Diktaturen 05 I Sprache

Von der Gustavsburgplatzeiche habe ich ein Blatt gepflückt und mitgenommen auf meinen Arbeitstisch zu Hause. Mit ihm machte ich heute ein paar Abrücke seiner Adern in die Buchmalereien. Es entstehen konstruktive Kompositionslinien, die ich als Zeilen für die Vagantengesänge benutzen kann, die zwischen den Wagen an den Feuern erklangen. Sie verbinden sich mit Haut- und Steinoberflächen, und es entstehen oft Figuren dabei, was ich geschehen lasse.

Die Beschäftigung mit den Fahrenden Leuten bringt es mit sich, dass es häufig um Betrügereien und Kleinkriminalität geht. Ach den Berufen derjenigen, die außerhalb der Stadtgesellschaften existieren, besitzen einen abwertenden Klang: Quacksalber, Kesselflicker, Hundefänger und Kammerjäger. Ihre geheimen Zeichen weisen auf die Orte hin, deren Schwächen ausbaldowert wurden, um sie auszunutzen.

In meiner Erinnerung spielte der Wortschatz dieser Gesellschaften auch eine Rolle bei den Zöglingen in Gerode. Viele von ihnen entstammten den Schichten, in denen die Sprache der Straßen gesprochen wurde. Vielleicht tragen die wandernden Gesellen der Zimmerleute, der Steinmetze und die Obdachlosen zu ihrer Bewahrung bei. All das wird Teil der Beschäftigung mit den Diktaturen.

Never Ending Tour

Wenn ich an den Klang der Vagantendichtung denke, geht mir die Never Ending Tour von Bob Dylan durch den Kopf. „If you travelling to the north country fair, wehere the wind hits heavy on the borderline…“ Und unten auf der Allee unter meinem Balkon laufen all die verlorenen Seelen vorbei, die ich von meinen Wegen ins Atelier kenne. Sie sind verrückt, arm und obdachlos und dankbar, dass ich sie ernst nehme.

Und ich versuche mir die Gedichte vorzustellen, die auf den Blättern der alten Eiche auf dem Gustavsburgplatz stehen. Singen und gehen und sprechen, Jenisch, Sinti und Jiddisch. Instrumente, die man tragen kann, Werkzeuge für unterwegs, Nomadenhaushalte, kleine Maschinen, die mit Muskelkraft betrieben werden.

Die Buchmalereien von heute sind ganz frei und ohne jedes Ziel entstanden. Gestern zeichnete ich 6 Tanzfiguren auf einzelne Bögen Transparentpapier. 3 von ihnen gingen mit den Malereien eine Verbindung in den Collagen ein. Mit diesen tausenden Bildern, deren Zahl täglich anwächst, könnte ich Wände von Klostersälen tapezieren.

Die alte Eiche

Eine Anfrage für ein Kunstwerk führt mich noch einmal zurück in die Reliefgestaltungen des Frankfurter Kraftfeldes. Schon lange denke ich darüber nach, fragmentarische Objekte aus dieser Form zu bemalen. Dabei würde ich gerne auf die Techniken der Buchmalereien zurückgreifen.

Gestern kam ein Zeichen aus dem Kulturdezernat, das das Diktaturenprojekt in nun Gang setzt. Dabei wird es nicht ohne Unterstützungen vom Kulturamt und dem übergeordneten Dezernat gehen. Am Montag treffe ich mich wieder mit Chunqing, um weitere Entwicklungsrichtungen dieses großen Themas zu besprechen. Hier in meinem Atelier kann ich ihr auch die Quellen zeigen aus denen ich für diesen Themenkreis schöpfe.

Mit einem Glas Wein lehnte ich mich gestern Abend an die alte Eiche, die schon über hundert Jahre auf dem Gustavsburgplatz steht. Wenn ich den Hinterkopf an die Rinde stieß, spürte ich eine nachhallende Vibration aus dem Holz, einen Strom von Stimmen aus der Erde, von fremden Sprachen, Gesängen und Gedichten der Vaganten.

Diktaturen 04 I Zöglingsportraits

Die Zöglingsportraits, die ich im November 2015 auf Transparentpapier gezeichnet habe, mit Schellack und zarten Bleistift-Gravitationslinien ergänzte, liegen seit einiger Zeit, in Papprollen verpackt, in einem Regal zu Hause. Schon vor einigen Jahren hatte ich mit ihnen Collagen für meinen Blog gemacht. Nun möchte ich das im Rahmen des Diktaturenprojektes wieder aufnehmen. Diesmal aber kommt es auch zu Begegnungen mit den Tanzfiguren.

20 dieser Darstellungen habe ich bereits auf Einzelbögen gezeichnet. Wenn ich damit fertig bin, steht dieses Material für die Entwicklung des Themas in viele Richtungen zur Verfügung. Die 50 Meter der Rolle 11 sind bald voll. Dann geht es auf der schon begonnenen Rolle 12 weiter. Auch die Tabolinien haben ihre Diktaturengeschichte. Sie sind den Roten Garden entwischt.

Etwas eilig beendete ich die Buchmalereien am Morgen. Es ging nicht um Raffinesse, sondern um brauchbare Formen für die Collagen. Sie bestehen heute aus den Malereien, den Tuschezeichnungen der Amorphen Figuren aus Tanzlinienverdichtungen und aus Teilen der Zöglingsportraits. Nichts würde dagegensprechen, auch Zeichnungen aus dem Skizzenbuch, das ich in Ladakh gefüllt habe hinzuzufügen.

Kreislauf

Nach Suchanfragen im Netz, begegne ich öfter meinen eigenen Bolgeinträgen. Indem ich die 50 Meter langen Transparentpapierstreifen zusammenrolle, um immer wieder das, was von unten her durchscheint zu zeichnen, zu schichten, drehe ich mich ebenfalls im Kreis. Auf einzelnen Transparentpapierbögen sammelte ich weitere Tanzfiguren vom Ende der Sequenz zum Anfang hin ein und setze sie in die Collagen aus dem Kreislauf heraus.

In einem Dokumentarbeitrag über den Anteil der Frauen am Volksaufstand des 17. Juni erfuhr ich, dass der Magerviehhof in Friedrichsfelde zu dieser Zeit ein Frauengefängnis war. Zeitzeuginnen berichten, dass sie dort unter menschenunwürdigen Bedingungen eingesperrt waren. Ich erinnere mich an mein Jahr dort während des Baus des Palastes der Republik: kein Tageslicht, nur Lüftungsluken im Dach, 240 Mann in einem Schlafsaal, immer Neonlicht und keine richtige Nachtruhe. Es gab Alkohol.

Das Personal in den Buchmalereien erlebt verschiedene Aggregatzustände. In ihren Grundbausteinen sind Informationen gespeichert, die in den immer neuen Kombinationen verschiedene Erinnerungsbilder produzieren. Wenn die verdichteten Gesträuche genetischer Rückblicke in Rauchsäulen aufsteigen, verwehen sie und lagern sich im Eis, das ewig war, ab.

Diktaturen 03

Die Figuren, die ich aus der Tanzliniensequenz einzeln auf Transparentpapierbögen zeichne, haben Umrisse, die teilweise auf skurrile Metamorphosen zurückzuführen sind. Möbelfüße, Architekturfragmente und Maschinenteile verleihen ihnen das Aussehen von Übergangswesen. In ihrer Vereinzelung sind sie von der alles verbindenden Linie abgeschnitten. Nun aber können sie in verschiedenen Szenen neu eingesetzt werden.

Die Möglichkeiten, sich dem Diktaturenthema weiter zu nähern, erweitern sich auf den Bühnen der Vaganten. Die unterschiedlichen Blickachsen schneiden sich dort, indem russischer Ballettdrill auf freie Tanzimprovisation trifft. Gegenwärtige Rauminstallationen treffen auf die vielgereiste Musik der Fahrenden Völker oder experimentelle Lyrik stellt sich der künstlichen Intelligenz entgegen.

Meine Lavasteine, deren Formen ich mit meinen Handballen und Farbe aufnehme und in die Buchmalereien drucke, bilden mit ihren Gaslöchern Verbindungstunnel zwischen den Figuren der Transparentpapierrolle und denen der kleinen Malereien. Die Strukturen können aneinander andocken oder sich überlagern.

Diktaturen 02

Suche ich die Wortfolge „Vaganten in Diktaturen“ bietet mir die KI-Maschine eine Zusammenfassung der Konflikte und Schwierigkeiten, denen die Fahrenden Völker ausgesetzt waren und sind. Der Widerspruch zwischen diesen gesellschaftlichen Polen, dieser unterschiedlichsten Organisations- und Lebensformen, führt zu der Spannung, die die Beschäftigung damit innerhalb des Diktaturenprojektes lenkt. So bekommt mein Wanderungsspurenprojekt „Trixel Planet“ eine neue Teilausprägung. Die Rotwelschzeichen sind das Bildmaterial dazu.

Auf der Wiese des Gustavsburgplatzes steht eine gesunde, etwa hundertjährige Eiche. Für mich ist sie der Baum der Vagantendichtung, der alles in sich aufnahm, was in den Boden des Rastplatzes der Wanderer sickerte. Auf ihren Blättern treten die Sprachen hervor, die sie aufgesammelt hat: Sätze der nordfranzösischen Kathedralschulen, Lieder der Moritatensänger oder die geheimen Zeichen mit Hinweisen auf die Besonderheiten der Orte.

Dorthin möchte ich meine Tanzfiguren führen, die sich jetzt einzeln aus der Undertainment-Linie herauslösen. Sie kommen als Personal auf den Bretterbühnen der fahrenden Gaukler unter, improvisieren dort eine Choreografie der Zwischenwelten für jetzt.

Diktaturen 01

Nach Beendigung der Tanzliniensequenz, begann die Auskopplung von Figuren auf Einzelblätter. Diese können sich danach auf Rolle 11 neu ordnen, was sich der Choreografie „Undertainment“ wieder nähert. All das findet unter dem übergeordneten Thema „Diktaturen“ statt. Mitglieder des Tanzensembles, die sich aus autoritären Staatsstrukturen entfernt haben, bewegen sich mit einem etwas strengeren Ausdruck auf der Bühne, meine ich zu beobachten. Aus ihrem Erleben wuchs ihnen eine andere Verantwortlichkeit zu. Daraus entstehen Impulse für Formulierungen, die Verweise auf diese Erfahrungen sind.

Zumeist hatte ich mit Tänzerinnen aus einem westlichen Lebenszusammenhang zutun. Auch im Ernst ihrer Arbeit gab es etwas Leichtes und Spielerisches. Einmal kamen die Damen eines russischen Ballettensembles in Reih und Glied in die Kantine des Heidelberger Stadttheaters. Wenn diese Sklavinnen freigelassen werden oder flüchten, und eine neue Kraft der Darstellung aus ihnen entspringt, kann das eine besondere Form hervorbringen.

Nach dem Zeichnen setzte ich mich gestern noch auf ein Bier auf den Gustavsburgplatz. Lolek gab mir ein Buch über die Fahrenden und Vagabunden. So, wie sich die Ablehnung dieser Volksgruppen in der städtischen, sesshaften Gesellschaft entwickelte, setzt sie sich derzeit in der Fremdenfeindlichkeit fort. Das geht mit einer Zugewandtheit zu autoritären Strukturen, fest gefügten Hierarchien in einer ummauerten Sicherheitsarchitektur zusammen.

Lichtstrahl

Die Gesichter der Zöglinge von Gerode sind es wert, besonders betrachtet zu werden, denn in ihnen sitzt ein Schrecken, der auch anhält, wenn sie für das Foto lächeln. Es gibt einen erwachsenen Ernst, den ich heute auch bei afghanischen Kindern sehe. Was passiert, wenn diese Rasterportraits von der Tanzlinie durchwoben werden?

Gestern zeichnete ich, was ich mir vorgenommen hatte. Anstatt der weiteren 9 sind es allerdings 13 Figuren geworden. Heute will ich den Streifen rückwärts zusammenrollen, um so zeichnend eine, wegen des geringeren Durchmessers, enger getaktete Schicht hinzufügen. So entstehen in den Umrissen des neuen Tanzpersonals zusätzliche konturierte, figurative Felder, die dunkler erscheinen.

Am Abend liefen wir ganz langsam über die 38 Grad warme Frankenallee zur S-Bahn, um ins Literaturhaus zu gehen. Dort las Judith Schalansky, die mir vorkam, wie einer der Scheinwerfertürme, die die Strände ihrer Heimatinsel beleuchteten, weil sie Grenzgebiet waren. Der Lichtstrahl der Autorin aber richtet sich aber in die Ferne, um neue Gefilde zu entdecken.

Tanzliniensequenz 4

Die schreienden Mauerseglerschwärme fliegen tief und nah an die Häuserwände heran, wenden und schreiben Muster in den Himmel, die ich festhalten möchte. Stattdessen begann ich mit der vierten Tanzliniensequenz, wenn ich die allein stehende Linie ohne Überlagerungen mitzähle. Ich nutze die Umrissfragmente, die bisher noch nicht ergänzt worden sind, um den Reigen, der noch in dem Material schlummert, wachsen zu lassen. Gestern entstanden neun neue Figuren und heute kommen etwa noch einmal so viele dazu. Dann löse ich sie aus ihrem Zusammenhang heraus, um zu schauen, welche Geschichten noch erzählt werden können.

Gestern stieß ich auf einen Ordner mit dem Namen „Handprint Tel Aviv“. In ihm sammeln sich thematisch geordnete Bilder, die ich so wie sie sind, für das Diktaturenprojekt brauchen kann: „Väter“, „Der Rock`n Roll höhlt einen Jungpionier aus“, „Asbest/Pergamon“ und „Zöglinge“ (Portraits aus dem Jugendwerkhof Gerode).

Außerdem recherchierte ich Namen von Leuten, mit denen ich in Erfurt in einer Seminargruppe war. Vielleicht kann ich in Kontakt kommen und mit ihnen über die DDR-Diktatur sprechen. Ulrich Gater beispielsweise, ein Maler in Freiburg, der damals mit mir studierte, ist schon 1982 in den Westen gegangen.

Verknüpfungen

Die restlichen Figurenfragmente der Tanzlinie werden in einer weiteren Sequenz auf Rolle 11 vervollständigt. Gestern noch hatte ich gedacht, dass ich damit fertig bin. Jetzt stelle ich mir vor eine Brücke zur Gustavsburgplatz GPS-Wanderung zu schlagen und diese mit dem Diktaturenprojekt zu verbinden. Das geht über die Fiznerbrüder, die mit ihrem Modell des Breslauer Domes dort campiert haben. Zusammen mit den Jenischen bekamen sie die Ablehnung der völkischen Bewegungen zu spüren.

Eine Autorin und Künstlerin entdeckte ich, die mit mir in Erfurt im selben Jahrgang studiert hatte. Wir unterschrieben damals eine Petition gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann. Ich verließ mit einiger Energie die Pädagogische Hochschule und suchte das Weite. Sie heißt Gabriele Stötzer und wurde für die Unterschrift zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Auch diese Geschichte spielt in den „Diktaturen“ eine Rolle.

Die dritte Malerei ging ich mit ruckartigen Papiergravuren an, schraffierte sie vielschichtig und übertrug eine leichte Version davon, durchsichtig und sanft in das zweite Format des Tages. Die gravierten Linien verbinden sich da ganz selbstverständlich und leicht mit den Handlinien. So will ich die gegenwärtigen Projekte verknüpfen.

Im Lichtkegel

Die vielen Tanzbilder, die irgendwo in meinen Erinnerungen leben, führen meinen Sinn immer wieder in figürliche Bereiche. Der Anklang einer Plastizität lässt meistens zu organisches Formenmaterial entstehen. Ich kann mich lange in eine selbst hergestellte oder vorgegebene Struktur vertiefen, um in ihr Geschichten zu finden. Zu Hause an meinem Schreibtisch, der vor einer Wand in einem sehr hellen, kleinen Lichtkegel steht, gelingt mir das leicht. Alles rund herum scheint in einer Dunkelheit zu sitzen. Das Licht auf den Seiten leuchtet dann in mich hinein.

An den Buchmalereien könnte ich immer lange weiterarbeiten, was sie nicht unbedingt besser machen würde. Ich denke an einen spitzen Bleistift, mit dem ich die Linien der Fingerabdrücke aufnehmen, umreißen und zu Skulpturen machen würde. Das kann fern von konkreten Gegenständen sein.

Die Tanzlinie beeinflusst auch die Buchmalereien. Es gibt mehr fragmentarische Umrisslinien, deren offene Konturen von einer anderen, gegenüberliegenden Linie, aufgefangen werden, wie bei den Duetten unserer Tanzimprovisationen. Ich der Nacht fiel mir ein, wie es mit den Verdichtungen weitergehen kann. Nach weiteren partiellen Schichtungen folgen Auskopplungen einzelner Figuren.

