Diktaturen 13

In der Arbeit an den Kraftfeldreliefteilen hoffe ich in den Fluss zu gelangen, in dem auch die anderen Projekte schwimmen. Aber erst am Ende des gestrigen Tages gab es einen lockeren Anklang von Gelassenheit in malerischen Ausdruck. Während dessen blicke ich in den Kästen des Grafikschrankes, der mein Gesellenstück ist, zurück in die Siebzigerjahre und finde dort in den Aquatintaradierungen Anklänge an die heutigen Strukturen.

Gestern malte ich im Freien, draußen vor der Ateliertür unter dem großen Dach. Wenn der Himmel bedeckt ist, ist das Licht dort einfach unschlagbar. Die Farben werden überdeutlich, so dass ich sie mit mehreren Lasuren in einen vernünftigen Klang überführen kann.

Im Zusammenhang mit der Diktaturenarbeit will ich in der Nationalbibliothek im Exilarchiv nach Aspekten suchen, die die Arbeit mit der Bildenden Kunst unterstützen und erweitern. Die Frage ist, welche Fragen ich stellen werde, welche Fragen andere Künstler stellen. Danach will ich auch in den Reliefs suchen, die gerade bemale. Eines könnte ich mit Chunqing gemeinsam gestalten.

Diktaturen 12 | Kraftfeld

Nachdem ich die Reliefteile des „Kraftfeldes“ vorbereitet, d.h. stabilisiert und grundiert habe, begann ich mich in ihre Bemalung einzuarbeiten. Das geht nicht so schnell, auch weil ich Tanzfiguren, die aus der Undertainment-Linie entstanden sind, mit einfügen möchte. Diese Arbeit in die Kontinuität der Bildentwicklungen, auch in die des Diktaturenkomplexes einzufügen, bedarf noch etwas Geduld.

Die Buchmalereien und Collagen hingegen speisen sich aus ihren Traditionen. Zögerlich aber stetig treten neue Elemente hinzu, verändern sich Farbigkeiten, Strukturen und Inhalte. Seit einer knappen Woche z.B. spielen Figuren überhaupt keine Rolle mehr, wohl aber die gewundenen, durchgezogenen Linien, die das Potential haben, figürliche Umrisse zu zeigen, wie auch die Eichenblattlabdrücke.

Die Entwicklung des komplexen Rahmens eines Dikaturenthemas innerhalb meiner eigenen Arbeit seit 1977, trägt die Gefahr in sich, dass die Auswahl in eine gewisse Beliebigkeit kippen kann. Dem kann ich entgehen, wenn die vorausgegangenen Werkgruppen als eine Vorarbeit zu dem erscheinen, was nun entstehen soll. Drei Phasen sind denkbar: 1. Rückblick als Voraussetzung, 2. Reaktion auf die Welt, in die ich geflohen bin, 3. Kooperation mit Künstlern mit entsprechendem Hintergrund.

Diktaturen 11

Die ersten Arbeiten, die in meinen Tagebüchern erwähnt sind, bzw. deren Grund das erste Tagebuch war, sind meine Holzschnitte zu „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz, noch in den Siebzigerjahren. Dies war die erste Beschäftigung mit dem Thema Kunst und Diktatur. Und alle Arbeit, die dieser folgte, war mehr oder weniger von diesem Zusammenspiel geprägt. Eine Reihe von Landschaftsradierungen trugen Titel wie: „Frauen am Zaun“, „Landschaft mit Sonne“, „Beleuchtete Landschaft“ und „Landschaft mit Leitern“, allesamt von 1982, zeigen das Leben in der Gefangenschaft einer Diktatur.

Die Theaterarbeiten zum Büchnerprojekt von Wolfgang Engel, zu Kipphards „Bruder Eichmann“ In der Regie von Schönemann und zu „Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten“ standen unter dem gleichen Thema. Es folgte die große Arbeit zu „Kassandra“ von Christa Wolf, die aus 84 Monotypien und einem Holzschnittbuch bestand.

Die Haltung war eingebrannt, und als ich im Westen weiter produzierte, kam sie immer wieder zum Vorschein. Es folgten autobiografische Arbeiten. „Mein Leben in Deutschland“ ist eine Zeichnung, die etwa 2 X 6 Meter groß ist, dazu ein Holzschnittbuch. Das Wanderungsspurenprojekt „Trixel-Planet“ bis hin zum „Frankfurter Kraftfeld“ ist eine Gegenbewegung zur eingeschränkten Reisefreiheit in meiner Jugend. Das „Väterprojekt“ mit den Reihen „Scherbengericht“ und den „Zöglingsportraits“ bildet einen weiteren persönlichen Kommentar zu den Bedingungen, in denen mein Leben in der DDR stattfand.

