Die Absicht, absichtslos zu sein

Nach den Lavaabdrücken, Energieverwirbelungen, Handballenprints und Verwischungen, habe ich eine Figur vom 11.09. 2010 herübergeholt und in die gegenwärtige Buchmalerei eingefügt. Dort schreitet sie etwas fremd, wie Kapitän Ahab, durch die Szenerie.

Am Morgen meinte ich, mit den letzten zwei Tafeln des Väterportraits bereits die Rekonstruktion und Weiterentwicklung des Kraftfeldes vorbereiten zu können. Die Figuren von 2010, die ich während der Arbeit am Relieffries in die Tagebücher gemalt habe, erzählen andere Geschichten. Die erneute Vermischung der tanzenden, schwebenden, schreitenden, stürzenden und sich wandelnden Figuren, schafft auf dem neuen Fries einen Interpretationsraum, der mit der Absicht, möglichst absichtslos zu sein, entsteht.

Gestern gelangte ich in die Endphase der Ornamentschicht auf dem aktuellen Reliefformat. Ich zwinge mich zur Ruhe und versuche locker und gleichzeitig spannungsvoll zu agieren. Die unterschiedlichen Linienstärken, die ausfließende Tusche, die kleinen Flecken, die dadurch entstehen, fügen Miniaturen zusammen, die aus den Splittern kleine Einzelbilder machen.

1, 2 und 3

Trotz des Lärms in der Nachbarschaft, zeichnete ich dort an den Ornamentflächen auf den Splittern des Reliefs weiter, wo ich vor 10 Tagen aufgehört hatte. Wenn ich die Konzentration halte, werde ich in dieser Woche mit diesem Relief, des ersten Scherbengerichtes mit der Nummer 4, fertig. Die restlichen 2, die zur Fertigstellung des gesamten 2. Exemplars des Väterportraits fehlen, sollte ich in diesem Sommer noch schaffen.

Mit meinen Gedanken und Sinnen gleite ich schon hinüber in das Kraftfeld 3, das aus der Rekonstruktion des verlorenen Kraftfeldes 1 hervorgehen wird. Die Lektüre der Arbeitstagebücher aus dieser Zeit, lassen mich auf die Figuren der Buchmalereien zurückkommen, die ich parallel zur Herstellung des Relieffrieses gemalt habe. Wenn ich sie vergrößere um aus ihnen Material zu gewinnen, mit dem ich eine weitere Schicht auf die ausgeformten Tafeln setze, würde das zu der Erweiterung um die persönliche Ebene führen. Die allgemeine und selbsterklärende, aus dem „Trixel Planet“ hervorgegangene politische Ebene, würde zugunsten eines Zusammenwirkens mit den Tagebuchfiguren, in den Hintergrund gerückt. Diesen Entwicklungsschritt habe ich beim Väterprojekt bereits begonnen.

Kraftfeld 2 hatte sich ebenfalls mit der Entwicklung der Stadtgesellschaft durch Zuwanderung beschäftigt. Allerdings habe ich die „Trixel“, also die gleichseitigen Dreiecke, mit der virtuelle Skulpturen umschrieben werden, als formalen Grundbaustein benutzt. Und die sich wiederholende und ineinander greifende Ornamentik, sollte die Körper umschreiben. Das war einer der seltenen Fälle, wo mir die Luft ausgegangen war und es nicht mehr dazu kam. Im Zuge von Kraftfeld 3, könnte ich auch diesen Faden wieder aufnehmen.

Keine Wirkungsästhetik

Etwas Kühle einzufangen am Tisch im Fächeln des Gärtchens, gelingt mir schreibend mit meinem Füller. Über dem Bagger, 60 m hinter mir, weht die polnische Flagge. Die Eidechsen jagen im Verborgenen unter den Ahornblättern, die im Schatten der Weide sehr groß werden.

Ich stelle mir die Frage, was es für mich bedeutet, ohne Wirkungsstrategie zu arbeiten. Noch als ich am, nun verlorenen, Kraftfeld gearbeitet habe, dachte ich, dass der selbsterklärende Charakter des Werkes das sinnvoll unterstreicht, was das wesen meiner Arbeit ausmacht. Heute stellt sich das für mich anders dar. Entsprechend wird es keine wirkliche Rekonstruktion des Werkes geben.

Die gesteigerte Aufmerksamkeit wird die Zeit, die ich mit dem 3. Kraftfeld verbringen werde, strecken. Schon die Lektüre des Handbuches zu Christa Wolfs Leben, ist der Beginn dieser Arbeit.

Menetekel

Es macht mir Freude in den Tagebüchern von 2010 zu lesen. Ich arbeitete damals an dem Relieffries der nun zerstört ist. Das tat ich genauso planvoll und regelmäßig, wie ich das gegenwärtig mit dem Väterprojekt mache. Gestern zeigte ich das zerstörte Werk meiner Frau. Bei der Gelegenheit sammelte ich ein paar Stücke der zerfledderten Objekte auf. Die einzelnen Pappflecken zeigen noch die Sorgfalt der Bemalung, wie ich mit den Reliefs geradezu liebevoll umgegangen bin. Das ist auf den kleinen Fragmenten noch besser wahrnehmbar, als auf den großen Formaten.

Ruhig zeichnete ich bin in den Abend an den Ornamentgesträuchen weiter. Während der Arbeit an den Collagen wird mir deutlich wie ich die Linienflächen variantenreich stapeln kann. Der Durchblick auf das Geschehen vom Vortag und auf die heutige Buchmalerei sammelt sich da zu einer bildlichen Beschreibung meiner Tagesatmosphären.

Der Raum, in dem ich die Rekonstruktion vom „Kraftfeld“ angehen will, das Holzlager, passt zu meinem Schreiner-Gesellenbrief. Ich habe das Gefühl, dass mich die Rekonstruktion in weitere Gefilde von Aufarbeitung älterer Themen, in meiner heutigen Bildsprache, führen wird. Exemplarisch dafür ist das Konstruktionsgerüst das beim Abriss des Palastes der Republik sichtbar wurde. Es landete zwischen den Fundstücken der Ethnologischen Wanderungsspurensuche, wie ein Menetekel und schafft einen Bezugsraum zum Humboldt-Forum. Es wird sicherlich bei der neuen Ausprägung des Frieses eine wichtigere Rolle spielen als zuvor.

Spannungsrahmen

Die Zerstörung der Arbeit „Kraftfeld“ ist für mich eine Zäsur. Es gibt eine Zeit vor und nach dem Wasserschaden. Die Rekonstruktion und Erweiterung des Reliefs wird durch eine in Gang gesetzte Erinnerungsmaschinerie gestartet. Mit den Bilderinnerungen erheben sich die Apsaras als Schutz und Voraussetzung für das Gelingen und die Rigorosität, mit der ich diese Arbeit im Holzlager angehen will. Die Wanderungsgeschichten erstrecken sich auf den Komplex der Texte von Christa Wolf, auf Trixel Planet und auf das Väterprojekt unter dem Aspekt der Wanderungen.

Ich suche in den Tagebüchern von 2010 und 2011nach den damaligen Voraussetzungen des „Kraftfeldes“. Dabei denke ich an einen schönen Text, den eine Freundin, im kalten Holzlager vor dem Relieffries, geschrieben hat. Außerdem erscheinen mir die Buchmalereien von damals, wie die Erweiterung der Reliefbemalung. Sie stehen in Spannungsrahmen von stilisierten Figuren, abstrakten Formen, mit großer wirbelnder Emotionalität und Energie in die Bücher eingetragen. Dieses ganze Material eröffnet nach zehn Jahren ein neues Potential, das in die Rekonstruktion und Erweiterung einfließen wird.

Virtuelle und analoge Besuche zum Thema „YOU&EYE“ haben gestern die Kontinuität meiner gegenwärtigen Reliefarbeit unterbrochen. Dennoch entstanden die drei neuen Buchmalereien und weitere Ornamentgesträuche auf dem aktuellen Relief.

Kraftfeld – Gesträuch

Am Morgen ging mir die Rekonstruktion des Kraftfeldes durch den Kopf. Inspiriert durch das Buch über Christa Wolf, das ich gerade lese, erinnerte ich mich an meinen Versuch, das Erzählgewebe, von dem sie oft sprach, in einer Holzschnittreihe darzustellen. Es handelte sich um Schichten, die übereinander gedruckt und in einem Raster aus mehreren Formaten angeordnet, eine übergreifende größere Figur zeigen.

Die verschiedenen Projekte zum Thema „Kraftfeld, bestehen auch aus mehreren unterschiedlichen Schichten. Es gibt die vielen Wanderungsspurenfiguren, die ich in einem Liniengeflecht übereinander modelliert habe. Es gibt nun das zerstörte, zwölfteilige Relief, das nur noch in Fragmenten vorhanden ist. Dazu kommt die Komposition für zwei Personen einer Stimme oder für zwei Stimmen einer Person, die Carola im Holzlager aufnehmen will.

Christa Wolf setzte mich auf die Spur meiner Medea-Arbeiten, die über Jahrzehnte aus verschiedenen Anlässen entstanden sind. Die Exilfigur Medea findet einen Zusammenhang mit den Wanderungsspuren des Kraftfeldes und meiner eigenen Bewegung, 1984 von einer Welt in die andere. In dieses Gewebe, das bei mir ein Gesträuch ist, wachsen nun die Triebe einer neuen Handprintwanderung. Diese Zusammenhänge bilden nun das 3. Kraftfeld.

Gedoppelt

Ich halte mich am Ornamentieren der Splitter des Reliefs fest. Die Arbeit zieht sich hin und erfordert jetzt am Ende viel Geduld. Die Kraft sollte reichen, wenn ich vernünftig bleibe.

Carola war gestern da und besichtigte das alte Holzlager mit dem zerstörten Relieffries. Es gibt eine Komposition für zwei Gesangsstimmen von einer Person. Die Sängerin muss also gedoppelt werden. Den Fries möchte ich rekonstruieren. Das werde ich in diesem Raum machen. Der doppelte Fries und die Komposition mit der zwiefachen Einzelstimme. Ich kann mir ein Video vorstellen, das dort zu diesen Themen gedreht werden kann.

Jetzt spendet das Gärtchen ein angenehm kühles Klima. Das Rolltor ist nur halb oben und eine zweite Tür ist offen. Vögel treffen sich, Eidechsen jagen und ich schaue auf das Wachstum.

Schmerz

Der Schmerz des Verlustes des großen Reliefs, des ersten Kraftfeldes, das ich in den Jahre 2010 und 2011 entworfen, umgesetzt und im Balken ausgestellt hatte, überfiel mich in der Nacht. Das zu überwinden ist umso schwieriger, als die Verantwortung dafür nicht bei mir liegt. Ich befinde mich immer noch in einem Schockzustand, der mir noch nicht erlaubt, Entscheidungen darüber zu treffen, wie ich mit dieser Katastrophe in Zukunft umgehen werde, welche Konsequenzen ich ziehe.

Gestern blätterte ich in meinen Medea-Arbeiten aus 30 Jahren. Dazu gehören mehrere Zeichnungsserien zu Inszenierungen von „Medea Stimmen“, nach Christa Wolf in Leipzig, inszeniert von Wolfgang Engel. Weitere etwa 60 Zeichnungen machte ich in Stuttgart und bei den Proben zum Stück von Euripides, in der Regie von Uli Becker. Medea wurde damals von unserer lieben Freundin Irene Kugler gespielt. Ich selbst hatte ein Bühnenbild zur Oper „Medee“ von Cherubini gemacht, die Wolf Widder in Heidelberg in Szene gesetzt hatte. Und 1997/98 machte ich eine Installation zum Thema „Medeatlantica“ im Goetheinstitut von Salvador da Bahia.

Diese Arbeiten bilden einen Arbeitsimpuls, von dem ich nicht weiß, wohin er mich führt. Möglicherweise kann ich die Zeichnungen auf Rolle 9 weiterentwickeln, um sie auf das Väterrelief als weitere Schicht zu zeichnen. Diese Entdeckung verleiht mir etwas Kraft, von der ich gerade viel brauchen kann.

Kraftfeld Musik

In ihrer abstrakten Erscheinungsform erzeugen die Apsaras eine besondere Ausstrahlung. Die dritte dieser Figuren habe ich gestern in das Zentrum des aktuellen Reliefs platziert. Ich sollte das Thema intensiver bearbeiten. Es spricht mich am und verhilft mir zu mehr Energie. Jetzt folgt aber erst einmal die ornamentale Verdichtung der Splitter. Im jetzigen Stadium, in dem die ersten Partien einer Scherbe mit dem Gesträuch versehen sind, hat das Relief eine besondere fragmentarische Ausstrahlung.

Gestern bekam ich einen Anruf einer befreundeten Sängerin, die eine Videoarbeit mit einer modernen, extra für sie angefertigten Komposition machen möchte. Auch das Interessiert mich natürlich, denn es kann mir dabei helfen, wieder mehr Nähe zur musikalisch-zeichnerischen Arbeit herzustellen. Vielleicht wäre der Verlust des Kraftfeldes, also des großen Reliefs, durch den Wassereinbruch ein Thema, das ich durch die abstrakten Apsaras und die Musik mit verarbeiten kann.

Die heutigen starken Kontraste der Buchmalereien, habe ich durch Verwischungen etwas zurück genommen. Mit meinem feuchten Handballen ließ ich ein paar Wolken aufziehen, die ein milderes Licht auf die Szenerie werfen. Die Steinabdrücke ähneln den Höhlungsskulpturen von Joana.

Freisetzung von Kraft

Durch den Umgang mit dem Verlust meiner Arbeit „Frankfurter Kraftfeld“, konzentriert sich die gegenwärtige Arbeit stärker. Die drei PAS DE DEUX, die ich gestern korrigierend verstärkte, übertrug ich auf den oberen Teil des Reliefs. Neu dazugekommen sind drei abstrakte Kompositionen aus Geraden und Bögen, die die Rolle der Apsaras übernehmen. Ihre leichte Gestalt verkörpert einen helfenden und einen fragenden Aspekt. Sie sind fremd genug, um den Abstand zu wahren und das Geschehen schwebend zu begleiten.

Die Erfindung der abstrakten Apsaras hat Auswirkungen auf die Buchmalereien. Sie folgen einer strengeren, reduzierteren Arbeitsweise. Dafür nimmt die Farbigkeit zu. Das ist ungewohnt und hat wohl mit dem Umgang mit der Arbeit vor dreißig Jahren zutun, denn ich tauche mit den Tanzmotiven, in meine künstlerische Welt dieser Zeit ein.

Den ersten Teil des Frankfurter Kraftfeldes, hatte ich 2010 fertig gestellt. Der zweite Teil, der aus den dreieckigen Formen bestand, die man zu vollplastischen Objekten zusammenfügen könnte, ist danach nicht fertig geworden. Dazu fehlte mir die ausdauernde Kraft. Vielleicht wird sie ja nun freigesetzt.

PAS DE DEUX

Die Kompensation des Verlustes des großen und für mich wichtigen Reliefs, kann ich nur durch Kontinuität der Arbeit erreichen. Das versuche ich zunächst mit dem Weiterzeichnen auf Rolle 9 und mit der Arbeit am aktuellen Relief. Außerdem probiere ich die Katastrophe mit einer produktiven Idee aufzufangen.

Zunächst müsste ich die Reliefrohlinge neu abformen. Das würde mehrere Monate in Anspruch nehmen. Dieser Aufwand würde aber nur durch eine Weiterentwicklung des Projektes gerechtfertigt sein. Diese Energie müsste ich nach der Beendigung des zweiten Väterdoppelportraits aufbringen können. Ich will das Werk also trotz seiner Zerstörung nicht aufgeben.

Die Tanzzeichnungen von 1991 bekommen neue Kraft. Die korrigierten Umrisse werden spannungsvoller. Die Linien, die beim Hin- und Herrollen durchscheinen und in den Umrissen mit Tusche festgehalten werden, überlagern sich zu Nachbarschaftsgesträuchen, die von den vorherigen und folgenden PAS DE DEUX stammen. Das Figürliche fasst dadurch mehr Fuß. Es kommt aus den Erinnerungen an die Arbeit mit den Tanzensembles.

Verlust

Mein großes Unbehagen während der starken Regegüsse der letzten Tage, war nicht unberechtigt. Der unsachgemäß gelagerte Relieffries „Frankfurter Kraftfeld“, der 2010 fertig gestellt wurde, ist durch eindringendes Wasser zerstört worden. Es handelt sich um eines meiner Hauptwerke. Es maß zusammen 2 X 15 Meter und bestand aus 12 Formaten. Die ganze Erfahrung der Wanderungsspurenarbeit steckte in ihm.

Nach dem ersten Schock bin ich sofort zu Arbeit an Rolle 9 übergegangen. Dort zeichnete ich drei Figurengruppen aus „West West“, veränderte sie zu strenger geformten Elementen, die auf dem aktuellen Relief ihren Platz finden werden. Daneben gibt es noch vielleicht zwei gegenstandslose Konstruktionen, die die begleitend schützende Rolle der Apsaras übernehmen sollen.

Gleich nach der Entdeckung des großen Verlustes dieser wichtigen Arbeit, daneben sind auch noch Bilder, wie das zweiteilige „Liebe Schwester tanz mit mir“, in Mitleidenschaft gezogen worden, überlegte ich mir, die Arbeit noch einmal herzustellen. Vielleicht kann ich die Erfahrungen, die ich in den letzten zehn Jahren mit der Reliefarbeit gemacht habe, dort einbringen.

