Prozess statt Objekt

Gezeichnete Notationen von John Cage auf waagerechten Formaten, geteilt durch senkrechte Linien in viele gleichmäßige, aufrechte Rechtecke. Darüber hinweg laufen Zeichnungen von konzentrischen Kreisen, die wie von Wassertropfen ausgelöst sind, Spirallinien, Pflanzen, Symbolen, Gehspuren, Hausansichten und Booten. Außerdem entdeckte ich die gekreuzte Horizontlinie von „Where the Mountain Crosses“, die David Morrow für seine Landschaftszeichen benutzte.

Der Hang in den gestern eine Urne versenkt wurde, hat in seiner Mitte eine wasserführende Schicht, die einen Bach durch den Friedhof fließen lässt. Die ganze dunkle Trauergesellschaft watete durch den Schlamm. Die Urnen werden in geschlossene Betonröhren geführt und mit Stahldecken abgedeckt. Segnend verlieh sich die Pfarrerin mit den weiten Ärmeln ihres Gewandes Flügel, als wolle sie engelgleich losfliegen. Von Engeln war in der Traueransprache viel die Rede. Die kleinen dünnen Enkelmädchen weinten frierend um ihre Großmutter.  Die Heimfahrt war von einer flammenden lang anhaltenden Dämmerung begleitet worden. Das Band anonymer Autoscheinwerfer beängstigend schnell und nahe.

Ein Bildergruß mit einer Reihe von gerahmten Zeichnungen an einer Wand des MoMa in New York von V. in meinem Postfach zeigt an, dass er noch lebt. Auf die Weihnachtsfeier des Institutes für Raumexperimente hatte er A. als Gast mitgebracht und ihr Olafur Eliasson vorgestellt. Sie ist mit Künstlern auf gutem Fuß und beschäftigt sich mit ihren Werken. Das ist bereichernd.

Krishnababy zeigt auf Sätze aus „Empty Mind“ von John Cage, wie: „Einfluss leitet sich aus dem eigenen Werk her (nicht von außerhalb), oder: Prozess statt Objekt.

Fadenbindung | Cage | Krishna

Gestern formte ich schon routiniert das dritte Exemplar des ersten Dreiecks aus. Ich beeilte mich diesmal nicht so sehr, legte mehr Wert auf Sorgfalt. Das vorige Exemplar, das zweite, weist ein paar kleine Fehlstellen auf, die der Schnelligkeit geschuldet sind.

In den vergangenen zwei langen durchgehenden Arbeitstagen holte ich viel auf und konnte feststellen, dass ich nun zum Projektstart ganz gut in der Zeit liege. In der kommenden Woche sollte ich das zweite Relief bis zum Formenbau fertig bekommen. Gleichzeitig werde ich die Rezeptur des Ausformungsmaterials verändern, mit feineren Fasern arbeiten. Auf diesem Gebiet lässt sich die Arbeit noch um einige Aspekte erweitern und bereichern.

So dachte ich darüber nach, Waldmaterial zu zerkleinern und daraus einen Stoff herzustellen, mit dem ich die Reliefs abformen kann. Fichtennadel und –zapfen, Ästchen und Rindenfasern zu zerkleinern, ist sicherlich eine mühsame Angelegenheit, verliehe aber dem Ganzen eine weitere Dimension.

Ewig war ich nicht mehr im Wald. Das letzte Mal liegt vierzehn Tage oder länger zurück, und da hatte ich die Kamera vergessen. Vielleicht kann ich mir morgen am Sonntag ein paar Stunden dafür Zeit nehmen, meinen Weg zu inspizieren.

Der kleine bronzene Krishna assistiert mir manchmal, um mit seinem Gewicht eine eng gebundene Buchseite offen zu halten. Derzeit krabbelt er auf der festen Fadenbindung der poetischen Schlüsseltexte von John Cage. So präsentiert er sich innerhalb der zentralen Bedeutung der Leere, der Enthaltung zu einer Meinung, der Scheu vor einer endgültigen Aussage, wegen des sich ständig wandelnden Erfahrungshorizontes, ganz kindlich ungeniert. Die Gespinste meiner Zeichnungen haben mit dieser Verdichtung bis zur Unkenntlichkeit und kompakten Abwesenheit zutun.

B.,V. und Taryn Simon

B. entdeckte gestern vorgestern im Museum für moderne Kunst eine Reihe von Fotografien der amerikanischen Künstlerin Taryn Simon. Sie suchte mit einer analogen Großbildkamera Orte auf, die der amerikanischen Gesellschaft vorenthalten sind. Dennoch sind sie ein bestimmender Teil des allgemeinen Bewusstseins, der in diesem Fall durch seine Verdrängung anwesend bleibt. Der Roman, den B. derzeit übersetzt, handelt von solchen Orten, an denen sich Menschen aufhalten, die sich per Richterspruch bestimmten Territorien, die es in jeder Stadt gibt, nicht nähern dürfen. Eine Fotografie von Simon zeigt beispielsweise eine Gruppe von Männern in der Zentrale des Klu Klux Klans. Die Qualität der Ausleuchtung des Ortes, die Dramaturgie der Figurenanordnung und ihre einzelnen Ausstrahlungen machen diese Arbeiten sehr vielschichtig. Ich würde sie demnächst gerne noch einmal anschauen.

V. hält sich gerade in New York auf. Vielleicht arbeitet er etwas, was sich mit der dortigen Kunstwelt auseinandersetzt. In seiner Abschlussarbeit in Addis Abeba interviewte er zunächst seine Kommilitonen, welche Berufswünsche sie in ihrer Kindheit hatten. Dann versammelte er auf dem Abschlussfest lauter Menschen, die diese Berufe in Äthiopien ausüben.

Im Atelier gab es gestern für mich eine Überraschung. Schon zeitig am Morgen hatte ich meine Tagebucharbeit abgeschlossen, und konnte so schon gegen neun Uhr dreißig mit meiner Ausformarbeit erneut beginnen. Nachdem ich die Pflanzen gegossen und die Abformmasse fertig gerührt hatte, begann ich, das zweite Exemplar in die Form zu pressen. In zweieinhalb Stunden hatte ich schon dreiviertel der Form gefüllt. Dafür hatte ich vorher etwa sechs Stunden benötigt. Ich benutze etwas mehr Material, wodurch die Wanddicke größer wird. Außerdem gestaltet sich das Ausfüllen leichter, weil ich nicht mehr so genau auf Fehlstellen achten muss. Am Nachmittag konnte ich deswegen schon die Blutkreislauffigur, bzw. das Ornament, das drei von ihnen bilden auf mein Modellierbrett zeichnen und dann gleich mit dem Modellieren loslegen. Die grobe Anlage des Reliefs ist schon zur Hälfte fertig. Es ging also schnell vorwärts gestern. Vielleicht könnte ich mit den modellierten Motiven etwas freier umgehen, dem Zufall etwas mehr Raum geben.

Rückkehr

Die Rezension einer Cage – Ausstellung im Museum der Moderne in Mönchsberg ist ein regelrechter Verriss seiner bildnerischen Arbeit. Der Autor rückt in dem Artikel die Bildproduktion, die neben den revolutionären musikalischen Einfällen zurückbleibt, in die Nähe von Laienkunst: „Als konventioneller Maler ist er ungeahnt konservativ, bewegt sich traumversunken, streng und fast gehorsam innerhalb der Gattungen und Grenzen, die er andernorts pulverisierte.“ Durch die wenigen Abbildungen kann das nicht belegt werden. Dennoch bin ich, obwohl zunächst etwas schockiert, um diese kritische Stimme dankbar.

Gestern schlenderten wir durch einige Räume des Museums für Moderne Kunst. A. wollte die Fotografien eines Künstlers sehen, den sie zu dem Tag, an dem es um ihren Text ging, in das Dichterhaus am Wannsee einlud. In einer Reihe von Aktionen hat er Hotelzimmermobilar zu Schlafhöhlen zusammengestellt und darin übernachtet. Die Eingriffe waren dergestalt, dass sie leicht wieder rückbaubar gewesen sind. Das ist eine zunächst schnell begreifbare Idee, die aber auch das Potential zu einigen Hintersinn besitzt, nimmt man die Orte und die Zeitpunkte hinzu, an denen die einzelnen Arbeiten entstanden sind.

Eigenartigerweise sind wir keine regelmäßigen Besucher dieses Museums. Es liegt einfach nicht auf unseren Wegen, wir machen eher einen Bogen darum herum. Beschreite ich aber die immer mehr wuchernden temporären Installationen der Gegenwartskunst, die Materialschlachten aus Billigmaterialien, beschleicht mich die Sehnsucht nach einem Stoff, der Jahrhunderte überdauert. Ich stelle mir vor, dass der Boom solcher Kunstäußerungen zugunsten kleiner konzentrierter Formate zurückgeht, die sich deutlich von der billigen Lautstärke abheben können.

Von den Feiertagen bin ich nun befreit und kann in den nächsten zwei Tagen konzentriert am FRANKFURTER KRAFTFELD weiterarbeiten. Damit habe ich heute begonnen, indem ich fünf Uhr dreißig aufstand, um mein tägliches Schreibtischpensum schon am frühen Vormittag abschließen zu können. Dann geht’s gleich ins Atelier!

Raumschnitt

Auf der Buchseite Sechsundfünfzig beschwert das krabbelnde Bronzekrishna-Baby das noch steife Papier in der festen Fadenbindung des Buches „Empty Mind“, das poetische Texte von John Cage versammelt. Es handelt sich dabei teilweise um Tagebucheintragungen, wie z.B.: „Ein Chinese (so erzählt von Tschuang-tse) legte sich schlafen und träumte, er wäre ein Schmetterling. Später, als er erwachte, fragte er sich: „Bin ich nun ein Schmetterling, der träumt, er wäre ein Mensch?“ Viele seiner kleinen hintersinnigen Texte befassen sich natürlich mit dem Zufall und seinen Einfluss auf das Zusammenleben der Menschen. Dabei würfelt er die Attribute verschiedener Kulturen durcheinander, bezieht sich aber gerne auf den fernöstlichen Gegenpart. Das Buch ist ein Geschenk von Barbara, das mir helfen wird, mich im Labyrinth der Geometrie des Frankfurter Kraftfeldes zurecht zu finden.

Jetzt aber darf ich meinem Blick erlauben vom Lichtkegel in dem meine Schrift entsteht in das tiefblaue Leuchten der Dämmerung zu wandern. Hin und her tänzelnd werden die Patchouliblätter von der aufsteigenden Heizungsluft bewegt. Das tun sie im Einklang mit den schwarzen Baumkronen, im Südwest vor dem dunklen Leuchten. Daraus fällt immer wieder Regen auf den schon gesättigt voll gesogenen Boden. Außerhalb der befestigten Betonstadtinseln, meint man in einem apokalyptischen Morast versinken zu müssen. Diese Archipele kann man gut bei Nacht vom Flugzeug aus als Lichterkettengespinste ausmessen, wie die Oasen in den Sandmeeren wandernder Berge.

Der vom Mayakalender prophezeite Weltuntergang ist von uns nicht bemerkt worden. Vielleicht sind wir aber von einem unmerklichen Raumschnitt plötzlich in eine andere Dimension gelangt, und die Welt, die wir verließen, blieb eingefroren an einem Zeitort stehen. Und vielleicht wandern wir unmerklich von einer Dimension in die andere, wie einst die Karawanen von Oase zu Oase.

Während einer Zugfahrt gestern blickte ich in die Tiefe der klaren Dunkelheit, die von Weihnachtslichterketten strukturiert war. Ich erinnerte mich an die Einfahrt über weit gespannte Gleiskörper nach Berlin, an die Schienenstöße und den Geruch nach Kohlenruß.

Erstes Reliefexemplar | Gloriosa

Während des Glockenläutens gestern am Dom erinnerte ich mich an die kalten Heiligabende der letzten Jahre, an denen wir dem großen Geläut lauschend, es aushaltend und kindlich bestaunend, in der archäologischen Grube westlich des Turmes froren. Nun ist die Grube zugeschüttet und darüber wird ein kleinteiliges und dennoch großes Stadthaus errichtet, was die Sicht auf das erleuchtete Sakralbauwerk einschränken wird. In Form einer verglühenden Weltraumschrottarchitektur fuhr im vergangenen Jahr am Himmel über der Schirn der russische Stern von Bethlehem von Westen nach Osten.

Gestern standen wir nördlich vom Turm. Mit der Erinnerung an die Standorte der anderen Jahre wurde das Läuten nun dreidimensional. In diesem Raum kommt die große Gloriosa erst in etwa zehn Minuten erst richtig in Schwung und braucht beim Auspendeln, wenn alle anderen Glocken schweigen noch einmal zehn Minuten, bis man wieder die Stimmen der vielen Menschen wahrnimmt, die sich versammelt hatten.

An die Schaufensterscheibe eines Nachbargebäudes gelehnt, fuhr der Schall über die Fußsohlen und vom Rücken her in mich hinein und brach sich im Brustkorb. Auf das akustische Ereignis blickend, das große Stück Metall,  bemerke ich, dass die silbernen höheren Töne der kleineren Glocken besser zu hören sind, wenn ich mir meine Hände zu größeren Ohrmuscheln geformt seitlich an den Kopf halte. Der Baukörper des Doms klingt nach jeden Schlag wie ein Instrument nach.

Zuvor in der Mittagszeit ging ich mit klopfendem Herzen ins Atelier, um nachzuschauen, was aus der Ausformung geworden ist. Zunächst löste ich das erste Exemplar von den Seiten her vorsichtig mit einem Messer und hob dann, mit meinen Fingern zwischen Form und Pappmache langsam die Fläche an, bis sie herausgelöst war. Alles war exakt abgebildet, kein einziger Steg war heraus gebrochen und ich hatte das Gefühl, mir nach all den Wochen Arbeit, ein Weihnachtsgeschenk gemacht zu haben. Nun, mit der Festlegung der nächsten Arbeitsschritte, kann die Produktion beginnen, auf die ich so lange gewartet habe.

Geometrische Schritte zu Trixelplaneten

Verschiedene geometrische Figuren fügen sich in meiner Vorstellung zu Objekten, die ich mit meinen Dreiecken zusammensetzen könnte. Sie heißen Ikosaeder, bestehend aus zwanzig gleichseitigen Dreiecken, Oktaeder, mit acht Seiten, Dodekaeder mit sechzig Dreiecken, Dekakaeder und die Buckminster-Fuller-Kugel, die aus achtzig Dreiecken besteht. Diese Polygonversammlungen haben alle eine stringente Logik in sich und weisen keine überflüssigen Volumina auf. Anders ist es bei Figuren, die aus einer freien Improvisation der Formen entstehen, die wachsen, wie die Äste an dem Baum vor meinem Fenster. Bevor man aber in diese Improvisationsphase eintritt, kann man sich erst einmal mit Geometrie beschäftigen.

Der nächste Schritt zur Klärung der weiteren Arbeitsvorgänge, bestand darin, dass ich gestern die Motive auswählte, mit denen ich die nächsten Dreiecksreliefs modellieren will. Zunächst sind das Ornamente der Einzelfiguren des Kreuzstabträgers und der Blutkreislauffigur. Diese möchte ich einzeln zu dreifach miteinander verflochtenen Ornamenten verarbeiten. Sie können als mehrfache ineinander greifende Wiederholungen zu Trixelplaneten zusammengestellt werden. Gleichzeitig können sie den Übergang zu anderen Verflechtungen bilden, in denen langsam andere Figuren auftauchen und sich so das ganze Motivpersonal verändern kann.

In diesem Zusammenhang denke ich über ein standardisiertes Montagesystem nach, mit dem alle Dreiecke aneinandergefügt werden können. So können auch überraschende Motivmixturen entstehen.

Bei John Cage sah ich handgeschöpftes Papier aus verschiedenen Pflanzenmaterialien. Das inspiriert mich zu Überlegungen die Farbigkeit des Materials als ein Element des Zufalls mitspielen zu lassen.

Wie ich es mir vorgenommen hatte, füllte ich gestern die Form vollständig fertig aus. Ich nahm mit Zeit dafür und arbeitete sorgfältig, stärkte die Ränder etwas und suchte nach kleinen Fehlstellen, die noch aufzufüllen waren

Flächen

Schwere, tief hängende Wolken, deren Farben manchmal ins Bräunliche gingen, zogen gestern Nachmittag über den östlichen Taunus. Ich unternahm eine Fahrt nach Grävenwiesbach, um das bildnerische Produkt der Performance hinzubringen. Alles lief nach Wunsch, und ich fuhr in guter Stimmung wieder nach Frankfurt zurück.

Dort ging ich gleich ins Atelier, um an der Abformung des kleinteiligen Reliefs weiter zu arbeiten. Tatsächlich bleibt es eine Frage des Zeitaufwandes, die klebrige Masse in die vielen kleinen Vertiefungen zu drücken, die Schicht dabei nicht zu dick werden zu lassen und dabei auch die hoch stehenden Stege abzudecken. Aber zwischen sechzehn Uhr dreißig und neunzehn Uhr habe ich eine größere Fläche geschafft, als vorgestern in drei Stunden.

In meinem Computerprogramm Bryce schaute ich mir die nach Buckminster Fuller gestaltete Kugel an, die aus achtzig, sofern ich es erkennen kann, gleichseitigen Dreiecken besteht. Dieses Prinzip könnte ich auf meine Reliefdreiecke übertragen. Der Durchmesser der Kugel würde etwa einen Meter und sechzig Zentimeter betragen. Ich frage mich, ob die Statik der Figur ohne Gerüst auskommen könnte. Aber eigentlich möchte ich mich nicht wieder in ein solches Abenteuer stürzen und lieber bei kleineren Formen bleiben. Zunächst sollte es nur um die Fläche gehen und um ihre Gestaltung.

Wenn ich heute noch mal ins Atelier gehe, schaffe ich es vielleicht das erste Dreieck fertig zu bekommen. Wenn es dabei bleibt, dass ich für ein Dreieck drei mal drei Stunden benötige, muss ich das akzeptieren. Nun fehlt mir nur noch eine Zeit, in der ich mich nur auf dieses Projekt konzentrieren kann.

Die Integrationsdezernentin schickte einen bemerkenswerten Neujahrsgruß. Ein konventioneller Text bedankt sich für die Zusammenarbeit und gibt der Freude auf weitere Zusammenarbeit Ausdruck. Auf der Vorderseite aber befindet sich ein verschneiter Frankfurter Platz mit einem Brunnen, der von einem Adventskranz gekrönt ist.

Ich habe das Gefühl, dass mir die Thematik der Wanderungsspuren nicht abhanden kommen wird.

Bergsee

Punkt Sieben sitze ich, mit dem Blick zwischen der Spiegelung meines Fensters und dem Entstehen meiner Schrift auf dem Papier hin und her pendelnd, am Schreibtisch. Zwischen die Muscheln mit ihren Versteinerungen auf dem Fensterbrett fallen gelbe Blätter des Patchoulibäumchens. Viel Regen geht über das Land, und die schwellenden Flüsse treten schon über ihre Ufer.

D. habe ich den Artikel von Herrmann Parzinger über die türkische Zusammenarbeit mit internationalen Archäologen gegeben. Die Islamisierung der orientalischen Welt in Verbindung mit ihrem Hang zum fundamentalistischen Bildersturm, hat bedrohliche Züge angenommen. Das kulturrevolutionäre Potential ungebildeter radikaler Islamisten, schafft geschichtliche Leerstellen, als müsse man vor der Geschichte und ihren Zeugnissen Angst haben. Schon haben die Vereinten Nationen einen Militärschlag gegen eine solche erstarkende Gruppierung in Nordostmali beschlossen. Auch dort werden Kunstschätze zerstört.

Mit Nadjib sprach ich noch einmal über seinen Bergsee und über das Bild, das ich ihm von davon malen soll. Gleich dort in der Nähe wurden die großen, in die Felsen geschlagenen Buddhafiguren von den Taliban gesprengt. Auch das gehört zu dieser unerhört schönen Landschaft.

Auf dem Tevesgelände brechen Jugendliche ihre Ausbildung ab, um sich ganz ihrer Religion hinzugeben. Wahrscheinlich sind es Salafisten, die diese wankelmütigen und orientierungslosen Jungs auf ihre Seite ziehen. Die Ziele, für die sie Werben, bündeln sich alle im Gottesstaat.

Im Atelier arbeitete ich an der Ausformung des Reliefs mit einer Masse aus aufgelöster Filzpappe. Das lässt sich zwar gut verarbeiten, benötigt aber viel Zeit. In drei Stunden formte ich etwa ein Dritte des Dreiecks aus. Durch die politischen Entwicklungen bekommt das Projekt neue Energie. Ich befinde mich in einem Kristallisationsbereich der Auswirkungen der Islamisierung und werde mit muslimischen Jugendlichen an meinem Projekt arbeiten.

Wie am Anfang des Jahres kommt mir als erstes plastisches Objekt, das aus den Dreiecken bestehen kann, das Isokaeder in den Sinn.

Kindheit auf der Bühne

Der kürzeste Tag des Jahres beginnt mit Nebel und Regen. Morgens um Acht ist es zwar schon ein wenig hell, aber eigentlich eher noch dunkel. Der Himmel scheint unbewohnt zu sein, oder ist gar nicht vorhanden.

Der Ausformungsversuch mit der Pappmachemasse war ein Misserfolg. Ich habe das getrocknete Material in stundenlanger, mühsamer Arbeit wieder vorsichtig in kleinen Einzelteilen aus der Form herausgelöst. Eine Übung in Demut. Eigentlich wollte ich die Form sofort wieder mit einer anderen Masse füllen, hatte aber noch die während der Performance entstandene Arbeit zu präparieren.

Vorgestern waren wir im Schauspiel. Markus Bothe hat Bulgakows Roman „Der Meister und Margarita“ dramatisiert und in Szene gesetzt. „Get Well Soon“ steuerte Begleitmusik und Songs hinzu. Das Bühnenbild bestand aus einem sich drehenden überdimensionalen roten Sowjetstern, der schräg gelagert,  auseinandernehmbar war und dann seine Innenkonstruktion preisgab. Außerdem gab es, besonders bei den Kostümen einige Versatzstücke aus der Sowjetunion (wie lange habe ich dieses Wort oder UdSSR – Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken nicht geschrieben und nicht gesagt?).

Das Bühnengeschehen vermischte sich mit meinen Kindheitserinnerungen an die Pionieruniform, weiße Hemden mit einem Emblem auf dem Ärmel, bestehend aus einem J und einem P, gekrönt von einer eigenartig statischen Flamme. Dazu gehörten ein blaues Halstuch und ein Käppi, auch in Blau. Die älteren Thälmannpioniere trugen schon rote Halstücher, und natürlich wollten wir schnell Thälmannpioniere werden, um dann zu den Größeren zu gehören. Später kamen dann die Blauhemden der Freien Deutschen Jugend. Aber da war die Begeisterung schon verflogen. Ich war nicht mehr mit meinem Herzen dabei, begann den Sinn der Uniformierung zu durchschauen. Außerdem gab es am entgegengesetzten Pol die Rolling Stones, die den Soundtrack der Ablösung schrieben. In diesem Moment sah ich, dass die Vögel einfach so über die Westgrenze flogen, und über meinem Kopf pendelte Pam Am zwischen Westberlin und Frankfurt.

Pergamon-Metamorphose

Blasse Farben des Himmels: ein Rosa, ein helles Grau, über dem eine türkisfarbene Lasur liegt. Sehr schwarz davor die Baumskelette, besetzt von den Bewohnern der Lüfte. Im mäßigen Ostwind pendelt an einem Faden noch ein Blatt. Eine Krähe blickt weit über allen gleitend hin und her. Ihr Schnabel zeigt die Sehrichtungen an. Je höher die Sonne steigt, desto tiefer scheinen die Schatten Gegenstände zu verschlingen. Die Gegenläufigkeit irritiert mich und ich zweifle an meiner Wahrnehmung.

Im Atelier richtete ich gestern die nächste Experimentalschleife ein, die mit der Such nach dem geeigneten Abformungsverfahren zutun hatte. Die neue Masse drückte ich nur in eine Ecke der Form, um eventuelle Schäden in Grenzen halten zu können.

Nach einer ganzen Woche ist das nun der erste Morgen, an dem ich wieder an meinem Schreibtisch sitze. In Ruhe kann mein Denken mit dem Licht erwachen und die Geräusche können nach zugelassenen und auszublendenden akustisch wandernden Horizontalen sortiert werden.

In einem der Feuilletons der letzten Tage berichtete Herrmann Parzinger über den Zustand der archäologischen Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Deutschland. Die Grabungsgeschichte wird demnach von den Türken verdreht und die internationalen Teams werden behindert und brüskiert, während historische Stätten geflutet werden. Erdogan meinte bei der Eröffnung eines neuen Botschaftsgebäudes in Berlin, dass Türken auch Kant, Hegel und Goethe verstehen sollten. Vor einem Jahr noch sagte er in einer Wahlveranstaltung in Berlin, dass die türkische Sprache für Türken in Deutschland sehr wichtig sei. Er redet das, was die Zuhörer hören wollen und das, was ihm gerade nützt. Damit missachtet er seine Zuhörer. Auf dem Tevesgelände entdecke ich immer mehr Plakate in rein türkischer Sprache. Es gibt kaum einen Integrationswillen. Ethnische Abgrenzung nimmt zu. Gespräche zwischen uns werden nicht gesucht. Die Identität rückt wieder nach Anatolien. Aber die Rettungsgrabungen und die Aufklärung sind dort gescheitert.

Ich habe die Projektidee nach den Resten des Pergamonaltars in Gestalt des Kalks zu suchen, der aus den Skulpturen gebrannt worden ist. Die Gebäude, die dort errichtet worden sind, sind Zeugnisse einer besonderen Metamorphose.

Experimentschleifen

Jetzt im Atelier. Mein selbst hergestelltes Pappmache hat zum Abformen ganz gut funktioniert. Es ließ sich gut herauslösen, weil es einerseits etwas flexibel getrocknet ist und andererseits auf einer gut isolierenden und abweisenden Trennschicht saß. Dafür habe ich ein Bienenwachshaltiges Holzpflegemittel mit farbloser Schuhcreme gemischt. In der Stadt kaufte ich noch eine andere Pappmachemixtur, um weiter experimentieren und dranbleiben zu können. Diese Probleme möchte ich bis spätestens zum Ende des Jahres gelöst haben. Deswegen habe ich mir auch meine heutige Hangwanderung versagt.

Meine Augen schielen nach den Zeichnungen, die sich auf meinem Arbeitstisch stapeln. Besonders die gefundene Lösung der Figurenübergänge suchen sie. Kaum kann ich mich zurückhalten, die zu suchen, mit dem Wühlen zu beginnen. Ich weiß, dass ich die Lösung gefunden hatte, erinnere mich aber nicht mehr an die genaue Gestalt und muss mich zwingen, beim Text zu bleiben.

Währenddessen hegen meine zwei Winterfliegen ein Interesse an den Flüssigkeiten, die offen herumstehen, fliegen durch die Nebel, die ich auf meine Pflanzen sprühe und durchschlängeln mit ihren Flugbahnen die warmen Lichtkegel meiner Arbeitslampen.

Mich in die aktuellen Farben der Tagebuchzeichnungen bettend, wächst eine Lust auf unifarbene Flächen, die klar zueinander stehen und keine malerischen Ausfransungen und Übergänge aufweisen.

Eine weitere Arbeit, die ich noch vor Weihnachten erledigen möchte, ist die Aufbereitung der während der Performance entstandenen Arbeit. Das große Blatt soll oben und unten Leisten von hinten aufgeklebt bekommen, die erlauben, es glatt an eine Wand hängen zu können. Dann soll es noch nach Gelnhausen transportiert werden.

Wachsein

Aus dem Schnee wird mein Hangweg vorübergehend wieder aufgetaucht sein. Ab sechshundert Höhenmetern wird allerdings wieder Schneefall angesagt. So wird es nun einen Rhythmus zwischen Erscheinen und Verschwinden geben, ein Hin und Her. Trotz der Orientierungs-Schwierigkeiten bei dichtem Nebel, scheint mir dieser Ort der sicherste für meine Befindlichkeit zu sein.

