Ein Pfad

Tanzreigenfries, ein etwas umständliches Wort, aber ein Arbeitstitel. Das Thema bietet verschiedene Objektvarianten. Ein Reliefring mit einer Außen- und einer Innenansicht. Die spiegelverkehrte Reliefwiederholung im Innenbereich ist beiseite gelegt, obwohl sie digital leicht zu erstellen wäre. Es soll bei den alten Techniken bleiben. Und so bietet sich ein Umguss der Form an, in der sie als Reliefoberfläche im Innenring erscheint. Das Ganze setzt sich aus 9 Teilen zusammen, die auch als Einzelfiguren funktionieren könnten.

Anne berichtet spannende Entdeckungen bei ihren Recherchen in den Breslauarchiven. Sie fährt im März noch mal hin, um die Situation weiter in Augenschein zu nehmen. Die Blickwinkel vor Ort können die Möglichkeiten der Geschichten präzisieren. Die konkrete Sicht auf den Dom vom Wohnungsfenster aus…

Diagonal über die Wiese des Gustavsburgplatzes, zum Stamm der Vaganteneiche hin, bildet sich ein Pfad, den ich fast täglich viermal begehe, um dem Baum zuzuhören. Manchmal spricht er schon im Näherkommen, und gleich bei der Ankunft kann das aktuelle Wort aufgeschrieben werden. Bei Ursula Krechel las ich gestern von den Lautmalereien die Kurt Schwitter in einem englischen Internierungslager schrieb. Die Worte des Baumes wären auch beziehungsreiche Sockelgestaltungen für die Tanzfiguren.

Tanzring

monbitfes grankefs opjuteslif

folymosew grimflio morwitax

sarebin

Eine künstliche Intelligenz mit diesem Kauderwelsch zu konfrontieren, wäre möglich. Aber ich zögere und halte mich fern davon, soweit es mir gelingt. Ich glaube, mit einem solchen Vorgehen, an eine Verwässerung des Gesprächs mit der Vaganteneiche.

Stattdessen sind gestern neun gezeichnete Figuren in die Zwischenräume der Tanzfigurenumrisse gelangt. Weitere neun solcher Felder sind noch offen. Wenn sie ebenfalls mit Figurationen angefüllt sind, kann ich mein Augenmerk auf einen Relieffries richten. Ein Tanzreigen in Ringform, innen mit spiegelbildlichen Reliefs des Außenrings ausgestattet.

Eine Tevesrunde der Akteure des Geländes sprach gestern über weitere Aktionen, die das Gelände sichern sollen. Erstmals hatte ich das Gefühl, dass sich eine enger verbundene Gruppe bildet, die sich um ein gemeinsames Vorgehen bemüht. Wir erfuhren in einer Eingangsrunde auch, womit sich die einzelnen Gruppen gerade beschäftigen.

In Vergessenheit

Das Treffen mit Conny Bauer in Beziehung zu der elektronischen Musik zu setzen, die wir gemeinsam hörten, setzt die Begegnung in ein anderes Licht. Es war ein Libanese, der die experimentellen Sounds entwickelte, in deren Verhältnis nun unser Treffen gestellt ist. Die Overhaedmalereien von Helge Leihberg und meine Zeichnung von Wolfgang Engel, der dem Tanz von Arila Siegert zuschaut, treten als Bilder dazu.

Die Zeichnung eines Außerirdischen, eines Schülers von mir, der auf einen Vogel im Käfig schaut, die er aus Frottagen von den Reliefformen des Väterprojektes entwickelte, schaltet sich parallel dazu. Und aus der Erde des Gustavsburgplatzes treten fremde Worte zutage, die sich aus den eingesickerten Vagantensprachen zusammengesetzt haben. Ihre Rückübersetzung kann nur mit ihrer Vertonung gelingen.

Dieser Vaganteneichentext verbindet sich mit der Weiterentwicklung der Tanzlinien und deren Figuren. Die Verflochtenheit der Tuschezeichnungen und die Silben entsprechen einander. Aber eine bildliche Verbindung will mir noch nicht gelingen. Wieder muss ich warten, und vielleicht gerät es auch in Vergessenheit.

