegen die Utensilien für die Buchmalereien und für das Scherbengericht III. Die 60 Blätter habe ich gestern geordnet, um nun die Lücken zu füllen und die vollständige Anzahl der Scherben zu zeichnen. Es sind in diesem dritten Viertel insgesamt 153. Vier davon bereitete ich gestern, nachdem ich mir einen Überblick verschafft hatte, vor. Es ist mir nun sehr wichtig, wieder in den Arbeitsfluss einsteigen zu können, um in das ruhige Fahrwasser mit meinem Boot zu kommen, das in eine weite Ebene führt. Ruhiges Dahingleiten, ein Blatt nach dem anderen.

Ein ausführliches Telefonat mit Anne gestern. Es ging um ihr Debüt mit einem Roman bei einem renommierten Verlag. Alles überraschend, spannend und ziemlich euphorisch. Das gilt auch für mich.

Mit Vinz am Abend eine Weile bei Kayo. Dort können wir gut miteinander reden. Ich sah mir dann, als Vinzenz gegangen war, noch mal intensiv meine Zeichnung an, um auch hier einen Anschluss hinzukriegen, damit ich diese Wandgestaltung bis zum Jahresende fertig bekomme.

Von den oberen Schichten des Raumes, wird das Atelier nun mit viel Licht angefüllt. Wir hören Glenn Gould und ich arbeite vor mich hin. Besser kann es nicht gehen.

Zurück

Zurück von einer Reise, vergleiche ich das Licht des vergangenen Monats mit dem am diesem Mittag im Atelier.

Nachdem ich nun die hundert Zeichnungen, die ich unterwegs in Indien machte, gescannt habe, kann ich mich nun um die Wiederaufnahme des Arbeitsfadens kümmern.

Die letzten wichtigen Arbeitsdinge hingen mit dem Scherbengericht zusammen. Vinzenz, der das Atelier hütete, ist immer noch da. Ich zeigte ihm diese Arbeit und stellte fest, dass ich sie nun wirklich bald beenden und ausstellen sollte.

In den vergangenen Tagen sahen wir die Super 8 Filme aus den Sechzigern und Siebzigern. Vielleicht bekommen wir dazu noch eine gemeinsame Arbeit hin. Ein Doppelportrait mit Projektionen in den Gesichtern z.B.

Vertikaler Garten

Der Buchmessenempfang des Fischerverlages findet seit einigen Jahren im Literaturhaus statt. Wir machten uns erst zum fortgeschrittenen Abend dorthin auf. Alle waren da, gruppierten sich aber irgendwie neu. Wir standen mit dem Rücken zur grün gestrichenen Wand und schauten auf die dicht gedrängten Menschen. Auch Ina Hartwig, zu der ich kürzlich eingeladen war, trafen wir gleich beim Eingang. Ihr Projekt, das Künstler zu Paten benachteiligter Jugendlicher machen soll, interessiert mich sehr. Ich bin froh da mitmachen zu können.

Gestern machte ich eine Zeichenpause, ging nicht in den Rebstockimbiss, arbeitete nur im Garten und an unserem Doppelselbstportrait. Wie in jedem Jahr ist die Wintergartenaktion eine besondere Herausforderung. Kalte, feuchte Erde, eisiges Wasser und schwere Pflanzkübel sorgen dafür. Nun ist aber alles für die Kälte bereit.

Jetzt will ich das Atelier für Vinzenz bereit machen, dem Hüter meines Hauses. Bin gespannt, zu welcher Arbeit er in meiner Umgebung kommt. Weil er erst am Ende des Novembers wieder zurück nach Berlin will, sehen wir uns noch fast eine ganze Woche, wenn wir aus Indien zurück sind.

Etwas gefiltertes Sonnenlicht fällt durch die Pflanzenwand des vertikalen Gartens. Nachher „Factory“ mit meinen „Schäfchen“. Vielleicht machen wir den Formenguss des zweiten Reliefs.

Magnetfelder | Wandzeichnung | Garten

Farbige Magnetfeldlinien.

Ganz verschiedene Buchmalereien an diesem Morgen.