Wörterregen

Bei der Vervollständigung der Figurenumrisse auf Rolle 11 stelle ich eine Gleichmäßigkeit fest, eine Routine. Erwartbar tritt der Reigen der Tanzenden auf. Zunächst entstand etwas anderes als ich mir vorgestellt habe, was aber in eine Gleichförmigkeit glitt, die ich nun von innen heraus brechen möchte.

In den Buchmalereien versammeln sich ebenfalls Figurenandeutungen, die aus den Abdrücken auftauchen. Die rechte Zeigefingerkuppe bildet plastische Köpfe über Mantelarchitekturen. Die Spitzen der Farbstifte tasten sich vorsichtig an den Rändern der Vulkansteine und deren Gasblasen entlang. Manchmal entsteht eine Geste: Jemand in Rokokoverzierungen hält sich hoch erhobenen Hauptes einen Handspiegel oder ein Handy vor sein Gesicht. Die zwei alten Häuser daneben zucken nur mit den Schultern. Sie sind Selfie -ungeübt.

Es gibt in der zweiten Malerei des Tages eine Regenwaldformation, die Figuren und Gestein überwuchert. Diese Schichten von Handlinien, Steinstrukturen und grünen Zeichnungsgeflechten werden von Wasser verwischt. Worte dampfen durch die Gesträuche, schlängeln sich an den Ästen hinauf und tropfen zurück auf den Boden. Im Fallen singen sie den Klang ihrer Buchstaben. Aber auch aus Textwolken fällt Wörterregen.

Dialogräume

Aus der Tanzlinie entwickeln sich neue Figuren. Beim Mitzeichnen der Choreografie „Undertainment“ mit einer durchgehenden Linie, gelangen naturgemäß nur fragmentarische Umrisse der ich bewegenden Company. Die offene Seite der Figuren wird nun durch die teilweise Überlagerung mit anderen Bereichen der „Mitschrift“ vervollständigt. Es ist, als ob das angebotene improvisierte Bewegungsmuster von einer anderen Figur, einem anderen Teilumriss beantwortet und ergänzt wird, sich also der Umriss schließt.

Verschiedene Ebenen der Werktagscollagen bilden zurzeit Dialogräume zwischen dem Tanzpersonal der Transparentpapierrolle aus Tuschelinien und den Umrisswesen, die sich in den Strukturen der Buchmalereien manifestieren. Eine Szenerie von hintereinander hängenden Projektionen und realen Bühnenfiguren, die aufeinander reagieren.

Der Abdruck eines hellen, ovalen Lavakiesels, krakelige Papiergravuren, die durch eine Farbstiftschicht aus Suchlinien sichtbar wurden, bildeten den Beginn des Bildertages. Ich vertiefte mich in die kleinen Areale, um vielschichtige, transparente Absichten zu erzeugen, die beim näheren Hinsehen neue Welten zur Entdeckung preisgeben.

Aus der digitalen Dunkelheit

Ein drittes Mal zeichnete ich gestern die Tanzlinie auf Rolle 11. Die erste diente der starken Überlagerungen, die zweite bleibt unverändert und mit der dritten begann ich wenige, moderate Verdichtungen zu schichten. Diese können sich an einigen Stellen noch konzentrieren, dass deutlich wird, wie die Linie mit den entstehenden Mustern zusammenhängt. Nach ein paar Tagen Abstinenz, war ich wieder am richtigen Platz.

In den Buchmalereien folgte ich den Zeichnungsbewegungen, die ich mir vor knapp fünfzig Jahren zeichnend, vor einem Gesträuch sitzend, erarbeitet habe. Das ist ein suchender, unruhiger Strich, der sich nun mit Farbstiften in die Steinstrukturen hineinbegibt, um manche Partien zu verstärken, zu überdecken oder fortzuschreiben. Immer mal gleite ich wieder in diese Arbeitsweise, und auch auf den Transparentpapierrollen begleiten mich die sich verschränkenden Liniengeflechte.

Bei den Konturlinien, die ich um die Abdrücke herumzeichnete, dachte ich schon an die hellen Farbstrukturen, die in den täglichen Collagen aus der digitalen Dunkelheit herausstrahlen werden. Und heute kommen auch wieder die Linienüberlagerungen von Rolle 11 dazu. Wie wäre es, die geschichteten Bildentwicklungen in einer Animation aneinander zu hängen?

Kraftfeldtisch

Positive Reaktion auf unser Diktaturen – Vorhaben aus dem Dezernat für Kultur und Wissenschaft. Mit einer Ansprechpartnerin können wir es nun konkreter fassen und vorbereiten, um eine Richtung vorzugeben. Zunächst geht es um unsere eigene Geschichte und die Arbeit, die daraus entstanden ist. Dann aber sollte das Projekt mit weiteren Künstlern fortgeführt werden.

Um an der Zukunft von Teves West weiter zu arbeiten, muss ich den Kontakt zum Planungsamt halten. Außerdem will ich ein Logo für uns entwickeln mit den Buchstaben TW. Und gestern Nachmittag kümmerte ich mich um Abrechnungen, indem ich versuchte die abstrakte Bürokratie zu verstehen.

Im Atelier ordnete ich den Kraftfeldtisch. Ich zelebriere dort die Tanzlinie pur und mit ihren ausufernden Schichtungen. Ich merke, dass ich die Projekte nicht nur theoretisch-textlich weiter vorbereiten kann. Zumindest das Zeichnen gehört dazu. Dann bin ich wieder auf Rolle 11.

Widerstreitend

Von den Vorgängen, die die Tanzlinie auf Rolle 11 begleiten, hielt ich mich gestern fern. Stattdessen stellte ich einen Arbeitsbericht zum Projekt YOU&EYE zusammen. Mir fielen dabei die Rückwirkungen auf meine eigene Bildproduktion auf. Die Vorsicht, mit der ich heute an die Buchmalereien ging, machte die vagen aber entscheidenden Strukturen, aus denen sich die Malereien und Collagen zusammensetzen, sichtbarer. Da stört in der dritten Malerei schon eine Punktlinie aus Tinte, die eine Senkrechte verstärkt.

Durch meine Abstinenz von Rolle 11, sah ich neue Aspekte, die bei einer fortlaufenden Arbeitsweise unter den Tisch fallen. Mit einem Blick auf die ganze Tanzlinie, werden die Kompositionsrhythmen der vorsichtigen Überlagerungen wichtiger. ohne entsprechende Zurückhaltung, fürchte ich ihren Fluss zu stören. Ganz gegenteilig dachte ich gestern: „…da fehlt etwas gegen den Strich“. So halte ich lieber an, lasse die widerstreitenden Vorgehensweisen in der Schwebe und warte ab, was passiert.

Ein guter Nebeneffekt dieses Vorgangs ist, dass ich die Dinge erledige, die ich vor mir her geschoben habe: Abrechnungen, Entwicklung der Konzeption für ein Diktaturen-Projekt, Atelier aufräumen und Staubsaugen.

Gegen den Strich

Am Sonntag fiel mein Blick nur kurz auf die Transparentpapierrolle mit der durchgehenden und geschichteten Linie. Fast zu schön, dachte ich. Da fehlt etwas gegen den Strich. Schellack könnte die starken Verdichtungen etwas anlösen und verschwimmen lassen. Es steckt noch ein Potential in der Rolle 11, die jetzt auf dem Kraftfeldtisch liegt.

Wir sahen Aribert Reimanns „Melusine“ im Bockenheimer Depot. Die besondere Herausforderung des Zusammenspiels von Kunstgesang und Bühnendarstellung gelingt meiner Ansicht nach selten. Mir scheinen da naive Vorstellungen unterwegs zu sein, wie Musik durch Spiel erweitert werden kann. Zu oft werden dramatische Partien, die man ohne Textprojektion nicht verstehen würde, mit großen Gesten illustriert. Das Komplexe musikalische Werk benötigt aber eine andere Darstellungsweise auf der Bühne. Am ehesten könnte eine formale Inspiration dafür aus dem Orchester kommen. Die Bewegungsstruktur des Dirigenten als Quellmaterial für eine spielerische Entwicklung…

Danach tauschten wir uns noch mit Carola beim Bier, das nur zögerlich den Weg zu unserem Restauranttisch an der Bockenheimer Warte fand, über die kulturellen Ereignisse der letzten Zeit und der nahem Zukunft aus. Ich fragte in die Runde, ob nicht ein Wissenschaftstext zum Solar Orbiter „SolO“ gut auf die Tanzlinie passen würde.

Durchschaubarer

Gestern beendete ich die erste Überlagerungssequenz der Tanzlinie mit ihren Verdichtungsintervallen. Dann zeichnete ich die durchgehende Linie im Anschluss noch einmal auf Rolle 11, um in der Folge die Schichten zu reduzieren, um die durchschaubarer zu machen.

Ein Text, den ich auf die Linie schreiben will, kann auch völlig artfremd sein. Ich könnte mir einen Ausschnitt einer wissenschaftlichen Abhandlung vorstellen, etwas Mathematisches oder Physikalisches. Eine Sonde untersucht beispielsweise derzeit die Partikel der Sonnenstürme…

Öfter geht mir das Diktaturenprojekt durch den Kopf und sein Zusammenhang mit der Ausstellung „Eingebrannt…“ in der Kunsthalle Darmstadt. Die musikalische Arbeit, die ich mit Susanne begonnen habe folgt einem Impuls der Kooperationen zwischen den Künsten in der DDR.

Eingebrannt

In der Kunsthalle Darmstadt sahen wir „Eingebrannt. Malerei, Lyrik, Neue Musik und Proben zweier Bildhauer aus der DDR“. Diese Dinge nebeneinander zu präsentieren, bedarf eines besonderen Zugriffs auf die inneren Zusammenhänge. Dieser war nicht gegeben. Aus meiner Erinnerung wurde die Enge des umgrenzten und überwachten Areals durch Kollaborationen zwischen den Künsten gesprengt. Es gehörte zu unserem Arbeitsalltag mit Musikern und Schriftstellerinnen zusammen zu arbeiten. Diese besondere Arbeitsweise gedieh unter den Bedingungen eines hohen Innendrucks. Das zu zeigen, hätte den Blick erhellt und geklärt.

Den Musiker Hans Carsten Raecke, von dem Musikbeispiele in der Darmstädter Ausstellung zu hören waren, traf ich in den Neunzigerjahren in Heidelberg. Wir hatten ein Intensives Gespräch über seine selbstgebauten Instrumente und die Musik, die er mit ihnen erfand. Aus dieser Begegnung entstand die Arbeit „Mecklenburger Pferd“, nach einer Komposition von Ihm.

Eine Wendung – die Richtung des Gedankengangs wechseln – die Sprache schlägt in Ballett um. Meine Hand schickt dir einen Zeichengruß, der dich in Bewegung setzt, in den Bühnenraum. Dann hefte ich mich an deine Fersen, vollziehe den Gang nach bis zu deiner Wendung mir entgegen auf deiner Spur.

Ich suche nach einem Text für die Tanzlinie, den ich auf die Linien schreiben kann.

China

Die Tanzlinie lässt mich nicht los. Nach den Verdichtungen, die durch das Zeichnen der Schichten während des Hin- und Herrollens Strukturintervalle hinterlassen, die den anrollenden Wellen der Brandung am Strand eines Ozeans ähneln, will ich die Linie noch einmal durchgehend ohne Überlagerungen auf die Rolle zeichnen. Später kann ich dann mit kleinen einzelnen Schichtungen geringerer Dichte experimentieren.

Nach unserem Treffen im Anna-Freud-Institut saß ich mit Sigi Am Tor beim Kaffee und sprach mit ihr über das Diktaturenprojekt. Und am Abend schickte sie mir eine Nachricht mit einem Hinweis auf einen Themenabend auf „Arte“ über das Chinesische Unterdrückungssystem. Ich musste an unsere Kontakte zu den Buddhisten in Ladakh an der Chinesischen Grenze denken und an die Arbeit im Tibethaus.

Ich komme nicht darum herum, das Diktaturenprojekt jetzt vor ernsthafteren Gesprächen, einmal zu formulieren, um dabei klar Stellung beziehen zu können. Erst dann können die Themen umrissen werden. Oder sind die Themen schon ein Statement? Zöglingsportraits aus dem Jugendwerkhof, meine Stasiakte und mein „Mentor“ und „Der Rock´n´Roll höhlt einen Jungpionier aus“…

Tanzlinie I Rabe

Bei der Fortführung der Verdichtung der Undertainment – Tanzlinie, konnte ich den neutralen Punkt, der das Projekt gestern so schwach erscheinen ließ, überwinden. Die Annahme, dass nur die strikte, konsequente Überlagerung der Geflechte zu der Kraft führen kann, das Potential dieses Vorgangs zur Entfaltung zu bringen. Nun weiß ich, wie es weitergeht.

In der Abschluss – Supervision des Projektes YOU&EYE kam es zu einem intensiven Austausch der Erfahrungen der Künstlerinnen und Künstler. Daraus ergaben sich wünschenswerte Maßgaben für die Zukunft des Projektes. Ich möchte gerne mit Schülern unterschiedlicher Alter arbeiten und manche von ihnen mehrere Jahre begleiten.

Der Rabe, der mir vor ein paar Tagen in die Hand gedrückt wurde, wird nun langsam von den Insekten skelettiert. Ich warte bis nur noch die Knochen übrig sind, die ich dann zu mir nehme. Die hänge ich in mein Gärtchen. Die Geschichte habe ich heute im Anna-Freud-Institut erzählt.

Textgartenbilder

Könnte ich mich in Worte fallen lassen, wie in Bilder, könnte ich Zitate mehrfach wiederholen, umlenken oder in ihr Gegenteil verwandeln. An den Schnittstellen der Satzfragmente, würden Begriffe neu austreiben, sich verzweigen und von mir wieder beschnitten werden. Textgartenbilder würden entstehen.

Zwei Tage war ich nicht im Atelier. Bei der Rückkehr hat sich manches, was mir vor 3 Tagen noch so wichtig erschien, relativiert. Die Buchmalereien entstehen nach wie vor zu Hause, in meinem Zimmer über der Allee. Zufällig entstand heute ein Gesichtsprofil, das aus der linken Ecke des zweiten Formates auf eine zarte Szenerie schaut: wenige Umrisse, Hautstruktur der Handkante mit Lavasteinlöchern und ein paar Zickzacklinien – fertig!

Die Verdichtungen der Undertainment – Tanzlinie, erscheinen mir unentschlossen und in der Mitte der entstehenden Gesträuchstruktur etwas vage und wenig brauchbar für die Collagen. Die pure Linie hatte mehr zu bieten. Es muss jetzt konsequent zu Ende geführt werden, um den Vorgang zu retten.

Toter Rabe

Eine etwas aufgelöste junge Frau drückte mir gestern Abend, als ich vor dem Atelier zeichnete, einen jungen, toten Raben in die Hand, den sie in ihren beige-rosafarbenen Pullover gehüllt hatte. „Kannst du ihn nehmen, er hat gerade noch gelebt und ich habe ihm Wasser gegeben.“ Ich legte ihn an den Rand des Wasserbassins am Bahndamm, wo ich schon öfter tote Tiere gefunden habe.

Hauptsächlich aber arbeitete ich gestern weiter an der Undertainment-Tanz-Linie auf Rolle 11. Unbeeinflusst von den Verdichtungen der Tanzsequenz zuvor, begann ich die durchgezeichnete Linie zusammenzurollen. Indem ich in die unteren Schichten der Rolle weiße Blätter einlegte, konnte das vorausgehende Liniengeflecht, das ich in den letzten Wochen gezeichnet habe, abgedeckt werden. Schon die pure Linie, ohne Überlagerungen, verhalf den letzten Collagen zu markanten Szenen, die von den Strukturen der Buchmalereien bereichert wurden. Sie fungieren wie Kostüm und Bühnenbild in abstrakter Form.

Diese Arbeitsschritte nehmen mich ganz ein. Nun bin ich gespannt, wie sich die entstandenen Szenen-Linien-Überlagerungen in die neuen Collagen einfügen werden, ob es noch einmal eine Steigerung gibt. Die Zwischenergebnisse der Versuchsreihen wiegen schwer für mich und absorbieren meine Aufmerksamkeit.

Undertainment-Linie

Mehrmals zeichnete ich die Undertainment-Linie auf Transparentpapier durch. Die Streifen variieren in Nuancen, aber mit dem Fortgang dieser Arbeit gewinnt das Gesamtbild an Stabilität. Es ist wahrscheinlich die stärkste Ausgangslage für eine Tanzsequenz bisher, die auch in weitere andere Bereiche führen wird.

Gestern zeichnete ich an einem Tisch im Freien, in der Sonne, um mich aufzuwärmen. Es hatte aber auch den Grund, dass diese „Ballett-Mitschrift“ ins Freie musste. Sie braucht Platz, um sich in den Raum über die Tuschelinie auf Transparentpapier auszubreiten. In meiner Vorstellung erscheinen Worte auf den Linien, die sich langsam zu Textzusammenhängen verbinden. Sie werden von den Empfindungen gesteuert, die von den Bewegungen der Tänzerinnen und Tänzer ausgelöst werden.