Probeweise kaschierte ich gestern ein Stück Form mit Tapetenkleisterpapier aus, ohne die Fläche, die gut mit Schelllack versiegelt ist, noch einmal mit einem weiteren Trennmittel zu versehen. Das gestaltete sich eher schwierig und war ein Misserfolg. Weil mir ständig neue Termine hereinschneiten, war es kaum möglich das Projekt in Ruhe weiter zu entwickeln. Aber am Abend ging ich doch noch den Abformungsversuch rückgängig zu machen. Ich benötige also doch noch ein wirksames Trennmittel. Um die richtige Mixtur heraus zu bekommen, müsste ich mich ein paar Tage konzentrieren. Von der zeichnerischen Weiterentwicklung des Ganzen, ganz zu schweigen.

Es ist kurz nach Vier in der Nacht. Es gehen mir zu viele Dinge durch den Kopf, weswegen ich immer munterer geworden bin.

Beim Internationalen Bund kann ich das FRANKFURTER KRAFTFELD nicht alleine anbinden. Das wäre der gleiche Fehler, den ich mit NEULAND gemacht habe. Ich sollte mich wieder mal um die Ämter kümmern, die mir in letzter Zeit immer ganz wohl gesonnen waren. Die Leiterin des Kulturausschusses wollte mich auch mit dem Museum für Weltkulturen zusammenbringen.

Die Konzentration auf dieses eine Projekt wird derzeit von meiner Arbeit beim Internationalen Bund (fünf Tage am Stück!), von der Tagebucharbeit, vom Hang Gang und vom Atelierabend mit M. unterbrochen. Das müsste eigentlich reichen um davon etwas Abstand zu bekommen.

Es muss nicht alles nach Plan gehen und nicht alles gleich verwirklicht werden

Marina Abramovic

In einem kleinen Kino sahen wir einen Dokumentarfilm über eine Performance von Marina Abramovic. Ihre Aktion bei der sie drei Monate lang im Museum of Modern Art in New York, einzelnen Zuschauern, die ihr gegenüber saßen in die Augen schaute, war eingebettet in eine Gesamtschau ihres Werkes. Somit beschäftigte sich der Film auch mit diesem Künstlerinnenleben. Interessant und erstaunlich war für mich, dass sie schon in den Siebzigerjahren in Jugoslawien diese Kunstform pflegte.

Für B. war der Unterschied zwischen darstellender Kunst und Performance die entscheidende und wichtigste Erkenntnis des Filmes. Zufällig hatten wir Gudrun getroffen, mit der wir danach noch einen Wein tranken und über das sprachen, was wir gerade gesehen hatten.

Maria Abramovic ist die Tochter zweier Partisanenheldenfiguren der jugoslawischen Nachkriegszeit, die dann in der kommunistischen Regierung des Landes arbeiteten. Durch den militärischen Drill ihrer Erziehung und dem damit verbundenen konzeptionellen Liebesentzug der Eltern, begann sie sich nach der Liebe der Welt zu sehnen. Fast ohne Geld fuhr sie in einer symbiotischen Beziehung mit einem Künstler fünf Jahre lang in einem Transporter durch die Welt. Auf dem Höhepunkt einer dreimonatigen Wanderung, während der das Paar auf der Chinesischen Mauer aus entgegengesetzten Richtungen aufeinander zu wanderte, im Moment ihres Zusammentreffens, trennte sich das Paar.

Die Reflektion des wichtigen Einflusses der Kindheit auf das Werk, sollte ich vielleicht auch noch ernster nehmen, als ich es ohnehin schon tue. Die Emotionalität des Filmes wir durch all diese vorangegangenen Geschichten verschärft. Mit dem Blick, der die Zuschauer der Performance aus einer Konzentration nach dem Aufschlagen der Lider traf, wollte sie die Sehnsucht nach der Liebe der Welt in die gegenüber sitzenden Mensche projizieren. Es wird deutlich, wie viel diese Arbeit mit Versenkung und Hingabe zutun hatte und wie diese gebündelte Kraft die Menschen traf.

In der Nacht träumte ich, wie ich im eigenen Auto von einem Bus von vorne und einem Laster von hinten zusammengedrückt wurde. Niemand hörte mein Schreien.

Lohn für Mutige

Kurz entschlossen bin ich gestern in den Taunus gefahren. Und weil ich noch etliche Dinge unterwegs zu erledigen hatte, vergaß ich die Kamera und Wasser. Der Hang lag in dichtem Nebel. Die noch vorhandene Schneedecke war nass und schwer, jeder Schritt wie im Morast. So kam ich nur langsam vorwärts. Der von den Ästen herabgefallene, tauende Schnee machte mit seinen vielen kleinen Kratern die Spuren der Tiere im unteren Bereich unkenntlich. Am hellen Nachmittag herrschte eine bedrückende Finsternis. Manchmal, nur für Sekunden verlor ich die Orientierung – Herzklopfen und völlige Stille. Dunkel aufgeworfene Lachen des von den Wildschweinen auf der Suche nach etwas Fressbaren zerwühlten Bodens, keine Hirschkühe, keine Vögel. Die aufgebrochenen Wildschweinareale, bilden markante Räume, die ich, sofern sie meinen Weg berühren, nutzen kann. Die Bodenwunden können mit Moos oder Steinen geschlossen werden.

Der Schnee schmilzt auf dem Pfad teilweise schneller als in seiner direkten Umgebung. Dafür habe ich noch keine Erklärung. Wie kann der festgetretene Untergrund, der von meinem Gewicht etwas tiefer liegt als das allgemeine Niveau, wärmer sein. Steckt dort die ganze Energie der vielen Wanderungen? Weiter oben konnte ich verfolgen, wie sich häufig begangene Tierpfade meinem Weg näherten, ihm eine Weile folgten, um dann wieder eine andere Richtung einzuschlagen. Dadurch, dass ich die Kamera nicht mit hatte, sah ich viele Dinge neu, sah sie einfach länger an. Meine Wegzeichenfiguren standen dunkel und nass in dem gleichmäßig undurchdringlichen Raum aus Nebel und Schnee. Teilweise waren nun selbst für mich die Installationen meine einzigen Orientierungsmarken, die mich auf dem Weg hielten. Dicht neben meinen Kristallgruben schloss sich die Wühlspur eines Wildschweins an, als sei es von meinen Ausgrabungen inspiriert gewesen.

Nachdem ich die Spirale am oberen Ende gelaufen war, rutschte ich durch den Matsch bergab. Es gibt eine vage Unentschlossenheit, die auf Langsamkeit hinausläuft. Ich möchte, dass der Weg begangen wird, will ihn aber in keiner Weise beschildern. So werden nur die Mutigen belohnt.

Gotisches Geäst

Seit längerer Zeit sitze ich mal wieder an meinem Schreibtisch, und die Schrift bewegt sich im warmen Lichtkegel. Mitten in der Nacht stand ich auf und besuchte B. am Küchentisch, die von einer Premiere im Schauspiel zurückgekommen war. Und so konnte sie mir nur Grüße von den Damen der Verlage und des Theaters ausrichten. N. war auch da, weil es um ein Rowohltstück ging.

Ich war stattdessen auf dem Wochenmarkt bei meinen netten Weinfreunden. Dort erfuhr ich wieder von jemandem der mein Arbeitstagebuch liest. Das berührt mich und ich denke, ich müsse mehr Sorgfalt walten lassen.

Ich habe einen kleinen Zweig im Blick, der einem Ornament des Teppichs von Bayeux entsprungen sein könnte. Ich kann seine Verzweigungen lange betrachten, versuchen das Gotische seiner Architektur zu verstehen. Das Holz wächst in den Lichtraum, den seine Blätter brauchen. Dafür nimmt es fast jede Wendung in Kauf. Und während ich noch genauer hinschaue, entdecke ich immer mehr sehr spektakuläre Architekturen. Sie bewegen sich leicht im südwestlichen Wind – dunkel gekleidete Ballerinen vor einem hellgrauen, nach Nordosten ziehenden Himmel. Die vielen kugelrunden Meisen dazwischen ernähren sich von einer Gabe unserer Nachbarin auf dem Balkon über uns. Durch eine Wolkenlücke schaut für kurze Zeit eine weiße Sonne, sendet das wenige Licht der Jahreszeit den Ästen zu.

Ich überlege Bezüge zum Raum, denen die Lehrlinge folgen sollen. An die Tafel zeichnete ich ohne Hintersinn ein Trixelgebilde, das dann einige schriftliche Kommentare nach sich zog. Auch dieses Spiel könnte man zu Unterrichtszwecken weiter kultivieren.

In die blauen Himmelsflecken läuten die Kirchenglocken. Leute besorgen sich kostenlose Kleidung, die offensichtlich in der Kirche ausgegeben wird. Bedürftigkeit und Reichtum nehmen zu. Die Mieten in unserem Viertel steigen. Die arbeitslosen Verlierer werden verdrängt. Aggression und Armut nehmen zu.

Atelierabende mit M.

Die Atelierabende mit M. sind auch für mich recht produktiv. Und nach einem Tag, der am Morgen mit dem handschriftlichen Tagebuch beginnt, was direkt in die Beschäftigung mit den Lehrlingen mündet und am späten Nachmittag mit dem weiteren täglichen Tagebuchprozedere weitergeht, ist ein neuer Anlauf am Abend das richtige Mittel, noch einmal durchzustarten.

Für den gestrigen Abend ist das für mich vielleicht etwas übertrieben, denn ich habe mich lediglich mit der Versiegelung der Form beschäftigt. Aber auch das ist zeitaufwendig. Trotz der vielen anderen Arbeiten habe ich so meinen Wochen-Plan für das Frankfurter Kraftfeld fast geschafft.

Hier unter dem kalten Licht eines Unterrichtsraumes sitzend, fehlen mit meine blinkenden Krähenfreunde und der Blick auf den Aufbau des Wochenmarktes.

M. arbeitet am Abend an ihren Rollbildern weiter. Ich schlug ihr vor, sie im Startorante auszustellen, mit Leisten von hinten etwas stabilisiert und etwas vor der Wand schwebend. Auf meine Frage, ob sie in unserem Verein mitarbeiten will antwortete sie erfreut und zustimmend. Durch sie ergeben sich bestimmt ein paar neue Verknüpfungen.

Bei allem Hin und Her kommt die Konzentration auf die eigene Arbeit etwas zu kurz. Aber in der kommenden Woche und während der Feiertage wird wieder Zeit und Platz dafür sein. Das muss auch sein, wenn die Produktion anlaufen soll, die ich in den letzten Tagen beschrieben habe.

Etwas verzagt bin ich darüber, dass ich meinen Weg nun nicht in diesem hohen Schnee gesehen habe, denn nun ist wieder Tauwetter angesagt und hat auch schon eingesetzt.

Fremde Terrains

Als ich gestern die Form umdrehte, blieb fast der ganze Ton auf dem Brett, was ein gutes Zeichen für die Herauslösbarkeit der Pappmacheteile ist. Dann befreite ich die Gipsformmuster vom restlichen Ton und stellte das handliche Dreieck auf einen Heizkörper. Gerade eben prüfte ich die Trocknung, weil ich wegen Aushilfe beim IB schon auf dem Tevesgelände bin. Am Abend könnte ich mit der Versiegelung begonnen.

M. bat mich über ein Konzept nachzudenken, das sich für die Verbesserung der Gesprächskultur von Führungskräften aus verschiedenen Lebensbereichen eignet. Ich dachte daran, ihnen eigene Umrissfiguren zuzuordnen, die zu einem Gesträuch übereinander gezeichnet und dann zu einem Rapport zusammengesetzt werden sollten. Das kann in derselben Weise geschehen, wie ich es mit den Transparentpapierfiguren mache. Ich kann nicht genau beschreiben, wie das wirken soll, glaube aber um die besondere Wirkung besonderer Aktionen. Vielleicht kann ich sogar mit ihnen einzeln meinen Pfad gehen. Jedenfalls möchte ich mit Maja in diese Richtung weiter denken, auch was andere Projekte angeht.

Auch beim IB, der mich nun für fast eine Woche zur Vertretung buchte arbeite ich mit dem Themen Rapport, Rastervergrößerung und Modellieren. Es ist am leichtesten für mich und am wirkungsvollsten für die anderen, wenn ich mit den Materialien und Strukturen arbeite, mit denen ich auch gerade zutun habe.

Die Zusammenhänge, in denen ich mit meinen Techniken arbeite,  werden durch meine Arbeit bereichert. Dennoch geht es immer ums Handwerkliche. So gehen nun schon mehrfach meine gezeichneten Figuren von Hand zu Hand und erfüllen die verschiedensten Aufgaben. Das ist für alle gut.

Die Form

Endlich habe ich gestern die Form gebaut. Vormittag korrigierte ich noch ein paar Linien, die auf die drei Außenkanten stoßen und Anschlüsse bilden müssen. Die Abstände zwischen ihnen und den Eckpunkten müssen ausgemessen werden, damit alle drei Seiten zueinander passen. Dann hatte ich nur noch Modellgips zu besorgen, der etwas besser als normaler Gips abbildet. Mittags war alles bereit. Am Nachmittag konnte ich dann in Ruhe die erste Schicht anlegen, alles immer wieder etwas rütteln, damit die Luftbläschen aufsteigen und der flüssige Gips in alle Ritzen und Unebenheiten fließt. Und ich hielt mich zurück, die sich langsam erwärmende Platte gestern schon vom Untergrund zu lösen, sondern ließ sie bis heute etwas stärker antrocknen.

Die Sperrholzplatte, auf der ich modellierte, hat sich durch die Feuchtigkeit etwas nach oben gewölbt und mit ihr das Relief. Diese Spannung ist mir ganz recht, zumal das erste Abformmaterial Pappmache sein wird, das diese Bewegung durch seine Flexibilität ausgleichen kann.

Nun kann wieder eine der Situationen entstehen, die eine Produktion nach sich zieht, in der weitere Dreiecksmotive entstehen. Die Arbeitsgänge, wie die Figurenwechsel gehen fließend ineinander über, so dass ein Relief nach dem anderen und die sich verändernden Anschlüsse die Folge sein werden. Die nächsten Arbeitsgänge haben mit den Entwürfen der neuen Dreiecke zutun, womit ich teilweise schon begonnen habe. Parallel dazu kann ich die fertig gestellte Form mit Schelllack versiegeln und mit Pappmache ausfüllen, was dann trocknen kann. In dieser Zeit kann ich mich um die weiteren Motive kümmern, sie zeichnen, modellieren und abformen. Währenddessen entstehen weitere Exemplare des ersten Reliefs, mit denen ich nun die Wirkung ihres Zusammenspiels prüfen kann. Währenddessen wird das zweite Motiv abgegossen und auch abgeformt.

Mit diesem Arbeitsfluss wird das Projekt soweit vorbereitet, dass die Jugendlichen in einem Stadium einsteigen können, in dem die verschiedensten Arbeitsgänge angeboten werden können. Vielleicht können sie selber Motive mit dem Projektor vergrößern und modellieren.

Geld und Raum

Öfter denke ich in letzter Zeit an die Lektüre der Assmann-Texte zurück. Innerhalb der Themenkomplexe des Ägyptologen interessiert mich insbesondere der Zusammenhang zwischen Monotheismus und Antisemitismus. Dass durch die Jahrhunderte hindurch Antisemitismus wie ein Reflex in der Bevölkerung verankert ist, legt den Schluss nahe, dass sich eine tief verankerte Angst, wie aus einem gemeinschaftlichen Trauma sich in dem Hass auf eine Bevölkerungsgruppe Platz macht. Die jeweils aktuellen Gründe dafür können Neid oder an den Haaren herbeigezogene Fiktionen sein.

Das Niltal gedieh nach außen hin durch die Verbindung des wechselnden Wasserstandes mir einer festlichen Jahreslithurgie und der Versklavung großer Bevölkerungsteile durch eine strenge Kastenaufteilung. Echnaton, der die an die verschiedensten Götter angebundenen jahreszeitlichen Feste und Rituale abschaffte und ein absolutes, sich nur nach der Sonne ausrichtendes System erzwang, war ein Kulturrevolutionär. Die Verwerfungen in der ägyptischen Gesellschaft müssen durch die Einrichtung des Monotheismus gewaltig gewesen sein. Sicherlich war damit auch eine grundlegende Verunsicherung verbunden, die zu katastrophalen Lebensumständen führte. Es scheint mir möglich, dass es aus dieser Katastrophe einen gesellschaftlichen Erinnerungsreflex bis in die Gegenwart gibt. Und soweit ich mich an die Lektüre erinnere entstammt die Mosesfigur dem Zusammenhang des Zusammenbruchs des monotheistischen Systems von Echnaton.

Nun ist man in Deutschland schnell Vorwürfen ausgesetzt, die der Betrachtung dieser Zusammenhänge, vor allem der Unversöhnlichkeit des monotheistischen Systems, antisemitische Tendenzen zuschreiben wollen. Dieses kontrapunktische System könnte bei besonnenem Umgang sehr fruchtbar sein.

Im Zusammenhang mit dem kulturrevolutionären Potential der Echnatonzeit, denke ich an das Primat der Beschleunigung, an das Wachstum des immateriellen Rohstoffes „Information“ und die schnelle Zuwendung der Welt an die Geschwindigkeit um der Geschwindigkeit willen. Keine Vielgötterei, kein Kontrapunkt, denn Zeit ist Geld und nicht Raum.

Klangbilderinnerung

Schon am Tag zuvor hatte ich die Flächen ins Auto geräumt, die ich auf der Saalburg zum Einwalzen mit Druckfarbe benötigte. Ich war bei Schneefall unterwegs, die Sicht war eingeschränkt, die Straßen noch nicht geräumt und die Schilder vom Schneetreiben teilweise zugeweht, so dass ich mich nicht so leicht orientieren konnte. Ein geistig behinderter Dorfbewohner meinte, ich müsse umkehren um zur Saalburg zu kommen, was ich auch auf meinem gefühlsmäßig eingeschlagenen Kurs auch tat. Mit etwas Geduld erreichte ich dann direkt die Einfahrt zum Kastell. Die Performance lief ohne Pannen mit tatkräftiger Unterstützung aller Gäste. Am Nachmittag war ich schon wieder in Frankfurt und legte das entstandene große Format zum Trocknen ins Atelier.

Dort feuchtete ich noch mal das Tonrelief an, das ich in dieser Woche abgießen wollte. Allerdings habe ich zwei Tage die Auszubildenden, für die ich nun auch noch ein neues Programm vorzubereiten habe.

Kein Krähen weit und breit, keine schwarzen Flugbilder oder äugende Beobachter auf den Ahornästen. Helles Braun mit etwas Apricot treibt vom nordwestlichen Himmel heran. Greifvögel kreisten in einem ungewöhnlich großen Schwarm über der Stadt, als wollten sie in der urbanen Abwärmethermik an Höhe gewinnen, um sich dann in einem Gleitflug weit nach Süden abzusetzen.

Einen Text von Juan Carlos Onetti hörte ich gestern auf meiner Heimfahrt vom Taunus in die Stadt. Die Klangcollagen, die sich mit dem traumartigen Text verbanden, entführten meine Erinnerungen in verschiedene Richtungen, mal nach Brasilien, mal in meine Militärzeit in Eisenach. Töne und Text hatten eine große Bildkraft, die viel mit mehrschichtigen Zeichnungen oder Malerei zutun hat. Marschierende Stiefel, graugrüne Soldatenmäntel, gleichmäßig wippende Stahlhelme auf dem Marktplatz der Kleinstadt. Eine pompöse Vereidigung, wir in unserer Verkleidung in der Öffentlichkeit. Ich sprach nicht, bewegte nur tonlos die Lippen in der Kolonne von eintausend Grenzsoldaten, die an eine angebliche Front geschickt werden sollten. An der Südseite des Platzes stand das Museum, in dem ich wenig später die Gläser und Figuren in den Vitrinen zeichnete.

Bildersturmzeit


Sonntag. Nach einer kalten Nacht bin ich zeitig auf, um vor meiner Kunstaktion auf der Saalburg, wenigstens einen Teil des Tagebuches erledigt zu haben. Am gestrigen Abend waren wir bei Bekannten in ihr neues Haus eingeladen worden. Es handelte sich um einen etwa einhundert Jahre alten Wohnpalast, den sie mit viel Mühe und Energie sehr sorgfältig und liebevoll renoviert haben. Nun kommen sie mir in den drei Etagen mit etwa vierhundert Quadratmetern Wohnfläche etwas alleine und verloren vor. Es handelt sich um keine notwendige Raumveränderung sondern um Luxus, der sicherlich dem Umstand, nicht zu viel Geld beim Finanzamt zu lassen, geschuldet ist. Wir haben wieder gemerkt, wie sehr wir uns mit unseren Tätigkeiten und mit dem Verständnis von unserer Rolle in der uns umgebenden Gesellschaft, als Exoten an ihren Rand manövrieren. Auch die anderen Gäste sprachen sehr viel von Geld, am liebsten von viel Geld…

Auf der Berliner Museumsinsel wird derzeit eine große Nofreteteausstellung gezeigt, in der es um Fundstücke aus Nachgrabungen um den Fundort der Büste geht und um das einhundertjährige Jubiläum ihrer Auffindung. Üblicherweise handelt es sich bei den ausgestellten Exponaten um Fragmente aus einem Formenkontext, der die Bilderstürme der Geschichte in seiner Vollständigkeit kaum überleben konnte. In diesen Zusammenhängen werden immer wieder die Rückgabeforderungen ägyptischer Regierungskreise diskutiert, die der Meinung sind, die Nofretetebüste gehöre nach Kairo. Sieht man von den Verdiensten deutscher Archäologen und ihrer Grabungskampangen, dem Vertrag über die Übereignung der Büste und dem damit verbundenen rechtlich unanstößigen Standort ab, kann man sich kaum vorstellen, was in den ungesicherten Museen während der Revolutionszeit im vergangenen Jahr mit der Büste geschehen wäre. Kommen die fundamentalistischen Bilderstürmer im maghrebinischen Raum an die Macht, muss man um die ausgegrabenen Schätze fürchten, wie um die großen Buddhastatuen in Afghanistan.

Sich in kultureller Sicherheit zu fühlen ist Luxus. Ich lebe mit der Gewissheit, dass jederzeit eine neue „Kulturrevolution“ über uns hereinbrechen kann, wenn es nicht schon im Zuge der Digitalisierung und der Urheberrechtsdebatten soweit ist.

Eingetrocknetes Blau | Melancholie

Noch einmal überarbeitete ich gestern Nachmittag das Relief im Atelier. Mit einem speziellen Modellierholz drückte ich die tiefer liegenden Linien in solcher Weise nach, dass die Seitenwände der „Täler“ nicht mehr so steil aufragten. Der etwas flachere Winkel hat zur Folge, dass die Zeichnungen nun deutlicher werden und sich das getrocknete Pappmache dann später besser aus der Form herauslösen lässt. In ihr stehen die Gräben als Grate in den Raum und sind immer etwas bruchgefährdet. Ich kenne das Problem von der Form des Kraftfeldes 2010, das hoffentlich nun schon von vornherein entschärft ist.

Schon am Vormittag habe ich meine morgige Kunstaktion vorbereitet. Zunächst prüfte ich die alten Druckfarben, noch aus den DDR – Beständen, auf ihre Verwendbarkeit. Das Blau, die Farbe der Jungpioniertücher war längst eingetrocknet. Das Grün hatte sich aufgespalten in eine bernsteinfarbene Flüssigkeit und grünen trockenen Stein. Einzig Schwarz, Gelb und Rot sind einsatzfähig geblieben. Wenn ich bei meiner eigenen Wanderungsgeschichte als den Ausgangspunkt der Performance bleibe, geht es also im Folgenden um Reduktion. Es gibt außer den Geschichten, der über das Blatt wandernden Gäste, die sich so auch ein wenig produzieren können, nun also genügend Material, über das sich etwas erzählen lasst.

N. hatte ein sehr schönes Foto einer afghanischen Landschaft auf seinem Bildschirm, so dass ich nachfragte, um was es sich da handelt. Mit der tiefen Melancholie seiner Heimaterinnerungen erzählte er mir von den Landschaften und von der Schönheit vor dem Krieg. Jetzt sucht er jemanden, der ihm diese Landschaft malt. Er fragte mich und ich würde das gerne für ihn machen.

Kristallschichten | Erinnerungslinien

Die Spuren die ich gestern am Hang hinterließ, werden jetzt schon abgedeckt oder zumindest von den neuen Kristallschichten relativiert sein. Ich würde gerne nachschauen, um zu sehen, ob sie hier und da noch sichtbar sind und was sich schon wieder verändert hat. Dass ich am Hang so hänge hat sicherlich auch mit meinem nur ideellen Besitz des Weges zutun. Es ist eine Zuneigung zu etwas, das ich nicht wirklich ganz besitzen kann, das mir aber dennoch gehört, oder zu mir gehört.

Im Atelier habe ich das Rohmodell des ersten Dreiecks fertig geformt. Noch am Abend als M. an ihren Rollbildern arbeitete, modellierte ich die letzten Felder bis in die dritte Ecke hinein.

Verschiedene, teilweise dreitausend Jahre alte Linien gehen mir bei der Arbeit durch den Kopf. Da sind die Schleifspuren in Malta, die sich in unterschiedlichen Spurbreiten wie Straßenbahnschienen in den karstigen Boden gruben, oder die Felsgravuren auf dem 8. westlichen Längengrad und die tiefen Karrenspuren hinter einem hethitischen Relief in Zentralanatolien. Die Erinnerungen an die Reisen, die sich gemeinsam mit den Erinnerungen derer, die mich dazu inspirierten, in den Motiven der FRANKFURTER KRAFTFELDES wieder finden. Sie erzählen die Geschichten der Wanderungen der Galegos, der Yoruba, der Italiener, der Bosnier, der Inder, der Finnen, der Polen, der Afghanen …. Ich muss diesen Linien nur vertrauen und sie sich behaupten lassen.

Heute stand ich sehr zeitig auf, um nach der Tagebucharbeit im Atelier die Performance bis zum Mittag vorzubereiten. Am Nachmittag will ich dann die Zeit dafür finden, das Relief vielleicht zu Ende zu modellieren. Dann könnte ich einem Zeitplan folgen, der vorsieht, in der kommenden oder darauf folgenden Woche die Form zu gießen.

Kraft des Gedankens

Um die gestrigen Bilder vom Hang noch einmal zu sehen, schob ich den Chip in den Rechner und übertrug die Dateien auf die Festplatte. Wie erwartet, war der Weg eingeschneit. Dennoch war sein Verlauf am Boden durch die etwa zehn Zentimeter dicke Schneeschicht, durch die sich die deutlich glattere Struktur immer noch gut abbildete, zu sehen. Die Spuren des Wildes, die vielfältiger sind als gedacht, gehen nur teilweise auf meinem Weg entlang. Ich dachte, dass dies fast durchweg so sei, weil ich meinen eigenen Wanderungen nicht diese abbildende Wirkung zugetraut hatte. Es kann aber sein, dass die kurze Zeit einer frischen Schneeschicht trügt. Im oberen Bereich, an der Lichtung, wo ich auch eine der Hirschkühe sah, folgten sie aber dem Pfad, der also zu Recht dort oben ihren Namen trägt.

Es ist der zweite Winter, der meine Wegzeichen so stark verändert. Es ist nun nicht mehr zutun, als diese Metamorphosen genauer anzuschauen und sie festzuhalten.

Von Nordwesten her waren alle Zweige halb mit einer Kristallschicht ummantelt, die die Feinstruktur verschwinden lässt. Gleich am Anfang über der Straße, ist ein Areal vom etwa dreihundert Quadratmetern völlig von Hirschen auf Futtersuche zerwühlt worden. Der eigentlich spitze, weiße Stein am Ende wurde von einer gestapften Spiralwanderung weiter mit etwas Energie versorgt. Dann folgte ich meiner eigenen Spur durch den Schneefall hinab. Die vielen Flocken in der Luft, auf den Ästen und am Boden verpackten jedes Geräusch und lassen es gleichzeitig dunkler und heller werden.