Arbeitsweisen

Die ersten Figurenumrisse, die ich auf das neu grundierte Relief gezeichnet habe, fügte ich in die Collagen ein. Die Auseinandersetzung mit ähnlichen Figurenkompositionen, an mehreren hintereinander liegenden Arbeitstagen, die Vertrautheit, die dadurch entsteht, erscheint mir für die Weiterarbeit notwendig zu sein. Ich nenne das nun entstandene Element, die „West West Gruppe“.

Zu dem geplanten Theatervorhang des Tanzstückes gibt es einige Zeichnungen. Sie zeigen eine Abfolge von Elementen, die sich in ihrer Reihung, wie beim Tanz, auf die vorausgegangenen Formen beziehen. Dort klingt schon die Arbeitsweise der Transparentpapierrollen an. Bei der Durchsicht der Zeichnungen kamen mir immer wieder Motive vor Augen, die sich für die Bemalung der weiteren Reliefs eignen würden.

Aus den Kulissenkonstruktionsstäben und Gravitationsschwüngen wachsen lanzenartige Gegenstände, die von Höhlenmalereien stammen könnten. Es sind Gegensätze zu den kreisenden Linien. Sie unterbrechen das Schwingen, bremsen eher. Sie Steinabdruckseen vermitteln zwischen diesen Fronten, laden die lanzettenartigen Boote in ihre Buchten zum Verweilen ein.

Ikonostas „West West“

Nach dem kühlen Sommerbeginn, habe ich hier im Atelier, erstmalig wieder das Rolltor hochgezogen. Nun zieht es mich noch öfter hinaus in das Schatten spendende Gärtchen. Gestern stürzte Regen in rauschenden Mengen vom Abend vom Himmel. Der Wiese tat es gut. Man sieht es ihr sofort an, wenn sie genug trinkt. Die Asche des Brombeerfeuers ist in den Boden als Dünger hineingespült worden.

An Sonn- und Feiertagen, an denen ich keine Collagen mache, gestalten sich die Buchmalereien freier und selbstbezogener. Es sind Experimente um ihres selbst Willen. Ich arbeite nicht mit Blick auf ihre Eignung für die Weiterverarbeitung.

Auf Rolle 9 arbeitete ich an der Figurengruppe weiter. Ich füllte sie nur mit Material aus ihren eigenen Linienstrukturen, die beim Hin- und Herrollen durchscheinen. In den Tagebüchern forschte ich, um welchen Anlass es sich handelt, aus dem die Zeichnungen 1991 entstanden sind. Und ich fand heraus, dass es sich um das Tanzstück „West West“ von Liz King in Heidelberg handelte. Ich wollte ihr damals einen Ikonostas als Stückvorhang malen. Daraus wurde nichts. Die Eigenständigkeit dieses Werkes, seine Selbstbehauptung vor dem Tanz war wohl der Grund dafür.

Weitere Schicht auf den Väterschichten

Zwei der Probenzeichnungen vom 10.12. 1991 habe ich mir für das nächste Relief herausgesucht. Weil mir die Qualität nicht reichte, zeichnete ich sie korrigiert auf Transparentpapier durch. Wenn ich das mehrfach mit Weglassungen und Linienveränderungen mache, kommt es zu einer größeren Dichte und Spannung.

Über diese neu auflebenden Figuren bin ich überrascht. Sie schaffen eine neue Energie, um das große zweite Väterrelief in diesem Sommer fertig zu machen. Dafür möchte ich dann später einen Rahmen bauen, auf dem ich die Einzeltafeln einfach montieren kann. Vielleicht aus verschiedenen Varianten durcheinander…?

Manchmal spiele ich mit dem Gedanken, das nächste Exemplar freier zu gestalten, wie eine Improvisation. Ich könnte mir eine Arbeitsweise, wie bei den Buchmalereien vorstellen, mit eben diesen Farben und mit ausholenderen Gesten, dem Format entsprechend. Dabei spielt meine Haut eine Rolle, die meiner Hände, als weitere Schicht auf den Väterschichten.

FRAGMENTIERT ÜBERLAGERT VERWISCHT

In den jüngeren Transparentpapierrollen finde ich Konstruktionen mit Geraden, Bogenlinien und Verläufen der Synaptischen Kartierungen. Diese Konfrontationen schaffen Energiequellen. Am 4.6. 2018 hatte ich die Zeichnung eines Gesichtes vom 8.8. 1987 auf die aktuelle Rolle übernommen. Das nahm ich heute zum Anlass, mir die Zeichnungen aus dieser Zeit noch einmal genauer anzuschauen. Manches scheint mir in einem wenig persönlichen Stadium hängen geblieben zu sein. Aber die Figuren sind weiterentwickelbar. Sie stammen von Tanzproben in Heidelberg.

Ganz anders hingegen, die Probenzeichnungen vom Akademietheater im Wien, aus dem Jahr 1995. George Tabori probierte damals eines seiner Stücke, und mich inspirierte das zu einem eigenständigen Zeichenstil. Sein charmantes Lob für meine Zeichnungen, klingt heute noch in mir: „Frank, wenn meine Inszenierung so schön wird wie deine Zeichnungen, werde ich sehr froh sein.“

Auf Rolle 9 verdichtete ich gestern die Füllungen der Figurenumrisse, indem ich das Transparentpapier von hinten nach vorne und in die entgegengesetzte Richtung rollte, um die durchscheinenden Linienlagen übereinander einzufügen. Am Ende fügte ich eine undatierte Tanzzeichnung ein, deren Qualität darin besteht, dass sie einen Übergang in die Gegenstandslosigkeit zeigt. Auch die Themen der Buchmalereien lösen sich in ihrem Triospiel teilweise auf. Sie werden fragmentiert, überlagert und verwischt.

Neue Mittel

Langsam wachsen mit bei der Buchmalerei neue Mittel zu. Die feuchten Steinabdrücke kombiniere ich mit Pigment, das beim Anspitzen der Aquarellstifte anfällt. An wenigen Stellen stabilisieren Linien, die ich während des Schreibens mit dem Füller hinzusetze, die Statik der Kulissen-, Zelt-, Fahnen- und Mess-Stangen verbessern. Schwünge, Geraden, Wolken und verschiedene Abdrücke schaffen das Quellmaterial für den Tag. Hinzu kommen die Papiergravuren, die ich mit einer Holzhaarnadel eingrabe und die Schraffuren, mit denen sie sichtbar werden.

Gleich beginne ich mit dem Scannen der 9 Buchmalereien der letzten Tage. Diese Arbeit mündet in die Zusammenstellung der Collagen, die dann in die Datei auf meiner Website wandern. Manchmal denke ich daran einige von ihnen auf Leinwand drucken zu lassen, um sie dann weiter bearbeiten zu können. Das würde sich für eine Ausstellung eignen, aber nicht für das Arsenal der sich anhäufenden Arbeit.

Im Gärtchen entstanden am Wochenende kleine Installationen. Sie bestehen aus Lochziegeln, Federstahlzungen und getrockneten Pflanzenteilen. Im Wind bewegen sie sich auf und ab, schlingernd und vibrierend. Am Bahndamm füllte ich ein Feuerfass mit getrockneten Brombeerranken, die ich regelmäßig abschneide. An einem der nächsten Abende verbrenne ich sie.

Vermittlung vermitteln

Am Morgen geben mir die Steinabdrücke, mit denen ich in den letzten Tagen die Buchmalereien beginne, eine neue Startposition. Gehe ich von den dunklen Farbseen aus, so springen Protuberanzen aus ihnen, die viele Bögen spannen. Die trockeneren, rhythmisch gerasterten Steifen begegnen sich mit den Gravitationsschwüngen, den Pfählen der fliegenden Bühnenbauten und verschwimmenden Wischspuren, wodurch neues Leben entsteht.

Für das nächste Relief habe ich bereits das Pappmache vorbereitet. Nachdem ich es abgeformt habe, beginnt die Suche nach den neuen Figurengruppen. Dabei denke ich an die Schauspielprobenzeichnungen, die ich noch vor der Beschäftigung mit dem Tanz machte. Sie könnten sich entweder mit den gegenwärtigen Malereiumrissen oder mit Figuren verbinden, die aus den Übergängen zu den gegenstandslosen Buchmalereien stammen.

Gestern habe ich nur mein Notprogramm geschafft, mit dem ich die Produktion an Laufen halte. Der Nachmittag gehörte einer Konferenz, in der ich versuchte, meine Herangehensweise an die Kunstvermittlung mit Kindern, zu erläutern. Ich hoffe, verstanden worden zu sein. Das Feedback sprach dafür.

Kraft aus Diskrepanz

Gestern machte ich das aktuelle Relief fertig. Es ist das 13. dieses Gesamtformates. Auf dem Boden des Ateliers legte ich eine Reihe von 4 übereinander geordneten Formaten zueinander und war zunächst von der Wirkung enttäuscht. Durch die unterschiedlichen Arbeitsphasen passen die Einzelformate stilistisch nicht zueinander. Ich glaube, dass erst die Gesamtwirkung aller 16 Reliefs zusammen, die Kraft entwickeln kann, die ich mir erhoffe. Die Diskrepanz der unterschiedlichen Stile, diese Disharmonie der Entwicklungsphasen, muss eine Intensität erzeugen können. Das bleibt spannend.

In unseren Ausstellungsraum hatte sich eine Taube verirrt. Sie saß erschöpft auf dem Boden und ließ sich leicht einfangen und ins Freie transportieren. Ich war gerade dabei ein paar ältere Reliefs aus dem Projekt „Kraftfeld Frankfurt“ zu sichten und neu zusammenzustellen. Ursprünglich wollte ich sie zu dreidimensionalen Objekten montieren, schaffte das damals, als ich daran arbeitete, aber nicht mehr. Vielleicht gelingt es mir jetzt bald in diesem großen Raum.

Nun plane ich noch drei Monate für die Fertigstellung des 2. Reliefexemplares. Dann werde ich versuchen, mich von diesem Thema etwas zu entfernen, um mich anderen Dingen zuwenden zu können. Ich könnte mir ein neues Wanderungsprojekt vorstellen, das sich an die Handprints der letzten Jahre anschließt. Einen Ort dafür habe ich schon im Kopf… Auch skulpturale Ideen haben sich weiter angesammelt.

Störungen

Eine Benachrichtigung meines Telefonkalenders hat mir meinen Arbeitsvormittag durcheinander gebracht. Es war eine Videokonferenz mit dem Anna-Freud-Institut angesetzt, die ich vergessen hatte. Eigentlich machen mir diese Begegnungen viel Spaß. Zugleich aber war ich mit den Nachbarn wegen einer Außenraumgestaltung verabredet.

Gestern wurde ein Fest besprochen, das auf Teves West stattfinden soll. Im kalten Wind und im Regen fand eine Geländebegehung statt, bei der ich insbesondere „meine“ Wiese schützend im Auge hatte.

Nur noch wenige Prozent der Relieffläche müssen eingeschwärzt werden. Die hellen Splitterkanten innerhalb der dunklen Umrisse, stören nicht. Figuren bleiben nach wie vor erkennbar. Eigentlich wollte ich das heute fertig machen. Weiß aber nicht ob ich es schaffen werde. Am Nachmittag Einkauf und Abformung des nächsten Reliefs. Morgen ist ein fünfstündiger Videofachtag zu YOU&EYE!

Sporenstände I Steinabdrücke

Die Blätterschatten des Gärtchens flackerten gestern auf dem weißen Tisch über die Buchseiten mit den täglichen Malereien. Sie lenkten die Wortbilder in gegensätzliche Richtungen. Zwischen den Baumstämmen wachsen Pilze. Ihre Geflechte werden nicht gestört und treiben die Sporenstände an vielen Stellen ans Licht.

Die Splitter des Reliefs sind nun vollständig mit Ornamenten bedeckt. Etwa ein Drittel der Figuren habe ich bereits eingedunkelt und mit schwarzer Tusche beschwert. Sie haben nun wieder ihre Auftritte in den Collagen, die ich öfter als Diashow auf meinen Bildschirmen laufen lasse. Dort treffen sie auf die Steinabdrücke und Verwischungen der Buchmalereien. Sie könnten die Motive für Umrisszeichnungen bilden, die ich für das nächste Relief benötige.

Außerdem stellte ich eine Bilderfolge zusammen, die mein kurzes Statement am Fachtag zu YOU&EYE strukturieren soll. Ich zeige wie sehr die Arbeiten der Kinder mit meinen eigenen verbunden sind. Es darf nicht zu Unterbrechungen der Konzentration kommen, sie muss durch diese Unternehmung unterstützt werden. Nur so kann ich die Arbeit mit den Schülern in meinen Alltag integrieren.

Gehen und schreiben

Fortlaufende Farbfleckenspiele, Linienpfade, Handballenwolken, Steinabdrücke, Fingerkuppenlabyrinthe – die Wildnis meiner synaptischen Gefilde wird in den Buchmalereien kartiert. Erinnerungen werden geschreddert und neu zusammengesetzt. Bis in den Abend hielt ich mich an der Zeichenfeder fest, pflügte die Bruchkanten zwischen den Splittern, segelte über die unruhig modellierte See, die Spur hinterlassend, die den Zustand des Hirns dokumentiert.

Zwischen den ornamentierten Scherben und Splittern schweben noch die eingefangenen Tanzfiguren: Heidi Vierthaler, Dana Caspersen, Georg Reischl. Diesen schwebenden Reigen werde ich nun schwarz einfärben, um ihn mit Gewicht zu Boden zu werfen.

Auf der Wiese gehe ich mir die „Beine vertreten“, um die Gedanken zu sammeln. Als Chunqing im Atelier fotografierte, stieß sie auf die Tagebücher und fragte, was passiert, wenn mir nichts einfällt. Wenn ich das aufschreibe, was mir durch den Kopf geht, kommt die Eigendynamik des Schreibens hervor. Das ist wie das Denken beim Gehen.

Fragen an Künstler

In der kommenden Woche werde ich mit dem aktuellen Relief fertig. Immer noch versuche ich das Ornamentgesträuch weiter zu verdichten. Gut wirken sich längere Arbeitszeiten aus, während der ich mich tief in die Aufzeichnung des inneren seismischen Geschehens begeben kann. Langsam entwickeln sich dabei neue lineare Zugänge, die sich mit der bewegten Reliefoberfläche verbinden können.

Vom Kulturamt werden Fragen, die von einem Freiheitsbegriff der Kunst und der Künstler ausgehen, gestellt, die die kulturelle Vermittlung für Schüler betreffen. Damit sollen Freiräume definiert und geschaffen werden, die für diesen Vorgang nötig sein sollen. Dem zugrunde liegt offenbar ein Künstlerbild, das in modernisierter Form dem „armen Poeten“ von Spitzweg zu entsprechen scheint. Die Annäherung an die Wahrheit sieht allerdings ganz anders aus und somit auch die Beschaffenheit der „Freiräume“. Ein kleines Statement wird dazu auch von mir erwartet. Widersprüchliches kann ja produktiv sein.

Gestern bin ich nur wenig zum Zeichnen gekommen. Mein Bruder hielt mich mit seinen Aktivitäten zum 100. Todestag von Borchert auf Trab. Zwei Netzveranstaltungen, die ich nicht verpassen wollte…

Schonung des Raumes

Trotz der Verabredungen konnte ich in der ersten Wochenhälfte viel zeichnen. Gestern war ein Atelier-Fototermin, für den ich ein paar Arbeiten der Kinder zurechtgelegt hatte. Nach meinem Eindruck ging es aber eher um den Raum und die Figur in ihm. Also stand ich zwischen all den vielen persönlichen Dingen einfach da und zeigte, was ich mache.

Die Vehemenz mit der ich ansonsten mein Atelier gegen alle Störungen verteidige, steht der Offenheit gegenüber, die ich innerhalb der Schülerprojekte walten lasse. Es besteht zwar kein Zweifel darin, dass im Mittelpunkt meine Arbeit steht und der Raum mit ihr absolut geschont werden muss, aber diese Klarheit hilft dem Prozess, Kunst in sein Leben hinein zu lassen. Damit kann ich mich nicht immer verständlich machen. Dennoch will ich versuchen es zu erklären.

Wenn ich vom Zeichentisch aufstehe, um mir im Seitenlicht die Reliefzeichnungen von gestern anzuschauen, gehe ich ein paar Schritte weiter weg von der Staffelei in das Gärtchen. Beim Anschauen des Wachstums klärt sich das Denken. Kinder kommen von draußen auf das Gelände und schauen. Manche von ihnen kennen mich und meinen Raum von gemeinsamer Arbeit.

Das Produktionsgeschehen

Während des Zeichnens der Tuschelinien, aus denen die Ornamentstrukturen für die Reliefs entstehen, dachte ich gestern an Felsmalereien unterschiedlicher Orte. Beim Anschauen dessen, was ich gezeichnet habe, kommt mir Bhimbekta in den Sinn. Weniger wegen der entstandenen Figurationen, sondern wegen des bewegten Untergrundes, der sich gegen die Klarheit der Linien, die er aufnimmt, stemmt.

Auch bei den Buchmalereien schaue ich den Farbformen bei ihrem Kampf zu. Ich versuche diese Vorgänge manchmal, über weite Strecken, ohne meinen Einfluss zu lassen. Die Handballenabdrücke, mit denen ich Motive einfüge, können wegen der Schnelligkeit des Arbeitens, nicht genau kontrolliert werden. Die überraschende Spannkraft, die sich daraus ergeben kann, kann ich im Nachhinein beurteilen und gegebenenfalls wieder mit dem feuchtfarbigen Handballen auslöschen oder überdecken.