Mit Anne sprach ich noch einmal über die Sprachmischungen der Fahrenden Völker auf dem Gustavsburgplatz. Auch sie können sich zur Undertainment-Linie hinzugesellen. Auf dem Kraftfeldtisch rollten wir Rolle 11 zurück bis zu den Linien, die wir gemeinsam im Lustgarten sprechend gegangen sind.

Kraftfeld-Tisch

Nach Tagebuch und Trixel Blog begann ich gestern die Linie zu zeichnen, die die Choreografie „Undertainment“ durchgehend umreißt, auf eine separate Transparentpapierrolle. Dafür stand ich vielleicht 20 Minuten an dem Tisch, der aus zwei Böcken und der Kraftfeldform besteht, am „Kraftfeldtisch“. Dort lässt der Druck nach, der oft durch die Rotation der Arbeitskontinuität und durch Anforderungen von außen zunimmt. In den Collagen entdecke ich nun das Potential dieser einzelnen Linie, ohne dass sie schon durch Überlagerungen verdichtet wäre.

Mit Anne sprach ich gestern über den Gustavsburgplatz, die Sprachen die dort in den Zwanzigerjahren gesprochen wurden und über die wandernden Handwerker, die sicherlich mit den fahrenden Völkern zutun bekamen. Die Fiznerbrüder hatten ihr Modell des Breslauer Domes sicherlich unter einer Plane auf ihrem Wagen. Wenn er hohe Speichenräder hatte, konnten sie unter diesem Zelt auch schlafen (poofen).

Gestern war die Abschlussveranstaltung des Projektes „YOU&EYE“ im Kulturamt. Dort traf ich Chunqing wieder. Danach mit Anne Apfelwein in der Braubachstraße und am Abend Essen im Gallus und Wein bei uns in der Frankenallee.

Mumpitz, Pampe, Kiez

Am ehesten bekomme ich einen Abstand zu den Projekten, die mir durch den Kopf gehen, wenn ich am Morgen meine Buchmalereien mache. Sie sind meistens entfernt von dem Bilderstrom der sonstigen Produktion, die sich in Texten und auf dem Transparentpapier etabliert.

Ich stelle mir den Gustavsburgplatz vor hundert Jahren vor. Er war ein Lagerplatz von Fahrenden Völkern. Die Sprachen zwischen den Wagen, Pferden und Kochstellen waren ein Gemisch aus Deutsch, Polnisch, Rotwelsch und Jenisch. So, wie ich mir versuchte, gehend ein Bild von Zwangsarbeiterlager Ackermannwiese zu machen, so will ich gehend, mit jenischen Worten einen Versuch machen, die Geschichte für mich an diesen Ort zurück zu holen.

Auch im Zusammenhang mit der Wanderung der Fiznerbrüder und der Sprache meines Vaters, stellt sich für mich ein Anklang dazu her. Der etwas schnarrende, proletarische und leicht ostpreußische Ton ist durchsetzt mit Worten der wandernd arbeitenden Menschen. Maloche, Moos, Fusel und in der Penne wird gepooft oder der Lehrer wird verkohlt. Mumpitz, Pampe, Kiez.

Der östliche Blick

Das Wanderungsspurenprojekt TRIXEL PLANET, war eine direkte Reaktion auf die DDR Gesellschaft, der ich entkommen war. Schon dort dachte ich gemeinsam mit Christa Wolf über eine künstlerische Reaktion auf fremdenfeindliche Aktivitäten gegen Vietnamesen in Ostberlin nach. Gleichzeitig aber kam dieser Impuls aus der Sehnsucht nach der Ferne, wegen der Reisebeschränkungen, denen man dort unterworfen war.

Am Vormittag hatte ich ein weiteres Diktaturen – Arbeitsgespräch mit Chunqing und Thomas. Gemeinsamkeiten der Arbeitsansätze fanden wir in unseren Wanderungsthemen. Freiheit der Wege, der Gedanken und der Worte suchten wir jenseits der Regime, in denen wir aufwuchsen. Die Fähigkeit, das Wir über das Ich zu stellen führte Chunqing in ihre „Painters Portraits“ und mich in ein kuratorisches Projekt in Heidelberg, wo es mir um die Arbeit der ehemaligen DDR-Künstler im ersten Jahr ihres Westaufenthalts ging. Dort stellte ich meine eigenen Bilder zugunsten der anderen zurück. Chunqing machte das auch mit ihrer Arbeit im ersten Schritt ihres Projektes, das sich mit den europäischen Meistern beschäftigt.

Wir sprachen über die Tanzimprovisationen innerhalb der Forsythechoreografien und probierten das auch aus, über GPS Gänge mit freier Sprache auf dem Gustavsburgplatz, der von Jenischen besiedelt war und über unser Empfinden diesen Phänomenen und Bildern gegenüber, aus unserer Erziehung heraus. Es ist der östliche Blick, der uns verbindet. Eine gemeinsame Arbeit, die daraus entstehen kann, braucht nun etwas Zeit um zu reifen.

Gepresster Block

Die Projektthemenschichten pressen sich zu einem Block zusammen, in dem die Trennungslinien verschwimmen. Die aktuelle Tanzsequenz bekommt es mit dem alten, ausgehöhlten Jungpionier zutun. Und die Undertainment -Zeichnungen wiederholen die Verdichtung der einfachen Gesten zu komplexen Improvisationen auf der Bühne, in einer Überlagerungssequenz auf Rolle 11 und 12.

Gestern schickte ich meine Konzeption zum GPS-Gang auf dem Gustavsburgplatz an die Interessentin bei der Deutschen Bank. Lolek hat mir erzählt, dass der Platz mal ein Lager Fahrender Leute war. Auch die hatten es nicht leicht mit den aufeinander folgenden Diktaturen. Die Sprachen dieser Leute, ihre Vokabeln, die heute noch in unserem Sprachgebrauch sind, könnten beim Gehen und Sprechen an diesem Ort eine Rolle spielen.

Heute gehen wir am Abend zu einer Lyrikveranstaltung, die das Kulturdezernat veranstaltet. Schwer zu sagen, was uns erwartet und was wir mitnehmen können.

Undertainment

Die Choreografie „Undertainment“ von William Forsythe, die wir gestern sahen, setzte sich tatsächlich aus dem Improvisationsmaterial zusammen, das wir im Workshop mit Cyril Baldy kennen gelernt hatten. Ich hatte ein kleines Zeichenheft bei mir, in das ich Linien schrieb, die etwas von dem für mich festhielten, was zwischen den Tänzern und Tänzerinnen passierte. Dieser Klang, der entstand, kam aus dem Workshopwissen, dem Bühnengeschehen und den fortlaufenden Linien, mit denen ich den Fluss der Begegnungen festhalten wollte.

Diese wenigen Zeichnungen, die ich auf 20 Seiten des Heftchens, mit einem Hanuman vorne drauf, machte, werden jetzt sehr wichtiges Material für die Fortführung der Arbeit. Vielleicht war dies das letzte Forsythestück, das ich direkt von der Hand des Meisters zu sehen bekam. Ein paar Wochen habe ich intensiv auf diesen Moment hin gearbeitet. Entsprechend nervös war ich vor der Vorstellung.

Gestern Nachmittag zeichnete ich stoisch an Rolle 11 weiter. Die Figuren aus der Diktatur gehen nun eine gründliche Verbindung mit dem Tanzgeflecht ein. Die Tanzlinien etablieren sich in auch den Buchmalereien. Der erste Scan einer Bühnenzeichnung von gestern findet sich schon in den heutigen Collagen. Das führe ich weiter.

Materialschichten

Gestern breitete ich alle Blätter, die zum Thema „Der Rock´n´Roll höhlt einen Jungpionier aus“ angefertigt hatte auf dem Tisch aus, dessen Platte aus der Kraftfeldform besteht. Dort entwickelte ich die Materialschichten der unterschiedlichen Bereiche weiter.

Gleichzeitig denke ich an die Tanzpremiere am Abend und an mein Vorhaben, währenddessen das Forsythestück zu zeichnen. Ich möchte das mit dem Füller machen, mit dem ich gerade schreibe. Und die Buchmalereien begann ich mit entsprechend ausschweifenden Linien, die den Raum andeuten, der sich zwischen den Tanzfiguren befindet. Die Materie zwischen ihnen, dehnt sich, wird gestaucht und drückt die Körper durch das abgesteckte Areal.

Jetzt begegnen sich die Bewegungen des Gitarrensounds der Sechzigerjahre, die Improvisationsreaktionen der tanzenden Körper und ihrer Zwischenräume. Das Spiel der Zeichnungen, Papierschnitte, Radierungen, Videoschnipsel und Holzschnitte beginnt einen Klang zu entwickeln. Diesen forme ich nun im Atelier weiter, will ihn in einen Raum führen, den ich mit Worten anreichere.

Ausgehöhlter Jungpionier

Manchmal spreche ich mit den Bildern, die ich gerade male, vor allem, wenn was fehlt oder wenn sich überraschende Dinge hinzugesellt haben. Ab und zu erscheinen mir noch die Ornamente der Buchmalereien, die wir am Sonntag im Museum für Angewandte Kunst gesehen haben. Manche Blätter waren so gehängt, dass man auch ihre durchschienenen Rückseiten sehen konnte. In einer dieser Ansichten sah man dunkle Linien, die sich im Laufe der Zeit in die Hautstruktur des Pergaments gefressen haben mit einer quer liegenden, durchleuchteten Pflanzenstilisierung. Bei mir tauchen diese Konstellationen im Zusammenspiel von Umrisslinien und Handabdrücken auf.

Beim Durchstöbern von alten Zeichnungen stieß ich auf eine Mappe mit Arbeiten zu „Der Rock ´n´ Roll höhlt einen Jungpionier aus“. Die Reihe habe ich damals für Keith Richards gemacht, den wir mit allen Rolling Stones 1995 backstage auf dem Hockenheimring trafen. Nach dem zeitlichen Abstand wirken besonders die skizzenartigen Versuche, die Durchdringung des jungen Menschen mit der Bewegung einer Musik zu zeigen auf mich.

Ich zeichnete zwei Figurenmotive übereinander auf Rolle 11, wie ich sie damals schon als Radierungen übereinander gedruckt hatte. Auch das gehört von meiner Seite aus zum Diktaturenthema. Keith Richards hat das, was ich ihm dazu erzählt habe gut verstanden.

Neue Bedeutung

Auf dem Tanzfries auf Rolle 11 band ich 2 Figuren aus dem Jahr 2000 ein, die nichts mit Tanz zutun haben. Jetzt kann sich diese Arbeit auch zum Thema „Diktaturen“ hin öffnen. Ich denke an meine Verbindungen zu Ballettleuten in Dresden, an Thomas Hartmann, an Arila Siegert und an die Paluccaschule, in der ich Gret Palucca noch tanzen sah. Schon damals zeichnete ich, unter anderen Vorzeichen, Tanz. Zu überlegen wäre, wie viel Kontinuität der künstlerischen Arbeit bei einem Wechsel der politischen Systeme bleibt, oder dann, wenn man seinen Wohnort verlegt aus der Enge in die Weite.

Als ich nach meiner Übersiedlung in den Achtzigerjahren in Heidelberg ankam, bot mir ein Geschäftsmann an, eine Galerie aufzubauen. Mein Konzept dafür war, die Arbeiten von ehemaligen DDR-Künstlern aus ihrem ersten Jahr im Westen zu sammeln. Ich besuchte Hartmut Bonk und Helge Leihberg. Mein Gedanke war, dass ich diese Kunst ermöglichen wolle, und dass es egal wäre, ob diese von mir oder anderen Künstlern gemacht würde. Diese Bereitschaft zur Aufgabe der eigenen künstlerischen Arbeit zugunsten einer „Sache“, entsprang der Erziehung, in der das Individuum nicht so viel galt. Der Geschäftsmann mit der Galerie machte bald schlapp!

In den derzeitigen Collagen wird die Entwicklung der Bildgedanken zu den Diktaturen sichtbar. Dort begegnen sich die verschiedenen Suchbewegungen. Die alten Arbeiten bekommen eine neue Bedeutung!

Painters Portraits I Stasisequenz

Bevor ich am Morgen ins Atelier zu Chunqing ging, schrieb ich das Tagebuch zu Hause. Unsere Besprechung dann, steckte einen ersten Rahmen für unser Projekt „Diktaturen“ (Arbeitstitel) ab. Ihr Projekt „Painters Portraits“ scheint zunächst im Mittelpunkt ihrer Hinwendung zur Europäischen Kultur zu stehen und somit auch der wichtigste Part zu sein, den sie beisteuern wird. Mein wichtigster Beitrag wäre die „Stasisequenz“ auf Rolle 10. Es wurde klar, dass die unterschiedlichen Mentalitäten auch unterschiedliche Umgänge mit dem Phänomen der Diktatur hervorbringen. Das ist ein guter Ausgangspunkt für unsere verschiedenen Zugänge zum Thema.

Im Museum für Angewandte Kunst sahen wir gestern Buchmalereien in Stundenbüchern des Mittelalters. Ich erwartete von mir eine größere Emotionalität beim Betrachten der Arbeiten, die eng mit meinem täglichen Tun verbunden sein müssten. Bei allem Genuss der Ornamentik und der kunstvollen Malereien, blieb der Raum zwischen uns seltsam kalt. Aber wenn ich jetzt in meine Bücher male, erscheinen vor mir manchmal die ausgedehnten Ornamentflächen neben den „bewohnten“ Initialen.

Auf dem Heimweg, noch im Museum traf ich Ulrike Markus, die unser YOU&EYE Ausstellung gemacht hat. Wir sprachen noch eine Weile über den Sinn dieser Arbeit. Und auf der Rückfahrt über das Museumsufer sahen wir vor dem Architekturmuseum noch die Menschentraube, die das renovierte Haus einweihte. Mitten drin Frau Budde, mit der ich viele Jahre arbeitete.

Himmelsrichtungen I Räume

Oft standen wir lange in einem Block zu hundert Soldaten auf dem Appellplatz der Grenzausbildungskaserne in Eisenach. Den hatte ich einmal während des Arbeitsdienstes an einem Sonnabend fälschlicherweise quer geharkt, anstatt in Ost-West-Richtung längs. Also noch mal das Ganze. Über den Köpfen der aufgereihten und ausgerichteten Soldaten verlief eine Fluglinie von Westberlin nach Frankfurt am Main. Als, sehr weit über uns, wieder eine Maschine mit einem schönen Kondensstreifen über den Platz mit uns hinweg glitt, flüsterte mein rechter Nachbar aus einem Stillgestanden: „ Pan Am, wir düsen mit ihnen nach Süden.“ Das war die ursprüngliche Richtung meiner geharkten Linien.

Gestern nahm ich mir alte Tagebücher vor, um nachzuschauen, in welchen Zusammenhängen ich Zeichnungen in den Achtziger- und Neunzigerjahren gemacht hatte. Und natürlich sind die Zeichnungen, die ich zum Büchnerprojekt von Wolfgang Engel am Schauspiel Dresden gemacht hatte oder zu Hebbels Nibelungen, auch von ihm, immer auch Kommentare zu den Verhältnissen, in denen wir arbeiteten. Von der allgegenwärtigen Überwachung und Zensur machte ich mich frei. Ich sprach zu jedem klar.

Mir fällt der Zusammenhang zwischen den Räumen, in denen ich mich äußerte, auf. Die Umdeutung sakraler Themen in den Kirchen, ging einher mit theatralen Vorgängen. Meine Linolschnittreihe zu „Bruder Eichmann“ von Heinar Kipphardt für eine Inszenierung von Horst Schönemann am Schauspiel Dresden, hatte wiederum sakrale Züge.

Zusammenarbeit

Schmetternder Gesang einer Amsel behält die akustische Oberhand an diesem Morgen auf dem Balkon über der Frankenallee. Während der Malerei am Schreibtisch beschäftigten mich das Diktaturenprojekt und die damit verbundene Zusammenarbeit mit Chunqing.

Mir fällt ein, dass Vinzenz Reinecke einen Gedichtband von Armin Müller in einer chinesischen Bibliothek gefunden hat. Den hat der Proletarische Internationalismus dorthin getragen. Kulturaustausch auf höchster Ebene. Die Schriftstellerinnen: mit Kathrin Schmidt lebte ich viele Jahre in einem Haus zusammen in Thüringen, es gibt die langjährige Arbeitsbeziehung zu Christa Wolf, bei Wolfgang Engels Büchnerprojekt arbeitete ich eine Weile zusammen mit Durs Grünbein in Dresden. Im Westen traf ich meine Frau und damit ging die Tür zur Welt-Literatur auf.

