Im Brunnen

Wie in einen Brunnen falle ich in die Buchmalereien. Er ist mit farbigen Strukturen gefüllt, aus denen ich in den runden weißen Himmelsausschnitt auffliegen kann. Alles ist mit Klängen gefüllt, die auf den Zeitstrahl vorauseilen. Manchmal schalte ich ein altes Radio, das kaum noch einen Sender empfängt ein, nur um in das räumliche Rauschen des analogen Äthers hineinhören zu können.

Heute lösten sich die Figuren von gestern auf. Wo sie sich zu deutlich manifestierten, ging ich mit dem rechten feuchten Zeigefinger tupfend darüber. So verziehen sie sich dann.

In der Schirn Kunsthalle sahen wir gestern die Fotoausstellung der indischen Künstlerin Gauri Gill. Sie ist eine weitere Fotografin, die mit Langzeitprojekten eine andere Intensität entwickelte, als man sie normalerweise in diesem Genre antrifft. In der langen Zeit baut sich ein Vertrauen zu ihren mitarbeitenden Modellen auf, das offene Gesichter und Haltungen zur Folge hat. Am Abend sahen wir uns eigene Indienfotos von 2010 an. Eine gewisse kompositorische Sicherheit, während der Betätigung des Auslösers, machte das zu einem Vergnügen.

Drehbühne

In Berlin sahen wir im Deutschen Theater eine Inszenierung des „Sturm“ von Shakespeare in einer neuen Übersetzung. Sie folgte der Satz- und Wortzusammensetzungsstruktur des Originals, wodurch ein neues Gefühl für das Stück entstehen konnte. Gegen dieses formale Vorgehen brachten die Schauspieler, unter Jan Bosse mit Wolfram Koch in der Hauptrolle, das Stück direkt und distanzlos auf die Drehbühne. Ein großartiger Abend.

Eine Abendfahrt mit einem ICE nach Frankfurt mit einer halben Stunde Verspätung, wegen eines Signalschadens auf der Strecke voraus.

Vor meinen Augen entstehen Transparentpapierzeichnungen auf Rolle 10, in deren kreisendem Wachstum ihr weiterer Verlauf vorausgesagt werden kann. Die Figuren wandern durch Farbabfolgen, schrumpfen und verdichten sich nützlich, gemein, unnötig, schön, edel, gut, nützlich… Sie nehmen überhand, drängen durch die Szenen auf der überbevölkerten Drehbühne, die auf Beschleunigung programmiert ist. Wer sich nicht gegen die Fliehkräfte halten kann, bleibt am Rande liegen, zwischen Kostümen, Requisiten und Ausstattungsteilen.

Linke Hand

Eine Handoperation am Vormittag. Eine Sehnenverkürzung des linken kleinen Fingers wurde beseitigt. Dafür aber wurde ich nackt in einen OP-Kittel gesteckt und auf einen Tisch gelegt. Dann eine örtliche Betäubung, zwei Schnitte, die Hand wurde gestreckt und verbunden.

Bevor dann die Schüler kamen, aß ich im Startorante Fisch. Sie entfernten alle kleinen Reliefs aus der Form und grundierten sie einmal von beiden Seiten. Weil sie dann gelärmt und sich gestritten haben, schickte ich sie nach Hause. In die linke Hand kam dann langsam wieder ein Gefühl.

Es ist schwierig auf eine Leiter zu steigen oder andere alltägliche Dinge zu tun, wenn die linke Hand nicht richtig benutzt werden kann. Heute hätte ich auf Rolle 10 ausprobieren wollen, was ich mir gestern überlegt hatte. Aber ich schaffe es an diesem Arbeitstag nicht mehr…

Spekulation

Die Fortführung der Malerei auf den Relieffragmenten bekommt ein Eigenleben. Die Bezüge zu den Buchmalereien fallen weg. Was entsteht, befindet sich außerhalb dessen, was ich ansonsten mache. Vorsichtig taste ich mich an die Farbigkeit heran, unterbrochen von Schellacklasuren und Weißhöhungen. Gegen den Honigton des Lacks, setze ich mattes Blaugrün. Die Effekte der Trocknungsränder an den Haarschwüngen entlang, lasse ich weg.

Die Rückkopplungsideen sind auf Rolle 10 weiter zu entwickeln. Paradoxerweise glaube ich, dass ich durch das Durchzeichnen beim Rückwärtsrollen des Transparentpapiers, Schichtungen zeichnen kann, die eine Spiegelung in die Zukunft möglich erscheinen lassen.

Die Überlagerungen der Erinnerungen mit den seither gemachten Erfahrungen können, symmetrisch umgedreht, den Blick nach vorne entschleiern. Das lässt sich auch mit den Collagen machen. Es ist eine Möglichkeit von 1974 in das Jahr 2070 spekulativ vorzudringen.

Brennpunkt

Kleine Relieffragmente stabilisierte ich gestern mit Schichten weißer Grundierungen. Die unregelmäßig geformten Formate wurden mit Schellack und Tusche bearbeitet, dass in den Vertiefungen eine dominante, dunkle Struktur entstand. Ich dachte mir dann mehrere Objekte in Reihen, mindestens zu dritt und würde ihnen zuguterletzt einen verbindenden Farbaspekt zuordnen. Ich fühlte mich am Morgen gleich verbunden mit ihnen und fügte ein paar Weißhöhungen hinzu.

Im Zusammenhang mit dem Erinnerungsprojekt des Humboldt Forums, sehe ich die Zeitspiegelungen, über die ich in den letzten Tagen nachgedacht habe. Wenn ich die verflochtenen Strukturen der Berlinlandschaft von 1974 und die der Rückbauarchitekturen in einer Transparentpapierzeichnung von 2022 in das Jahr 2070 projiziere, und sie dort von einem Spiegel zurückgeworfen wird, stellt sich ein Rückkopplungseffekt ein.

Stelle ich mir die Gegenwart als Brennpunkt dieses Vorgangs vor, wird die entstehende Energie die Zeichnung in einen anderen Aggregatzustand versetzen. Wie dieser aussieht, was er mit den Strukturen macht, lässt sich nur im fortlaufenden Experiment ergründen.

Tägliche Mittel

Am Morgen während der Buchmalereien befinde ich mich unversehens in besinnungsloser Verstrickung. Schritt für Schritt geht es mit den täglichen Mitteln der Motorik, den Zeichentisch im Blick, dem Ende des Unterfangens entgegen. Nach der Trocknung fällt manchmal noch eine Farbbemerkung.

In den Jahren zuvor habe ich mehr Werktage für die Herstellung von Collagen aufgewandt. Das kann ich leicht anhand ihrer Anzahl feststellen. Wenn ich mich anstrenge, komme ich in diesem Jahr auf 600 Collagen. Etwa 60 weniger als vorher. Was mich zu diesem seltsamen Ehrgeiz treibt, kann ich mir nur aus meiner Arbeitserziehung heraus erklären.

Während der Lektüre über Buddhismus geht mir auf, dass man ihm mit Worten nicht beikommen kann. Es gehört vielmehr performatorische Phantasie, Improvisationsgeist und intuitives Vorgehen dazu. Nahe scheine ich dem, ein wenig in meiner Arbeit zu kommen.

Kreisbewegung

Mit der Zeichnung von 1974 arbeitend, überspringe ich den Zeitraum von 48 Jahren. Wenn ich mit dem gegenwärtigen Ergebnis genauso viel Zeit in die Zukunft überspringe, lande ich mit dieser Projektion im Jahr 2070. Mein Ahornbaum, den ich in den Sommern wässere und mich manchmal mit dem Rücken an ihn lehne, wird dann etwa 160 Jahre alt sein.

Aber was bedeuten die Zeitsymmetrien für meine Gegenwart? Wie wird sich die Projektionsentfernung von 48 Jahren auf die Zeichnung auswirken? Von der Beantwortung dieser Fragen ziehe ich mich zunächst auf den Text HERAKLES 2 ODER DIE HYDRA von Heiner Müller, der eigenen Blutspur folgend, zurück. Über diesen Umweg beschreibe ich eine kreisförmige Bahn, an deren Start- und Zielpunkt die Jahre 1974 und 2070 zusammenfallen. Indem ich den Kreis schließe, vollendet sich die Zeichnung.

Die Bäume, die ich aus südlichen Regionen in unsere unwirtlichen Gefilde transportiert habe, und die noch draußen stehen, die Feige und den Olivenbaum, umgab ich mit Schilfmatten. In die so entstandenen Zylinder füllte ich reichlich Laub, von dem es viel auf dem Boden meines Gärtchens gibt. Das soll sie schützen in der kalten Fremde.

Lagrangepunkt

Die Flächen und Linien bedingen einander. Ihre Verteilung folgt den Gravitationskräften. Die Bewegungen der Hand kommen aus den rückgekoppelten Körperreaktionen. Die Wahrnehmung ist zwischen den Gegenpolen gefangen und sucht den Lagrangepunkt, wo sie zur Ruhe kommt und die Vorgänge im Bildraum beobachtbar werden.

Auf Rolle 10 übernahm ich weitere Umrisse vom 21.12. 2005. Würde ich noch einmal 17 Jahre überspringen, um in der Mitte des Zeitraums zu sein, gelangte ich in den Dezember 2039. Das ist die Zeitkugel um mich herum. Die Zeichnung ist der Blitz, der in alle Richtungen projiziert.

Ziele ich auf Räume jenseits meines Todes, wird mein Aktionsradius mit dem Abstand zur Vergangenheit, größer. Somit ist die Arbeit mit der Landschaftsskizze von 1974 der Versuch, einen weiteren Zeitraum zu erschließen, in dessen Mitte ich mich befinde.

Aus Gammablitzen

Mit den Schülern formte ich gestern etwa 80 unregelmäßige Vierecke von der ungefähren Größe von 10 X 10 cm von der Kraftfeldform ab. Die können am kommenden Donnerstag grundiert und bemalt werden. Mark brachte 3 unregelmäßig geformte Reliefteile, die er zu Mayas Kurs mitgenommen hatte, wieder mit. Er hatte sie dort wild und starkfarbig bemalt. Das gefällt mir!

Außer den Buchmalereien und Collagen am Vormittag, habe ich nichts Neues mehr zustande bekommen. Ich besserte die Fehlstellen der Reliefs der Schüler aus und arbeitete sie noch ein wenig nach.

Heute löste sich eine Frauenfigur in der ersten Malerei auf, die ich aus der 3. per Handballenabdruck übertragen hatte. In 1 spielt sie eine, im Tanz wirbelnde, Apsara. In 3 aber steht sie mit klassisch gebieterischer Geste inmitten der Schlacht der Elemente. Auch 2 ist durchwirbelt, aber streng. Figuren verdichten sich aus Farbnebeln von Haarschwüngen durchkreuzt. Alles kommt aus der Gravitation ferner Gammablitze.

Partitur

Auf Rolle 10 zeichnete ich das erste Motiv der Schattenrisse aus YOU MADE ME A MONSTER fertig. Teilweise um 180° gekippt, wiederholen sich die Motive aus verschiedenen Schichten in unterschiedlichen Abständen. Das hat etwas von einer mehrstimmigen Partitur und ist nur nach und nach erfassbar. Vielleicht sollte ich Auszüge für verschiedene Instrumente herauszeichnen, damit es gespielt werden kann.

Von 2005 gibt es weitere Schattenumrisszeichnungen aus diesem Projekt. Mit denen weiterarbeitend, möchte ich eine erneute Verbindung zu choreografischer Arbeit finden. Es geht um die Übertragung von Tanz in die Gegenwart und um die Produktivität dieses Vorgangs.

Die Buchmalereien sind wieder ruppiger geworden und nicht so fröhlichfarbig, wie gestern. Oder sollte ich sagen: nicht so bunt? Die vagen Figuren, die auftauchen, sind nur Gegengewichte zum abstrakten Gewusel aus Haaren, Stahlkonstruktionen und Magnetfeldern.

Disketten

Nachdem ich das Relief gestern beiseite gelegt hatte, legte ich auf die frei gewordene Fläche eine Glasplatte und darauf Rolle 10. Die Verschneidung der Erinnerungsstrukturen vom Palast der Republik mit der Zeichnung zu YOU MADE ME A MONSTER, führen zum Thema der Choreografischen Objekte. Auch Oliver Tüchsen meint, dass wir damit im Rahmen von YOU&EYE an diesem Thema arbeiten könnten.

Mit einem externen Diskettenlaufwerk bin ich dabei, alte Animationen auf die Festplatte meiner Rechner zu überspielen. Dabei fällt mir Material vor die Augen, an das ich mich lange nicht erinnert hatte. Da gibt es Videocollagen zu DER RISS IST DIE PASSAGE oder VERKOMMENES UFER MEDEAMATERIAL LANDSCHAFT MIT ARGONAUTEN, oder Aufnahmen von Philip Glass in meiner Projektion in einer Installation in Heidelberger Kunstverein. Wir arbeiteten damals gemeinsam mit Doris Lessing an einer Oper.

Das Vorrücken der Baustelle auf unser Gelände hatte zur Folge, dass das Drahtseil, an dem meine geflochtenen Weidenobjekte hingen, gekappt worden ist. Ärgerliche Sache, um die ich mich nun kümmern muss!

Choreografische Objekte

Beim Durchsehen aller digitalen Collagen dieses Jahres, die im Arbeitstagebuch auftauchen, stellte ich fest, dass meine emotionale Beteiligung mit dem Herannahen der gegenwärtigen Arbeit zunimmt. Am meisten berühren mich die Überlagerungen von Tuschelinien aus Rolle 10 und Buchmalereien. Aber auch die Buchmalereien alleine führen bei mir zu Rückkopplungsschleifen.

Ich denke über choreografische Objekte nach, die der tänzerischen Bewegung Richtungen verleihen. Die Relieffragmente, wie sie heute in den Collagen erschienen, können dabei auf dem Tanzboden liegen, gelesen und in Bewegung übersetzt werden.

Die Jugendlichen die bei Hannah, der Choreografin und bei mir arbeiten, bilden die Verbindung zwischen uns. Sie werden Reliefobjekte herstellen, die beim Tanz eine Rolle spielen können. Was aus dem Ballettsaal zurückkommt und hier im Atelier weiter verarbeitet werden kann, Videos zum Beispiel, wird man sehen.

Pflanzen

Ein Pflanzenmorgen. Ich ging an einem Blumenstand vorbei, dessen Blattformen in die Buchmalereien fanden. In dem 3. Format bilden sie einen Jugendstilpavillon, unter dessen fragilen Bögen ich mich geborgen fühlen würde. Bei meinem Gang über die Frankenallee, schaue ich auf das entkleidete Astwerk der alten Bäume und auf die Adern der Blätter am Boden, die die Baumkronen nachahmen. Dann warte ich auf eine Reaktion meines Gemüts in der grauen, feuchten Kälte.

Bei Hannah löst die Rückkopplungsidee eine neue Runde aus. Ich erinnere mich an Pete Townshend, der mit seiner Gitarre die Nähe des Verstärkers suchte, um die Anlage auf der Bühne aufheulen zu lassen. Wenn das Tempo der Schwingungen nachlässt, bleibt nur ein Schnarren oder ein rotierendes Windgeräusch übrig.

Die Baustelle rückte heute früh mit einer tobend rüttelnden Verdichtungsmaschine und einer Betonsäge auf unser Gelände vor. Hinter der Absperrung rasseln die Panzerketten der Bagger. Das alles ist die falsche Musik am Morgen, passt nicht zu den Pflanzen.

Rückkopplungen

Wenn ich die Schwünge der Haarlocken mit denen der Zeichnungen der Farbstifte oder Schreibfedern gegenüberstelle, ist das keine Konkurrenzveranstaltung. Die gezeichneten Linien lassen, wie die Locken verschiedene Rückschlüsse auf den körperlich-neurologischen Zustand zu.