Spannungen, die sich in diesem Arbeitsalltag lösen, erzeugen Beben, die seismische Auswirkungen auf die Buchmalereien oder allgemein auf die gezeichneten Linien haben. Die Wechselwirkungen von Erschütterung, deren Aufzeichnung, Verstärkung durch Wiederholung und Überlagerung, rhythmisieren das Produktionsgeschehen.

Gravitationsimpulse I Regenwälder

Die eigenen seismischen Aktivitäten haben sich in den Tuschelinien der Reliefornamente abgebildet. Sie rühren von äußeren Erschütterungen her, die permanent unter meinen Füßen und in der Luft um mich herum Wellen schlagen. Es sind Gravitationsimpulse von Ereignissen, zu denen ich keinen visuellen Kontakt habe, bildlose Schwingungen aus einem lichtlosen Raum.

Die Erforschung einer patagonischen Insel wird von einem Dokumentarfilm gezeigt, den ich mir gestern Abend anschaute. An dreihundert Tagen im Jahr wird die stark verwitterte Marmorformation, an der pazifischen Küste über dem Magellanwald, weiter ausgewaschen. Unter den scharfkantigen Linien und den dazugehörigen Furchen befindet sich ein Urwald von Südbuchen und voll mit dickpolsterndem Moos.

Auch mein Gärtchen ähnelt derzeit einem gemäßigten Regenwald. Alle Samen, die im Winter von den Vogelfutterstellen heruntergefallen sind, bilden nun einen treibenden grünen Teppich. Das durchnässte Totholz modert und seine Stapel brechen unter dem Gewicht der Lochziegelfragmente ein. Mit Bindedraht muss ich die fragilen Konstruktionen neu verfestigen, denn die trockene Sommerzeit lässt die Volumina wieder schrumpfen und die Konstruktionen instabiler werden.

Gewaber

Das „Christa – Wolf -Handbuch: Leben – Werk – Wirkung“, wurde vor einigen Jahren von Carola herausgegeben. Sie schenkte mir gestern freundlich ein Exemplar, als wir uns zum Spaziergang trafen. Auch meine Zeichnungen von den Schauspielproben zu „Medea Stimmen“, die ich in Leipzig gemacht hatte, wo Wolfgang Engel den Text inszenierte, sind erwähnt.

Ein Lavastein, dessen natürlich erstarrte, ausgefranste Form an einer Seite durch eine ebene Schnittfläche begrenzt ist, dient mir als Farbträger für eine gestempelte Ausgangsform der heutigen Buchmalereien. Die Landkartenmuster konfrontierte ich mit den Wolken der Handballenabdrücke und den aufrechten geraden Linien, die sich durch die Farbseen bewegen. Sie bilden den notwendigen Kontrast zum Gewaber.

Zeichnend holte ich gestern auf dem Relief nach, was ich am Ende der vergangenen Woche nicht mehr geschafft hatte. Die Muster auf den Splittern übernehmen mittlerweile auch seismische Eigenaufzeichnungen. Diese Erweiterung ergänzt die Hervorhebung der Splitterplastizität und der Eindunklung der Rasterpunkte. Als ich am Sonnabend die Brombeerhecken am Bahndamm zurückgeschnitten hatte, konnte ich nicht mehr zeichnen, weil meine Hand von der Anstrengung zitterte.

Materialsammlungen

Die Sammlung von Gegenständen, die mich inspirieren, wächst stetig. Sehe ich einen schönen Kiefernzapfen, stecke ich ihn in meinen Rucksack. Von dort aus wandern solche Fundstücke zumeist ins Atelier oder in das Gärtchen. Die Zapfen finden ihren Platz in einem Stapel aus Lochsteinen, ausgehöhlten Ästen, Muschelketten, Samenkapseln, Schneckenhäusern und Holzscheiten. Dort befinden sich die Wohnstätten der Insekten, Sonnenplätze der Eidechsen und Jagdreviere der Meisen.

Aber nicht nur draußen wachsen solche Materialblöcke. Überall im Atelier hängen Ketten mit Hühnergöttern, durchlöcherten Korallen, Muscheln und Lavabrocken. Manchmal schaue ich mir eine solche, mehrere Meter langen „Fädel“, genau an und erinnere mich an die Orte, an denen ich sie aufreihte. Zumeist sind es Strände aber auch Vulkankegel und Geröllwüsten.

Am Morgen schwebten mir Volkslieder durch den Kopf. Die verknüpften sich mit der Lehrerin, die sie uns beibrachte. Sie hieß Ilse Kley und schlug mir mal mein Diktatheft um die Ohren. Sie wollte das so lange machen, bis alle Fehler herausgefallen waren. Eine Kommunistin mit brauner Vergangenheit, wie man sagt, die starb als wir noch Schüler waren.

Im Seitenlicht

Gestern zeichnete ich bis zum Abend und hob die einzelnen Splitter hervor, indem ich ihre Plastizität unterstrich. Die Ornamentmuster mit denen sie bedeckt werden bekommen ihre zeichnerischen Impulse durch die unregelmäßige Oberfläche. Jetzt können die Augen im Seitenlicht kaum die Vielfalt der Lichtpunkte, Tuschebögen, Schattentiefen, Figurenteile und Schraffuren auseinander halten.

Und schon glaube ich mit dem nächsten Relief beginnen zu müssen, es auszuformen und zu grundieren, weil ich mit dem gegenwärtigen schon so weit gekommen bin. Dieses Tempo dauernd!

Es ist Feiertag und somit ist das Lichtspiel im Wachstum des Gärtchens wichtiger. Eine der Weiden, die ihre Wurzeln in die Ritzen zwischen den Betonflächen treiben, überragt schon die Dachkante. Mit den Nachbarn spreche ich über weitere Begrünungen des Betons. Das könnte eine übergeordnete Strategie sein, die das Gelände in Zukunft behütet.

Zeitplan

In der Nachbarschaft stehen sich auf dem Beton zwei Bänke gegenüber. An das linke Ende der Fläche, die sie belegen, stellte ich den Olivenbaum, den wir vor etwa 20 Jahren in Italien gekauft haben. Das ist eine gärtnerische Intervention, die zur Folge haben soll, dass das Grün auf dem Beton zunehmen soll, dass andere mitmachen.

Auf die Oberfläche des Reliefs gelangten gestern Umrisszeichnungen von weiteren Tanzfiguren. Manchmal begegnen sich die bewegte und grundierte Pappmacheoberfläche und die Tuschefeder etwas ruppig. Dann läuft etwas Schwärze in die Gräben zwischen den Splittern. Heute übertrage ich die letzten Umrisse. Dann kann ich endlich mit den Ornamenten loslegen. Bei allem, was ich mache, sitzt mir meine Vorstellung von dem Zeitplan im Nacken, die mir diktieren will, dass ich ein Relief pro Monat schaffe. Das rhythmisiert alles bis zur kleinsten Linie. Ein anderer Rhythmus, der sich darüber legt, ist der Dreiklang der Buchmalereien.

Das plastische Zeichnen, das sich mit den kleinen Einzelformen der Splitter verbindet und ihre Volumina unterstreicht, ist wie ein Motor. Dieser Arbeitsschritt wirkt wie ein Magnet auf mich. Die vielen kleinen Formen werden noch einmal zu neuem, anderen Leben erweckt.

Linien und Räume

Die Tanzfigurenprozession habe ich auf Transparentpapier eingerichtet und dann auf das Relief übertragen. Dieser Streifen bedeckt das untere Drittel des Formates, wodurch darüber genügend Raum zum Schweben bleibt. Die Splitterstruktur des Reliefs, bestimmt die Einrichtung der Figurengruppen in ihren Räumen, die durch die Collagen entstanden sind.

Beim Zeichnen der Ornamente wird die Räumlichkeit der Flächen und Bruchkanten unterstrichen. Es entstehen die Beziehungen zwischen plastischer Form und Linie, die ein Feld weiterer Arbeit bilden. In den letzten Tagen gingen mir vollplastische Tanzfiguren durch den Kopf, die mit Linienmustern überdeckt sind, wie mit Tatoos.

Die sanften Farbflecken, innerhalb der Buchmalereien, folgen den Rhythmen der Handballenabdrücke. In den pastellenen Wolken befinden sich die feinen Linien der Handoberfläche. Sie werden von den konkreten, kräftigen Gravitationsschwüngen und aufrechten Linien, die wie Pfosten einer fliegenden Bühne dastehen, konfrontiert. Die Farbkontraste entstehen aus Intuition, ohne Nachdenken.

Zug der Tanzfiguren

4 Pappen von Franz stehen da, bemalt mit einem fliegenden Berg und floral wucherndem Gekröse, Blattwerk und Geschlinge. Damit fordert er mich zur Fortführung der Zusammenarbeit auf. Diese Vorgaben stellte ich Im Atelier auf Beobachtungsposten, um alsbald zu antworten.

Durch die zeichnerische Verbindung mit den Collagenumrissen formierten sich die Tanzfiguren in den letzten Tagen zu einem Zug. Das erinnert an den Anfang der Arbeit an diesem Reliefexemplar vor einem Jahr. Dort reihten sich Tanzfiguren als Wiederholungen aneinander. Vom unteren Teil der aktuellen Reliefform will ich eine Frottage machen. In diese setze ich dann, auf Rolle 9 und auf Einzelblättern, den Zug der Tanzfiguren. So ergibt sich am unteren Abschluss des Gesamtreliefs, die Möglichkeit, einen dunklen Bodensatz aus Figuren und Räumen zu formen.

Öfter füge ich Umrisslinien in die Buchmalereien ein, die Farbflächen umgrenzen, die aus Handballenabdrücken entstanden sind. Heute habe ich das unterlassen, weil sich solche Linien bilden, wenn ich die Malereien in die Collagen einfüge. Dann wähle ich den hellen Grund aus und entferne ihn. Die Linie entsteht an der Schnittkante.

Das ist die Arbeit der nächsten Tage

Die Zusammenführung der Buchmalereien mit den Tanzfiguren für die Bemalung des nächsten Reliefs, kann von den Collagen ausgehen. Die Umrisszeichnungen davon werden auf Rolle 9 weitergeführt. Das ist die Arbeit der nächsten Tage. Die Überlagerungen der Tanzzeichnungen untereinander habe ich gestern probiert und die Ergebnisse heute in die Collagen eingefügt.

Am Abend las ich über die Malerei von Pasolini, die eng mit seinen Filmen verbunden war. Franz brachte mir den Aufsatz mit. Außerdem blätterte ich in einem DDR-Buch über das Kabarett von 1900 bis 1930 in Berlin. Die Sprachen, in der die Anekdoten aneinandergereiht wurden und die des Altberliner Humors, waren schwer erträglich. Bei genauerem Lesen wurde es mir schlecht. Aber ich entdeckte auf einer Fotografie des Alexanderplatzes Handkarren, teils gezogen, teils geschoben. So stelle ich mir das Gefährt der Brüder Fizner vor, mit dem sie das Modell des Breslauer Domes durch Deutschland zerrten.

Meine malerischen Erlebnisse befrage ich in den Buchmalereien nach neuen Formen, die die Arbeit am Relief unterstützen sollen. Weil das Nachdenken darüber an Grenzen stößt, probiere ich damit herum. Zunehmend denke ich schon beim Aquarellieren an die Eignung dessen, was ich gerade mache, für die Collagen.

Nachgeholt

Gestern versuchte ich das Versäumte der letzten Tage nachzuholen. Auf 4 Blättern und auf Rolle 9, begann ich mit 9 Tanzfiguren zu arbeiten. Sie sollen sich mit Umrisszeichnungen von Buchmalereien und Collagen verbinden. So entstehen weitere Motive für die Reliefs. Bisher habe ich die Figurengruppen, die in der Vergangenheit entstanden sind übernommen, ohne sie mit anderen Zeichnungen zu kombinieren. Das ist nun neu, und ich muss schauen, ob dieser Arbeitsschritt in den Collagen und auf Rolle 9 etwas ergibt, was mich weiterbringt.

Außerdem beschichtete ich die Rückseite des Reliefs, das sich noch fest in der Form befindet. Das Pappmache scheint nun trocken und bereit zu sein, um es herauszulösen, und auch die Vorderseite grundieren zu können. Spannend bleibt, ob das Exemplar, während der weiteren Bearbeitung, ganz plan bleibt.

In den Buchmalereien nähere ich mich malerischeren Strukturen. Die Handballenabdrücke sind nicht mehr nur für den Motivtransport von einem zum anderen Format da, sondern entwickeln eigenständige farbige Strukturen. Um sie besser zu nutzen, muss ich bei aller schnellen Rhythmik der Vorgänge, vorsichtiger mit ihnen umgehen. Die Schnelligkeit ist manchmal zerstörerisch, wie auch beim Zusammenstellen der Collagen am Bildschirm.

Rückkopplungen

„Echo aus der Zukunft“ hieß ein Filmbericht des Hessischen Rundfunks, der die Arbeit verschiedener Künstler vorstellte, die mit der Wissenschaft kooperieren. Das scheint mir ein wichtiger Ansatz zu sein, um sich in die aktuellen Tendenzen und Entwicklungen hineinzubegeben, sich mit ihnen ausainanderzusetzen. Neben rein konzeptionellen Ansätzen gab es auch neue bildästhetische Auswirkungen.

Mit meinen Collagen und ihren Rückkopplungen, kann ich Arbeitsrichtungen einschlagen, die für mich neu sind. Die Umrisszeichnung einer Buchmalerei vom April, fügte ich, mit den heutigen Buchmalereien und den gestrigen Schichten, in die Collagen von heute ein. Wenn ich diese vielen Werktagsschichten in einem Film montiere, ihn schnell ablaufen lasse, können Formen entstehen, die alles allgemeiner zusammenfassen. Das könnte eine Antwort auf die Masse von den Arbeiten sein, die konzentriert sein wollen.

Das Problem des digitalen Arbeitens ist für mich, dass ich mich nicht von den attraktiven Möglichkeiten der Bildgestaltung ablenken lassen darf. Das Moderne der Technik, bedeutet nicht automatisch künstlerischen Fortschritt. Das ist meine Erfahrung aus den Neunzigerjahren. Es hat sich z.B. bewährt, mit älteren Programmen zu arbeiten.

Verlorene Substanz

Arbeitspausen fallen mir nicht leicht. Mehrere Tage ohne die Weiterentwicklung der Ideen für die Projekte, sind einerseits schwer auszuhalten, andererseits merke ich, dass mir der zunehmende Abstand auch gut tut. Ich hinterfrage meine Gestaltungsentscheidungen und suche nach anderen Varianten.

Von meinem Vater, dem ich eine Apsara auf einer Portraitscherbe zum 86. Geburtstag schenkte, bekam ich ein Buch über das Berliner Kleinkunstgeschehen von 1900 bis 1930. Ein DDR – Verlag gab eine Sammlung von Anekdoten dazu heraus. Die kleinbürgerlich – proletarische Sprachkultur dieser Zeit, hat sich bei ihm erhalten. Es ist, als würde sie nun deutlicher wiedererscheinen.

Das nächste Relief ist fast trocken. Ich habe noch kein Motiv dafür erarbeitet. Termine hielten mich in den ersten zwei Wochentagen davon ab. Auch heute gibt es eine lange Videokonferenz. Ich hoffe, dass sich die Arbeitsbegegnungen bald normalisieren. Ich habe das Gefühl, dass bei der Zusammenarbeit auf digitaler Basis, viel Substanz verloren geht. Es hat etwas von einer Vorausschau des gesellschaftlichen Lebens.

Befragung

Am Morgen befragte ich die Buchmalereien. Es ging um die Wendungen der Linien, die Kurvenschwünge, Spitzkehren oder Umkehrpunkte sein können, die sich vom Gravitationsgeschehen scheinbar entfernen. Das ganze Geschehen kann von den schwebenden Kulissenwänden eingefangen werden in ein dreidimensionales Koordinatensystem.

Manchmal stelle ich mir die Buchmalereien in 3 D – Animationen vor. Der erste Schritt dahin, sind die werktäglichen Collagen. Diese ließen sich auch mit dreidimensionalen Programmen erweitern. Der Kunstmarkt hat gerade eine Akzeptanz solcher Arbeit im Zusammenhang mit strengen Limitierungen entwickelt. Meine eigene digitale Arbeit ist dem sehr fern.

Gestern formte ich das 13. Relief des aktuellen Väterportraits ab. So kann nun die Arbeit an ihm in der nächsten Woche beginnen. Auf Rolle 9 werde ich mich mit Umrisszeichnungen der neu entstandenen Collagen beschäftigen, sie zusammenbringen mit Figuren älterer Produktion.

Schleier I Schichten I Abwechslung

So wenig inspiriert die Buchmalereien am Morgen entstanden, so passend ließen sie sich in die Collagen einfügen. Dort spielte lediglich das Geschehen der vorigen Tage noch eine zusätzliche Rolle, ein paar Fragmente der Ornament-Figuren-Schicht des Reliefs, ein paar Schleier der vorausgegangenen Malereien – Zeitschichten.

Heute werde ich das nächste Relief abformen. Es soll sehr langsam und vorsichtig trocknen, dabei muss ich auf eine gleichmäßig starke Schicht achten, damit sich die Fläche nicht verzieht und wellig wird. Es ist etwas anderes, als das anstrengende Ornamentzeichnen, was sich dann, nach dem Trocknen und der Grundierung, anschließen wird.