Diktaturen 10 I Gustavsburgplatz

Der Gedanke, Landstreicher gänzlich auszurotten, war schon im 19. Jahrhundert im Bürgertum vorhanden. Nichtsesshafte wurden für geringe Vergehen zu Tode verurteilt. Somit nutzten die deutschen Faschisten diese traditionellen Ansichten und Praktiken, reicherten sie mit rassistisch-völkischen Theorien an und versuchten den Ausrottungsgedanken in die Tat umzusetzen. Der Gustavsburgplatz mit seiner Vaganteneiche ist somit ein Ort an dem man auf diese Vergangenheit zurückblicken kann.

In den Buchmalereien finden sich heute die Linien eines Eichenblattes und die der gewundenen Wanderungen der Fahrenden Leute. Sie waren auf den „Strichen“ unterwegs, auf denen sie „Kochemer“ oder „platte“ Leute kannten, auf die Verlass war, die ihnen Schutz und Unterschlupf boten. Die Zeugnisse und historischen Aufzeichnungen über die Fahrenden, stammen meist aus Gerichtsakten, sind somit stets durch Kriminalität gefärbt.

Aber es gab eben auch die anderen Seiten dieses Lebens. Gerne würde ich mehr über die Marionettenspieler, Sänger und die vielen Facetten der Darstellenden Künste erfahren. Außerdem interessiert mich das Handwerk unter den Bedingungen des Unterwegsseins. Das hat sicherlich viel mit einem Können zutun, das sich aus dem Mangel entwickelte und durch Improvisationsgeist wuchs.

Reliefs

Gestern am Nachmittag begann ich mit der Reliefarbeit. Zwei große Teile legte ich in die Form und stabilisierte sie, indem ich die Schwachstellen mit Pappmache von hinten verstärkte. Zunächst musste ich aber vor dem Lärm der Steinsägen flüchten, mit denen die Gehwegbegrenzungen auf der Nachbarbaustelle zugeschnitten werden. In einem winzigen Kiosk bekam ich einen Kaffee und Familienanschluss – Großmutter; Tochter, Enkel und Hund.

Dann kam ich zurück und kramte viele kleine unbemalte Relieffragmente hervor, mit denen ich nun Farbigkeit und Zeichnung auf ihren Oberflächen probieren kann. Ein Teil steht schon auf der Staffelei und wartet. Vielleicht entsteht ja eine größere Reihe, in der ich die Tanzlinie mit den Diktaturen verbinde.

Draußen gehen Schauer nieder. Auf der Wiese fotografiere ich ihre Bewohner. Eine Vielzahl von Insekten besucht die Blüten der Schafgarbe und der Kräuterspirale. Große Mengen winziger Eidechsen und Grashüpfer flüchten vor meinen Füßen. Auch dieses Getier soll helfen, dass das Tevesgelände nicht platt gemacht wird.

Etwas mehr Leichtigkeit

Nachdem ich das Defilé der vierzig Tanzfiguren auf Rolle 11 fertig gestellt hatte, sind, außer den Buchmalereien und den Collagen, keine weiteren Arbeiten entstanden. Letztere allerdings sind kompakter und dichter geraten, wodurch sie mehr Kraft kosteten. Der Focus auf Diktaturen beleuchtet jeden Aspekt aus diesem Winkel, was den Horizont etwas einschränkt.

Gestern war ich auf einer Ausstellungseröffnung von Franz Konter in der Schulstraße 1A. Das Publikum sorgte für gleichmäßigen Smalltalk. Ich kenne uns schätze die Arbeit von Franz und konnte sie in diesem Raum mal mehr im Zusammenhang und aus Abstand betrachten. Dabei treten neue Dialoge zwischen den Motiven auf.

Bei Gusti traf ich dann einen Handwerker, mit dem ich mich über Lüftelmalerei, Schablonentechniken, Stukkolustro und Theatermalerei unterhalten konnte. Außerdem traf ich eine Autorin die an der bayrisch-thüringischen Grenze aufwuchs und den Osten immer mit im Blick hatte. Im Atelier räumte ich Rolle 11 in ihre Kiste und begann den Raum für die nächste Arbeit einzurichten. Etwas mehr Leichtigkeit soll einziehen.

