Tanzfries

Was gerade auf Rolle 11 entsteht, hat etwas von einem Tanzfries. In den Neunzigern habe ich so etwas mal groß gemalt. Jetzt kommt es anders und klein wieder, auf einem Transparentpapierstreifen. Die fließenden Bewegungen werden von den konstruktiven Linien aus dem Untergrund der Rolle kontrastiert. Noch bleiben die Umrisse der Einzelfiguren und Gruppen deutlich und intakt. Das aber will ich im nächsten Arbeitsschritt ändern und ein Bühnengewusel entstehen lassen.

Im Schauspiel sahen wir gestern Abend eine Dramatisierung des Romans „Don Quichote“. Der Wahnsinn der Hauptfigur, die die Voraussetzung der Handlung ist, konnte in ihrer Darstellung nicht überzeugend gezeigt werden. Deswegen verliere ich keine weiteren Worte.

Aber wir trafen Nils Tabert vom Rowohlt Verlag, den ich länger nicht gesehen habe. Der Intendant kam an unseren Tisch, spendierte uns Wein und sprach lange mit Nils über die Untiefen und Spannungsfelder der Inszenierung.

Umrisse von An- und Abwesenden

Für die Handkantenabdrücke in den Buchmalereien habe ich heute eine eingefärbte Muschel benutzt, deren Struktur ich in alle 3 Formate im Buch übertrug. Die Formenvielfalt meiner Sammlungen von Meerestierenschalen und Steinen ist umfangreich. Ihr überschwänglicher Reichtum an Gestalt, verschafft mir oft ein visuelles Glücksgefühl. Die Schönheit in unendlichen Varianten.

Gestern hatte ich den ruhigsten und besten Arbeitstag der letzten Wochen. Auf Rolle 11 nahm ich mir eine weitere Tanzzeichnung vom Februar 2003 vor. Es ist der Umriss einer Figurengruppe, die in ihrer Mitte eine abwesende Gestalt umringt. Ihr Umriss ist nach oben offen. Dort schwebt ein Bildschirmkopf. Die anderen, „anwesenden“ Umrisse füllte ich mit den Tanzfigurenlinien der verdichteten Zeichnung mit der ich vorgestern arbeitete. Auf diese Weise entstand eine Szene aus mehreren Schichten.

Ich überlege mir, ob die Kombination vom Aufräumen, Erinnern und den Begegnungen von alten Gestaltungen in neuen Zeitschichten, innerhalb eines Projekts, im Gleichgewicht betrieben werden kann. Wird das Zeichnen nicht immer wichtiger bleiben und mehr Zeit beanspruchen als das Ordnen der vielen Arbeiten?

Like A Complete Unknown

Im Kino sahen wir den neuen Dylanfilm „Like A Complete Unknown“. Die Erinnerungen, die mit den Songs verbunden sind und auch die historische Gestaltungsgenauigkeit, waren frisch und anrührend – der Hauptdarsteller, der gesungen hat wie Dylan selbst, war wirklich exzellent.

Die Arbeit an Rolle 11, die gerade neu anläuft, steuert wieder auf diese kontinuierliche Unaufhörlichkeit zu. Weil ich parallel dazu auf Rolle 12 weiterarbeiten will, hoffe ich einen Weg zu finden, das ganze etwas weniger zwanghaft anzugehen, denn ich möchte diese Betätigung mit dem Ordnen meiner Arbeit verbinden und nicht nur zeichnen.

Mit den Schülern war ich gestern wieder draußen. Dort sind sie schwerer zu bändigen. Holzarbeiten standen an. Zum Beispiel sägten wir einen tief wachsenden störenden Ast von einem Baum ab, zerteilten ihn mit der Säge in Stücke und hackten dann Holz. Ich gehe selbst gerne mit der Gartenschere über die Wiese zum Bahndamm, um den Raum zu gestalten. Das ist ein wenig wie Bildhauerei und Rauminstallation. Es entsteht eine neue Aufenthaltsqualität.

Alte Zeichnung, neue Dynamik

Aus einem Karton nahm ich die Kopie einer Zeichnung, die ich im Februar 2003 für eine Installation im Bockenheimer Depot angefertigt habe. Sie ist ein Blatt von vielen Stapeln, die auf dem schwarzen Bühnenboden liegend ein Raster bildeten. Die Zeichnungen fertigte ich während der Proben zu einem Tanzstück von Georg Reischl an. Die Zuschauer, die das Stück sehen wollten mussten über dieses Hindernis hinweg steigen.