Etwas Abwechslung würde mir gut tun. Dennoch will ich nicht zulassen, mich mit anderen, Projekten vom Finale der letzten 4 Formate ablenken zu lassen. Bin mir nicht sicher, wie sich eine wirkliche Pause auswirken würde. Also bleibe ich lieber dran, auch wenn es schwer fällt und zusätzlich Kraft kostet.

Gedreht?

Manchmal beschleicht mich der Verdacht, dass die Beschreibung der Kontinuität und Konzentration bei meiner Arbeit nur ein, ins Positive gedrehter, Zustand der Eintönigkeit ist. Das trifft die täglichen Buchmalereien, die Collagen und die täglichen Eintragungen in das Werktagebuch. Der stetige Beginn mit den Gravitationsschwüngen am Morgen, setzt eine Maschinerie in Gang, die bis zum Abend rotiert, um am nächsten Tag wieder neu zu beginnen.

Gestern stellte ich das aktuelle Relief fertig. Darauf sind über den Scherben einige Figuren und eine Bühnenlandschaft, umgeben vom mäandernden Ornamentteppich der Erinnerungswege zu sehen. Die Splitterbruchkanten, innerhalb der Figuren, habe ich hell gelassen, auch wenn dadurch eine Apsarafigur stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Im Rest der Woche kann ich mich nun um die Vorbereitungen der Arbeit am nächsten Exemplar widmen.

In den trockenen Tagen, wird mein Gärtchen zur Oase für das Kleingetier der Umgebung. Manchmal wimmelt es von Insekten, Eidechsen und Vögeln. Die Mäuse fange ich weg und setze sie am Gustavsburgplatz wieder aus. Sie stören mich, weil sie auch mein Atelier als Aufenthaltsort nicht verschmähen.

Lärm

Der allgemeine Lärm in der Nachbarschaft steigerte sich gestern. Abgesehen von dem Baumaschinengetöse, wurde die Restaurantterrasse tagelang mit einem Hochdruckwasserstrahl gereinigt. Heute wird das Holz still mit einer Schutzlasur gestrichen. Lasuren gibt es auch in den heutigen Buchmalereien. Meist werden Farbwolken durch das Vertreiben mit dem feuchten Handballen übereinander geschichtet.

In der anderen Nachbarschaft versammelten sich gestern Familienangehörige mit großem Mitteilungsbedürfnis und entsprechen lauten Sprachorganen. Meine Arbeit braucht viel Konzentration. Ich kann den Lärm nicht immer mit Musik in meinem Ohr abdecken. Manchmal ist relative Stille nötig. Außerdem ist solches Verhalten auch ein soziales Ärgernis.

Entsprechend meines Arbeitsplanes, fülle ich die Figuren zwischen dem Ornamentteppich nun mit schwarzen Tuschescherben. Bislang können die Schnittkanten sich hell absetzen und die Splitter umgrenzen, ohne dass die Erkennbarkeit der Figuren leidet. Wenn es dazu kommen sollte, werde ich auch die hellen Kanten eindunkeln.

Kleinraumgreifend

Die Ornamentschicht des aktuellen Reliefs habe ich am Freitag fertig gezeichnet. In der Folge stellte ich mir die Arbeit an Objekten vor, die aus Holz, Gips, Draht und Pappmache bestehen. Sie sind bemalt mit Tusche und Schellack. Der Umgang mit den Materialien spendet dabei den entscheidenden Impuls. Mal sehen, wie stark der ist und ob es tatsächlich zu solchen kleinraum-greifenden Skulpturen kommt.

Vorgestern sind innerhalb der Buchmalereien menschliche Figurenumrisse entstanden. Eher sind es Farbflecken, die man für solche halten kann. Von meinen Sinnen wird das begrüßt und hat Auswirkungen auf die Suche nach Motiven, die im nächsten Relief von Ornamenten umgeben werden. Ihre Entwicklung auf Rolle 9 steht an und damit eine vergnügliche Arbeit.

Gestern wurde eine Ausstellung eröffnet, in der ich mit Franz zusammen Objekte zeige, die wir innerhalb unseres Kooperationsprojektes „HINUNDHER“ angefertigt haben. Ich saß eine Zeit im Korbsessel in der Sonne vor dem Atelier von Franz, in dessen Schaufenstern die Arbeiten gezeigt werden. Ein gewisses Interesse war zu spüren. Dann aber gingen wir in die Hintertaunuslandschaften, um uns mit Weitblicken zu füllen.

Gift TON

Die Bohrarbeiten auf dem Gelände widmen sich der Umweltbelastung der Bodenschichten. Sie haben Bohrkerne mit Ton gefördert, von dem ich etwas, mit Erlaubnis der Arbeiter, in das Gärtchen tragen konnte. Die Stränge sind von einer sehr festen Konsistenz, grau und etwas sandig, garantiert belastet von den Chemikalien, die das Teveswerk Jahrzehnte lang in den Boden entsorgt hatte. Also werde ich vorsichtig damit umgehen.

Als mir am Morgen der Kaffee in meinem Espressokännchen übergekocht ist, bekam ich Lust, die Buchmalereien in eine Arbeitsweise zu überführen, die größere Formate erlaubt. Die Freiheit, die ich mittlerweile in den Büchern entwickeln konnte, auf Leinwand zu übertragen, wäre eine nette Pausenbeschäftigung, wenn ich mit dem zweiten Exemplar des Väterprojektes fertig bin.

Gestern umschloss ich die dritte Tanzfigur mit dem wuchernden Ornamentgesträuch. Und gleich drängt sich der latent in Hintergrund ausharrende Zeitplan nach vorne. In diesem Monat möchte ich dieses Relief fertig stellen und parallel dazu, schon mit dem nächsten beginnen. Die üblichen Arbeitsschritte, diesmal als „Tanz in den Mai“.

Zeitflächen

Geschichtete Zeitflächen, skulptural verdreht, gestreckt, geknüllt und verblasen als Faltenwurf in einem vorkosmischen Wind, entsprechen der Bühnenbildidee, in der ich die Materialien, auf ihnen liegend, mit meinem, sich zusammenziehenden Körper verforme. Diese Materialien können auch aus meinen Ornamentgeflechten bestehen, das die Scherben der Reliefs überspannt.

Nach der Apsara im linken Reliefhimmel, umgab ich die zwei Georg-Reischl-Figuren mit den Ornamentflächen auf 4 Scherben. Die Richtung der Gravitationsschwünge wechselt innerhalb der Buchmalereien aus dem Uhrzeigersinn in sein Gegenteil. Auf der Fläche der Buchseiten gibt es nur diese beiden Möglichkeiten. Nach drei Richtungswechseln, findet die Linie zumeist wieder zu ihrem Beginn zurück.

Die Abwesenheit von Produktion in der Nachbarschaft, führt bei mir zu einer wachsenden Aktivität, als müsse ich die entstehende Lücke, die Nische, füllen. Die gefalteten Diapositive hinter den Tuschelinienteppichen wachsen zu solchen Füllfiguren. Den Köpfen der Personen entspringen Strukturen ihres architektonischen Erlebens. Wieder entstehen Formen aus Zeitflächen.

Suchornamente

Die Apsara im linken Himmel des 2. Teils des 1. Scherbengerichtes dieses großen 2. Doppelportaits, habe ich nun vollständig mit den Suchornamenten umgeben. Gestern schon spielte dieser Vorgang in den Collagen eine Rolle. Dort widerstrebte mir das süßlich-schöne Gesicht der Himmelsgöttin, das ich mit digitalen Mitteln abmilderte.

Zwischen den Linien des Suchornamentteppichs schwingen die langen Halme der Wasserpflanzen im Quellbach des Klosters Gerode hin und her. Die Bisamratte huscht durch das Wasser an der Uferböschung. Holzplanken verschließen das Wehr des Fischteiches. Über dem sumpfig-moorigen Gelände schwebt der Drachen, den mein Vater mir gebaut hatte. Mir steigt Holunderblütenduft in die Nase…

225 Collagen sollten nun als Diashow in einem der Schaufenster von Franz, wo wir gestern unsere gemeinsame Arbeit zur Ausstellung einrichteten, flimmern. Ich gehen gleich noch mal hin, um das Gerät wieder einzuschalten, weil Franz ihm den Stecker gezogen hatte…

HINUNDHER

Im Atelier von Franz, in dessen Schaufenstern, haben wir die Exponate unseres HINUNDHER ausgelegt, stellten ein handgeschriebenes Schild dazu, dass es sich um Arbeiten aus einer Kooperation von Frank Reinecke und Franz Konter handelt. Zuvor hatte ich an einige Formate noch mal Hand angelegt, um die Kompositionen zurechtzurücken.

Man kann ja die ganze Zeit mit dem Stift oder Feder vor sich hin wurschteln. Beim Zeichnen allerdings ist eine folgerichtige Anordnung der Elemente die Voraussetzung für eine, wie immer auch geartete Lesbarkeit des Bildes. Spannung und Verdichtung sollte sich dadurch aufbauen, weniger durch Provokation.

Am Nachmittag konnte ich weiter in Ruhe an dem Ornamentteppich weben, der nun schon über ein Drittel des aktuellen Reliefformates bedeckt. Eigentlich wollte ich schon weiter sein. Mäandernd versuche ich auf die Verzweigungen meiner Erinnerungen zurückzugreifen. Dabei handelt es sich zunächst um Linienkonstellationen. Sofern sie sich mit räumlich-haptischen Situationen verbinden, treten die schemenhaften Erinnerungen hervor, nach denen ich auf der Suche bin. Sie sind die Voraussetzung für die Entschlüsselung der Codes, die zur Sichtbarmachung der verschwundenen Figur Oscar Fitzner nötig sind.

Kanalarbeiter – Kommentar

Das Inspektionssfahrzeug der Unterweltforscher steht wieder vibrierend vor dem Atelier. Die Abwasserröhren werden von innen beleuchtet und mit Kameras begutachtet. Mit viel Trinkwasser werden die weit verzweigten Leitungen durchgespült. Die in die Jahre gekommene Ausrüstung lärmt mit ihren Pumpen, Lagern und Generatoren. Die Stimmen sind gesättigt von der Bedeutung des Tuns ihrer Träger, den Kanalarbeitern.

Gestern wurde auch ich von einer gewissen Grobheit erfasst. Als ich meine misshandelten Reliefmedallions kommentierte, tauchte ich den Pinsel tief in das Tuscheglas und stapelte weitere Relieffragmente auf das Format, klebte sie mit viel Farbenbinder fest, so dass er über die Räder hinaus quoll. Die unschuldig warmgrau wirkende Pappe wurde mit kantigem Schwarz malträtiert.

Die Buchmalereien gehen mir am Morgen zwar schnell von der Hand, aber nicht leicht. Der stete Fluss der Entscheidungen wird manchmal reißend. Wie in einem Kajak versuche ich die Stromschnellen so zu nehmen, dass mein Kopf über der Wasserlinie bleibt.

Überraschung

Der überraschende Schwung, der heute in die Buchmalereien fuhr, kam von einer winzigen öligen Spur auf dem Papier, im Bereich des 3. Formates. Von dort aus machte ich einen Handballenabdruck auf Nummer 2, wo die Struktur der sich abstoßenden Flüssigkeiten erst richtig sichtbar wurde. Dann ging ich mit den Abdrücken wieder zurück nach 3 und auf den Anfang 1. Der Vorgang war dann abgeschlossen, nicht noch einmal zu wiederholen.

Parallel arbeitete ich gestern am aktuellen Relief und an einem Relieffragment, das ich gemeinsam mit Franz bearbeite. In der Kooperation mit ihm lösen sich die dichten Ornamentstrukturen auf und zeigen dadurch mehr von ihrer Energie, die in den Zeichnungsteppichen des Väterprojektes erst auf den zweiten Blick erscheint und die weiteren Schichten dahinter preisgibt.

In unserer Zusammenarbeit geht es von meiner Seite aus oft um Gegenreaktionen. Indem ich ein Motiv von Franz aufnehme, wird es von meiner Handschrift verändert und bekommt somit eine weitere Ebene. Dabei beharre ich möglichst auf der Verschiedenheit unserer Herangehensweisen, aus denen sich eine Energie etablieren kann.

Angestaute Energie

In den Unterdruck, der aus den entgegengesetzten Sogbewegungen des Zeichnens und des Schauens herrührt, fällt meine überraschende Impfung gegen Covid 19. Die angestaute Energie kann nun, wie Formschaum aufgehen und die leere Nische füllen.

Das funktioniert derzeit mit den Schellackschichten und Ornamenten, die ich gegen die Bildgesten von Franz auf die gemeinsamen Formate setze. Das geschieht, wie nebenher, aber trotzdem konzentriert. Gut gefallen mir bisher die Relieffragmente, die in unseren unterschiedlichen Weisen bemalt sind. Ihre unregelmäßigen Umrisse, die sich nach den modellierten Scherben richten, umfassen die eigenartige Mischung aus verschiedenen künstlerischen Gesten.

Wenn ich heute die Augen schließe, treten kräftige Farben auf. Auf diese Weise ahne ich Farbklänge, bevor ich sie auf das Papier bringe. Dann geht der Blick auf die Aquarellstiftesammlung, die auf dem Tisch liegt, ich suche die entsprechenden heraus und beginne entweder einen Umriss, Schwünge oder Schraffuren zu zeichnen. Das Malerische entsteht durch den feuchten Handballen, mit dem ich die Farben einerseits verschwimmen lasse und Motive per Abdruck in die anderen Formate übertrage.

Gegenmittel

Zwischen den Gravitationsschwüngen suche ich nach Lückenfüllern für das Vakuum, das dort entsteht. Auf der Nachbarbaustelle sind große Muschelkalkblöcke gefunden worden. Diese Schichten komprimierter Jahrmillionen werden nun zu einem Kinderspielplatz zurechtgeschlagen.

MY PANDA SHALL FLY, ein Musikstück von Hainbach, Sonnenschein am Morgen, Fastfood-Müll habe ich am Eingang des Geländes aufgesammelt, ein paar Flugzeuge streifen diagonal über das Atelier. Raumstruktur neben und über den Wolkenfransen.

Der lockere Malgestus von Franz reizt mich innerhalb unserer Kooperation, zu einer akribischen Gegenreaktion. Sie entsteht aus dem Ornamentteppichsog der Reliefs. Auf beiden Seiten dauert es manchmal eine Weile, bis das jeweilige Gegenmittel gefunden ist. Musik hilft uns beiden dabei.

Vakuum

Die Inspizienten der Unterwelt haben ihre lärmende Kopie des Minotaurus direkt vor mein Gärtchen gestellt. Die Dieselabgase dringen in mein Atelier ein und bedrängen jeden Gedanken an die Splitterreliefs. Er wird in die Schichten unter den Abwasserleitungen gespült.

Während ich gestern Abend in Ruhe ornamentierte, versuchte ich den Raum zwischen dem Sog, der beim Zeichnen entsteht und dem, der sich bestenfalls beim Schauen einstellt, zu definieren. Es scheint, als würde dazwischen ein temperaturloses Vakuum entstehen. Nur ein, aus dem Nichts generierter, Gegenstand in dieser Nische, kann eine Temperatur annehmen.

Aus den Pflanzkästen des Restaurants ist ein Apfelbäumchen gestohlen worden, wie Sukkulententöpfe aus meinem Gärtchen in den vergangenen Sommern auch. Die sonstigen Gehölze bei mir scheinen kaum von Interesse zu sein. Sie bekommen nun neue Erde, die ich auf dem Gelände zusammenkratze, dazu Asche von meinem Gartenfeuer als Dünger.

Beschleunigungen

Es ist Montag, und ich möchte die Woche ruhig beginnen – hatte überlegt auf der Wiese ein paar Mohnblumenflecken zu säen, ein wenig Erde dorthin werfen, wo der Schotter noch hervorschaut. Dann aus den Mohnkapseln die schwarzen Krümelchen herausschütteln, darauf streuen, etwas einarbeiten und Wasser drauf…

Gestern füllte ich die Scherbe des Reliefs, die ich am Freitag begonnen hatte mit dem Ornamentverlauf zu versehen, der sie eindunkelt und die Partie innerhalb des großen Doppelportraits der Väter als Schatten im Gesicht definiert, fertig. Beim Zeichnen mit Feder und Tusche entsteht eine Rhythmik, die eine Beschleunigung nach sich zieht. Sie rührt von dem Reiz her, die Linien so zueinander zu ordnen, dass zwischen ihnen spannungsvolle Flächen entstehen, scharfe Spitzen sich mit sanften Rundungen begegnen, sich abwechseln in unregelmäßigen Abständen und so einen Sog erzeugen, der in das Universum hinter den Linien führt.

Ähnliche Vorgänge stellen sich während der Arbeit an den Buchmalereien ein. Die Wanderungen der gezeichneten Formen, durch die Handballenabdrücke von einem zum andren Format, erhöhen ebenfalls das Arbeitstempo, bis ich den Vorgang unterbreche, im Garten etwas räume oder Kaffee koche. So komme ich wieder zur Besinnung und beginne von neuem das Spiel.

Kreisliniensegmente

Die Amsel, die gestern auf einem Zaun ihre abwechslungsreichen Tonfolgen pfiff, wurde am Morgen vom Videountersuchungsfahrzeug der Kanalerbeiter vertrieben. Die Aufzeichnungen aus der Unterwelt verfolgen den Weg unserer Abwässer. In der Baugrube der Nachbarschaft bildete sich seit einigen Wochen ein grüner See.