Conny Bauer

Am Sonnabend gab es ein schräges, experimentelles Elektronikkonzert bei Gusti. Dort traf ich auch Conny Bauer, den legendären Jazzposaunisten der DDR. Aber auch in der Zeit danach hat er fleißig musiziert und veröffentlicht. Wir suchten nach gemeinsamen Bekannten aus den Dresdner Zusammenhängen und standen während des ganzen Konzertes beim frisch gezapften Bier beieinander. Eine denkwürdige Begegnung.

Die Buchmalereien von gestern und heute sind unter sehr unterschiedlichen Bedingungen entstanden. Gestern hatte ich alle Ruhe der Welt und hielt mich lange mit ihnen auf. Heute, in Eile, ist aber kein qualitativer Abstieg geschehen. Es herrscht eher etwas mehr Klarheit.

Die Vaganteneichengesänge hätten gestern ganz gut zu den elektronischen Experimenten gepasst. Mit einem Mikrofon und dem Effektgerät meiner Gitarre, sind sicherlich interessante Vokalklangeinheiten produzierbar. Der Baum singt mir fast täglich ein neues Wort. Dafür soll er eine Rundbank bekommen, die ich mit Lolek im Frühjahr bauen möchte.

Tanzreigen

20 neue Tanzfiguren sind in der vergangenen Woche auf Rolle 12 auf einem zusammenhängenden Fries entstanden. Zwischen ihnen befinden sich neue Räume. Die will ich in der kommenden Woche duplizieren und mit dem Tanzfriesmaterial füllen um neue Figuren entstehen zu lassen. Dann aber ist das Undertainmentmaterial auf Transparentpapier ausgereizt.

flanskaun gindrum kasstlaf

difftsalar klapribrü nebsator

klimfres drewingat kliesertuf

blofdesigur widerflom orsankler

schrutraver sirtancfar

Das passt zu den Buchmalereien.

Mit den Tanzlinien muss ich einen weiteren Schritt in ein anderes Material machen. Dazu ist eine nochmalige Konzentration notwendig. Es geht um die Möglichkeit, eine Stilisierung des Ganzen zu erreichen, ein Fazit zu ziehen das alles zusammenfasst. Mir geht da ein Relieffries durch den Kopf, dessen Module bewegte Konturen aufweisen. Die Reihenfolge dieser Figuren einhaltend, kann aber immer die erste an das Ende gesetzt werden. Ein Reigen der Tanzfiguren entsteht.

Ins Blaue

Die Collagen verdichten sich zu immer unübersichtlicheren Landschaften mit Tuschetanzkörpern drinnen. Sie schweben zwischen den Kulissen, wie transparente Stabfiguren. Sie werfen aber keine Schatten, bleiben opak schwarz-weiß, obwohl sie auf Transparentpapier gezeichnet sind. Aus den Buchmalereien ragen oft Stäbe, die, wenn sie nach unten zeigen, zu solchen Spielfiguren hinter einem Tuch gehören könnten.

Die Schüler beschäftigten sich mit der Vergegenständlichung ihrer, zunächst abstrakten, Frottagen. Jeder bekam einen 6 Meter langen Transparentpapierstreifen, auf dem er das gefundene Material zu Szenen zusammenstellen kann. Wir fassten ins Auge, die Figurationen mit kurzen Texten zu verbinden, damit sich eine Bildergeschichte entwickeln kann. Sie arbeiteten lange konzentriert mit. An einem Punkt werden sich ihre Erzählungen mit den Schicksalen der Väter verbinden, aus denen die Strukturen stammen.

Danach zeichnete ich auf Rolle 12 weiter. Und während ich nicht aufhören kann, die neuen Umrisse mit den alten vorausgegangenen Strukturen zu füllen, frage ich mich die ganze Zeit, wo das noch hinführen soll. Der Vorgang kann nur durch eine Wendung eine Perspektive bekommen, in einer anderen Qualität. Bis dahin aber arbeite ich einfach weiter ins Blaue.