Der Kontakt zu Bildenden Künstlern hingegen blieb bescheiden. Oft langweilte mich die Kunstwelt, vor allem im Westen. Und vielleicht ist hier der generelle Unterschied der Kunsterfahrungen verborgen. In der Ostdiktatur ging es um das Leben, es gab in den Gefahren und der Angst vor dem Staat eine enge, lebensnotwendige Zusammenarbeit. In der Westfreiheit nicht.

Akzente der Erinnerung

Schon in den letzten Jahren in der DDR dachte ich, dass die Arbeit, die Produktivität in dieser Zeit besonders wichtig sei. Öffne ich den Schubladenschrank mit den Zeichnungen und Grafiken, mein Gesellenstück, so treten mir sofort diese Radierungen entgegen, in denen ich dieses Eingesperrtsein thematisierte. Besonders in den Holzschnitten und Radierungen verdichten sich diese Emotionen.

In den Tagebüchern dieser Zeit wird ebenfalls vieles zu finden sein, das in den Zusammenhang passt, das Leben eines jungen Künstlers in der Diktatur verdeutlicht. Der Anstoß von Ina kam wirklich auf den Punkt und unterstützt die Produktion. Somit formt sich das Projekt nun nach dem Material das vorhanden ist und nach unserem heutigen Blick darauf. Daraus kann nun auch etwas Neues entstehen.

Ich denke an die Monotypien, an das Holzschnittbuch zu Kassandra und an meine Medeaarbeiten. Ich denke an die Monotypien zu Herakles II oder die Hydra von Heiner Müller und an das Mecklenburger Pferd von Hans Karsten Raecke. Auch die Zusammenarbeit mit Cornelia Schleime, Helge Leihberg und Frank Lehmann sind Akzente in der künstlerischen Erinnerung an die DDR.

Diktaturprojekt

Am Morgen war die Ausstellungseröffnung von YOU&EYE im Museum für Angewandte Kunst. Alle wieder zu sehen, die Schüler, Kollegen, Lehrer und Organisatoren, war belebend. Mit den Ballettleuten konnte ich über meine Erfahrungen mit dem Forsytheworkshop und über den Tanzfries sprechen. Die Schülerarbeiten führen auch zu Gesprächen über die Arbeit der Künstlerinnen.

Mit Chunqing begann ich unser Diktaturprojekt zu umreißen. Da ist noch vieles unsausgesprochen und auch dadurch besteht noch viel Potential für ein Konzept. Wir müssen uns jetzt treffen und überlegen, wie wir das Vorhaben begrenzen. Dann wäre ein Termin bei Ina Hartwig fällig.

Weil ich den ganzen Vormittag im MAK verbracht habe, bin ich erst am Nachmittag, hier zu Hause am neuen Tisch, zur Tagebucharbeit gekommen, die ich dann gleich im Atelier fortsetzen will. Vielleicht fällt mir dann dort auch noch was anderes ein – Rolle 11, Wiese inspizieren, Gärtchen pflegen… Noch muss ich mich etwas schonen.

Gediegen

Mit mehr Ruhe zu Hause verharre ich länger bei den Buchmalereien, versenke mich tiefer und arbeite manche Figuration gründlicher aus. Das neue Möbel, auf dem das geschieht hat auch einen Einfluss darauf. Die gediegene Schreinerarbeit lässt kein Schludern zu.

Chunqing möchte sich mit mir treffen. Ich bin gespannt auf ihre Erfahrungen mit dem Chinesischen Staat. Wie hat sich ihre Umsiedlung auf ihr Werk ausgewirkt? Es gibt ja die beeindruckende Serie, in der sie sich einzelnen europäischen Malern widmet.

Mir ging meine Arbeit zu „Hin und weg“ im Humboldtforum durch den Kopf. Eine weitere Idee der vergangenen Nacht beginnt mit der Kraftfeldform, ihrem krönenden Brandenburger Tor und dem Abrissrest des Palastes der Republik in Form des übrig gebliebenen Stahlskelettfragmentes. Von da ausgehend kann ich mein Verhältnis zur „Diktatur des Proletariats“ entschlüsseln.

Zaubern

Am späten Morgen begann ich heute mit den Buchmalereien. Die Arbeit war die, wie an Gemälden. Irrtümer sind willkommene Anlässe, das ganze zu überarbeiten und Schicht für Schicht weiter zu spinnen. Dadurch rhythmisiert sich das Malen wie von selbst. Figuren lösen sich auf und setzen sich wieder neu zusammen. Dann komme ich mir vor wie ein Zauberer und die Dinge, die ich nicht wollte, gehen über das Zaubern hinaus.

Das Arbeiten an meinem neuen, alten Tisch ist anders. Er hat rissige Stellen und ich muss ihn auch reparieren. So bekomme ich eine Beziehung zu ihm. Nach dem Mittagsschlaf ging ich ins Atelier, begutachtete die über 10 Exemplare des Wiesengamsbartes, der sich von alleine so vermehrt hat, gieße die Pflanzen und kümmere mich um Collagen und Blog.

Öfter denke ich an neue Projekte. Jetzt aber bin ich, nach der Operation, erstmal in einer Rückzugsphase und gehe die Vorhaben nicht gleich ernsthaft an. Einzig Ina und Chunqing schrieb ich zu unserer Ideenentwicklung zu Diktatur und Kunst etwas. Ich kümmere mich später…

Gruppen

Auf der großen Bühne des Schauspiels Frankfurt hatte gestern der Abend „Der Sandmann“ nach ETA Hoffmann Premiere. Barbara und ich waren eher beglückt, standen aber mit dieser Empfindung ziemlich alleine da. Wir trafen viele Bekannte und Freunde und standen im Grüppchen beieinander und hatten uns viel zu erzählen.

Während einem längeren Gespräch mit Ina Hartwig, kam zwischen uns die Idee auf ein Projekt über Diktaturerfahrungen von Künstlern zu machen. Und wie schlägt sich dann der Übergang zur Arbeit in einer freien Gesellschaft nieder. Chunqing stand dabei und Inas Idee war es, dass wir uns ja in diesem Vorhaben zusammentun könnten. Sie, mit ihrer chinesischen und ich mit meiner ostdeutschen Brille.

Unter dem Vordach des Ateliers hat sich eine Gruppe Jugendliche versammelt, die ich schon kenne. Sie Kiffen zivilisiert und interessieren sich für meine Arbeit. Ein Mädchen hat einen kurzen Text über mich geschrieben. – Ich merke, dass ich mich gestern etwas übernommen habe und mich nach der OP noch weiter schonen muss. Deshalb ist jetzt Schluss.

Zäsur

Ich habe eine Vollnarkose wegen einer OP hinter mir. Wieder munter, scheint die Welt etwas anders zu leuchten. In den Buchmalereien lasse ich mich nach dem gespenstischen Wegtreten ganz in das Tun fallen und achte nicht auf die Spannung die es auslösen sollte oder vermissen lässt. Ich fühle mich freier und ernster.

Hoffentlich bringt diese Zäsur die Kontinuität etwas ins Wanken, dass andere Dinge in den Vordergrund rücken und dass das Wesentliche an Kontur gewinnt. Vielleicht ist das nun der Punkt, an dem sich die Tanzsequenz auflöst und die Verbindung mit den anderen Umrissen, Bewegungen und Worten eingeht.

Das begann schon mit den Buchmalereien, die ich gestern und heute zu Hause gemacht habe. Weil ich den Farbkasten vergessen hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als die Lavasteine mit den Aquarellstiften einzufärben, um mit dem feuchten Handballen Abdrücke von ihnen in die kleinen Formate in meinem Buch einfügen zu können. Die Farbigkeit wird dadurch differenzierter, weil noch andere, frühere Farbschichten auf den Steinen eine Rolle beim Abdruck spielen.

Hin und her

Figuren umgeben von Strukturen waren das Thema des Morgens. Einerseits schließen sich die Malereien an die Zeichnungen an, die ich 2003 bei der Tanzproduktion von Georg Reischl gemacht habe, andererseits scheinen sie eine Rückkopplung von Rolle 11 in das Buch zu sein. Nun wäre es wieder möglich, die Buchmalereiumrisse aus dem Buch auf die Rolle zu zeichnen, um sie direkt mit den Tanzzeichnungen zu konfrontieren.

Gestern räumte ich die Transparentpapierarbeiten, Holzobjekte und Reliefs der Schüler zusammen, um sie am Nachmittag in das MAK zu bringen. Dort sollen sie mit den Bildern der anderen Gruppen des Projektes YOU&EYE in einer gemischten Ausstellung zu sehen sein. Bin gespannt, wie Ulrike das macht.

Die Sequenz des Tanzfrieses, die ich am 19.5. und gestern gezeichnet habe, steht nun vor mir auf dem Zeichentisch, der sich unter dem geöffneten Rolltor des Ateliers befindet. Die trockenen Weidengeflechtstapel, die im Gärtchen liegen und sich verschränken, ähneln manchen Stellen in den Zeichnungen davor.

Nur Feder und Tusche

Der Einkauf beim Boesner, um all das zu ersetzen, was die Kinder zerstört und verbraucht haben, erinnert mich an meine Einkäufe im Malkasten hinter der Brühlschen Terrasse in Dresden vor 50 Jahren. Mit fast allen Materialien des heute erschlagenden Angebots, könnte ich was anfangen. Aber als ich zurück kam ins Atelier, da nahm ich mir nur Feder Tusche und die Transparentpapierrolle und zeichnete am Tanzfries weiter.

Für die Collagen benötige ich die Liniengeflechte von Rolle 11, um zu zeigen, was mir derzeit wichtig ist. Das versuche ich mit verschiedenen Methoden aufzuspüren. In der Antike gab es eine philosophische Methode des Disputs und des Nachdenkens im Gehen.

Man sieht Menschen, wie sie unterwegs ihre Mobiltelefone benutzen. Sie reden auf verschiedene Weisen mit ihren Gesprächspartnern. Manchmal sieht es so aus, als redeten sie mit sich selber, wie vorgestern der rumänische Christian. Gleichzeitig werden ihre Wege getrackt. So entsteht ein gesprochener Raum. Der von den Fiznerbrüdern, mein Großvater und sein Bruder, die miteinander redend den Plattenwagen mit dem Breslauer Dommodell durch halb Europa zogen, ist noch unbekannt.

Gesprochener Raum

Ich denke an das Sprechen während des Gehens. Der Rhythmus der Sprache gliedert den Weg oder der Weg bestimmt den Tankt des Sprechens. Jeder Schritt, beispielsweise ein vergessener Name. Ein raumgreifender Singsang entwickelt Wortkettenreaktionen, simuliert frühe Sprachzustände. Beim Eisessen sah ich den rumänischen Christian, vor sich hin sprechend, auf der Frankenallee gehen. Wenn die gelaufene Strecke mit einem GPS Gerät und die währenddessen gesprochenen Worte mit einem Diktiergerät aufgezeichnet werden, lässt sich ein gesprochener Raum darstellen.

Das erinnert mich an die Arbeit am Text Bildbeschreibung von Heiner Müller mit Jan Pröhl in den Neunzigerjahren in Heidelberg. Ich entwarf eine Zuschauertribüne in Pyramidenform, die vom Schauspieler umspielt wurde. Er ging ganz festgelegt mit jedem Wort einen Schritt um das Publikum herum: „Lange glaubte er noch den Wald zu durchschreiten in dem betäubend warmen Wind, der von allen Seiten zu wehen schien…“

Gestern schnitt ich eine Höhle in einen Buschwindrosenstrauch am Bahndamm. Das war wie Bildhauerei. Ich stellte einen Stuhl und eine Kiste hinein, von wo aus man sitzend ein ziemlich großes, eingewachsenes Betonwasserbassin beobachten kann, das von allen Vögeln der Umgebung zum Baden und Trinken besucht wird.

Zeitabstand

In dem Moment, in dem die Umrisszeichnungen, die ich 2003 gemacht habe, mit dem gegenwärtigen Material gefüllt werden, nehmen sie an Gewicht zu. Der nach über 20 Jahren veränderte Zeichenstil, baut eine Spannung auf, deren Energie sich aus dem zeitlichen Abstand speist.

Damals war ich in viele Projekte parallel verstrickt. Heute kann ich mich besser auf einzelne Vorhaben fokussieren. Aber Tanz und GPS-Gänge finden sicher zusammen auch mit Text. Gerne würde ich das auf dem Gustavsburgplatz beginnen und dann in Berlin im Lustgarten fortführen.

Die Verbindung zum Humboldtforum besteht. Vielleicht ergibt sich eine neue Zusammenarbeit in diese Richtung. Ich muss abwarten. Soll ich währenddessen Buchmalereiumrisse in den Tanzfries einarbeiten?

Innen

Vom Korbstuhl in der Gartennische, also von innen, schaue ich heraus auf das Geschehen. Den Tänzer, der die Performance im Nebelraum des Windfangs des Bockenheimer Depots machte, traf ich vor dem Tevesgelände. Von einem Video dieser Darstellung versuchte ich einen Scan zu machen, um Bewegungsabläufe in einem Bild festzuhalten, wie in manchen meiner Tanzzeichnungen. Diese fortlaufenden Linien, die Zeit festhalten, verbindet mein Hirn mit den geflochtenen Ringen der Weide, die wieder austreiben und so die Möglichkeit schaffen, eine weitere Generation von Zweigen zu Ringen an den Ringen zu flechten.

Durch den Workshop mit Cyril Baldy schaue ich nun ebenfalls aus einer inneren Perspektive auf das Bühnengeschehen der Choreografien. Außerdem spüre ich die Zeit meiner Bewegungen deutlicher. Weitere Zeichnungen von 2003 wachsen in das Geflecht des Tanzfrieses. Tief innen ergeben sich neue Verbindungen, aus denen neue Figuren entstehen können.

Die Lavablasenumrisse begleitete ich in den Buchmalereien mit Holznadelgravuren, die sich hell unter den Schraffuren abbilden. Und die Handabdruckstrukturen ließ ich mit ihrer zarten Farbigkeit mehr Raum, ließ sie auf den obersten Schichtenstehen, damit sie in den Collagen prominenter hervorgehoben werden können.

Denkpause

Mit meinen Schülern bestimmte ich für unsere Ausstellung im MAK wenige Objekte, die während unserer Zusammenarbeit in den letzten Monaten hier im Atelier entstanden sind und unbedingt gezeigt werden sollten. Danach kam die Kuratorin Ulrike Markus, mit der ich mich unkompliziert einigte, was außerdem erscheinen soll. Jedes Mal ist dies auch eine Präsentation meiner Mittel und Materialien, die ich an die Schüler weitergebe. Die Frottagen beispielsweise, die Ausgangspunkt für ihre Motive sind, stammen von meinen Reliefformen.

Verschiedene Reparaturarbeiten unterbrachen den Fluss der Arbeit an den Zeichentischen. In luftiger Höhe musste das Rolltor repariert werden, und an meiner Eingangstür baute ich für ein defektes Schloss ein neues ein. Das alles dauerte mehrere Stunden.

Nach der Denkpause, erscheint mir die Fortsetzung der Tanzarbeit in mehreren Schritten möglich. Zunächst soll der Fries durch die Zeichnungen, die ich während der Premiere machen will, neue Impulse bekommen. Die intensivere Fortführung der Linienverdichtungen dann, kann in Objekte münden, die einen Extrakt der Ergebnisse von Rolle 11 bilden.

Flow

Vorsichtig beginne ich, nur mit schwarzen Punkten die Dunkelheiten der heutigen Buchmalereien zu verstärken. So arbeite ich mich in die Mikroschichten vor, die ich innerhalb der Collagen irgendwann ernster nehmen sollte. Jetzt dominieren die Federzeichnungen von Rolle 11.

An ihnen arbeitete ich gestern weiter und schrieb den Tanzfries fort. Dann setzte ich im Workshop zu den Improvisationstechniken von Forsythe, die Schichten der Transparentpapierrolle mit meinem tanzenden Körper fort. Ganz einfache Handbewegungen am Beginn, die dann auf drei andere Teilnehmer reagierten, bis wir als Team mit unseren größer werdenden Bewegungen in einen Flow gerieten. Aus den dichter werdenden Reaktionen begannen wir die Umrisse des Gegenübers mit unseren improvisierten Choreografien zu zeichnen.

Uns an dieser Stelle war ich nun zu Hause angelangt. In den verschiedenen Ballettsälen, in denen ich gezeichnet habe, setzte ich die Zeichnungen mit der Bewegung einer Hand an, verfolgte den Arm und die Wendungen der Körper im Raum, ohne die Linie abzusetzen. Diese Erfahrungen will ich demnächst beim Zeichnen in der Premiere nutzen.