In die Brüche zwischen den Splittern des Reliefs, ergoss sich gestern Tusche. Die Flächen begann ich mit einer neuen Zeichnfeder ornamental einzudunkeln. Das ist jetzt wieder eine Phase der Meditation und des Erinnerns. Eingeprägte Ereignisse erlebe ich mit den Erfahrungen der dazwischen liegenden Jahre noch einmal anders. Der veränderte Blickwinkel zeigt die Szenen mitunter genauer. Schwarzweißfotos werden zu dreidimensionalen Begebenheiten, die ich durchstreifen kann, um sie mir von allen Seiten anzuschauen.

Bei der Übertragung von geraden Linien mit dem Handballen, von der einen zur anderen Buchmalerei, werden Verzerrungen deutlich, die durch den Druck auf die flexible Haut entstehen. Geraden werden zu Kreisliniensegmenten verbogen, die die großen Gravitationsschwünge erahnen lassen.

Ohne große Gesten

Unter den zwei Apsaras, die von rechts und links in die Szene des aktuellen Reliefs schweben, hat nun ein abstraktes Motiv, aus einem Collagenquerformat, seinen Platz gefunden. Ich wollte mir dafür etwas mehr Zeit nehmen, aber die Suche nach dem geeigneten Umriss war dann schnell entschieden.

Auf dem Tevesgelände befinden sich Kanalarbeiter auf einer Erkundung nach der Entwässerung des Stadtgebietes rund um die große Baustelle in der Nachbarschaft. Sie kommen mir verwandt mit den Untergrundfiguren meines Theatertraumes, aus einer der letzten Nächte vor. Als seien sie aus dem gotischen Kellergewölbe emporgestiegen, verwickelte ich sie neugierig in ein freundliches Gespräch, um sie zu bändigen.

Auf dem Platz vor dem Atelier lernen Flüchtlingsfrauen ihr Gleichgewicht auf Tretrollern mit großen Speichenrädern kennen. Sie erscheinen mir wie Käfigbewohnerinnen, die unter einem Überwurf gewachsen sind und nun andere Dimensionen kennen lernen. Das geschieht still und ohne große Gesten.

Übersetzungen

Drei größere Tanzfiguren übertrug ich gestern in das untere Drittel des Reliefs. Bis ich sie in dieser Weise zu Einsatz gebracht hatte, dauerte es eine Zeit. Vor genau zwölf Jahren begann ich mich mit der Ballettaufzeichnung „One Flat Thing, Reproduced“, aus der die aktuellen Figuren stammen, und mit der dazugehörigen Website zu beschäftigen. Nun passe ich, bevor ich den ersten Tuschestrich auf die raue Oberfläche mache, die Größe an und suche eine Stelle auf den Splittern, wo alles möglichst gut zusammenklingt und wahrnehmbar bleibt.

Außerdem begab ich mich auf die Suche nach der zweiten Apsara, die wie ein Posaunenengel, von der linken Seite her, einschweben soll. Gefunden habe ich sie wieder in den Wandmalereien des Klosters in Alchi. Nun beginnt die Übersetzung in die richtige Größe und Stilisierung, damit sie auf der unruhigen Splitterfläche Bestand hat, sich seitenverkehrt einfügt. Zunächst probierte ich das in den heutigen Collagen.

Das abstrakte Motiv, das im Zentrum stehen soll, ist noch nicht gefunden. Aber sicher entsteht es aus den Buchmalereien der letzten Wochen. Möglicherweise werden es auch mehrere. Diesen Entwicklungen möchte ich nun mehr Aufmerksamkeit widmen.

Luftwurzeln

Ich krame erst einmal herum, öle das Ateliertürschoss, sprühe Wassernebel auf die Luftwurzeln der Ableger der Goethepflanzen, die an den Rändern ihrer fleischigen Blätter wachsen, sich zu Gewirren verflechten und üppig rosafarben blühen. Sie ähneln den heutigen Buchmalereien. Während der Arbeit an ihnen, dachte ich an die Gesträuche, in die ich mich schon hineingesehen und sie gezeichnet habe.

Ein Motiv, an dem ich derzeit in Kooperation mit Franz beschäftigt bin, in die Reliefarbeit einzuflechten, habe ich verworfen. Eine eigene abstrakte Umrisszeichnung von Collagen der letzten Zeit, erscheint mir sinnvoller und für das sehr persönlich Thema geeigneter.

Mit dem Ende der Ostertage kehrt wieder die normale Regelmäßigkeit ein, die so wichtig ist für das Überstehen der Zeit, in der die Pandemie anhält. Gestern schnitt ich mutig die Bäume zurück, die im Laufe der letzten Jahre im Gärtchen gewachsen sind. Sie sind nun so kräftig, dass ich sie durch das Ausästen in klar abgegrenzte Räume und Etagen einteilen kann. So bekommen sie mehr Licht und Gestalt. Aus einer dünnen Humusschicht, die sich auf dem Beton jenseits meines Gartens gebildet hat, wachsen hunderte von kleinen Buschwindröschen. Das sieht fast bedrohlich aus. Ich will abwarten und schauen, was daraus wird…

Schwebungssummer

Innerhalb von Autobahnbaustellen, in denen man auch den Seitenstreifen mit befahren soll, erinnere ich mich, wegen der rhythmischen Querschläge, an die DDR-Autobahnen. Und „Schwebungssummer“ heißt ein Stück von Hainbach, das ich gerne, im Rückblick auf diese Fahrten, mit meinem Effektgerät und der Gitarre, nachempfinden würde.

Ein freier Tag im Atelier. Zeit zum driften in umbesetzte Räume. Auf einem kleinen Bildschirm lasse ich die Collagen dieses Jahres laufen. Meine produktive Zeit ist mit diesen Strukturen und Farben verflochten.

Aus ihnen tauchte in der Nacht, in einem Traum, die Theaterwelt auf. Ich hatte den Auftrag, für die Stückentwicklung einer Oper, ein Bühnenbild zu entwerfen. Dafür durchstöberte ich die Werkstätten und den Fundus nach geeignetem Material. In den Regalen und auf den Tischen lagen Folien, Papier, Stoffe und Mischformen davon. Ich formte diese Lagen, indem ich mich darauf ausstreckte, um mich dann zusammenzuziehen. Der so entstehende Faltenwurf blieb stabil und konnte zum Gebirge des Kanchenjunga montiert werden. Außerdem wurden auch Kostüme für den Chor, das Tanzensemble und das solistische Personal, aus diesem geformten Stoff hergestellt. Sie konnten auf diese Weise, im Gebirge getarnt, unsichtbar werden. Bei der weiteren Suche gelangte ich in ein gotisches Labyrinth, das tief in die Erde führte. Aus dem warmen Dunst stieg mir der feindliche Intendant mit seinem Gefolge entgegen, dem ich – größenwahnsinnig, wie oft im Traum – die Stirn bieten zu können glaubte.

Umgekrachtes Holz

Wieder treten Zitate von den Tempelwänden der himalayischen Klöster innerhalb des Väterprojektes auf. Die Apsara, die ich gestern mit den Splittern des aktuellen Reliefs verband, hat direkten Blickkontakt mit den Tanzfiguren, die ich vorgestern zeichnete. Diesen möchte ich mit einem abstrakten Motiv unterbrechen. Mir erscheint es richtiger, eine Umrisszeichnung der gegenwärtigen Buchmalereien ins Zentrum dieses Formates dazwischen zu setzen. Das basiert auf dem Gefühl, Zeiträume nachzuzeichnen oder zu entwickeln.

Einen Chatverlauf, der sich kürzlich zwischen zwei Personen auf meinem Telefon ereignete, habe ich, in meiner Phantasie, am Morgen mit Kreuzstichen zusammengenäht. Wenn ich die Naht auftrenne, erscheint das Gesicht von Oscar Fizner, dem leiblichen Vater meines Vaters dahinter. Er dreht sich weg und die entstandene Lücke füllt sich mit den Herzschwächen und dem Misstrauen der folgenden Generationen.

Gestern stieg ich wieder, tief atmend, auf meinen Berg. Ab und zu standen im Wald pünktlich prächtige Osterglocken. Der Gipfel des Altkönigs wird immer beliebter. Die eingegrenzten Möglichkeiten der Stadtbewohner tragen dazu bei. Weite Waldareale am Südhang sind geschädigt und abgeholzt. In den Reservaten verrottet das umgekrachte Holz.

Etwas mehr Stille

Inmitten des lichten Ateliermorgens höre ich den Jazzpianisten Michael Wollny mit Solostücken. Ein Bächlein manchmal, dann aber auch wie ein schweres Buch – ganz kurz hintereinander sehr unterschiedlich.

Das neue Relief habe ich nicht so dicht grundiert. Die Durchlässigkeit der weißen Schicht wurde durch den Schellack noch verstärkt. So erscheinen die Tuschezeichnungen auf einer Fläche, die zwar rau ist, die Linien aber nicht gleich aufsaugt, sondern einen Moment stehen lässt. Diese Materialität hat ein eigenes Gestaltungsgewicht. Eine dreiköpfige Gruppe, aus dem Tanzzusammenhang von 2003, zeichnete ich in die linke untere Ecke. Ihr gegenüber, rechts oben, findet die schwebende Apsarafigur ihren Platz.

Die Terrains der Buchmalereien erweitern sich. Vorgestern tauchten Figuren auf, gestern streng umrissene, abstrakte Formen und heute wieder vage Konstruktionen mit Schnüren verbunden. Darin herrscht heute etwas mehr Stille.

Fliegen

Wir unternahmen gestern einen langen Spaziergang am Weiherbach bei Glashütten und überquerten den, von seinem Bett aus nordwestlich gelegenen Hügel. Jenseits seines Kammes entdeckten wir einen Buchenwald, in dem ein anderer Wasserlauf in mehreren Quellen entspringt. Die Bäume in der Senke bilden einen kathedralenartigen Raum mit einer mystischen Ausstrahlung. Diese alte Kulturlandschaft zeigt noch die Arbeitsschritte der Rodung und der Einrichtung kleiner Felder, die von schmalen Waldstreifen umgeben sind.

Das Kooperationsprojekt, das ich mit Franz unternehme, lebt unter anderem von dem häufigen Hin – und Hertransport der Werke, die wir in unseren Ateliers anfertigen und austauschen, um sie weiter zu verarbeiten. „Hin und Her“ wäre ein schöner Name.

Heute Vormittag, nach dem Supermarkteinkauf, konnte ich mich tief in die Buchmalereien versenken. Auch jetzt, mit der Musik von Hainbach am sonnenwarmen Zeichentisch, bin ich in einer Welt fern der direkten Umgebung. Schaue ich mir die Formen, die in den Büchern entstehen an, möchte ich sie stark vergrößern, um immer weiter in diesen Kosmos zu fliegen.

Vermischte Themen als Zeichnungsebene über den Scherben des Reliefs

Gestern bin Ich doch wieder auf die Tanzzeichnungen von 2003 zurückgekommen. Eine von ihnen, auf der sich 3 Tänzer überlagern, vergrößerte ich und zeichnete die Umrisse so auf Rolle 9, dass sie die vorausgegangene Apsarafigur aus Alchi noch berühren. Und innerhalb ihrer Form, sind sie, durch weitere Schichtungen des üblichen Gesträuchs, mit dem Geschehen der letzten Tage verbunden. So komme ich dem Material näher, das die zeichnerische Ebene über den Scherben des aktuellen Reliefs bestimmen wird.

In diesem Zusammenhang dachte ich am Morgen an eine weitere Gestalt aus dem Bereich des Frankfurter Kraftfeldes. Es gibt da einen Kreuzträger, den ich aus meinem Erleben der Christen in der Stadt Salt, in Jordanien, mitgebracht habe. Die Themen mischen sich weiter.

Ein anderer Körperumriss entwickelte sich zunächst nur in meinem Kopf. Er ist geformt von lauter Körperteilen, die in ihn hineinragen. Köpfe, Arme, Füße, Hände und Beine von Leuten, die ihm auf die Pelle rücken. So eingezwängt formt sich sein Bild. Diese Erfindung ist nicht neu, trat aber meist nur am Rande auf und war nicht das Hauptthema.

Schwebe

Die Beschäftigung mit der Website „Trixel-Planet“ verhinderte gestern, dass ich an den Dingen weiterarbeiten konnte, die mir am Vortag und am Vormittag durch den Kopf gegangen sind. Für die heutige Weiterarbeit fehlen dann die gestrigen Ergebnisse der Tuschezeichnungen auf Rolle 9, was sich auf die Collagen auswirkt. Somit ist die Kette der Kontinuität unterbrochen. Anstatt dessen reihten sich, bei der Veränderung der Website, Fehler an Fehler, die nervenaufreibend, Stück für Stück, wieder aufgehoben werden mussten.

Darüber tröstete ich mich gerade mit den Buchmalereien hinweg, die autonom dastehen, wenig Input aus der anderen Arbeit benötigen. Somit wird ihre vorausgehende Rolle deutlicher. Sie übertreffen meine Vorstellungen, gehen vor ihnen her und überholen das Denken. Und dabei steigert sich die Leichtigkeit in eine Schwebe, die wie ein Papierflugzeug stets von einem schnellen Absturz bedroht ist.

Gleichzeitig ist es kaum möglich, diesen Stellenwert bei der Übertragung auf die Reliefs zu zeigen. Die feine, fragmentarische Zartheit, kann nur schwer mit festen Umrissen, die für die bewegten Oberflächen notwendig sind, eingefangen werden. Allenfalls ließen sich die klaren Gravitationsschwünge so kompakt einfügen, dass sie sich gegen die expressive Splitterstruktur behaupten könnten.

Tische, Tanz, Apsaras

Die Apsara aus Alchi überlagerte ich mit den vorausgegangenen Figurenliniengesträuchen auf Rolle 9. Während der Arbeit dachte ich an die aktuellen Diskussionen um die kulturelle Aneignung. Und schon befinde ich mich in einer Legitimierungsfalle! Ich bin aber frei in der Wahl meiner Mittel! Ich arbeite mit Spuren menschlicher Wanderung, verflechte sie in einer Weise, wie es immer zwischen den Orten geschah. Nur auf diese Weise kann kulturelle Weiterentwicklung geschehen. Die neuen Muster, die ich so seit 24 Jahren finde, sind präsent und kaum noch aus der Welt zu schaffen.

Mein Schreibplatz im Gärtchen, bestehend aus dem alten Korbstuhl zwischen den Regalen, unter ihrem Dach und dem kleinen weißen Tisch, benötigt noch etwas mehr Sonne, damit ich ihn, wie in jedem Frühjahr, benutzen kann. Zwar kommen die größeren Eidechsen schon heraus, im Schatten aber, also an den Beinen, Füßen und im Rücken bleibt es kühl.

Am Abend grundierte ich das zwölfte Relief des zweiten Väter – Doppelportraits, wenn ich es nach der Reihenfolge der Anfertigung zähle. Eigentlich ist es aber das zweite aus dem ersten Scherbengericht. Langsam entsteht auch die Figurenanordnung in meinem Kopf. Einige Tanzfiguren, die ich aus „One Flat Thing, Reproduced“ entwickelte, bewegen sich hinter den Tischen, die das Bühnenbild waren, im unteren Bereich des Formates. Darüber schweben Apsaras aus Ladakh.

Annäherung

Auf Rolle 9 entwickelte ich Tanzfiguren als Umrisse für das nächste Relief. Sie kommen von „One Flat Thing, Reproduced“, von wo aus sie schon einmal auf die damalige Transparentpapierrolle transferiert wurden. Dort kombinierte ich sie mit allerlei Motiven, die aus den damaligen Themen stammten. Aus einer Folge von „Georg – Reischl – Figuren“ entwickelte sich damals eine schwebende Apsara. Solche bevölkern normalerweise die Himmel der buddhistischen Bildwelten. Diese Nähe veranlasste mich gestern, eine fliegende Figur aus Alchi zu benutzen, um zu sehen, ob sich Abwandlungen davon, für das nächste Relief eignen.

Die Buchmalereien verschlingen sich zunehmend zu eigenen Bildbeziehungswelten. Sie gehen einen Weg, unabhängig von den sonstigen gestalterischen Vorgehensweisen. Die Handlinien verbinden sich mit den, ins Papier gravierten, Gravitationsschwüngen. Besonders augenfällig klingen die Linien bei Fingerabdrücken zusammen.

Ab und zu denke ich über die Prioritäten nach, die meiner Arbeit zugrunde liegen. Vielleicht ist das ein Zeichen der Verunsicherung. Pragmatische Parameter gehen mit einem Grad von oberflächlichem Wohlgefühl einher. Aber mehr sind es die Formen, die sich manchmal neu und unmerklich, einem Ideal weiter anzunähern scheinen. Das sinkt tiefer in die eigene Befindlichkeit.

Aus der Kammer

Neue Woche, andere Musik – der Komponist heißt Hainbach. Seine Ideen fließten ruhig dahin, als würde das Wochenende fortgeführt. Aus dem Hamsterrad der Kontinuität herausstolpernd, machte ich nur die wenigen Buchmalereien. Während des Sonntagsspazierganges sah ich auf den sprudelnden Weiherbach zwischen Schlossborn und Glashütten. Seine Quelle liegt im Winter weiter oben im Wald. Hier am Atelier pflegte ich die Wiese, entfernte trockenes Kraut, schnitt im Gärtchen Äste der Birken und Ahornbäume zurück, um für den Sommer etwas Platz zu schaffen.