Polarität

Das ganze Tanzmaterial, das sich in der letzten Zeit noch weiter verdichtet hat, bietet eine kompakte Basis für eine Arbeit, die das alles konzentriert auf den Punkt bringt. Es bildet das Forschungszwischenergebnis für eine spätere Weiterentwicklung durch andere Akteure. Dieses Angebot in eine praktikable Form zu gießen, kann ein entscheidender Ansatz sein.

Das bereite ich schon seit einiger Zeit mit meinen Schülern vor, indem sie mit meinen Reliefformen arbeiten, Frottagen machen und eigene Geschichten damit entwickeln.

An dem Fries der Tanzfiguren arbeitete ich gestern den ganzen Tag weiter. Die Endlosigkeit der fortlaufenden Varianten von Verschachtelungen führen in eine Polarität zwischen Verzagtheit und Neugier, was mit dem Material noch möglich ist. Momentan steuert es auf einen modularen Relieffries hin, der verschieden zusammengesetzt werden kann und somit eine produktive Fortführung möglich macht.

Langsamkeit

Das Eigenleben der Transparentpapierfiguren wird komplexer. Innerhalb ihrer Umrisse überlagern sich mehrere Tanzfragmente aus der Wiederholung des Rapports. Nach unten hin fransen die Körper aus, als könnten sie schweben und brauchten die schweren Gehwerkzeuge nicht mehr. Das Zeichnen fühlt sich eher wie ein Schreiben an, ohne die Feder abzusetzen entstehen Geflechte, die weniger an Gesträuche als an die Strukturen der Lavasteine erinnern, die ich in die Buchmalereien drucke.

Nur langsame Veränderungen reihen sich in der Abfolge der Malereien in den Tagebüchern aneinander. Seit Jahren kommt es zu keinem Bruch. Und innerhalb eines Buches gibt es manchmal kaum sichtbare Entwicklungen. Aber das tägliche Interesse an Neuentwicklungen treibt die Zusammenspiele der stets anderen Strukturvariationen, wie in einem chemischen Experimentalaufbau an.

Die sich überlagernden Parallelgravuren der Gewindegänge meiner Schraube aus Kaza treffen auf die wirbelnden Linien der Holzhaarnadel, gehen in einander über oder stoßen sich ab. Die Verwischungen brechen wie Unwetter in das trockene Wachstum ein, ziehen die Farben zusammen und beruhigen das Geschehen gleichzeitig auf wenigen Quadratzentimetern.

Wendung

Mit kleinen, vorsichtigen Schritten entwickeln sich die Transparentpapierfiguren in der Hoffnung auf eine Zäsur weiter. Dann kann eine Wendung eintreten, unscheinbar und dennoch für den Arbeitsvorgang wichtig. So etwas passiert gerade innerhalb der Collagen durch die Vervielfältigung und Spiegelung ausgeschnittener Elemente. Das schafft eine barockbühnenartige Landschaftsstaffelung hintereinander gelagerter Horizonte, die einen zunehmenden Fernblick suggerieren.

Das Bildmaterial driftet über den Rahmen hinaus, verschwindet dann abgeschnitten. Deswegen vergrößerte ich in anderen Dateien den Rahmen und es entsteht dadurch eine neue Reihe von entgrenzten Collagen. Diese Ausdehnung des Formats kann zu einer Wendung führen.

Die Tanzfiguren, die als solche nur noch schwer erkennbar sind, fanden gestern keinen Eingang in die Collagen. Dafür stehen sie heute verloren in den verschachtelten Landschaften herum.

Gestalten und Landschaften

Die vielen Figuren, die die Schülerinnen aus den Frottagen der Väterportraitformen gefunden haben, können auf einem Transparentpapierstreifen zu einer Geschichte mit Textsplittern geordnet werden. So ist es möglich Erzählungsrollen zusammen zu stellen. Langsam kann ich dann auf dieser Grundlage in das DIKTATUREN – Thema einschwenken, spielerisch mit flapsigen Kommentaren einer Moralinsäure entgegenwirkend.