Am Abend am Rande eines kleinen Festes zu Ehren des achtzigsten Geburtstages von Karlheinz Braun, gab es ein überraschendes Wiedersehen mit Dea. Wir sprachen aus Anlass ihrer bevorstehenden Reise nach Rio über das Glück auf eigenes Material in der Arbeit zurückgreifen zu können, wenn man nach einiger Zeit erneut in eine bekannte Kultur oder Situation gelangt. Wir gehen der Kraft unserer Gedanken nach, nehmen den Arbeitsfaden wieder auf. Viele weitere Autoren und Bekannte waren da, dass es keinen Mangel an Gesprächen gab. Einzig das Buffet ließ zu wünschen übrig.

Abstrakte Geschichten

Nach dem Club gestern erzählte B. im „Swagat“ von ihren aktuellen Romanfiguren, der Schwierigkeit, die Namen zu übersetzen und von der Reife des Textes dieses älteren amerikanischen Autors. Währenddessen stellte sich für mich eine Verbindung zu meinen Figuren her, die sich auch zu einer, wenn auch abstrakteren Geschichte verflechten. Die Abstraktion entspricht auch ihren Charakteren, die dadurch gezeichnet sind, dass Gliedmaßen, die fehlen durch andere Gegenstände, wie Teile von Möbeln, Waffen oder Figuren, wie vom Counterpoint Tool des Syncronus Objects konstruiert, ersetzt werden. Dafür kann dann die Geschichte variantenreich erzählt werden.

Während der Modellierarbeit dachte ich an meine gestrigen Landschaftsbeschreibungen und achtete mehr auf das, was ich glaubte, erkannt zu haben. Neu ist, dass mir die Motive innerhalb eines Formates nun dreimal begegnen. Daraus folgt, dass die Erfahrung mit den Formen rund herumgereicht werden kann. Dieser Kreislauf schafft eine weitere Perfektion, sofern ich nicht zu früh damit aufhöre, oder zu lange „verschlimmbessere“. Gestern schaffte ich eine Fläche über die Hälfte hinaus und kann somit davon ausgehen, dass ich meine Rohform in dieser Woche zu Ende bekomme. In der kommenden Woche werde ich nicht sehr viel Zeit für die Fortführung dieser Arbeit haben.

Auch gestern musste ich die Arbeit am Relief unterbrechen, um die Performance in der Saalburg vorzubereiten. Ich trug das Material zusammen und stieß dabei auf Linoldruckfarbensortimente aus DDR-Produktion von 1984. Die werde ich benutzen.

Am Morgen dachte ich daran, Abdrücke aus meiner Sammlung von Ornamenten einzufügen. Sie könnten nur anmutungsweise auf größeren modellierten Tonflächen erscheinen. Das muss aber erst einmal ausprobiert werden.

Modellieren

Nachmittags Modellierarbeit im Atelier. Sie hat lange auf sich warten lassen. Gegenüber der zähen Entwurfsarbeit ist dieses handwerkliche Arbeiten geradezu eine Erholung. Nun bleibt es zwar noch abzuwarten, wie sich das beim fünften Motiv verhält, dessen Entwurfarbeiten schneller vonstatten gehen sollten. Aber dazwischen gibt es Formenbau, Ausformung und Malerei. Was bisher plastisch entstanden ist, erinnert an eine etwas unruhige, wellige und gleichzeitig zerfurchte Landschaft. Manche Flächen zwischen den Gräben, die die Ebene durchziehen, sind sehr klein und werden mit nur wenigen stecknadelgroßen Tonpartikeln gebaut. Da bewährt sich der Ton von M. aufs Vorzüglichste. Seine Feinheit und Gleichmäßigkeit erlaubt wirklich, ins Detail zu gehen. Es sieht so aus, als müsste ich mir spezielle Modellierhölzer, die der Kleinteiligkeit der Arbeit gewachsen sind, anfertigen. Derzeit wölben sich die größeren Flächen etwas stärker auf und die kleineren bleiben etwas mehr in der Tiefe. Es kommt zum Wechselspiel der verschiedenen Qualitäten: klein und schroff, groß und wellig, oder geschlossen und glatt gespannt. Es erinnert mich an Blicke aus dem Flugzeug, wenn man über kultivierte Landschaften fliegt. Vielleicht entwickelt sich im Laufe der Arbeit eine gut nachvollziehbare Rhythmik von Strukturen, Volumina, Senken und Wölbungen. Ähnlich, wie bei den oft durchgezeichneten Entwürfen, können sich eine Perfektion der Formen und ihre Vielfalt weiter entwickeln. Ich muss nur die Geduld behalten und darf nicht zu früh mit dem Formenbau beginnen und sollte nach der langen Suche die jetzige Arbeitsphase genießen. Die Neugier auf einen Abguss und auf die Vervielfältigungen ist zu zähmen. Die Abformung soll mit einer anderen Pappmachemasse geschehen, die alles genauer abbildet. Öfter denke ich schon über eine Bemalung nach, die der plastischen Differenzierung von Formen und Strukturen gerecht wird. Die Lasuren, die ich mit M. derzeit probiere, sind gewiss ein richtiger Schritt in Richtung einer adäquaten Behandlung der Flächen. Bei Kraftfeld 2010 hatte die Bemalung nur die Funktion, einzelne Figuren im Geflecht hervorzuheben. Diese grafische Wirkung, die auch die Modellierstruktur hervorhob soll nun einer malerischeren Behandlung der Flächen weichen. Somit bekommt die Malerei verschiedene reichhaltigere Funktionen. Neutrale Flächen deren Oberflächenstruktur besonders hervortritt, wechseln sich mit strahlenden oder tiefen Partien ab. Die Abbildung der Figuren geht über ihre lineare Charakterisierung hinaus.

Sonntägliche Beschleunigung

Der Bus fährt vor der Tür ab und bringt uns bis zur S-Bahnstation „Galluswarte“. Dort steht schon ein Kurzzug, und weil wir die hintere Rolltreppe hinaufgeeilt sind, haben wir noch einen kleinen Sprint hinzulegen, um in die letzte Tür am Ende des Zuges hinein zu springen. Bis zur nächsten Station, dem Hauptbahnhof, wo wir in die U-Bahn umsteigen, atmen wir tief durch. Eine Station bis zum Theater und dann hinauf von der tiefsten Ebene bis in den kalten Wind des Willy-Brandt-Platzes. Schnell, um nicht zu frieren passieren wir die etwa hundert Meter lange östliche Flanke des Theaterkarrees und bestellen uns einen Wein im Foyer des Kammerspiels. Mit einer Bekannten plauderten wir über die Forsythecompany und über unsere Wanderungen im Taunus. So streifte das Gespräch auch den Hang Gang am Kleinen Feldberg.

Das Stück des Abends war von Felicitas Zeller und trägt den Titel „X-Freunde“. Informationen darüber las ich in „Theater Heute“, wo das Stück auch abgedruckt war und gewann den Eindruck, dass es sich um ein Gebrauchsstück handelt. Die etwas abwertende Bezeichnung steht wohl für leichte dramatische Literatur, was in Anbetracht der soliden Schreibleistung etwas ungerecht erscheinen mag. Thema waren die ineinander greifenden Beschleunigungen der Arbeits-, Medien- und Lebenswelt. Selbst ein arbeitsloser Koch, der eigentlich nichts zutun hat, wird durch die sinnlose Schnelligkeit ins Verderben gezogen. Das alles wird überzogen atemlos erzählt, keinesfalls leise, differenziert und vielschichtig. Die holzschnittartigen Figuren sprechen ausschließlich Halbsätze, die sich der Zuhörer zu Ende basteln könnte, würde nicht sofort die nächste abgehackte Plattheit abgefeuert. Diese Konstellationen bestätigen unsere Alltagseindrücke und führen mithin zu nichts Neuem. Eine geradlinige, konsequente und zweifelsfreie Regie führte zu einem enttäuschenden Theaterabend.

Auf der Heimfahrt kam der Schienenersatzverkehr nicht, weswegen wir uns in die Katakomben des Hauptbahnhofes aufmachten. Von der Galluswarte aus liefen wie zu Fuß nach Hause, und vor lauter Beschleunigung wehten unsere Mäntel. Nach nur einem Glas am Küchentisch ging ich sofort ins Bett, weil ich am frühen Morgen zu einer ärztlichen Untersuchung verabredet war.

Unter einem blassen hellblauen Himmel weht schneller Wind Schnee heran, der hoffentlich ab dem Nachmittag entschleunigend wirken wird.

Dynamik der Verstörung des Ornaments

Die Milch aus dem gestrigen Nebelaquarium ist pünktlich zum ersten Advent zu Schneefall geronnen. Zum Mitzählen schlägt die Glocke aus dem Turm der Friedenskirche ihren expressionistisch scheppernden Klang. Die lärmende Verdichtung der Alkoholiker innerhalb der rituellen Behauptung eines Weihmachtsmarktes des Gallusviertels ebbte erst nach Mitternacht ab. Den traurigen Anblick hätten wir uns sparen sollen.

Am Nachmittag zeichnete ich nun den Entwurf des ersten Dreiecks des FRANKFURTER KRAFTFELDES auf die weiß grundierte Holzfläche. Noch einmal fiel Überflüssiges der Zeichnung weg. Vorher holte ich mir verabredungsgemäß bei M. Ton ab und kann so am Montag endlich mit dem Modellieren beginnen.

Im Dezember und Januar sollte ich weitere Entwürfe machen. Mit den Erfahrungen, die ich in den letzen Wochen während einer an aufwendigen Irrtümern reichen Arbeitsphase gemacht habe, sollte das nun schneller gehen. Nun sollte eine Produktion anlaufen deren Dynamik ansteckend sein muss.

Während des Zeichnens hörte ich die explosionsartigen konträren Kompositionseinfälle von Jack White auf seiner kurzen und verdichteten Platte „Blunderbuss“, und es entstand das Bedürfnis davon etwas auf die Reliefarbeit übertragen zu wollen. Das wäre die Verstörung des Ornamentes durch falsche Anschlüsse zwischen den verschiedenen Dreiecken. Natürlich kann ich das herbeiführen, indem ich den Verlauf der abgestimmten Komposition, während der sich die Motive langsam verändern, absichtlich durcheinander bringe und „verstimme“.

Meine derzeitige Planung sieht aber vor, alle Übergänge perfekt zusammen zu zeichnen, um dann danach mit dem Material spielen zu können. Dabei werden genügend präsentable Beispiele entstehen, um das Projekt vorzustellen. Es wird also verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten geben.

Eine Schar von Krähen entdeckte im Schnee eine weggeworfene Tüte mit frittierten Kartoffeln. Nun sieht es aus als hätten einige von ihnen gelbe Schnäbel und würden deswegen von den anderen gejagt.

Licht

Dezember, Minusgrade, die Konstruktion eines Baukranes reflektiert bläuliches Scheinwerferlicht mit ihrem gelben Gestänge hinter dem vielschichtigen Geäst dessen, was von der Quäkerwiese übrig geblieben ist. Glänzendes Rot der Kapuze meines Schokoladenweihnachtsmannes, den mir B. von Supermarkt mitbrachte, spiegelt sich in der Scheibe hinter dem Schreibtisch und vor der Allee. Dort wird ein Gallusweihnachtsmarkt aufgebaut. Schon jetzt lärmt es in der Dunkelheit des frühen Morgens. Der Freitagsmarkt ist mir lieber. Dort kauft man, was man braucht, kann was essen und trinkt mit seinen Freunden Wein. Das ist schöner Alltag.

Am Morgen könnte ich eigentlich immer nur über das Licht schreiben, das sich während meiner  Arbeit langsam verändert und Gegenstände aus der Abstraktheit der Nacht hervorholt. Gleichzeitig verblassen die Spiegelungen im Fenster und verbinden sich mit dem Aufscheinenden draußen.

Eine große ausziehbare Aluminiumleiter steht an einen Baum gelehnt und wird von einem, einen roten Overall tragenden Elektriker langsam, wie von einem Chamäleon bestiegen. Er traut sich nicht die oberen Sprossen zu erklimmen und kriecht nun wieder ganz langsam herab, um die Leiter weiter auszufahren. Auf etwa sechs Metern Höhe sollte es ihm nun gelingen, das Stromkabel über die dicke unterste Astgabel des Ahorns hinweg zu führen. Aber woher hat er sein Rot?

Nebel kommt auf, der das Lärmen der Wichtigtuer, die dick in dicken Sachen aus den Nähten platzen, einhüllt und die Abstraktion der Nacht auf eine neue, das Licht verteilende Weise fortführt. Der Weichzeichner eines milchigen Aquariums, in dem nun alles stiller schwimmt, tröstet.

Baustellen durchziehen die Straßenzüge und versorgen alle mit Daten, Gas, Strom und Wasser. Immer mehr technischer Aufwand wird selbst bei kleineren Arbeiten getrieben. Alleine der Fuhrpark der vielen kleinen Firmen, die sich zusammengeschlossen haben, um den Weihnachtsmarkt auszubauen, strotzt vor finanziellen Potenz und Wirtschaftskraft. Ich kann mich, selbst in meinem vergleichsweise beschaulichen Alltag, der grassierenden Beschleunigung kaum enthalten.

Kartierung des Arbeitsterrains

Freitag. Gestern Abend im Atelier hielt ich M. zu größeren Malereien an. Dafür habe ich ihr die Rolltechnik beigebracht und kann sehen, dass es ihr viel Spaß bereitet. Manchmal gehen die Gespräche in die Richtung der Verantwortung für ein eigenes kreatives Leben. Ich erzählte vom Stipendium des Literarischen Kolloquiums, das B. gestern zugesagt bekam, um Zeit dafür zu haben, sich mehr mit Tanz auseinanderzusetzen. Die Frage, wie selbst bestimmt die Lebenszeit gestaltet werden kann, treibt viele der Bekannten um, die ich auf dem Markt treffe. Sie machen beispielsweise Musik und träumen davon, damit ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Dabei geht es vielleicht nicht in erster Linie um die Musik, sondern um die Verbindung von eigenem Befinden, um dessen Ausdruck und um dessen Veröffentlichung.

Im Atelier grundierte ich eine Sperrholzplatte und räumte Arbeitsflächen frei, um alsbald mit dem Modellieren beginnen zu können. Das Transparentpapier mit der Entwurfszeichnung versah ich von der anderen Seite aus mit einer fetten Bleistiftdurchzeichnung des seitenverkehrten Motivs, die ich nun auf die grundierte Fläche „durchschreiben“ kann. Die Linien stilisieren auf diese Weise die Motive immer weiter. Die Maßverhältnisse und kontrapunktischen Begegnungen werden ausgewogener und ihre Schwünge spannen sich kraftvoller zwischen ihre Ausgangspunkte.

Mir kommt eine Moosarchipelkartierung in den Sinn, in der ich die Ufer trianguliere. Die Schneefallgrenze ist auf dreihundert Meter gesunken. Sicherlich ist der Weg nun schon abgedeckt. Auch im Wald findet eine Stilisierung und ausgewogenere Gestaltung der Weglinien statt, ähnlich, wie bei den Entwurfszeichnungen für das FRANKFURTER KRAFTFELD. Ich schwanke, was den Begriff „Illustration eines Weges“ angeht. Ein Weg ist auch ein Weg, wenn ich ihn fast nur alleine gehe!

Das Arbeitsterrain, das vor mir liegt habe ich nun schon ganz gut frei geräumt. Das Material der Mainzer Landstrasse, die Kartierungen und Zeichnungen räumte ich in einen Karton und werde am Wochenende von M. etwas Ton bekommen, um mit dem Modellieren beginnen zu können – es wird Zeit.

Zeitvolumen | Wegmarke | Illustration

Mit H. stand ich vor der Landkarte von Jordanien – Transjordanien -, wo er seinen fünfzigsten Geburtstag verbringen will. Ein Streifen Land, lange Zeit von den Menschen durchwandert, die die Erde besiedelt haben. Jordanien jetzt durchstreifen, heißt den Touknouts zu folgen, hin zu den schmierigen Oasen und den erstaunlich kleinen Wüstenschlössern.

Als ich gestern den Hang hinab stieg, hatte sich kurz nach Vier der Wald schon stark verfinstert. Wegen einer Erkältung geriet mir der Hangang eher zu einer Inspektion. Dabei interessierte mich nur der Weg mit seinen Moosinselgruppen. Seine Kenntlichkeit hat in den letzten Wochen stark zugenommen. Vage Bereiche gibt es nur noch im mittleren Abschnitt in der Nähe der Kristallgruben. Beim Abstieg nehme ich von dort immer zwanzig helle Steine mit, um sie bei der Zeitmarke am unteren Ende des mittleren Abschnitts hinzu zu fügen. Jede Woche zwanzig Steine, eine Zeitvolumenwegmarke.

Einen schönen Kristalleinschluss habe ich mit nach Hause genommen, der mich an meine Schaufensterzeichnung erinnert.

Über einer Ampelkreuzung in Königstein beschrieb ein großer Graureiher ein Stück Kreisbogen, landete auf dem roten Dachfirst eines Einfamilienhauses und stand dort wie eine Skulptur. Das sah ich im langsamen Vorüberfahren, bedrängt von einem Schnellfahrer, der meiner hinteren Stoßstange bis zur Schnellstraße erhalten blieb. Dort überholte er mich röhrend und stob schnell beschleunigend davon.

An der Straße im Wald warnte ein Schild vor vermehrtem Wildwechsel durch eine weitere Jagd. Es ist überhaupt kein Wild mehr zu sehen. Auch von meinen Hirschkühen gibt es keine frischen Spuren. Nun warte ich auf den Schnee, der meinen Weg zudecken und die Bewegungen, die darüber hinweg gehen sichtbar machen wird.

Die Illustration eines Weges querwaldein mit Randbegrenzungen und einer Namensgebung. Nur dort, wo er sich in den Boden gräbt scheint er real zu sein.

Reinzeichnung | White

Eine Krähe schaute mir auf mein beleuchtetes Blatt und zupfte dabei an den Resten des Nestes vom vergangenen Jahr herum. Während sie die Äste hinauf hüpfte, sendete ich ihr Blinkzeichen zu. Sie blickte auf das Faszinosum der entstehenden Schrift, wie ich auf die entstehenden Zeichnungen in meinem Atelier.

Mühevolle Entwurfsarbeit am Frankfurter Kraftfeld. Die „Reinzeichnung“ mit all ihren exakten Abmessungen braucht viel behutsame Geduld. Ich entdeckte, dass ich die Dreiecke noch einmal dritteln könnte, um das kleinste Element des Ganzen zu umreißen. Ich arbeite viel genauer und sorgfältiger als bei Kraftfeld 2010. Die kommenden Arbeitsgänge entsprechen auch eher handwerklichen Herausforderungen.

Vorgestern sumpfte ich einen getrockneten Strang etwas grobsandigen Ton ein, den ich gestern zu einer gut handhabbaren Masse zerstampfte. Jetzt lagert sie griffbereit in einem Baueimer, wobei noch nicht klar ist, ob sich dieser Ton auch für meine feine Modellierarbeit eignet.

Beim Aufräumen im Atelier entdecke ich viele Tuschzeichnungen auf Transparentpapier, die mit Bleistiftstrichen und Schelllackfeldern angereichert sind. Oft sind es sehr kleine Formate, die die Zeit überdauerten, und die ich irgendwie wieder auffindbar einlagern sollte.

Oliver brachte am vergangenen Wochenende eine neue Platte von Jack White mit. Die habe ich mir im Atelier schon mehrmals angehört. Ich tue das aus der Perspektive meiner bildnerischen Arbeit, wie schon bei dem Brad Mehldau Konzert. White greift auf ein Arsenal musikalischer Mittel zurück, die ab Mitte des vergangenen Jahrhunderts in Amerika entstanden sind, oder an seine Gestade gespült wurden. Lyrische Episoden werden von trocken eingeschobenen Explosionen zerfetzt, und überraschende kleine Klangideen bereichern die Songs um die Fremdkörper, die benötigt werden um Spannung zu halten. Zitate, die banal erscheinen können, bekommen auf diese Weise eine Kraft zugewiesen, die der musikgeschichtlichen Spur eine tiefere Bedeutung verleiht, um in dieser Weise hell aufzuleuchten.

Krähen | Dämmerung | Reliefentwurf

Schwere Fahrzeuge queren unter der Dämmerung, die ihren Höhepunkt, die Waage zwischen Finsternis und Mittag erreicht hat,  das Format meines Fensters. Meine schreibenden Finger spiegeln sich hell beleuchtet. Dort mischen sich die Handschrift und das zu Beschreibende zur Gemeinsamkeit von Spiegelung und Durchblick. Der Fluss der Schrift bewegt sich entgegen der Fahrtrichtung auf der gegenüberliegenden Spur.

Noch keine Krähen im Moment. Sehr bald werden sie aber von weit oben hereinschweben, aufgestiegen von irgendeinem Hotspot ihrer Fressstadtkartierung. Da sind sie schon, die ersten zwei hoch im Geäst über dem Pavillon. Die erste dreht beim Herabschwingen nach Norden ab, als folgte sie dem Dieselknarrenden Stadtbus, der von der Ersatzhaltestelle vor meinem Schreibtisch zur Galluswarte weiter fährt.

Das langsam zunehmende Licht holt mich in die andere Welt. – Im Atelier konnte ich gestern beginnen, die Dreiecksreliefgröße auszuprobieren. Dafür habe ich den alten Liesegangprojektor aufgestellt, den ich aus dem Müll der Günes gezogen hatte und legte die Zeichnung vom Sonntag darunter, deren Reflektionsbild von der starken Projektionslampe nun beliebig stufenlos vergrößerbar benutzt werden konnte. Im zweiten Versuch zeichnete ich ein Dreieck mit einer Kantenlänge von sechzig Zentimetern und richtete die Projektion so ein, dass sie die Fläche möglichst genau ausfüllte. Als ich dann das Deckenlicht löschte, brach die Dunkelheit von draußen herein und tauchte den Raum in eine auf einen Punkt konzentrierte Stimmung. All die Versuche, das Motiv zu entwickeln, bündelten sich nun in diesem Lichtkegel. Die erste Variante mit einer Kantenlänge von fünfundvierzig Zentimetern, zeichnete ich mit Bleistift auf eine glatte weiße Plastikfläche, was einen feinen verletzlichen, perlend metallischen Strich hinterließ. Die zweite größere Variante probierte ich auf Zeichenpapier von der Rolle. Sie ist an einigen Stellen nachzuarbeiten, weil insbesondere die Anschlüsse genau stimmen müssen. Wenn ich beim Zeichnen die Orientierung in der Weise verloren habe, dass ich nicht mehr weiß, an welcher Stelle ich mich bei den beteiligten Figuren befinde, werden die Formen etwas freier und besser proportioniert. So bekommen sie das Eigenleben, das für das Auffinden von neuen Figuren notwendig ist. Die Größen dieser Flächen sind so, dass man sie gut einzeln modellieren kann. Dieses Relief wird feiner und vielfältiger als Kraftfeld 2010. Am Abend hatte ich das Gefühl nun einen wichtigen und sichtbaren Schritt vorangekommen zu sein.

Kraftfeld | Mehldau

Das Ornament der zwei überlagerten Figuren auf dem Dreiecksformat begann ich gestern mit Tinte auf einem größeren Transparentpapier so anzulegen, dass eine größere Fläche von den ineinander greifenden Wiederholungen bedeckt wird. Die Wirkung der Ausbreitung des Motivs in alle drei Richtungen soll auf diese Weise überprüft werden. Außerdem soll untersuchbar werden, welches Potential zur Auffindung von neuen Figuren vorhanden ist. Der Respekt vor der Arbeit mit Jugendlichen, deren Sensorium womöglich noch nie in solcher Weise gefordert worden ist, spornt mich dazu an, die Arbeit gründlich vorzubereiten. Sicher sind manche von ihnen schon den verschlungenen Ornamenten des islamischen Bildkanons in den Moscheen begegnet und hatten die Gelegenheit während der Predigt des Imams den Geflechten mit dem Blick zu folgen.

Manchmal denke ich dass der Austausch der Figuren innerhalb der fortlaufenden Arbeit nicht mit Brüchen, also dem Abbruch von Linien an Rand des Formates, einhergehen muss. Um das zu bewerkstelligen bedarf es eines vielfachen Arbeitsaufwandes, um die Übergänge gesondert zu modellieren und abzuformen. Ich muss sehen wie das Ganze abläuft und muss in dieser Woche beginnen, den ersten 1:1 Entwurf zu zeichnen.

In der Alten Oper spielte gestern der Jazzpianist Brad Mehldau mit seinem Trio. Birgit und Oliver haben vor zehn Jahren schon ein Konzert von ihm in Vancouver gehört, zu der Zeit, als wir sie dort besuchten. Das gestrige Konzert war von der Frankfurter Jazzgemeinde gut besucht – ausverkauftes Haus. Ich glaube, dass ein Konzert dieses Musikers ein Weltereignis darstellt. Seit zehn Jahren haben wir immer mal Platten von ihm gekauft, so dass wir schon ein wenig darüber unterrichtet waren, was uns erwartet. Die Form seiner Improvisation überzeugte mich am meisten, wenn sie sich sparsamer in abstraktere Gefilde begab. Wie bei Bill Forsythe eine Arabeske umtanzt wird und ihre Abwesenheit dadurch zu einer qualitativ neuen Anwesenheit führt, werden die Klangideen unter Auslassung der vorgegebenen Akkorde umspielt. Somit wird das Verschwinden eines Motivs auf den Kopf gestellt. Ein kontrapunktischer Vorgang. Die konzentrierte Dynamik der Abstimmung unter den Musikern führte zu einem ernsthaften Spaß. Dem Publikum wurde für seine Aufmerksamkeit und den Applaus mit zwei Zugaben gedankt.

Pflanzen

Wolken treiben schnell nach Osten vorbei. Die schwarzen Baumgestalten tanzen vor einer fahlen Dämmerbeleuchtung ruckartig zurückfedernde Pirouetten in einem kräftigen Wind. Manchmal fliegen noch ein paar Samen am Fenster vorüber.

Als vor etwa zwei Jahren der Pflanzbehälter meiner Birke von einem Windstoß mitsamt dem Bäumchen von einem Tisch gefegt wurde und zerbrach, setzte ich sie kurzerhand in die Erde, die sich vor meinem Atelier angesammelt hatte. Weil aber zwischen der Außenwand und dem betonierten Platz ein Spalt von der Dicke meines kleinen Fingers mit Erde angefüllt ist, Befürchtete ich, dass genau dort die Birke ihre Wurzeln hineintreiben wird. Deshalb machte ich mich daran, mit einer Spitzhacke einen kleinen Suchgraben auszuheben, um nachschauen zu können, ob Grund für meine Befürchtung besteht. Ich fand mehrere Wurzelstränge die sich parallel zur Wand spannten, und schon an einigen Stellen in den Zwischenraum gegriffen hatten. Nun war die Spitzhacke das geeignete Werkzeug, um mit der Metallspitze unter die Holzstränge zu fahren und sie dann mit der Hebelkraft des langen Stiels zu zerreißen.

Einige der Sukkulenten, die ich für den Winter mit ins Atelier genommen habe, machen einerseits Anstalten, ihre aufwendigen Blüten zu treiben, um sich dann aller Erfahrung nach von Leben zu trennen. Neu ist allerdings, dass sie Luftwurzeln treiben. Da sie sich in einer Höhe befinden von der aus sie keine Chance haben den Boden zu erreichen, ohne vorher zu vertrocknen, komme ich ihnen mit kleinen Pflanzschälchen entgegen. Die fülle ich mit feuchter Erde und befestige sie weiter oben im Geäst der Pflanzen. Auch die anderen Bewohner meines mobilen Gartens versorge ich mit frischer Erde, und puste ihnen ab und zu etwas Nebel zwischen ihre feinen Blätter und Gespinste.

Auch am Hang wende ich mich zunehmend, weil ich über die Jahre hin mehr Gelegenheit zur Beobachtung hatte, den Veränderungen durch  Wachstum zu. Es gibt da die Welt der Moose, die in dieser kühlen Jahreszeit an Pracht und Reichtum gewinnt. Die Kissen der Miniaturwälder liegen da, wie Archipele im Fichtennadelmeer. So bieten sie sich als Gegenstände meiner Gestaltung dar, und ich nehme das Angebot an.