Zäsur

Das Tanzfigurendefilé, auf Rolle, 11 ist nun an einer Stelle angelangt, die eine vorläufige Endzäsur darstellt. Vorgestern zeichnete ich bis in den späten Abend bis zu diesem Punkt. Jetzt kann ich in Ruhe beginnen darüber nachzudenken, wie die Tanzlinie in das Diktaturenprojekt eingegliedert werden kann. Dabei treten Formensprachen auf, die sich konträr gegenüberstehen. Wenn sie sich verbinden, tendieren sie dazu, neutralisiert zu werden.

Diese Konstellationen kann ich in den Reliefmalereien untersuchen. Ich mache sie zum Vehikel meiner Exkursionen in die Bewegungsunterschiede, die durch verschiedene Gesellschaften geformt werden. Ich habe ganz klare Bilder vor meinen Augen, die aus der Choreografie „Undertainment“ von William Forsythe kommen.

Der themenübergreifende, kontinuierliche Arbeitsfluss bleibt somit erhalten. Dafür will ich das Atelier so einrichten, dass die Kraftfeldform frei geräumt ist, um neue Reliefobjekte abzugießen. Diese können dann auf der Staffelei, wie früher bemalt werden.

Diktaturen 09

Berufsverbrecher und Arbeitsscheue wurden in deutschen Konzentrationslagern inhaftiert. Und weil unter der rassistischen Ideologie ihre Aussonderung betrieben wurde, man ihnen eine vererbte Minderwertigkeit zuschrieb, war es in dieser Diktatur nur folgerichtig, dass man die Unmenschlichkeit weiter trieb, sie sterilisierte und umbrachte. An ihrer Sträflingskleidung trugen sie grüne und schwarze Winkel.

Teile der Begrifflichkeit befinden sich heute noch im Umgangssprachlichen. Es wird von asozialem Abschaum gesprochen. Und der aus der Begrifflichkeit erwachsende Umgang mit beispielsweise Obdachlosen folgt ebenfalls einer unrühmlichen Kontinuität. Darüber im Gehen auf dem Gustavsburgplatz, dem ehemaligen Vagantenaufenthaltsort, nachzudenken erscheint mit folgerichtig.

Nun schaue ich mir dem Baumstamm der alten Eiche auf dem Platz genauer an, überprüfe ihn auf Zeichen, die in seiner Rinde versteckt sind. Ein kleines Blattstück habe ich stark vergrößert und in zwei Collagen eingebaut. Mal sehn, was passiert. Schaue ich vom Standort des Baumes auf die östliche Seite des „Gusti“ befindet sich dort ein besonderes Graffiti. Ein viel gewundener Spiralpfeil. Kann heißen: gefährlicher Weg.

Destillat

In den Buchmalereien verbergen sich Bilderinnerungen, deren Destillat sich aus Werken verschiedener Epochen bildet. Das geht von den prähistorischen Felsmalereien in Bhimbekta bis zu den kostümierten Modellen von Antoine Watteau. Und dann gibt es die Steine, die ich mit kleinen Pinseln einfärbe, um ihre Strukturen mit meinem Handballen zwischen die Linien zu drucken.

Die Tanzlinie, die ihren Weg von der Tuschzeichnung in die Wasserfarben gefunden hat, erweitert das Element zu einem farbigen Geflecht. Die Qualität der Spannung zwischen den Farbflächen und den Linien, hängt von mir ab. Sie entsteht selten von allein, immer ist der Kompositionsgedanke dabei.

Die Arbeit an der Tanzsequenz soll in dieser Woche zu einem Punkt gelangen, der mir erlaubt, mit den Reliefobjekten zu beginnen. Dabei stelle ich mir eine Serie vor, in der ich den Zusammenklang von Volumen, Farblinien und Abdruckstrukturen untersuchen kann. Auch die Tanzfiguren können aus einer Nische fragmentarisch auftreten. Verschiedene Tanzstile, die unterschiedlichen Sozialisationen entspringen, treffen da aufeinander.

Diktaturen 08

Gestern wuchs die Tanzszenerie auf Rolle 11 um weitere 9 Figuren. Und jetzt könnte ich beginnen mit ihnen kompakte Geschichten zu erzählen. Doch vorerst lasse ich sie offen, als flexibles Material für die kommenden Projekte. Wir dachten nach, ob man „Diktaturen“ um die Exilliteratur erweitern könnte. Sind da Zufallsbegegnungen möglich? Welche Theaterstücke oder Gedichte entstehen in dieser Situation? Haben die Autoren den Wusch nach Kooperationen mit Bildender Kunst?