Wie die Choreografin Hannah, gehe ich von meinem Körper, in meinem Fall der Feinmotorik aus und entwickle daraus im Zusammenspiel mit den Haarschwüngen meine Szenen. Dabei stelle ich mir Rückkopplungen vor. Die gezeichneten Strukturen wirken auf meine Psyche und die findet wiederum ihre grafische Ausprägung auf dem Papier. Somit ist Runde für Runde ein neuer Level erreicht.

Gehe ich mit dem GPS-Aufzeichnungsgerät los, um die Bögen zu vergrößern, verlasse auch ich die Feinmotorik. Auch meine Handballenlinien in den Farbabdrücken innerhalb der Buchmalereien sind für diese Körperarbeit hinzuziehbar. Wenn ich Hannah von meinem Zugang zu YOU MADE ME A MONSTER erzähle, kann sich ein gemeinsamer Arbeitsansatz entwickeln.

Widerspenstiges Material

Das Malereimaterial war heute widerspenstig. Besonders störrisch verhielt sich die lärmende Tinte. Selbst mit dem Einsatz von Kobaltblau konnte ich sie nicht ganz zum Schweigen bringen. Sicher haben mich die süßlichen Lieder der Supremes abgelenkt. Sie aber konnte ich mit Debussy ganz abschalten. Aber auch der störte mich. Dann blieb nur die Stille, über die die Flugzeuge hinweg starteten.

Ein Feigenkaktus, der noch draußen stand, zerbrach mir während des Transportes in das Atelier. Weil ich aber Schwierigkeiten habe, Pflanzen wegzuwerfen, bekommt das abgebrochene Stück seine Chance an Rolltorfester. Vielleicht wird es ein neues Exemplar.

Collage Nummer 550 aus 2022

Hannah hat mir gestern ihre Hypnosestimme gezeigt. Damit bringt sie die aufgeregten, übermotivierten Jungs ihres Tanzkurses zur Ruhe. Einer von ihnen ist auch bei mir. Er trägt ein Kettchen mit einem Anhänger, der den Länderumriss von Eritrea zeigt.

YOU&EYE

Am Ende des Treffens der Künstlerinnen und Künstler, die im YOU&EYE Projekt vereint sind, hatte ich noch viele Fragen und Gesprächsbedarf. Wir gingen dann noch in ein Café, und tauschten uns weiter aus. Mich interessiert Hannas choreografischer Ansatz, Inhalte aus dem Körper heraus zu gestalten. Und ich finde, dass sie diesen Gedankengang den Schülern zumuten kann, die sich bei ihr bewegen wollen.

Und mit Oliver stellte ich per Zuruf in den Raum, für das Tanzprojekt ein Bühnenbild mit Objekten zu gestalten. Die Masken, die er mit seinen Schülern aus Alltagsmaterial baut, würden sich bestimmt dafür eignen. Man könnte auch die Reliefs, die wir herstellen in den Raum hängen.

Mit den Schülern grundierte ich gestern unser erstes Reliefexemplar. Dafür gab ich ihnen kleinere Borstenpinsel, damit sie kleinteiliger und gründlicher arbeiteten. Aber ich habe da noch eine Menge nachzubessern. Sie sind alle stolz auf ihre Herkunft und tragen entsprechende Insignien als Schmuck an ihrem Körper. Diese Dinge interessieren mich im Zusammenhang mit den zu entdeckenden Figuren im Liniengeflecht.

Nach 40 Tagen

Nach 40 Tagen ging die Arbeit an Rolle 10 gestern weiter. Ich übertrug und füllte den Umriss aus „YOU MADE ME A MONSTER“. Das Wesentliche tritt erst zum Vorschein, wenn der Streifen ein paar Meter aufgerollt ist und die Veränderung der Motive, nach jeder Umdrehung und Durchzeichnung, sichtbar wird.

Mit der kreisenden Gravur einer Holzhaarnadel, begannen die Buchmalereien heute in dem 3. Format. Mit ebenfalls kreisenden Farblinien hob ich sie hervor. Die Farben mischen sich auf eine spezielle Weise, weil die Arbeitsgänge abwechselnd wiederholt werden. Das greift auf Vorgänge bei der Lasurmalerei zurück.

Das Relief, das die Schüler begonnen haben auszuformen, ist nun vollständig getrocknet. Heute kommen sie wieder zu mir ins Atelier und können anfangen, es zu grundieren. Danach möchte ich mit ihnen wieder kleinere, fragmentierte Formate herstellen.

YOU MADE ME A MONSTER

Gestern verließ ich das Produktionsband der Reliefabformungen und widmete mich den alten Transparentpapierrollen. Beim 9.12. 2005 blieb ich stehen. Ein größerer Umriss einer abstrakten Figur wiederholte sich zweimal, davon einmal kopfstehend. Es handelt sich um einen Schattenriss aus einem Trauerstück von Bill Forsythe für seine verstorbene Frau. Unter dem Titel „You Made Me a Monster“ wurde damals eine Installation aus Pappmodellen menschlicher Knochen in das Bockenheimer Depot gebaut. Schatten der ineinander verschränkten Skelettfragmente wurden auf Tische geworfen, auf denen Papierbögen und Bleistifte lagen.

Das Publikum war aufgerufen Zeichnungen der Schatten anzufertigen, die von dem Tanzensemble als Partitur für kleine Improvisationen genutzt wurden. Mich begeisterte das damals und ich übertrug etwas von dem Material, das ich selbst gezeichnet hatte, auf meine damalige Transparentpapierrolle.

Nun werde ich diese Umrisse auf Rolle 10 übertragen, um sie dort mit der Gustavsburgplatz-Wanderung zu überlagern. Dann könnte ich versuchen, das Material wieder, mit einem GPS-Gang auf den Platz zu bringen. So existiert die Erinnerung an die Trauer in Bewegung weiter.

Zwischen den Räumen

Während des Malens verläuft das Denken in anderen Bahnen. Es nähert sich dem Träumen. Die Bewegungen übernehmen den Rhythmus des Unterbewussten. Die entstehende Unruhe kann nur vom Weitermachen besänftigt werden. Selten stehe ich zwischendrin auf, bleibe lieber bei den Gebilden, die zwischen den verschiedenen Räumen wandeln.

Es ging malerisch – weich zu, an diesem Morgen, dass ich mit geraden Linien eingreifen musste. Die dunkle Tinte sprengt den Farbrahmen. Sie sitzt unversöhnlich im Gefüge, lässt sich schwer zurückdrängen. Nach dem Schlusspunkt decke ich sie mit Ocker und Rosa etwas ab. Andere Dinge, die mir ins Auge fallen, korrigiere ich nicht mehr, weil es dann schnell zu konkret wird.

Das Reliefexemplar dieser Woche habe ich gestern fertig ausgeformt. Es benötigt noch 2 Tage, um vollständig zu trocknen. Die Bemalung, die nach dem Grundieren folgt, ist noch fern. Aus der Gestaltung der Fragmente im abgelaufenen Jahr, lernte ich in der lückenhaften Betonung der vertieften Linien, die dem Zeichnungsgeflecht entsprechen, neue Figuren zu finden. Gerne würde ich diesen Prozess gemeinsam mit den Schülern fortsetzen.

Sehen und reagieren

Die heutigen Buchmalereien sind reduziert, durchlässiger, weisen mehr offenen Raum auf und haben nur vage ausgearbeitete Stellen. Zu heftige Strukturen werden manchmal mit dem feuchten Handballen oder der Zeigefingerkuppe aufgelöst. Wieder legte ich die Haare mit klarem Wasser auf das Papier, tupfte dann noch Feuchtigkeit weg und ging dann erst mit Farben in die Kreuzungspunkte. Das erzeugt klare Linien.

Ich kümmerte mich zwar nicht um Figuren, aber dennoch traten sie von selber auf. Mein Hirnspeicher wird nach Vergleichbarem durchsucht. Die Haarschwünge dagegen scheinen neutral zu wirken, reizen meine Erinnerung nicht. Vielleicht rührt das Desinteresse von ihrer Perfektion her. Die gezeichneten Spiralen rufen nach einer Kerngeraden oder einer Umfassungslinie, die dann interpretationswürdige Gebilde schaffen. Auch die Handballenabdrücke haben solche Reaktionen zur Folge.

Das Relief ist fast trocken. Die Form aber ist noch nicht vollständig ausgefüllt. Das muss heute geschehen, damit meine Schüler am Donnerstag mit der Grundierung beginnen können.

Mit meinen Attributen

Aus der Winkelkonstruktion in 1 schwebt ein Fisch. Er fängt seine Beute mit einem Gravitationsfeld vor seinem weit aufgerissenen Maul. Er ist mein Geschöpf, besetzt mit meinen Attributen – mit Haut und Haar.

In 3 setzen sich die Formen aus Atmosphären zusammen. Figuren gruppieren sich vor Landkarten und klügeln räuberische Strategien aus. Dabei hilft ihnen die Erkenntnis, dass alles Sichtbare und Spürbare nur unserem Geist entspringt. Leuchtete diese nur in engen Kreisen, so tritt sie nun kraftvoll heraus und setzt soldatischen Mut frei. Sie töten sich in ihrer Nichtexistenz leicht. Das geschähe im Raum hinter der 3. Malerei, wenn ich ihn nicht in ein Klavierstück umwidmen würde. Debussy durchquert den Hintergrund. So leicht geht das!

Gestern arbeitete ich an der Reliefausformung. Eigentlich müsste ich einen Text fertig schreiben, oder an Rolle 10 weiter arbeiten. Das Füllen der Form ist zwar eintönig aber erholsam! Ich sehe, wie leicht es vorwärts geht.

HAND RAUM KITSCH

Mit dem rechten Zeigefinger setze ich Fingerabdrücke auf die senkrecht ovalen Farbfelder. Gleich entstehen durch diese frisierten Köpfe Figuren. Sie erinnern an Körper, die mir täglich begegnen. Das kleine Format besitzt eine feinmotorische Körperlichkeit. Die Hand, die ein Arsenal von Erinnerungsstrukturen bereithält, formt mit dem Ballen, den Fingergliedern und der Haut skulpturale Wesen. Kommt das Haar hinzu, steigert sich diese private Körperlichkeit und bildet den Gegenpart zu den linearen Konstruktionen.

Der Raum hinter diesen Bildern schichtet sich innerhalb der Collagen bildhaft. In den Texten, die parallel zu den kleinen Bildern entstehen oder sich direkt auf sie beziehen, Geschichten des Davor und Danach erzählen oder den Figuren Worte in den Mund legen, bildet sich der Sprachraum, der das Gemalte möglichst kontrastieren sollte, die Illustration vermeidend.

Wenn Musiker, die ich oft höre, in den Kitsch abgleiten, dann stört mich das beim Arbeiten. Es gibt eine solche Tendenz bei Brad Mehldau, den ich ansonsten sehr schätze. Dann verführt er mich, die Interpretationen der alten Beatlessongs zu hören, wegzudriften in die seichten Gewässer der Belanglosigkeit. Und dann hört es auf zu stören.

Der Raum hinter der Malerei

In dem Text, der die Verbindungen meiner Arbeit mit dem Ort, wo nun das Humboldt Forum steht, zeigen soll, fehlt noch ein Absatz über die gegenwärtigen Collagen. Sie verbinden die zeichnerischen Bezüge zum Palast mit der Buchmalerei. Aber auch die winkligen Linien in den gemalten Miniaturen spiegeln Bruchstücke der Stahlkonstruktion wieder, die vom Asbest befreit in den Himmel ragten.

Die pinselförmigen Farbflecke schließen die Schwünge ein, die von den Haaren kommen, die ich in die feuchte Farbe drücke. Die Linien enden an den Trocknungsrändern und ihre Richtungen werden vom benachbarten Fleck wieder aufgenommen. Der Raum zwischen den Farbfeldern wird vom schauenden Hirn gefüllt. Die weißen Korridore führen die Bilderzählung in den Raum dahinter.

Aber warum schreibe ich das auf? Wo führt der Versuch, den Raum hinter der Malerei mit Sprache zu füllen hin? Wird die Arbeit dadurch sogar entwertet? Die Informationen über das Denken dessen, der malt, engen vielleicht das Sehen ein. Zumindest wird es gelenkt. Aber mit den Linien und Farben lenke ich den Blick auch!

Zusammenspiel

Die Abbildungen, die ich in den Text für das Humboldt Forum einfüge, sind weit verstreut. Sowohl die Zeiträume als auch die Arbeitsthemen liegen voneinander entfernt. Eine besondere Rolle spielen die kürzlich entstandenen Transparentpapierzeichnungen und die Collagen, in denen Strukturen des Rückbaus und Teile der Landschaftsskizze vom Dach des Palastes mit gegenwärtigem Material zusammenspielen.

Alte Animationen, die in der Performance „In the Forest“ an die Wand projiziert wurden, beginne ich in Formate zu konvertieren, die heute abzuspielen sind. Daraus erhoffe ich mir Standbilder, mit denen ich auf Rolle 10 weiterarbeiten kann.

Die starken Lichtwechsel, die der Himmel heute Vormittag vorgibt, beeinträchtigen meine Konzentration etwas. Ich will mit den Gedanken bei den Buchmalereien bleiben, für die ich heute feinere Haare von mir, mit dem Wasserfarbenpinsel zu bändigen versuchte. Mit dem Ockerstift beschwichtige ich Dissonanzen und verschiebe durch geschwungene Gravitationslinien die Gewichte. Mit der feuchten Fingerkuppe kann ich harte Linien zu Wolken auflösen, woraus manchmal vage Figuren entstehen, die man aber schnell wieder aus dem Blick verlieren kann.

Volumen einer Diskette

Bei der Betrachtung von Fotografien einer Tanzperformance, die ich mit dem Heidelberger Ensemble der Neunzigerjahre aufführte, frage ich mich nach der heutigen Bedeutung der Bilder für mich. Das untersuche ich, indem ich eines in die Collagen einfügte. Die Computeranimationen dieser Zeit interessieren mich wegen ihrer Speicherbegrenzung auf das Volumen einer Diskette. Ich hatte mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Aus diesem Zugang zu dem, was mich damals beschäftigte, lässt sich der Bezug zur gegenwärtigen Arbeit herstellen. Meine Reaktionen auf die Entwicklungen in der Welt außerhalb meines Gehäuses, lassen sich somit aus einem anderen Blickwinkel überprüfen. Dafür bin ich auf der Suche nach einer Bildsprache.

Zu den mannigfaltigen Beziehungen meiner Arbeit zum Ort des Humboldtforums soll ein neuer Text entstehen. Die Ideen- und Erinnerungsflut muss kanalisiert werden.

Das heißt, dass ich nicht dazukommen werde, Rolle 10 weiterzuführen. Die Malereien bleiben vorerst im Buch und den Collagen eingeschlossen.

Dichterinnen und Kunst

Ein Link zu einem Radiobeitrag vom Deutschlandfunk mit dem Titel „Rachel Cusk und die Kunst – Der Trost der Bilder“, führte mich in die Forschungen zur Verbindung von Literatur und bildender Kunst. Dabei wird von der Autorin beklagt, wie einengend die Sprache sei, im Gegensatz zu den Möglichkeiten, die etwa ein Maler mit seiner Leinwand hat. Das führte uns zu unserer Frage danach, wie Kunst und Übersetzen kooperieren könnten.

Im Kino sahen wir einen Dokumentarfilm über Elfriede Jelinek. Er heißt im Untertitel „Die Sprache von der Leine lassen“. Auch sie vergleicht ihre Arbeit mit der Kunst Skulpturen herzustellen. Das ist vor dem Hintergrund einer Knödel mampfenden Bäuerin in Österreich, die dabei von den Judenerschießungen 1945 erzählt, ein Trost.