Transparentpapierkulissen

Schach in Addis Abeba. Vinzenz berichtet, dass er dort mit einem befreundeten Schauspieler einen Film dreht. Ihn interessiert dabei die Grenze zwischen Fiktion und Realität. Olafur Eliasson kritisiert seine Arbeit. Das wird ihm helfen und genau das braucht er jetzt auch. Ich bin nicht mehr der Gesprächspartner, der ihn entscheidend weiterbringen kann. Gleich nach seiner Rückkehr im Dezember wird er für ein paar Performances nach New York fahren und dort die Kunstszene studieren. Mit meinem GPS kommt er nicht zurecht. Die Software ist mit seinem Mac nicht kompatibel.

Gestern bin ich schon am Vormittag in den Taunus gezogen, um an meinem Hang zu arbeiten. Kein Mensch war in der nebligen Welt unterwegs. Oben am Ende, auf der neuen Lichtung baute ich an der großen runden Stabarchitektur weiter, indem ich das vom Holzeinschlag zerborstene Material aufhob und in das Geflecht schob. Gleichzeitig räume ich in dieser Weise den Platz auf. Dadurch ist nun auch sichtbar, in welchem Raster die jungen Buchen gesetzt wurden, die noch nicht höher als einen Dreiviertelmeter sind. Dort wo der Pfad der zwei Hirschkühe auf die Lichtung einmündet, bilden sie eine kleine Allee. Aus der monochromen Stimmung leuchten die Schnittflächen der Baumstümpfe unangenehm hell heraus. Ihre Präsenz stört den Klang der Lichtung, wie ich ihn gestalten möchte. Weil mich die hellen Flecken störten, deckte ich vier vom ihnen mit Grassoden ab, die durch das Schleifen der Baumstämme aus der Erde gerissen worden sind. Am Spiralweg machte ich senkrecht von oben eine kreisförmig verwischte Aufnahme, wie ich überhaupt viel fotografierte. Die dunklen Gestalten vor dem lichten Nebel und die Transparentpapierkulissen zwischen den Stämmen. Außerdem kümmerte ich mich um die Sichtbarkeit des Weges, indem ich alle Fichtenzapfen beiseite kickte. Auch Äste und Steine lege ich auf die Seite. An manchen Stellen markiert sich  durch dieses Material deutlich eine seitliche Begrenzung. Dort ist es reizvoll das schmale Gebilde am Boden auszuweiten und kleine Plätze beispielsweise um Moosinseln zu schaffen. Diese Minimalaktionen haben eine veränderte Ausstrahlung der Orte zur Folge. Fast wirken sie intensiver als die größeren Installationen. Durch die Weichheit der Linien, der Glätte des Bodens und der Einheitlichkeit der Fichtennadeln, harmonisieren sie.

Ornamente und Lasuren

Tröstliches Marktlicht erleuchtet das Backwerk des dicken Bäckers aus dem Osten. Eine neblige Nacht ist zu Ende – Lichtspuren zwischen dem Ahorngeäst. Die Krähen erheben sich weit in die Luftgefilde und die Kräne drehen sich hinter dem gestaffelten Lichtraum der Baumkronen. Sie errichten die Quader, die nun bald die manchmal in klaren Wintertagen durchschimmernde Taunushorizontlinie verdecken – Nachverdichtung der Stadtareale.

Gestern verband ich zwei Figurenzeichnungen auf einem Dreiecksornament miteinander. Es besteht aus dem Blutkreislauftorso und dem Kreuzstabträger. Nun habe ich die Dichte erreicht, wie ich sie mir in etwa vorstelle. Die bedeutendste Veränderung zum Kraftfeld von 2010 besteht darin, dass die einzelnen Motive dreimal wiederholt werden müssen, damit sie dreidimensional anschlussfähig sind. Dadurch wird mit einer weitaus geringeren Anzahl von Grundmotiven eine größere Dichte von Linien erzeugt. Das heißt, dass die Dreidimensionalität weniger Grundformen ermöglicht, was aber nicht zur Folge hat, dass weniger neue Figuren in den Liniengeflechten gefunden werden können.

Nun habe ich dieses Ornament noch nicht großflächiger ausprobiert, glaube aber, dass ich nun zu einem größeren Format übergehen kann. Dabei wird die Komposition sicherer. Dicht beieinander stehende Flächen können deutlich voneinander getrennt und spannungsvoll zueinander in Beziehung gesetzt werden und so weiter.

Dann warteten gestern Abend die großen Landschaften der Lasurmalerei auf kleinen Formaten. Sie besitzen die Tiefe, die die Technik erlaubt und strahlen in edler Farbigkeit. Mit M. komme ich so in einen gemeinsamen Produktionsrhythmus, der viele kleine Bilder mit Neuigkeiten nach sich zieht. Auch hierbei kann nun langsam das Format etwas vergrößert werden, damit wir zu einer neuen Qualität gelangen können. Neue Malgründe aus Sperrholz und Nessel wären angebracht.

Der Zusammenhang mit dem FRANKFURTER KRAFTFELD kann hier in der Bemalung der Reliefs liegen, die eine ähnliche Tiefe bekommen kann.

Krähendialog | Integrationspreis

Milchige Wände umgeben sparsame Szenarien. Der Nebel vor meinem Fenster schafft neue Räume. Jetzt kurz nach Acht befindet sich kaum ein Mensch auf der Strasse.

Gerade dachte ich an die Verwandtschaften der jetzigen dreidimensionalen, oder sich für die Dreidimensionalität eignenden Sequenzen mit dem zweidimensionalen Überlagerungen und Figurensequenzen der letzten Jahre. Interessant dabei ist, dass die Anordnung, die wegführt von den waagerechten Aneinanderreihungen und noch zwei Richtungen hinzunimmt, direkt in die Verwendungsmöglichkeit dreidimensionaler Ornament-Gestaltungen mit Anschlüssen mündet. Und bei diesen Gedanken kam ich auf die Idee, so etwas wie Abdruckstempel der einzelnen Figuren herzustellen, damit die Arbeit mit vielen Motiven unterschiedlicher Kombinationen etwas rationalisiert werden kann. Es gäbe mehr Gelegenheit, eine größere Anzahl von Kombinationen abzuformen.

Ein aufmerksamer Krähendialog an diesem Morgen. Irgendwann werde ich meine Blinkzeichen mit einem Futterangebot kombinieren müssen. Ich könnte jeweils nach dem Blinken etwas Brot auf die Balkonbrüstung zur Straße hin legen.

Für den Abend hatte ich eine Einladung zu einem Empfang im Römer aus Anlass der Verleihung des Integrationspreises der Stadt Frankfurt. Ich wurde während der Veranstaltung den Gedanken nicht los, dass sich viele der eingeladenen Menschen, deren Familien eingewandert waren, mit dem Vorgang der Integration nicht abfinden wollen. Der Überdruss ist spürbar und die Hinwendung zu anderen Identifikationszusammenhängen. Religionsgruppen, äußere Erscheinung, die sich in Kleidung festmacht und der Rückfall in die Sprache der Regionen aus denen sie gekommen sind, sind solche Anzeichen. Sehr gut kann man das bei den Günesleuten beobachten.

Zeichnerischer Prozess klärt Prinzip

Neben den Tagebuchzeichnungen am Morgen, zeichnete ich an dem System vom FRANKFURTER KRAFTFELD weiter. Noch bin ich nicht bei der Originalgröße angelangt und zeichne Übergänge von Motiven auf Dreiecken, die nach allen drei Seiten Anschluss haben.

Eines dieser Dreiecke ist nun in der Lage, vervielfältigt eine Fläche aber auch einen Raum aus Dreieckgittern anschlussfähig zu füllen. Dreidimensionalität mit einem Dreiecksmotiv habe ich also erreicht, indem ich den Kreuzstabträger in drei Richtungen jeweils halb und die andere Hälfte Kopf stehend zeichnete.

Das Selbe machte ich mit einem kleinen Torso, dessen Schädeldach durch eine Blutleitung mit einem seiner Armstümpfe verbunden ist. Die überlagerten Schläuche bilden in der Mitte des Dreiecks ein Rad eines Blutkreislaufes mit Speichen.

Als Übergang hatte ich ein Dreieck zu zeichnen, das Jeweils nur aus den Hälften der Figuren bestand. Wenn es zwischen die anderen zwei Dreiecke positioniert wird, hat es nur teilweise zu allen drei Seiten hin Anschluss seiner Linien. Es bildet den wichtigen Bruch zwischen den Zusammenballungen gleicher Kacheln. Um eine Spannung bruchlos hinzubekommen, bedarf es weiterer Studien. Wahrscheinlich ist das nur mit einem weiteren Aufwand an modellierten einzelnen Platten machbar.

Der zeichnerische Prozess klärte bislang nur das Prinzip, mit dem die Gestaltung nun fortgeführt werden kann. Gültige Motive lassen sich erst aus Zeichnungen in Originalgröße herstellen. Trotz aller kompositorischen Notwendigkeiten, die eine Spannung erhalten sollen, müssen die Flächen etwas gleichmäßiger gefüllt werden, damit im Anschluss neue Figuren aus einem größeren Linienangebot gefunden werden können. Das heißt aber, dass letztlich eine Kachel mit mehreren verschiedenen Figuren angefüllt sein muss. Das bedeutet, dass ich mich der Lösung nur langsam nähere.

Fragestellungen weiterentwickeln

Im Atelier fand ich gestern eine Variante einer fortlaufenden Ornamentfläche mit zwei Figuren jeweils dreifach abgebildet und jeweils einmal geteilt auf einer Dreiecksfläche. Somit habe ich also das Prinzip, mit einem Dreieck und seinen universellen Anschlüssen an allen drei Seiten ein fortlaufendes Muster in drei Richtungen herstellen zu können, gefunden. Damit bin ich der dreidimensionalen Lösung näher gekommen. Auf der letzten Strecke der Suche nach des Rätsels Lösung und nach seinem tatsächlichen Funktionieren, war mir der Vorgang plötzlich bei weitem nicht mehr so interessant, wie am Anfang der Fragestellung. Eine neue Frage muss also her. Diese stellt sich nun mit der Einrichtung der Originalgrößen der Figuren und Seitenlängen der Dreiecke. Was dann auf Holz übertragen und modelliert wird.

Noch einmal zieht es mich in die Raffaelausstellung. Seine Zeichnungen habe viel mit meinen derzeitigen Arbeitsgängen zutun. Die Schritte, die ich mache, haben manchmal ein Design zur Folge, das als Zwischenergebnis etwas schwach daher kommt. Manchmal hilft dann ein Materialwechsel.

Meine allgemeine Arbeitssituation hat sich in den letzten zwei Jahren stark aufgesplittert. Diese Splitter alle zu einem Arbeitsergebnis zusammen zu fügen, wird mir kaum gelingen. Das Streben danach wirkt sogar manchmal kontraproduktiv. Die Waldarbeit am Hang kann ich kaum für das Frankfurter Kraftfeld instrumentalisieren. Die zweckgebundenen Begehungen waren eine Drehung zuviel. Diesen Faden kann ich vielleicht in anderen Zusammenhängen wieder aufnehmen.

Lärm und Sanftheit

Im Nebel besuchten wir die obere Lichtung am Hang. Das große und kompakte Holzobjekt steht noch recht stabil etwas am Rand der frei geschlagenen und von mir aufgeräumten Fläche. Es beherrscht diesen Platz mit seiner raumgreifenden Präsenz. Je mehr vom allgemeinen Forstchaos geordnet und zur Seite geräumt wird, umso mehr Geltung bekommt es. Die noch herumliegenden Äste werden in den nächsten Jahren ihre Nadeln und die kleinen Ästchen verlieren, so dass ich sie dann auch für den weiteren Bau benutzen kann. Ich hoffe nur, dass bei dem bevorstehenden großen Holzeinschlag nicht zu viele Schäden an den Objekten entstehen. Auf anderen Wegen stiegen wir zur oberen Kante des mittleren Drittels hinab. Zwischen den Kristallgruben verliert sich der sichtbare Pfad für eine Zeit, führt dann aber hinter der Spirale gut sichtbar zum Steinhaufen. An manchen hellen Kristallsteinen, die ich in Augenhöhe platziert hatte hingen Wassertropfen, mischte sich Kristallines mir Flüssigem. Der Pfad ist auf verschiedene Weise sanft. Zum einen ist sein Untergrund durchweg weich und andererseits gibt es keine abrupten Wendungen sondern nur dynamische Schwünge, Kreise und Hyperbeln. Nur die Gesträuche haben eine ruppige Ausstrahlung.

Herr Stadelmeier von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hat über die Inszenierung von „Des Teufels General“, die wir am vergangenen Freitag gesehen hatten, einen gewitzten Verriss geschrieben. Er mochte nichts davon, nicht den Text, nicht die Schauspieler und schon gar nicht die Regie und das Bühnenbild. Alles war Ihm zu schlecht. In diesen Texten leuchtet oft die Freude an der Bösartigkeit auf. Kunstfeinde könnten sich damit schenkelklopfend amüsieren. Auch ansonsten wird es immer lauter. Damit wächst mein Verlangen nach innerer Einkehr nach Stille, die ich am ehesten im Wald finde.

Seelenspritzmaschine

Eine Fahrt in den Osten gestern. Weil ich etwas zu früh zu einer Verabredung dran war, bog ich von der Straße ab, um nachzuschauen, was von den Fabrikarchitekturen meiner Lehrzeit übrig geblieben ist. Wo einst der VEB Gummikombinat Thüringen stand, ist nun ein moderner Rohgummibetrieb entstanden. Von den alten Hallen sind oft nur noch Fundamente geblieben. Ich erinnere mich aber an die Werksstraßen, die von niedrigen stinkenden Hallen gesäumt waren, in denen das Proletariat unter gesundheitsschädlichen Bedingungen arbeitete. In den finsteren Katakomben des damaligen Rohbetriebes, stiegen rußgeschwärzte Arbeiter herum, die Kautschuk, Ruß und Chemikalien in die Trichter der großen Extruder warfen, woraus der Rohgummi entstand, der für alle Artikel, die dort hergestellt wurden das Grundmaterial war.

Eine der weiterverarbeitenden Werkzeuge war die Seelenspritzmaschine, mit der die schwarzen Seelen der Gummischläuche hergestellt wurden. Der Arbeiter, der sie bediente hieß Endrich und sah aus, wie aus einem Film der Zwanzigerjahre. Er trug einen fein gestutzten Oberlippenbart und lichte, pomadisierte Haare. Das Traumteam waren er und Margit, die ihm gleich nach seiner Maschine das Liebste war. Während er auf großen mit der Hand drehbaren Tellern die gespritzten Seelen in Form einer großen Spirale aufwickelte, dabei schlüpfrige Lieder sang, fütterte Martina verträumt den Trichter mit Rohgummi. Der hing wie Fleisch beim Metzger an einem Haken, wurde mit einem Messer in Streifen geschnitten um ihn dann langsam in den Schneckengang der sich drehenden heißen Maschine gleiten zu lassen. Der spannendste Moment war der, wenn der angefüllte Teller mit einem leeren ausgetauscht werden musste. Die volle schwere und im Durchmesser etwa zwei Meter große Scheibe wurde wie ein Kuchenblech in ein bereitstehendes Regal geschoben, worauf gleich das neue und leere aus dem Regal auf die Nabe eines Drehkreuzes gewuchtet wurde. Das musste schnell und mit viel Schwung passieren, weil die Spritzmaschine nicht angehalten werden konnte.

Nun sind fast nur noch die Fundamente da. Sie aber jagten mir einen Schauder über den Rücken, einen Schauder der Finsternis.

Spuren Performance | Zuckmayer

Besuch einer Dame in meinem Atelier, die mich mit einer Performance beauftragen will, die mit meinen Wanderungsspuren zutun hat. Ich werde dabei die Zuschauer mit einbeziehen und sie zu den eigentlichen Akteuren machen. Das geschieht mittels eines Weges über den ich sie schicke und der aus einer Lage Papier und einem mit Druckfarbe eingewalzten Stück kräftiger Folie besteht. Somit schaffen sie mit ihrem Gang ein Stück Monotypie ihrer Spuren. Maja hat mir den Kontakt geschaffen, wofür ich ihr sehr dankbar bin.

Carl Zuckmayer, dem wir schon im erinnernden Stolz der Niersteiner am Rhein begegnet sind, ist nun in Frankfurt mit seinem Stück „Des Teufels General“ präsent. Es hatte in den Kammerspielen des Schauspiels Premiere. Es war eine strenge Inszenierung, die in einem unifarbenen dunkelgrauen Raum spielte, dessen spärliches Licht einiges an Konzentration vom Zuschauer verlangte. In der Straßenbahn dachte ich auf dem Heimweg darüber nach, warum sie dieses Stück jetzt auf den Spielplan gesetzt haben. Dabei fiel mir auf, dass das Problem, für wen ich meine Fähigkeiten einsetze, für welches System, für welche Partei oder Organisation immer gegenwärtig ist. Mir kam es aktuell wie eine Parabel auf das Tun der Hasardeure auf dem Finanzmarkt vor, die von ihrer Gier und der ihrer Auftraggeber angestachelt Milliarden verzocken, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen.

Kraftfeld Personalkarussell | Lasuren auf Landschaften

Im Atelier widmete ich mich wieder den Sequenzen des Frankfurter Kraftfeldes. Wie gestern vorgedacht und aufgeschrieben, setzte ich die Figurenensembles innerhalb eines Dreiecks in den drei um einhundertzwanzig Grad gedrehten Winkeln passgenau übereinander. Das tat ich mit beiden Figurenkombinationen innerhalb des Parallelogramms mit dem Kreuzstabträger, dem orientalischen Zauberer mit seinem kleinen Reittier und dem geharnischten Engel. So komme ich nun doch einer Lösung mit nur einem Dreieck wieder näher, weil ich beide Sequenzen eines Parallelogramms auch übereinander gezeichnet in der vorher beschriebenen Weise passgenau drehen kann. Weil Das „Personal“ bei dieser Arbeitsweise noch einmal reduziert werden muss, habe ich mir Veränderungen der Motive überlegt, wobei eine weggelassene Figur immer von einer neuen ersetzt wird. Das bedeutet zwar einen Mehraufwand beim Modellieren, bedeutet aber auch gleichzeitig, dass die Jugendlichen, die mir dabei assistieren, auch genügend zutun haben werden. Dafür habe ich alle Motive schon vorzubereiten und den Prozess, nach hinten offen zu gestalten. Dabei muss ich noch mal über die Reliefgrößen nachdenken, in denen ich viele Figuren unterbringen kann. Jetzt sollte ich langsam damit beginnen, zu modellieren, Formen zu gießen um sie mit Pappmache auszuformen. Dabei möchte ich mit anderem Material arbeiten, als zuvor. Es gibt ein Pulver, das mit bisher immer zu teuer war. Das hat vor Jahren schon immer Hartmut Bonk benutzte. Vielleicht ist jetzt die Zeit gekommen, wo ich es auch benutzen kann.

Bevor am Abend Maj zur Lasurmalerei kam, kramte ich meine alten Druckfarben aus Dresden wieder heraus. Ich habe heute Nachmittag eine kleine Präsentation für eine Aktion, die mir Maja vermittelt hatte. Dabei geht es um Abdrücke von Fußsohlen…

Beim Lasieren nahm ich mir die durchgetrockneten Formate vom vergangenen Donnerstag vor und sprengselte die Lasuren etwas wild auf die bewegte Oberfläche, die dem Luftbild einer Landschaft ähnelt. Oben sieht man etwas vergrößert ein Ergebnis, in dem das Farbenspiel des Lichtnebels vom vergangenen Mittwoch am Hang zu aufzuleuchten scheint.

Lichtspiel am Pfad der Hirschkühe

Schaut man vom Vordertaunus zwischen die Nebel- und Wolkenschicht, scheint Frankfurt verschwunden zu sein. Die Vision des Verschwindens: auf einer leergefegten Landschaft mit Wäldern und Sümpfen entstehen die neuen Kreationen. So kann ich bei der Rückfahrt vom Hang, azyklisch im Gegenlicht der das zu Hause suchenden Scheinwerfer abschweifen.

Während der Hinfahrt lösten sich die Nebel just auf der Höhe meines Weges auf. Wo sich das Kegelsegment des Kleinen Feldberges in weitem Bogen nach Norden wendet, spielte das Licht mit den sich auflösenden Nebelbänken großes Theater. Schnell herabfallende Bäusche aus Wassertröpfchen bildeten den Projektionsraum für die Strahlenbündel, die flach durch die Baumkronen drangen. Vor solchen Auftritten des Abendlichtes sah ich mein Waldstück selten, fotografierte einiges, wohl wissend, dass diese Stimmung nicht wiedergegeben werden kann.

Der Untere Bereich des Weges geht nun eine Beziehung mit den langsamen Veränderungsprozessen des Waldes ein. Er hat stellenweise schon das Aussehen, eines über lange Zeit entstandenen Pfades. Die Moose an seinem Rand fassen ihn wachsend oder zurückweichend ein. Mit meinem Wissen um diesen Raum erweitert sich mein Blick. Oft ist es mir möglich zweihundert Meter voraus zu schauen, um das Streckenverhältnis zu den Installationen weiter oben zu erleben. Dieser Überblick erlaubt es mir nun bewusster zu komponieren.

Öfter denke ich über die Grenzen zwischen Kulturlandschaft und Natur nach. Der stetige Renaturierungsversuch, die Eigenreparatur des Waldes trifft aus meine sanfte Pflege. Der Pfad ist teilweise gewunden, reagiert kontrapunktisch auf Ereignisse außerhalb meines Tuns, dadurch entstehen Abzweigungen, Buchten und Einbeziehungen von Räumen um benachbarte Bäume herum.

Die Lichtung habe ich weiter aufgeräumt. Der sie kreuzende Pfad der Hirschkühe wird wieder begangen. Er war Richtschnur der Gestaltung und wurde von mir nach dem Holzeinschlag wieder freigeräumt..

Entwurfsarbeit Frankfurter Kraftfeld

Das Zeichnen gestern im Atelier galt den Dreiecksfigurensequenzen. Korrekt und planvoll setzte ich die Dreiecksseitenlänge der Entwurfsformate mit den Abständen der sich wiederholenden Figuren gleich. Somit konnte ich die aneinander zu reihenden Umrissfiguren nun in einigem Abstand und somit nur an einigen Stellen überlagernd zeichnen. Mit Blick auf die kommenden Verflechtungen und deren Verdichtung, hatte ich das Motivmaterial auf den Streifen noch locker verteilt. Es gibt in Eintragungen der näheren Vergangenheit Beschreibungen der neun Figuren, die ich auf den drei Sequenzen verarbeite.

Ich könnte mich also nun auf die Suche nach einem Suchbegriff begeben, um diese Texte in der Datei zu finden, die Labyrinthe der Erinnerung an das Denken abgehen – schon gefunden, indem ich das Wort Pierrot eingab, gelangte ich zum zwanzigsten Oktober. Dort beschrieb ich den Pierrot mit spitzer Mütze, die geharnischte Engelsfigur und den tanzenden chinesischen Hüter der Zeit. Am einundzwanzigsten folgten dann der König, aus dem seine Vasallen wachsen, Herakles der Schwertmann und der Hirschmann mit dem großen Geweih. Die dritte Sequenz folgte am dreiundzwanzigsten Oktober mit der orientalischen Zaubererfigur mit kleinem Reittier, dem Kreuzstabträger und der ornamental aufgespalteten Figur.

Gestern habe ich einige der Motive zugunsten der folgenden Schichtungsarbeit etwas vereinfacht. Es folgte die Überlagerung der drei Streifen auf einem eingerichteten Dreiecksgitterraster, jeweils einhundertzwanzig Grad geschwenkt. Das eigentliche Grundformat der sich wiederholenden Streifen und der Raum in dem sich eine Sequenz abspielt ist das Parallelogramm aus zwei gleichseitigen Dreiecken bestehend. Es erwies sich, dass dieses Format nach den Überlagerungen alle Motive so in sich aufnimmt, dass sie nach allen drei Seiten hin Anschlüsse finden. Somit ist nun die erste Lösung gefunden. Jetzt können weitere Anordnungen durchgespielt werden. Ich bin mir sicher, dass ich damit in die Dreidimensionalität eintreten kann. Gleichzeitig ergeben sich neue Fragen nach der Drehung und weiteren universellen Anschlussfähigkeit der Dreiecke an allen Seiten. Ein und dasselbe Figurenensemble könnte in verschiedenen Richtungen überlagert und verschiedene Ansätze kombiniert werden.

In Kombination der Anregungen durch die kreisende Suchzeichnung zur „Sixtinischen Madonna“ von Raffael und dem „Counterpoint Tool“ von „Syncronus Objects“ grabe ich mit der afrikanischen Holzhaarnadel Linien unter die Tagebuchzeichnungen (s.0.).

Krishnababy | Kraftfeld | Lasuren

Meine Bronzefigur von Krishnababy ist so groß, dass ich sie gerade so mit meiner Hand umfassen kann. Dabei schauen allerdings sein Kopf mit dem kronenartigen Schmuck und die Hand mit der er die Butterkugel hält heraus. Ich weiß nicht so genau, ob er sie mir nun schenken oder sie behalten will. Die Blickrichtung und die Haltung sind eher abwägend. Er entdeckt gerade den Wert eines Geschenks und was es mit dem Geben auf sich hat. Die Figur steht zwischen einer Lasurmalerei der letzten Woche und einem weiteren Versuch, mich dem Frankfurter Kraftfeld auf Transparentpapier zu nähern.

Stetig bewegt sich das auf Neuland, entdecke ich Denkfehler, will aber gleichzeitig den Prozess nicht mathematisch abkürzen. Die drei Dreifigurensequenzen müssen noch einmal exakter gezeichnet werden, indem  die Dreieckseinteilung mit Bleistift unter die Federzeichnung gelegt wird, damit die gleichmäßige Verteilung der Figuren in einem geeigneten Wiederholungsmodus stattfindet. Ein entscheidender Denkfehler war wahrscheinlich, dass mit einem einzigen Dreiecksmotiv anschlussfähige, aufeinander folgende Sequenzen zusammengestellt werden können. Wie viele Einzelreliefs modelliert und abgeformt werden müssen, durchschaue ich noch nicht. Es könnten vier oder sechs sein. Ich werde das erst kapieren, wenn ich daran weiter gezeichnet habe.

In den Lichtkegeln des Ateliers, aber auch jetzt an frühen Morgen am Schreibtisch ist während der Dunkelheit draußen konzentrierteres Arbeiten möglich. Jetzt spüre ich den klaren Sternenhimmel in meinem Rücken, die Durchstiche des Orion über dem Südbalkon.

In Hans Zitkos „Kunstwelt“ las ich das Kapitel über „das Museum des neunzehnten Jahrhunderts“ und begann mit der „Genese des Kunstwissens“. Alles lässt sich leicht auf mein Berufsverhalten übertragen. Die Unabhängigkeit vom Kunstmarkt ist dabei mein höchstes Gut. Das Ausweichen in den kunstweltfreien Waldraum ist eine Konsequenz. Dieser Schritt vereinigt einige Befreiungen: die vom beschränkten Raum, die von der Konkurrenz der Kunstwelt und die von Anforderungen eines Galeristen. Meine Empfindungen dort mittendrin können mit denen von Krishnababy verglichen werden. Ungeschützt steht im Wald etwas, was ich in zwei Jahren geschaffen habe und ist  gleichzeitig  an den, der vorbei kommt ein Geschenk. Es hat das Potential eines neu geschaffenen Weges, der in Zukunft auch benutzt wird, aus welchen Gründen auch immer.