Takt

Zum Start der Arbeit am Morgen, schaue ich auf die Uhr. Ein Takt, der den Tag durchzieht, strukturiert die Tätigkeiten. Er scheint dem Atem oder Herzschlag zu entspringen, oder dem Sekundenzeiger. Manchmal sind es die Schritte beim Gehen und der Rhythmus der Worte, die mir währenddessen durch den Kopf gehen.

Die Arbeit an Rolle 11 habe ich doch nicht unterbrochen, nur etwas verlangsamt, habe nicht so viel Zeit mit ihr verbracht. Immerhin ist eine Linienstruktur entstanden, die sich für die heutigen Collagen eignete. Diese richte ich mit einem sehr alten Bildbearbeitungsprogramm ein. Eine Frage der Gewohnheit.

Am Morgen begann ich mit direkten scharfkantigen Steinabdrücken und Holznadelgravuren auf dem glatten Papier. Mehrere Schraffurschichten mit unterschiedlichen Aquarellstiften bildeten das Material für die Abdrücke mit der angefeuchteten Handkante in die anderen Formate. Transparenter mischen sich dort die verschiedenen Strukturen mit den Handlinien. Leicht treten diese zarten Erscheinungen hinter den kräftig nachgezeichneten Konturen zurück.

Strukturelle Durchmischung

Wenn in den Buchmalereien die Linien der Umrisse abbrechen, bevor das zu umschreibende Feld eingeschlossen ist, ergeben sich in den folgenden Collagen Einfallstore für eine neue strukturelle Durchmischung. Durchlässigkeit sickert in die Lavablasen und die feinen Handlinien der Abdrücke. Verwischungen aber schaffen eine hermetische Schicht. Ihre Verdrängungskraft impliziert einen Abschluss.

Weil ich oft dieselben Steine einfärbe, um ihre Oberfläche über den Umweg meines Handballens in den Malereien abzubilden, wiederholen sich die Strukturen nicht nur in den drei Bildern des Tages, sondern auch von Seite zu Seite, von Woche zu Woche und über längere Zeiträume. Der dadurch entstehende Zusammenklang ähnelt dem bestimmenden Thema einer musikalischen Komposition.

Ich dachte daran, die fortwährende Arbeit an Rolle 11 zugunsten des Abschlusses des Projekte YOU&EYE zu unterbrechen. Es muss verbrauchtes Material neu beschafft, ein Abschlussbericht formuliert und ein Treffen mit der Kuratorin der Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst verabredet werden. Aber am letzten Tag unserer Zusammenarbeit werde ich aber mit den Kindern Eis essen gehen.

Leute

Die Abteilung Geschichte des Ortes vom Humboldt Forum hat mir das Foto geschickt, das Tobias Kruse von mir hier im Atelier gemacht hatte. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Ich fühle mich bei ihnen immer geachtet und ein wenig zu Hause.

Auf dem Weg ins Atelier habe ich Spargel gekauft und einen Besuch bei Maike Häussling im Atelier gemacht. Es ist interessant ihre Arbeiten zu sehen und zu hören, was sie sonst alles macht. Sie hatte eine Ausstellung in Berlin und ist viel unterwegs.

Im Atelier hatte ich einen Besuch von Liddy Annegret Dirksen. Sie ist Dresdnerin und hat die DDR schon 1983 verlassen. Auf meine Transparentpapierrollen warf sie den Blick der Historikerin. Auf Rolle 11 setzte ich die Diskontinuität fort. Das strahlt in die Collagen.

Neue Diskontinuität

Die Sonne scheint auf den Zeichentisch, auf dem ich mich mit der Rolle 11 langsam in eine neue Diskontinuität begebe. Die fest gefügten Zustände der verdichteten Tanzfiguren geraten in neue Übergänge. Hilfreich wäre, dieses Material teilweise auf Rolle 12 zu übertragen, wo es ein Eigenleben führen und sich in andere Richtungen entwickeln kann.

Jetzt war ich drauf und dran, die eklatante Farbigkeit der Buchmalereien des Morgens zu dämpfen. Dafür ließen sich Lasuren von Kontrastfarben nutzen. Aber ich lasse es. Die knalligen Töne gehören auch zum Arsenal meiner Arbeitszustände.

In den Collagen bewähren sich die starkfarbigen Abdrücke von den blasigen Lavasteinstrukturen. Sie bilden den notwendigen Kontrast zu den dichten Tuschegesträuchen aus den Tanzzeichnungen von 2003. Aber auch diese Kontinuität fühlt sich langsam etwas festgefahren an. Im täglichen fortführen dieser Collagenarbeit brauche ich eine besondere Kraftanstrengung für Erneuerungen, wenn sie sich nicht von alleine einstellen.

Verkürzung oder Konzentration

Der Dreierrhythmus im Tanzfries auf Rolle 11 hat sich ganz von selbst verändert. Vor dem 3. Schritt der Einbindung des letzten Figurenpaares, schlossen sich schon die Umrisse des nächsten an, das ich mit dem verdichteten Material der vergangenen Wochen füllte. Die Notwendigkeit einer Veränderung kündigte sich schon eine Weile an. Nun schaue ich, was sich aus dieser Verkürzung oder Konzentration entwickeln wird.

Die Arbeit auf Rolle 11 kann wieder für andere Themen geöffnet werden. Verbindungen von Tanz, GPS-Wanderungen und Buchmalereien sollen deutlicher werden. Mehrere Rückkopplungen sind dadurch möglich. Tanzumrisse können beispielsweise gewandert werden und sich dann mit Lavastrukturen und Konstruktionslinien überlagern.

Die Buchmalereien der letzten Tage bestanden aus vielen Schichten. Ihre Entstehung war auch entsprechend langwierig. Das habe ich heute abgekürzt und dadurch wieder überschaubarere Kompositionen erhalten. Und diese würden sich schon für die Erweiterung des Tanzfrieses eignen.

Enttäuschung

Cyril Baldy, der die Neuproduktion „Undertainment“ von Forsythe als Assistent begleitet, gefielen meine Zeichnungen von 2003 und die Tanzsequenz, die bisher aus ihnen auf Rolle 11 entstanden ist. Gleichzeitig machte er mir aber klar, dass es keine Chance gibt, auf einer Probe zu zeichnen. Niemand von außen darf zugegen sein. Ich hatte das befürchtet, war aber dennoch enttäuscht. Ich werde während der Frankfurtpremiere des Stücks in ein kleines Heft zeichnen, das mir Anne geschickt hatte.

Mit den zwei Figuren, die sich auf Rolle 11 eingereiht haben, zeigt sich das Thema des Verhältnisses von innen und außen deutlich. An manchen Stellen, wo sich die Größe und Form der unterschiedlichen Flächen angleichen, wird die Grenzziehung verwirrender. Das hat viel mit der Wirklichkeit zutun.

In unserem Tanzworkshop beschäftigten wir uns wieder mit den Improvisationstechniken, mit denen Forsythe seine Stücke baut. Wenn man als Paar improvisierend aufeinander eingeht, lebt der Rhythmus von der Zeit, der man dem Partner gibt, damit er seine Bewegungen in Ruhe zu Ende führen kann. Stopps müssen eingebaut werden. Es wird Interessant sein, wie wir nun mit diesen Erfahrungen das neue Bühnenwerk lesen werden können.

Rückkopplung

Für mich lohnt es sich, mit Suchbegriffen im Arbeitstagebuch zurück zu blättern. Die älteren Collagen beschäftigen sich häufig mit Tanzthemen, und die Texte ordnen die Bestandteile auch in die Entstehungszeiträume ein. Beispielsweise ist das erste Reliefexemplar des Väterprojektes durchsetzt mit Figuren aus ONE FLAT THING REPRODUCED. Gestern zeichnete ich am Tanzfries in den Abend hinein weiter. Den gestern beschriebenen Dreierrhythmus hatte ich erst nach ein paar Tagen gefunden. Nun suche ich oder warte auf den Moment, in dem ich ihn wieder verlassen kann.

Der Tanzworkshop in der vergangenen Woche hatte die erhofften Auswirkungen auf meine Arbeit. Nun wird sich zeigen, ob ich durch eine Teilnahme an Proben von William Forsythe noch tiefer in das Thema eindringen kann, ob ich mit dem alten Material weiter arbeite oder ob frisches hinzukommt.

Etwas von der neuen Beschäftigung mit Tanz, färbt auch auf die Buchmalereien ab. Aus den Abdrücken der Lavaoberflächen lösen sich lösen sich tänzerische Figuren. Aber in der 3. Malerei erschien ein Tier, das durch eine Barriere hindurch, den Weg vom Wasser ans Ufer findet. Aus seinen Strukturen ergaben sich durch Handabdrücke derselben, die Grundlagen für die Malereien 1 und 2. Dann verbinden sich in den Collagen diese Figurationen mit denen des Tanzfrieses – eine Rückkopplung. Es entsteht langsam eine neue Qualität.

Figuren verschwimmen

Figuren bilden sich, ihre Umrisse entstehen und verschwimmen, oft ist nur eine Seite klar konturiert, die andere verwischt, verblasen und aufgelöst. In dieser Spannung entstehen die Kompositionen der kleinen Malereien. Diese Vorgänge setze ich ins Verhältnis zur Entwicklung meiner Beziehungen zu anderen Menschen oder zu Vorgängen in der Natur, in der sich Formen etablieren und vergehen. Wenn ich einen Gegenstand vom Boden des Gärtchens emporhebe, krabbeln Asseln und Ameisen in Deckung, versuchen die Regenwürmer schnell zu verschwinden. Von diesem Getier gibt es Massen in der dünnen Erdschicht. Sie sind aber immer nur kurz zu sehen.

Manchmal gehe ich mit der Handykamera über das Gelände und versuche alle Insektenarten zu fotografieren, die sich hier etabliert haben, als könnte das helfen, dieses Gelände vor dem Zugriff einer Neubebauung zu retten.

Heute will ich an Rolle 11 weiterarbeiten. Der Verdichtungsmodus, den ich zeichnend gewählt habe, hat einen regelmäßigen Dreitaktrhythmus: 1. eine neue Tanzzeichnung und deren Füllung mit dem vorangegangenen Material, 2. ihre leeren Umrisse im Liniengesträuch und 3. Einbindung ins Geflecht durch Überlagerung. Dann geht es mit der nächsten Tanzzeichnung von 2003 genau so weiter.

Getier

Der Donner der Güterzüge überdeckt vom Bahndamm her das Rascheln der Eidechsen im trockenen Laub am Boden des Gärtchens. Zwischen einem aufgespalteten Totholzstamm einer Pappel gruben sich zwei Blauschwarze Holzbienen im senkrechten Spalt gegenüberliegende Tunnel. Sie leben nun auf einer Etage und können sich gegenseitig in die Höhlen schauen. Ihr Abraum verschüttete den Eingang der vorjährigen Röhre.

Das Schlagloch im Betonboden auf dem Hof habe ich für die Tauben mit Wasser aufgefüllt, denn der angekündigte Regen lässt auf sich warten. Winzige schöne Schmetterlinge, mit reich gemusterten Flügeln, umflatterten weitere Wiesengamsbärte, die ich gestern entdeckte.

Die hellen Punkte in den Buchmalereien stammen von Steinabdrücken im Papier. Sie erscheinen durch mehrfache Schraffuren in unterschiedlichen Farben. Dieses Vorgehen stammt eigentlich von der Lasurmalerei, deren Farbigkeit durch durchscheinende Farbschichten und Weißhöhungen entsteht. Und daneben treten auch wieder Figuren auf, deren Umrissformen den Handabdrücken folgen.

Beim Gehen

Die Gedanken beim Gehen mit der Gießkanne, die Wasserstellen der Tauben füllend, den Traum noch im Kopf von dem Baby in einer Tasche, in einem Zimmer eines langen Korridors, verschwunden und mir anvertraut. Die Mutter aber interessierte es nicht. Finde die Gartenschere zwischen den Blumentöpfen, schneide überkopf, Spinnensplitter in den Haaren.

An Perlonfäden hängen die Ringe der Napfmuscheln, kreiseln in der Stille des Brückentages. Nur ein unsichtbares Aggregat quietscht rätselhaft rhythmisch auf der leeren Baustelle.

Die Miniaturplastik von Hanuman, die wir in Indien gekauft haben, strich ich mit Wasserfarben ein und machte davon Handkantenabdrücke für die Buchmalereien. Zwischen den Lavasteinabdrücken entstanden verschiedene Lufttänzerinnen hinter Bünenkonstruktionslinien. An Rolle 11 arbeitete ich gestern nicht. Schließlich war der 1. Mai, Kampf und Feiertag der Arbeiterklasse. Im Gärtchen gab es Bier aus einer großen Flasche.

Herkunft und Zeichenstil

Die Kinder vertieften sich gestern lange in ihre Transparentpapierrollen. Zuvor zeigte ich ihnen das, was ich auf diesem Gebiet mache. Bei ihrer Arbeit mit Bleistift, Tusche und Schellack wurden ihre unterschiedlichen Handschriften sehr deutlich. Ein Eritreischer Junge, der die Schreibschrift seiner Region im Handgelenk hat, zeichnete die Formen nur ungefähr und kreisend suchend durch, sodass eine ganz eigene Struktur entstand. Und so kann man bei jedem einzelnen Schüler den Zusammenhang von Herkunft und Zeichenstil betrachten.

Das hat mich angespornt, mit dem Tanzfries weiter zu machen und ihn innerhalb der Collagen mit den Buchmalereien zu verflechten. Mit dem zusammengesackten Personal von heute, mit seiner Haut aus Farblasuren, Handballenstrukturen und Verwischungen. Mit den Lavasteinen und den Holznadeln schrieb ich Vertiefungen in das glatte Papier, die durch Schraffuren heller hervorgehoben werden. Manchmal besitzen die Figuren klare Umrisse, manchmal lösen diese sich an einigen Stellen auf und oft werden die Abgrenzungen zur Umgebung nur durch unseren erinnernd vergleichenden Geist geschaffen.

Die kleinen Malereien mache ich am Zeichentisch, der in der Mitte des Ateliers steht. Das Schreiben geschieht im Sommer draußen, während ich in meiner Gartennische auf dem Korbsessel sitze. Die beiden Tagebuchelemente entstehen also in unterschiedlichen Situationen. Die Texte werden draußen vom Anblick des Dschungels beeinflusst. Das wäre mit den Bildern sicherlich noch auffälliger.

Tanz

Per Suchbegriff kann man sich im Blog orientieren, wie und wann ich mich in den vergangenen Jahren mit der Arbeit von William Forsythe beschäftigt habe. Das geschah zumeist auf den Transparentpapierrollen 9, 10, 11, und 12 und in der Folge auch in den digitalen Collagen. Es gibt also mehrere Tanzfriese zu Motion Bank und zu YOU MADE ME A MONSTER. Letzterer ging auch eine Verbindung mit GPS – Linien vom Gustavsburgplatz ein.

Gestern stiegen wir mit Cyril Baldy am Abend im Frankfurt LAB in die Improvisationstechniken des Choreografen Forsythe ein. Aus diesen setzen sich seine Stücke zu großen Teilen zusammen. In dem Moment, wo ich das, also eine ganz dünne Schicht dieses Blocks mit meinem eigenen Körper erkunde, ahne ich die Intensität der Arbeit. Ich erzählte unserem Kursleiter von meinem aktuellen Tanzfries. Er möchte ihn gerne sehen.

Auch aus dem Museum für Angewandte Kunst kam eine Reaktion auf meinen Blog. Vielleicht kann ich den Leuten dort auch meine Rollen vorstellen. Mit den Schülern will ich heute zum selben Thema arbeiten. Sie sollen eine kleine Frottage auf einen Transparentstreifen machen, die sie dann beim Zusammenrollen mit Bleistift durchzeichnen und überlagern sollen.

Eingeflochten

Gestern beim Kramen fand ich eine GPS – Zeichnung einer Küstenlinie, der ich dem anschlagenden Wellensaum folgend, hin und her lief. Ergebnis war eine geschwungene Linienkomposition aus lauter kleinen geraden Strichen, die Konstruktion der Bewegungen des Ozeans.

Die zuletzt eingefügten Tanzzeichnungen von 2003, flocht ich nun vollständig in das Gesträuch des Tanzfrieses ein. Ihn versuche ich mit Panoramaaufnahmen einzufangen, die ich vielleicht benötige, um die Leute von der Tanzcompany davon zu überzeugen, dass ich bei ihnen zeichnen kann. Je näher der Probenstart rückt, umso mehr zweifle ich daran, weil mir einleuchtet, welche Konzentration für diese Arbeit notwendig ist.

Am Vormittag ging ich ins Anna-Freud-Institut zu einer YOU&EYE Supervision. Interessant, welche Gespräche sich aus den Erfahrungen der Kollegen mit den Schülern ergeben. Mit Maya sprach ich danach über eine Fortsetzung der Kooperationen der einzelnen Arbeitsgruppen.