Je kunst- und wissenschaftsfeindlicher sich der Mob gebärdet, umso wichtiger werden Forschung und Bilder. Nach dem Kino war ich etwas niedergeschlagen. Mich berührte der Kontrast der energiereichen Sprache einer verletzlichen Person auf der einen Seite und dem populistisch-faschistoiden Gebrüll auf der anderen, das sich gegen die Dichterin wendet. Aber sie ist stark!

Angenehme Leere

Mit mir allein, etwas Schlaf und einem Zahnarzttermin vertrödelte ich den Vormittag. Durch dieses seltene Ereignis stellte sich eine gute Stimmung ein und eine angenehme Leere. Und nun mache ich meine Tagebucharbeit erst am Nachmittag. Die Buchmalereien werden etwas selbstsicherer, vielleicht nicht besser, aber farbiger und vielfältiger.

Gestern formte ich das Relief, das ich mit den Jugendlichen begonnen hatte, weiter aus. Eine langwierige Angelegenheit mit kleinen, lange eingeweichten Pappfetzen. Ich hoffe, dass sich die Abformungsergebnisse verbessern.

Beim Blättern in alten Fotografien fiel mir eine Serie in die Hände, die Gudrun Holde Ortner von mir in den Neunzigerjahren im Malsaal des Heidelberger Theaters gemacht hatte. Und ich fand Bilder von Performances mit dem Tanzensemble in der Heidelberger Schokofabrik und mit dem Shakespeare Swui Ensemble im Gallustheater.

Ukrainische Schüler

Das geschlossene, verflochtene System der Zeichen des Kraftfeldes, zeigte ich am Morgen ukrainischen Schülern. Dafür ging ich mit ihnen auf den alten Holzboden, wo die zerstörten Reliefteile liegen. Ich versuchte die verschiedenen Figuren zu erläutern. Haben wir eine Weile zusammengearbeitet, werden wir Zeichen ihrer Wanderung im Geflecht entdecken und dann zeichnerisch hinzufügen.

Der Schüler, der in der vergangenen Arbeitsphase von YOU&EYE die schönsten Reliefs angefertigt hatte, von denen eines seit Monaten über meinem Grafikschrank hängt, und ich es täglich gerne anschaue, ist wieder mit dabei. Auch Vandad, der die Organisation des Projektes macht und sie hergebracht hatte, war kurz da.

Es gibt viele Dinge, die gleichzeitig gemacht werden sollen. Dafür muss ich mir Arbeitsplätze einrichten, an denen ich parallel zugange sein kann. Mir fehlt es, Bildideen auf Rolle 10 weiter zu entwickeln. Strukturen der Buchmalereien sind mir zu wichtig, als dass sie nur in den Collagen vorkommen und dort verschwinden. Auf den Transparentpapierrollen komme ich am ehesten auf den Punkt.

Strenge Ordnung

Die Zusammenhänge zwischen meiner Beteiligung am Bau des Palastes der Republik und den vielen bildnerischen Arbeiten, die zu den Themen Aufbau, Rückbau, TRIXEL PLANET und Kraftfeld entstanden, sind in einem knappen und verständlichen Text schwer unterzubringen. Es gibt viel zersplittertes Material, dessen Entstehungsablauf sich nicht leicht in eine logische Geschichte einfügen will. Die Parallelitäten zwischen den Vorgängen im städtischen Kontext und meiner persönlichen Arbeit, lassen sich nur innerhalb einer strengen Ordnung aufzeigen, die im Kontrast zu den Arbeiten steht.

Beim Schreiben des Textes entdecke ich immer neues Material, das ich schon vergessen hatte. GPS-Gänge mit Vinzenz in Berlin beispielsweise, auf der Wiese an der Spree, wo der Palast stand. Die gelaufene Figur bezieht sich auf den Grundriss des abgerissenen Baus und die Kuppel des Domes.

Das Kraftfeld-Relief, das ich am vergangenen Wochenende abgeformt habe, ist nun trocken. Die Struktur der aneinander klebenden Pappfetzen, die in die Vertiefungen gedrückt wurden, ist gleichmäßig. Die sich abzeichnenden Ränder werden von der nun folgenden Grundierung geglättet, so dass das Relief als geschlossenes, verflochtenes System sichtbar wird.

Erklärungen

Die Zusammenhänge der Stationen Palastbau, TIXEL PLANET, Palastrückbau, Kraftfeld und dessen Zerstörung, klar zu definieren, bedarf eines zielgerichteten Textes, der mit Abbildungen versehen ist. Die Loops und ihre formale Parallelität, sollen sichtbar werden. Das geschieht inhaltlich auch in der aktuellen Arbeit. In den Collagen werden die gegenwärtigen „Haut- und Haarkompositionen“ mit den älteren Bildfindungen verbunden. Und das geschieht mit der Zielrichtung auf Rekonstruktion der alten Kraftfeldarchitektur und ihrer gleichzeitigen Neuerfindung.

In den vergangenen Tagen versuchte ich dafür weitere Voraussetzungen zu schaffen. Die Reliefherstellung rückte dabei in den Vordergrund. Aber was sich in den letzten Wochen auf Transparentpapier entwickelte, ist wesentlicher. Deshalb werde ich das Zeichnen auf Rolle 10 parallel fortführen.

Am Nachmittag treffe ich Alexander, um mit ihm über die Fortführung unserer Vorhaben zu sprechen. Das ist deswegen notwendig, weil die Herstellung einer geschweißten eisernen Zeichnung für eine Außenwand, viel Aufwand ist.

Chaos

Ungelenk stolperte ich am Morgen in die Buchmalereien. Sie begannen unsicher in der Suche nach Konstellationen der Formen. Der Impuls, Figuren zu umranden, um damit Farbgleichgewichte zu schaffen, fehlte. Jetzt, während des Schreibens, korrigiere ich das.

Das Wochenende habe ich durchgearbeitet. Das mit einer Kaschurtechnik ausgeformte Relief, ist nach dem Trocknungsvorgang nicht stabil genug. Ich muss noch einmal drüber gehen, die einzelnen Felder fester miteinander verbinden.

Hinter dem Ateliergebäude ist die Straße seit fast einem Jahr aufgerissen. Die Kratzspuren der stählernen Maschinen rund um die mehrfach ausgehobenen und wieder zugeschütteten Gruben sind wie die Ränder einer nicht heilen wollenden Wunde. Alle Versorgungsleitungen der alten Wohnhäuser, der Großbaustelle und der Neubauten verlaufen in Schichten übereinander. Ein Gewirr von Röhren sehr unterschiedlichen Durchmessers, Strängen von Stromleitungen, provisorischen Wasserleitungen und Drähten in Plastikkanälen. All das verflechtet sich zu einem chaotischen Gesträuch. Daneben wird eine Baugrube von 50 X 30 Metern wieder mit Erde zugeschüttet. Alles ähnelt der 3. Buchmalerei von heute.

Figuren

Figuren kommen zurück. Ihre Umrisse nehmen die Schwünge der Lockenhaare auf, die Abdrücke meines Handballens und meiner Fingerkuppen. Sie verweisen die anderen Zufallsformen auf ihre eigene Gegenständlichkeit und fordern zum Angleichen auf, mit der Tendenz zur Figurengruppierung. Sie warten, sprechen, lehnen sich aneinander.

Mit Franz trank ich gestern hier im Atelier eine Flasche Palinka, ungarischen Pflaumenschnaps, aus. Die angeregte Unterhaltung drehte sich um unsere Arbeit, um deren Nähe zur Meditation und zum Traum.

Ich fing an, das zweite Relief auszuformen und benutzte hierfür die alte Kaschurtechnik mit gerissenen Pappstücken, die in Kleister eingeweicht und in die Form gedrückt werden. Die große geschlossene Pappfläche des ersten Formates verwirft sich zu sehr. Während der Arbeit ließ ich auf einem meiner Bildschirme die Collagen dieses Jahres laufen. Sie durchleben Durststrecken einer gewissen Spannungslosigkeit, steigern sich aber immer wieder zu der Dichte und Kraft, die mir die Energie zum Weitermachen spenden.

Klang

Jedes Haar bekommt einen Namen. Dann werden sie in ein Glas mit Schraubdeckel gelegt. Die Locken formieren einen Raum. Die Berührungspunkte sind die Energiequellen, die für die Definition des Raumes notwendig sind. Die zweidimensionalen Buchmalereien tendieren zu einer Songstruktur. Ich schreibe sie über die leeren Seiten und merke wie sie mir ohne Dreidimensionalität unzureichend erscheinen, wie eine niedergelegte Komposition, die nie erklungen ist. Immerhin stapeln sie sich in den Collagen zu einem klingenden Volumen, das gesehen wird.

In den Reliefs und den Weidengeflechten erweitern sich die Zeichnungen nach oben in die flimmernden Himmel. Die gebogen verflochtenen Äste, die ich kopfüber in das Stahlseil gehängt habe, werden vom Wind gruppiert, hängen zusammen und sprechen miteinander. Heute brachte ich ihre Schattenrisse erstmalig in die Collagen.

Das Relief grundierte ich nun auch auf seiner Rückseite, Wenn es trocknet, wird es Schicht um Schicht stabiler. Gleichzeitig werde ich nun mit dem zweiten Exemplar beginnen, die trostreiche Dreidimensionalität vervielfältigen.

Wellenlängen

Nach der Grundierung des Reliefs, für die ich gestern den ganzen Nachmittag aufwendete, liegt an diesem Morgen eine Schneelandschaft, mit Spuren durchzogen, auf dem Tisch. Über dem Streiflicht, das die Sonne darauf wirft, flimmert der Atelierhimmel in den Wellenlängen meiner Zeitbilder aus den Rückdenkkammern. In den Sekundenschlägen summen die Stahlgerüste, Knochen, Blutbahnen.

In der Nachbarschaft wird neu aufgeschütteter Schotter verdichtet. Populationen kleiner Organismen, mein Gehör und der Boden unter meinen Füßen werden weiter zerrüttet. Rotierend reagieren die Malereien und werden vom Lärm wieder niedergebrüllt, schlagen dann nur noch graugrünockerne Blasen.

Mit meiner Konzentration versuche ich die Frequenzen der rüttelnden Walzen zu überlagern. Die Teleskope hinter den Nachbarplaneten liefern meiner Vorstellungskraft die Energie, die das Spiel meiner Synapsen steuert. Neue Schafgarben blühen im warmen Spätherbst auf meiner Wiese.

Graustufen I Farbflächen

Fahrt über freies Gelände. Hinter dem verschneiten Hügel beginnt die Fläche des Traumes, der sich auf das leere Blatt meiner Buchseite dehnt. Mit den Farben kehrt er dann aber ganz zurück in den Raum des Ateliers, denn ich träume in Graustufen. Ungezügelt und verschlungen treten die Linien aus der Nacht, und farbig ist die Fläche des Tages nach dem Erwachen.

Am Morgen löste ich das Relief aus der Form. Es steht nun, an die große, leere Leinwand gelehnt im wechselnden Licht. Die Schatten der Kräne und der letzten Blätter im Westwind, flimmern darüber hinweg. Nach der Grundierung weiß ich, womit ich es zutun haben werde, welcher Zustand der Fläche die Arbeit lenken wird. Und gleich müsste ich mit der Ausformung des nächsten Reliefs beginnen, damit ich während der Malerei das große Stahltor des Rückbaus des Palastes der Republik vor mir habe, denn es erstreckt sich über zwei Formate.

Kurz nachdem die Buchmalereien mit der Ermahnung: “Schluss jetzt!“, enden, bin ich gespannt auf das Einfügen der Scans in die Collagen des Tages. Ich nehme nun auch die Einzelumrisse des Kraftfeldes mit hinzu, damit ich das Thema nicht aus den Augen verliere.

Kontraste

Die Schwünge der Buchmalereien formen sich zu gepressten Versteinerungen alter Organismen oder zu Satellitenbildern eines Flussdeltas mit Lagunen. Die Linien können auch den Kopf eines Stieres zeigen, der sich mit den trocknenden Rändern der Gewässer bildet. Die Geraden, die aus den Flüssigkeiten wachsen, kontrastieren die Kartierungen so, wie die Farben aufeinander reagieren.

Das ausgeformte Relief ist nun so gut wie trocken. Mit mehreren Grundierungsschichten kann ich es nun weiter stabilisieren. Damit entsteht die Grundlage für die weiteren Proben seines Potentials. In einem kleinen Relieffragment, das ich für Kerstin bemalte, entwickelte sich eine zwiespältige Struktur. Die Haarlinien verweisen auf Verfall, könnten von einer Mumie stammen, was längeres Hinschauen erschwert. Die Farben hingegen leuchten, vor allem aus der Ferne. Diese Widersprüche sind Teil des Experimentes.

Zum 88. Geburtstag meiner Mutter fuhr ich gestern nach Thüringen. Im wechselnden Licht verändert sich die altbekannte skulpturale Landschaft mit ihren Baustellen. Zwischen den schweren Transportfahrzeugen auf den schmalen Behelfsspuren die Bahnen zu wechseln, ist wie Russisch Roulette. Aus der Partitur der kommenden Katastrophen steigt das Getöse des Transports.

Fragmentierte Malerei

Zwei mal im Jahr etwa mache ich ein Feuer auf dem Gelände, auf dem mein Atelier steht. Ich verbrenne Gartenschnitt oder zerfallene Möbel, die im Freien standen. Die Asche kommt dann als Dünger meinem Gärtchen zugute. Die Wärme der Flammen erinnere ich wohltuend und auch das glühende Fass, in dem es brennt.

Durch die Entfernung der Haare aus den getrockneten Malereien, werden sie fragmentiert. Ihre Linien enden dann an den Rändern der Farbfelder. Manchmal, wenn noch etwas mehr Wasser im Spiel ist, wird das Pigment von den Linien abgestoßen, es entstehen helle Schwünge. Wenn ich mit Tinte, wie in der zweiten Malerei von heute, in die schon angetrockneten Bereiche gehe, werden die Linien dunkel.

Gestern kümmerte ich mich noch einmal um das Relief. Die zwei Pappflächen die ich eingeweicht und vollständig in die Vertiefungen gedrückt habe, trocknen unterschiedlich und verwerfen sich dann gerne. Das versuche ich zu korrigieren. Mir kommt in den Sinn, die Ränder unregelmäßig zu gestalten, sie mit den Liniengeflechten ausfransen zu lassen, wie die Buchmalereien.

Kraftfeld Rekonstruktion

Der Versuch, wieder in die Arbeit zurück zu finden, beginnt mit dem Gedanken an die Parallelität vom Palastrückbau, der entstandenen Leerstelle und der Arbeit am Projekt „Kraftfeld Frankfurt“. Dadurch erweitert sich der Horizont der Rekonstruktion dieses zerstörten Reliefs. Seine Gestaltungsschichten, die Linien einer Fotografie vom Rückbau 2007, die des Brandenburger „Tieres“ aus einer Zeichnung von 1974 und die der Umrisse der Zuwanderungsspuren, wählte ich unbewusst. Mit beiden Berliner Figuren sollten persönliche Erinnerungsspuren eingeflochten werden.

Jetzt spricht die Komposition anders zu mir. Aus dem heutigen Blickwinkel ist mir der ganze Komplex näher gerückt. Die Rekonstruktion wird mit zwei Tafeln fortgesetzt, deren Fragmente ich schon im alten Holzlager nebeneinander gelegt habe. Die Rückbaulinien, die insbesondere aus einem Teil des Stahlgerüstes bestehen, gehen über den Rand des einen Formates hinaus und finden ihren zweiten Teil auf der nächsten Tafel. Beide werden so durch ein großes Tor zusammengehalten.

Nun sollte ich diese Formation abformen und beginnen, mit ihr zu experimentieren. Damit kann ich gleich heute Nachmittag beginnen, denn alles Material, das dafür notwendig ist, steht bereit. Und auch die Vorfreude darauf, verleiht mir den nötigen Schwung mit dem Probieren zu beginnen.