Raffael | Liebermann

Im Städelmuseum sahen wir gestern die Zeichnungen von Raffael. Großflächig tapezierte Vergrößerungen von Zeichnungen und Fresken, reichlich Videomaterial und Audioguides begleiten die ausgestellten Werke des Meisters, die in sich schon so dicht sind, dass man sich auch ohne das Zusatzmaterial ausführlich mit ihnen beschäftigen kann. Oft sind Vorder- und Rückseiten der Blätter mit Zeichnungen versehen, denn das Material war wertvoll. Feder, Tusche, Silberstift, Rötel und Kohle waren die Materialien. Was mir wirklich neu war, sind die Kompositionslinien, die Raffael mit einer Metallspitze vor dem eigentlichen Zeichnen in das Papier gegraben hat. Diese Linien sind aber nicht mit Schraffuren hervorgehoben worden, sonder sollten nach der Arbeit möglichst nicht erscheinen. Zu sehen sind sie tatsächlich nur, wenn man die Blätter in sehr flaches Seitenlicht hält. Die Suche nach dem Zusammenspiel von Figurengruppen, Architektur und Raum zugunsten eines erzählerischen Stils ist gut zu verfolgen. Ganz besonders interessant sind dabei Korrekturen und Überlagerungen, weil sie den Prozess noch deutlicher machen. Eine schnell entstandene, mit kreisenden Linien hingeworfene Skizze der Sixtinischen Madonna, sieht fast aus wie eine Entwurfszeichnung zu den Figurinen des „Triadischen Balletts“ von Oskar Schlemmer. Raffael hat seine Figuren immer als Aktfiguren entworfen und sie erst danach bekleidet. So gibt es eine Reiterfigur, die sich und das Tier wendet. Mit dem Rückenakt wird die ganze Geschichte der Begegnung zwischen Attila und dem Papst erzählt, der ein Heer zur Umkehr zwingt. Danach bekommt dieser hervorragend suchend gezeichnete Rückenakt einen Harnisch verpasst. Nur noch die hervorschauenden Glieder erzählen nun in der Malerei noch von der Anstrengung einer Körperwindung. Das ist ein Beispiel für die Gründlichkeit, mit der die großen Aufträge vorbereitet wurden.

Danach sahen wir noch ein paar impressionistische Bilder der Sammlung, die mich deswegen interessieren, weil meine derzeitigen Versuche den impressionistischen Gestus in die Lasurmalerei zu transportieren. In dieser Umgebung stieß ich auf ein Bild von Liebermann. Es zeigt den Hof des Waisenhauses in Amsterdam. In Cochi erinnerte ich mich auf einem Schulhof an dieses Bild, bei dem die Lichtflecke, die durch die Baumkronen auf die Figuren den Boden und an die Wände fallen, die wichtigste Rolle spielen.

Waldbewegungsarten | Jone San Martin

Die Quergräben, die der Weg in rechtem Winkel kreuzt könnte ich an dieser Stelle überspannen oder auffüllen. Letzteres würde der Begehbarkeit dienen. Man müsste nicht mehr hinauf und hinab steigen. Eine stabile Traverse würde aber viel Arbeit machen und dennoch federnd nachgeben. Dahinter befinden sich zwei der ersten größeren Installationen, die aus gebogenen angelehnten Ästen bestehen. Kleine Hölzer sind im oberen Bereich quer eingeflochten. Die Diagonaltendenz dieser Beiden, die irgendwann zum Einsturz oder zur Verwandlung in einen Stapel führt, ist noch nicht so groß. Wenn es eintritt, korrigiere ich es gleich, indem ich den Standort der Stangen verändere, sie wieder senkrecht stelle ohne ihre Eingeflochtenheit weiter oben zu berühren. Dadurch beginnen die Hölzer langsam um den Baumstamm herum zu laufen und das ganze Geflecht mit. Dies ist die zweite Bewegungsart, die neben der Diagonalbewegung existiert und im Zusammenspiel mit der Gravitation nur meinen Eingriffen folgt. Zwischen diesen zwei alten Bekannten und der Steinplatte, die den eigentlichen Anfang des Weges markiert, steht noch ein vielfüßiges Tier, eine Verästelung, die ich auf ihre Beine gestellt habe. Ich hüte mich davor dieses Teil weiter auszubauen, weil jede Hinzufügung, die den Charakter unterstützt, eine zu weitgehende Illustration dessen böte, was sich hinter dem Fragment befindet. Möglich wäre nur, mit einer Überbauung das Bild zugunsten anderer Möglichkeiten zu löschen.

Rechts und Links von der Steinplatte, die ich immer vor und nach dem Hang Gang betrete, liegen seit etwa einem halben Jahr zwei kleine unscheinbare weiße Steinchen. Dort beginnt der Pfad deutlich hervor zu treten. Ich pflege ihn, indem ich alle auffälligen Gegenstände, die auf ihm liegen mit den Füßen beiseite schiebe. Im unteren Teil, wo der Boden in erster Linie aus Fichtennadeln besteht, geht das besonders gut. Weiter oben im Gras ist das etwas schwieriger.

„Study # 3“ gestern im Lab. Das Material, aus dem der Abend besteht ist beständig, gleichzeitig aber verletzlich. Ich habe das Gefühl, dass in Sekunden ganze Lebensabschnitte ablaufen. Das personifiziert sich selbst dann, wenn Jone San Martin nur neben der leichten Schräge auf einem Podest sitzt und ihren Kollegen zuschaut. In meinem Hirn sind alle Erinnerungen ihrer Figuren Begegnungen, die hintereinander einen Raum bespielen. Mit ihren Erinnerungen, die noch in der lässigsten Haltung hervor scheinen, ergibt das eine Akkumulation, die sich spiralförmig steigert. Sie Ist das Highlight dieser Abende und strahlt umso mehr in der perfekten Umgebung der hin und her spiegelnden Company.

Hang | Vorspiel | Bach

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gibt es heute eine Kritik zur aktuellen Forsythepremiere, die wir heute Abend sehen werden. Die Company tanzt „Study * 3“. Es besteht aus Fragmenten von siebenundzwanzig älteren Stücken, die der Meister selber zusammenkopiert hat. Ein Erinnerungsstück also. Manchmal wünsche ich mir, dass von den getanzten Figuren mehr übrig bleibt, als die Erinnerung in meinem Kopf. Es gibt ja ein paar Installationen oder Spuren, wie bei „Human Writes“  Manches, das bei You Tube im Netz auftaucht, ist abwegig weit entfernt von dem, was ein solcher Abend bietet.

Auf der Autobahn hörte ich gestern ein wunderbares Klavierkonzert von Bach, dessen zweiter Satz so todtraurig war, dass ich vergaß Gas zu geben. Es war die Rückfahrt von meinem gestrigen Hang Gang.

Endlich hatte ich es wieder geschafft, Zeit dafür zu reservieren. Eine länger andauernde Abstinenz, wie in den letzten drei Wochen, führt zu eigenartigen Ängsten, dass am Wegesrand viel zerstört sein könnte.

Mittlerweile parke ich das Auto an einer Stelle, an der ich schon vom Autositz aus die ersten großen Installationen sehen kann. Als nächstes erklimme ich die kleine steile Böschung neben der Strasse, die schon deutliche Fußspuren von den Hirschen, von mir und von meinen Gästen aufweist. Ich bilde mir ein, dass mein Weg über weite Teile mit dem Pfad der Hirschkühe identisch ist, die ich bei meinem Gang mit M. aufgescheucht habe. Der erste kleine Stapel aus sehr dünnen Zweigen folgt gleich hinter der Böschung in einer kleinen Birke. Dort fand ich vor ein paar Wochen ein Zeichen von Mitgestaltern, das ich nun etwas stabilisieren musste, damit es nicht mit anderen Zweigen abrutscht. Im weiteren Verlauf schlängelt sich der Weg durch eine Ansammlung von großen abgeschnittenen Ästen, mit denen ich einen Eingang wie mit Walknochen geschaffen habe. Etwas innuitartig das Ganze. Durch diese angedeutete Höhlung gelangt man an drei Gräben, die überwunden werden müssen, um zum eigentlichen Startpunkt zu gelangen. Bis dahin war alles nur Vorspiel, in dem aber schon die meisten Themen anklangen.

Lichtraum | Rollstrukturmalerei

Noch einmal Raum. Ich Stelle mir vor, mit drei Assistenten mit jeweils einem Spiegel an einem sonnigen Tag im öffentlichen Stadtraum unterwegs zu sein. Von ihnen sollen die Sonnenstrahlen geleitet werden, zunächst von Spiegel zu Spiegel zu Spiegel. Dabei nimmt die Intensität des Lichtes ab. Unter der Verwendung von Linsen kann sich das anders gestalten. Ein physikalischer Versuchsaufbau, bei dem die Spiegel beweglich auf Stative montiert werden. Die täglichen Lichtstände, von der Drehung der Erde ausgelöst, können in ihren verschiedenen Wirkungen betrachtet werden. Dieses einfache Experiment gewinnt durch seine Installation an verschiedenen Orten an Vielfalt der Einsichten. Eine der geeigneten Stellen wäre der Rossmarkt. Zusätzlich zu den Stativen mit Spiegeln sollten Klappstühle mitgenommen werden und Notizblöcke. Auf ihnen kann man schriftlich festhalten, in welcher Weise sich Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Statur etc. im lichtumgrenzten, dreieckigen Raum bewegen. Eine weitere Station kann am Hang im Taunus errichtet werden – ganz anders. Zu untersuchen wäre außerdem, welche Möglichkeiten der Projektion sich ergäben und welche Nähe zu physikalischen Untersuchungen hergestellt werden kann. Daraus ergibt sich dann die Spielstruktur: Licht, Raum und Bewegung.

ROLLSTRUKTUREN. Am Abend habe ich Dicke weiße Farbe fleckenweise mit einer Gummirolle auf einer grundierten Fläche verteilt. Die daraus entstehenden Rollstrukturen lasierte ich einerseits mit Acryllasuren in Blau und Rot. Die Arbeitsweise, immer wieder dazwischen neue zufällige Weißspuren zu rollen, und die zwei Lasurfarben mit häufigen Schelllacklasuren zwischendurch abzusperren, aber auch gelblicher einzufärben, erzeugt impressionistische Effekte. Durch die häufigen Schichtungen gewannen die vier kleinen Formate an Räumlichkeit. Die ersten Weißhöhungen gelangten weit in den Hintergrund, blieben aber dennoch gut sichtbar.

Für meine Verhältnisse war ich ewig nicht am Hang. Das könnte ich heute nachholen. Jetzt im dämmernden Zweilichts des Erwachens, sind alle Wetter möglich.

Stadtraumlicht

Frühzeitig wird es dunkel. Auch tagsüber ist das eigentliche Wetter nicht mehr klar auszumachen. Jetzt ist schon vollständige Nacht, obwohl es erst gegen sechs Uhr ist. Die Schnelligkeit, mit der die Stunden der Helligkeit weniger wurden, nimmt nun ab. Schon ist wieder der Stillstand dieser Entwicklung zu ahnen. Das ist das adventliche Gefühl, das sich mit der Gewissheit der sich regelmäßig auf und ab bewegenden Lichtamplituden verbindet.

Während eines Gespräches mit einer Theaterpädagogin, sprach ich gestern spontan über Ideen, die ich mit moderner Theaterarbeit verbinde. Mir ginge es um Raumerkundungen in der Stadt, um Experimente mir neuen Medien, der Eroberung des Stadtraumes und der Besetzung anderer Räume mit Ideen.

Vögel | Sammeln

Son Pont. Die Windrichtung drehte von West auf Nordost. Die Schatten der Wolken wandern von mir weg, um die Form der Landschaft in die Zukunft hinein zu schreiben. Die Terrassen und Straßen, Gehöfte und Felder sind von einer gewissen Kleinteiligkeit. Man kann diese Maßverhältnisse und Größen als menschlich bezeichnen. Viele der historisierenden neuen Bauten, wahren diese Maßverhältnisse aber nicht mehr. Das Design verrät Geld, aber kein Stilbewußtsein.

An den Kieselstränden such ich fädelbares Material. Dabei nehme ich die der Natur inne liegende Vielfalt der Form auf. Diese gespeicherten Bilder lassen sich dann wieder aufrufen. Werden durch Vergleich mit Ähnlichem wieder hervorgeholt. Die Verdichtung dieser räumlichen und far blichen Erlebnisse, gehen mit dem Gedanken einher, dass nach der akribischen Sammlung und Ordnung dieser Dinge noch etwas anderes kommt – nämlich die individuelle Interpretation, die eigenen Erfahrungsmustern folgt. Ich will mich ein wenig mehr um die geschichtlichen Dimensionen der Romantik kümmern.

Schon flog ein kleiner Vogel gegen eine der Scheiben, die in die Flügeltüren zur Terrasse eingelassen sind. Wenn sie durch den Kamin kommen, ist da auch noch eine feste Glastür mit Metallrahmen vor der Feuerstelle. Wann die Invasion hereinbricht, weiß keiner.

Ich schaue mir die Gesteinschichten an und will dabei wissen, ob sie vulkanischem oder sedimentiertem Ursprung sind. Die Schichtungen enthalten die Aufzeichnungen der Erdzeitalter. Ihre Verwitterungsformen lassen oft keine schnellen Schlüsse zu. Manchmal wünschte ich mir, mehr von Geologie zu verstehen. Die Farbigkeit reicht von kreidigem Weiß über lichten Ocker bis hin zu sattem Englischrot.

Meine Steinsammlungen beeinflussen die Struktur meiner Zeichnungen. Das Sammeln bedeutet eine Art Naturstudium, wie beim Auffädeln von Steinen am Strand. Daraus entstehen Kompositionsideen, Farbzusammenstellungen lagern sich ab und füllen das Reservoir der Möglichkeiten.

Orte mit einem Klang

Den vollständigen Tag war ich damit beschäftigt, die Datei des Arbeitstagebuches auf ihren Stand zu bringen. Man könnte einwenden, dass das Tagebuch einer Urlaubsreise nicht zu dieser Kategorie gehört. Beim näheren Hinsehen allerdings, erweisen sich die Beobachtungen sehr wohl als arbeitsrelevant, und völlig unnötig wäre eine Unterbrechung des Rituals, eher schädlich, wie Sand im Getriebe. Allerdings forderte es von mir eine gewisse Überwindung von morgens vor Acht bis abends vor Acht am Schreibtisch zu sitzen, die Texte zu verändern und Bilder zusammenzustellen, zu erfinden und zu bearbeiten.

Was mich immer wieder überrascht, sind gefundene Beschreibungen alltäglicher Vorgänge, die während der genauen Beobachtung in einzelne Szenen zerlegt werden, die immer Raum für Vergleiche und Einzelinterpretationen bieten. Und es entstehen dabei auch die Fragen nach der Bedeutung eines bestimmten Lichtes für mich, wie jetzt Gelb leuchtendes, von der Frühsonne angestrahltes Restlaub vor den dunklen Wolkenschatten oder Himmelsräumen. Was bedeutet der Lichtwechsel zu einem Braungrau vor lichtem Blau – Fragen von Perspektiven, Schattenwürfen, von Wellen und ihren Interferenzen. Stimmen die Schwingungen des Lichtes mit denen der Stimmungen überein, verstärken sich also, oder nivellieren sie sich bei hundertprozentiger Verschiebung gegeneinander. Dieser rationale Ansatz lässt natürlich die vielen anderen kleinen Beeinflussungen außer Acht. Was ist schon die Kategorie Stimmung und deren Bezeichnung wert. Das gilt auch für ein Bild. Es entzieht sich einer klaren Bewertung.

Mit der Zeichnung ist es da schon etwas einfacher. Jedenfalls mit der von Tusche und Bleistift. Auch in den Raum gezeichnete Linien haben ihre Klarheit. Mit meinen Tagebuchzeichnungen ist es nicht so. Sie wollen mehr und verwandeln sich in gemalte Miniaturen. Wenn sie schon in ihrer täglichen Regelmäßigkeit auftreten, soll es ihnen auch zugestanden sein.

Am Abend nahm ich die gestimmte Gitarre und probierte ein paar alte Griffe. Eine nicht unwesentliche Rolle dabei spielen die Erinnerungen an Orte die mit ihren Verbindungswegen wieder im Kopf entstehen. Die Wege in die Schule, in den Wald, am die Quellen und Teiche, zwischen die Buchen und auf die Wiesen. Das alles bekommt seinen Klang. In dem Mangel an Präzision dieser Bezeichnung liegt der kreative Raum – die Chance

Kriegsmenschen | Kunstmenschen

Jetzt schwimmen apricotfarbene Korallenmuscheln im blassen Morgenozean. Von den Rändern her rücken aber schon kompakte Festländer heran, deren Ränder lediglich noch leuchten. Ihre Bäuche drohen stählern mit Finsternis. Oben weit in den Wipfeln warten die Ringeltauben auf die ersten Wärmewellen, so sie denn kommen.

Eigentlich wollte ich zu Hause gleich frisch mit den Reliefs beginnen. Zunächst aber gibt es das Tagebuch nachzuarbeiten, wozu ich am Familienwochenende natürlich nicht gekommen bin.

Im Computerstream sahen wir gestern Nikis Film „Rommel“. Er zeichnete tatsächlich ein sehr differenziertes Bild dieses Kriegsmenschen. Sportlich wird mit Leben und Tod umgegangen, der zu tötende Gegner wird geachtet, all diese fatalen Irrationalitäten blitzen auf. Die Ermordung von unbewaffneten Zivilisten erzeugt Skrupel, während ihm aber kurz danach an ganzen Straßengräben voller Stukaopfern keine Regung unterläuft. Auch ein etwas stümperhafter schmächtiger Zeichner namens Hitler tritt auf. Nikis Blicke in die Vergangenheit sind oft in Fragen gekleidet, die die unberechenbaren Untiefen der menschlichen Handlungsweisen ausloten wollen. So deuten sich die Schicksale vieler Figuren als Bänder an, die miteinander verflochten, die unendliche Kombinationsmöglichkeiten von Reaktionen hervorrufen. Ein solches Geflecht herzustellen und es wieder zu entflechten, um es verständlich zu machen, verbindet unsere Arbeitsweisen. Vielleicht treffen meine Geschichten aber tiefer in die Befindlichkeiten der Betrachter, weil sie eine Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten hervorrufen.

Kasper König ist nun am Ende seines langen Abschieds vom Museum Ludwig angekommen. Ein Interview an seinem letzten Bürotag spricht er von der Kunstbetriebsamkeit, die das Werk etwas in den Hintergrund drängt. Ich erinnere mich nicht mehr, wie ich in sein Büro im Städel gekommen bin, wo er mich Okwui Enwezor für deine Documenta vorschlug. Ich habe diese Hinwendung zu meiner Arbeit nicht weiter ernsthaft verfolgt, weil das nicht meiner Art entsprach, mir auch zu mühsam vorkam. In der Rückschau erweisen sich diese Zögerlichkeiten als richtig und meiner Person entsprechend.

Reisealter

Wenn es die Deutsche Demokratische Republik noch geben würde, und ich wäre auch dort geblieben, dann ginge ich so langsam auf mein „Reisealter“ zu. Ich dürfte ohne jeden Pfennig als fünfundsechzigjähriger Rentner in den Westen reisen. Dort wäre dann ein Unterkommen nur bei Verwandten und Freunden möglich gewesen. Vielleicht hätte ich mich auch, wie zu meinem dreißigsten Geburtstag in einer Metallstanzerei verdingen müssen. Oder ich wäre geblieben, umgesiedelt und hätte dann eine Westrente bekommen. Ich kann mir die unsägliche Wut im Bauch gar nicht vorstellen, die ich gehabt hätte, wenn ich dann, spät gesehen hätte, was mir alles vorenthalten worden ist.

Die flache Insel vor Mallorca kommt mir im den Sinn, ein unbewohntes Felseneiland.

Früher gab es nur die Ostsee, keine Felsen außer der weichen Kreide und ein paar Findlingen stemmte sich nichts gegen eine schwächliche Brandung. Gelegentliche Besucher aus dem Westen befragte ich nach der Felsenküste Kroatiens.

Gestern habe ich begonnen die Zeichnungen zu scannen, die ich in Mallorca gemacht habe und bin noch weit davon entfernt alle Arbeit aufgeholt zu haben

Kälter

Frankfurt. Nun hat sich die Situation vor meinem Fenster natürlich radikal verändert. Die Ahornbäume sehen mit ihren Blattresten in den Kronen gerupft aus, zerzaust und unentschieden – traurige Gestalten.

Auf dem Markt besprach ich mit M., nun langsam anzufangen, plastisch zu arbeiten. Sie hat zu Hause noch einen Zentner Ton, den sie alleine beim Töpfern nicht verarbeiten kann. Ich zeigte ihr die Serie „Floppy Disk“, die Reliefs mit Lasurmalerei verbindet. Für uns wäre das nun ein logischer nächster Schritt. Außerdem meinte ich, dass sie ihre getöpferten Stücke auch mit Abdrücken von ihren Fundstücken versehen könnte, die man dann lasieren kann.

Der anhaltende Regen ist die richtige Atmosphäre, das Tagebuch, das sich angestaut hat, nachzuarbeiten. Wieder liegen die drei Figurensequenzen mit den jeweils drei Figuren vor mir, mit denen ich mich nun weiter beschäftigen will. Immer weniger ratsam scheint es mir, die umständliche Methode, die auf der Wanderung erfragten Bilder als Material zu benutzen. Ich begebe mich damit wieder zu sehr in die Abhängigkeit von anderen, diene ihnen eher mit meiner Illustration.

aufgelöste Zeitkapseln | Luftbilder

Son Pont. Die Verschwindenden Gegenstände auf den Zeichnungsgründen, aufgelöste Zeitkapseln, nicht mehr bereit zur Reise in die anderen kommenden Räume – verklungen, aufgehoben, aufgelöst. Horizont verschwindet, Mittelmeer, unter mir Wolkenbänke, eine andere flachere Insel mit felsiger Küste. Felderformen, rote Erde, frisch gepflügt zwischen frischen Grün. An türkisfarbenen westlichen Rand der Insel eine ausgefranste Küste, dann Schaumkronen auf stählernem Blau.

Wir entfernen uns in die fest gefügte Realität unsres Winters. Dort löst sich nichts auf. Wetter wird gepresst und kristallin. Wir erwarten die Festigkeit des Frostes.

Eine Wanderung führte uns gestern von der Küste aus auf etwa vierhundert Meter Höhe mit Blick auf die Dracheninsel, die ihren Namen von der Märchenphantasie zugewiesen bekam. Unterwegs ein verlassenes Trapistenkloster, das ein neues Tonnengewölbe bekommt und auch ansonsten gepflegt wird. Segelboote flogen durch das aufgewühlte Meer.

Und nun deutlich das weiße gefaltete Band der Alpen hinter dem beeindruckenden Luftbild von Marseille an einer Küste mit eingeschnittenen Buchten. Noch liegt in den Bergen nicht so viel Schnee und die Gletscher mir ihren gefährlichen Spalten sind noch gut zu sehen. Manche Bergseen sind noch nicht zugefroren oder haben auf dem Eis keine Schneeschicht. Riesengroß erscheint das Gebirge von hier oben. Und tatsächlich haben wir bisher nur einen winzigen Teil erwandert. Das markante Matterhorn ist gut auszumachen. Doch dann geht das scharfkantige Geschehen in die graugrünen schwäbischen Rundungen über. Seen, von denen man eigentlich die Namen kennen müsste, bilden die Übergangsszenarien. Freilich – der Bodensee, von Wolken etwas überdeckt, die sich nun nach Norden hin noch weiter schließen werden.

Wechsellicht

Son Pont. Wartend, dass die Sonne über den Bergkamm kommt und auf meinen Schreibplatz draußen scheint, sitze ich drinnen, halte das Buch provisorisch auf meinem rechten Bein und schaue der Schrift zu, wie sie sich auf dem Papier fortbewegt, Worte und Sätze entstehen lässt, wie diesen.

Der Blick gleitet aber zwischendurch über den Teppich in Rottönen, mit sehr wenigen kleinen Tieren darauf, die schlichten Felsgravuren entsprungen sein könnten, wie ich sie in Jordanien in den ausgeschlagenen Höhlen von Petra, aber auch an den Felsen der Wadis sah. Bei Ihnen ging es um Ziegenherden, und so ist dies vielleicht ein Ziegenteppich, und er zeigt die, die uns manchmal am Straßenrand begegnen.

Ist mein Blick am Rand des Teppichs angelangt, der weich zum darauf Liegen einlädt, gibt es noch ein Stück rotockerfarbenen Kachelboden, bevor es die Stufe zum Türrahmen hinaufgeht, in den ein Türblatt mit sechs Glasscheiben eingelassen ist. Dort tritt nun das erste direkte Sonnenlicht herein, das auch den Schreibplatz wärmt.

Der alte Argentinier, der vormals der Verwalter war, schwärmte gerade von der Zeit nach dem regen, der nach dem trockenen Sommer folgt, der alles verbrannt hatte. Er holte mich zur Brüstung der Terrasse. Um mir die dunkle Erde zu zeigen, wie sie einen Kontrast zu dem Frischen Grün bildet. Er kam extra um das zu sehen herauf.

Flottillen weißer Sonnensegelboote, ziehen vor dem blauen Raum, die Sonne im Rücken Schatten auf mich werfend vorüber. Gezwitscher in den wilden Gesträuchen, die wegen fehlender Arbeitskraft nicht mehr beseitigt und von Ziergehölzen ersetzt werden. Für die Zeit seines Krähens füllt ein Hahn mit seinem Ruf das ganze Tal. Tiefschatten an den Hängen, Wechsellicht um all die Orchideen, die ihre Tröge schaukelnd den Insekten hinhalten, damit sie in die Falle tappen.

Vervollständigung | Traumverschachtelungen

Son Pont. Bei den Stücken, die ich am Strand auffädele, handelt es sich in allen Fällen um Fragmente von Muscheln, Krebsschalen oder Korallen. Vor allem die schneckenhausartigen Muschelschalen sind im Kopf leicht zu vervollständigen. Dieses Spiel verbindet sich mit der Suche nach dem Loch für den Faden.

Ich schlafe tief hier und kann am nächsten Morgen meine Träume rekonstruieren. Dabei war einer deswegen besonders, weil ich in ihm aufwachte und froh war, eine ärgerliche Begebenheit nur geträumt zu haben. Barbara aber bestätigte mir dass es die Geldstrafe, die es in Berlin wegen eines Verkehrsdelikts gegeben habe, wirklich war. Als ich erneut, diesmal in meinem Himmelbett aufwachte, war ich mir nicht ganz sicher, ob wir nun in Berlin gewesen waren oder nicht… Die Verschachtelungen und verschiedenen Pforten illustrieren die Möglichkeiten.

Über die Bergkette im Westen wälzen sich Regenwolken ins Tal. Sie werden in einer Weise durch sonnige Abschnitte unterbrochen, dass heftige schnelle Lichtwechsel auftreten. Regenbögen bekrönen die atmosphärischen Bilder. Auf welchen verschlungenen Wegen der Wind ins Tal fällt, lässt sich gut an den Baumkronen erkennen, die gezaust wie das Meer in der Ferne klingen.

Am erstaunlichsten sind die Bewegungen der Olivenbaumkronen, die in einem schillernden Kleid einen Tanz vollführen. Die schillernde Unterseite reflektiert dabei ein sich ständig wandelndes Volumen, während der Regen die schwarzen Früchte wäscht. Es könnten auch Haarschöpfe sein, die vom Wind gekämmt werden. Schleier um Schleier verhüllt wässernd die Landschaft und addiert das rauschende Geräusch. Ich warte darauf, dass es in den trockenen Bachbetten zu fließen beginnt.

Museen

Son Pont. Auf den großen Höfen der Nachbarschaft werden Feuer entzündet, die Rauch genug für das Ganze Tal ausbreiten. Mein eigener Schatten wird durch Reflektionen der Sonne in der Glastür an den gemauerten Pfeiler unseres schmiedeeisernen Tores geworfen. Oft bekommt man in dieser Landschaft Licht von verschiedenen Seiten. In den blühenden Büschen auf dem Anwesen pflückte ich einen Strauß für Barbaras Geburtstag.

Der insulare Herbstsommer wärmt uns. Weiter oben in den Bergen ist man gut beraten, warme Kleidung bei sich zu haben. In Valledemossa stimmte uns ein Pianist, der fünfmal am Tage dieselben Stücke auf einem auf einer Bühne drapierten Flügel spielt auf den Ort ein, an dem Chopin und George Sand zwei Monate eines Winters verbrachten, der mit seiner kalten Feuchtigkeit dem Komponisten in dieser Höhe den Rest gegeben haben muss.