Da Rolle 11 noch nicht bis zum Ende fertig gezeichnet ist, nahm ich eines dieser Blätter und fügte das Motiv am Ende des gezeichneten Streifens ein. Danach ging es in der Weiterarbeit eine Verbindung zu den GPS-Linien von Lustgarten und den Textfragmenten: „SEHT DORT DIE FÜNF ALS PATE DER BLICK VON DORT“, ein. Die Worte aus Anne Roman „Hinter den Mauern der Ozean“, dem Stasibericht von Heinz Werner über mich und einem Interview mit mir, sind nach den Tabolinien ausgerichtet. Somit bekommen die Bühnenfiguren neue Dimensionen. Das gezeichnete Geschehen erfährt eine andere Dynamik.

Der Blick in die Tagebuchaufzeichnungen, die sehr kleine und dichte Buchmalereien umrahmen, zeigt meine damalige Umtriebigkeit. Stadtentwickler, Immobilienunternehmen und Bürgerinitiativen trafen sich auf scheinbarer Augenhöhe. Aber die Stadtgestalt wurde dadurch beeinflusst. Und die Kunst fand damals parallel dazu, so selbstverständlich, wie nebenher statt.

Rückblick auf Rolle 12

Nach dem Einkauf am Morgen fühlt sich der Tag frei an. In Ruhe und im Besitz der Normalkraft, an den Ateliertischen arbeiten zu können, ist erholsam. Gestern ist Rolle 10 aus dem Humboldt Forum zurückgekommen, und in der vergangenen Woche brachte ich Rolle 11 aus dem Tibethaus wieder mit. Hier auf dem Tisch liegt Rolle 12.

Und Gegenstände liegen herum, die ich mit Erinnerungen an Menschen verbinde. Sie sind wie Artefakte einer Ausgrabung. Ich denke an Wolfgang Engel, der vor ein paar Tagen gestorben ist, an unsere gemeinsame Zeit in Dresden, an seine Inszenierung von „Medea Stimmen“ von Christa Wolf, wo ich auch gezeichnet habe. Diese ganzen Blätter, die ich während Schauspielproben, Konzerten und Ballettproben gemacht habe, werde ich nun ordnen und womöglich mit einer Sequenz auf Rolle 12 verbinden, um diese Arbeit noch einmal auszuweiten und auf einen anderen Punkt zu bringen.

Wenn ich über die Wiese zum Bahndamm gehe, stehen da die Tiere aus Astwerk, die die Schüler hergestellt haben. Sie begeistern sich für den Umgang mit Holz aller Art. Sie lernen das Schärfen und den Umgang mit den Bearbeitungswerkzeugen. Beim nächsten Mal würden sie am liebsten Bäume fällen.

Abschluss

Im Tibethaus richtete ich mir einen Arbeitstisch ein, der von einer Kamera beobachtet wurde. Die Projektionsfläche dieses Bildes fand sich direkt über dem Foto des Dalai Lama. So verbanden sich die Linien der Rollen 11 und 12 mit seinem Lächeln. Ich zeichnete an den Tabofiguren weiter und glitt so vom Arbeiten, wie von alleine in den Vortrag. Der Saal war gut besetzt mit aufmerksamen, freundlichen Leuten. Ich bekam viele nette Dinge zu hören, was mir natürlich gut tat.

Nach mir sprach Peter van Ham über sein Lebenswerk, das wirklich eine große, kontinuierliche Arbeit für die Erhaltung des Tibetischen Kulturerbes darstellt. Es bleibt zu hoffen, dass seine Anstrengungen die Mönche so weit erhellen, dass sie sich ernsthaft um das Bestehen der Schätze kümmern.

Nun sind die Aufgaben erst einmal erledigt. In der Ausstellung in Berlin waren 60000 Besucher. Auch dort habe ich viele neue Kontakte knüpfen können und fand einen erfolgreichen Abschluss. Die Arbeit in Neckargemünd ist ebenfalls gut gelaufen. Der Vortrag, den ich gestern hielt, beschäftigte mich vorher eine ganze Weile, ich dachte oft an die Gestaltung dieser Situation. Sie war locker und etwas spielerisch, wie ich es mir erhoffte.

Präsentation von Rolle 11

In die Bilderdatei, die ich heute während der Präsentation von Rolle 11 zusätzlich zeigen möchte, füge ich nachher noch Collagen ein, die sich aus den gezeigten Motiven zusammensetzten. Ich schwanke, ob es logischer wäre, erst die Federzeichnungen der Rolle zu zeigen und dann die farbigen Bilder, die damit zusammenhängen oder umgekehrt.

Dies miteinander zu vermischen, ist mir zu kompliziert, weil sich die Tabolinien sowieso schon mit so vielen Themen verbinden. Also versuche ich die Dinge nacheinander zu ordnen, um den Geist nicht zu verwirren.