Auf meinen täglichen Wegen ins Atelier und zurück in die Frankenallee, komme ich an der Vaganteneiche vorbei. Ich versuche die Wege ihres weiten Geästs kennen zu lernen. Wäre ich noch ein Kind würde ich sie erklettern. So aber vergrößere ich eines ihrer Blätter so stark, dass die Texte der Vagantenlieder sichtbar werden, die sie immer noch aus dem Boden aufsaugt.

Gleich laufe ich zu einem erneuten Treffen mit ihr und mit Lolek, der den Kulturkiosk „Gusti“ betreibt. Mit ihm spreche ich über das Projekt und er lieh mir ein Buch über die Fahrenden Völker. Mit den Tanzszenen pausiere ich jetzt erst einmal zwei Tage. Dann schaue ich, wo ich die Gesten der Tänzerinnen finde, die aus den Diktaturen zu uns gekommen sind.

Markt I Vaganteneiche I Bühnengeschehen

Markttag auf der Allee. Zelte werden aufgeschlagen, buntes Gemüse wird auf Tischen präsentiert, Wagen gruppieren sich, wo sonst die Autos unterwegs sind. Die Marktleute tauschen Neuigkeiten aus, Neugierige gehen zwischen den Ständen umher, bleiben stehen, schauen und sprechen. Die Standbetreiber haben immer noch ein wenig von den Fahrenden. Fremd sind sie uns schon lange nicht mehr.

Gestern Abend saßen wir beim Wein vor der Vaganteneiche auf dem Gustavsburgplatz. Nach meinen Recherchen handelt es sich um eine Zerreiche, die eher in Südeuropa heimisch ist. Es ist ein hoher, alter und gesunder Baum. Am Morgen auf meinem Weg ins Atelier pflückte ich ein weiteres Blatt und sammelte ein paar Früchte auf.

Die Tanzfiguren zogen mich gestern in den Arbeitsnachmittag. Ich gruppierte 10 von ihnen so auf Rolle 11, wie sie auf der Tanzlinie, die ich wegließ, aufgereiht sind. Die ganzen 40 Figuren hatte ich vorher noch in dieser Reihenfolge durchnummeriert. Der neue Eindruck, der nun entsteht, folgt der szenischen Erzählung und beschreibt das Bühnengeschehen reich und deutlich. Das kann man nun auch in den Collagen sehen.

Fluss der Zeichnungen

Die letzten 7 Tanzfiguren zeichnete ich gestern Nachmittag auf einzelne Transparentpapierbögen. Aus ihren zwei aufeinander folgenden Liniensequenzen heraus, kann ich sie nun „auf Lücke“ miteinander verbinden, um das vollständige Defilé aus 40 Figurationen zusammenzusetzen. Damit erreiche ich das Ende von Rolle 11. Auf der nächsten kann der Fluss der Zeichnungen in das neue Projekt übergehen.

Am Morgen versuchte ich in der ersten und zweiten Buchmalerei nicht so ausschweifend zu werden. Es geht mir jetzt darum, diese Techniken für Objektbemalungen zu transferieren, um sie gegebenenfalls dort mit dem Tanzthema zusammenzubringen. Um diese Möglichkeiten experimentell zu entwickeln, wird es am besten sein, wenn ich eine Serie male.

Vielleicht hat diese Arbeit auch einen Einfluss auf den Fortgang der „Diktaturen“. Oder sie wird ein Teil davon. In diesem Zusammenhang sollte mich mehr auf das Vorhandensein der Collagen fokussieren, um aus ihren Zusammenklängen etwas weiter zu entwickeln, was aus der digitalen Ausformung wieder zurück in die gemalte Realität findet.

Diktaturen 07 I Ackermannwiese, Vaganteneiche, Lustgarten

Auf meinem GPS-Gang auf der Ackermannwiese, vor ein paar Jahren, versuchte ich einen Sonntag der Zwangsarbeiter zu rekonstruieren, die dort in Baracken untergebracht bzw. eingesperrt waren. Ich erinnerte mich beim Gehen an das Jahr im Magerviehhof in Berlin und versuchte mir gleichzeitig die Unterkünfte der Menschen, die auf Teves und in den Adlerwerken gearbeitet haben, vorzustellen. Von Luftbildern der Vierzigerjahre hatte ich einen Eindruck.