Gestern Figurentheater an der Wand vom Rebstockimbiss. Einer der Trinker hat sich das Bein gebrochen und lärmt dort nun den ganzen Tag herum. Konzentration wird dann wieder schwieriger. Dennoch schaffte ich es, viele neue Figuren zu zeichnen.

Mit Paulo räumte ich gestern viel herum. Zunächst bauten wir vier von den sechs Außenregalen ab, reinigten sie und stellten sie auf den vorbereiteten Tisch vor die Fenster des westlichen Rolltores. Dann begannen wir die ganzen Pflanzen, die innen überwintern sollen, herein zu transportieren. Manche der großen Pflanzkübel stellten uns dabei vor schwere Aufgaben. Erstmalig möchte ich den großen Olivenbaum draußen stehen lassen. Mit den zwei Regalen, die draußen bleiben, bauten wir einen Unterstand für den Korbsessel und die Gartengeräte.

Immen mal gibt es Gespräche mit dem Nachbarn über das Projekt des Kulturdezernates. In der Arbeit mit benachteiligten Jugendlichen kann man ganz verschiedene Aspekte in den Vordergrund stellen. Bei mir wird es immer meine Arbeit sein, an der die Jugendlichen teilhaben können. Alle anderen Aspekte von Zuwendung, Vertrauen schaffen und gemeinsamen Arbeiten ergeben sich dann später.

Airbag

Dein Kopf ist ein Airbag in Wartestellung.“

Ein Satz, den ich in meinen Aufzeichnungen fand. Er ist über Zwei Jahre alt. Dann löste sich meine ganze Zuversicht auf. Die Arbeit stagnierte. Ich erinnere mich sehr ungern an diese Zeit. Das Lesen dieser Seiten fällt sehr schwer.

Innerhalb der Buchmalereien beschäftige ich mich mit der neuen Variante der Gravitationsschwünge.

Den Rest des Tages verbrachte ich in meinem Gärtchen, von dem ich nun einen guten Teil in die Vertikale hinter die Atelierfenster transportieren muss. Dafür fasste ich mir ein Herz und reduzierte die Pflanztöpfe, schenkte einige den Nachbarn und bot auch anderen etwas an. Ich topfte um, siebte Erde und vergrößerte die Biomasse unter meinem Gesträuch, damit dort im kommenden Jahr noch mehr wachsen kann. Zwei Weiden werde ich noch aussetzten, damit sie in eine Betonritze eindringen und die Fläche aufsprengen.

Ordnung

Am Morgen nahm ich mir vor, bis zu unserer Indienreise nur noch aufzuräumen, sauber zu machen und das Arbeitstagebuch weiter zu führen. Gerade habe ich mit Paulo verabredet, der mir morgen helfen kann, die Pflanzen reinzuräumen. Dieser Gedanke, mich in der laufenden Woche nur noch um die Ordnung im Atelier und rundherum zu kümmern, tut mir gut. Gestern begann ich schon, Bäume zurück zu schneiden und Pflanzen auszusortieren. Der Nachbar möchte vielleicht ein paar davon abnehmen.

Ein Punktmuster, das von einem der Motive der Gravitationsschwünge stammt, Habe ich gestern mit einem feuchten Handballendruck in das nächste Motiv der Buchmalereien eingefügt. Diese Punkte verband ich nun mit neuen Gravitationsschwüngen in venezianischem Rot. Dass sie sich immer wieder an den vorgegebenen Punkten kreuzen sollten, fördert eine andere Ordnung zutage. Sie sieht an ehesten Magnetfeldern ähnlich. Damit kann ich nun weiter experimentieren.

Am Abend arbeitete ich an der Wandzeichnung in der Kaschemme weiter. Mit verdünnter Tusche fügte ich lasierende Schatten in die Gesichter ein. So werden sie plastischer. Außerdem kann ich verschiedene Partien mehr in den Hintergrund rücken. Das tut der Gesamtkomposition gut. Nach der Reise werde ich vielleicht die nächste Wand mit einem Ganzfigurengewusel füllen.

Gipsbrocken

Frankfurt, Atelier.

Das sanfte Morgenlicht ähnelt dem, als gestern am Nachmittag die Sonne über der Lagune herausgekommen ist. Hier sagt man goldener Oktober dazu.