Aus gegebenem Anlass und um mich in das Vortragsthema hinein zu begeben, arbeitete ich gestern an Rolle 12 weiter. Ich nahm mir die Umrisse der 20 Tabofigurationen, die aus den Verdichtungen hervorgegangen sind, vor und zeichnete sie auf den Streifen. Dann begann ich die Felder mit den durchscheinenden Linienmustern zu füllen. Ich will zeigen, wie sich die Tabolinien mit meinem künstlerischen Leben verbunden haben.

Holz

Vorerst bauten wir gestern kleine zarte Figuren aus Schafgarbestängeln. Dann aber entdeckten die Schüler das Holz der Gesträuche und der Bäume, holten Astscheren, Sägen und Beile. Dann war kein Halten mehr und der wichtigste Ort wurde der Hackklotz neben der Wiese. Die Übungen mit den scharfen Werkzeugen werden von mir eingeführt und überwacht. Mein Vertrauen, das auf die Vernunft baut, das Gelernte anzuwenden, wird meistens belohnt. Die größte Figur maß eine Höhe von etwa 1,5 m.

Als sie gegangen waren, blieb ich noch eine Weile mit der Gartenschere am Bahndamm und schnitt die Brombeersträucher zurück. Am späten Nachmittag wurde es warm und kleinen Mückenschwärmen konnte ich im Gegenlicht der Sonne beim Tanzen zuschauen.

Nachher will ich den morgigen Vortrag noch etwas vorbereiten. Ich stelle mir einen Zeichentisch vor, auf den eine Kamera gerichtet ist. Man kann sehen, wie ich auf Rolle 12 durchscheinende Muster auf die äußere Rundung zeichne. Dann zeige ich die vorbereiteten Bilddateien, nehme auch das entsprechende Tagebuch mit den Buchmalereien mit, deren Umrisse einen Auftritt auf Rolle 11 haben.

Arche I Schüler I Tibethaus

Die Arbeit Im ökumenischen Gemeindezentrum Arche in Neckargemünd habe ich beendet. Die Begegnung mit den Objekten, die ich vor langer Zeit angefertigt habe, war mehr als eine bloße Widerbegegnung. Allein die Vorbereitung durch die Dornenkronensequenz erweiterte den damaligen Arbeitsansatz. Alles ist zu einem guten Ende gekommen, auch durch das schöne Zusammenspiel mit der Gemeinde und meinen Gastgebern.

Nachher kommen meine Schüler. Mir ging durch den Kopf, mit ihnen gemeinsam die 16 Tafeln des Väterreliefs im Ausstellungsraum auszulegen. Danach könnten wir dann mit den Formen arbeiten, Frottagen von ausgesuchten Stellen machen und dieselben Areale dann mit Pappmache abformen. Diese Reliefs könnten dann in Bezug auf die Frottagen barbeitet werden. Sowohl die Frottagen als auch die Reliefs werden zeichnerisch erweitert.

Wenn sie dann weg sind, kann ich an meinen Vortrag im Tibethaus denken, der Übermorgen stattfinden soll. Gestern schaute ich mir eine dafür zusammengestellte Bilddatei an, um mir noch einmal den roten Faden zu vergegenwärtigen. Gerne würde ich etwas von der Atmosphäre der planvollen Improvisation herstellen, eine Werkstattsituation nachempfindbar machen, an der die Zuhörer mit Fragen und Beiträgen teilnehmen können. Das hieße aber viele Enden der roten Fäden offen zu lassen…

Alte Arbeitsstrukturen

Die Arbeit in Neckargemünd ist schon weit fortgeschritten, ging schneller als ich dachte. Die Konzentration die den ganzen Tag anhält, zahlt sich aus. Anne schickte ich ein Foto vom fertig gemalten Kreuz. Sie antwortete, dass es wie der Frühling leuchtet. Damit meinte sie ein Aquarell das ich in den Achtzigerjahren gemalt hatte und das nun bei ihr im Wohnzimmer hängt. Die malerische Struktur ähnelt der des Kreuzes seht stark.

Bei allem schönen Arbeiten in der Arche, bin ich dann auch froh, wenn ich fertig bin und mich wieder den anderen Dingen widmen kann. Mit dem Vortrag im Tibethaus über die Arbeitsweise auf Rolle 11, kann ich wieder einschwenken in die Beschäftigung mit den Transparentpapierrollen, kann dann diese Kontinuität fortsetzen.

Das nächste Projekt ist die Sichtung der vielen Arbeit, die ungeordnet im Atelier liegt. Das würde ich gerne mit einer Aufnahme der älteren Motive einhergehen lassen, damit auch aus diesem Vorgang Bilder entstehen.