Biennale

Wir nahmen uns eine ganze Woche Zeit, um uns die Biennale in Venedig in Ruhe anzuschauen. Sie ist fast die Gegenposition zur Documenta. Entsprechend gestärkt fühle ich mich nun. Es tat gut, die individuelle Kraft der Einzelkünstler zu spüren und gleichzeitig fühlte ich mich häufig in meinem Tun bestätigt.

Ich habe viele kleine Dinge mitgebracht, z.B. Mauerbröckchen oder Putz, die mir beim Anlehnen in meine, hinter dem Rücken verschränkten, Hände fielen. So, vom Deutschen Pavillon und vom Arsenale. Samen brachte ich aus dem Garten des Guggenheimmuseums mit, Prospekte der Länderpavillons aus den Giardini und Eintrittskarten in Kirchen, Türmen und Museen.

Collage Nummer 478 aus 2022

Es ist kaum nachvollziehbar, wie sich nun all das Gesehene auf meine eigene Produktion auswirken wird. In der 3. Malerei dieses Morgens gibt es ein paar grüne Schleifen, die am Schluss dazugekommen sind, weil ich schichtende Linienkompositionen wieder sah, wie ich sie selber oft angefertigt habe. Und vielleicht entspringen die Pavillons mit den dreieckigen Grundrissen von heute den luftigen Architekturen, die es in Venedig so häufig gibt.

Traum

Wieder schnitt ich Weidengeflechte vom Baum, bearbeitete sie noch etwas und hängte sie kopfüber an das Drahtseil, das diagonal über den Platz vor dem Atelier gespannt ist. Dahinter waren dramatische Himmelskonturen und –farben, von einem warmen Wind angefacht.

Die Atmosphäre dieser Situation folgte mir in einen Traum, in dem ich Zögling eines Jugendwerkhofes war. Das zur Strafanstalt umgewidmete Kloster stand in einer Landschaft, die dem Martelltal ähnelte. Wir sammelten Knüppelholz und verarbeiteten es. Das Wetter war so, dass wir es wagten auszubrechen und stahlen Kartoffeln von den Feldern, die mit Hecken eingezäunt waren. Mein Mitflüchtling, zeigte auf eine wolkenverhangene Scharte über dem Tal und sagte: „wenn sich das Wetter bessert, steigen wir dort hinauf. Auf der anderen Seite ist mein Dorf.“

Die Buchmalereien hielt ich reduziert. Es gefiel mir, auf wenige Gestaltungselemente zu setzen, um das Geschehen zu minimieren und den Blick zu konzentrieren. Es ist das Gegenteil von den Schichtungen in den Collagen und auf den Transparentpapierrollen, die eher auf Überforderung angelegt sind. Um dies in geschweißte Gitterstrukturen an Wänden zu übertragen, bedarf es noch einiger Bildarbeit, Verwaltungsakte und Atelierbesuche.

Kram

Kram in den Regalen: Papprollen mit Transparentpapierzeichnungen darin, Holzkistchen und eine uralte Böllerpackung, laut Aufschrift 119,5 dB, umweltschonend verpackt, verwitterte Knochenscheiben, mit denen ich Muster in die Buchmalereien presse, Papiertaschetücher, Spitzerabfälle, Zeitungen. Während ich das aufschreibe, wird es ungemütlich, als ob alles zu wackeln beginnt, wie bei einem Erdbeben. Wenn ich aber nur ein farbfleckiges Taschentuch in den Müllsack werfe, oder eine Schachtel zurück in die Regale stelle, die mich vollständig umgeben, den vertrocknete Goldregen im Gärtchen abschneide, beruhigt sich alles wieder. In den Buchmalereien aber, ordnet sich der Seelenkram, der sich außer mir verteilte, findet beim Malen in seine Fächer zurück.

Die Linien des Gustavsburgplatz – Ganges, übertrug ich auf Rolle 10, um sie mit den Zeichengeschehnissen der letzten Tage zu verbinden. Das nähert sich dem Linienmaterial, das ich für geschweißte Wandgitter benötige.

Gestern Vormittag schnitt ich mit der Heckenschere Äste von einer Weide, die ich schon vor zwei Jahren, an ihren Enden zu Kreisen geflochten habe. Zehn von ihnen hängen über den Eingängen der Polsterwerkstatt der Nachbarn und meinem Atelier. Ein überkopf trocknendes Gesträuch, das an einem gespannten, zweckfreien Stahlseil im Wind schaukelt.

Verlangsamter Rhythmus

Die Umrisse der ersten Malerei vom 19.10., mit einer Figur auf der rechten Seite, übertrug ich auf Rolle 10. Die konstruktiven Elemente, die vom 17.10. kommen, treten fragmentiert wieder auf. Der Abstand der Wiederholungen auf der Transparentpapierrolle beträgt derzeit etwa 20 cm. Das ist der Umfang der Rolle. Mit der fortschreitenden Arbeit wir sich der Umfang verdoppeln und der Rhythmus wird sich im Kreislauf um 100% entsprechend verlangsamen. Und nun denke ich daran, die Linie des Gangs auf dem Gustavsburgplatz, die einen Kopf umschreibt, als nächstes auf die Rolle durchzuzeichnen.

In den heutigen Buchmalereien legte ich Haare von B. in die Farbseen. Sie sind viel kräftiger als meine und entsprechen habe ich mit ihnen mehr zu kämpfen, um sie flach auf das Papier zu bekommen. Diese Kräfte zeigen sich dann in den Schwüngen die entstehen. Im Idealfall höre ich während der Malerei auf zu denken. Und es macht Spaß, dieses ungedachte Material zu vergrößern und weiter zu verarbeiten.

Christian Schmidt vom Humboldt Forum erinnert sich, wie ich auch, gerne an unser Gespräch am vergangenen Sonntag. Das ermutigt mich die Rekonstruktion der zwei Tafeln des Kraftfeldes zu forcieren, die mit der Stahlkonstruktion des „Rückbaupalastes“ zu tun haben. Es wäre gut, wenn diese Arbeiten an den Ort zurückkehren könnten, von dem die Inspiration ausgegangen ist.

Gänge und eiserne Zeichnungen

Mir fiel gestern eine GPS-Zeichnung, die ich mit einem Gang auf dem Gustavsburgplatz gemacht hatte, in die Hände. Dabei ist damals die Zufallsfigur eines Kopfes entstanden. Er könnte der Ausgangspunkt für eine geschweißte Wandgestaltung aus einem Gitter sein, die an der Rückwand des Flachbaus, in dem Kayo seine Kaschemme hatte, den Träger für eine Wandbegrünung bildet. Während eines Gespräches mit Leuten vom Bauamt, fiel mir ein, dass trotz einer Begrünung der „eisernen Zeichnung“, die Umrisse der Hauptfiguren sichtbar bleiben müssten. In dieser Weise könnte das Grün auch ab und zu beschnitten werden. Ein gestalterisches Spiel.

Auf Rolle 10 kombinierte ich einen Gang, den ich 2012 auf der Wiese an der Spree unternahm und aufzeichnete, auf der zuvor der Palast gestanden hatte und noch keine Schlossbaustelle im Gang war, mit den vorherigen Strukturen. Dabei hielt ich die Abstandsregeln für die Flächen und Linien der verschiedenen Schichten ein. Das entstehende Gewusel erscheint dadurch nicht mehr so kompakt. Das ist die Vorbereitung des nächsten, noch unbekannten Arbeitsschrittes.

So, wie ich es mir gestern vorgenommen hatte, komme ich noch nicht von den Transparentpapierrollen los. Ich fand die Fotografien, die mir Ingrid vom Rückbau des Plastes mitgebracht hatte und möchte gerne mit diesem Material von 2007 weiter arbeiten. Die Reliefarbeit, die ich mir vornahm, könnte ich auf die kleinen Fragmente beschränken, die ich schon grundiert hatte.

Lücken

Gestern Nachmittag erlaubte ich mir eine Atelierpause zugunsten von Besorgungen in der Stadt. Danach sind die Buchmalereien an diesem Morgen wieder etwas anders. Ich arbeitete bedächtiger. Auch die Arbeit an Rolle 10 ist unterbrochen. Im stockenden Rhythmus finden sich Lücken, in denen ich darüber nachdenken kann, wie es weitergeht.

Die Wiederaufnahme der Abformung der Reliefs und ihre Bemalung, könnte die Beschäftigung mit den Transparentpapierrollen und mit der Vergangenheit, die auf ihnen gespeichert ist, zunächst etwas in den Hintergrund verlagern. Wenn ich jetzt damit beginne, könnte ich nach der Reise zur Biennale in Venedig, an dieser Stelle weitermachen. Das ist ein Grund, sich auf die Heimkehr zu freuen.

Aus der Praxis meiner Collagen könnte ich Erfahrungen für Gestaltung von Trägergittern für die Wandbegrünungen übernehmen. Anlass ist ein Besuch vom Bauamt. Es geht um die Gestaltung des Gustavsburgplatzes, nachdem Kayo seine Kaschemme dort aufgeben musste. An der Rückseite des kleinen Flachbaus könnte eine Wandbegrünung zur Wiese hin entstehen. Dafür würde ich gerne ein Gitter schweißen.

Fusionsenergie

Der Umriss der 3. Buchmalerei von gestern, bildete die Voraussetzung für die nächsten 30 cm von Rolle 10. Die aufeinander folgenden Arbeitsergebnisse überlagern sich in den Collagen von heute.

Im Gefüge der Linien ergreift mich bei der Arbeit an der Transparentpapierrolle eine Gelassenheit. Sie entsteht durch die richtungweisende Ordnung, die ich beim Durchzeichnen einhalte. Es sind die Abstände, die ich zu den Umrisslinien wahre, damit ihre Gestalt sichtbar bleibt. Weil diese Regel auch in den zuvor entstandenen Zeichnungen Gültigkeit besaß, fragmentieren sich die Formen beim wiederholten Rekapitulieren immer weiter, bis zur Unkenntlichkeit. So verlischt das Stahlgerüst des Palastes der Republik langsam zugunsten anderer markanter Figuren, die zumeist von den Buchmalereien stammen.

Diese strenge Arbeitsweise steht im Kontrast zur verspielten Freiheit der Buchmalereien. Die Begegnung beider führt zu energiereichen Fusionen. Es entstehen Kraftfelder, die in der Folge immer wieder aufgerufen werden können. Ihre Kombinationen sind erneute energetische Unterfangen.

Verschiedene Handlungsstränge

Nach einem Interview über meine Mitwirkung am Bau des Palastes der Republik, mit einem Spannungsbogen bis zum Humboldt Forum und seiner Zukunft, fallen mir immer noch Dinge ein, die ich hätte erzählen können. Die Rekonstruktion des Kraftfeldes sehe ich nun unter dem Blickwinkel der Spannung unter der dieser Ort, durch die Geschichte hindurch, gestanden hat. Meine persönliche Verbundenheit mit ihm kann ich nun in die gegenwärtige Arbeit einflechten.

Am Wochenende grundierte ich Reliefteile, die vom zerstörten Kraftfeld stammen, um sie für eine Weiterverarbeitung zu stabilisieren. Ich will mich in der nächsten Zeit, innerhalb des Liniengeflechts, auf das Rückbaumotiv mit dem Stahlgerüst konzentrieren. Dafür muss ich zwei vollständige Exemplare abformen, weil das Motiv rechts über den Rand hinausreicht und von der linken Kante wieder in das Format eintritt. Der Zusammenhang ist somit nur erkennbar, wenn ich die beiden Abformungen nebeneinander hänge und die Linien der Stahlkonstruktion hervorhebe.

Somit folgt die Rekonstruktion verschiedenen Handlungssträngen. Es sind die Kooperationen mit anderen Künstlern und Künstlerinnen, Fragmentierungen und den Schichten unterschiedlicher Bemalung von Einzelteilen oder ganzen Exemplaren. Es entsteht ein abwechslungsreicher Fundus von Zwischenergebnissen der Suche und Forschung.

Klang

Die konstruktiv-architektonischen Elemente sind die Gegenspieler der Haarschwünge und der Farbwolken, die ich mit den Handballen herstelle. Die etwas simplen Probebühnenaufbauten, die den festen Part in den Buchmalereien und auf den Transparentpapierrollen übernahmen, werden nun öfter von den von Marmor entkleideten Stahlkonstruktionen des Palastrückbaues ersetzt. Sie sind besser als Voraussetzung für Verschachtelungen und vielfältigere Figurationen beschaffen.

Die zeichnerischen Anlehnungen an diese Strukturen sind zahlreich. Bisher habe ich sie nicht weiter beachtet. Nun suche ich sie, denn ich will wissen, wie sehr die Bilder des Rückbaus meine zeichnerische Arbeit beeinflussten.

Schon in den Buchmalereien versuche ich den Klang zwischen den körperlichen Elementen, zwischen Haut, Haar und Zeichnungshandschrift spannungsvoll zu harmonisieren. Eine unendliche Aufgabe. Ich mischte die leicht erhabenen Haarschwünge mit satten Handballenabdrücken. Dadurch entstand eine neue Struktur, die ich dann in der 1. Collage von heute vergrößerte. So begebe ich mich tiefer in die körperlich-konstruktiven Spannungsverhältnisse hinein.

Mit Haut und Haar

Ich dachte an den symbolischen Horizont, den ich vom Dach des Palastes der Republik aus im Westen sah. Seine Bedeutung war vorbereitet durch die Vermeidung meines Grenzdienstes. Auswirkungen waren die Ausreise aus der DDR und das Wanderungsspurenprojekt TRIXEL PLANET ab 1997. Es mündete in die Arbeit mit dem Titel „Frankfurter Kraftfeld“, deren Zerstörung durch einen Wasserschaden sich mit dem Rückbau des Palastes verflocht. Ihre Rekonstruktion verbindet sich mit dem Bau des Humboldt Forums. Das ist der Rahmen meiner Erzählung.

Das durchscheinend gestapelte Material auf Rolle 10 ergänzte ich gestern mit dem Umriss der 3. Malerei vom 10.10.. In das dritte Motiv von heute fügte ich die Stahlkonstruktion vom Rückbau des Palastes ein, die ich auch für das Kraftfeld nutzte und verwischte sie teilweise mit dem Handballen: Spuren von Haut und Haar. Der wiederholte Aufruf dieser Bilder erinnert mich an Felsgravuren von Tierumrissen, die vor der Jagd rituell mit Pfeilen beschossen worden sind. Mein Ritual der Kraftfeldrekonstruktion und die Kreisläufe der Transparentpapierrollen, führen zur Ornamentierung meiner Zeit.

Dabei hoffe ich, innerhalb der sich bildenden Schichten, auf Neuentdeckungen. Eine Inversion von Archäologie, deren Fundstücke sich aus den Kombinationen von Umrissen herausbilden. Das findet sich auf allen Ebenen der gegenwärtigen Arbeit.

Übersicht

Die Umrisse der 2. Malerei vom 10.10. übertrug ich auf Rolle 10. Ich begann die vorausgegangenen Strukturen aus Figuren und Stahlgerüsten, in die architektonischen und geschwungenen Felder einzufügen. Es treten unterschiedliche Materialtexturen (Stahl und Haar) auf zeitlich sehr voneinander entfernte Szenen.

Besuche kündigen sich an. Es geht um Gespräche über Erinnerungen an den Bau des Palastes der Republik in Berlin und um meine allgemeine Arbeit im Bezug auf Architektur. In diesem Moment spüre ich, wie sehr ich, auch wenn mich das Interesse freut, die ungebundene Schwerelosigkeit meiner Arbeit schätze.

Während der Arbeit mit dem Archiv, merke ich, dass ich die Transparentpapierrollen zeitlich geordnet lagern muss, wie ich es mit meinen Tagebüchern mache. Denn die Kombination beider Erinnerungsmedien mit dem Werktagebuch im Netz, verlangt Übersicht.