Im MAK

In die Collagen habe ich heute eine Zeichnung mit hinein genommen, die ich gestern im MAK auf eine große weiße Papierlandschaft gemalt habe. Das Geschah während eines Tuschmalerei Workshops mit einem Japanischen Künstler. Am interessantesten war es für mich, mit den anderen Teilnehmern gemeinsam zu malen. Diese Form der Kommunikation durch die Malbewegungen und deren Ergebnisse, ist ein besonderer Vorgang.

Morgen gehen wir in das Frankfurt LAB zu einem Tanzkurs zur Technik von Bill Forsythe. Dort hoffe ich auf Inspiration für meinen Tanzfries auf Rolle 11. Diese Arbeit hat auch einiges mit den Rollbildern gemein, die im MAK von Zeit zu Zeit ausgestellt werden. Auch darüber sprach ich gestern an Ort und Stelle. Auf Rolle 11 zeichne ich heute weiter an der Verdichtung der Tanzlinien.

Jetzt im Gärtchen vor dem Atelier sitzend und schreibend bekomme ich Besuch von den Nachbarn, fremden Schwebfliegen und vom Rotkehlchen. Wildbienen unterschiedlicher Art suchen nach Behausungen in meinem durchlöcherten Totholz.

Theater

In den Kammerspielen sahen wir „Die Zofen“ von Genet. Eine verrätselte Inszenierung mit drei Schauspielerinnen in identischen Kostümen und ebenfalls identischen Latexmasken, die ständig die Rollen wechselten. Solche offenen Arbeiten bieten mir reichhaltige Projektionsräume, mit denen ich viel anfangen und gut umgehen kann, im Gegensatz zur Nachtkritik.

Mit Annette, die lange mit der Forsythecompany gearbeitet hat, sprach ich über meinen Wunsch, bei den neuen Proben des Meisters zu zeichnen, die am 1.5. beginnen. Cyril Baldy, unser Workshopleiter am kommenden Dienstag, sei der richtige Ansprechpartner in dieser Sache. Sie machte mir aber wegen der Hermetik der Probensituation, die da normalerweise herrscht, wenig Hoffnung.

Gestern sah ich mir meine Tanzsequenzen auf Rolle 9 von 2021 an. Auch sie gründen auf die Zeichnungen von 2003. Die derzeitige Arbeit auf Rolle 11 führt diese Sequenzen fort. Bin gespannt, wo mich das hinführt. Die Buchmalereien entstanden heute wieder unter Zeitdruck, denn gleich geht es wieder ins Theater zur Premiere „Solaris“ nach Stanislaw Lem.

Quantitätsschwelle

Gestern zeichnete ich noch lange am Tanzfries. In mir wächst die Vorstellung vom Bruch dieser Kontinuität. Das könnte ein Schellackfeld sein, das ich einfüge, um mit ihm das Liniennetz zu verwischen, um dann wieder neu anzusetzen.

Der Widerspruch im laufenden Produktionsprozess fokussiert sich in dem Zweifel an der Innovationsfähigkeit der Arbeitsgänge, die sich stetig ähnlich wiederholen. Einerseits setze ich auf eine Qualitätsschwelle, die sich aus der Aneinanderreihung und Verdichtung der Quantität von selber ergibt. Das steht gegenüber der mutwilligen Veränderung mit Schellack. Die beiden Aspekte vereinigt, ergäben dass ich weiter mache, bis sich die Veränderung von alleine einstellt, beispielsweise eine Verdichtung bis zur Schwärze, um sich dann in der Schellackverwischung aufzulösen.

In Windeseile sind die Buchmalereien entstanden, weil ein Vormittagstermin dazwischen kam. So war ich gezwungen, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Und das erscheint viel malerischer als die Malereien auf den Seiten zuvor.

Zwischen dem Grün

Die Kinder sind manchmal schwer zu bändigen. Sobald wir im Gelände sind, fliegen sie auseinander, verschwinden zwischen dem Grün, das sie zurückschneiden und dabei Holzfiguren finden sollen. Von denen ist schon einen ganze Schar entstanden. Draußen sind manche von ihnen zerstört worden. Doch die Produktion geht weiter und hält dagegen.

Drinnen spielen die Schichten des gefalteten Transparentpapiers eine Rolle. Zwischen ihnen Graphit, Schellack und Tusche, die sich abstoßen, auflösen und neue Welten bilden. Mit dem Material, das wir in den letzten Monaten entwickelt haben, werden wir auch in diesem Jahr eine Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst einrichten.

Auf Rolle 11 sind zwei weitere Tanzfiguren aufgetreten. Mit einer Hand finden sie gleich Anschluss an das laufende Bühnengeschehen. Und dann setzt wieder das gleiche Spiel, wie in den letzten Tagen ein: zuerst nehmen sie die Bewegungsstrukturen auf und werden von ihnen angefüllt. Das geschieht freistehend, bevor sie eingehüllt werden vom Tanz, von den Beziehungen der anderen Figuren zueinander. So stehen sie jetzt leer und weiß zwischen dem Geschehen. Im nächsten Schritt, vielleicht heute, werden sie langsam absorbiert.

Kipppunkt

Auf dem Tanzfries der Rolle 11 zeichnete ich gestern die Überlagerungen der zuvor freigestellten neuen Figuren mit dem vorausgegangenen Material. Im gegenwärtigen Zustand erscheint mir diese Verdichtung besonders harmonisch. Es wird deutlich, wie immer mehr Figuren aus den Gassen auf die Bühne treten und ihre Bewegungen ineinander greifen.

Irgendwann im weiteren Verlauf wird aber ein Kipppunkt erreicht, nach dem das Geschehen nicht mehr lesbar sein wird. Im nächsten Schritt kann dann der Fries rigoros enden, kann aber auch sanft aufgelichtet und entwirrt werden. Das geht, indem ich ein weißes Blatt zwischen die Rollenschichten wickle, das das Geschehen zuvor verbirgt und so weniger Linien durchgezeichnet werden können.

Mit den Schülern möchte ich draußen im Gelände den Sommerflieder zurückschneiden. Dann sehen wir, was wir mit dem verzweigten Holz anfangen können. Gern würde ich es mit Transparentpapier kombinieren. Es kann Frottagen, Tuschzeichnungen, Schellackschichten oder alles zusammen auf sich tragen, es kann gefaltet sein oder von einer zur anderen Figur reichen. Mit dieser Aktion können wir auch wieder Raum schaffen, in dem man sich auf den Gelände wohl fühlen kann.

Der tiefe Garten

Nach den Ostertagen ist der Betrieb auf der Nachbarbaustelle wieder aufgenommen worden. Die Geräusche von Gabelstaplern, Kanalreinigungspumpen und von Metall, das auf Metall geworfen wird. Davor behauptet sich das tiefe Bild des dichten Gärtchens, mit seinen Eidechsensonnenplätzen und den dunklen Verstecken. An einen querwachsenden Ahornast hänge ich Fundstücke von Stränden mit Federn an Fäden auf. Der Wind schreibt mit ihnen Gedichte.

Die Nachbarn sind wieder da, reden beim Rauchen und lachen beim Verladen von Renovierungsmaterial. Über allem steht die Milchsonne, die gefiltertes Licht ausschüttet. Aus dem klaren Wasser der Bottiche steigen Insekten zum raumbildenden Schwärmen zwischen den Baumstämmen auf. Das Gras wächst nach dem Regen zu schnell für die jungen Heuschrecken, die zu leicht und klein sind für diese Wiese.

Morgen kommen wieder Schüler ins Atelier. Und es gibt auch noch andere Arbeitsverabredungen. Besucher des Geländes haben meinen Olivenbaum beschädigt und die Holzfiguren, die ich aus Zweigen und Muscheln mit den Kindern gemacht habe, zerstört. Es ist als müsse man sich mit seiner Kunst verstecken, um nicht Zielscheibe jenes dumpfen Hasses zu werden, der aus dem Minderwertigkeitsgefühl aufsteigen kann.

Einen Moment der Freiheit

Bis in den Abend zeichnete ich gestern auf Rolle 11. Dann entrollte ich Teile von den Rollen 10 und 12. Sofort leuchtete mir das Potential ein, das das Hin- und Herspringen der Motive mit sich bringen würde. Aus ihren „Fließumgebungen“ herausgelöst, werden sie mit den Aggregatzuständen der anderen Rollen zu konfrontiert. Durch eine so angelegte Freizügigkeit können die Ergebnisse unterschiedlicher Kontinuitäten versammelt werden.

Projekte können auch auf verschiedenen unfertigen Rollen entwickelt werden, indem man sie miteinander verknüpft. Den Tanzfries würde ich gerne mit den musikalischen Experimenten verbinden, die ich mit Susanne fortführen will. Das Gustavsburgplatzvorhaben kann ich mit dem 3. Exemplar des Väterprojektes überlagern.

Der Zöglingsweg bei Waltershausen hat wohl mit dem Sportpädagogen Gutsmuths zutun, der in der alten Salzmannschule gearbeitet hat. Sport, Drill und militärische Ertüchtigung haben ja Gemeinsamkeiten. Mein Vater schwadronierte, dass er mich in eine Kadettenschule stecken wolle, weil sie die besten Voraussetzungen für eine Karriere bildet. Schon in der Schule hatten wir Wehrkundeunterricht und im Sport wurde marschiert. In einem Wehrlager des VEB Gummikombinat Thüringen zettelten wir Lehrlinge eine kollektive Befehlsverweigerung an, die streng geahndet wurde. Aber dabei erlangten wir einen Moment der Freiheit.

Fragmented Shelter

Gestern Nachmittag begann ich das Projekt Gustavsburgplatz ausführlicher zu beschreiben. Dabei sah ich mir auch die aufgezeichneten Wege an, die die Schüler gelaufen sind. Die Dreiecksform des Grundrisses mit dem Kreisverkehr an seiner südlichen Ecke, führt zumeist zu einer Kopfform. Mit dieser kann ein Bezug zu den Portraitzeichnungen an den Innenwänden des Kulturkioskes hergestellt werden, die ich 2016 gezeichnet habe. Außen der Gitterkopf an die Fassade montiert, innen die Wandzeichnungen.

Mit dem Tanzfries pausierte ich gestern. Er überfordert mich manchmal mit seiner anstrengenden Dichte. Dann möchte ich dieses komplexe Gebilde zerstückeln, auseinander ziehen und Teile davon herausschneiden. Eine Vereinfachung, die sich auf das Wesentliche konzentriert, wäre der Ausweg. Wie finde ich aber das Wesen in diesem Fließen.

Gestern sah ich mir im Kulturhaus beim Zoo die Performance „Fragmented Shelter“ an. Es handelt sich dabei um eine Zusammenfügung von Sprechtheater, Visuals und Lifemusik. Für die Projektionen und die Musik war Susanne Rentel zuständig, mit der ich schon hier im Atelier experimentiert habe. Ihre Spielweise eines elektronischen Blasinstrumentes hört sich für mich wie sehr freier Jazz an. Die Überlagerungsstrukturen durch den Looper haben Gemeinsamkeiten mit meinen gezeichneten Transparentpapiersequenzen. Auch die Form der Verdichtung ist mir sehr nah. Fast hätte ich mir weniger Text und Schauspiel gewünscht. Dessen Konkretheit verstellte mir etwas das musikalische Hörvergnügen. Auch mit den Bildern, die sich mit Transparenz beschäftigten, konnte ich viel anfangen.

Linien, Schichten, Räume

Der Tanzfries auf Rolle 11 wächst weiter. Es gibt ein Spiel mit den Figurenumrissen. Sie stehen manchmal allein auf dem transparenten Papier und sind mit den Liniennetzen der Vortage gefüllt. Dann folgt die Umkehrung. Sie erscheinen leer inmitten der Linienverdichtungen, sie erscheinen abwesend.

Immer noch habe ich das Konzept für das Gustavsburgplatz-Projekt nicht geschrieben. Noch fehlt die Verbindung zu meinen Gedanken zum Tanzfries und zum Väterprojekt. Kann ich die Ganglinien mit Texten und Tanzräumen verbinden, bin ich motivierter eine Struktur zu entwickeln.

Die Zeichnungen, die ich 2003 im Ballettsaal gemacht habe erinnerten mich heute an die Tänzerin Heidi Viertaler, die gut als Figur zu erkennen ist. Sie arbeitet jetzt als Dozentin in der Folkwang Uni und entwickelte eine Tanzpraxis mit dem Namen Streamflow. Eine tiefere Verbindung zum eigenen Körper versetzt ihn in einen Zustand eines Organismus, der wie von allein die Möglichkeiten eines begrenzten Raumes auslotet. Diese Methode passt zu den Gängen auf dem Gustavsburgplatz. Passend dazu fand ich gerade ein Rasterportrait des Großvaters Fizner, beschichtet mit einem gewanderten Liniennetz.

Zöglingsweg

Das Vorhaben, ein drittes Exemplar des Väterportraits zu machen, bekommt konkretere Vorstellungen. Dort will ich mich mit den Auswirkungen von physischer Gewalt auseinandersetzen. Noch heute wohnen Reaktionen in meinem Körper, die mit der Erwartung von körperlichen Strafen zutun haben. Die Bilder der Prügelorgien sind immer gegenwärtig. Mit dererlei Erinnerungsarbeit habe ich innerhalb des Väterprojektes schon gute Erfahrungen gemacht

Mich interessiert, inwiefern das Zufügen von Schmerzen und Erniedrigungen in der menschlichen Natur existiert. Aggressivität und Wutausbrüche, die sich gegen Schwächere richten oder gegen Gruppen, denen eine Schuld unterstellt wird, sind ja alltäglich. Auch die Kompensation eines Selbsthasses kann auf meinen Vater zutreffen, der die homoerotische Seite seiner Existenz verleugnen musste, sich nicht eingestand und dagegen ankämpfte. Es geht also um persönliche und gesellschaftliche Verquickungen.

In der Nähe des Kinderheimes „Klostermühle“ bei Reinhardsbrunn, in dem mein Vater gearbeitet hat, gibt es den Zöglingsweg. Es wäre ein schöner Beginn, diesen Weg mit einer Kamera und einem GPS-Gerät zu gehen. Vielleicht gibt es ja in einer Chronik Auskunft über die Herkunft des Namens.

Aus der Nische

Beim Aufräumen fand ich Entwurfszeichnungen für den Marmorbrunnen, den ich vor fast zwanzig Jahren für Barbara Neu gemacht habe. Die realistische Figur eines liegenden Jungen, aus dessen Hand das Wasser fließt. Darauf bin ich nicht stolz. Wir haben uns dann auch auf eine abstraktere Variante geeinigt. Diese Zeichnungen habe ich gestern aussortiert und fast alle weggeworfen.

Mit etwas willkürlichen Fragmentierungen der sich stapelnden Tanzfiguren, half ich mir auf Rolle 11 weiter. So entstehen Freiräume für die Suche nach dem Wesentlichen, z. B. durch das Einfügen neuer gezeichneter Tanzumrisse.

In einer Nische zwischen den Regalen im Gärtchen steht mein Korbsessel. Dort sitze ich, wenn es warm genug ist, während des Schreibens. Rechts und Links neben mir hängen Ketten aus dem Material, das ich bei Strandspaziergängen an Andalusiens Atlantikküste aufgefädelt habe: Korallenstrukturen, Schneckenhäuser und Konglomerate aus Lava, Kieseln und Austernschalen.

Neu definiert

Gestern habe ich nur das ausführliche Tagebuch gemacht. Das besteht aus den 3 Buchmalereien, den handschriftlichen Texten, den 3 Collagen und aus den 3 Texten, die für den Blog gemacht sind. Die Transparentpapierrolle ließ ich liegen, scannte nur ihren letzten Teil für die Collagen.

Außerdem probierte ich den Geo Tracker auf meinem Mobiltelefon aus. Heute mit den Schülern war es etwas schwierig, weil sie wenig motiviert waren und auch mit der Installation der App auf ihren Handys nicht gut zurechtkamen. Das enttäuschte mich etwas, weil ich für diese Raumunternehmungen sehr viel investiere.

Die Linien, die auf dem Gustavsburgplatz entstanden sind möchte ich nun gerne mit dem Tanzfries verbinden. Die Raumumschreibungen sollen sich ergänzen und verdichten. Indem ich die künstlerische Arbeit etwas reduziere, hoffe ich auf eine Konzentration auf das Wesentliche, das aber immer wieder neu definiert werden muss.

Tanz I Raum

Sonntag. Ich blicke auf den Tanzfries und schaue den Insekten im Garten zu, den Gebetsfahnen im Wind. Sprenkelnd wässere ich die Bäume, schaue auf die zerspringenden Tropfen, höre den heiseren Gesang der Meisen und das Signal einer Rangierlok. Zwei Frauen, die mich besuchten führte ich das Fließen der Transparentpapierrollenbilder vor.

Auf Rolle 11 nahm ich mir weitere Zeichnungen vor, die ich 2003 von einer Choreografie von Georg Reischl gemacht hatte. Das Material mischt sich mit dem GPS-Gang im Lustgarten. Viele Projekte, die ich mir vornehme haben mit Bewegung zutun und mit dem Raum, die sie umschreibt.