Zwischen den Außenlinien von Figuren aus der Undertainment-Linie wuchsen neue Tanzgestalten, die den Ballettzusammenhang langsam lösen. Dazu passen die Vaganteneichenworte, die mit Schriftschablonen des toten Schreinermeisters Roos aus einem 197 Worte umfassenden und wachsenden Text, unter die Figuren auf Rolle 12 gelangten. Vielleicht können die unverständlichen Worte durch ihren Rhythmus und melodische Färbungen etwas von ihrer Herkunft verraten, wodurch eine fremd-sinnhafte Struktur erschlossen werden könnte.

Der Beginn der Buchmalereien wird oft durch die Linien inspiriert, die sich von den Malereien 2 und 3 des Vortages auf die Seiten von heute durchgedrückt haben. In dieser Kontinuität ändern die räumlichen Lagen der Gravuren und Schraffuren die vorausgegangenen Richtungen etwas ab und lassen daraus neue Gestalten und Landschaften entstehen. Nur, wenn ich ein neues Buch beginne, wird dieser Vorgang unterbrochen.

Notizbuch

Ein weiteres Notizbuch neben dem Tagebuch erweitert die Möglichkeit, Themen, die in Zukunft eine Rolle spielen sollen, zu entwickeln und sie voneinander abzugrenzen. Bei der Arbeit mit den Jugendlichen schien DIKTATUREN schon auf, verfing aber noch nicht, weil der Beginn der zeichnerischen Arbeit so spannend war, dass alles andere unwichtig wurde. Dennoch lassen die verhaltenen Reaktionen darauf schließen, welche Relevanz das Thema bis jetzt für sie hat.

Immer öfter falle ich in den alten Zeichenrhythmus des Gesträuchs von 1977. Und vielleicht sind ja Haltungen und Empfindungen von damals durch die Bewegungen des Körpers wieder abrufbar. Das stellte sich schon ab und zu bei den Buchmalereien ein.

Der Kontakt mit den Künstlerinnen aus den verschiedenen Sparten ist sehr erfrischend. Sie werden eigene Haltungen und Erfahrungen auf den Tisch bringen. So kann es sein, dass wir mit den unterschiedlichen Perspektiven zu etwas Neuem kommen. Das ist die Hoffnung.

So kann es weitergehen

Stetig wächst der Schatz der Baumwörter. Bis jetzt kommt er ohne eine Ordnung aus. Es gibt keine Bilder, die den Klängen der fremden Worte zugeordnet sind. Er ist nur für sich selbst da – sich selbst genug, sagt man. Das im tiefen Raum verzweigte Wurzelwerk funkt in die Geflechte meines Körpers, was es weiß: fleugramb knerrfliem. So fleut, fliemt, grambt und knerrt es in meinem Kopf herum, ganz befreit.

In den Buchmalereien treten ähnliche Vorgänge in die Bilderentstehungen ein. Am nahesten sind sich die Wort- und Bildgestaltungen, die gut auch ohne einander auskommen, wenn keine gegenständlichen Anmutungen auftreten. Die Linien fliemen und gramben, wie die Farbwirbel und die Gravuren der Gewindegänge knerren. Annie Nowak könnte so etwas sicher gut sprechen.

Die Schülerinnen sahen gestern meinen Frottagen, Tuschzeichnungen und Schellackverläufen bei einer Vorführung zu. Je länger das dauerte, umso mehr Lust bekamen sie, selber damit beginnen zu können. Sie waren 2 Stunden produktiv bei der Sache, stachelten sich gegenseitig an und lachten viel. So kann es weitergehen.