Reinweiß

Ich sehe Momente der Fremdheit in alten Aufzeichnungen, die sich selbst mit Rückblicken beschäftigen. In ihnen bescheinige ich mir, während der Beschäftigung mit dem Wanderungsspurenprojekt auf der Frankenallee in Frankfurt, mangelnde Kreativität. Das sehe ich heute differenzierter. Ich fühle mich in dem, was ich vor 25 Jahren dachte, öfter bestätigt.

Die Rekonstruktion des Kraftfeldes, ist wie eine rituelle Wiederholung, ein erneutes Aufrufen der Überzeugung, dass nur kulturelle Vermischung die Widerstandskraft erzeugt, die für jeglichen Fortschritt notwendig ist. Das habe ich in meiner direkten Nachbarschaft gefunden und befinde mich somit mitten in der identitätsgeladenen Diskussion. Die Vertiefung des Themas folgt nun persönlichen Aspekten, die in der Figur der Stahlkonstruktion des Palastes der Republik ihren Ausgang hat. Es kommt eine neue Schicht hinzu.

In unerlaubter Entfernung von der Baustelle näherte ich mich regelmäßig der marmornen Welt des Pergamonaltars. Das Einlasspersonal des Museums ließ mich, in Filzstiefeln und einer öligen Uniform, kostenlos passieren. Das reine Idealbild der sozialistischen Idee sollte außen am „Volkspalast“ mit dem weißen Marmor illustriert werden, in den auch die antiken Reliefs gehauen wurden. Und aus dem Altarsteinbruch in der Türkei wurde zuvor Material für Kalk zum Weißen der Häuser gebrannt…

Gebogene Zeitstrahlen

Beim Unterwegssein durch die letzten zwanzig Jahre begegnete mir mein Trachten nach der Herstellung von Heimat auf Reisen. Zu Hause fühlte ich mich meist durch die Anwesenheit meines Tagebuches und bestimmter Musik. Mit den Buchmalereien, den Aufzeichnungen und den musikalischen Schwingungen schuf ich mir einen Raum, in dem ich von einem, mit mir wandernden, zu Hause umgeben war. Die Übertragungen von Strukturen meines Körpers in die Buchmalereien verdichten diesen Zustand.

In der 2. Malerei von heute fasste ich die Haarschwünge und Farbfelder mit einer Kulissenarchitektur, an die sich eine, an Stahlbaustrukturen erinnernde, Verschachtelung anschloss. Das führt in die Labyrinthe der gebogenen Zeitstrahlen, die über 50 Jahre zurückreichen.

Südlich und westlich des Geländes, auf dem mein Atelier steht, entstehen Wohnkolosse, deren Rohbauten jetzt schon viel Sonnenlicht blockieren. In ein paar Jahren wird eine neue Nachbarschaft da sein. Dann bin ich bald 30 Jahre hier und das Ende dieser Zeit wird dann kommen.

Rückbaustruktur

Auf Rolle 10 übernahm ich Strukturen und Figuren von Rolle 3, vom 18.09. 2007. Einerseits durchflechte ich das mit dem kürzlich vorausgegangenen Material, möchte aber danach auch die Umrisse und Haarschwünge aus der Gegenwart hinzufügen.

Es liegen alle Transparentpapierrollen auf dem Tisch. Tagebücher liegen aufgeklappt mit demselben Datum auf den entsprechend datierten Rollenzeichnungen. So wird die Funktion des Archivs deutlich, zu dem ab 2011 auch noch die Werktagebücher im Netz hinzukommen.

Die Rekonstruktion des Kraftfeldes bekommt durch die Beschäftigung mit dem Projekt des Humboldt Forums eine neue Schicht und mehr Schärfe. Dieser Anstoß ist für die laufende Arbeit sehr wichtig. Ich denke daran, die portalähnliche Stahlkonstruktion der Rückbaustruktur, innerhalb des Geflechtes des Kraftfeldes, neu auszuformen. Auf den Transparentpapierrollen ist die Entstehung des großen Kraftfeldreliefs gut nachzuvollziehen. Das ist die Entwurfsarbeit für die Überlagerung der zugewanderten kulturellen Zeichen.

Vorwegnahme

Eine Transparentpapierrolle von 2008 habe ich bis zum Ende genauer durchgesehen und die Daten notiert, wo sich Verknüpfungen mit der Palastthematik befinden. Dazu nahm ich die Tagebücher, die in der betreffenden Zeit entstanden waren, um die Umstände der Entstehung der Arbeiten zu erinnern. Ein interessantes Beispiel für mich, ist eine skythische Grabbeigabe, die einen Hirsch, der in der Hüfte um 180° gedreht ist, zeigt. Ich deutete dies als Zeichen für die Unendlichkeit von Tod und Wiedergeburt. Das verband ich mit Bau und Abriss und Wiederaufbau. Die Ansicht des Stahlgerüstes zeichnete ich zweimal, davon einmal kopfstehend. Das verbindet sich auf dem Transparentpapier alles mit den Wanderungsspuren des Trixel Planeten.

Vom Humboldtforum signalisierte man Interesse für mein Angebot, meine Erinnerungen, Aufzeichnungen und künstlerischen Verarbeitungen, für eine Projektarbeit zu nutzen.

Gegenwärtig entsteht mit diesem Teil meiner Arbeit eine weitere Bedeutungsschicht für mich. Er reiht sich in die Beschäftigung mit dem Verschwinden ein, mit der Präsenz des Abwesenden. Dazu kommt die Verbindung von Rückbaustrukturen und kulturellen Spuren menschlicher Wanderung, als Vorwegnahme des neuen Themas für diesen Ort.

Magdeburg

Aus dem schütteren Niemandsland der Halden, Flüsse, Fähren und dem weiten, mit Starkregensäulen durchsetzten Himmel, gingen wir in die Arena, in der Bob Dylan auftrat. In den letzten Jahren sahen wir 10 Konzerte mit ihm. Diesmal war vieles anders, als in den Auftritten zuvor. Das Set begann in einem sehr reduzierten Bühnenbild, nicht wie üblich, mit „Things Have Changed“ und eine Viertelstunde verspätet, während zuvor jede Show auf die Minute pünktlich begonnen hatte. Der Song war kaum erkennbar. Dylan verschwand fast hinter seinem Klavier, das mit der schwarz abgehängten Rückseite zum Publikum ausgerichtet war. Links daneben stand ein beleuchtetes Mikrofon, das nicht zum Einsatz kam. Es war, als würde man dem Verschwinden einer Figur zusehen, die die Gemeinde auf ihre Abwesenheit vorbereitete. Dies aber geschah mit der Präsenz des Meisters, auf den alle Aufmerksamkeit der Band und des Publikums, wie durch ein Brennglas, energetisch fokussiert war.

Im Geviert des Kreuzganges des Magdeburger Domes fand ich eine alte, rauchige Glasscherbe, deren eine Kante von Hitze gezeichnet, Blasen zeigt. Es kann die Spur des Bombenangriffs auf das Gotteshaus im Zweiten Weltkrieg sein, in dem sämtliche Glasbilder verloren gegangen sind.

Landschaften, auch Bühnenlandschaften und die einer Stadt, verändern sich durch den eigenen Fokus. Leerstellen treten in den Vordergrund, werden zum verbindenden Element einer Reise. Das fällt mir hier im Atelier auf, wo die Aufmerksamkeit zunehmend auf die verlorenen Dinge gerichtet wird.

Start

Das Sonnenlicht, das durch die Atelierglasfront fällt, auf seinem Weg Schatten der Bäume auf den staubigen Scheiben hinterlässt, zieht mich in meinen Garten. Ich möchte schneiden, stapeln, graben, pflanzen und säen. Am Freitag, der halb schon ein Wochenendtag ist, sollte Zeit dafür sein.

Auf Rolle 10 habe ich gestern begonnen, die Zeichnungen zum Thema „Palast der Republik zu sammeln und sie mit dem gegenwärtigen, sehr persönlichen Material zu konfrontieren und zu vermischen. Das fühlt sich wie ein Start in ein neues Arbeitsfeld an. Die Aufgabe ist klar. Die Medien sind Buchmalerei, Aufzeichnungen, Transparentpapierrolle und die Rekonstruktion der Kraftfeldreliefs. Mit ihnen werde ich die vorangegangenen Themen vermischen und fortschreiben.

Somit schieben sich auch die bildnerischen Suchbewegungen des Trixel Planeten erneut in den Vordergrund. Ein Umriss der die Wanderungsspurenbilder aufnehmen kann, ist die Aufzeichnung der GPS-Wanderung, die ich auf der zwischenzeitlichen Wiese auf dem Grundriss des Palastes an der Spree, gemacht habe.

Suche

Am Zeichentisch stehend sah ich gestern alle 10 Transparentpapierrollen durch, annähernd 500 m, und suchte nach den Verbindungen zwischen dem Bau und Rückbau des Palastes der Republik und den Wanderungsspuren des TRIXEL PLANET. Dieses Material drängt nun wieder in die Gegenwart.

Bei der Suche nach diesen Anknüpfungspunkten zahlen sich die Parallelitäten zwischen Arbeitstagebuch auf der Website, den Aufzeichnungen und Malereien in den Büchern und den Transparentpapierrollen aus. So kann ich digitale Suchbegriffe und analoge Arbeiten kombinieren, um sie in den Weiten der Materialien zu datieren und finden, was ich suche.

Eine Nachbarin besuchte mich am späteren Nachmittag, weil sie sich für meine Arbeit interessiert. Während des längeren Gesprächs erzählte ich von den Bezügen zwischen Geografie, Choreografie und Zeichnung in dem Zeit Raum meiner Arbeit. Das aufmerksame Gegenüber förderte meinen Erzählstrom übergebühr.

Heute malte ich die Buchmalereien jeweils nur mit einem Haar. So reduzieren sich die Zufälle und das spannungsgeladene Gewusel, zugunsten einer bewussteren Farbauswahl.

TRIXEL PLANET HUMBOLDT FORUM KRAFTFELD

Bei der Sichtung der Transparentpapierrollen von 2007 bis 2010, fand ich mehrere Motive, die von meiner Zeichnung vom Dach des Palastes der Republik in Richtung Westen stammen und sich mit den Figuren der Wanderungsspurenforschung verbinden. Und weil das Stahlgerüst, das während des Rückbaus sichtbar wurde, in das Figurenensemble des Kraftfeldes eingegangen ist, taucht diese Situation in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder auf. Bemerkenswert erscheint mir, dass sich diese Motive von 1974 und 2007-2010 mit den Wanderungsspuren des TRIXEL PLANET verbinden, der eine große Nähe zu den heutigen Inhalten des HUMBOLDT FORUMS hat.

Nun möchte ich gerne das ältere Transparentpapiermaterial mit den gegenwärtigen Arbeiten verbinden. Das kann in den Collagen und auch innerhalb der Rekonstruktion des KRAFTFELDES geschehen.

Dagegen erscheinen mir die Buchmalereien, die ich derzeit mit der Einbeziehung meiner Haare mache, wie eine formale Spielerei. Gehe ich aber weiter und der Sache auf den Grund, ergeben diese Arbeiten eine persönliche Schicht, die es lohnt mit den Transparentpapierrollen aus den früheren Jahren zusammen zu bringen.

Endlosschleifen

Auf der Rückfahrt von Berlin nach Frankfurt schaute ich in den Arbeitsbericht auf meiner Website. In das Feld für Suchbegriffe gab ich „Palast der Republik“ ein. Im Humboldt Forum beschäftigt sich ein Team mit den Erinnerungen, die mit diesem Gebäude verbunden sind. In meinen Einträgen zur aktuellen Arbeit, bekam ich über 40 Treffer mit Inhalten zu diesem Gegenstand. Die Beschäftigung mit der Landschaftszeichnung auf einem Packpapierfetzen, die ich 1974 von der Südwestecke des Daches nach Westen machte, die Transparentpapiersequenzen mit den Rückbaufiguren, bis hin zu den Reliefs des Kraftfeldes, ziehen sich Bilder zu diesem Thema durch alle Phasen meiner Arbeit.

Vor knapp einem Jahr, am 20.10. 2021, schrieb ich: „Die Ereignisse im Zentrum von Berlin, die in meine Lebensspanne fallen, lösten stets starke emotionale Reaktionen aus: Mauerbau / Mauerabriss, Bau des Palastes der Republik / Rückbau, Schlosssprengung / Schlossneubau. Das sind die Endlosschleifen meines Lebens.

Ich sah die Abgüsse einiger Reliefs von Angkor Wat im Humboldt Forum. Die Originale hatte ich feiner gearbeitet in Erinnerung. Da hat mich vielleicht vor Ort der Verwitterungszustand, der mehr ergänzende Rückschlüsse auf die Gestaltungsqualität zuließ, getäuscht.

ONKEL WANJA – WEIDENSCHWÜNGE

Im Schauspiel Frankfurt sahen wir Tschechows „Onkel Wanja“ in der Regie von Jan Bosse. Der Rohbau auf der Drehbühne zeigte eine ewige Baustelle, oder eine Investruine, die schon von Schlingpflanzen überwuchert wurde. Die Russen soffen etwas klischeehaft unentwegt Wodka. Aber es war eine wirklich schöne Premiere.

Wir trafen wieder Chunqing Huang mit ihrem Mann. Ich erzählte ihr von den Fragmenten in der restaurierten Kapelle in Müstair. Wir sprachen auch über Musik und Bilder im Zusammenhang mit Übersetzung. Dann gesellte sich Karlheinz Braun zu uns, und berichtete von seinem 90. Geburtstag und den vielen Projekten, an denen er noch arbeitet. Was soll man dazu sagen – bewundernswert!

Inspiriert von meinen Haarlinien in den heutigen Buchmalereien, schnitt ich zwei Weidenäste und flocht sie, während die Wasserfarben trockneten, ineinander. Ihre verschränkten Schwünge hängen an einem Drahtseil, frei schwingend über dem Ateliereingang.

Übersetzen

Auf der langen Fahrt von den Bergen, in denen wir Ferien gemacht hatten, nach Hause, sprachen wir über die Verbindungen des Übersetzens zu anderen Künsten. Irgendwann aber werden die Vergleiche zwischen dem, was Maler, Musiker und Übersetzerinnen übertragen, beliebig.

Ich kann behaupten, eine Stimmung in ein Bild zu übersetzen. Dabei ist aber nicht ganz klar, ob die Farben nicht auch auf das Empfinden zurückwirken. Eine Übersetzerin beeinflusst während der Arbeit manchmal den Autor, wenn sich Unstimmigkeiten ergaben. Dann wird das Original öfter verändert.

Es gibt auch das Experiment des Übersetzens im Kreis. In ihm wird ein Satz in verschiedenen Sprachen immer weiter gegeben und am Ende wieder in die Ursprungssprache rückübersetzt. Die Wandlung, die er durchmacht, vergleiche ich mit meinen Durchzeichnungen auf Transparentpapier, die sich bei jeder Runde der Zusammenrollens und Weiterzeichnens, verändern.

GEFESSELT EISBLUMEN HAAR

Ich träumte von Collagen, Farbwolken mit ausgeschnittenen Zwischenräumen. All das fand sich in einem Buch wieder, das eine PRINT ON DEMAND Maschine ausspuckte. Die Fensterausschnitte ließen Blicke auf die Seiten zuvor und auf die kommenden zu. Das Tagebuch kippte in eine andere Struktur. Worte wanderten über die Seiten und bezogen sich in neuer Weise auf die Bilder. Es waren eher Gedichte.

In der ersten Malerei, in 1, kommen mir die Formen GEFESSELT vor. Ganz rechts entstand eine Figurenkontur. Die Pigmente blühen manchmal wie EISBLUMEN an den Haarlinien und gehen in die Hautfaltenabdrücke des Handballens über. In 2 hebe ich mit Tinte ein paar Formen heraus. Das HAAR fällt in den Hintergrund, weil es nicht genügend Kontrast binden konnte. Beistriche sollten helfen. Der Blick läuft wie auf Schienen. Immer dieselbe Strecke.