Am Morgen benutzte ich das Blatt der Vaganteneiche, so nenne ich vorerst diesen Baum auf dem Gustavsburgplatz, für meine Buchmalereien. Die Adern, geben die Richtungen von Zeilen vor, in die die Geschichten und Lieder der Leute eingeschrieben sind, die sich mit ihren Wagen und Gerätschaften dort gesammelt haben, als sie noch nicht verfolgt wurden.

Meine Gänge von der Baustelle des Palastes der Republik zum Pergamonaltar, waren Wege zwischen den Materialien Stahl, Asbest, Marmor und Kalk in Filzstiefeln und Arbeitsdrillich, der nach Petroleum roch. Im Lustgarten gingen wir die Wege im vergangenen Sommer nach und sagten Texte meines IM Heinz Werner, aus dem Roman „Hinter den Mauern der Ozean“ und aus dem Interview in meinem Atelier über die Arbeit am Palast.

Diktaturen 06 I Besuch

Chunqing Huang besuchte mich gestern im Atelier, um mit mir über das Projekt „Diktaturen“ zu sprechen. Sie lernte einige Arbeiten kennen, die ich mit dem Thema verbinde. Ganz zuvorderst Rolle 10 mit der Stasisequenz. Aber ich zeigte ihr auch meine Tabo – Arbeit und erzählte ihr von Ladakh und seinen buddhistischen Klöstern, die von dem Kulturrevolutionsterror verschont blieben, weil sie hinter der Grenze zu China lagen.

Auch die Rolle meines Vaters in der DDR war Thema und seine Arbeit in Jugendgefängnissen, Jugendwerkhöfen und Kinderheimen. Seine latente Gewaltbereitschaft mir gegenüber entsprang den Erziehungsmethoden dieser Umgebung.

Nur die Tanzlinie, die ich ihr zeigte, behielt noch ihre Neutralität. Noch bin ich nicht auf der Suche nach den Darstellungsunterschieden zwischen Tänzern aus freiheitlichen Gesellschaften und den Autokratien. Aber vielleicht würde sich in diesem Zusammenhang ein Blick auf die Praktiken der Arbeit innerhalb der Tanzkompanien und des Regietheaters lohnen.

Diktaturen 05 I Sprache

Von der Gustavsburgplatzeiche habe ich ein Blatt gepflückt und mitgenommen auf meinen Arbeitstisch zu Hause. Mit ihm machte ich heute ein paar Abrücke seiner Adern in die Buchmalereien. Es entstehen konstruktive Kompositionslinien, die ich als Zeilen für die Vagantengesänge benutzen kann, die zwischen den Wagen an den Feuern erklangen. Sie verbinden sich mit Haut- und Steinoberflächen, und es entstehen oft Figuren dabei, was ich geschehen lasse.

Die Beschäftigung mit den Fahrenden Leuten bringt es mit sich, dass es häufig um Betrügereien und Kleinkriminalität geht. Ach den Berufen derjenigen, die außerhalb der Stadtgesellschaften existieren, besitzen einen abwertenden Klang: Quacksalber, Kesselflicker, Hundefänger und Kammerjäger. Ihre geheimen Zeichen weisen auf die Orte hin, deren Schwächen ausbaldowert wurden, um sie auszunutzen.

In meiner Erinnerung spielte der Wortschatz dieser Gesellschaften auch eine Rolle bei den Zöglingen in Gerode. Viele von ihnen entstammten den Schichten, in denen die Sprache der Straßen gesprochen wurde. Vielleicht tragen die wandernden Gesellen der Zimmerleute, der Steinmetze und die Obdachlosen zu ihrer Bewahrung bei. All das wird Teil der Beschäftigung mit den Diktaturen.

Never Ending Tour

Wenn ich an den Klang der Vagantendichtung denke, geht mir die Never Ending Tour von Bob Dylan durch den Kopf. „If you travelling to the north country fair, wehere the wind hits heavy on the borderline…“ Und unten auf der Allee unter meinem Balkon laufen all die verlorenen Seelen vorbei, die ich von meinen Wegen ins Atelier kenne. Sie sind verrückt, arm und obdachlos und dankbar, dass ich sie ernst nehme.

Und ich versuche mir die Gedichte vorzustellen, die auf den Blättern der alten Eiche auf dem Gustavsburgplatz stehen. Singen und gehen und sprechen, Jenisch, Sinti und Jiddisch. Instrumente, die man tragen kann, Werkzeuge für unterwegs, Nomadenhaushalte, kleine Maschinen, die mit Muskelkraft betrieben werden.