Die holländische Verwalterin des Hofes, auf dem wir hier wohnen, hat uns die Räume des Schlösschens gezeigt, das der zum Malteserorden gehörende Padron im Sommer bewohnt. Die große hölzerne Olivenpresse stand als erstes auf dem Gelände. Um sie herum entstanden das erste Haus und dann die weiteren Gebäude. Die weiteren Räume sind unterschiedlichen Themen, wie der Familie, dem Glauben und dem Essen gewidmet. Sie sind reich mit Bildern und andren Kunstgegenständen ausstaffiert. Dabei herrscht ein wildes Durcheinander der Stilrichtungen. Ansonsten hat die Tradition immer etwas Waffenstarrendes und den Nachklang der Rekonquista. Terrassen, Turmzimmer und alter Reichtum auf eine faktische Leibeigenschaft gegründet, die bis in die Sechzigerjahre andauerte.

Dann machte ich einen Rundgang über das Land, das der Familie gehört. Ein Marsch von einer Stunde führte mich bei weitem nicht in alle Ecken des Besitzes. Ich erschloss mir nur den bebauten Bereich. Die nach den Sechziger Jahren von den Landarbeitern verlassenen Terrassenfelder durchstreifte ich nicht mehr. Der Tourismus veränderte die gesellschaftliche Struktur, weil nun in den Küchen und Zimmern der Hotels nicht mehr nur für Kost und Unterkunft gearbeitet wurde. Jeder konnte nun Geld verdienen. So wurden keine Lebensmittel mehr exportiert und die Strände wurden durch Bettenburgen verschandelt. Eine Kultur verformte sich.

Verwischte Landschaft

Son Pont. Wie besichtigten ein dreitausend Jahre alte Wohn- oder Kultstätte, gebaut aus großen hellen Steinen der Umgebung. Runde mehrstöckige Türme wurden aus tonnenschweren Blöcken übereinander geschichtet. Erklimmt man sie bis zu ihrer derzeitigen Höhe, so kann man das Meer sehen. In die andere Richtung geht der Blick weit über die Olivenebene bis hin zum Gebirge, an dessen Fuß wir wohnen. In einem der Türme befindet sich ein Spiralgang, der sich vom oberen Stockwerk in die Tiefe windet. Auf den oberen Plattformen sind Reste von Feuerbestattungen gefunden worden. Ich stelle mir die Rituale vor, die in den Gebäuden stattfanden, die unter unmenschlichen Anstrengungen errichtet worden sein müssen. Die Architektur bildet das Gerüst eines dramaturgischen Planes für sakrale Handlungen.

Auch wir werden auf dem Anwesen durch Architektur inszeniert. Es gibt da beispielsweise die große Freitreppe, die zur vergleichsweise kleinen Markise führt, in der wir wohnen. Dem großen Talkessel gegenüber erscheinen die Stufen nun allerdings wieder eher klein. Somit spielt sich das Empfinden beim Beschreiten zwischen Erhebung und Unterordnung ab. Der erhabene Anblick der Feldwände und das mühsame Tun des Gärtners weist uns unseren Platz zu.

Es wird einen sonnigen Morgen geben, an dem ich die nächsten Zeilen draußen schreiben kann. Es sind zwei Zeichnungen entstanden, bei denen ich die Landschaft vor der Terrasse verwendet und sie dann verwischt habe. Ich genieße das Verwischen der gegenständlichen Anklänge, sie vergehen zu lassen und so der Zeit vorauszueilen, indem ich die Zerstörung nicht als destruktives Werk erleben, sondern als Erschaffung einer neuen Plattform auf der neu und konkret konstruiert werden könnte. Erinnerungen an Buschwerk, wie ich es in den Siebziger- und Achtzigerjahren zeichnete. Ab und zu muss das, was sich in meinem Speicher befindet wieder aufgerufen und neu verknüpft werden.

Bilderprozession

Son Pont. Der Mond badete in milchigem Nebel und beleuchtete die Wolkenberge von oben. Die plastische Oberfläche lud zu Bilderspekulationen ein: Oskar Kokoschka auf dem Rücken liegend – Die Katze frisst die Maske auf – Liegender Buddha. Dazu natürlich eine Karawane, die der Prozession zur Arche Noah glich. Beim Wein aus einheimischer Produktion, direkt vom Nachbargut, der unsere Phantasie noch weiter anheizte, Verbrachten wir einen Langen Abend am weißen Metalltisch mit ornamental durchbrochener Tischplatte. Der erste Tag eines Urlaubs ist der verheißungsvollste. Deswegen ist er gut geeignet, ihn lange auszukosten, sich immer wieder zu ermuntern, die Müdigkeit abzuschütteln.

Die Wohnräume des Hofes sind schlossähnlich und ausgestattet wie ein Museum. Ein Spaziergang führte uns über die nördlichen Felder des Anwesens. Der alte argentinische Verwalter zeigte uns den alten Dreschplatz und berichtete von der Besiedlung des Ortes bereits durch die Römer und die Araber. Aus dieser Zeit stammt noch eine uralte Olivenpresse, um die herum dann erst die Gebäude gebaut worden sind. Wo damals. überall an den Hängen Felder von Landarbeitern gepflegt worden sind, stehen heute Pinienwälder, aus denen geheimnisvolle Stimmen zu hören sind, als unterhielten sich abertausende von Vögeln dort halblaut. Wispernde Verabredungen, die etwas Bedrohliches haben. Vielleicht sitzen sie morgen schon auf dem schmiedeeisernen Tor neben unseren Zimmern, auf der Brüstung der Terrasse und warten dort auf den Augenblick des Zeichens, in dem sie fremd schwärmend auffliegen und in Formationen angreifen. Ich will nachher noch einmal horchen, ob sie den Wald schon verlassen haben.

Son Pont

Son Pont. Wie Suchscheinwerfer gleiten die Sonnenstrahlen, die durch die Lücken der schnell ziehenden Wolken den Weg nach unten finden über das bergige Grün. Wie grüne Lampen leuchten Kiefern, Eukalyptusbäume und Oliven im Gegenlicht auf. Ein paar gestaffelte Bergkämme folgen einer Senke, die gleich hinter der Terrasse beginnt. Das Land ist locker bestanden mit Palmen und Oliven zwischen den Terrassenfeldern. Nur die Landschaft ist jetzt wichtig und der Wind, der die Oliven silbrig klingen lässt. Leiser Gesang der Vögel – Felsen schauen aufgeschichtet aus den bewachsenen Hügeln heraus, irgendwo meckert eine Ziege. Noch ganz benommen von der Stille, nimmt mich die Harmonie der Landschaft für sie ein. Fast möchte ich, dass die Pinien mit den von Meereswind gegen die Hügel treibenden Vogelschwärmen davon treiben können, damit sich nichts dem Frieden, dem ich anheim falle entgegenstellt.

Am vergangenen Wochenende in Nierstein fühlte ich mich schon in den Süden versetzt. Die Gesteinsfarbe der Brocken die überall zu Mauern aufgeschichtet sind, wird von lichtem Ocker beherrscht. Die lichten Gebäude heben sich von dem etwas bläulichen Bergflanken ab. Gegen all diese Romantik habe ich Zitkos „Kunstwelt“ mitgenommen.

Jetzt schon Nachmittagslicht auf dem Buch, ein paar Autos in der Ferne, einzeln ausmachbar. Das Licht macht die Schatten tiefer und die Farben satter. Seine Wärme erreicht meine rechte Körperseite.

Manche Stellen der Kiefernwälder sehen so verwischt aus, wie meine Zeichnungen. Das machen die fast waagerechten Schatten, die sie durch sich selber hindurch werfen. Oder er Wind kann die Konturen pustend nach Osten verschieben und dann auflösen. Die Tage sind etwas länger als in Frankfurt.

Energiezentrum im Fluchtpunkt


Noch in der Nacht schrieb ich am Tagebuch und hatte deswegen den gestrigen Vormittag dafür, den Rest der Pflanzen zurück zu schneiden und in die Regale vor dem westlichen Rolltor zu stellen. Das war der erste Schritt der Wintervorbereitungen in diesem Jahr. Als letztes werde ich noch dem Olivenbaum herein nehmen und das östliche Rolltor, wie in jedem Jahr, abdichten.

Am Nachmittag schlenderte ich, um Besorgungen zu machen, durch die Stadt. Bei dieser seltenen Begegnung mit der Frankfurter Innenstadt spüre ich meine Distanz zu ihr. Um diese bin ich froh, weil die Zusammenhänge, Wandlungen und die Möglichkeiten so besser zu erkennen sind.

Dann kann ich mich auch als Beobachter mit Abstand selber beobachten. Diese Selbstbezüglichkeit ist Teil des FRANKFURTER KRAFTFELDES.

Joey schreibt auf ihrer Weltreisenwebsite über Bangkok. Auch sie tigert durch die fremden Städte und kann nicht aufhören, sie gehend zu erkunden. Diesen Motor der Neugier kenne ich auch von mir.

Am Abend besuchten wir Lillys Premiere „Betty“, nach einem Roman von Georges Simenon, in der Box des Schauspiels Frankfurt. In ihr werden Traum- und Rauschsequenzen ineinander geschoben, die Reflektionen von Begebenheiten zeigen, die ein geheimes Gefühl umgeben. Die Preisgabe der Wahrheit liegt in einem Fluchtpunkt verborgen. Auf ihn laufen die Filmstreifen der aneinander gereihten Videobilder zu, überlagern sich dort und bilden das Geheimnis ab. Die verwischten Bilder des Übergangs vom Traum ins weiße Licht, sinken in das Unterbewusstsein und steuern das Leben am Tag. Das Bühnenbild mit den Videos erinnerte mich an meine verwischten Kulissenzeichnungen der letzten Tage.

Meine Sequenzen, die sich langsam verändern, laufen auch auf Punkte zu, in denen sie sich überlagern. Diese Konzentrationspunkte sind die Energiezentren des FRANKFURTER KRAFTFELDES. In der Skulptur sähe das so aus, dass sich dichte, weniger dichte und leere Dreiecke abwechseln.

Reliefs im Blick

Viel scheinbar Unaufschiebbares in zu wenig Zeit eingezwängt. Am späten Abend habe ich dennoch etwas mit den drei Figurensequenzen herumprobiert, um zu sehen, wo die nächsten Fehler auszumachen sind. Zunächst wollte ich mir darüber klar werden, ob sie in den richtigen Maßverhältnissen gezeichnet sind. Dabei bemerkte ich, dass es auf das Verhältnis vom Durchmesser der Rolle, die zum wiederholten Durchzeichnen der Motive benutzt wird, zur Kantenlänge der gleichseitigen Dreiecke ankommt. Gefühlsmäßig habe ich das im Fall der drei Sequenzen richtig eingerichtet. Bei der Weiterarbeit mit Vergrößerungen muss das allerdings noch wesentlich präziser werden.

Im nächsten Schritt ist zu überlegen, ob ich die Figuren im Originalmaßstab, also 1:1 entwerfe, um sie dann auf große Transparentpapierbögen als Sequenz zu übertragen. Das würde die Präzision schaffen, die als Vorlage für die Reliefs notwendig sein wird.

Noch bin ich nicht dazu gekommen, die Mail von Vinzenz zu beantworten, obwohl ich ihn gebeten hatte in Äthiopien GPS-Aufzeichnungen zu machen, um dann mit mir über diese Linien in Austausch zu treten.

Heute Abend hat Lilly mit „Betty“ Premiere, Morgen Abendworkshop mit Maj und Übermorgen Abflug vor dem Aufstehen.

Weil aber das Tempo immer mehr zunimmt, ist es nun gut, für ein paar Tage raus zu kommen. Blick aufs Mittelmeer…

Nach dem Kurzurlaub will ich mit dem Modellieren beginnen. Vielleicht kann ich den Einstieg für die Jugendlichen einfacher machen, wenn es schon Formen gibt, die sie mit Pappmache ausfüllen können. Somit können sie in verschiedene Phasen des Projektes einsteigen, wodurch die Arbeit etwas abwechslungsreicher wird. Außerdem haben sie dadurch einen besseren Überblick über den Verlauf der Arbeit.

Figurensequenz 3 | Schach

Gestohlen habe ich mir die Zeit für die dritte Figurensequenz des FRANKFURTER KRAFTFELDES. Die drei neuen Figuren sind der orientalische Zauberer mit seinem verpuppten Reittier zu seinen Füßen oder als seine Füße. Ihm fliegen ein paar Erinnerungen an Paisleymuster davon. Dem Zauberer folgt der gestikulierende Kreuzstabträger. Er ist ein Kentaur mit einem Barockmöbelunterkörper. Die dritte Figur ist mit einer fremden Kontur verbunden, die einerseits den Körper tief spaltet, andererseits aber die fehlenden Beine ersetzt. Alle drei durchdringen sich in der folgenden Überlagerung relativ gleichmäßig.

Nun kann ich ernsthaft beginnen, mit den Dreiecksmotiven zu arbeiten. Wenn sich die Figurensequenzbänder in die dritte Dimension dehnen, werden sich andere Überraschungen auftun und Möglichkeiten der Weiterverarbeitung. Ich bin froh, vor der Reise an diesem Arbeitsschritt angekommen zu sein. Weil sich ab jetzt trefflich spekulieren, ausprobieren und weiterdenken lässt, erhöht sich der Druck auf die Herstellung der Reliefdreiecke. Und wieder scheint der Startpunkt auf ein gutes Timing angewiesen zu sein. Ich erinnere mich, dass es beim ersten Kraftfeldrelief mit Vinzenz ähnlich spannend war.

Von ihm kam eine Mail mit einem Link auf den Blog des Institutes für Raumexperimente. Dort sieht man Vinzenz Schach spielend an einer Art ornamentiertem Brunnen sitzend inmitten von einheimischen Zuschauern. Auf einer Terrasse ist eine Buckminster – Fuller-Kuppel zu sehen, deren Dreiecke teilweise mit Sonnensegeln bespannt sind.

Offensichtlich ist die Klasse von Olafur Eliasson dort Gast der Kunsthochschule. Wo sie sich unter der exotischen Konstruktion Arbeiten der dortigen Studenten anschauen.

Ich habe gerade mein Projekt FRANKFURTER KRAFTFELD Simone und Abdessalam vom Internationalen Bund vorgestellt. Ich erzählte ihnen von den Voraussetzungen und versuchte sie von der längerfristigen Arbeit an einer gr0ßen Skulptur zu überzeugen, die Jahr für Jahr wächst und ergänzt wird. Das Entscheidende wird sein, wie ich die Jugendlichen für diese Arbeit motivieren kann.

Widerstand und Kubismus

Noch einmal sind wir in den Weinbergen am Roten Hang bei Nierstein unterwegs gewesen. Dort beginnt sich nun das Weinlaub zu verfärben. Ein Hochdruckgebiet machte den ganzen Raum warm und blau. Oft waren die Farben unwirklich. Wir versuchten uns in die Landschaftsmaler hinein zu versetzen, die angesichts der ineinander verschachtelten Hänge und Wirtschaftswege zu Kubisten werden müssten.

Auch von der Wasserfläche des Rheines aus wurde man von schräg unten beleuchtet und weiter erwärmt. Die Trauben, von denen viele noch an den Rebstöcken hängen, werden langsam bernsteinfarben. Das gesammelte und konzentrierte Licht des Sommers geht ins Bräunliche und die Süße, die dieser Farbe zugeordnet werden kann scheint die Zeit zu karamelisieren. Viele andere Spaziergänger schwelgten in diesem goldenen Oktober Trauben essend und in die weite des Stromes blickend, wie wir. An den Wegrändern liegen manchmal die verdrehten Reste alten Weinholzes, die an das Holz von bejahrten Olivenbäumen erinnert.

Gleich in der Nähe befindet sich die Autofähre, mit der man ins Hessische Ried von einem unspektakulären Rheinufer aus übersetzen kann. Somit haben wir nun einen einfacheren und kürzeren Autobahnweg in diese Gegend gefunden.

Am kommenden Freitag werden wir für eine kleine Woche ins Mittelmeer verreisen, um einen runden Geburtstag Barbara zu begehen. Ich muss daran denken, wie sich dieser Satz für mich vor vierzig Jahren angehört hätte. Das war noch vor dem Abitur. Alles schien festgefahren und zugenagelt zu sein. Ich war nur mit Widerstand beschäftigt und hatte dabei kaum Hoffnung auf Freiheit. Alle Strategien waren darauf ausgerichtet, das System, in dem ich lebte zu unterlaufen. Reste dieser Haltung sind immer noch im mir zurück geblieben. Im Auto diskutierten wir gestern über meinen Satz, dass Noten in der Schule nicht wichtig seien, und dass man nicht alle Spielregeln einer außer Rand und Band geratenen Eltern- und Lehrerschaft nicht mitmachen muss. Das denke ich mit Blick auf die Sachsenhäuser Bessermenschen – Gesellschaft.

FRANKFURTER KRAFTFELD, weitere Schritte

Während mein Gesicht noch im Schatten liegt, bekommt mein Haar schon Wärmewellen aus Sonnenlicht. Die ersten Blitze fahren über die Betonkante des Hauses, das im rechten Winkel das Quartier begrenzt, in meine Augen. Der großzügige Raum hinter den Häusern ist nur spärlich bebaut.

Während eine Hochzeitsgesellschaft auf Teves Bionade trank und sich gegenseitig mit meinem Einbaum fotografierte, zeichnete ich gestern an der zweiten Figurensequenz. Sie besteht aus dem König, an dessen Rohrenden immer neue Vasallen nachwachsen. Sein Volk wächst aus seinem Körper, wie die Knospen eines Rosenstocks. Die zweite Figur ist Herakles der Schwertmann, der statt Armen ein angewachsenes Schwert hat, das zwei längliche spitz zulaufende Durchbrüche besitzt. Er selbst scheint sich öfter damit verletzt zu haben, während „gelegentlicher Schläge gegen die Eigensubstanz“, wie sie in Müllers „Herakles II oder die Hydra“ beschrieben werden. Der Dritte im Bunde ist der Hirschmann mit großem Geweih. Ihm fliegt ein Baby zu, für das sein Körper einen Empfangsstutzen entwickelt und ausgefahren hat. So bekommt nun jede Figur im Nachhinein ihre Geschichte, die mir beim Zeichnen noch nicht klar war, die ich vielleicht nur geahnt hatte.

Die Lücken zwischen den überlagerten Formen sind nun etwas größer, und langsam sehe ich ein gut handhabbares Format vor mir, das ich bald modellieren kann. Dabei treffe ich wieder auf das Phänomen der kleinteiligen Überlagerungen, deren Rhythmen sich durch mehrmaliges Übereinanderzeichnen klären und zu funktionierenden Formenklastern zusammenwachsen. Der nächste Schritt sind dann weitere Dreiecke, bei denen sich das Figurenensemble langsam wandelt. Dabei fallen innerhalb der Sequenzen jeweils die Anfangsfiguren weg und neue kommen dafür hinzu.

Die Kantenlänge des gleichseitigen Dreiecks wird zwischen sechzig und neunzig Zentimetern liegen. Wie die Formenteile des Wien-Varanasi-Reliefs, kann ich dieses gut handhabbare Teil auf die Heizung stellen, damit das Pappmache schneller trocknet. Somit komme ich dann erst einmal zu einer Innenraumskulptur. Die Formate lassen sich auch zu einem größeren Wandbild zusammenstellen.

Figurensequenz | neuer Gesang

Eine fahle Morgenwärme, macht es möglich, auf dem Balkon den Rest der Sommermöbel in die Sonne zu rücken, das halbvoll geschriebene Tagebuch auf den Tropenholztisch aus Plantagenanbau zu legen, um schreibend den Geräuschen der Stadt lauschen zu können. Sie werden von einem kaum zu spürenden Südwind herangetragen, die schnarrenden Signale eines Baukranes, Hundegebell und der anhaltende Donner startender Maschinen. Fast wird es mir in meiner schwarzen Fleecejacke zu warm.

Im Atelier zeichnete ich eine neue Figurensequenz mit einer Pierrotfigur mit spitzer Mütze, einer geharnischten und von einem Riss durchzogenen Engelsfigur und dem tanzenden Hüter der chinesischen Tierkreises. Es entstand ein lockeres Geflecht, das sich dafür eignen soll, noch mit anderen Sequenzen diagonal überlagert zu werden. Diese Arbeiten muss ich gegen die Notwendigkeiten der Akquise durchsetzen, muss mir die Zeit dafür stehlen, auch die Konzentration und die Energie.

Die Blätter der Ahornbäume leuchten gelb, wärmen mit ihren Lichtwellenlängen das Raumbild. Elstern singen Stakkato in das Volumen der leichten Luftbewegung und den sonstigen Stillstand alles Vorherbestimmten.

Carola Schlüter gab gestern einen Liederabend, dessen Programm sie selber zusammengestellt hatte. Sie begann mit Zeitungsausschnitten op. 11 von Hanns Eisler. DADA und sozialistische Gedanken fügen sich in den kleinen Liedern zusammen und stellen auch eine Verbindung zu Brecht her. Es folgten weitere Vertreter der Neuen Musik von Schönberg bis Nikolaus A. Hübner.

Danach gingen wir mit Carola und Hans noch etwas trinken. Einen angenehmen Raum in der Innenstadt zu finden ist nicht ganz einfach. Aber die Gespräche mit den beiden geben und immer etwas Kraft und sollten öfter wiederholt oder fortgesetzt werden.

Die gestrige Figurensequenz bildete schon den Boden für die zwei weiteren. Die Zahlen Drei und Neun werden als Stützpfeiler ins Visier genommen. Nach der Dritten Sequenz wir eine weiterer entscheiden der Zwischenschritt folgen, ein erstes neues modelliertes Relief in Dreiecksform. Ich denke viel an Buckminster Fuller und Jasper Johns.

Romantischer Impuls

Im Lauf der Zeit, in der der Bäcker seine Waren auf dem Markt aus seinem Wagen heraus anbietet, hat sich seine Erscheinung verändert. Er ist aufgegangen, wie ein Gebäck im Ofen, glich sich gewissermaßen seinen Waren an. Diese leuchten in ihrem warmen Licht herüber bis auf meinen Schreibtisch. Somit ist der ganze Raum zwischen seiner Auslage und dem Ort meines Empfindens angefüllt mit der Vorstellung des Duftes und der Konsistenz der vielen verschiedenen Backwaren. Die Geschmacks-Kompositionen lösen wohlriechende Klänge aus. Sie bestehen beispielsweise aus Mohn in einem zu einer Spirale gelegten Teig und einem Zitronenaroma, das in der Zuckerglasur sitzt.

Schon beginnt sich ein Konzept zu etablieren, das diesen Raum mit einer musikalischen Vorstellung füllt, die auch die Farben und Gerüche der fallenden Blätter und das nervöse Hüpfen der Meisen im lichteren Geäst hörbar macht.

Der Impuls, all dies zu beschreiben und Strukturen für eigene Äußerungen daraus zu entwickeln, scheint mir eine gängige Arbeitsweise zu sein, die beispielsweise im Naturstudium der Romantik zu beobachten ist.

Ich weiß nicht genau, woher diese Selbstverpflichtung des Naturstudiums auf mich kam. Diese Art, sich mit der Natur in Verbindung zu setzen, habe ich etwa vor vierzig Jahren in Thüringen begonnen. Ich zog mit meinen Aquarellfarben und dem Block zwischen die Hügel und versuchte die Räume und deren Farben mit nach Hause zu nehmen. Später interessierten mich die Tristesse und die Pracht der Gärten. Gemeinsam mit dem Studium grafischer Techniken entstand ein Fundus von Sichtweisen, der durch die grafischen Ausdrucksmöglichkeiten bereichert wurde. Gleichzeitig konnte ich mich von der Natur entfernen und durch die neu gewonnenen Arbeitsstrukturen die inneren Landschaften beginnen aufzudecken. Nun bezeugt die Art des Umgangs mit dem Material die Haltungen zur Umgebung und entwickelte so erste bildnerische Höherpunkte meiner Arbeit.

In dieser Weise kann ich nun gleichsam in einem Waggon reisen, an dessen Fenster die Landschaften meiner Vergangenheit vorüberziehen, und dessen Geschwindigkeit und Richtung auf dem Zeitstrahl ich selbst bestimmen kann.

Sammlung

Das Treffen gestern machte deutlich, dass von all dem, was ich mir überlegt hatte, nichts benötigt wurde. Jedenfalls nicht für den Moment. Die Ausbildungsvorbereitungszustände sind sehr restriktiv und haben nichts mit mir zutun.

Am Nachmittag zeichnete ich im Atelier am FRANKFURTER KRAFTFELD weiter. Weil die Erfindung der Struktur eine schwierige Aufgabe ist, komme ich nur langsam voran. Und dieser Fortschritt hat meistens noch mit dem Aufdecken von Fehlern zutun. Einen wichtigen Punkt stellt die Dichte der Sequenzen dar. Diese, mit denen ich die Dreiecke bisher füllte, sind zu kompakt, um sie auch noch miteinander zu überlagern. Im nächsten Schritt werde ich mich also neuen Sequenzen mit weniger Figuren widmen.

In der Nacht überlegte ich ein Konzept für die Vermarktung meiner Transparentpapierzeichnungen und der dazugehörigen Objekte.

Die Form würde von Objektrahmen gefasst, in die man die Sequenzen hineinstellen kann. Durch den Abstand zwischen Glasscheibe und Rückwand, könnte man mehrere Zeichnungen hintereinander gruppieren, was der Transparenz zugute kommt. Die doppelwandigen Objekte mit gesammelten Artefakten können dazugeordnet werden, sodass eine kleine Installation in einem beschränkten Raum entstehen würde. Diese Kleinvitrinen nehmen den sammelnden Geist des neunzehnten Jahrhunderts auf und spielen zwischen den Sphären der Kunst und der Wissenschaft. Ein Jahr lang können beispielsweise zwölf Zeichnungen oder Objekte von Einzelpersonen gesammelt werden, die dann in vielen Variationen miteinander kombiniert in den Wohnungen hängen würden. Als Triptychon, in einer Petersburger Hängung oder auf verschiedene Räume verteilt, spiegeln sie die Intensität der Arbeit wieder. Außerdem ist es die Möglichkeit, die Verdichtung einer Sammlung auf kleinem Raum zu zeigen. Es handelt sich dabei um keine Edition, sondern um Originale. Alles hat einen intimen und privaten Charakter und somit seinen Preis.

Atmosphärischer Lichtraum

Das Erlebnis des natürlichen Lichtes liegt allem zugrunde, was wir mit Farben gestalten. Kurzfristig habe ich heute einen Gesprächstermin, in dem es um Berufsvorbereitung für Jugendliche gehen soll. Tatsächlich fällt mir dazu das sinnliche Erleben der Atmosphären der Natur, der Produktionsflächen von Lebensmitteln und der unterschiedlich verdichteten menschlichen Lebensräume ein. Lichträume und Lichtstimmungen sind mit vielen Bedeutungen aufgeladen, die die Stimmungen derer, die von Ihnen umgeben sind beeinflussen. In der Nacht, wenn das natürliche Licht weg fällt, verringert sich die Fähigkeit räumliche Dimensionen und Bedeutungen einzuschätzen. Der Übergang von der Finsternis in den Dämmerzustand des Erwachens scheint ein kritischer Moment des Unbestimmbaren zu sein. Die bedrohliche Note des Wortes Zwielicht entspricht dieser Wahrnehmung.

Ebenfalls anwendbar ist das auf die Lichterlebnisse der Hang Gänge. Die verschwenderische Helligkeit eines Sonnentags im Juni feiert die Kontraste, blendet die Nuancen aus. Differenziertes Schauen, genaues Verarbeiten des Gesehenen, findet bei gedämpftem Licht statt. Die Lichtflecken am Boden unter einem Baum sind unschwer wiederzugeben. Es gibt eine Fotoserie, in der Jugendliche auf einer liegenden Leinwand Lichtflecken nachzeichnen und dann mit Weißhöhungen und Farblasuren die Stimmung einfangen. Das Bild steht immer noch in meinem Atelier und wir sofort als das erkannt, was es ist, nämlich eine Lichtfleckenmalerei.

Mir ging durch den Kopf, mit Projektionen von verschiedenen zu Frankfurter Kraftfeld gehörenden Figuren mit Jugendlichen auf eine Wand, ein tief gestaffeltes kaleidoskopisches Wandbild schaffen zu können. Eine Dekorationsmalerei in bestem Sinne.