An ein herrenloses Drahtseil, das ohne Funktion quer über den Platz vor dem Atelier gespannt ist, hängen nun schon zwei WEIDENGEFLECHTE. Das soll eine ganze Kopfüber-Prozession werden.

Kleinheit

Am Gartentisch, mit dem Rücken zur Sonne, merke ich einen leichten Westwind, von dem das Stakkato eines Elsterngesangs herbei getragen wird. Das langsame Insektenwachstum an den Eichen bildet den Kontrast zu diesen Rhythmen. All das beeinflusst die Buchmalereien. Das tote Material meiner Haare reagiert mit einer Lebendigkeit auf die Szenarien, in denen die Arten vergehen. Die Kleinheit dieser Reaktion ist meine künstlerische Herangehensweise im Umgang mit den Weltkatastrophen.

Etwa 400 Collagen stellte ich diesem Jahr bis jetzt auf meine Seite. Weit über Trixel Planet hinaus entstand, in der Abkehr von der Kunstwelt, die Individualität meiner Bilder.

In den letzten Tagen reduzierte ich die Farbigkeit der Buchmalereien, die mir im Zusammenspiel mit den Haarkrausen zu viel wurde. Jetzt vor den Ferien befinde ich mich in einem produktiven Schwebezustand und entferne mich langsam von den Arbeitsinhalten.

Die Zeit vergeht ruckweise

Die Zeit vergeht ruckweise. Die Stunden flackern. Wenn oben auf dem Bahndamm die Güterwaggons rattern, knacken, quietschen, bleibt der Sekundenzeiger stehen. Im Stillstand erkennt man Papierbilder, die auf die Seitenwände geklebt sind. Es geht in ihnen um Menschen ohne Papiere. Es sind Flüchtlingsbilder.

Gestern sah ich ein großes Tier auf Rolle 10, einen Wasserbüffel mit einem Höcker. Ich halte inne, wenn die Ringeltauben kommen, um an meinen Bottichen zu trinken, denn sie sind scheu, fliegen bei jeder Bewegung auf und bleiben dann durstig.

Figuren und Architekturen, die aus den Haarlocken der Buchmalereien wachsen, sind schütter genug, um nicht zu stören, durchlässig im tropischen Geschehen. Vorgänge aus dem Gärtchen, Verpuppungen, Metamorphosen und Entfaltungen, werden abgebildet. An den Eichen wachsen verschiedene Insekten. Glatte Kugeln an den Unterseiten der Blätter beherbergen Gallwespenraupen. An den Stengeln kleben stachelbewährte, verholzte Kugeln, in denen sich kleine weiße Maden befinden. Die Goethepflanzen vermehren sich explosionsartig. Überall in der feuchten Erde wachsen Goethekinder!

Totes Material

Am Morgen las ich ein Gedicht über jemanden, der längst weg sein wollte, weg von allem Lärm, auch von dem in seinem Hirn. Die Aufzählungen in den Strophen sind den Balladenstrukturen von Bob Dylan ähnlich.

Ich verliere mich in meinem Haar, verliere es auch beim Auskämmen – totes Material. Mit den Farben aber, wird es zum Leben erweckt, trägt die Stimmungen die in mir wohnen. Ein paar Haare habe ich zuerst in Tinte getaucht und sie dann auf die leeren Buchseiten gelegt. Manchmal, wenn mir ein deutlicher Widerpart fehlt, eine Architektur aus Geraden etwa, will ich aber die Schwünge auch nicht stören. Sie sind Bewegungsspuren, wie die der Mauersegler, die in den Himmel geschrieben bleiben.

Stimmungen die durch Bewegung Ausdruck finden, begegnete ich gestern auch auf den Autobahnen. Irgendwann kam es mir vor, als bewegte ich mich in einem rechtsfreien Raum, in dem sich Gefühle steigern und gefährlich in Tempo aus Motorenleistung umgemünzt werden.

Unwissend treibend wachsen sie heran

Gleich nach einer Kurzreise bin ich wieder mittendrin Im Ateliergeschehen. Nachdem ich meinen Alleebaum und das Gärtchen versorgt hatte, legte ich mir die Tagebuchutensilien wieder auf den Zeichentisch. Unterwegs erfahren die Buchmalereien manchmal eine Läuterung, die mit der Reduktion auf das Nötigste zutun hat.

Vorhin also nahm ich ein paar meiner Haare und legte sie auf die Position der zweiten Malerei, um Schwünge und Schleifen mit einem kühlen Aquarellton zu fixieren. In 3 erhöhte ich die Temperatur dann etwas und fügte Tinte hinzu. Aus diesem unterseeischen Zentrum wuchsen Figuren, wie aus einer Nährlösung. Unwissend treibend wachsen sie heran. In 1 und 2 sind andere Kräfte zugange. Es geht um ein fremderes Wachstum.

B. sah im Humboldtforum eine Ausstellung zum Thema Songlines und australischer Schöpfungsmythen. Außerdem waren im co Berlin zwei Fotografinnen vorgestellt, deren emotionale Hinwendung zu ihren Modellen einen besonderen Sog entstehen ließ, der in verschiedene Richtungen wirkte. Sehr ernsthafte Prozesse, deren Haltungen zu konzentrierten Serien führten.

Neuordnung des Blicks

Nachdem mein Ahornbaum auf der Frankenallee von mir gründlich gewässert worden ist, lehnte ich mich eine Minute mit meinem Rücken an seinen Stamm. Wir haben nun schon eine vieljährige Beziehung. Lange Zeit saß ich mit Blick auf ihn an meinem Schreibtisch und arbeitete an meinen Tagebüchern. Nun meine ich zu merken, dass etwas von seiner Kraft in meinen Körper übergeht. Dieser Freund wird mich hoffentlich überleben.

Die Bändigung der Haarverschlingungen, die Asteroiden- und Elektronenbahnen anzeigen und Sonnenwinde aufnehmen, dominiert die Malerei. Figurenanmutungen oder Architektonisches bilden noch keinen adäquaten Gegenpart. Ich dachte daran Haarkreuzungspunkte als Ankerpunkte für Dreiecksgitternetze zu nutzen.

Linien der 3. Malerei von gestern übertrug ich auf Rolle 10 und füllte die Umrisse gleich mit den Mustern der durchscheinenden Rückschau. Wenn dieser Vorgang unvollständig bleibt, tritt eine Pause im fortlaufenden Prozess ein. Zwei Geschehen sind die Folge: Rhythmisierung des Flusses durch Leerstellen und Neuordnung des Blicks. Dabei geht es um keinen anderen Blick, als um den meinen!

Zahlenspiele

An diesem Morgen haben die Figurenszenen in den Malereien etwas zugenommen. Erzählstoff für die Collagen, aber nicht für meinen heutigen Text. Es scheint alles auserzählt. Eine Erweiterung mit Worten müsste nun eine Einengung sein, damit die Bedeutung des Liniengewirrs reduziert wird. Das ist mir, wenn es nicht illustrativ werden soll, zu kraftaufwendig.

Neben den Reliefmalereien arbeitete ich gestern wieder an Rolle 10. Dort kann ich das Szenische der heutigen Buchmalereien gut gebrauchen. Ihm zugunsten würde ich die Haarschwünge reduzieren, damit die Figuren mehr in den Vordergrund rücken können.

Meine kindlichen Zahlenspiele enden im Kopf oft mit meiner Erschießung. Gestern lernte ich aus einer dreiteiligen Dokumentation des sowjetischen Gulagsystems, warum das so ist. Die monströs menschenfeindlichen Praktiken des 20. Jahrhunderts, die nach und nach zutage traten, haben sich in mein frühes Bewusstsein eingeprägt. Faschismus und Stalinismus sind die Grundierung auf der meine Kindheit stattfand.

Auftritte

Manchmal kommen mir noch Bilder von der documenta 15 vor Augen. Dann entfaltet sich aber ein Schutzschirm aus der Gewissheit, im Kontrast zum Inhalt dieser Ausstellung, für mich auf dem richtigen Weg zu sein.

An den Buchmalereien und der Bemalung der Relieffragmente des Kraftfeldes arbeitete ich am Vormittag parallel. Farben, Bewegungen der Pinsel und der Haare springen hin und her. Szenisches erscheint nicht selbstverständlich von alleine. Ich muss nachhelfen und die Figuren zu ihren Auftritten zwischen den Kulissen zwingen: „Jetzt gehen sie doch mal einfach normal über die Bühne!“ Auf den Reliefs habe ich dafür noch keinen Platz gefunden, oder noch keine Technik, die die Figuren dort selbstverständlich einfügt.

In 1 schwebt ein Wesen aus dem Geschlinge der Haartrocknungsränder nach links, als wäre es gerade in den Himmel geboren. In 2 fügte ich ein paar Geraden ein, die sich aus dem Geschehen ergaben. An sie dachte ich schon vorher, wahrscheinlich im Zusammenhang mit den Gräben der Reliefs. In 3 sitzt eine starre, ägyptische Figur inmitten eine bunkerartigen Schutzarchitektur. Sie wird aber von den schnell kreisenden Teilchen leicht durchdrungen. Nur ihre Spuren finden sich noch in meinen Bildern.

Schlegel, Novalis l Brentano

Bevor wir gestern in das Romantikmuseum gegangen sind, um uns den Briefwechsel von Schlegel und Novalis, und die Aufzeichnungen Brentanos zu den Visionen von Anna Katharina Emmerick anzusehen, nahm ich mir einige Reliefbruchstücke des Kraftfeldes vor. Ich beschnitt sie etwas und stabilisierte sie mit mehreren Schichten einer weißen Grundierung. Nun beginne ich die Haarstrukturen, wie sie in den Buchmalereien auftauchten, in die Gräben und auf die Erhebungen der Objekte zu übertragen.

Was mich an Brentanos Aufzeichnungen besonders interessiert, was sie anziehend für mich macht, ist ihre Form und Hingabe. Die getreue Wiedergabe der detaillierten Beschreibungen der Visionen wird von Zeichnungen und Collagen begleitet. Diese Geste eines Chronisten ist mir nahe.

In den Buchmalereien versuche ich die Verschlingungen der Abdrücke des Haars in Szenen einzubauen. Ich meine, das gelang mir am ehesten in der 3. Malerei, was auch noch in der dritten Collage für die Website, deren letzte Schicht sie bildet, sichtbar bleibt.

documenta 15

In den letzten zwei Tagen beschäftigten wir uns mit dem derzeitigen Zustand der Kunst auf der documenta 15 in Kassel. Innerhalb der Kollektive geht der autonome Künstler unter. Die Illustration der politischen und kulturellen Erfahrungen der verschiedenen Gruppen steht im Vordergrund.

Die Wimmelbilder mit aufgerissenen Mündern, hochgereckten Fäusten, die plakative Schildermalerei und die Holzschnitte erinnerten mich an die DDR-Kunst, von der ich mich gründlich distanzieren konnte.

Dennoch waren der Aufwand und die Mühe lohnend. Ich fühle mich durch den individuellen Weg, den ich mein ganzes Künstlerleben gegangen bin, im Kontrast zum Zustand gegenwärtiger Kunsteinengungen, bestätigt. Dieses Gefühl wurde durch einen wortgewaltigen Beitrag von Bazon Brock im Deutschlandfunk untermauert. Gestärkt dadurch kann ich mich meinen Erkenntnissen und Sichtweisen innerhalb meiner Bilder wieder mit Freude zuwenden.

Kollektivismus

Am Morgen bekamen meine Pflanzen, der Alleebaum, die Weide am Bahndamm und das ganze Gärtchen erst einmal Wasser. Das braucht seine Zeit. Kleine gemischte Spatzen-Meisen-Schwärme kommen zum gemeinsamen Baden an meine Bottiche. Weil geflochtene Weidenzweige im Wasser liegen, können sie sich hineinsetzen und planschen.

Langsam gelingt es mir besser, die abgedruckten Haarschlingen und die gezeichneten Schwünge zusammen zu bringen. Ich mache das beispielsweise mit kreiselnden Papiergravuren, die ich mit den afrikanischen Holzhaarnadeln in die Buchseiten grabe. Mit kreisenden Farbstiftlinien hebe ich sie dann hervor.

Den wochenlangen Arbeitsrhythmus habe ich seit ein paar Tagen verlassen. Rolle 10 ruht, wie auch schon eine ganze Weile die Arbeit an der Rekonstruktion des Kraftfeldes. Ich las einiges über die Documenta, die wir in den nächsten Tagen besuchen wollen und bin gespannt, was der Kollektivismus in Kassel für Blüten getrieben hat. Ich selber versuche ja innerhalb meiner Kooperationen herauszubekommen, was es damit auf sich hat. Es tut gut, mit diesen Vorhaben, die mönchische Askese vorübergehend zu verlassen.

Ein Widerspruch

Mit dem Wortrollengenerator habe ich am Wochenende nicht weitergearbeitet. Das Thema war: Haare und Wasserfarben. Die Übertragung der Strukturen, also der geschwungenen Linien, auf Rolle 10 möchte ich ernsthafter und intensiver betreiben. Die Tuschelinien sind bisher etwas steif. Die Konzentration auf Details und eine damit verbundene stärkere Vergrößerung kann helfen.

Etwas Zeichnerisches aus den Bögen heraus zu entwickeln, fällt mir nicht leicht, denn die abwechslungsreichen und spannungsvollen Formen lassen sich nicht ohne Verluste fortführen. Eine Möglichkeit bilden aber entstehende Figurenumrisse oder klare Architekturen. Wenn diese sich dann beginnen unter dem Druck des feuchten Handballens aufzulösen, kommen sie der Qualität, nicht der Form der Haarabdrücke näher.

Manchmal scheinen mir die Collagen von der Besonderheit der Buchmalereien zu viel wegzunehmen. Ich muss dort radikaler mit den Mitteln der digitalen Verarbeitung gegen die Malerei vorgehen. Das klingt nach einem Widerspruch, kann aber zu eindeutigeren und neuen Gestaltungsgesten führen.

Wortrollengenerator

TEITXTA LABTAK BWAARTEETRT SCHBAILL sagt der Wortrollengenerator. Manches ist schwierig auszusprechen, bewahrt aber auf, was sich noch in meiner Sprache verbirgt.

Auf Rolle 10 zeichnete ich die Umrisse der dritten Buchmalerei und begann sie auszufüllen. Das ging heute in die dritte Collage ein.

In den Buchmalereien möchte ich mich mehr auf die Haarstrukturen konzentrieren. Die alte Idee, monumentale Strukturen im kleinen Format zu schaffen, liegt dem zugrunde. Gleichzeitig interessiert mich auch die Spannung der Schwünge, die die Beschaffenheit des Materials widerspiegelt. Ein durchgesägtes Stück Knochen, das ich im Substrat meines Gärtchens fand, weist ein Muster von Hohlräumen auf, die sich von innen her zum Rand hin unregelmäßig strahlenförmig ausbreiten. Durch das offene Rolltor treten die Naturformen meines Mikrodschungels in meine Arbeit ein.

TCHIBLAK

TCHBILAK ist das erste Wort meines Transparentpapierrollen – Sprachgenerators. Gerade habe ich die Buchstabenüberlagerungen beim Zusammenrollen ausprobiert. Es ist noch nicht klar, wie ich oder ob ich das mit den anderen Rollenstrukturen zusammenbringen werde.

Fortschritte machen die Abdrücke der eingefärbten Haare in den Buchmalereien. Sie besitzen innerhalb ihrer Schwünge unterschiedliche Spannungen, je nach dem, von welchem Kopf sie stammen. Die Auswirkungen auf Rolle 10, wo die Umrisse der Abdrücke übernommen werden, gehen in Richtung Rokoko. Die Schwünge laufen in eleganten Spitzen aus.