Wortschlamm

Die frühen Erinnerungen an das Zeichnen, sind rhythmische Bewegungen der rechten Hand und des dazugehörigen Armes. Das geht bis in den Körper und in eine leichte Anspannung der Bauchmuskeln, wenn es zu den Schraffuren kommt, die ein Gesträuch nachempfinden. In Gotha fand eine Begegnung von mir, als jungen Menschen, mit dem Künstler Kurt W. Streubel statt. Das heißt, dass ich ihm einfach spontan besuchte, ein paar Zeichnungen von mir auf den Tisch legte und ihn fragte, wie ich weitermachen soll. Und er sagte zu mir: Setz dich vor ein Gesträuch, zeichne es von vorn bis hinten durch und finde damit zu deinem Stil. Das tat ich dann auch auf freiem Feld, neben den Gleisen der Thüringer Waldbahn, vor einem kahlen, dichten Strauch. Und gehe ich jetzt mit den Farbstiften in die Buchmalereien, spüre ich diesen Gestus noch, den ich 1977 fand.

Im Übrigen war dieser Streubel ein freier, aufrichtiger Künstler, der sich von den offiziellen Kulturvertretern der DDR – „Diktatur der Arbeiterklasse“ nichts vorschreiben ließ. Im Gegenteil, denn seine Arbeit und Haltung gegenüber dem sozialistischen Realismus, war eine Provokation. Auch diese Standhaftigkeit war mir Vorbild.

Und die Eiche sprach: stekjerwin kendekrumb larkschrau beftrull. Auf der laubbedeckten Wiese unter der großen Baumkrone, deren Durchmesser ich auf über 30 Meter schätze, entsteht ein Pfad über dem ähnlich ausgedehnten Wurzelwerk zwischen dem Wortschlamm.

Fragen finden

Oben aus der ersten Buchmalerei schauen ein paar Flamingos heraus. Abdrücke meines Lieblingslavasteines gaben ihre Gestalt vor. Er hält noch viele andere Wesen in sich bereit, die nach und nach die Szenen bespielen werden. Solche setzen sich auch auf Rolle 12 fort. Dort aber entspringen sie der Undertainment-Linie, die auf William Forsythe zurückgeht oder auf meine Begegnung mit seinen Räumen.

Manchmal hat es den Anschein, als wollten die Figuren aus der Enge der Transparentpapierrolle heraus, um greifbarer materialisiert weiterspielen zu können. Aber alle dreidimensionalen Ausformungen, häufen Material an. So bleibt es bei den Schichten der aufgerollten Zeichnungen.

Der Fragenkatalog zu DIKTATUREN entwickelt sich in einem kleinen Notizbuch, das ich in Ladakh tibetischen Flüchtlingen abgekauft habe. Diese Entwicklung kreist auch um mein Verhalten in der Diktatur, aus dem heutigen Blickwinkel. Ich stoße auf eine intensive Beschäftigung der Musikforschung mit dem Thema. Gleichzeitig kommt es gehäuft zu Begegnungen mit Künstlerinnen, die sich mit diesen Fragen beschäftigen. Gestern besuchte mich eine Rapperin mit russischem Hintergrund, die mir eine eigene Komposition mit einem beeindruckenden Video zeigte.

Fragen suchen

Für einen DIKTATUREN – Fragenkatalog, muss ich mich hinsetzen, nachdenken, um ihn dann schriftlich entwickeln zu können. Oder auch im Gehen denken, schreiben dabei ist aber schwieriger. Das soll am Nachmittag in dem kleinen Zimmer an der Frankenallee geschehen, mit dem Balkon zu den Baumkronen hin, das mit Schritten hin und her durchmessen werden kann, mit den sich langsam verändernden Fragen auf dem kleinen, alten Klappschreibtisch. Vielleicht ist die Entwicklung dieser Fragen auch nicht wirklich abschließbar, und es geht immer weiter damit, sodass sich auf diese Weise der Hauptstrang der Arbeit entwickelt: Fragen suchen…

William Forsythe bekam den Theaterpreis „Faust“ für eine Choreografie, die er in Hamburg mit einem klassischen Tanzensemble erarbeitet hat. Darüber freue ich mich sehr!