Nun wird es morgen doch nicht regnen. Für meine Schüler habe ich eine Tracking-App heruntergeladen und möchte ihre Eignung für die Gänge auf dem Gustavsburgplatz prüfen. Mit diesem Instrument könnte jeder für sich eine individuelle Kartierung herstellen. Am Ende kann man sie alle übereinander zeichnen.

Aussortieren I Tanz

Gestern Nachmittag setzte ich den Tanzfries auf Rolle 11 fort, wie ich es am Vormittag gedacht und beschrieben hatte. Die Liniengeflechte, die so entstanden sind, fügte ich heute in die Collagen ein. Parallel holte ich aus dem oberen Fach meiner Regale einen Stapel Strukturpapier, das ich vor vielen Jahren mit Farbverwischungen versehen hatte und sah die Arbeiten durch. Dreiviertel davon sortierte ich aus und trug die in den Papiercontainer, der unter der Bahnbrücke steht. Das war ein schmerzlicher Anfang.

Demnächst probiert Bill Forsythe ein Stück mit der hiesigen Tanzcompany, die wir vorgestern im Bockenheimer Depot sahen. Ich überlege, ob ich fragen sollte, bei einer seiner Proben zeichnen zu dürfen. Das würde die Arbeit am Tanzthema beflügeln.

Am Montag wollte ich mit meinen Schülern einen GPS-Gang über den Gustavsburgplatz machen. Aber es wird regnerisch sein, und ich muss mir ein Ersatzprogramm ausdenken. Vielleicht könnten wir die Pflanzen aus dem Atelier räumen und mit ihnen eine Gartengestaltung machen. Sie soll der Schönheit und der Praktikabilität folgen.

THE LAND WITHIN

THE LAND WITHIN sahen wir gestern von unserer Dance Company im Bockenheimer Depot. Ich würde das als einen Performance Stationenabend bezeichnen. Es kamen große schwingende Flugwerke und klaustrophobische Nebelkammern zum Einsatz. Alles konnte man als Zuschauer durchwandern und mit den Darstellern Kontakt aufnehmen. Mir gelang das auch in mehreren Fällen, was mir besonders gefiel und zu kleinen gemeinsamen Szenen führte. Es gab eine Handflächenannäherung und ein Reaktionsspiel mit Gesten von oben in eine tiefe Kammer.

Der zweite Teil bestand dann aus einem Tanzstücke mit 3 Personen. Dazu nahm man auf den Zuschauerrängen Platz und fühlte sich wie in einer normalen Vorstellung. Sehr emotionale Szenen waren das die frei in ihrem Bewegungsschwung den Raum ausmaßen.

In der Nebelkammer fotografierte ich ein wenig und würde das Material gerne in meinen Tanzfries einfügen, an dem ich gestern auf Rolle 11 weiter arbeitete. Die Tanzzeichnungen von 2003 durchdringen sich dort. Gerne möchte ich sie im weiteren Fortfahren übereinander schichten, um zu einer erneuten Konzentration des Tanzthemas zu kommen.

Der nächste Schritt

Auch die Konzentration auf die farbigen Lavasteinabdrücke und auf das wenige, was ich hinzufüge, kommt mir wie ein Rückzug vor. Keine aggressive Spannung durch geradlinige Konstruktionen, die einen Gegensatz zu den harmlosen Gasblasenumrissen und ihren schönen Farben bilden. Es herrscht eine Sehsucht nach spielerisch-kompositorischen Einklängen. Aus diesem Treibenlassen kann sich aber auch ein strenges Konzept entwickeln.

Noch einmal sah ich gestern davon ab, an den Transparentpapierrollen weiter zu arbeiten. Vom obersten Regalfach holte ich die Stühle, die ich restaurieren will und reinigte sie. Die Leiter ließ ich stehen als Erinnerung die Sichtungs- und Aufräumarbeit fortzuführen.

Aber das Zeichnen auf den Transparentpapierrollen fehlt mir. Es wäre gut, das Atelier für ein Zusammenspiel von Sichtung, dem Ordnen, Entsorgen und begleitendem Zeichnen einzurichten. Das ist der nächste Schritt.

Verweigerung

Das mutwillige Fernhalten von der Arbeit, beispielsweise an den Transparentpapierrollen, zieht widersprüchliche Gefühle nach sich – das der Leere und das der Freiheit.

In den Buchmalereien nehme ich immer wieder die Lavasteinstrukturen auf, gestern ganz ohne Beiwerk außer ein paar Umrisslinien. Auch heute fand dies sehr reduziert statt. Stattdessen beschrieb ich im Buch meine Gartenarbeit und die Artenvielfalt.

Dieser allgemeine Rückzug in den letzten Tagen, hat vielleicht mit den Nachrichteninhalten zutun. Die Konzentrationen der Unverantwortlichkeit, des ausufernden Egoismus, der Selbstüberschätzung und der Unvernunft führen bei mir zu einer Form der Verweigerung. Dabei hat jede Zeichnung, die entsteht, das Potential der Hoffnung, zunächst für mich aber auch ausgesendet in den täglichen Collagen.

Arche I Stabkarten I Gärtchen

Gestern war ich beim Einweihungsgottesdiest meiner Sakralobjekte im ökumenischen Gemeindezentrum Arche, in Neckargemünd. Für ein paar Worte zum Entstehungsprozess bekam ich einen herzlichen und langen Applaus. Das war ein wenig wie Nachhausekommen. Die Feier war schön gestaltet und Tobias hat eine gute Predigt gehalten. Und die Leute können singen! Danach gab es ein Essen und ich beantwortete geduldig alle Fragen zu meinem Vorgehen.

Jetzt, wieder in Frankfurt, kreisen meine Gedanken um das Gustavsburgplatz Projekt. In einer Woche beginne ich damit schon mit meiner Schülergruppe. Spontan fällt mir dazu ein, dass ich mit ihnen eine Polynesische Stabkarte aus unseren gewanderten Linien herstellen könnte. Das wäre die Fortführung unserer skulpturalen Arbeit mit Pflanzenteilen und gleichzeitig die Vorbereitung eines geschweißten Wandgitters mit ähnlicher Gestalt.

Aber es zieht mich auch zum Aufräumen im Atelier, in mein Gärtchen und auf die Wiese am Bahndamm zu den Raumgestaltungen mit der Gartenschere. Außerdem will ich die Riesenpusteblumen in meine Pflanzschalen säen.

Gustavsburgplatz

Gestern traf ich eine Dame von der Deutschen Bank, mit der ich vor einiger Zeit über das Gustavsburgplatz – Projekt gesprochen habe. Wir redeten nun schon etwas konkreter über Zeiträume, Teilnehmerzahl, Organisationsanbindung und über ein Honorar.

Ich tendiere bei solchen Themenfindungsprozessen immer dazu, einen möglichst weitwinkligen Blick zu behalten, um alles Mögliche mit einbeziehen zu können. Wenn ich dann einen Tag später daran denke, wie ich das alles umsetzen soll, wird mir nicht selten etwas flau…

Ich will das Programm über einen längeren Zeitraum strecken, damit ich mich nicht wieder übernehme. Eine Grundstruktur ist die Dreiteilung. Drei Gruppen zu jeweils drei Teilnehmern, machen drei verschiedene Gänge über den Gustavsburgplatz und nehmen sie mit GPS auf. Im Atelier sollen sie dann auf Transparentpapier übertragen und kombiniert werden. Im zweiten Schritt werden 3 Motive auf etwa 2X2 Meter vergrößert. Aus diesen Motiven erstelle ich eine finale Variante, die dann im 3. Schritt auf den Boden vor dem Atelier gezeichnet wird. Diese Zeichnung dient als Vorlage für die zugeschnittenen Metallstäbe, die dann zu einem Gitter zusammengeschweißt und an einer Wand im Freien befestigt werden.

Raum schaffen

Das Frühjahr ist eine gute Zeit, um Räume zu schaffen. In der Tradition des Frühjahrsputzes wurde in meiner Kindheit der Winter hinausgefegt, und es wurde Platz für neue Bewegung in der Wärme geschaffen. Die Tonscherben, die ich jahrelang draußen aufgehoben habe, können nun zusammen gelesen, zerkleinert und unter die Erde gemischt werden, die dadurch länger feucht bleibt.

Tausende winziger Insekten schwärmen mir um die Füße, über den Tisch auf dem das Tagebuch mit den heutigen Buchmalereien liegt. Es scheinen Eintagsfliegen zu sein, denn am Abend sah ich sie gestern auf meinen Wasserflächen liegen. Jetzt, beim Schreiben, muss ich aufpassen, dass ich sie nicht einatme.

Die Produktion ist nicht, wie nach jeder Reise sonst, gleich wieder in Gang gesetzt worden. Ich beginne mit dem Aufräumen. Bei schönem Wetter im Gärtchen. Dann hole ich die vier Stühle vom Regal herunter, die ich reparieren und aufarbeiten möchte. Und die Scans der Buchmalereien, die ich in Lajares auf der Insel gemacht habe, werde ich noch machen.

Freiheit

Von der Sonne beschienen leuchten winzige schwärmende Insekten vor dem tiefen Schatten, im Gegenlicht des Gärtchens. Ich muss mir den Strohhut nehmen, so intensiv ist die Strahlung. Meine Freiheit als Pensionär und Künstler habe ich neu entdeckt. Das setzt mir nun oft ein Lächeln ins Gesicht.

In die Erdschicht auf dem Beton, in der meine Bäume wachsen, lasse ich etwas Wasser tröpfeln. Sie ist von Laub bedeckt und speichert dadurch die Feuchtigkeit gut. Gestern Nachmittag sind die Eidechsen raus gekommen und heute schon in der Morgensonne. Aber die meisten frostempfindlichen Pflanzen stehen noch im Atelier, denn es wird noch einmal kalt.

Mit dem Aufräumen will ich in den obersten Regalen beginnen, weil das am aufwendigsten ist. Ich bin gespannt, was mir alles begegnen wird und was mich zur Weiterarbeit reizt. Zwischendrin verändere ich mit der Gartenschere die Landschaft. Mit ein paar Schnitten können neue Räume entstehen. Stellt man dann eine Sitzgelegenheit so hin, dass die Hecke im Rücken und die Wiese im Blick liegt, ist ein neuer Aufenthaltsort geschaffen.

Nach der Auszeit

Vormittags bereitete ich mein „Schülertreffen“ im Atelier vor. Die Stunden füllten sich mit Frottagen, Zeichnungen, Pappmacheherstellung, mit dem Abformen von Relieffragmenten des Väterprojektes, Holzhacken und der Einrichtung einer Eidechsenbehausung am Bahndamm, bis hin zur Produktion von einem Hip Hop Video. Da soll einer sagen, wir seien nicht vielfältig.

Ich habe 14 Tage auf einer Insel von der Arbeit abgesehen. Und nun soll sie, wie meistens nach einer solchen Auszeit, anders wieder anlaufen, mit mehr Ruhe und weniger Anstrengung, wie es dem Alter entspräche. Oft ordnet sich vieles der Strenge unter. Mehr Spiel wäre mein Wunsch.

Morgen beginne ich erst einmal die ganzen Buchmalereien, die ich mit Hilfe der Abdrücke gefundener Schalentierfragmente angefertigt habe, zu scannen. Und dann will ich mich in die Arbeit des Sichtens und Ordnens meiner Arbeit begeben. Das wird auch mit einer neuen Form der Produktion zutun bekommen.

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Tanzfries

Was gerade auf Rolle 11 entsteht, hat etwas von einem Tanzfries. In den Neunzigern habe ich so etwas mal groß gemalt. Jetzt kommt es anders und klein wieder, auf einem Transparentpapierstreifen. Die fließenden Bewegungen werden von den konstruktiven Linien aus dem Untergrund der Rolle kontrastiert. Noch bleiben die Umrisse der Einzelfiguren und Gruppen deutlich und intakt. Das aber will ich im nächsten Arbeitsschritt ändern und ein Bühnengewusel entstehen lassen.

Im Schauspiel sahen wir gestern Abend eine Dramatisierung des Romans „Don Quichote“. Der Wahnsinn der Hauptfigur, die die Voraussetzung der Handlung ist, konnte in ihrer Darstellung nicht überzeugend gezeigt werden. Deswegen verliere ich keine weiteren Worte.

Aber wir trafen Nils Tabert vom Rowohlt Verlag, den ich länger nicht gesehen habe. Der Intendant kam an unseren Tisch, spendierte uns Wein und sprach lange mit Nils über die Untiefen und Spannungsfelder der Inszenierung.

Umrisse von An- und Abwesenden

Für die Handkantenabdrücke in den Buchmalereien habe ich heute eine eingefärbte Muschel benutzt, deren Struktur ich in alle 3 Formate im Buch übertrug. Die Formenvielfalt meiner Sammlungen von Meerestierenschalen und Steinen ist umfangreich. Ihr überschwänglicher Reichtum an Gestalt, verschafft mir oft ein visuelles Glücksgefühl. Die Schönheit in unendlichen Varianten.

Gestern hatte ich den ruhigsten und besten Arbeitstag der letzten Wochen. Auf Rolle 11 nahm ich mir eine weitere Tanzzeichnung vom Februar 2003 vor. Es ist der Umriss einer Figurengruppe, die in ihrer Mitte eine abwesende Gestalt umringt. Ihr Umriss ist nach oben offen. Dort schwebt ein Bildschirmkopf. Die anderen, „anwesenden“ Umrisse füllte ich mit den Tanzfigurenlinien der verdichteten Zeichnung mit der ich vorgestern arbeitete. Auf diese Weise entstand eine Szene aus mehreren Schichten.

Ich überlege mir, ob die Kombination vom Aufräumen, Erinnern und den Begegnungen von alten Gestaltungen in neuen Zeitschichten, innerhalb eines Projekts, im Gleichgewicht betrieben werden kann. Wird das Zeichnen nicht immer wichtiger bleiben und mehr Zeit beanspruchen als das Ordnen der vielen Arbeiten?

Like A Complete Unknown

Im Kino sahen wir den neuen Dylanfilm „Like A Complete Unknown“. Die Erinnerungen, die mit den Songs verbunden sind und auch die historische Gestaltungsgenauigkeit, waren frisch und anrührend – der Hauptdarsteller, der gesungen hat wie Dylan selbst, war wirklich exzellent.

Die Arbeit an Rolle 11, die gerade neu anläuft, steuert wieder auf diese kontinuierliche Unaufhörlichkeit zu. Weil ich parallel dazu auf Rolle 12 weiterarbeiten will, hoffe ich einen Weg zu finden, das ganze etwas weniger zwanghaft anzugehen, denn ich möchte diese Betätigung mit dem Ordnen meiner Arbeit verbinden und nicht nur zeichnen.

Mit den Schülern war ich gestern wieder draußen. Dort sind sie schwerer zu bändigen. Holzarbeiten standen an. Zum Beispiel sägten wir einen tief wachsenden störenden Ast von einem Baum ab, zerteilten ihn mit der Säge in Stücke und hackten dann Holz. Ich gehe selbst gerne mit der Gartenschere über die Wiese zum Bahndamm, um den Raum zu gestalten. Das ist ein wenig wie Bildhauerei und Rauminstallation. Es entsteht eine neue Aufenthaltsqualität.

Alte Zeichnung, neue Dynamik

Aus einem Karton nahm ich die Kopie einer Zeichnung, die ich im Februar 2003 für eine Installation im Bockenheimer Depot angefertigt habe. Sie ist ein Blatt von vielen Stapeln, die auf dem schwarzen Bühnenboden liegend ein Raster bildeten. Die Zeichnungen fertigte ich während der Proben zu einem Tanzstück von Georg Reischl an. Die Zuschauer, die das Stück sehen wollten mussten über dieses Hindernis hinweg steigen.

Da Rolle 11 noch nicht bis zum Ende fertig gezeichnet ist, nahm ich eines dieser Blätter und fügte das Motiv am Ende des gezeichneten Streifens ein. Danach ging es in der Weiterarbeit eine Verbindung zu den GPS-Linien von Lustgarten und den Textfragmenten: „SEHT DORT DIE FÜNF ALS PATE DER BLICK VON DORT“, ein. Die Worte aus Anne Roman „Hinter den Mauern der Ozean“, dem Stasibericht von Heinz Werner über mich und einem Interview mit mir, sind nach den Tabolinien ausgerichtet. Somit bekommen die Bühnenfiguren neue Dimensionen. Das gezeichnete Geschehen erfährt eine andere Dynamik.

Der Blick in die Tagebuchaufzeichnungen, die sehr kleine und dichte Buchmalereien umrahmen, zeigt meine damalige Umtriebigkeit. Stadtentwickler, Immobilienunternehmen und Bürgerinitiativen trafen sich auf scheinbarer Augenhöhe. Aber die Stadtgestalt wurde dadurch beeinflusst. Und die Kunst fand damals parallel dazu, so selbstverständlich, wie nebenher statt.