Ein anderes Hang-Gang-Lichterlebnis sind natürlich die Nebelbänke oder durch den Wald fahrende Wolken, die unterschiedliche Dichten haben, Lichtwechsel auslösen und verschiedene Blicktiefen erlauben. All dies kann im Wald thematisiert, fotografiert und dann in den Schulungsräumen nachempfunden werden. Das möchte ich meinen Gesprächspartnern heute vortragen und auf ihre Meinung dazu gespannt bleiben.

Horizontaler Lichtraum

Aus dem Atelier habe ich die Schaufenstersequenz mitgebracht und teilweise eingescannt. Das tat ich am Abend, als ich von Hang Gang zurück, noch eine Stippvisite auf dem Tevesgelände gemacht hatte.

Nach einer Warmfront, die uns in den nächsten Tagen erreichen wird, ist der jährliche Umzug des Gartens in die Orangerie fällig. Gestern besichtigte ich nur kurz die Lasurmalereien vom vergangenen Donnerstag und neue Graffiti am meiner noch roten Metalltür.

Am Hang hingen die Wolken zu meiner Freude tief. Ich fotografierte wechselnde Nebeldichten, Lichtstimmungen und Raumtiefen. Immer öfter entdecke ich Spuren der Mitgestaltung. Abgesehen von einer drapierten leeren Binding-Bierdose und einer Krombergerflasche auf der hellen Steinpyramide, finden sich auch subtile Formen des Eingriffs in die Waldlandschaft. Beispielsweise wurde ein recht großer roter Sandstein in ein am Boden liegendes Geäst geklemmt. Weil es einen nicht in Augenhöhe anspringt, kann man das leicht übersehen. Aber da er knapp über dem Boden schwebt, wird die tätige Absicht deutlich.

Zwischenzeitlich denke ich immer mal, dass die Einrichtung eins neuen Weges, der benutzt wird als eigentliches Ziel der Arbeit gut und gerne mit dem widerstrebenden Vandalismus leben kann. Denn das zu erlebende Licht, das an dieser Stelle des Forstes in einem bestimmten Winkel auf den Boden trifft, die Luftfeuchtigkeit durchdringt und vom Gestein reflektiert wird, tut es dort, wie an keiner anderen Stelle. Im aktuellen „Kunstforum“ schreibt Jürgen Haase vom natürlichen Licht als atmosphärischem Medium der Stadt.

In diesem Sinne erlebt die obere Lichtung am Ende des Weges die Einrichtung eines mikroklimatischen Raumes, in dem Licht und Wärme von gestapelten Ästen eingefangen werden. Chaotisch abgedeckte kleine Buchen werden wieder frei geräumt und der Pfad der Hirschkühe wird erneut betretbar. Diese Dramaturgie des Weges folgt einem romantischen Impuls. Der chaotische Forstabfallhaufen kommt der Ideallandschaft näher; geformter horizontaler Lichtraum.

Wegdramaturgie

In meinem Zimmer ist alles verfügbare Licht eingeschaltet. Keine zehn Grad draußen, viel Feuchtigkeit in der Luft. Mancher mit Rollkoffer oder Kind an der Hand bewegt sich schneller. Allenthalben dunkle Kleidung absorbiert noch mehr Licht, und schon wächst die Sehnsucht nach dem Tag, der die Lichtwende bringen wird.

Die Literaturbeilage neuer Sachbücher, die aus Anlass der Frankfurter Buchmesse in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen ist und so schön mit römischen Mosaiken ausgestattet wurde, habe ich mir beiseite gelegt und konnte heute einen ruhigen Blick darauf werfen. Viel Erzählfreude wurde auf Heldenepen aber auch auf alltägliche Kleinigkeiten verwendet. So gibt es in einer Römischen Villa das Beispiel eines Bodenmosaikes, das einen ungefegten Küchenboden zum Thema hat. Seeigel, Knochen, Muscheln, Nüsse, Krebsscheren, Schneckenhäuser, Beeren, Hühnerfüße, Kastanien usw. sind detailliert dargestellt. Bliebe der Boden tatsächlich ungefegt, wäre das eine Weile verborgen.

Bei meinem nächsten Hang Gang schwebt mir eine Reduktion der mittelgroßen Installationen vor. Umso mehr möchte ich mich auf eine Konzentration in den größeren Bauten, wie im oberen Stapel und der Steinpyramide verlegen. Im Kontrast dazu sollen viele kleine unaufwendigen spielerische Ideen umgesetzt werden, die das Ganze etwas auflockern. Somit kommt einer Dramaturgie des Weges eine größere Bedeutung zu. Alles wird fotografisch dokumentiert und mit den Zeichnungsfragmenten unterschiedlicher Techniken collagiert.

Die Frage dabei ist immer wieder, ob sich eine Grenzziehung zwischen Kunst und Dokumentation ohne weiteres machen lässt. Die gezeichneten Bilder dokumentieren auch nur einen Zustand des Bewusstseins.

Von Vinzenz gibt es seit einiger Zeit keine Nachrichten. Sicherlich ist er mit der Klasse von Olafur Eliasson bereits in Äthiopien. Joey hält sich gerade in Singapur auf oder ist auch schon in Neuseeland – die verstreuten Kinder.

Figurensammlungen

Vier Krähen versuchen im weißen Licht des Sonntagmorgens eine Tüte aufzubekommen. Sie streiten sich um deren offensichtlich nahrhaften Inhalt und achten dabei auf der gegenüberliegenden Seite der Allee nicht auf meine Blinkzeichen.

Wenn ich über die Enttäuschung nachdenke, die der Zusammenarbeit mit den Günestheater folgte, verbindet sie sich mit meiner nachlassenden Neugier auf die Erlebnis- und Erinnerungswelten der Migranten um mich herum. Der Impuls, lieber mit eigenen Figuren an das FRANKFURTER KRAFTFELD heran zu gehen, entspringen dem Pessimismus und der Skepsis, die diese Begegnung ausgelöst hat.

Mir selbst reicht die Figurensammlung, aus meinen fünf Transparent-papierrollen. Dort drinnen steckt noch viel mehr, das immer auch mit der Beschäftigung mit Wanderungsspuren zutun hat. So gesehen würden diese Figuren auch der Maßgabe des Projektes entsprechen. Die Vielgestaltigkeit der Motive würde durch eine Mischung von fremd und eigen erinnerten Figuren zunehmen.

Ein etwas zielgerichteterer Umgang mit den Rollbildern würde zu weiterreichenden Ergebnissen führen können. Mich beschäftigt in diesem Zusammenhang ein Vorgang auf den vielfigurigen Sequenzen, der damit zutun hat, die Anfangsmotive nach und nach wegzulassen und sie am anderen Ende des Streifens durch neue zu ergänzen. Dafür ist ein neues Vorgehen notwendig, weil die Figuren, die in ein enges Geflecht eingebunden sind nur schwer herauszunehmen sind. Leichter wäre es immer neue Streifen durch das Weglassen und Hinzunehmen herzustellen, die dann ineinander geschoben werden können.

Das ist aber alles eine Frage des Ausprobierens. In der kommenden Woche will ich mich näher damit beschäftigen.

G. hat meine Texte im Schaufenster gelesen und meint ich solle doch mehr schreiben. – Noch mehr!?

Raum | Figur | Welt

Im Projektraum Balken stehen Bilder von Deniz, die er für einen Berliner Galeristen gemalt hat. Ich habe mir mit Maj beim Räumen einige der großen Formate angesehen. Die Figurengruppen oder Einzelfiguren haben keinen konkreten Raum um sich. Das Verwischen lässt sie noch mehr in einem leeren Raum schweben.

Da nun die kleineren Bilder von mir auch dort oben stehen, ist erstmalig ein direkter Vergleich möglich. Meine konkreteren Figuren auf diesen älteren gemalten Bildern befinden sich meistens in einem klar definierten Raum. Fragmentarisch tauchte so etwas auch wieder in meinen täglichen Zeichnungen auf. Dieses Erscheinen läutet vielleicht wieder eine gegenständlichere Arbeitsphase ein.

Joey bin ich dankbar für ihre Weltreisenwebsite, auf der wir ihre Erlebnisse miterleben können. Ein Video von London hat sie rein getan und einen schönen Bericht über Dubai. Keine zehn Pferde würden mich dorthin zum Wohnen und Arbeiten zwingen. Aber es gibt Freunde von uns, die das scheinbar vorhaben.

Auf meinem Schreibtisch liegen die Figurensequenzen, mit denen ich das Frankfurter Kraftfeld ausprobieren will. Mangel an Konzentration und Zeit dafür, ließen die Arbeit in den letzten Wochen etwas stagnieren. Es ist viel kraft, die mir dieses Feld abverlangt. Etwas kann ich hier zu Hause mit dem Scanner herumprobieren. Das schult auch den Umgang mit diesem Material. Fast habe ich wieder Lust das Ganze mit eigenen Motiven zu machen, anstatt mühsam. Die Erzählungen von anderen zu illustrieren.

Mit Angela sprach ich auf dem Buchmessenempfang von Hoffmann und Campe über Namibia. Ich erzählte von meiner Einsamkeit in den grau glitzernden Wüsten und vom geheimnisvollen verlassenen Wlozkasbaken. Wie ich mich dort, wie überall in das Leben geworfen habe und selbstgebrautes richtiges Flaschenbier gegen Maisbier eintauschte, Slums besuchte und mit den Lehrern einer Schule sprach. Die Abstrakten und gegenständlichen Felsgravuren von Twyfelfontein.

Räumen | Sprechen

Die bunten Regenschirme machen das Wetter nicht schöner. So ein windloser, stur herabfallender Regen. Für B. habe ich auf meinem Musikmaschinchen „Not Dark Yet“ von Bob Dylan herausgesucht.

Es ist, als gäbe es an diesem Morgen drei Schichten von Wolken, als würde das Tief so wenig Licht wie möglich auf den nassen kalten Boden herablassen wollen. Am Ende ihres Falls wispern die Tropfen noch einmal und bilden dann unter den Autoreifen einen zischelnden Chor.

Um sieben Uhr am Morgen legte ich mein Tagebuch auf eine der Werkbänke und begann mich in den Tag zu schreiben. Und um sechs Uhr am Abend begann ich mit M. unsere Fundstücke in den Projektraum Balken zu räumen. Darüber hinaus trugen wir auch noch einige Bilder hinauf, um Platz für Neues zu schaffen.

Am heutigen Morgen erzählte mir B. von ihren Begegnungen auf der Buchmesse: Priya Basil, Ivana Seyko und Juli Zeh. Am späteren Abend gestern trafen wir uns auf dem Empfang vom Fischerverlag. Die Weinreinbringer entspannten uns. An diesem Abend habe ich lange angelehnt an die Außentreppe die vom Innenhof des Verlages in die Hochparterre führt mit Babette Stein gesprochen. Sie erzählte viel über neue Syrische Flüchtlingslager in Jordanien, über Ihre Erfahrungen mit den Slums Asiens. Babette ist einer der interessantesten Gesprächspartner, die ich habe. Entsprechend freue ich mich, wenn ich sie sehe.

Nun geht es gleich zum Vormittagsempfang bei Hofmann und Campe, wo der Campe-Preis auch in diesem Jahr verliehen wird. Er geht diesmal an Petra Roth.

Mit meinen Lehrlingen habe ich gestern begonnen, ein Bücherregal zu bauen. Eine sehr befriedigende und schöne Arbeit – gestern.

Bahngeruch

Am Morgen in der Holzwerkstatt bin ich ein wenig zu früh dran. Holzstaub in allen Ritzen. Der Geruch, die frühe Stunde – Schulgefühl der Kindheit.

Das Atelier ist mir derzeit zum Reinschauen zu voll. Das soll am Abend geändert werden. Neue Arbeiten brauchen auch etwas Raum, der eine Basis bietet in ihn hinein zu denken

Müdeunentschieden warte ich schon auf M., um mit ihr den Workshop zu beginnen. Ich will mit ihr den Bahngeruch aus Chemikalien, Öl, Holzschutzmittel und Teer heraus transportieren.

Wieder Erinnerungen an Zugfahrten zumeist in der DDR. Manche Gespräche mit Kommilitonen kommen mir in den Sinn. Damals schrieb ich manchmal, Sogar einen Text über das Bahnfahren zwischen Coswig und Dresden. Auch die täglichen Fahrten von Gotha nach Erfurt, oder die wöchentlichen von Coswig nach Meißen. Alles hatte mit Studien zutun und mit Lehrgängen, die ich anleitete. Der Geruch der Bahn, der Ölfarben, der Schulkreide…

Ein Paar, das demnächst heiraten will, hat mich im Atelier besucht, weil sie ihr Fest auf dem Tevesgelände feiern wollen und sich in meinem Einbaum fotografieren lassen wollen. Ein Gespräch über meine Arbeit das bis zur Frankenalleezeit zurück reichte. Das wird mich wohl als Thema hier nicht mehr verlassen.

Waldanfang | Tischritzenhorizonte

Die Schilfmatte bildet die erste Schicht hinter der Luft, die sich den Tagebuchseiten zart wirbelnd und fächelnd zuwendet. Dieser Lage folgt ein luftiges, altes Drahtgitter, das Gott sei Dank nicht der Sanierung der Fassade weichen musste. Aber schon kurz dahinter droht feuchter Schatten, tief von der kalt getränkten Erde aufsteigend. Noch zeigen sich zwischen den Horizonten der Holzritzen des Freilufttisches Spinnchen, die ihre winzigen Überwinterungsplätze einrichten wollen.

Manchen Käfer finde ich im Wald schon fast starr unter einem Stein ausharrend, des Überlebens kaum sicher. Die Waldspinnenbauten sind große Kunstwerke deren Eingänge wie überirdisch gesponnene Einflugschneisen locken. Monumentalität hat nichts mit Größe zutun, denn Größe ist relativ.

Gerade las ich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Schlagzeile: „Das Ende der Welt ist der Anfang des Waldes“. Dieser Gedanke gefällt mir natürlich, egal aus welcher Richtung man auf den Anfang oder das Ende trifft.

Ein kalter, klarer Abend, der mir ruhige Stunden einschenkt. B. besucht eine Lesung ihrer Autorin Priya Basil und trifft sich danach vielleicht noch mit ihr, aber später auf alle Fälle noch mit Janika Gelinek.

Ich ziehe es vor, den Abend fern von der Buchmesse zu verbringen, wenn auch nicht ohne Wein, vielleicht nachher im Pavillon gegenüber.

Mit den Lehrlingen sprach ich heute über das Lesen. Anlass ist, dass wir morgen beginne ein Bücherregal zu bauen, das auf eine Idee von R. zurückgeht. Eine halbe Stunde berichteten sie mir über ihre Leseerlebnisse und über das Lesen als Gewohnheit.

So eine geht und kommt manchmal, geht einher mit wechselnden Vorlieben des Lebens.

Abbau | Neu

Der Abbau der Ausstellung war nun in erster Linie eine Erleichterung. Mit dem Schaufenster fällt nun gewissermaßen eine Spielstätte für mich weg, in der ich einige Zeit zeichnend zugebracht habe. Am Ende wurde es mir auch so nahe an der Scheibe zu kalt. Die tiefen Nachttemperaturen saßen immer noch mit mir am Tisch.

Was ich mir vorgenommen hatte zu zeichnen, zeichnete ich nicht. Das Frankfurter Kraftfeld bestand in diesem Fall aus den verdichteten Tuschelinien, die das Geschehen der Kreuzung aufnahmen: Lärm, Bewegung, Vibration, gebeugte Menschen, Warnsignale…

Nun weiß ich nicht, ob ich an der Zeichnung weiterarbeiten sollte. Der Streifen ist so abgebrochen unfertig vielleicht das beste Dokument dieser Zeit.

Die Äste, mit denen ich den VW-Bus voll gepackt hatte, transportierte ich in unseren Projektraum „Balken“. Uns gleich formiert sich das Geäst im Raum neu und erhebt einen Anspruch auf Gestaltung.

Eigentlich wollte ich noch das Güterbahnhofeisen hinauf transportieren, war aber mit meiner Kraft schon am Ende. Vielleicht hilft mir M. am kommenden Donnerstag dabei.

Der diesjährige Preis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels würde im Römer an Ursula Kracht für einen Nachkriegsroman verliehen. Sie sieht sich als freischaffende poetische Anwältin der Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft. Mittlerweile fühle ich eher eine Nähe zu den älteren Autoren, als zu den frisch gewaschenen unter vierzig jährigen.

Buchmessenbetrieb. B. hat Termine und lädt mich mit zu den Empfängen ein. Diesmal habe ich weniger Zeit dafür. Der Fischerempfang am Donnerstagabend nach dem Workshop wird sicherlich möglich sein. Aber ob ich mit am Freitagvormittag die Preisverleihung an Petra Roth bei Hoffmann und Campe anschauen werden, weiß ich noch nicht.

Materialräume

Das Gestalten von Plätzen im Wald kommt nähert sich mir, meinem Arbeitsbegriff und meinem Arbeitsbedürfnis. Umso mehr, als ich für diese Woche voraussehen muss, dass ich kaum Gelegenheit haben werde dorthin zu gelangen, zieht es mich auf die neue Lichtung.

Ausstellungsabbau heute im Schaufenster. Das Holz aus dem alten VW-Bus will ich in dem Projektraum lagern. Dafür muss ich Deniz etwas einschränken.

Nach dem Wochenende liegen Berge ungelesener Zeitungen herum. Sehr schöne Seiten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit Mosaiken der Römerzeit, will ich mir doch aber länger anschauen, mich vielleicht hineinfühlen in sie… Keine Zeit, Last der Bilderflut, des selbst aufgebürdeten Arbeitspensums. Dennoch entsteht in meinem Atelier kaum Müll. Es herrscht leichtes Material vor: Transparentpapier, Tusche und manchmal Schelllack. Dennoch ist Intensität und Konzentration, Verdichtung und Vielschichtigkeit vorhanden.

Ich denke an die Lasurmalerei, die ich mit M. beginnen will. Auch da will ich den Materialaufwand minimieren. Keine dicken Rahmen mit Leinwand bespannt. Eher wieder Materialien, die sowieso vorhanden sind: Dünne Papiere grundiert oder ähnliches.

B. kam gestern von einer Premiere in Hannover zurück. Bevor ich sie vom Bahnhof abholte, ging ich etwas im kalten Wind am Main spazieren in der Wechselwärme des unsteten Lichtes. Nachmittags noch einmal eine kleine Runde. Vom Eisernen Steg aus wird nun der Blick nach Norden von dem Neubau der Europäischen Zentralbank beherrscht.

Mit den Lehrlingen möchte ich ein Bücherregal bauen, das zunächst mit Bücherspenden von uns gefüllt werden soll. R. hatte die Idee von einem Bücherschrank im Freien. Das fand ich aber zu kompliziert und lenkte das Projekt auf die Schulungsräume vom Internationalen Bund um.

Lichtung | Kreisbogen

Schon gestern Nachmittag im Wald begann es zu regnen. Das alte Kleinholz, mit dem ich baue war glitschig, weil sich die Algen an seiner Oberfläche mit Wasser vollgesogen hatten. Nun setzte ich das um, was ich mir beim letzten Hinabgehen vorgenommen hatte, baute also einzelne Installationen ab, die mir nicht mehr gefallen hatten. Das übrige Material benutzte ich dann zur Kräftigung anderer benachbarter Bauten. Der Vorgang kommt einer Konzentration gleich, die ich auch noch weiter treiben will und werde. Somit strebe ich eine allgemeine Verbesserung der Qualität und eine andere Ernsthaftigkeit der Arbeit an.

Der Nebelregen gestern am Hang ließ wieder reizvolle Fotostimmungen aufkommen. Länger schaute ich mir die neue Lichtung am oberen Ende des Weges an. Die herumliegenden Äste inspirieren mich zu einem Kreis oder zu einem Stück Kreisbogen. Es könnte am nördlichen Rand des neuen Platzes sein und so die Mittagssonne einfangen, die nun Raum hat, auf den Boden zu gelangen. Vielleicht lässt sich auf diese Weise eine Art Mikroklima herstellen, das auch eine Aufenthaltsqualität hat. Die abgeschlagenen Äste bedecken derzeit wild den Boden und zerstören eher den Eindruck eines schönen Platzes. Schaffe ich aber einen Raum für die Wärme und für das Licht, bekommt der Begriff Lichtung Unterstützung. Größere Holzstücke, die noch herum liegen kann man dann ebenfalls nutzen.

Es ist erstaunlich, wie ich nun doch eine Nutzung des Weges durch andere Passanten forciere. Die Waldmaschinen haben schon durch den Abtransport der Stämme einen sichtbaren Zugang zum Lichtungsplatz hergestellt. Es stellt sich ein Zusammenhang zur benachbarten Spirale her, die ich immer um einen Stein gelaufen bin. Ein neues Raumgefühl erzeugt eine Kraft, weiter an dieser Stelle zu arbeiten. Hier zu Hause denke ich intensiv darüber nach und sammle weitere Möglichkeiten der Gestaltung.

Die Steinpyramide am ersten Weg weiter unten, beginnt nun immer heller zu leuchten. Ich trage sehr helle Steine aus meinen Gruben oberhalb hinab zu dieser Stelle. Dort türme ich sie nach und nach zu einem strahlend weißen Steinhaufen. Auch das ist Kommunikation mit Passanten.

Puritanismus, Vergnügen und Lasurmalerei

In einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung spricht Salman Rushdie von einer angstvollen Reaktion, wenn Politiker die Meinung vertreten, aus Respekt vor einer anderen Kultur Meinungsäußerungen zurückhalten zu müssen. Er schätzt die Meinungsfreiheit als so hohes Gut ein, dass es sich lohnt, dafür zu kämpfen. Den Frontverlauf der Auseinandersetzungen macht er zwischen Vergnügen und Puritanismus aus. Er meint, die Puritaner lebten in der Angst, irgendjemand könnte einfach glücklich sein. Alles, was vergnüglich ist, wird zum Feind erklärt: Miniröcke, Rock`n Roll und Skulpturen. Beim Internationalen Bund bin ich manchmal mit islamistischen Jugendlichen konfrontiert. Sie scheinen eine Argumentationsausbildung zu genießen und werden allem Anschein nach dazu angehalten, zu missionieren.

Gestern hatte ich meine letzten Stunden zeichnend im Schaufenster. Im Nachhinein finde ich den dreifüßigen Schemel mit runder Holzsitzplatte, auf dem ich die vier Wochen gesessen hatte, etwas zu unbequem. Daher rühren wahrscheinlich die latenten Rückenschmerzen, die ich den ganzen Monat hatte. Auch die Temperaturen nah an der Scheibe waren zu niedrig. Aber die Zeichnung, die in den vier Wochen entstanden ist, gibt die Dichte der Situation wieder.

Weiterarbeit am Frankfurter Kraftfeld gestern. Es entstanden weitere Kombinationen der Figurensequenzen. Es entsteht eine Ahnung, wie es gehen kann. Wie aufwendig das Objekt werden kann, hängt davon ab, welche Finanzierungen ich dafür finden kann.

Am Montag nach dem Abbau der Ausstellung, werde ich beginnen, den Projektraum auf Teves auch mit meinen Dingen zu füllen. Ausgangspunkt wird das Material sein, das ich in dem gelben VW-Bus von Schulz & Souard installiert hatte. Dazu kommen dann noch Artefakte, die wir auf den Gleisbettenexpeditionen gesammelt hatten. Die größeren Objekte würde ich gerne dort lagern. Alles andere kann in Kartons.

Und dann kann man am Donnerstag feierlich mit der Lasurmalerei beginnen.

Bezüge von Arbeitsweisen

Vergleichweise vieles meiner Arbeit findet derzeit draußen statt und ist gleichzeitig körperlich anstrengend. Nicht nur die Waldarbeit, sondern auch das Zeichnen im kalten Schaufenster oder die Gänge mit M. über die alten Gleisbetten des ehemaligen Güterbahnhofes, wo wir auch gestern wieder unterwegs waren. Mir ging es insbesondere um Fragmente einer blauen Porzellanmalerei, die zwischen Schlacken und Abrissschutt zerbombter Häuser vergraben ist. M. interessierte sich für die langstieligen Pinsel. Mit denen die Bahner aus selbst gemachten Henkeldosen die Weichen schmierten. Und wir fanden natürlich noch mehr, was unseren Rückmarsch wieder beschwerlich machte. Nun liegt aber viel Material auf dem Tisch, das arrangiert werden kann. Dabei finde ich die Dokumentation des Ganzen und die historischen Bezüge zur Arbeitsweise als besonders beachtenswert. Der Gestus des Anordnens beispielsweise, der die Artefakte in eine Ausrichtung bringt, die einer besonderen Form eines Erkenntnisprozesses folgt, verweist immer noch auf den Hang zu einer Geste der Aufklärung, wie Linien, Zeilen Regale, Kästchen, die heute noch die Museen durchziehen. Diese Zeitreise führt zu weiteren Arbeitsweisen, wie der lavierten Zeichnung zum Zweck der Dokumentation bis hin zur Lasurmalerei, Königsdisziplin und Paradies zugleich. So ist nun eine neue Seite aufgeschlagen…

Am Nachmittag probierte ich mit den Motivsequenzen für die Pyramiden oder Dreiecksgittergestaltungen des Frankfurter Kraftfeldes herum. Es geht zeichnend scheinbar langsam voran. Aber ich verzichtete auf Scanner und Drucker, weil beim wiederholten Durchzeichnen Abstraktionen und Stilisierungen entstehen, die das Auge für die Entwurfsarbeit des „Ernstfalles“ schulen. Ich bemerke so auch eher den Grad der Motivdichte, der sich für die plastische Weiterarbeit am besten eignet. Das ganze muss natürlich auch mit der Größe der Dreiecke austariert werden. Zur Zeit schwebt mir ein Gitternetz vor, das nur teilweise von Dreiecken besetzt ist Vielleicht sind auch manche Motive vollplastisch fliegend mitten im Netz zu sehen.

Kompakter und kraftvoller

Erstmals hat mich im Wald jemand angesprochen, um mich zu fragen, was ich da tue. Ich hatte den Gang bergauf hinter mir und baute am dem Objekt auf der neuen Lichtung, als ein Mann über das ganze abgeschlagene und herumliegende Holz auf mich zusteuerte. Bei einer solchen Begegnung im Wald kommt es ja zunächst zu einem Blickkontakt. Ich hielt also in meiner Arbeit inne und wandte mich dem Mann zu. Er meinte dann, dass er so etwas noch nie gesehen habe und ob das Kunst sei, was ich da mache. Ich war zunächst etwas vorsichtig, um auszuschließen, dass es sich nicht um jemanden vom Forst-, Umwelt- oder Ordnungsamt handelt. Die kindliche Neugier aber in seinem Gesicht schloss aus, dass er mir das Leben schwer machen wollte. Sein tieferes Interesse forderte mich dann heraus, ihm die ganze Geschichte in Stichworten zu erklären. Ungewohnten Schrittes querwaldein stolperte er und fiel im Davongehen. Das tat mir leid.

Dieses Objekt weit oben wird größer und kompakter. Dadurch bekommt es eine andere Qualität, sie es von allen anderen Bauten unterscheidet. Und beim Hinabsteigen erschienen mir viele der alten Figuren als unambitionierte Herumsteher. Das sind bei weitem nicht alle. Besonders aber eine wirre Spannungslosigkeit störte mich bei vielen. Kraftlosigkeit macht sich bei ihnen auch mit zunehmendem Alter bemerkbar. In sich stimmig sind oft kleineren und sparsamen Konstruktionen, die mit wenigen Handgriffen entstanden sind. Wenn mir das Ganze weiterhin Spaß machen soll, muss ich einiges ändern! Zugunsten einiger Figuren könnte ich schwächere abbauen und das Material anderen Konstruktionen zukommen lassen.

Dennoch frage ich mich, wo genau die größere Kraft des neuen Stapels herrührt.

Eine Verfilmung des Romans „Der Turm“ von Tellkamp wurde passend zum Tag der Deutschen Einheit ausgestrahlt. Das Bild der DDR-Gesellschaft kommt meinen Erinnerungen ziemlich nahe. Die Phrasendrescherei, das Stillhalten… Aber das ist alles nichts Neues. Vielleicht wäre die differenziertere Ausleuchtung dessen, wie unterschiedlich die einzelnen Charaktere mit der Situation umgehen, spannender gewesen.