Die Reise nach Venedig war für mich eine überraschend schöne Veranstaltung. In Reisegruppen fühle ich mich ja meistens etwas fremd, weil ich kein begabter Smalltalker bin.

Der Besuch der Architekturbiennale, weswegen fast alle Mitarbeiter des Architekturmuseums diese Weiterbildungsveranstaltung mitmachen konnten, brachte unter Anderem die Erkenntnis der politischen Brisanz dieser Veranstaltung.

Mich hat freilich eine eher unpolitische Arbeit interessiert, die im Schweizer Pavillon ausgestellt war. Jemand hatte mit dem Eintauchen von Materialien in Gips eine Struktur geschaffen, die der ähnelte, die Joana in langen Versuchsreihen mit Wachs entwickelt hatte. Ein solcher Gipsbrocken wurde dann in mehrere Teile auseinander geschnitten, die alle eingescannt wurden. Dann stellte man Abgussformen her, gedruckt oder gefräst, in die dann Beton gegossen wurde. Diese Teile wurden danach zusammengesetzt. So entstand eine Großskulptur, die innen hohl und begehbar war. Man konnte durch diese karstige Höhle klettern, sich zwischen den Gebilden, die aussahen, wie die Innereien eines Wesens, Sitzplätze suchen und über den Sinn des Unternehmens nachdenken.

Biennale

Venedig

In dem riesigen Arsenal kommt mir die Architekturbiennale wie ein größenwahnwitziges Unternehmen vor. Auf dem Gelände der Länderpavillons ist das alles noch nicht so gewaltig und auch durch die Unterteilung ist übersichtlicher.

Beeindruckender bleibt aber die Stadtsituation. Die eleganten Brückchen über das stets anwesende Lagunenwasser, treppauf, treppab, immer zu Fuß in der beweglichen Gemeinschaft der wenigen Einwohner, die nie mit dem Auto fahren. Wenig Übergewicht, und Herzprobleme sind selten.

Der Herbst spendiert etwas Nebel, die er romantisch über die Lagune legt. Jetzt kann ich auf die Sonne warten und auf das damit eintretenden besondere Licht auf dem Wasser und im Dunst. Man trinkt „Spritz“. In Trauben stehen die Leute vor den angesagten Bars.

Am Abend saßen wir noch eine Weile im Kreuzgang des ehemaligen Klosters, in dem ein Brunnen plätscherte. Vollmond beleuchtete die Situation.

Nässe

Venedig.

Aus drei Fenstern blicke ich nach Westen und nach Süden. Kreuzfahrtschiffe erheben sich weit über die Häuser und sind oft höher als die Kirchen. Im gestrigen Regen war die Stadt fast schöner, als im Sonnenschein heute. Zumal weniger Menschen auf den Straßen waren.

Ich sprang von einem Hauseingang zum nächsten, verweilte in Bars und bekam dadurch einen anderen Bewegungsrhythmus. Durchnässt beruhigte ich mich dort, wo ich mich aufwärmen konnte.

In dieser Nässe war ich ganz alleine unterwegs, genoss das unabhängige Umherschweifen auf dem spiegelnden Steinboden. Die Bodenmosaiken der Basilika di San Marco glänzten von den nassen Schuhsohlen der vielen Besucher.

Vom Wasser aus sieht die Stadt noch kulissenhafter aus. Viel historisches Ornament in hellem Marmor neben blätterndem, ockerfarbenem Putz. Der Geist der Stadt wird durch die Bilder ihrer Sammlungen deutlich, der durch die Menschenmassen verdünnt wird.

In Eile

Unterwegs mit einem frühen Flug zur Architekturbiennale nach Venedig. Eine Einladung des Architekturmuseums.

Vor der Reise habe ich noch verschiedene Arbeiten fertig gemacht, wie ich es mir vorgenommen hatte, in Eile. Ein Mantra: in Eile, übergegangen in Fleisch und Blut. Dagegen: „Eile mit Weile“. Das Sprichwort habe ich lange nicht gehört. Sprache ändert sich schnell. Alte Worte, die aus dem Gebrauch gefallen sind, bemerke ich, wenn sie aus meinem Füller fließen. Oft kommen sie mir fremd vor.