Die Buchmalereien von heute sind ganz frei und ohne jedes Ziel entstanden. Gestern zeichnete ich 6 Tanzfiguren auf einzelne Bögen Transparentpapier. 3 von ihnen gingen mit den Malereien eine Verbindung in den Collagen ein. Mit diesen tausenden Bildern, deren Zahl täglich anwächst, könnte ich Wände von Klostersälen tapezieren.

Die alte Eiche

Eine Anfrage für ein Kunstwerk führt mich noch einmal zurück in die Reliefgestaltungen des Frankfurter Kraftfeldes. Schon lange denke ich darüber nach, fragmentarische Objekte aus dieser Form zu bemalen. Dabei würde ich gerne auf die Techniken der Buchmalereien zurückgreifen.

Gestern kam ein Zeichen aus dem Kulturdezernat, das das Diktaturenprojekt in nun Gang setzt. Dabei wird es nicht ohne Unterstützungen vom Kulturamt und dem übergeordneten Dezernat gehen. Am Montag treffe ich mich wieder mit Chunqing, um weitere Entwicklungsrichtungen dieses großen Themas zu besprechen. Hier in meinem Atelier kann ich ihr auch die Quellen zeigen aus denen ich für diesen Themenkreis schöpfe.

Mit einem Glas Wein lehnte ich mich gestern Abend an die alte Eiche, die schon über hundert Jahre auf dem Gustavsburgplatz steht. Wenn ich den Hinterkopf an die Rinde stieß, spürte ich eine nachhallende Vibration aus dem Holz, einen Strom von Stimmen aus der Erde, von fremden Sprachen, Gesängen und Gedichten der Vaganten.

Diktaturen 04 I Zöglingsportraits

Die Zöglingsportraits, die ich im November 2015 auf Transparentpapier gezeichnet habe, mit Schellack und zarten Bleistift-Gravitationslinien ergänzte, liegen seit einiger Zeit, in Papprollen verpackt, in einem Regal zu Hause. Schon vor einigen Jahren hatte ich mit ihnen Collagen für meinen Blog gemacht. Nun möchte ich das im Rahmen des Diktaturenprojektes wieder aufnehmen. Diesmal aber kommt es auch zu Begegnungen mit den Tanzfiguren.

20 dieser Darstellungen habe ich bereits auf Einzelbögen gezeichnet. Wenn ich damit fertig bin, steht dieses Material für die Entwicklung des Themas in viele Richtungen zur Verfügung. Die 50 Meter der Rolle 11 sind bald voll. Dann geht es auf der schon begonnenen Rolle 12 weiter. Auch die Tabolinien haben ihre Diktaturengeschichte. Sie sind den Roten Garden entwischt.

Etwas eilig beendete ich die Buchmalereien am Morgen. Es ging nicht um Raffinesse, sondern um brauchbare Formen für die Collagen. Sie bestehen heute aus den Malereien, den Tuschezeichnungen der Amorphen Figuren aus Tanzlinienverdichtungen und aus Teilen der Zöglingsportraits. Nichts würde dagegensprechen, auch Zeichnungen aus dem Skizzenbuch, das ich in Ladakh gefüllt habe hinzuzufügen.

Kreislauf

Nach Suchanfragen im Netz, begegne ich öfter meinen eigenen Bolgeinträgen. Indem ich die 50 Meter langen Transparentpapierstreifen zusammenrolle, um immer wieder das, was von unten her durchscheint zu zeichnen, zu schichten, drehe ich mich ebenfalls im Kreis. Auf einzelnen Transparentpapierbögen sammelte ich weitere Tanzfiguren vom Ende der Sequenz zum Anfang hin ein und setze sie in die Collagen aus dem Kreislauf heraus.

In einem Dokumentarbeitrag über den Anteil der Frauen am Volksaufstand des 17. Juni erfuhr ich, dass der Magerviehhof in Friedrichsfelde zu dieser Zeit ein Frauengefängnis war. Zeitzeuginnen berichten, dass sie dort unter menschenunwürdigen Bedingungen eingesperrt waren. Ich erinnere mich an mein Jahr dort während des Baus des Palastes der Republik: kein Tageslicht, nur Lüftungsluken im Dach, 240 Mann in einem Schlafsaal, immer Neonlicht und keine richtige Nachtruhe. Es gab Alkohol.

Das Personal in den Buchmalereien erlebt verschiedene Aggregatzustände. In ihren Grundbausteinen sind Informationen gespeichert, die in den immer neuen Kombinationen verschiedene Erinnerungsbilder produzieren. Wenn die verdichteten Gesträuche genetischer Rückblicke in Rauchsäulen aufsteigen, verwehen sie und lagern sich im Eis, das ewig war, ab.