Heute verließ ich den Rückgriffmodus, versuchte bei den Buchmalereien in der Gegenwart zu bleiben. In der letzten Zeit nahm eine Enge zu, die nicht nur aus der Konzentration auf das Väterprojekt kommt, sonder auch aus der Bewegung innerhalb der Themen, die ich in den vergangenen 20 Jahren bearbeitete. Eine Sehnsucht nach satter Malerei, entspringt aber auch nur einem nostalgischen Impuls.

Die Dreisprungüberlegungen, die einen Zeitraum überspannen und rhythmisieren sollten, scheinen in einem Raum zu enden, aus dem ich nur durch neues Wachstum herausfinden kann. Äste und Wurzeln müssen die Kammer verlassen, um draußen neue Triebe zu bilden, in anderem Licht.

Rolle rückwärts

Von der inhaltlichen Gestaltung Abstand zu nehmen, um notwendige handwerklich Dinge zu tun, nur um mir das Ergebnis einer halbjährigen Arbeit mir selber sichtbar zu machen, fällt mir sichtlich schwer. Gestern musste ich mich zwingen, am Vormittag Pappmache herzustellen, mit dem ich am Nachmittag die Befestigungen an den Rückseiten der Reliefs anbrachte, um alle 16 Formate zusammengestellt aufhängen zu können. Seltsamerweise interessiert mich dieser Zusammenklang nicht mehr so sehr. Die Herstellung war wichtig, die damit verbundenen Erinnerungen.

Eher denke ich nun an die Objekte, die die nächste Arbeitsphase vorbereiten oder schon Teil dieser sind. Reliefscherben füge ich mit gewachsenen Strukturen aus dem Garten zusammen, empfinde damit den Zusammenhang von Tanzzeichnungen und Frottagen der Scherbenformen nach, die auf Rolle 8 entstehen.

Dort möchte ich als nächstes eine Rolle rückwärts machen, zurückkehren zum 13.03., also zurückrollen, um die neu entstandenen Verdichtungen dort, weiter hinten, einzufügen. Somit verändere ich die Geschichte der Zeichnungskontinuität, mache das aber mit einem Datum kenntlich.

Tanzfigur

Am Nachmittag goss ich das nächste Relief mit der Nummer 2 ab. Übers Wochenende, heute ist Freitag, kann es nun trocknen. Ein paar weitere Scherben entstanden mit dem restlichen Material. Das sind Ausgangsformen für Objekte, mit denen ich weitere Dinge probieren kann.

Ansonsten beschäftigen mich die Figuren für das Relief. Am 03.02. 2009 zeichnete ich eine Tanzfigur auf die, damals aktuelle Transparentpapierrolle. Sie zeigt Georg Reischl in „One Flat Thing, Reproduced“ von Bill Forsythe. Diese Figur gibt es schon als größeres Einzelrelief. Ihre Kompaktheit könnte sich gegen die Splitter durchsetzen. Das probierte ich auf Rolle 9 mit einer Frottage von der Form und dem Figurenumriss aus. Davon sieht man auch was in den heutigen Collagen.

Die Buchmalereien gingen von einem Abdruck aus, mit dem ich mit meinem Handballen etwas aus einer Malerei vom 19.03. 2009 in die Gegenwart holte. Dadurch entsteht ein Impuls für den Start, und vielleicht bleibt nur ein wenig von der Struktur der alten Malerei übrig. Dennoch existiert der Zeitraum dazwischen und ist für mich wichtig.

Bilderstapel

Am Morgen hatte ich die tantrischen Wandbilder aus Ladakh hinter meinen Augen, die schwebenden Körperteile, manchmal nicht gleich als solche erkennbar. Stark fragmentierte menschliche Lebewesen schweben durch den Raum, um sich zu etwas Neuem zusammenzusetzen. Das Ergebnis der Abwesenheitssequenz zeichnete ich gestern noch einmal, von einem gesonderten Blatt auf Rolle 9 durch. Dort soll, aus den Überlagerungen der Splitter, so etwas wie eine Figur entstehen. Gestern fanden die Strukturen Eingang in die Collagen des Werktagebuches.

Mir kommt es so vor, als würden meine Buchmalereien von diesen visuellen Erlebnissen manipuliert oder angefeuert. Dabei geht es mir nicht um die Ergebnisse, sonder um eine Vorgehensweise, die durch die Nutzung meditativer Bilderstapel, ein neues Terrain erforschen kann.

Die gegenwärtigen Bildfindungen sollen das Tor zum nächsten Relief öffnen. Gestern habe ich die Form und das Pappmache, für den Abguss heute, vorbereitet. Die handwerklichen Schritte helfen bei der Konzentration auf die zeichnerischen Inhalte, die auf die nächste Scherbenstruktur abgestimmt sind. Ich benötige einfache und kompakte Umrissformen, die das Splitterchaos, das keine ruhigen weißen Zwischenflächen aufweist, ordnen.

Ausweg auf Rolle 9

Auf Rolle 9 versuchte ich gestern an der Abwesenheitssequenz weiter zu arbeiten. Dabei bremst mich fehlender Schwung. Der Vorgang, eine abwesende Figur oder einen Gegenstand zu generieren, ist komplexer. Er benötigt einen radikalen Schritt, der alles, was zersplittert ist, zusammenfügt. Innerhalb der ganzen gegenwärtigen Arbeit, ist das aber ein Nebenschauplatz.

Vernachlässigt habe ich den kontinuierlichen Fluss der Reliefarbeit. Die Konzentration lag ganz auf der Fertigstellung des aktuellen Formates. Dabei dachte ich nicht daran, parallel das nächste Relief auszuformen und gleichzeitig die Motive zu entwickeln, die das thematische Gerüst für die Fortführung der Erzählung bilden sollen.

Meine Überlegungen, die gegenwärtigen Buchmalereien in die Reliefgestaltung einzubeziehen, sind nicht weiter fortgeschritten. Dafür muss ich die Zügel nun straffer in die Hand nehmen, Ablenkungen nicht zulassen und den Rückzug wieder ernster nehmen. Der Ausweg befindet sich in der Praxis, am Tisch auf Rolle 9.

Zählungen

Das Relief, dessen Bearbeitung ich gestern beendete, ist das 11., das ich für dieses 2, Exemplar des Väterdoppelportraits anfertigte. In der ursprünglichen Nummerierung, die einer anderen kreisenden Zählung folgt, die mit den Scherbengerichten 1-4 zutun hatte, ist es die Nummer 3. So vermengen sich die Zahlen und bilden neue Figuren aus den verschiedenen Reihenfolgen.

Für das 3. Exemplar hatte ich heute, am Morgen, ein Gesträuch vor Augen, wie ich es schon auf einigen Splittern gezeichnet hatte. Das kann ich ja auf dem 12. Relief mit der Nummer 2 ausprobieren. Eine Pause, glaube ich, kommt der Weiterarbeit am aktuellen Portrait nicht zugute. Kann sein, dass ich dann den Faden verliere. Ich bleibe lieber dran.

Im Rückgriff auf den März 2009, bin ich mit stark farbigen Arbeiten konfrontiert. Sie sind von einer langen, unserer 2. Indienreise beeinflusst. Bei späteren Aufenthalten dort, hielten sich die Farbigkeiten der Buchmalereien, wie ich sie zu Hause entwickelt hatte und nahm die Buntheit der Umgebung nicht mit auf.

Wolke aus Erinnerungselektronen

23°C am Tagebuchtisch – Pullover aus – Pflanzen gießen – Musik abschalten. In meinem Kopf breitete sich eine tantrische Wolke aus. Sie bestand aus mehreren durchscheinenden Hüllen, auf deren Oberflächen, sich einzeln Organe abbildeten. Sie verbanden sich zu Wesen, die objektiv nicht existieren. Ich fotografiere stark vergrößerte Ausschnitte der Tuschezeichnungen auf den Reliefs, um in den Rhythmus der rechten Hand näher einzudringen. Zitternde Linien bilden Kanäle zwischen schwarzen Seen. Lichtwellen durchströmen das Atelier aus Südosten. Die Rolltore dehnen sich aus und sprechen dabei, was sich mit der Songstruktur einer vorbeifahrenden S-Bahn mixt. Bevor ich in großen Zügen trinke, schaue ich auf den Boden des Glases.

Am Morgen dachte ich, wieder Kindheitsthemen in die Arbeit aufzunehmen. Aber jetzt vertiefe ich mich zunächst weiter in den Dreisprung. Heute vom 15.03. 2009 in 03_15:2021_002. Vom Handballenstempel der alten Malerei ausgehend, sprang ich den Bögen von heute bei. Die große Nähe, die ich zur jetzigen Morgenmalerei empfinde, stimmt mich skeptisch. Bin gespannt, was davon übrig bleibt, wenn ich nach einem Jahr zurückschaue. Das Sperrige hält oft länger.

Die Bezugsräume der eigenen Arbeit verengen sich. Ich merke, wie die anhaltende Konzentration beginnt, immer schnellere Kreise zu ziehen. Diese Wolke aus Erinnerungselektronen nebelt mich ein. Ich taste, stolpere und nehme meine Brille ab. So zeichne ich mich voran.

Begehbare Zeiträume

Mit einem Sechsjahresraum, aus dem die Buchmalereien kommen, auf die ich mich per Handballenabdruck, im heutigen Tagebuch, im Abstand von 9 Jahren beziehe, umschreibe ich den Dreisprung, von dem ich in den letzten Tagen schrieb. Die erste Malerei stammt von 12.03. 2009, die zweite vom 12.03. 2012 und die dritte vom 12.03. 2015. Beim Lesen der Texte, begegnet mir auch die Gegenwart, heute in Form der Pflanzenschatten, die ich vor 9 Jahren beschrieb und die heute Vormittag wieder, im flachen Morgenlicht, auf ein großes Bild fielen. So werden die Zeiträume plastisch und begehbar.

Gestern blieb ich den ganzen Nachmittag beim Relief sitzen. Ein Splitter nach dem anderen brach unter den Tuschelinien in weitere Stücke. Durch die störrischen Zeichenfedern bildeten sich Tuschetümpel und unregelmäßige Linien. Mein Handgelenk folgte dem Inneren, reagierte ausgleichend. Bei entsprechender Ausdauer komme ich mir näher.

Die Konzentration auf diese Vorgänge, die „Synaptischen Kartierungen“ und auf die Zeit-Dreisprünge, finden zwischen den Diskussionen um die Einengung der Kunst statt. Im Rückzug, ich behaupte nicht, dass meine Arbeit lebensnotwendig ist, fühle ich mich, wie in einem Palast, mit allem versorgt. Es befindet sich in den Gesträuchen, die den Raum füllen.

Ornamentstrukturen auf den Scherben

Für den Start in die heutigen Buchmalereien, griff ich auf den 11. 03. 2009 und den 11. 03. 2012 zurück. Beide Einträge und die sechs Bilder dieser Tage, sind mit indischen Städten verbunden. Ihre Erscheinung ist aber völlig unterschiedlich. Die frühere Malerei hat einen impressionistisch – abstrakten Gestus. Die spätere ist schwer, Papiergravuren von der Handschrift Kleists inspiriert, dunkel und graubraun verwischt. Die Abdrücke meines feuchten Handballens davon, mit den Wasserfarbverläufen, den Handlinien und Schriftanmutungen, führten heute zu den verschwommenen Architekturen, die vage etwas Neues andeuten.

Aus der Supervision zu YOU&EYE, entstand die Idee, sich mehr über gestalterische Fragen auszutauschen. Drei Leute interessieren sich dafür. Wir wollen uns in meinem Atelier treffen. Eigentlich geht es nicht um Kunst, sondern um Tanz, Anthropologie, Zeichnung und Architektur, in Verbindung mit den Schülern, die wir in unsere Arbeit einbeziehen.

Gestern Nachmittag zeichnete ich Ornamentstrukturen auf die Scherben des Reliefs. Es kostet viel Zeit, lässt mich aber gleich los, wenn ich damit aufhöre. Ganz im Gegensatz zu den Überlagerungssequenzen in Verbindung mit den Buchmalereien und den Zeiträumen, die sich in diesem Zusammenhang öffnen.

Ornamentfülle

Die Ornamentfülle, mit der ich die Scherben des großen Doppelportraits bedecke, wuchert in den Raum, den ich mit meiner Kraft auszufüllen suche. Er reflektiert aus seiner konzentrierten Aura, Energie in den expandierenden, zu füllenden Bereich. Ich schaue auf das, was ich am Vortag gezeichnet habe und prüfe, wie es in den Collagen Platz finden kann.

Ausgangspunkt der Buchmalereien von heute, war eine Verwischung vom 10.03. 2012. Ein paar zaghafte Gravitationsbögen unter einem Graubraun, das sie quer verdrängt. Die Handballenlinien, die durch die Übertragung abgebildet werden, ergeben eine Struktur, an der sich die gezeichneten Linien eher festklammern können.

Heute erinnern mich die entstandenen Liniengruppen an kriegerische Aufmärsche, Speere tragender Männergruppen mit Körperbemalung. Mein Erinnerungsblick auf die Bilder indigener Völker in tanzenden Gruppen. Trommeln hinter den Buchseiten.

9 Jahre zurück

Heute früh bin ich 9 Jahre zurückgegangen und lese in meinem Arbeitstagebuch von meiner inneren Wohnung, die aus den Bildern besteht, die ich selbst geschaffen habe. Dieser Fundus bietet auch Nahrung, denn die einmal gezeichneten Figuren können immer wieder, neu in Beziehung gesetzt, verwendet werden.

Auf Rolle 9 begann ich das Vorhaben „Dreisprung“, ins Werk zu setzen. Jede der Flächen, die ich aus der letzten Überlagerungssequenz extrahiert hatte, zeichnete ich drei Mal nebeneinander in die lange Zeile der Transparentpapierrolle. Alle drei Umrissexemplare behandelte ich jeweils unterschiedlich: 1. Füllen, nur der Innenflächen, mit den durchscheinenden Linien, 2. Überlagerung aller Strukturen über den Rand hinaus und 3. Strukturen wurden nur außerhalb der Innenfläche durchgezeichnet.

Am Nachmittag kam Franz, um mit mir zu besprechen, wie wir unsere Schaufensterausstellung gestalten wollen. Ich möchte lediglich Arbeiten, die mit unserer Kooperation zutun haben, zeigen. Da gibt es genug zu sehen.

Manifestation

Die Abbildung einer tantrischen Figur, aus einer Wandbemalung in einem Kloster, das wir in Ladakh besuchten, zeigt ein Wesen, dass sich nur im Zustand intensiver Meditation zeigen soll. Ansonsten existiere es nicht. Das interessiert mich in Zusammenhang mit meiner Suche nach der abwesenden Figur, in der Nische des Hauses in Mandu. Mein zeichnerisches Experiment, das sich sowohl auf den Reliefs, als auch auf Rolle 9, in eine meditative Richtung bewegt, dient auch der Manifestation eines verschwundenen Gegenstandes. Die Art, mit der ich dabei sowohl der Intuition, wie auch formalen Überlegungen zu den Verfahren folge, festigt das Fundament des Weges, den ich während dieser Praxis beschreite.

Innerhalb der Buchmalereien ziele ich auf den „Dreisprung“, den ich am Freitag beschrieben habe. Er soll auch in die aktuelle Sequenz auf Rolle 9 Eingang finden. Das Wochenende unterbrach die Arbeit. Die Unterbrechung verunsichert mich, weil der selbstverständliche Fluss kurz zum Stillstand kommt. Die Verunsicherung aber erzeugt neue Verschaltungen in den Erinnerungen.

Manche Singvögel nähern sich mir zutraulich bei ihrer Futtersuche. Fremde schwarz-weiße Exemplare fressen von dem, was ich ihnen hinhalte. Die zweite Mauereidechse ist erwacht und sucht nach Sonnenplätzen und Insekten. Dafür ist es eigentlich noch zu früh. Schüler, mit denen ich vor Jahren arbeitete, erscheinen, um das Gärtchen zu sehen, mit seinem Getier. Sie kommen, weil sie sich hier wohl fühlen und bleiben eine Weile.

Dreisprung

Wie ich es mir vorgenommen hatte, zeichnete ich gestern die hellen Flächen der letzten Verdichtung auf Rolle 9, in gleichen Abständen, die beim Zusammenrollen ermöglichen, die Formen übereinander zu zeichnen, in eine lange Zeile. Auf Rolle 4 arbeitete ich vor zehn Jahren ähnlich. Nun denke ich über eine Erweiterung nach, bei der ich die Flächen, in der gleichen Zeile, wieder in regelmäßigen Abständen noch zweimal wiederhole. Dann stehen drei identische Scherben nebeneinander, die mit den vorausgegangenen Umrissen, auf verschiedene Weise, überlagert werden können.

Bei den Buchmalereien begann ich wieder mit einer Strukturübertragung aus der zehn Jahre alten, zweiten Malerei des 5. März, in das zweite Format von heute. Auch hier kann ein Dreierrhythmus eingeführt werden. Er würde aus den Übertragungen von 3, 6 und 9 Jahre alten Malereistrukturen in die Gegenwart bestehen. Die zusammengefügten Elemente werden durch die identischen Handballenlinien, die sich in jedem Abdruck abbilden, zusammengehalten.

Die Arbeit am Relief geht nun mit den „Meditationsmustern“ weiter. Das ist so lange erholsam und vergnüglich, bis ich an eine Konzentrationsgrenze stoße. Dann wechsle ich zu Rolle 9.