Auf Rolle 12 sind gestern in den neuen Zwischenräumen der alten, aber neu geordneten Umrisse der Undertainment-Linie, neue Tanzfiguren entstanden. Sie sind etwas zerfleddert, wenig kompakt und offen für die Weiterarbeit mit ihnen. Aber die Eiche sagte: wekunban naldres klatremäd wuambeg wefstraul stekjerdwin.

Gespräch mit Annie Nowak

Beim Gespräch mit Annie Nowak ist klar geworden, dass es bei den DIKTATUREN – Interviews in Zukunft eine feste Fragenstruktur geben muss. Die Unterhaltung gestern, in der Kantine des Theaters lief etwas sporadisch an einigen Übereinstimmungen der Lebens- und Arbeitshaltungen entlang. Die schnelle Offenheit, mit der wir uns begegnen konnten, ist ein hoffnungsvoller Wechsel auf künftige Gespräche.

Meiner Fragestellung nach den Gemeinsamkeiten der Entwicklung von künstlerischen Werkzeugen, bin ich dadurch näher gekommen, dass sich weitere differenziertere Themen begannen herauszubilden. Mit einer strukturierteren Herangehensweise, die Ausdauer benötigt, werden wir den Antworten näher kommen.

Ein Text der serbischen Autorin Iva Brdar, von Alida Bremer übersetzt, ist die Voraussetzung für einen Soloabend den Annie Nowak in der Box, einer kleinen Spielstätte im Schauspiel, im Januar zur Deutschen Erstaufführung bringen wird. Über diesen Gegenstand könnten wir in ein tieferes Gespräch über unsere Arbeit eintauchen.

Ins Kraut

Vor dem Transport der frostempfindlichen Pflanzen aus dem Gärtchen ins Atelier, schneide ich einige etwas zurück. Mancher Hibiskus und Wolfsmilchgewächse schossen ins Kraut und müssen eingedämmt werden. Das ist im Atelier, auf den Tischen, an den Scheiben der Rolltore, auch eine Platzfrage. Die Emotionen meiner Buchmalereien schießen auch ins Kraut. Beschneiden kann ich sie dann in den Collagen. Bei dieser etwas brutalen Tätigkeit blitzen die Gewaltpotentiale auf.

Nach den Tuschezeichnungen auf Rolle 11, den neuen Verknüpfungen und Umrissen sehne ich mich geradezu. Aber in der vergangenen Woche war zu viel Ablenkung. Meinen Schülern möchte ich auch Transparentpapierrollen geben, damit sie ähnliche Erfahrungen, wie ich machen können.

Die Arbeit an dem großen Holzstamm überfordert sie etwas. Sie würden lieber kleinere Holzteile bearbeiten. Da muss ich sie enttäuschen. Sie sollen an dieser großen, endlos scheinenden Arbeit bleiben, die vielleicht erst Gruppen nach ihnen fertig machen werden. Ansonsten können sie zurück zum Transparentpapier.

Test

Die Morgenmalereien sind der denkbar beste Beginn eines Arbeitstages. Dann folgt die Verständigung mit der Vaganteneiche auf dem Weg ins Atelier. Keine Sprachverwirrung, sondern Einklang:

trämwerold begisaf

Acht junge Männer aus der Hindemithschule besuchten mein Atelier für einen ersten Testworkshop. Sie testeten mich, ich testete sie. Was kann man sich erzählen, fragen und wie ist der Umgang? Das war recht freundlich und locker. So kann es mit uns gehen im kommenden halben Jahr. Zuvor installierte ich das Väterportrait mit seinen 16 Tafeln so, dass wir es beim Arbeiten immer im Blick haben. Sie sollen schauen, wenn sie mit den Formen Frottagen machen, wo sie sich gerade im Bild befinden. Sie erkennen die Figuren in ihren Gesträuchen, die auf dem Transparentpapier entstehen. Und dann steigen wir in die DIKTATUREN ein. Am kommenden Donnerstag kommen die jungen Frauen.