Diktaturen 03

Die Figuren, die ich aus der Tanzliniensequenz einzeln auf Transparentpapierbögen zeichne, haben Umrisse, die teilweise auf skurrile Metamorphosen zurückzuführen sind. Möbelfüße, Architekturfragmente und Maschinenteile verleihen ihnen das Aussehen von Übergangswesen. In ihrer Vereinzelung sind sie von der alles verbindenden Linie abgeschnitten. Nun aber können sie in verschiedenen Szenen neu eingesetzt werden.

Die Möglichkeiten, sich dem Diktaturenthema weiter zu nähern, erweitern sich auf den Bühnen der Vaganten. Die unterschiedlichen Blickachsen schneiden sich dort, indem russischer Ballettdrill auf freie Tanzimprovisation trifft. Gegenwärtige Rauminstallationen treffen auf die vielgereiste Musik der Fahrenden Völker oder experimentelle Lyrik stellt sich der künstlichen Intelligenz entgegen.

Meine Lavasteine, deren Formen ich mit meinen Handballen und Farbe aufnehme und in die Buchmalereien drucke, bilden mit ihren Gaslöchern Verbindungstunnel zwischen den Figuren der Transparentpapierrolle und denen der kleinen Malereien. Die Strukturen können aneinander andocken oder sich überlagern.

Diktaturen 02

Suche ich die Wortfolge „Vaganten in Diktaturen“ bietet mir die KI-Maschine eine Zusammenfassung der Konflikte und Schwierigkeiten, denen die Fahrenden Völker ausgesetzt waren und sind. Der Widerspruch zwischen diesen gesellschaftlichen Polen, dieser unterschiedlichsten Organisations- und Lebensformen, führt zu der Spannung, die die Beschäftigung damit innerhalb des Diktaturenprojektes lenkt. So bekommt mein Wanderungsspurenprojekt „Trixel Planet“ eine neue Teilausprägung. Die Rotwelschzeichen sind das Bildmaterial dazu.

Auf der Wiese des Gustavsburgplatzes steht eine gesunde, etwa hundertjährige Eiche. Für mich ist sie der Baum der Vagantendichtung, der alles in sich aufnahm, was in den Boden des Rastplatzes der Wanderer sickerte. Auf ihren Blättern treten die Sprachen hervor, die sie aufgesammelt hat: Sätze der nordfranzösischen Kathedralschulen, Lieder der Moritatensänger oder die geheimen Zeichen mit Hinweisen auf die Besonderheiten der Orte.

Dorthin möchte ich meine Tanzfiguren führen, die sich jetzt einzeln aus der Undertainment-Linie herauslösen. Sie kommen als Personal auf den Bretterbühnen der fahrenden Gaukler unter, improvisieren dort eine Choreografie der Zwischenwelten für jetzt.

Diktaturen 01

Nach Beendigung der Tanzliniensequenz, begann die Auskopplung von Figuren auf Einzelblätter. Diese können sich danach auf Rolle 11 neu ordnen, was sich der Choreografie „Undertainment“ wieder nähert. All das findet unter dem übergeordneten Thema „Diktaturen“ statt. Mitglieder des Tanzensembles, die sich aus autoritären Staatsstrukturen entfernt haben, bewegen sich mit einem etwas strengeren Ausdruck auf der Bühne, meine ich zu beobachten. Aus ihrem Erleben wuchs ihnen eine andere Verantwortlichkeit zu. Daraus entstehen Impulse für Formulierungen, die Verweise auf diese Erfahrungen sind.

Zumeist hatte ich mit Tänzerinnen aus einem westlichen Lebenszusammenhang zutun. Auch im Ernst ihrer Arbeit gab es etwas Leichtes und Spielerisches. Einmal kamen die Damen eines russischen Ballettensembles in Reih und Glied in die Kantine des Heidelberger Stadttheaters. Wenn diese Sklavinnen freigelassen werden oder flüchten, und eine neue Kraft der Darstellung aus ihnen entspringt, kann das eine besondere Form hervorbringen.

Nach dem Zeichnen setzte ich mich gestern noch auf ein Bier auf den Gustavsburgplatz. Lolek gab mir ein Buch über die Fahrenden und Vagabunden. So, wie sich die Ablehnung dieser Volksgruppen in der städtischen, sesshaften Gesellschaft entwickelte, setzt sie sich derzeit in der Fremdenfeindlichkeit fort. Das geht mit einer Zugewandtheit zu autoritären Strukturen, fest gefügten Hierarchien in einer ummauerten Sicherheitsarchitektur zusammen.