Sprung

Einen Lochziegel flocht ich, bevor ich mich an den Zeichentisch setzte, in einen hohen Birkenast vor dem Atelier, damit er ihn herunter biegt, denn die Krone streckte sich bereits zu weit hinauf. Dann übertrug ich mit meinen feuchten Handballen ein Stück Buchmalerei, das genau zehn Jahre alt ist. Diese Brücke über die Zeit rhythmisiert die Arbeitsweise mit längerem Atem. Dieser Spannungsbogen bildet die Energie für den Sprung in das gegenwärtige Bild. Die Texte, die die Malereien begleiten, sprechen schon von den Zusammenhängen, die heute in den Collagen, schnell improvisiert in durchbrochenen Stapeln, sichtbar werden.

Aus der Abwesenheitssequenz auf Rolle 9 zeichnete ich die hellen Umrisse aus dem dunklen Verdichtungskorpus heraus und füllte sie mit schwarzer Tusche. Sie sind in der Konstellation angeordnet, wie sie von mir vorgefunden wurden. Nun aber möchte ich die Scherben in eine Zeilenordnung sortieren, die mir erlaubt, die Fortführung der Suche nach dem abwesenden Gegenstand in der Architekturnische in Mandu, wie in den Scherbengerichten des Väterprojektes, fortzuführen. Das heißt, dass ich ihre Umrisse mit den neuen, durchscheinenden Strukturen fülle. Dann kann die Sammlung zu Mosaikfiguren zusammengesetzt werden. Ein (Zwischen-) Ergebnis.

Während ich die letzten drei Figurationen auf dem aktuellen Relief einrichtete, entfiel mir ihre Funktion. Eine Gruppe von drei Händen des Tänzers Georg Reischl aus „One Flat Thing, Reproduced“ und zwei, um einen unsichtbaren Gravitationskern kreisende Linien, verlieren den Zusammenhang zu den anderen Figuren aus den alten Buchmalereien. Aber sie bleiben an Ort und Stelle.

Öffnung der Werke für verschiedene Blickwinkel

Die Aufführungspraxis nachgetanzter Choreografien der Forsythe Company war, im Zusammenhang mit den Übersetzungen von Tanztexten, Thema von Tagebucheinträgen vor genau zehn Jahren. So sah ich eine Aufzeichnung des Balletts der Semperoper Dresden und war, wegen der Optik, etwas befremdet. Das tanztechnische Vokabular, aus dem diese Wiederholung zusammengesetzt war, erschien mir im Vergleich zur Tanzsprache, die dem Frankfurter Ensemble innewohnte, nicht ausreichend, den Geist des Werkes originalgetreu wiederzuspiegeln. Dennoch begrüßte ich das Experiment.

Gestern beschäftigte mich, dass ein niederländischer Verlag die Übersetzung eines Gedichts der schwarzen Autorin Amanda Gorman zurückzog, weil sich eine Modekolumnistin kritisch äußerte, dass der Text von einer Weißen übertragen wurde. Die literarische Qualität spielt also nicht die entscheidende Rolle, sondern die ethnische Herkunft und die Angst vor der verbalen Gewalt des Internets. Wieder bin ich befremdet. Diesmal aus anderer Perspektive.

Die Öffnung der Kunstwerke für Interpretationen aus verschiedenen Blickwinkeln, lässt ihre universale Qualität erscheinen. Dazu gehören Übertragungen in andere Sprachen, durch Menschen mit anderen Erfahrungshorizonten. Das bereichert kulturelles Leben.

Vergnügen

Das Eintauchen in die Malerei auf den Drittelformaten einer Buchseite, kann zum reinen Vergnügen werden. Es entsteht, wenn die Farbbeziehungen die Oberhand gewinnen. Dann verschwindet die Zeit im Zusammenspiel von Blick, Bewegung und Einfall.

Bevor ich mich an den Zeichentisch setzte, hantierte ich mit den Dingen im Gärtchen: Werkzeugräumen, frisches Wasser und Futter für die Vögel und etwas Baumschnitt. Dabei meint es die Vorfrühlingssonne gut und lockt mich zu verharren.

Auf der Suche nach dem abwesenden Gegenstand in der Architekturnische von Mandu, verdichtete ich die Sequenz auf Rolle 9. Innerhalb des sich schließenden Tuschegesträuchs, fallen die Flächen ins Auge, die frei geblieben sind. Sie werden in der nächsten Runde, beim Aufrollen des Transparentpapiers, extrahiert und einzeln zueinander in Beziehung gesetzt. Die neu entstehenden Gruppen sind das Fundament oder der Ausgangspunkt für eine sich anschließende neue Sequenz. Die Kontinuität dieser Vorgänge, ist eine Voraussetzung für das Gelingen des Experiments, dessen Zwischenergebnisse sich mit neuen Umrisszeichnungen auf dem nächsten Relief wieder finden können.

Gewalt, niederschwellig

Meine Hinwendung zu den tibetisch-buddhistischen Wandmalereien in Ladakh, fließt in meine Arbeit ein. Die Zitate von den Tempelwänden, innerhalb meines Väterprojektes, könnten als kulturelle Aneignung verstanden und ausgelöscht werden, würden sie in die Öffentlichkeit gelangen.

Tief in meiner Erinnerung verwurzelt, sind die Dokumentarfilme über die Nazizeit in Deutschland. Feuer spielt eine große Rolle: Reichstagsbrand, brennende Synagogen, Krematorien, Fackelzüge und Bücherscheiterhaufen. Die niederschwellige Bereitschaft, Gewalt auszuüben, Theatervorstellungen zu stören, Menschen zu verprügeln und zu erniedrigen, ist ein Fingerzeig in die Gegenwart der Cancel Culture. Es werden keine Argumente ausgetauscht, es wird verbal oder handgreiflich zugeschlagen. Buddhareliefs werden gesprengt, Palmyra zerstört, Denkmäler geschleift, die nicht ins Raster passen, Autoren diffamiert und Wissenschaft behindert. Zuhören kommt aus der Mode.

Das Verharren in einer Beobachtungsposition, scheint mir für meine Zwecke am produktivsten zu sein. Das habe ich in den letzten zehn Jahren eingeübt. – Aber jetzt zurück zu Rolle 9 und dem abwesenden Gegenstand in der Nische eines Gebäudes in Mandu. Die Federzeichnung in den heutigen Collagen, ist der Beginn der Überlagerungssequenz, aus der das fehlende Element hervorgehen soll.

Verminte Pufferzone

Rückschau auf den 26.02. vor zehn Jahren. Die Stichworte waren: Counterpoint Tool, Elfriede Jelinek, Rolle 5 und Synaptische Kartierungen. Ich übertrug die Farbstrukturen einer Buchmalerei dieses Tages, auf das zweite Format der heutigen drei Bilder. Die Gravitationsschwünge der ersten Malerei von heute, treffen auf diesen Handballenabdruck. Sie bleiben aber voneinander abgegrenzt und nehmen sich kein Recht heraus, sich zu überlagern. Es entstand eine Demarkationslinie, mit einer verminten Pufferzone.

Die Strukturen, die ich vor zehn Jahren gefunden habe, sind mir noch nahe genug, dass ich heute mit ihnen weiterarbeiten kann. Es ist auch möglich, alte Fäden wieder aufzunehmen, um sie weiter zu spinnen. Das möchte ich heute mit dem Thema der Abwesenheit auf Rolle 9 tun.

Gestern fotografierte ich die geflochtenen Weidenruten der Bäume vor dem Atelier. Die Linien werden erst deutlicher, wenn ich ruhige Flächen aus grauer Pappe dazwischen stelle. Die große Mauereidechse, die im Atelier auf dem Gesims überwintert, lag in den letzten Tagen auf einer Schieferschindel, die ich ihr in das Sammelsurium im Gärtchen gelegt hatte, in dem sich allerlei Getier aufhält. Die jüngeren Exemplare, die die kalte Jahreszeit tief in den Erdlöchern überstehen, kommen erst später hervor.

Skulpturale Umsetzungen

Die öffentliche Gesprächsrunde mit der Kulturdezernentin, einer Schriftstellerin, einer Regisseurin und mit mir, entpuppte sich als eine dichte Veranstaltung. Die Beiträge bezogen sich aufeinander, es gab einen gewissen Zusammenhalt in den Themen, der aber auch der Moderation geschuldet war. Ich habe mich wohl gefühlt.  https://youtu.be/1ji5ZL14dhA

In die zweite und dritte Buchmalerei von heute, habe ich einen Handballenabdruck eingesetzt, der von einer Malerei stammt, die genau zehn Jahre alt ist. Der Vorgang schafft eine Energie, die für die Hervorbringung der Welten hinter den Zeichen und Strukturen, notwendig ist. So ist der Gang der Figur gemeint, aus deren durchscheinenden Silhouette Volumina heraustreten, die ihren Gang markieren. Diese Umwandlung von Bewegung in feste Form, erinnert an ein Tool bei SYNCRONUS OBJECTS der Forsythe Company.

Auf Rolle 9 arbeitete ich mit weiteren Umrissen, die ich anfüllte. Die umgekehrte Arbeitsweise des Gangs der durchscheinenden Figur, wie oben beschrieben, füllt diese bis zum Bersten an. Das drängt nach skulpturalen Umsetzungen.

Raum mit abgelebtem Material

Den Umriss vom 16.02. 2010, den ich gestern auf das Relief zeichnete und den vom 26.02. 2010, übertrug ich gestern auf Rolle 9. In der üblichen Verfahrensweise, füllte ich sie mit den vorausgegangenen Strukturen. Ich weiß nicht, wonach ich suche, machte das aus reinem Vergnügen, entspanne mich dabei. Irgendwann entsteht etwas, wie eine abstrakte Schrift.

Am Morgen sah ich mich selbst als ein Umriss in der Landschaft. Beim Gehen klappten aus meiner durchscheinenden Silhouette, immer neue Formen aus meinem abgelebten Material auf den Weg. Eine Raumumschreibung entstand aus der vorausgegangenen…

In die Buchmalereien von heute, fügte ich die umschreibende Arabeske der doppelten Abwesenheit ein, die mich schon gestern beschäftigte. Das machte ich per Handballenabdruck. Bei diesem Arbeitsschritt wird das, was ich vor zehn Jahren zeichnete, durchlässiger. Es gesellen sich die Schraffuren der Handlinien hinzu. Die Papiergravuren, die ich damals mit einer hölzernen afrikanischen Haarnadel unter die Zeichnung grub, beziehen sich auf die Handschrift von Kleist. Nach der Übertragung dieser Zwischenergebnisse der Buchmalereien auf Rolle 9, finde ich vielleicht den Gegenstand, der in der Nische aufbewahrt wurde.

Umtanzte Abwesenheit

Nachdem mir am Morgen die Flucht in den Jazzraum von 1959 gelang, steuerte ich weiter in mein Tagebuch vom 22.02. 2011. Dort ging es um eine Mauernische in Mandu, deren geschwungene architektonische Form einen Gegenstand rahmen und beherbergen sollte, der allerdings weg war. Um ein Prinzip der Beschreibung von etwas Abwesendem fortzuführen, wie ich es von Bill Forsythe gelernt hatte, fertigte ich eine Zeichnung an, die die Eckpunkte der Nische „umtanzte“. Die Frage nach dem fehlenden Gegenstand, einer Heiligenfigur oder einem Gewürzmörser, sollte durch die Zeichnung gestellt werden. Die Antwort kann nur eine Überlagerungssequenz bieten, deren Liniengesträuch entsprechende gegenständliche Angebote macht. Dort entpuppt sich erste der Sinn der Zeichnung.

Auch die Folgen der Kulturaneignung durch das Wanderungsspurenprojekt, führten in ein Liniengeflecht, das ich Kraftfeld nannte. Seine Entwicklung ist auf Rolle 4 deutlich verfolgbar.

Gestern arbeitete ich am Relief weiter. Die Übertragung der Umrisszeichnung einer Buchmalerei vom 16.02. 2010, auf die Splitter des großen Doppelportraits der Väter, entspringt einer Intuition. Ihre Belebung setzt sich durch die Binnenzeichnungen der Scherben in Gang, die sie umgeben werden.

So verändere ich die Welt

Als mir die Sonne im Garten den Rücken wärmte, bog ich einen kleinen Weidenzweig zu einem Ring. Dabei sagte ich zu mir: „So verändere ich die Welt“. Mit genügend Abstand, schaue ich auf meinen Rücken, sehe am Handgelenk die Gartenschere an ihrer Schlinge baumeln, wie ich mich zu den unteren Enden der trockenen Blumenstängel des vergangenen Jahres beuge, um sie zu kappen. Grüne neue Triebe scheinen von der Erde auf durch meinen Thorax. Ich zerkleinere das Material, damit ich es als weitere Schicht auf den Beton streuen kann, der sonst im Sommer von der Sonne aufgeheizt würde. Bei mir aber wachsen die Bäume, die mir ein anderes Klima schaffen.

Die Buchmalereien haben sich wieder zurückentwickelt: Gravitationsschwünge, Verwischungen, Kulissenarchitektur und Handballenabdrücke. Alles wie immer! Und doch entwickeln sich in den alten Strukturen wieder kleine Neuigkeiten. So beispielsweise das Ineinanderspielen der Abdrücke und der gewischten Spuren, das es vorher noch nicht so gab.

Zwischen Glashütten und Schlossborn haben wir einen Hügel erstiegen, dessen Anhöhe uns sonst den Blick begrenzte. Oben angekommen, trauten wir unseren Augen nicht, weil sich die Landschaft überraschend schön fortsetzte. Dies entsprach sehr genau meinem Wunsch, den ich einen Tag zuvor schon hegte. Ich wollte, nach unseren kleinen Kreisen der letzten Monate, wieder weite Landschaften sehen, die abwechslungsreich schwingen und aus Feldrainen, Wiesenhügeln und Waldbergen bestehen.

Morgensonne

Manchmal lenkt mich die schöne Morgensonne, die durch meinen Wintergarten scheint, etwas ab. Eigentlich geht es mir mehr um das Leuchten der Buchmalereien. Sie fordern die ganze Konzentration und manchmal noch etwas mehr. Zur Unterstützung schaltete ich mir die Goldbergvariationen an, die ich 2007, zwei Monate lang, jeden Morgen in Wien hörte. Das kann ich mitsingen, und nichts lenkt ab, im Gegenteil, es hilft, mich zu fokussieren. Der Rhythmus aktiviert.

Die Malereien, die ich in Wien gemacht habe, sind fein und vorsichtig angefertigt, vielleicht nicht so kraftvoll, wie zu anderen Zeiten. Immer bin ich auf der Suche nach weiteren Motiven für das Relief. Die Transparentpapierrolle aus diesen Monaten, ist sicherlich vorzuziehen.

Eine weitere Zeichnung begann ich auf das Relief zu übertragen. Das geht fast schon routiniert, wenig emotional und unspektakulär. Einzig Rolle 9 fordert derzeit eine andere Unbedingtheit. Sie reizt mich auch mehr als die Fertigstellung des zweiten großen Reliefs. Die beiden Arbeitsstränge sollten mehr voneinander profitieren.

Preußische Arabesken

Am 18.02. 2011 spielten preußische Arabesken in meinen Aufzeichnungen eine Rolle. Das hing mit der Handschrift von Kleist zusammen, die ich irgendwann, als wir Schillerfragmente besichtigten, in Marbach gesehen hatte. Eine Schrift, die ins Unauflösliche führt und deren Linienführung damals in den Buchmalereien auftauchte.

Ich zweifle an der Praktikabilität der Verwendung von Überlagerungen derzeitiger Buchmalereien mit älteren Figurengruppen, auf dem nächsten Relief. Die vielen Schichten laufen Gefahr, sich gegenseitig auszulöschen. Das ist ja im Prinzip nicht schlecht, gehört aber auf Rolle 9. Die Umrisse von 3 Figuren aus 02_13_2010_001 übertrug ich auf einen Transparentpapierbogen, legte ihn auf das Pappmache und sah gleich, dass es funktioniert. Auf der Rolle dann, überlagerte ich die Zeichnung mit den vorangegangenen Strukturen, was an dieser Stelle auch richtig war.

Die Figuren sind Teil einer Malerei, die ich damals in den Sunderbans, dem großen Delta südlich von Kolkata, gemacht habe. Dort lief ich einen Handprint auf einem versalzenen Feld, in einer Landschaft in der man uns vor Tigern warnte, die man zwar nie zu Gesicht bekam, die einem aber gefährlich werden konnten.

Nicht wahrnehmbare Strukturen

Ich habe mir eine zehn Jahre alte Tagebucheintragung hergenommen, um zu schauen, was ich damals gemacht habe. Ich arbeitete in der Zeit mit der Seite „Syncronus Objects“, die Ballettvisualisierungen zum Inhalt hatte. Die konstruktiven Linien schoben sich fremd, wie unbekannte Dimensionen durch meine Überlagerungssequenzen. Am Morgen gingen mir die Durchdringungen der Volumina unserer Welt, durch fremde, nicht mess- und wahrnehmbare Strukturen durch den Kopf. Ich dachte mir, mich dem in den Buchmalereien zu nähern. Beim Anschauen der Malereien vom 17.02. 20211, wird mir aber klar, dass ich dem sowieso schon die ganze Zeit auf der Spur bin.

Gestern zeichnete ich den Umriss von 02_15_2021_002, also von einer Buchmalerei, die zwei Tage alt ist, auf Rolle 9. Dann begann ich ihn mit den spannenden Linien der vorausgegangenen Sequenzen zu füllen. Das führe ich nun im Zusammenhang mit menschlichen Figurumrissen, die etwa 12 Jahre alt sind, weiter. Ich will sehen, ob dies das Material für die Gestaltung des nächsten Reliefs wird.