Die Druckverhältnisse der Luftfahrt verändern die Worte auf ihre Weise, lassen die Tinte schneller fließen, die Buchstaben reihen sich in großer Höhe dunkler aneinander. Das Leseerlebnis wird auf diese Weise beeinflusst.

Die oberen Dunstschichten lösen sich in Licht auf, in eine gleißend blendende und alles umhüllende Helligkeit steht den schwarzen Worten. Gegenüber.

Lichtflutlicht

Lichtflutlicht gießt sich jetzt am Morgen auf den Tisch. Die Blätter zum Scherbengericht III, die ich gestern gezeichnet habe, werden davon durchleuchtet. Sie haben die Nummern 105, 108 und 111.

Auf der Heizung steht das 19. Relief des ersten Objektes zu „Biografie, ein Haus“. Heute werde ich das letzte dieser Serie abformen. Nach der Reise zur Architekturbiennale nach Venedig, kann ich dann die Form für das zweite Reliefmotiv gießen. Das dazugehörige Objekt, in das die Pappmacheexemplare montiert werden, besitzt nur zehn gleichseitige Dreiecke.

Etwas elektrisierend sind die Veränderungen bei den Buchmalereien. Die zeichnerischen Strukturen der parallel laufenden Projekte finden sich nun auch dort ein. Sie bilden Pole, zwischen denen ein Strom erzeugt wird.

Am Rande einer Diskussion über die Verwirklichung des Gastarbeiterdenkmals, lernte ich im Historischen Museum einen jungen Mann kennen, die sich an der Uni mit Erinnerungskultur beschäftigt. Er meinte, dass er mich gerne zu einer Veranstaltung einladen würde, in der ich den Stand meiner Erinnerungsarbeit vor Studenten darlegen kann.

Auch mit der jungen Theaterwissenschaftlerin aus Augsburg hatte ich einen längeren Dialog über meine Arbeit und ihre Verwandtschaft mit theatralen Vorgehensweisen. Etwas Austausch befördert die Arbeit in der Zurückgezogenheit.

Kuchenstückchen | Struktur | Ausdauer

Die Morgenmalereien in den Büchern sind manchmal lustvolle Spielereien. Jetzt gerade verändern sie sich wieder. Die Handballenabdrücke werden wichtiger, Verwischungen treten, ihnen zugunsten, in den Hintergrund und Gravitationsschwünge treten neu auf. So bekommen Die Buchmalereien etwas Collagenartiges.

Die Wandzeichnung bei Kayo ist gestern wieder um einige Gesichter und Schattierungen reicher geworden. Mir gefällt, wie sich die Leute lange die verschiedenen Charaktere anschauen. Die Ausdauer mit der sie das tun, rührt sicherlich daher, dass sie versuchen, die Gesichtszüge mit dem zu vergleichen, was sie sehen oder gesehen haben.

Eine Struktur gab es beim Runden Tisch im Kulturdezernat gestern nicht, sieht man mal vom Herumreichen von Tellern mit Kuchenstückchen ab. Das war Absicht. Mit gemeinsamen Methoden an einer Zusammenarbeit zwischen den Künsten zu wirken, scheint mir sehr kompliziert. Zunächst muss da wohl jeder seine Eigene Herangehensweise nehmen, um mit ihr zu zeigen, dass er Jugendliche begeistern kann. Die Teilnahme ist aber schon dadurch gewährleistet, dass sie ja ein Stipendium bekommen sollen. Die Arbeit in Schulen stellte sich als nicht geeignet heraus. Die Dynamik des Projektes beginnt aber mit dem Tun. Ich könnte hier in meinem Atelier sofort beginnen.

Heute Abend geht es im Historischen Museum um das Gastarbeiterdenkmal. Es wird die Frage gestellt, warum es das immer noch nicht gibt, ob so etwas überhaupt gebraucht wird oder wie ein Gedenken aussehen könnte. Ich meine dass man Migration allgemein darstellen sollte. Die Stadt ist das Ergebnis von Wanderungen.