Rückblick auf Rolle 12

Nach dem Einkauf am Morgen fühlt sich der Tag frei an. In Ruhe und im Besitz der Normalkraft, an den Ateliertischen arbeiten zu können, ist erholsam. Gestern ist Rolle 10 aus dem Humboldt Forum zurückgekommen, und in der vergangenen Woche brachte ich Rolle 11 aus dem Tibethaus wieder mit. Hier auf dem Tisch liegt Rolle 12.

Und Gegenstände liegen herum, die ich mit Erinnerungen an Menschen verbinde. Sie sind wie Artefakte einer Ausgrabung. Ich denke an Wolfgang Engel, der vor ein paar Tagen gestorben ist, an unsere gemeinsame Zeit in Dresden, an seine Inszenierung von „Medea Stimmen“ von Christa Wolf, wo ich auch gezeichnet habe. Diese ganzen Blätter, die ich während Schauspielproben, Konzerten und Ballettproben gemacht habe, werde ich nun ordnen und womöglich mit einer Sequenz auf Rolle 12 verbinden, um diese Arbeit noch einmal auszuweiten und auf einen anderen Punkt zu bringen.

Wenn ich über die Wiese zum Bahndamm gehe, stehen da die Tiere aus Astwerk, die die Schüler hergestellt haben. Sie begeistern sich für den Umgang mit Holz aller Art. Sie lernen das Schärfen und den Umgang mit den Bearbeitungswerkzeugen. Beim nächsten Mal würden sie am liebsten Bäume fällen.

Abschluss

Im Tibethaus richtete ich mir einen Arbeitstisch ein, der von einer Kamera beobachtet wurde. Die Projektionsfläche dieses Bildes fand sich direkt über dem Foto des Dalai Lama. So verbanden sich die Linien der Rollen 11 und 12 mit seinem Lächeln. Ich zeichnete an den Tabofiguren weiter und glitt so vom Arbeiten, wie von alleine in den Vortrag. Der Saal war gut besetzt mit aufmerksamen, freundlichen Leuten. Ich bekam viele nette Dinge zu hören, was mir natürlich gut tat.

Nach mir sprach Peter van Ham über sein Lebenswerk, das wirklich eine große, kontinuierliche Arbeit für die Erhaltung des Tibetischen Kulturerbes darstellt. Es bleibt zu hoffen, dass seine Anstrengungen die Mönche so weit erhellen, dass sie sich ernsthaft um das Bestehen der Schätze kümmern.

Nun sind die Aufgaben erst einmal erledigt. In der Ausstellung in Berlin waren 60000 Besucher. Auch dort habe ich viele neue Kontakte knüpfen können und fand einen erfolgreichen Abschluss. Die Arbeit in Neckargemünd ist ebenfalls gut gelaufen. Der Vortrag, den ich gestern hielt, beschäftigte mich vorher eine ganze Weile, ich dachte oft an die Gestaltung dieser Situation. Sie war locker und etwas spielerisch, wie ich es mir erhoffte.

Präsentation von Rolle 11

In die Bilderdatei, die ich heute während der Präsentation von Rolle 11 zusätzlich zeigen möchte, füge ich nachher noch Collagen ein, die sich aus den gezeigten Motiven zusammensetzten. Ich schwanke, ob es logischer wäre, erst die Federzeichnungen der Rolle zu zeigen und dann die farbigen Bilder, die damit zusammenhängen oder umgekehrt.

Dies miteinander zu vermischen, ist mir zu kompliziert, weil sich die Tabolinien sowieso schon mit so vielen Themen verbinden. Also versuche ich die Dinge nacheinander zu ordnen, um den Geist nicht zu verwirren.

Aus gegebenem Anlass und um mich in das Vortragsthema hinein zu begeben, arbeitete ich gestern an Rolle 12 weiter. Ich nahm mir die Umrisse der 20 Tabofigurationen, die aus den Verdichtungen hervorgegangen sind, vor und zeichnete sie auf den Streifen. Dann begann ich die Felder mit den durchscheinenden Linienmustern zu füllen. Ich will zeigen, wie sich die Tabolinien mit meinem künstlerischen Leben verbunden haben.

Holz

Vorerst bauten wir gestern kleine zarte Figuren aus Schafgarbestängeln. Dann aber entdeckten die Schüler das Holz der Gesträuche und der Bäume, holten Astscheren, Sägen und Beile. Dann war kein Halten mehr und der wichtigste Ort wurde der Hackklotz neben der Wiese. Die Übungen mit den scharfen Werkzeugen werden von mir eingeführt und überwacht. Mein Vertrauen, das auf die Vernunft baut, das Gelernte anzuwenden, wird meistens belohnt. Die größte Figur maß eine Höhe von etwa 1,5 m.

Als sie gegangen waren, blieb ich noch eine Weile mit der Gartenschere am Bahndamm und schnitt die Brombeersträucher zurück. Am späten Nachmittag wurde es warm und kleinen Mückenschwärmen konnte ich im Gegenlicht der Sonne beim Tanzen zuschauen.

Nachher will ich den morgigen Vortrag noch etwas vorbereiten. Ich stelle mir einen Zeichentisch vor, auf den eine Kamera gerichtet ist. Man kann sehen, wie ich auf Rolle 12 durchscheinende Muster auf die äußere Rundung zeichne. Dann zeige ich die vorbereiteten Bilddateien, nehme auch das entsprechende Tagebuch mit den Buchmalereien mit, deren Umrisse einen Auftritt auf Rolle 11 haben.

Arche I Schüler I Tibethaus

Die Arbeit Im ökumenischen Gemeindezentrum Arche in Neckargemünd habe ich beendet. Die Begegnung mit den Objekten, die ich vor langer Zeit angefertigt habe, war mehr als eine bloße Widerbegegnung. Allein die Vorbereitung durch die Dornenkronensequenz erweiterte den damaligen Arbeitsansatz. Alles ist zu einem guten Ende gekommen, auch durch das schöne Zusammenspiel mit der Gemeinde und meinen Gastgebern.

Nachher kommen meine Schüler. Mir ging durch den Kopf, mit ihnen gemeinsam die 16 Tafeln des Väterreliefs im Ausstellungsraum auszulegen. Danach könnten wir dann mit den Formen arbeiten, Frottagen von ausgesuchten Stellen machen und dieselben Areale dann mit Pappmache abformen. Diese Reliefs könnten dann in Bezug auf die Frottagen barbeitet werden. Sowohl die Frottagen als auch die Reliefs werden zeichnerisch erweitert.

Wenn sie dann weg sind, kann ich an meinen Vortrag im Tibethaus denken, der Übermorgen stattfinden soll. Gestern schaute ich mir eine dafür zusammengestellte Bilddatei an, um mir noch einmal den roten Faden zu vergegenwärtigen. Gerne würde ich etwas von der Atmosphäre der planvollen Improvisation herstellen, eine Werkstattsituation nachempfindbar machen, an der die Zuhörer mit Fragen und Beiträgen teilnehmen können. Das hieße aber viele Enden der roten Fäden offen zu lassen…

Alte Arbeitsstrukturen

Die Arbeit in Neckargemünd ist schon weit fortgeschritten, ging schneller als ich dachte. Die Konzentration die den ganzen Tag anhält, zahlt sich aus. Anne schickte ich ein Foto vom fertig gemalten Kreuz. Sie antwortete, dass es wie der Frühling leuchtet. Damit meinte sie ein Aquarell das ich in den Achtzigerjahren gemalt hatte und das nun bei ihr im Wohnzimmer hängt. Die malerische Struktur ähnelt der des Kreuzes seht stark.

Bei allem schönen Arbeiten in der Arche, bin ich dann auch froh, wenn ich fertig bin und mich wieder den anderen Dingen widmen kann. Mit dem Vortrag im Tibethaus über die Arbeitsweise auf Rolle 11, kann ich wieder einschwenken in die Beschäftigung mit den Transparentpapierrollen, kann dann diese Kontinuität fortsetzen.

Das nächste Projekt ist die Sichtung der vielen Arbeit, die ungeordnet im Atelier liegt. Das würde ich gerne mit einer Aufnahme der älteren Motive einhergehen lassen, damit auch aus diesem Vorgang Bilder entstehen.

Schüler I Lasurmalerei

Für die Schüler, die heute ins Atelier kommen, habe ich gestern die Masken, die sie bei unserem vorigen Treffen in die Formen gedrückt haben, herausgelöst, korrigiert und ergänzt, damit sie sie heute gleich bemalen können. Ein ukrainisches Mädchen ist dabei, die zeichnerisch sehr begabt ist. Ihr möchte ich heute eine größere Aufgabe stellen.

Von einem der vorausgegangenen You & Eye – Veranstaltungen habe ich noch ein Kraftfeldrelief, das den Umriss eines Kleiderschnittes hat. Das könnte sie mit ihren Motiven versehen. Es ist ziemlich groß und könnte sie vielleicht auch überfordern. Wir werden sehn.

Morgen bin ich wieder in Neckargemünd. Darauf freue ich mich, denn der Rest der Arbeit läuft auf Lasurmalerei hinaus. Zeit dafür habe ich mir schon eine ganze Weile gewünscht. Es erinnert mich an meine Malereien der Achtzigerjahre, dieses Glück mit dem Entstehen einer zarten Farbigkeit. Und diese Konzentration darauf, die den ganzen Tag ohne Pause anhalten kann, ist ein wirkliches Geschenk.

Altarobjekte

Die Arbeitstage in Neckargemünd sind intensiv. Ich konzentriere mich den ganzen Tag, fast ohne Pausen auf die Übertragung meiner Vorstellungen, die ich mir im Atelier gemacht habe, auf meine Altarobjekte, die ich vor fast vierzig Jahren angefertigt habe. Im Lauf ihrer Überarbeitung, habe ich festgestellt, dass sie zumindest handwerklich solide gemacht sind. Die Rhythmen der Kerbschnitte, die von der Dornenkronenstruktur durchsetzt sind, sind stimmig. Sie erinnern mich an die letzten großen Auftragsmalereien in der DDR. Große optimistische Schwünge.

Ich werde sehr freundlich von der Gemeinde aufgenommen, wohne bei lieben Leuten und habe anregende Diskussionen mit den Menschen, die mich bei meiner Arbeit besuchen. Während eines Informationsabends, an dem ich meine Arbeitsweise erläuterte, meinte eine Frau, das eigentliche Kunstwerk sei die Dornenkronensequenz auf den drei Transparentpapierstreifen, die ich nebeneinander im Kirchenraum aufgehängt hatte.

Das Kreuz, an dem ich zunächst bin, wollte ich eigentlich liegend bearbeiten, damit ich mit dem schwimmenden, eingefärbten Lack besser umgehen kann. So könnte die Farbigkeit bewegter werden. Aber das Kreuz steht immer noch, und ich stelle mich langsam auf die Situation ein. Der Vorteil ist, dass ich in den schönen Raum so weit zurückgehen kann, um die Struktur- und Farbverteilung besser zu überblicken und die Wirkung im ganzen Raum besser einschätzen kann.

Im Heimathafen

Bin ich viel unterwegs, dann ist das Tagebuch mein Heimathafen, auch wenn es im Rucksack steckt oder auf dem fremden Tisch liegt. Auch in dem großen Kirchenraum der Arche in Neckargemünd schreibe und male ich gerne.

Es gibt beim Umlagern des Kreuzes in eine Rückenlage, damit ich besser daran arbeiten kann, Verzögerungen. Deswegen bin ich nicht so in die Arbeit daran gekommen, wie ich mir es vorgestellt hatte. Langsam kristallisiert sich aber eine Arbeitsweise heraus, deren Reihenfolge etwa so bleibt, wie ich mir es zu Hause Im Atelier vorgestellt hatte. Eine Schwierigkeit bestand darin, die Graphitlinien auf das Holz zu übertragen. Der Lack ist so hart und abweisend, dass er die durchgezeichneten Striche nicht annimmt. Aber wenn ich meinen eigenen lasierenden Lack unter die Durchzeichnung streiche, dann bleibt das Graphit haften. Und so beginnen sich die Flächen, auf denen sich das Linienmaterial ausbreitet, auf der Oberfläche spannungsvoll zu verteilen. Ich gehe von dem inneren Bereich, neben dem Korpus Christi langsam nach außen und dann später auf die anderen Objekte über.

Heute bin ich im Atelier, weil nachher meine Schüler kommen. Morgen früh fahre ich wieder zurück.

Die tröstliche Routine

Die tröstliche Routine, die nur langsame Veränderungen zulässt, neutralisiert die Aufregung etwas, die rundherum herrscht. Die Lavasteine, die neben den Farben liegen halten den Moment ihrer Erstarrung fest. Die Wellen meines Lampenlichts durchdringen die Höhlungen und treten manchmal auf der anderen Seite wieder heraus auf die Fläche des Tisches.

Daneben liegt Annes Roman „Hinter den Mauern der Ozean“. Ich schlage ihn auf, um mich an Worten festzuhalten, die ich für das Gehen benötige. Einen Vorrat von ihnen anzulegen, bedeutet Strecke machen zu können. Morgen fahre ich nach Berlin und nehme das GPS-Gerät mit und meine Bilder von Breslau für meine Tochter.

Zeichnungen der Figurenfragmente des Pergamonaltars, die ich auf Transparentpapierrollen gemacht habe, gehen mir durch den Kopf. Habe ich sie mit gewanderten Linien verbunden? Oder denke ich das jetzt nur? Ich sollte Rolle 12 mitnehmen nach Neckargemünd, um die streng regulierte Arbeit an den Sakralobjekten etwas aufzulockern. Motive, die ich dort auf dem Transparentpapier entwickle könnten in die Gestaltung der Holzfelder mit einfließen.

Sisyphos

Die Schüler haben gestern Masken abgeformt. Dafür hatte ich ihnen Pappmache hergestellt, das ziemlich weich war und sich anfühlte wie Kuhscheiße. Es gab Proteste und Arbeitsverweigerungen. Lieber höhlen sie den Stamm aus, der in einer Durchführung des Ateliergebäudes liegt. Das geschieht mit viel Geschrei und Gehämmer. Die ruhigeren Kinder flechten die Zweige des Weidenbaums zu Ringen.

Als sie weg waren, zeichnete ich weit bis in den Abend auf Rolle 12. Außerdem packe ich die Dinge zusammen, die ich für die Arbeit an den Sakralobjekten in Neckargemünd benötige. Es gibt Unsicherheiten dabei, was Werkzeuge und Zeit angeht, die ich benötigen werde, um diese Arbeit fern von meinem gewohnten Arbeitsplatz, dem Atelier zu machen.

Auf dem Weg hier her am Morgen habe ich wie immer Müll aufgesammelt, den ich in die Papierkörbe werfe. Christian, ein offensichtlich ziemlich traumatisierter Flüchtling, beobachtet mich an fast jedem Morgen dabei. Angesichts dessen sprachen wir über Sisyphos und seine Strafarbeit. Er meinte, dass das Glück immer nur kurz währt, während der Stein oben angekommen ist. Man müsste ihn mit mehreren kleineren Steinen arretieren, damit es anhält. Aber der Denkfehler dabei ist: das wiederholte Hinauf- und Hinabrollen ist das Glück!

Roter Faden

Gestern versuchte ich bei einem Besuch einer Uni-Gruppe im Atelier, die Verbindungen zwischen Bewegung im Raum und bildnerischer Arbeit zu erläutern. Dabei fiel mir auf, dass ich während einer Plauderei darüber, den roten Faden nicht außer Acht lassen sollte. Das Thema ist zu komplex und es fallen mir immer noch weitere Details dazu ein, die ich berichten könnte. Dadurch franst das Gespräch etwas aus.

Alle neun Transparentpapierrollen, die derzeit im Atelier sind, rollte ich dann eng zusammen und verstaute sie übersichtlich in Kartons. Nun ist es leichter rückblickend Themen der letzten 20 Jahre wieder aufzunehmen. Dabei wird die Wechselwirkung zwischen Arbeitstagebuch und Transparentpapierzeichnungen deutlich. Per Datumseintrag in den Büchern und Rollen lassen sich die zeitlichen Zusammenhänge leicht rekonstruieren. Auch die Suchfunktion im Blog ist hilfreich, die Verbindungen der Themen in den verschiedenen Medien zu verfolgen.

Und als dann Ruhe eingekehrt war, nahm ich mir die erste Malerei vom 10.2. vor, vergrößerte sie auf dem Bildschirm und zeichnete von dort direkt einen Umriss auf ein Stück Transparentpapier. Diesen übertrug ich dann auf Rolle 12 und füllte ich mit den Schichten der vorausgegangenen GPS-Wanderungen im Lustgarten und Teilen der Dornenkronensequenz.