Heute vor zehn Jahren hatte ich Besuch von Simon Stephens im Atelier. Er schaute sich Zwischenergebnisse vom „Kraftfeld“ an und Transparentpapiere. Er hatte damals viel Freundlichkeit und Bewunderung dafür übrig. Am Abend sahen wir einen Monolog von ihm, den Lilly Sykes in einer Übersetzung von B. eingerichtet hatte. Danach eine rauschende Premierenfeier.

Neu einfinden

Die „Franz-Kopf-Sequenz“, die ich gestern fertig zeichnete, hängte ich an eines meiner Regalbretter. Die verschlungenen Linien auf dem Transparentpapierstreifen, verflechten sich hinter meinen Augen, mit der Flugbahn von Voyager 2. Einen Dokumentarfilm zu dieser Nasa-Unternehmung sah ich gestern. Sie kommt meiner Vorstellung von einem umfassenden Kunstwerk sehr nahe. Die wissenschaftliche Neugier bei der Suche nach Unbekanntem, die beglückende Begeisterung der teilnehmenden Menschen, die in den Interviews eher die Ausstrahlung erleuchteter Jünger haben, inspiriert mich sehr.

Meine Buchmalereien steuern, seit einigen Tagen, eher in den freien Raum. Sie kommen mir wie Zellkonglomerate vor, die sich zu neuen Lebensformen ballen, sich teilen und wieder neue Strukturen bilden. Diese Arbeitsweise schiebt sich vor die Idee, mit den Fingerabdrücken serielle Sequenzen herzustellen, die dann Eingang in die Reliefgestaltung finden.

Durch die Beschäftigung mit dem Kooperationsprojekt, bin ich in den letzten Tagen nicht mehr an die Reliefarbeit herangekommen. Ich hoffe, dass das eine erneuernde Auswirkung hat. Aber ich bin weit weg, muss mich erst wieder neu einfinden.

Gleichgewicht

Sonntags flanierte ich im sonnensatten Atelier. Brad Mehldau führte mich von der Rückseite an die Partiten von Bach heran. Es war, als verstünde er mein Suchen und nähme mich mit seinem Klavierspiel an die Hand. Auf einem Stuhl vor der Tür, der mit seiner schwingenden Holzlehne in einem Wärmewinkel zur Sonne ausgerichtet steht, las ich über Architektur und Tanz. Im Zusammenklang mit den Buchmalereien, die jetzt keinem Zweck mehr dienen, spüre ich das Gleichgewicht, dem nichts hinzufügbar ist, weil es den Moment als vollkommen hinterlässt.

Auf dem Zeichentisch liegt die Kopfsequenz, die aus einer Zeichnung vom Franz entstanden ist – die „Franz-Kopf-Sequenz“. Ich habe es geschafft, sie zu einem Stück von mir zu machen. Das ist für mich der entscheidende Schritt zur Weiterführung der Zusammenarbeit. Die Behauptung des eigenen Vorgehens mit der Aufnahme von fremden Linien, schuf erst die Möglichkeit, mich intensiver darauf einzulassen.

Die Entwicklung der Buchmalereien, scheint sie gerade von der Priorität ihrer Wiederverwendung zu befreien. Es entstehen abstrakte Figuren, die sich selbst genügen, sich beginnen, miteinander zu verbinden und nicht nur dafür gemacht sind, um auf Rolle 9 weiter verarbeitet zu werden.

Umrisse von Franz

Kalte Morgensonne. Die Temperatur ermüdet mich, das Licht macht munter – hin und her. Gestern kümmerte ich mich um die Kooperation mit Franz. Von einer seiner Zeichnungen übertrug ich einen Auszug auf einen Streifen Transparentpapier, den ich zuvor mit einer Schicht Schellack eingerollt hatte. Das funktioniert, indem ich etwas von dem Lackmaterial auf den Anfang der Rolle tropfe und sie dann zusammenrolle. Eine gleichmäßige Schicht entsteht, überlagert sich in einem Bereich und lässt das Papier dort durchlässiger erscheinen. Dann zeichnete ich Umrisse von der Pappe durch und überlagerte die Linien durch Zusammenrollen des Streifens und dem Durchzeichnen der durchscheinenden Linien.

So ist die Beschäftigung mit den Fingerkuppenabdrücken noch nicht begonnen worden. Nur innerhalb der Collagen probiere ich die ersten Kombinationen. Aber innerhalb der Bücher bin ich ganz bei ihnen, gehe ganz nah heran, um mit feinen Linien zu umreißen, worum es mir geht.

Vinzenz hat Nachtfotografien von Bäumen geschickt. Manche Verfremdung erscheint in vorsichtiger Weise. Das ist umso besser, als ja alle Möglichkeiten dieser entgrenzten Beschäftigung, die sich immer noch Kunst nennt, täglich begehbar wären.

Fingerprints

Jessy Norman trägt traditionelle schwarze Songs vor. Von ihnen hörte ich einige am Vormittag. Der Abstand zwischen der Kunststimme und den christlich afrikanischen Musiküberlagerungen, hält mich dabei in einer ungewissen Schwebe. Es folgte dann doch wieder der düstere Miles Davis aus den Sechzigerjahren.

Und in den Buchmalereien landete ich wieder bei den Fingerkuppenabdrücken. Manchmal steckt in diesen kleinen Kompositionen ein Kosmos, den ich vergrößern will und auf Rolle 9 durch Überlagerungssequenzen weiteres, serielles Bildmaterial entwickeln möchte.

Gestern stellte ich das Relief fertig, an dem ich seit Jahresbeginn gearbeitet hatte. Wenn ich jetzt die beiden letzten zusammengehörenden Formate auf der Staffelei nebeneinander stelle, ist von der ganzen Anstrengung, die die Fertigstellung gekostet hat, nichts zu sehen. Alles sieht leicht und eher verspielt aus, wie jetzt die „Fingerprints“, die Kinderbuchillustrationen sein könnten.

ZOOM

YUO&EYE – Zoomkonferenz. Allgemein interessieren mich die Einlassungen der kreativen Menschen aus den verschiedenen Gewerken. Ich denke sogar, dass bei einer solchen Gelegenheit etwas entstehen sollte, das dem Kreis der Teilnehmer entspricht, dass also etwas bildhaftes entsteht. Deutlich wird in diesem direkten Videogegenüber, wer auf den Vorgang eines solchen Treffens neugierig ist. Fehlender Neugier spreche ich fast immer Kunstfähigkeit ab. Wir haben festgestellt, dass es nichts nützt, den Kopf einzuziehen, um zu warten, bis die Pandemie vorüber ist. Wir machen aus dieser Situation etwas Neues.

Mit meinen Fingerkuppenbildern probiere ich auch etwas Neues aus. Das führt mich in eine andere Gegend meiner Produktionslandschaft. Es ist, als würde ich mit meinem GPS in einen Stadtteil vorstoßen, in dem ich vorher noch nicht war. Mit den Tänzerinnen, die bei YOU&EYE mitmachen könnte ich diese Räume ausweiten. Es wäre schön mit Gleichgesinnten eine Strecke zu gehen, um dort Fundsachen zu installieren und zu fotografieren.

Weiter dachte ich gestern über das serielle Potential der Fingerkuppenabdrücke nach. Wenn sich das zunächst in den werktäglichen Collagen niederschlägt, dauert es nicht lange, dass es sich auch auf den Transparentpapierrollen ereignet, die ja der eigentliche Spielgrund dieser Arbeitsweise sind.

Serielle Charakterköpfe

Gerade löste ich das neue Relief aus der Form. Spontan hatte ich die Idee, das ganze erst mal mit Schellack abzusperren. Dann kann die Grundierung nicht, wie beim letzten Mal, die empfindliche Oberfläche anlösen. Das probierte ich jetzt an einer Stelle und bis jetzt macht es die Fläche schön hart. Diesmal habe ich mir auch mit dem Abformen mehr Mühe gegeben. Die Masse ließ ich eher etwas trocken und drückte sie kleinteilig mit mehr Kraft in die Form. Dann härtete das Material auch völlig aus, bevor ich es aus der Form nahm.

Noch einmal kamen die Fingerabdrücke mit den Linien der ersten Malerei des Morgens zu Einsatz. So entstehen einzelne Charakterköpfe. Ich kann sie auch eher vereinzelt nutzen, ausschneiden und neu einfügen. Das Serielle des Vorgangs, lässt sich mehr nutzen, in den Vordergrund stellen.

Auf dem Relief verschwand dieselbe schwebende Figur, wie auf Rolle 9. Das kommt daher, dass alle umschlossenen Flächen, die auf Splitter stoßen, dunkel eingefärbt werden. So verschwinden Konturen, auf die es mir vor 21 Jahren, als die Buchmalerei mit der Figur entstand, ankam. Ist aber zu akzeptieren.

Zeigefingerkuppe

Auf meinem Weg ins Atelier treffe ich Menschen, die ich aus verschiedenen Zusammenhängen kenne. Eine Bankerin, die ich in einer Bürgerinitiative kennen gelernt habe, erzählte mir, sichtlich mitgenommen, aber immer noch lächelnd, von ihrer todkranken Mutter. Wally, vom Eiscafe, rückt ihre großen Oleander, die ihr Mann, der vor einigen Jahren starb, aus Italien mitgebracht hatte, weiter nach hinten, in die geschützte Terrasse. Der Ostwind verschärft die Minusgrade.

Am Morgen füllte ich das Vogelfutter nach, und versuchte wieder, eine Tränke zu installieren, die von einem Grablicht eisfrei gehalten wird. Dafür benötige ich noch ein stabiles Gerüst, auf dem die Wasserschale steht und genügend Luft für die Flamme bereit hält. In meinem Sammelsurium werde ich etwas finden.

Durch ein Unwohlsein am Wochenende, wegen dem ich einen Großteil der Zeit im Bett verbrachte, hat mich aus meiner gleichförmigen Konzentration gerissen. Und heute sind Malereien entstanden, die mit den Abdrücken meiner rechten Zeigefingerkuppe zutun haben. Kreisfragmente, aus Linien und Farbverläufen, reihen sich aneinander. Mich interessieren dann ihre Umrisse, die ich nachziehe. Ihre Weiterverarbeitung ist das nächste Thema.

Durchblicke

Mit der Arbeit am aktuellen Relief wollte ich schon fast fertig sein. Aber gestern flocht ich bei Sonnenschein lieber die Weidenruten an den Bäumen zu Ringen, befreite sie von Einschnürungen des vergangenen Jahres und reinigte die Vogelfutterstelle.

Die gegenwärtigen Buchmalereien gingen mir am Morgen, in Bezug auf die Gestaltung des nächsten Reliefs, durch den Kopf. Wie können sie mit den Figuren aus den älteren Tagebüchern eine Verbindung eingehen? Wie die Ebenen des gezeichneten Gesträuchs von 1977, möchte ich sie hintereinander staffeln, um die Zeiträume zwischen ihrer Entstehung, sichtbar werden zu lassen. Zunächst probiere ich das wieder auf Rolle 9. Dort funktioniert es leichter. Auf dem nächsten Relief ist es noch schwer vorstellbar. Deswegen werde ich es probieren.

Ich habe, seit langer Zeit, wieder den Aquarellkasten aufgeklappt. Mit feinen Pinselhaaren male ich Umrisse von vagen Flächen. Das ist schon eine Vorbereitung für die Collagen. So lassen sich die umgebenden Areale besser ausschneiden, damit sie den Blick freigeben können, auf die Linien von gestern und den Tagen zuvor.

Überlagerungen und Verschaltungen

Gleichmäßig und selbstverständlich vertiefe ich mich in die Vorgänge der bildlichen Erinnerungen, in die Wiederholung von früher gezeichneten Linien. Sie sind die Wege auf der Suche nach dem, was jetzt geschieht. Das verfolge ich auf Rolle 9 weiter und versuche mich mit den überlagernden Linien, in neue Räume zu bewegen. So lange dabei kein Widerwillen entsteht, scheint das ewig gehen zu können.

Das gilt für die Transparentpapierrollen, aber nicht eindeutig oder nur abgewandelt für die Buchmalereien. Zwar experimentierte ich mit Übertragungen von Linienfragmenten, von älteren Malereien, per Handballenabdruck, auf die neuen Tagebuchseiten, bin aber dort vielmehr auf Neuerfindungen angewiesen. Auf den Rollen entstehen sie durch Überlagerungen, in den Buchmalereien durch Verschaltungen im Hirn.

Immer wieder erinnere ich einen Besuch 1977 bei einem Künstler in Gotha, der Streubel hieß. Das Gesträuch, das ich auf seinen Vorschlag hin zeichnete, hat bei vielen folgenden Bildfindungen eine Rolle gespielt. Der Vorgang des Erfassens vieler Ebenen und Räume und das von vorne bis hinten Durchzeichnen dieses Erkennens, wurde eine grundlegende Herangehensweise. Jetzt findet es sich bei den Überlagerungen wieder.

Fragmentierendes Zusammenspiel

Die visuell verarbeitete Erinnerung spielt im Arbeitstagebuch eine zunehmend wichtige Rolle. Die Umrisszeichnung einer Buchmalerei vom 24.02. 2010 zeigt eine kistenartige Konstruktion, aus der eine Pflanze wächst. Daneben steht ein ungleiches Paar aus einer Frauenfigur und einem Raubkatzenmenschen. Es ist nicht ganz klar, ob die Umarmung der beiden eine Gewaltszene ist. Gemalt habe ich sie nach der Ankunft in Bhopal. Auf Rolle 9 geht sie nun ein fragmentierendes Zusammenspiel mit den dunklen Bögen von Franz ein, die ich von einer seiner Pappen auf das Transparentpapier übertragen habe.

Dann begann ich die aktuellen Reliefsplitter einzudunkeln. Innerhalb der Figurenumrisse lege ich kompakte schwarze Tuscheflächen an, die von den hellen Vertiefungen der Brüche und den Figurenumrandungen begrenzt sind. Außerhalb bekommen die Splitter Ornamentüberzüge. Gestern probierte ich auch florale Muster, inspiriert durch das Textildekor der Wandmalereien aus den Klöstern in Ladakh.

Weil ich damit weit gekommen bin, denke ich nun schon an die Ausformung des nächsten Reliefs. Parallel dazu werden die Umrissfiguren dafür auf Rolle 9 erarbeitet. Die Collagen aus dem Werktagebuch erfüllen die Anforderung, aktuelle Buchmalereien mit älteren zu verbinden. Das wird der nächste Schritt sein, mit dem ich das folgende Relief gestalten will.

Heiligtümer | Sound | Experimentierfeld

Die Übertragung der letzten drei Motive auf die weiße, strukturierte Fläche des aktuellen Reliefs, dauerte gestern länger. Ich probierte Varianten, zögerte, schob die Transparentpapierbögen mit den Umrisszeichnungen hin und her. Weil zum Schluss nichts passen wollte, ging ich noch einmal in das Jahr 2010 und fand dort ein architektonisches Fragment mit Fahne. Es mutet an, wie eines der kleinen Heiligtümer an Bäumen an, wo die zerbrochenen Figuren der reichen Götterwelt abgelegt werden, weil man sie nicht wegwerfen darf. Sie sind überall zu finden, auf Flussinseln, an den Rändern der Landstraßen oder mitten in der Enge von Großstädten. Immer sind etwas Erde und Blumen dabei. Dadurch entstehen Orte der Zwiesprache, denen man etwas anvertrauen kann, ein paar Worte, etwas Reis, Blüten oder Pigment.

Zwischen den Bilddateien der indischen Fotos, sind ein paar Videoschnipsel verstreut, mit der Soundlandschaft, die reichere Erinnerungen initiiert: Trommeln, Generatoren, Geschrei, Musik, Vogelstimmen, Gebete und Autohupen.

Am Morgen dachte ich, dass es für das nächste Relief notwendig wird, die aktuellen Buchmalereistrukturen mit den älteren zu verbinden. Franz, der mich gestern besuchte, zeigte ich, was ich mit seinen Linien auf meiner Rolle 9 gemacht habe. Sie ist mein Experimentierfeld.

Struktur und Strafe

Gestern sah ich mir Fotografien der Indienreise von 2010 an und las die Tagebuchaufzeichnungen aus derselben Zeit. Außerdem glich ich die Buchmalereien mit dem Erlebten ab. Ihre Figuren spiegeln, mehr als die fotografierte Umgebung wider, mit welchen Gefühlen ich dieser Welt begegnete. Es war unsere zweite Indienreise, voll gepackt mit Besichtigungen und Ortswechseln. Die Umrisszeichnungen, die ich derzeit für die Reliefs verwende, stammen auch von den Malereien aus diesen Tagen.

Die Regelmäßigkeit der Arbeitstage hilft gut durch die Zeit, in der andere Strukturen zu zerfließen scheinen. Die Gelegenheit zur Konzentration steht dem Verzicht auf das Gegenteil, der Zerstreuung gegenüber. Dabei tritt die Frage auf, wie viel Zerstreuung ich für mein Gleichgewicht wirklich benötige. Die Zurückgeworfenheit auf sich selbst paart sich mit äußerer Ereignislosigkeit. Wenn das zu Produktivität führt, bleibt es für mich eine schöne Zeit.

Am Morgen saß die Maus. Die seit Tagen meine Zeichnungen frisst, in der Falle. Ich brachte sie sofort zum Gustavsburgplatz, hinter den Bahndamm, damit sie nicht gleich wieder erscheint. Dort aber wurde sie sofort von zwei Krähen entdeckt, die sie zum Frühstück verspeisten. So hart sollte die Strafe nicht ausfallen!