Lichtstrahl

Die Gesichter der Zöglinge von Gerode sind es wert, besonders betrachtet zu werden, denn in ihnen sitzt ein Schrecken, der auch anhält, wenn sie für das Foto lächeln. Es gibt einen erwachsenen Ernst, den ich heute auch bei afghanischen Kindern sehe. Was passiert, wenn diese Rasterportraits von der Tanzlinie durchwoben werden?

Gestern zeichnete ich, was ich mir vorgenommen hatte. Anstatt der weiteren 9 sind es allerdings 13 Figuren geworden. Heute will ich den Streifen rückwärts zusammenrollen, um so zeichnend eine, wegen des geringeren Durchmessers, enger getaktete Schicht hinzufügen. So entstehen in den Umrissen des neuen Tanzpersonals zusätzliche konturierte, figurative Felder, die dunkler erscheinen.

Am Abend liefen wir ganz langsam über die 38 Grad warme Frankenallee zur S-Bahn, um ins Literaturhaus zu gehen. Dort las Judith Schalansky, die mir vorkam, wie einer der Scheinwerfertürme, die die Strände ihrer Heimatinsel beleuchteten, weil sie Grenzgebiet waren. Der Lichtstrahl der Autorin aber richtet sich aber in die Ferne, um neue Gefilde zu entdecken.

Tanzliniensequenz 4

Die schreienden Mauerseglerschwärme fliegen tief und nah an die Häuserwände heran, wenden und schreiben Muster in den Himmel, die ich festhalten möchte. Stattdessen begann ich mit der vierten Tanzliniensequenz, wenn ich die allein stehende Linie ohne Überlagerungen mitzähle. Ich nutze die Umrissfragmente, die bisher noch nicht ergänzt worden sind, um den Reigen, der noch in dem Material schlummert, wachsen zu lassen. Gestern entstanden neun neue Figuren und heute kommen etwa noch einmal so viele dazu. Dann löse ich sie aus ihrem Zusammenhang heraus, um zu schauen, welche Geschichten noch erzählt werden können.

Gestern stieß ich auf einen Ordner mit dem Namen „Handprint Tel Aviv“. In ihm sammeln sich thematisch geordnete Bilder, die ich so wie sie sind, für das Diktaturenprojekt brauchen kann: „Väter“, „Der Rock`n Roll höhlt einen Jungpionier aus“, „Asbest/Pergamon“ und „Zöglinge“ (Portraits aus dem Jugendwerkhof Gerode).

Außerdem recherchierte ich Namen von Leuten, mit denen ich in Erfurt in einer Seminargruppe war. Vielleicht kann ich in Kontakt kommen und mit ihnen über die DDR-Diktatur sprechen. Ulrich Gater beispielsweise, ein Maler in Freiburg, der damals mit mir studierte, ist schon 1982 in den Westen gegangen.

Verknüpfungen

Die restlichen Figurenfragmente der Tanzlinie werden in einer weiteren Sequenz auf Rolle 11 vervollständigt. Gestern noch hatte ich gedacht, dass ich damit fertig bin. Jetzt stelle ich mir vor eine Brücke zur Gustavsburgplatz GPS-Wanderung zu schlagen und diese mit dem Diktaturenprojekt zu verbinden. Das geht über die Fiznerbrüder, die mit ihrem Modell des Breslauer Domes dort campiert haben. Zusammen mit den Jenischen bekamen sie die Ablehnung der völkischen Bewegungen zu spüren.

Eine Autorin und Künstlerin entdeckte ich, die mit mir in Erfurt im selben Jahrgang studiert hatte. Wir unterschrieben damals eine Petition gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann. Ich verließ mit einiger Energie die Pädagogische Hochschule und suchte das Weite. Sie heißt Gabriele Stötzer und wurde für die Unterschrift zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Auch diese Geschichte spielt in den „Diktaturen“ eine Rolle.

Die dritte Malerei ging ich mit ruckartigen Papiergravuren an, schraffierte sie vielschichtig und übertrug eine leichte Version davon, durchsichtig und sanft in das zweite Format des Tages. Die gravierten Linien verbinden sich da ganz selbstverständlich und leicht mit den Handlinien. So will ich die gegenwärtigen Projekte verknüpfen.