Auf dem Weg ins Atelier, lagen auf dem Mittelstreifen der Allee, unter dem Glockenturm der Friedenskirche, zwei blutige Taubenflügel beieinander. Dort leben Falken. Auf einem Motorenlüfterrad, das ich in ein Gestänge des Gärtchens gehängt habe, sitzt ein Pfauenauge, die Ornamentflügel auf und zu klappend. Ringeltauben kommen zum Trinken an den Seerosenbottich. Ich lehnte mich gestern mit dem Rücken an den großen alten Ahorn, den ich morgens gieße.

Rollrhythmen

SCHNOPPHAURLIN

ist ein Wort, das mir in der vergangenen Nacht eingefallen ist. In einer der Nächte zuvor der Zweizeiler:

TIXALAT BALLETT BAK

WARTER SCHILL

Ich stelle mir diese Worte als Bild vor. Die Zeilen folgen den Haarabdrücken, die ich in den Buchmalereien hinterlasse. Kombiniere ich die abstrakten Texte in der fortlaufenden Transparentrollentechnik, entstehen rhythmische Gedichte. Das ist eine gute Arbeit für den Nachmittag.

Im Zusammenhang mit solchen Texten denke ich an das Vorhaben von Franz, gemeinsam Klänge zu erzeugen. Die Worte als Sequenz auf Rolle 10 wiederholen und verdichten sich im Rhythmus des Rollenumfangs. Es sind sinnfreie Alterslieder der Vergesslichkeit. Der Gesang bedient sich der Form tibetischer Sutras und einem Sprachgestus des Postpunks.

Ansporn

Die Übertragung der geschwungenen Haarstrukturen auf Rolle 10 geht natürlich mit Reduktionen und Veränderungen einher. Aber dieses Ausgangsmaterial führt zu neuen Formen, deren Umrisse angefüllt werden. Immer noch habe ich nicht mit Schellack eingegriffen. Die anderen Arbeitswege sind noch wichtiger.

Bei den Collagen stellte ich gestern und heute die Gestalt der Buchmalereien mehr in den Mittelpunkt. Sie geht zu oft inmitten der Gestaltungen, die dort einfließen, unter. Das schwächt die Collagen eher, neutralisiert die Spannung.

Der Lärm der großen Baustelle in der Nachbarschaft, der immer näher rückt, stört mich immer weniger. Es ist erstaunlich, woran ich mich gewöhnen kann. Diese laute Betriebsamkeit hat auch eine anspornende Auswirkung. Das produktive Treiben ist ansteckend!

Zwischen Wald und Schule

Zurück in meinem Dschungel an den Baugruben unter den Abflugschneisen. Ich machte Spaziergänge durch die Landschaften meiner Kindheit, Schritt für Schritt mit Abenteuern besetzt, mit Angst, Freude und Drangsalen zwischen Wald und Schule in Thüringen. Von der Kräuterwiese, auf der wir Ski fuhren, brachte ich ein paar Samen mit für meine Gärtchen hier.

In den Buchmalereien experimentiere ich mit Haaren, die ich auf verschiedene Arten mit Aquarellfarben benetze. Wenn ich sie auf das Papier lege, hinterlassen sie Spuren unterschiedlichen Charakters. Lasse ich sie nur kurz liegen, entstehen kompaktere Formen, reduziert geschwungen. Filigraner werden sie, wenn die Haare auf dem Papier trocknen.

Zwischen meinen Anflügen von Gegenständlichkeit, entstehen neue Lebensformen. Zellhaufen beginnen Tentakel auszufahren oder entwickeln Magnetismus und elektrische Energie. In meiner Vergangenheit unterwegs, war ich fern vor alldem. Umso enthusiastischer begegne ich nun meinen Frankfurter Kontexten.

Routine

Wenn ich meine Routine verlasse, stockt der Motor und die Produktion fährt ruckweise herunter. Kein angenehmer Vorgang, der sich auf andere Tätigkeiten auswirkt. Also hole ich Rolle 10 wieder heraus und scanne, was ich gestern fertig gezeichnet habe und füge das Ganze in die letzte Collage der vorigen Woche ein. Dazu die erste Buchmalerei von heute. Und schon fühle ich mich wohler.

Ein dreieckiges Sonnensegel wirft Schatten auf den Zeichentisch der im offenen Rolltor steht. Ich schreibe dort zumeist etwas abgelenkt durch die Vorgänge im Gärtchen. Die hoch frequentierten Badeplätze der verschiedensten Vögel, das Eidechsenjagdgeschehen und das Lichtspieltheater der zweiten Sommerhälfte bekommen einen Teil meiner Aufmerksamkeit. Die Mauersegler sind bereits fort und ließen aber die Schrift ihrer Schwünge am Himmel zurück.

Neue Strukturen werden durch die ausgerissenen Haare von meinem Kopf, die ich in Aquarellfarbe tauche, in die Buchmalereien eingefügt. Es gelingt mir nicht, die Schwünge, die dabei entstehen, ähnlich zu zeichnen. Es herrscht eine eigene unnachahmliche Spannung in den Abdrücken der nassen, farbigen Strähne.

Zartes Material

Federn aufsammeln, Haare und Seidenfäden, Scherben von Taubeneiern unter dem großen Ahornbaum, den ich morgens auf der Allee gieße. Flügelschläge zeichnen Luftverwirbelungen, die bleiben auch wenn der Himmel ansonsten leer ist. Sie kommen auf 1 in meine Buchmalereien, schaffen sich ungeachtet der Kulissenwände, die nicht gerade für Stabilität sorgen, Raum, auch auf 3.

Im 2. Bild wurde einer Schlange der Kopf abgeschlagen. Das schäumende Blut trocknete alsbald und bildete eine feste Schwammblüte. Das erinnert mich an Helnwein im Heidelberger Theater, mit dem wir ein Tanzstück von Kresnik ausstatteten. Er hatte sich über die pfingstrosigen Blutflecken auf einem Bodentuch geärgert und zeigte uns dann, wie man das macht. Leider spritzte er mit ungebundener Pigmentbrühe herum, was wir dann wieder unter Mühen auszubügeln hatten.

Hinter dem Dschungel des Gärtchens sehe ich die Routinen auf dem Tevesgelände. Nun, nach 20 Jahren, ist das ein beruhigender Anblick. Auch die Figur in der 3. Malerei stahlt eine erdverbundene Ruhe aus.

Wirbel

Figuren stupider körperlicher und verbaler Gewalt verschmolzen in einem kleinen Erinnerungstornado zu einem geschlossenen Phänomen, das sich einer Wetterfront gleich über Jahrzehnte zusammenballte. Viel Gestisches in meiner alltäglichen Arbeit ist davon getrieben. So versuche ich diese Erfahrungen produktiv werden zu lassen.

So, wie die Wolken von Westen her vorbeiziehen, geht die Arbeit auf Rolle 10 mit gegenständlichen Figurationen weiter. Es ist der Zeitpunkt gekommen, dass neue Elemente das Geschehen weiter voranbringen sollten. Ich denke dabei an Schellack, der die Tuschelinien anlöst und sie beim Zusammenrollen verwischt. Ein weiteres Mittel wären Graphitfrottagen, die sich ebenfalls mit Schellackschichten verbinden lassen.

Auf der Probebühne in der ersten Malerei, löste eine Trockeneismaschine, die außer Kontrolle geraten war, ein bedrohliches Wetter aus. Das setzt sich auf 2 mit, in der Windmaschine flatternden, Kostümen fort. In Abstraktionen verstecken sich Figuren vor der rotbraun wirbelnden Kriegsmaschine. In 3 wurde die Architektur errichtet, um die Szene einzufangen und zu beruhigen. Es setzte auch eine Zentrierung der Bewegungen ein.

Glückliche Momente

Gleich zeichnete ich den Asteroidenumriss mit Walfisch und Standarte auf Rolle 10 und begann sie mit dem Vorgeschehen zu verbinden. Das Ergebnis fand auch Eingang in die 2. und 3. Collage des heutigen Vormittages. Wie in Festumzügen reihen sich die vorwiegend abstrakten Formen auf den Rollen aneinander. Figürliche Anmutungen bleiben meist vage. Dazu erfinde ich textliche Szenen, die das Geschehen vergegenständlichen. Nach dem Sinn dieses Vorgehens frage ich nicht, sondern folge alleine meiner Intuition.

Ich erinnerte mich an verschiedene Abende von Bill Forsythe, an denen das Tanzensemble mit dem Publikum zu einer produktiven Gruppe verschmolz. In „You Made Me a Monster“ zeichnete ich Schattenumrisse von Pappskelettschablonen auf Papierbögen und gab die Zeichnungen dem Ensemble, die daraus kleine Choreografien machten.

Bei „Human Writes“ stemmte ich meine Füße gegen die von Georg Reischl, damit er einen sicheren Stand für eine kraftvolle Aktion bekam. Zu anderer Gelegenheit wurde die Frage ins Publikum gerufen, ob man wisse, was Performance sei. Ich rief spontan so laut, wie nie sonst: “No!“ Dafür bekam ich dann eine kleine fulminante Improvisation geboten. – Die glücklichsten Momente mit der Company.

Asteroid

Auf dem Asteroiden, den ich mit einem durchgeschnittenen Lavastein in die 2. Buchmalerei von heute druckte, beschreiben die Ausbrüche von erhitztem Wasser die Magnetlinien des grünlichen Brockens im All. Begleitet wird er von einem Walfisch und einer Standarte ohne Träger.

Das Ausbruchsgeschehen wurde in 1 aufgenommen und verwandelt. Dadurch entstanden kalligrafische Schwünge interstellarer Zeichen. Sie lassen sich nicht entziffern. Auch die aufrechten Schnitte des Raumes, den sie umschreiben, führten nicht weiter.

Ein ähnliches Experiment fand in 3 statt. Mehrere Schichten kreisender Linien treffen da auf das Bündel der farbigen Schnitte. Die schriftartigen Bögen zeichnete ich mit ein paar Haaren von meinem Kopf, die ich aus einer Haarbürste entnahm und in eine, an der Spitze gespaltene, hölzerne Haarnadel klemmte. So entstand ein Pinsel mit 15 cm langen Strähnen. Diese tauchte ich in Aquarellfarbe und legte sie dann auf das Papier.

Defilé der Dejavus

Die 1. Buchmalerei von heute zeigt das Defilé der Zweigträger. Eine Choreografie mit Pirouetten, schnellen, verwischten Gängen und einer Polonaise. Sie führt direkt in die 2. Malerei.

Diese ist eine Kreuzigungsszene. Ein Sandsturm umhüllt die Gesellschaft der Zuschauer. Nur eine Pflanze, die rote Lanze, widersteht den tobenden Elementen.

In 3 findet die Auferstehung statt. Sie wird von einem Tornado begleitet, der den ganzen Sturm der vorhergehenden Szene an sich bindet. Jenseits seiner wirbelnden Kraft, ziehen Dejavus aufgereiht davon.

Interpretation und Improvisation

Je zurückgenommener die gestische Aktion in den Kleinformaten der Buchmalereien gerät, umso freier und unkomplizierter wird deren Entstehung. Schraffuren haben ihren eigenen Auftritt, genauso wie die Oberflächenstruktur des eingefärbten Handballens. Wenige Linien von gestern haben sich durchgeprägt und kommen noch einmal zart zur Geltung.

Gestern Abend blieb ich noch länger im Gärtchen sitzen. Die Hitze ließ nur langsam nach, die pflanzen dursten, wie ich, und der Kühlschrank ist noch voll mit kaltem Bier…

Mit ernsten schwarzen und groben Federstrichen arbeitete ich weiter auf Rolle 10. Die durchgezeichneten Strukturen werden durch die Dicke des Strichs rhythmisch freier. Hinderliche Aspekte des Zeichnens auf der Rundung der Rolle, wie die Verkrampfung der rechten, zeichnenden Hand und die breiten Spitzen der Federn, führen zu Abstraktionen der Figuren und Muster. Das werden dann Interpretationen und Improvisationen eines bildnerischen Themas.

Abstand

Der Auflösung von Strukturen um mich herum versuche ich mit der Regelmäßigkeit meiner Tagesabläufe zu begegnen. Am Morgen habe ich den Alleebaum gegossen und bin dann unter den Baumkronen ins Atelier gelaufen. Auch hier goss ich kleine Baumsetzlinge am Bahndamm und füllte den Wasserbottich für die Vögel, Insekten und Pflanzen.

Die Krisen summieren sich. Anspannung, Krankheit, Aggressivität und Niedergeschlagenheit in der Umgebung. Ich versuche Abstand zu halten, um beobachten zu können.

Mit Tusche zeichnete ich gestern weiter auf Rolle 10. Das ist ein stabiles Vorgehen. Ich dachte an archäologische Rückgriffe auf die eigene Arbeit, bin aber ganz froh über die konstruktiven Elemente in den Buchmalereien. Sie dienen der Stabilität der Collagen und des fortschreitenden Frieses auf der Rolle. Archäologie und Konstruktion.

Gewonnener Raum

Auf den großen, mit Nessel bespannten Rahmen, arrangierte ich Relieffragmente des Kraftfeldes zu einer lockeren Komposition. Wenn diese Spielerei noch weiter wächst, könnte sie zu einem wesentlichen Teilaspekt der so genannten Rekonstruktion werden. Auch die gebogenen Weidenäste mit den zerstörten Reliefteilen sind ein Beitrag der Erneuerung.

Eine dreitägige Arbeitspause, in der nur die Buchmalereien entstanden sind, räumte ich das Atelier auf, schuf frei geräumte Flächen und reinigte den Platz unter dem Dach für ein Grillfest. Der so gewonnene Raum kann nun mit einem Neuanfang gefüllt werden. Der begann schon am Vormittag mit einer kindlichen Erinnerungsfreude in der zweiten Malerei im nun vollständig gefüllten Buch.

Mein hundertzwanzig Jahre alter Ahornbaum vor meinem Balkon in der Frankenallee bedankt sich für die vielen Kannen Wasser, die er alle 2 Tage von mir bekommt, mit üppigem Wachstum neuer Triebe. Das Leben im Schatten seiner Etagen ist reicher als bei seinen Nachbarn. Ich hoffe ja, dass sich weitere Bewohner der Allee anschließen und sich um die anderen Bäume auch kümmern.

Besinnungsloser

Gestern habe ich vorsichtig mit der Tuschemalerei auf den Reliefs weiter gemacht. Die Zwischenergebnisse sind solide und etwas sehr konservativ. Aus dieser Stagnation kann ich mich mit Farbe herausarbeiten und mit dem mutigeren Gestus der Buchmalereien.

Auch die Übertragung der Tintenfiguren von Rolle 10 gelang bisher nicht. Diese erdachten Kombinationen hemmen mich etwas. Eine weniger geplante Weiterarbeit, ein besinnungsloseres Vorgehen, kann aus der Sackgasse führen. Das stetige Nachdenken über die Arbeit kann auch kontraproduktiv werden.

In eine Eintrittskarte zum Kloster Alchi in Ladakh, sind Türkisplättchen eingeschlagen, die ich am Fuß der Anlage aus dem Indus sammelte. Öffne ich das Päckchen, so liegen sie auf dem Foto der Ansicht der zusammen gewürfelten Sakralbauten und ergänzen die architektonische Gesamtstruktur. Auch eine halbe Lapislazulikugel und ein Silberperlchen sind dabei.

Spur durch ein Dickicht

Rechts berühren mich die Blätter einer kleinen Eiche, die es seit ein paar Jahren im Gärtchen am Atelier gibt. Und links von mir schmettert ein Rotkehlchen im kleinformatigen Dschungel. In einer halbgefüllten, flachen Schüssel hat es vorher gebadet. Ein Schwarm graugrünlicher Winzlinge kommt herein und eine Ringeltaube dreht, erschrocken von meinem Anblick, in der Luft um 180 Grad um, bevor sie zu Fuß zurückkommt, um an einem der Wasserbottiche zu trinken.