Dreidimensionale Sequenz

Der immer noch neue Feiertag ist einer, an dem ich nun endlich mal richtig in Ruhe arbeiten kann. Über den gestrigen Arbeitstag kann ich mich allerdings nicht beschweren, denn nach den Tagebuchzeichnungen am Morgen habe ich noch viel im Schaufenster auf Transparentpapier gezeichnet und am Nachmittag im Atelier mit der Vorbereitung einer dreidimensionalen Sequenz ernst gemacht.

Vielleicht kommt die vorsichtige Figürlichkeit unter den Verwischungen des Tagebuches ja von der unablässigen Beschäftigung mit Figuren innerhalb der Schaufenstersequenz. Ihr schneller erster voranschreitender Strich, der sich nicht kreuzend und ohne Unterbrechung vorwärts strebt, erzeugt durch diese Vorgaben ornamentale Bereiche, die mit dem Raum den sie umschreiben immer auf die figuralen Linien der Nachbarschaft reagieren. Im kristallinen Zusetzen der Flächen im zweiten Arbeitsschritt, gibt es einen ähnlichen Vorgang, den ich im Atelier noch weiter untersuchen kann. Es reizt mich sehr, diese Sequenz nun bald endlich bei mir zu haben, damit ich mich nicht nur während der bemessenen Zeit im Atelier mit ihr beschäftigen kann, sondern sie mir aufs Fensterbrett vor dem Schreibtisch zu stellen, wo ich sie oft in Ruhe anschauen kann.

Eine wirkliche Herausforderung stellt die Kombination dar, mit der ich drei Überlagerungssequenzen aus drei Richtungen übereinander legen will, um Anschlüsse an allen drei Seiten eines Dreiecks zu bekommen. Damit kann eine unregelmäßige Dreiecksgitterskulptur aus gleichseitigen Dreiecken entstehen, um die die Motive herumwandern können. Wenn die Skulptur im Freien stehen soll, dann kann ich versuchen die Formen mit dem Material auszugießen, mit dem Glasfaserboote gegossen werden. Wie eine Oberflächenstruktur genau abgebildet werden kann, muss ich erst probieren. Die Formen allerdings sollten sehr standardisiert, genau und stabil sein. Am besten wäre ein Metallrahmen, der präzise ein gleichseitiges Dreieck umschreibt…

Je nach Dauer der Arbeit wächst sich das Ganze zu einem Erinnerungsraum aus. Würde ich dieses Projekt ernsthaft angehen wollen, brauchte ich mehr Unterstützung als nur die vom Internationalen Bund.

Gefrorene Figürlichkeit

Im Schaufenster beim Zeichnen warte ich auf den entscheidenden Moment, der sich durch die Kristallisation statt einfacher Überlagerung noch herauszieht. Die Dreiecksgitterstrukturen vom TRIXEL PLANET nehmen derzeit wieder etwas mehr Arbeitsraum ein. Die Schaufenstersequenz kippte von ganz alleine von der flüssigen Überlagerung in die kristalline Struktur, als gefrören die Bewegungen der Figuren noch einmal.

Vor dem Atelier saß ich noch einmal in der Sonne und probierte mit den Holzstäben der Dreiecksgitter herum. Ich möchte die grafische Überlagerungsstruktur der Erinnerungsbilder damit verbinden. Sie werden in Streifen aus drei Richtungen aufeinander treffen. Die Verbindung mit der Dreidimensionalität ist so komplex, dass ich ein paar Tage Ruhe möchte, um das heraus zu bekommen. Aber langsam komme ich der Sache schon näher.

Die Figürlichkeit der Schaufenstersequenz und die des FRANKFURTER KRAFTFELDES übernehmen derzeit die Haupthandlungslinien der Arbeit. Die Übergänge von Figürlichkeit zur Abstraktion und vom Fluiden zum Kristallinen sind dabei die spannendsten Felder. Ich betrachte diese Brücken, als spiegelten sich die assoziativen Sinnzusammenhänge der Texte von Elfriede Jelinek wieder, deren „Faustin and Out“ wir gestern im Schauspiel sahen. Von Gretchen über Fritzl, den Vergewaltiger seiner eigenen Tochter, bis hin zur Supermarktregaleinräumerin, die wegen eines abgelaufenen Puddings gekündigt wird, werden Frauenschicksale miteinander verknüpft. Die zwei Schauspielerinnen loten die Abgründe und Untiefen des Textes mit einem grausamen Humor aus.

Morgens im Schaufenster ist es kalt. Mancher blickt mir aufs Papier, Radfahrer verkurven sich und manche schauen fest vor sich. Eiligkeit fast ohne Spielraum.

Zeichnungsvergleich | Pyramidengerüst

Vor mir auf dem Schreibtisch habe ich Tagebuchseiten aufgeschlagen, die ich genau vor einem Jahr geschrieben und gezeichnet habe. Damals saß ich noch im offenen Tor des Ateliers und schaute erwartungsvoll der Wintersonnenwende entgegen. Die Zeichnungen von damals haben schon viele klare Formen in sich, auch wenn sie nicht gegenständlich sind. Zu den jetzigen Zeichnungen hin, hat sich beim ersten Hinschauen nichts Augenfälliges verändert. Das Auftauchen konkreter Figürlichkeit beinhaltet auch noch keine grundsätzliche Änderung. Veränderung kann auch nur in weiterentwickeltem Sinn aus der wachsenden Erfahrung mit den zeichnerischen Mitteln erwachsen. Durch diesen Focus betrachtet unterscheiden sich die Zeichnungen doch.

Aus Anlass der Inszenierung von Faust I habe ich mir den Scorsese – Film „Shine a Light“ über ein Konzert der Rolling Stones in New York angesehen. Gleichzeitig merke ich, wie die Inszenierung von Faust II, trotz aller Qual während des Anschauens, noch mit mir spricht.

Und gerade noch rechtzeitig, wenn die Bilder noch gegenwärtig im Hirn sitzen. Sehen wir heute Abend in der Dekoration von Faust I Elfriede Jelineks Stück „Faustin and out“.

In der Nacht unterwegs, fahre ich des Öfteren an meinem großen, beleuchteten Ausstellungsfenster vorbei. In der nächsten Woche werde ich abbauen und dann auch die Schaufenstersequenz fertig gezeichnet haben.

Am Morgen dachte ich wieder über Pyramidenlösungen nach, mit denen ich das Frankfurter Kraftfeld umsetzen kann. Immer mehr denke ich an eine Struktur, die einfach und spontaner wachsen kann, aus Pyramiden besteht, aber selber keine Pyramide wird. Ein Gerüst, an dem man weiter schweißen kann, dass immer bereit ist, weitere Motive aufzunehmen.

Figuren | Muster

Ganz vorsichtig tauchten gestern Figuren in den Zeichnungen auf. Durch die weitere Überarbeitung verschwanden sie dann fast ganz, sind aber dennoch unter den verwischten Schichten vorhanden. Auf der nächsten Seite ist eine durchgedrückte Spur im Papier zu sehen, die ich mit Chromoxydgrün schraffiert habe, damit sie deutlicher zutage tritt. Von einer Sehnsucht nach Figuren zu reden, wäre zu dramatisch und zu früh. Es geht auch eher um Konkretion und klare Formen unter und neben den Verwischungen, mit denen ich mich nun schon seit Jahren beschäftige.

Direkte Sonnenstrahlen beleuchten die Baumkronen auf der Allee. Mir kommen dabei Munchs Beschäftigung mit dem Licht und neuere Teilchenforschungen in den Sinn. Demnach verhalten sich Teilchen in ihren musterbildenden Überlagerungen ähnlich wie Wellen. An dieser Stelle verboten sich die Physiker auf der Documenta das Weiterdenken. Der anrührendste Beitrag auf der diesjährigen Großausstellung für mich.

Das Licht bleibt an diesem Morgen, der von Meisen durchflattert wird, im Baum. Andere Vögel versuche ich mit Hilfe des Fernglases zu identifizieren. Sie springen aber so schnell ohne erkennbares Muster hin und her, dass ich sie immer wieder aus den Augen verliere.

Im Schauspiel gestern Faust I und Faust II. Was man von vornherein als bildungsbürgerliches Halbtagesvergnügen erwarten mochte, entpuppte sich im ersten Teil als kurzweiliges Schauspiel. Ein popartistisches Vergnügen das Ganze. Die Band spielte „Sympathy for the Devil“, während Mephisto Gitarre spielte wie Keith Richards und tanzte wie Mick Jagger. Ich erinnerte mich an die Siebzigerjahre, an den Beatschuppen in Eisenach und an meine Figur des Samiel in den Neunzigerjahren. Ein verwinkeltes aus vielen Dreiecken bestehenden, schwer zu bespielendes Objekt auf einer Drehbühne war Projektionsfläche für die aufwendigen Animationen und Filme des Videokünstlers. Der zweite Teil ist von einem völlig anderen Team gemacht worden. Das war ein Abstieg in die Unwägbarkeiten dieses späten Textes, von dem die Schauspieler alleine gelassen werden. Was soll man da spielen…

Laser im Wald

So lange sich die Verdichtung, die die Lärm-, Bau- und Verkehrssituation vor dem Schaufenster, auf der Transparentpapierrolle nicht wenigstens an einigen Stellen schwarz zusetzt, solange hat die gerollte Sequenz noch zu viel Banalität in sich. Die Kommende Woche ist meine letzte im Schaufenster. In dieser Zeit werde ich diesen Qualitätsschritt zeichnen. Die derzeitige Situation ist an einem toten Punkt angelangt, der nur durch Weiterarbeit überwunden wird. Im Schaufenster wird es kälter, die Leute vor der Scheibe haben es eiliger.

Selbst die Krähe, der ich mit dem Spiegel Lichtzeichen zumorse, wendet sich von mir ab, ihr schwarzes Federkleid mir den Rücken zu, um sich ungestört der morgendlichen Mahlzeit zuzuwenden. Vielleicht handelt es sich wieder um eine getrocknete überfahrene Ratte, wie vor einiger Zeit. Seit dieser Beobachtung ist meine Phantasie, den näheren Umgang mit diesen Tieren betreffend, etwas eingeschränkt. Erinnerung an die schöne Terrasse mit den gedeckten Tischen in Cochi am Gezeitenstrom einer großen Flusseinmündung. Unter dem Steg trieben tote Hunde vorüber, von denen die Krähen fraßen und danach auf die Tische sprangen um ihre Schnäbel in die Zuckerdosen zu stecken.

Aus dem Unterschied zwischen dem relativ geringen Zeitaufwand der Zeichnung von neuen Straßenszenen und dem langwierigen Verfahren der Verdichtung, die in diesem Fall in eine Kristallisation mündet, entsteht ein produktives Spannungsverhältnis.

Im gestrigen Hang Gang durchstieg ich wegen der wenigeren Zeit, die ich hatte den Weg zügig. Unterhalb des ersten Weges habe ich drei flache Steine so in drei Bäumen installiert, dass sie einander einen gedachten reflektierten Strahl zusenden könnten. Man könnte das in der Nacht mit drei Spiegeln und einem Laser probieren. Es müsste eine feuchte Nacht sein, mit vielen Wassertröpfchen in der Luft. So könnte man auch den ganzen Weg von Installation zu Installation gestalten.

Oben angekommen, habe ich an dem neuen Lichtungsstapel weitergebaut, der so kompakt wird, wie keine andere Figur vorher. Die frischen abgeschlagenen Äste reizen mich zu einem neuen geschwungenen schlangenartigen Bauwerk, das wie ein Wall den neuen Raun durchmisst.

Rote Mütze | Reisen

Die rote Baseballmütze des Brötchenlieferanten, unter der langes krauses Haar hervorquillt, erinnert mich an meine Brasilienreisen, während derer ich vom Movimento Trabalhadore sen Terra eine ebenso rote Mütze geschenkt bekam mit dem Emblem ihrer Organisation. Mit einer Empfehlung von Roland Schaffner bin ich dann durch die illegalen Dörfer des MST gefahren, wurde als Sympathisant erkannt und zu Fahrdiensten eingesetzt. Die dicht vollgeschriebenen Blätter, die ich als Fax an Barbara schickte waren ein Lebenszeichen von mir, aber auch ein Ventil, so viele Erlebnisse loszuwerden. Ich sollte mal diese Tagebücher heraussuchen, die die Zeit der Trennung vom Theater einläuteten. Kürzlich sagte ich zu Barbara, dass ich in der Zeit, wenn ich nicht mehr Geld verdienen muss, wieder auf Reisen gehen will.

Gestern ist Joey auf ihre Weltreise gegangen. Sie will in Neuseeland und in Südostasien beginnen und richtet für all ihre Lieben und Bekannten einen Videoblog ein.

Kostas, der Pavillonpächter kauft einen großen Beutel voll Brötchen bei der Marktbäckerei. Kürzlich am Abend bei einem Wein, hörte ich seiner melancholischen Bouzouki zu. Manchmal gibt es solche kleinen Anläufe von mir, das Viertel neu zu entdecken. Auch die Beschäftigung mit den alten Güterbahnhofsgleisen trägt mit dazu bei.

Gestern schliff ich einen rostigen Brocken einer großen mit einem Schweißbrenner zerschnittenen Schraube etwas an. Ich war erstaunt, wie schnell sich glänzende Kämme über den dunklen schrundigen Schluchten bildeten. Im Workshop versuche ich Herangehensweisen an die Materialität dieser Fundstücke zu vermitteln. Ich versuche dabei nachvollziehbar auf meine Erfahrungen zurück zu greifen.

Eisen | Pflanzen

Jetzt im Atelier nicht mehr im offenen Rolltor. Ein paar Grad Celsius weniger draußen kippen die sommerliche Stimmung. Auf dem sich langsam auflösenden Beton stehen große Wasserpfützen. Die ehemals glatt gezogene Fläche verwandelt sich in eine erodierte Landschaft. Ich habe Lust, Pflanzen anzusiedeln, die den Beton aufsprengen. In die Vertiefungen ließe sich schwere Erde einstreuen, die man immer mal feucht halten müsste. Alles andere ginge von alleine.

Draußen bläst die Sonne ihre Teilchen gegen die finstere Mauer einer abziehenden Regenwolke. In die Mattigkeit des späten Jahres drängt eine dramatische Lichtstimmung. Kaum noch Kraft, die Blätter zu halten, tun die Bäume alle noch so grün. Darein greift der Wind, der den Winter will.

Mir schwebt eine Verbindung des Bahnschrottes mit den zarten Pflanzen der Schotterflächen vor. Die anderen Pflanzen, die dort Fuß fassen werden, bilden in den nächsten Jahren einen Wald, dem die Steppe weichen wird. So ist es in unseren Breiten.

Die Frage, was der graubraune Stift mit meiner derzeitigen Stimmung zu tun hat, beantwortet ein sehnsüchtig klingender Pfiff einer kleinen Rangierlok, der von dem weiten Gleisfeld des Hauptbahnhofes kommt. Erinnerung an die Durchsagen aus den Flüstertüten des alten Güterbahnhofes, die Chiffren des Dispatchers (ein Wort das auch verschwunden scheint), die schnarrend zwischen den klingenden Waggons verhallten. Der Abrollberg ist abgetragen. Die Halden decken den Schutt auf, mit dem er nach und nach erweitert wurde. Zusammengestürzte Häuser, wo zwischen den Steinen das zerborstene, zermahlene Geschirr mit blauem Blumenornament hervorleuchtet.

Zwischen blanken Hügeln

Mittwoch, später Nachmittag am Schreibtisch. Es gibt immer die tröstliche Option, zwischendurch einen Schluck Wasser zu trinken.

Auf meinem Fensterbrett hat sich die Patchoulipflanze breit gemacht. Ihre Temperaturempfindlichkeit und der kalte Sturm passten nicht zusammen. In einem Tonteeschälchen, das die Inder nach einmaligem Gebrauch zertrümmern, sammle ich die herabgefallenen braunen Blätter, trockne und zerkleinere sie. Diese Sammlung duftet etwas schwer und staubig.

Neben meinem Buch liegen viele der kurzen abgenutzten Aquarellstifte. Die Stapel der Zeichnungen wachsen, die in den Lücken zwischen den Texten entstehen. In den Lücken zwischen den Zeichnungen entstehen die Texte. Das einzige Stück Kunst, das heute entstand, wuchs in Lücken.

Unordnung von ausgedruckten Texten, Notizen, Mappen und Tuschekristalllabyrinthen, die stets neu trocknen. Die Erneuerung der Zellen schreitet nicht mehr so schnell voran, aber der unausbleiblichen Leere entgegen, die dennoch immer schneller hinausgezögert werden soll.

Die Benennung von Pflanzen mit jungen Leuten auf dem Tevesgelände. Sie kennen nichts, nicht einmal Hagebutten und schrieben ihr neu erworbenes Wissen auf. Formen der Blätter, Art der Rinden und des Holzes und viele Namen, die sie nie gehört zu haben schienen.

Korrodiertes Eisen von den warmen Schotterflächen packte ich auf einen Tisch im Atelier, um es morgen unter die Lupe nehmen zu können. Ich stelle mir blank geschliffene Hügelketten zwischen den dunklen Kratern vor. Die Schotterflächen speichern nicht nur Wärme, sondern auch die Erinnerungen der eingeschleppten Samen in Form ihrer DNA. Ich Erinnere mich an die glitzernden Steinwüsten im Süden von Afrika.

Sturm | Dreiecke | Hanuman

Während dunkle Wolken und Wärme dicht über und durch die Stadt zogen herrschte gestern zeitweise Sturm. Im offenen Tor des Ateliers flogen mir die Blätter weg und das System dreiseitiger Pyramiden für das FRANKFURTER KRAFTFELD kam ins Wanken. Die Aneinanderreihung der Pyramiden verhält sich natürlich genauso, wie meine Dreieckskonstruktionen mit den gleichlangen Holzstäben. Die Oberfläche der dreiseitigen Pyramide lässt sich ohne weiteres mit gleichseitigen Dreiecken einteilen. Ihr Innenleben allerdings folgt dann anderen Gesetzen. Es gibt nun eine Reihe von Möglichkeiten das Problem zu lösen. Am besten lässt sich das nun mit den Holzstäben probieren und später dann auch mit geschweißten Konstruktionen.

Etwas Zeit konnte ich gestern noch für das Zeichnen im Schaufenster reservieren. Diesmal war ich warm angezogen und ganz konzentriert auf die dichten Kristalle, die aus der Tuschefeder flossen. Außerdem legte ich eine weitere Transparentpapierrolle aus, die sich mit Formationen des Counterpoint Tools von den synchronisierten Objekten der Motion Bank und den „Synaptischen Kartierungen“ beschäftigt. Auch die Wiener Rolle habe ich nun eine Sequenz weiter gerollt, die nun Hanuman in manchen Verstrickungen zeigt.

Die kristalline Verdichtung der Schaufensterrolle geht mir etwas zu langsam vorwärts. Das liegt an den begrenzten Stunden, die mir dort zur Verfügung stehen. Ich sollte die Rolle entweder am Schreibtisch oder im Atelier weiterzeichnen.

Im Nachhinein bin ich mit den derzeitigen Entwicklungen am Hang am glücklichsten. Die neuen Figuren am Boden, die freigelegten Plätze und die Pyramide halten stand. In mir wächst an diesen Stellen das tieferes Vertrauen zur eigenen Arbeit als an anderen Plätzen. Vielleicht kommt das durch das inspirierende Unterwegssein, den weiten, freien Raum, das Licht und das Gefühl der Inbesitznahme. Auf diese Stimme sollte ich hören.

Cunningham | Bodenfiguren

Finsternis unter der Quellbewölkung des noch trockenen Morgens. Im warmen Licht des Pavillons spielt der Pächter Bouzouki. Gewitter sind angesagt und die Dunkelheit nimmt zu. Und nun beginnt auch der angekündigte Regen mit großen Tropfen zu trommeln.

Freundliche Herbstfarben gestern auf Westerwaldfahrten. Dann zurück direkt ins Frankfurt Lab zum letzten Abend der „Five Duets“. Anschließend gab`s ein Gespräch zwischen den Protagonisten, Scott deLahunta und Bill Forsythe. Burrows erzählte eine schöne Geschichte zu einem Workshop am Rande des Edinburgh-Festivals mit Merce Cunningham. Er sagte am Anfang, dass sich die Teilnehmer sechs Figuren ausdenken sollten und verließ daraufhin für eine halbe Stunde den Raum. Als er wieder kam stellte er die Aufgabe, diese Figuren nun in die richtige Reihenfolge zu bringen und ging wieder. Dann ließ er sich das Ganze zeigen, sagte Danke und verschwand…

Mit etwas mehr Mut ließe sich diese Vorgehensweise auch auf Workshops bei der Bahn übertragen. Ich werde diese Geschichte M. erzählen.

Die Bodenfiguren am Hang neigen wegen der gebogenen Äste, die ich benutze oft zu Schwüngen und Kreisen. In meiner Kommunikation mit den Vandalen werde ich nun mutiger, trage fleißig große Steine zusammen und setze den kristallinen weißen auf die Spitze der entstehenden Pyramide. Auch dort sind Bodenfiguren als Baumhalbkreise und Anzeigen von Wegbiegungen entstanden. Im unteren Drittel wird der Weg nun teilweise zu kleinen Plätzen ausgeweitet, die rund um die Architekturen entstehen.

In dieser Kontinuität beginnt eine Gestaltungslust, die sich selbst anfeuert. So hatte ich beim Bauen der Figur auf der neuen Lichtung plötzlich das Gefühl von Malerei. Jedes Stück Holz das ich in eine Lücke legte oder von außen anlehnte, war wie eine Linie oder ein Farbfleck einer Komposition. Ähnlich ist es mit den Ausweitungen des Weges und mit der Gestaltung des Bodens rund um die Installationen. Dieses Freiräumen des Bodens rund um eine Figur ist wenig spektakulär, kaum auffällig, bringt aber die Objekte viel besser zur Geltung.

Neuer Waldraum

Am Ende der vergangenen Woche habe ich nun doch noch einiges aufholen können. Zunächst war ich am Freitag noch im Schaufenster, wo ich auch die Transparentpapierrolle von 2007 präsentiere. Die Ausstellung wird immer leicht verändert, wodurch ich auch die anderen Transparentpapierrollen zeigen werde.

Dann war ich gestern auch wieder am Hang, kam schon mittags am Parkplatz an. Wie meistens stieg ich mit einer leichten Bangigkeit die Böschung neben der Straße hinauf, fand aber alles wenig verändert.

Ein Vater ging mit seiner kleinen Tochter querwaldein und sie kreuzten immer wieder meinen Weg. Aber weder meine Gegenwart noch die Installationen schienen sie während der angestrengten Suche nach Pilzen zu bemerken. Am Ende des Weges baute ich an einer Figur weiter, die ich mit dem Material eines von einem stürzenden Baum zerschlagenen Objektes begann. Ich stapele sehr kompakt und stabil, sodass es erst später zu der diagonalen Fließbewegung des langsamen Zusammenbruchs kommen wird.

Es sind noch viele Stämme markiert, die noch fallen werden. Bis dahin meide ich die Areale der zu erwartenden Verwüstungen, um dann nach den Forstarbeitern, wieder mit dem neuen Raum und Material arbeiten zu können. Am interessantesten für mich sind die trockenen Äste, die weiter unten von den Stämmen getrennt wurden.

Im Lab sahen wir den zweiten Abend der „Five Duets“. Die zwei Stücke hatten eine ähnliche Struktur, wie die gestrigen. Und auch der Humor blieb so, wie in der vorangegangenen Vorstellung. Auch, wenn der zweite Abend keine Überraschung mehr war, bot er genügend spannungsvolles Material, mit dem wir uns die ganze Zeit vergnüglich beschäftigen konnten.

Five Duets

Halbwegs mild fiel noch der erste Herbstregen in der vergangenen Nacht, die gleichlang war, wie der Tag. Und diesen hatte ich für meine Arbeit. Nach der Tagebuchaufholjagd, mit der ich aber noch nicht in der Gegenwart angekommen bin, nahm ich mir etwas Zeit für das Wässern meiner Pflanzen. Nachts kam noch mehr Feuchtigkeit hinzu, so dass ich für das kommende Wochenende davon entbunden bin.

Im Schaufenster zeichnete ich frierend zwei Stunden. Die kleinteilige Verdichtung gerinnt zunehmend kristallin. Die Zeichnungen der Straßenszenen erinnern mich an die, die ich vor zwanzig Jahren gemacht habe. Der unterschied besteht darin, dass ich jetzt mit nur einer Linie vorangehe, die dann im Zusammenrollen von hinten her wieder verschwindet, indem sie von den Tuschekristallen überrollt wird. In dieser weise könnte ich ein ganzes Jahr dort sitzen.

Die ersten zwei von fünf Duetten von Jonathan Burrows und Matteo Forgion sahen wir gestern im Zusammenhang von Motion Bank im Frankfurt Lab. Die Zwei Männer zeigten die ersten zwei Arbeiten an zwei Tischen sitzend. Der Gestus der Stücke ist zurückhaltend virtuos. Die Form bleibt aber immer eher Minimal, wie die Struktur der Musik von Steve Reich. Linien aus Texten, Bewegung, Zahlen und Musik werden überlagert und zu dramatischen Höhepunkten geführt. Der jahrzehntelangen Zusammenarbeit wohnt ein besonderes dramaturgisches Talent inne. Es gibt so etwas wie eine Sicherheit im Aufbau der Spannung. Am einfachsten und deutlichsten erscheint dies bei der Aneinanderreihung von Zahlenkolonnen.  Wichtig sind die Unterbrechungen, Pausen und Überlagerungen verschiedener Ordnungen. Der nächste Schritt der Arbeit innerhalb von Motion Bank wird eine mit Piecemaker aufgezeichnete Onlinepartitur sein. Dabei will man auf die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Kontrapunktes das Hauptaugenmerk legen. Die Arbeiten sind von einem Rhythmus durchzogen der das Publikum mitschwingen lässt. Vielleicht ist das eines der Geheimnisse der gegenseitigen Aufmerksamkeit von Bühne und Publikum.

Himmelsbüro

Wolkenlose Dämmerung, unter der die Marktbeschicker ihre Zelte aufschlagen. Kalte Windstille aus dem Weltraum. Ich stelle mir den Sachbearbeiter meiner Firmenhaftpflicht schwebend an einem Schreibtisch vor den Sternen vor. Ein Himmelsbüro mit Überblick – Stalins gütige Augen. Und hinter dem Horizont das allgegenwärtige Gebrüll im Nichts einer unbekannten Gegebenheit. Die Windstille ist an diesem Morgen unheimlich. Nur die Bewegung der Autos, Menschen und Vögel verwirbelt die Luft etwas. Aber die kleinen Wirbel rühren keines der gebräunten Blätter. Flugzeuge starten über meinen Kopf, als hätten wir`s mit Ostwind zutun.

Mir ist als hätte ich in dieser Woche viel versäumt. Ich war nicht am Hang und nur am Montag im Schaufenster zeichnen. Es war eine Woche ohne meine Arbeit, die meine Arbeit möglich macht. Auch mit der Umarbeitung und Übertragung des Tagebuchtextes in die Datei und in meinen Blog bin ich im Rückstand.

M. hat mir erzählt, dass sie, offensichtlich mit Vergnügen, meine täglichen Eintragungen liest. Auch bei dieser Veröffentlichung fühle ich mich in einer Verantwortung, obwohl jeder, der sich in mein Pulldownmenü „Aktuelle Arbeit“ verirrt, gleich wieder, falls es ihn nicht interessiert hinausgehen kann. Anders ist es bei einer Skulptur oder bei Kunst im realen öffentlichen Raum, wo ich hinschauen muss, schlecht immer auf die andere Straßenseite schauen kann.

In den Gleisbetten der noch nicht kultivierten Areale der Güterbahnhofsausläufer liegen manche Kiesel, die noch vom Schwemmland unter dem Schotter stammen. Darüber Grasland – Steppe, dahinter die flimmernde Fata Morgana der Skyline. Metallschlagend transportierten die Waggons die Grassamen von weit her. Korrosionsmondlandschaften auf dem Industrialisierungseisen. Im Atelier steht nun ein hoher Drahtkorb mit den Fundstücken wie sichtbare Zeit. Vielleicht kann man sich dem Material zunächst mit Frottagen nähern.