Gerstern zeichnete ich mit Tusche eine der 5 Tintenfiguren von Rolle 10 auf ein Relief, das ich schon mit einigen Linien bemalt habe. Es ist kompliziert und gelingt nicht gleich. Ich muss lange hinschauen, um weitermachen zu können. Die weitere Fragmentierung der Figur gelang nicht, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Die kleinen Aktionen, die den kleinen wachsenden Garten formen, ähneln denen der Malerei. Diesem Wesen folgend will ich heraus aus der Sackgasse der Figurenübertragung auf die Reliefs. Stetes Weiterarbeiten an den Tagebüchern, Transparentpapierrollen und an der Rekonstruktion des Kraftfeldes folgt neugierig der Spur durch ein Dickicht.

Gärtnern

Auf die Kraftfeldform, die auf zwei Böcken und einer Tischplatte liegt, breitete ich graue Pappe aus, um darauf schreiben und zeichnen zu können. Auf dieser Fläche steht vor mir Rolle 10, etwa 40 cm ausgerollt. Darauf sind die 5 Figuren zu sehen, die ich gestern und vorgestern mit Tinte gezeichnet habe. An manchen Stellen zu durchlässig, verlieren sie Kraft, liefen im Bühnenlicht Gefahr, weggeleuchtet zu werden. Ich sollte die schütteren Körperteile festigen.

Die Figuren haben eine heraldisch-folkloristische Tendenz. Könnte sein dass sie das verlieren, wenn ich sie auf die Kraftfeldreliefs zeichne, die die Schnittmusterumrisse haben. Dort werden sie nämlich weiter fragmentiert und gehen eine Verbindung mit der Dreidimensionalität ein. Das ließe sich in einem Figurentheater verstärken.

Im Gärtchen versetzte ich eine schwächliche Sukkulente, vervielfältige Goethepflanzen und suche nach schattigeren Orten für die Pfennigbäumchen. Ähnlich ging ich in den Buchmalereien vor, die heute etwas aus der Art schlugen, mich aber zur Ruhe kommen ließen.

Bewegt und durchlässiger

Den Auszug einer Figur der letzten szenischen Verdichtung auf Rolle 10, zeichnete ich erstmalig mit dem Füller, den ich auch für die Tagebücher benutze, und Tinte auf das Transparentpapier. Die Linien sind viel feiner, und wenn ich die schwarzen Flächen mit ihnen schraffiere, so entsteht eine bewegte und durchlässigere Situation. Die Federzeichnungen erscheinen daneben etwas grob.

Die Brettchen leichten Schwammholzmaterials, die ich aus dem halbierten Pappelstamm breche, untersuche ich auf ihre Eignung, damit Objekte herzustellen. Aber die Sägekanten fransen aus und das Material splittert leicht.

Manche der Relieffragmente versuche ich mir mit den Federzeichnungen vorzustellen, die ich von Rolle 10 übertragen würde. Ich könnte mit der Einzelfigur beginnen, die ich gestern zeichnete. Die Buchmalereien vom Wochenende sind ziemlich wild. Nun habe ich das Temperament etwas heruntergefahren, um in ruhigere Gewässer zu gelangen.

Schicht um Schicht

Gestern zögerte ich eine Weile, welchen Umriss ich als nächstes auf Rolle 10 zeichnen würde. Ich wählte die 1. Malerei vom 6.7. aus, weil es da die verschiedenen Elemente des verspielt-blasigen Steinschnittabdruckes und das der strengen Architektur gibt. Dicht gedrängt finden sich nun die Figuren wieder. Sie spielen nun zwischen den Kulissen, von denen sie fragmentiert werden, neue Stücke in neuen Kostümen, die an die alten aber noch erinnern. Und die sich verdichtenden schwarzen Blöcke und zu Gegenständlichkeit wachsenden Linien, werfen die Fragen danach auf, was denn geschah, bevor die Szene eingefroren wurde, und wie die Geschichte weitergeht. Sind das Schienen am unteren Rand, die über Drähte mit Energie versorgt werden? Versorgen sie die Handlung mit Strom? Muster werden gestreut und backen zusammen. Leitern, Gitter und der Riesenstachel eines Skorpions treffen aufeinander, weil sich ihre Wege dort zwischen den Kulissen kreuzen.

Währenddessen entfernen sich die Buchmalereien von dieser linearen Strenge. Ihre weichen Strukturen benötigen zwar auch Gegensätze, um in ihrer Stofflichkeit wahrgenommen werden zu können, weiten sich aber durch die Farben in andere Welten aus.

Aus dem aufgespaltenen Pappelstamm löse ich Schichten von getrocknetem Schwammholz heraus. Diese Brettchen haben während des Wachstums der Jahresringe spitze Erhebungen herausgebildet, die sich in jeder Schicht die folgt, leicht modifiziert wieder finden.

Figurationen I Fernweh

11 Figurationen, Auszüge der in den letzten Tagen entstandenen Zeichnungsüberlagerungen, machte ich gestern Nachmittag. Sie haben verschiedene Charaktere. Es gibt einen etwas eckigen Kugelfisch, nervös ratternde Holzgestelle, sehr aufrecht stehende Vögel und einen bösen Märchenprinz mit Plateauschuhen. Die siebte Gestalt, zähle ich sie von links nach rechts, kniet schief und etwas versehrt, in ein finsteres Gebet versunken. Ich merke, wie ich beginne, die einzelnen Geschichten zusammen zu bringen und könnte nun anfangen, noch viel mehr zu erzählen…

Die Buchmalereien sind wenig konkret geworden. Aufrecht stehende Bären grüßen sich oder schauen in die Nebelwolken, die waagerecht verwischt oder mit dem Handballen aufgeblasen wurden. Gravitationsschleifen lösen sich in Wolken auf.

Fernweh beginnt sich breit zu machen, eine Lust auf fremde Weite. Immer der Rückgriff auf das Gesehene – Schnee von gestern auf den Gebirgspässen. Aber wir kämpfen aktuell mit den Gebrechen unserer uralten Eltern, sehen die geschrumpften Landschaften ihrer gekrümmten Körper.

Rolle 10 I JEDERMANN STIRBT I Ladakh

Umrisse der 3. Malerei von gestern zeichnete und füllte ich auf Rolle 10. Obwohl die Arbeitsschritte immer ähnlich bleiben, lässt die Spannung innerhalb des Frieses nicht nach. Es bedarf aber einiger Disziplin, die Neugier auf den Fortgang und die Hoffnung auf Neues aufrecht zu erhalten.

In einer Inszenierung von Jan Bosse sahen wir den dramatischen Text „Jedermann stirbt“, von einem Wiener Autor. 2 Stunden mit virtuosen Rampensäuen, ohne Pause. Ein Publikumsabend mit Gauklertricks auf hohem Niveau. Ich ging, froh über meine einsame Tätigkeit, der Suche nach den kleinen Forschungsergebnissen im alltäglichen Ateliergeschehen, nach Hause.

Ich überlege, mich mit Pakistanischer Buchmalerei zu beschäftigen. Damit könnte ich meiner Begeisterung für die buddhistischen Wandmalereien in Ladakh, die von daher kommen, auf den Grund gehen.

Asketische Energie

Die abgespaltene Baumstammhälfte höhlte ich gestern so weit aus, dass ich ihr Gewicht von der liegenden in eine stehende Position stemmen konnte. Das herausgearbeitete Holz lege ich ins Gärtchen, wo es die Feuchtigkeit in der wenigen Erde auf dem Beton, in der viele Bäume wurzeln, hält. Außerdem bildet sich daraus irgendwann nährstoffreiche Erde, die wiederum das Wachstum des Holzes fördert.

Auch selbsterklärende Kunstwerke tragen den Beginn eines Kreislaufes in sich. Die Kompositionen von Brad Mehldau zu Bach, erklären sich aus ihrem Bezug. Indem ich mich auf die Wandmalereien in den Tibetischen Klöstern beziehe, greife ich auf pakistanische Buchmalereien zurück, von denen sie stammen. Gelangen deren Ausläufer auf Rolle 10, so beschleunigen sich die Kreisläufe.

Ohne einen neuen Umriss verdichtete ich gestern die Muster auf der Transparentpapierrolle. Gegenüber größer werdenden Leerstellen, steht die zunehmende Schwärze, als zöge sich das Ornamentmaterial dorthin zurück. In diesem Widerschein von Askese nimmt die Energie zu.

Ferne Korridore

Durch das offene Rolltor treten die flackernden Blätterschatten ein. Sie mischen sich mit den Linien und Farbflecken der kleinen Malereien im Buch. Das pulsierende Pfeifen eines rückwärts fahrenden Lieferautos wird vom wispernden Gezwitscher winziger fremder Vögel überlagert.

Lücken auf Rolle 10 fragmentieren die durchgezeichneten Wiederholungen von vorausgegangenen Motiven. Die Geschehnisse der letzten Tage verflechten sich zu einem Gewebe. Das Hirn löscht alsbald Erinnerungen oder verschiebt sie in ferne Korridore. Mir bleiben die Ringe, ausgelöst von auftauchenden Fischen, auf der Oberfläche eines Weihers im Wald, die Libelle, die unruhige Muster über das Wasser fliegt, die Steine auf dem Weg und der Morast neben den Quellen am Hang.

Aber schon das Lichtspiel in den Baumkronen am Bach wird überschrieben von dem gegenwärtigen Geschehen auf dem Zeichentisch, der im Zugang zum Garten steht. Das Jetzt fragmentiert das Gewebe, das fadenscheinig wird wie die Gebetsfahnen auf den Himalajapässen, zu denen sich immer ganze Bündel neuer flatternder Wimpelketten hinzugesellen. Die Motive auf Rolle 10 lösen sich in Licht, Luft und Schall auf, schaffen so Platz für neue Verdichtungen.

Abstraktion und Improvisation

Mit einem blasigen, glatt durchgeschnittenen Lavastein stempelte ich die Punktwolken und Schäume auf die Linien, die sich zu Gebäuden zusammenschließen wollen. Sie werden quasi aufgeschmolzen.

Die Themen auf der Transparentpapierrolle durchlaufen Abstraktionen und werden laufend weiter improvisiert. Die Verwandtschaft zum Musizieren bildet eine Inspiration, die über die Wiederholungen der Strukturen hinausgeht. Auf den vorausgegangenen Transparentpapierrollen finden sich Überlagerungen, die aus reinen Wiederholungen bestehen. Im Extremfall entstanden daraus dunkle Flächen.

Gestern zeichnete ich aus den Zwischenräumen der Umrisszeichnung, die auf der 3. Malerei vom 28.06. basiert, 5 Figuren. 3 stehen dichter beieinander, 2 setze sich etwas ab. Es folgten 4 waagerecht ausgerichtete Musterfelder. Eine Gruppierung von den 3 beieinander stehenden Figuren und ihren ausgefüllten Zwischenräumen bildeten dann ein geschlossenes Ornamentfeld.

Langwierige Vorgänge

Ein Element gesellt sich zum andren. Die kleinen Buchmalereien, die mit Pinseln, Stiften, Federn, Aquarellfarben und Tinte entstehen, unterbreche ich, um mit einem schweren Hammer, einem Beil, einem Brett und einem keilförmigen Stein, einen 80 cm dicken, trockenen Pappelstamm zu spalten.

Nehme ich alle Buchmalereien zusammen und schaue mir die Veränderungen an, so erscheint das als ein sehr langer Vorgang. Als die Pappel auf Wunsch der Nachbarn, die ihre Autos von herabstürzenden Ästen gefährdet sahen, gefällt wurde, ließ ich mir zwei Stücke über den Zaun werfen. Eines blieb die vergangenen Jahre dem Wetter ausgeliefert und eines kam unter das Dach. Die Stammstücken sind nun trocken und rissig, was ihre weitere Gestaltung wesentlich bestimmen wird. Auch dies ist ein langwieriger Vorgang.

Der nächste Schritt auf Rolle 10 ist klar. Ich werde aus den Zwischenräumen der letzten Zeichnung neue Kreaturen herauslösen. In die Collagen passen die bisher entstandenen Figuren nicht so recht, aber es beginnt sich ein Gefühl aufzubauen, dass sie sich an anderer Stelle, in einem anderen Material manifestieren müssten.

Holz unter Spannung

Menschen, die das Gelände queren, weil sie damit ein ganzes Stück Weg abkürzen, begegne ich freundlich. Manchmal schließe ich ihnen auch, wenn es schon geschlossen ist, das hintere Tor auf. Ich komme mir dann vor wie ein Fährmann. Entgolten wird das meistens mit einem Lächeln oder einem kleinen Gespräch. Die Weide am Bahndamm, die ich vor anderthalb Jahren pflanzte, und die in der Hitze und Trockenheit fast eingegangen wäre, bekam von mir nun viele Gießkannen Wasser. Jetzt strotzt sie vor Kraft und sprießt aus allen Augen.

In einem Radiobeitrag über den Jazzmusiker Lennie Tristano, begegnete ich der Arbeitsweise stetiger langsamer Veränderung wieder. Leute, die seine Konzerte jeden Abend verfolgten, berichten, wie sich in den gleichen Kompositionen die Strukturen langsam änderten, so dass nach 10 Shows die Stücke nicht mehr zu erkennen waren.

Auf Rolle 10 übertrug ich einen Umriss aus der 3. Malerei von gestern und begann sie mit den vorausgegangenen Figurenstrukturen zu füllen. In eine Spalte des Baumstamms, die ich zuvor mit Beil und Fäustel auseinander getrieben hatte, steckte ich ein Brett und treibe es langsam tiefer in den Stamm. So setze ich das Holz nun unter Spannung.

Am Morgen

Am Morgen hatte ich vor Augen, eines der beiden Stammstücken, die von der gefällten großen Pappel noch auf dem Gelände liegen, mehrfach längs zu spalten. Die Stücke könnten dann mit verschweißtem Armierungsstahl neu zusammengefügt werden. Dafür wird der Rundstahl durch Bohrungen hindurchgeführt. Auf der anderen Seite können auch Gitternetze herauswachsen, die sich zu Figuren formen.

Zu diesen Gedanken führte sicherlich die Reihe von Figuren, die gestern auf Rolle 10 entstanden sind. Ein Figurenfries aus den zwei verschiedenen Materialien Holz und Armierungsstahl. Am Morgen probierte ich mit einem Beil und einem Fäustel aus, ob die Spaltung des Stammes mit Muskelkraft, eine realistische Option ist.

Um eine solche Aktion ernsthaft anzugehen, bedürfte es eines konkreten Anlasses. Außerdem muss mir erst wieder die körperliche Kraft zuwachsen, die ich vor meiner Coronainfektion hatte. Bis dahin biege ich lieber noch Weidenruten…

Anschluss und Loslösung

Langsam entstehen aus den Elementen, die mit den Geschichten ihrer Entstehung voll gesogen sind, andere Buchmalereien als zuvor. Sie widmen sich wieder ganz ihrem Eigenleben, ohne Blicke auf ihre Weiterverwertbarkeit, auf das Leben nach ihrer Vollendung. Figuren finden Anschluss an Architekturen, wachsen mit ihnen zusammen und beginnen sich wieder loszulösen, fangen an, über die Loslösung von Krankheit, Versprechen und Gewohnheiten, zu sprechen.

Ich unterbreche die Tagebucharbeit mit kleinen Gängen durch das Gärtchen, über meine Wiese zum Bahndamm. Dabei sehe ich dankbar, wie die Pflanzen in der Hitze und Trockenheit auf meine Wässerung und den Regen der letzten Nacht reagieren.

Aus jeweils einem Ast mit Verzweigungen sind zwei Weidengeflechte entstanden. Damit begann ich die Ideen von den Objekten umzusetzen. Allerdings kann sich das in ganz andere Richtungen weiterentwickeln. Zunächst dachte ich daran, sie an ein funktionsloses Drahtseil, das seit Jahren über dien Platz vor dem Atelier gespannt ist, zu hängen.