Die Collagen von 2019 stellte ich mir als Bildschirmhintergrund ein. Sie schaffen eine etwas veränderte Produktionsatmosphäre. Jede Minute ein anderes Bild vergangener Interessenlagen. Das inspiriert und macht zumeist gute Laune.

In Zungen reden

eibelpol erwegersperst

wugemlu slausfedo

geumtufl tremwärold

Im Römer, unter den vielen kaiserlichen Augenpaaren, erzählte ich Nulf, dem Pfarrer der Friedenskirche auf der Frankenallee, von meinen Begegnungen mit der Eiche. Wir sprächen in Zungen, meinte er. Im Kaisersaal trifft man viele Leute, mit denen man mal zutun hatte. Die vielen älter gewordenen Gesichter und die Sprachlosigkeit, verdeutlichen die eigene Rückzugstendenz. Es wurde auch wieder über TIXEL PLANET auf der Frankenallee gesprochen…

Abends kam es noch zur Einrichtung oder Hängung der ersten 4 von 16 Reliefplatten des Väterportraits im Atelier. Möglichst bevor die Schüler heute kommen, soll es fertig installiert sein. Auf der Schwalbacher Strasse fragten mich 4 Schülerinnen, ob ich der Frank sei. Sie wollen in der nächsten Woche ins Atelier zu YOU&EYE kommen. Kichernde Teenager – das kann was werden!

Willentlich

Willentlich sollten die kleinen Buchmalereigeschichten an diesem Morgen aus ineinander greifenden Schwüngen entwickelt werden. Sie münden in klare Akzente, wie Wendungen, Geraden und Parallelen. Umrisse entstanden, die zu Figürlichem tendieren. Auch dies, ein Wunsch, der nur zu einem Drittel erfüllt wird, denn die anderen, körperlichen Dynamiken übernehmen irgendwann die Oberhand. Diese Beobachtungen der Vorgänge sind ein Schritt zu ihrer Kontrolle. So wird auch das Unkontrollierte erst mit der Durchführung einer vagen, kurzfristigen Planung freigegeben.

Nachher bin ich zu einer Ehrung von Winni Becker, der lange Jahre das Gallustheater geleitet hat, in den Römer eingeladen. Er möchte in seiner Dankesrede auf das Frankenalleeprojekt TRIXEL PLANET eingehen, das konservative Kräfte in der Stadtverwaltung verhindert haben.

Auf Rolle 12 geht es mit den Tanzfiguren nicht so voran, wie es sein sollte. Termine, oft mitten am Tag, verhindern das. Gestern eine Reise – Gesundheits – Beratung in unserer Hausarztpraxis, heute die Verleihung der Ehrenplakette im Römer und morgen kommen Schüler ins Atelier. Immerhin wird schönes Wetter sein und wir können draußen die Brombeeren zurückschneiden.

Eichensingsang

Auf Rolle 12 brachte ich 5 Figuren, die aus der Undertainment – Tanzlinie entstanden sind, in eine neue Reihenfolge. Dadurch sind neue spannungsvolle Zwischenräume entstanden, die lineare Anhaltspunkte für neue Tanzelemente bieten. Die Reihenfolge ist nicht beliebig, sondern folgt der Schrittkombination: 1-3-2-4-6. Weil die Zeichnungen auf den Einzelblättern nummeriert sind, lassen sich nun Zahlenfolgen finden, die eine große Variationsmöglichkeit der 40 Figuren ergeben.

Schon war ich versucht, den Eichensingsang der neuen Baumwörter aus den letzten Tagen unter die Reihung zu schreiben:

struslam munfarli ugeldrant

arlundirat terginzmam splidergur

frichsent gsemgreblot gälschass

demurflosar

Auch die Buchmalereien erscheinen mir mitunter, wie schriftliche Aufzeichnungen. Sie beschreiben Zustände, die auftreten, wenn die Anforderungen einer gelungenen Komposition Impulse in das Hirn senden. Ausweichmanöver gebogener Strichbündel vor den geradlinigen Rechthaberparallelen und die Verknüpfung der Suchpunkte, beginnen Szenen zu skizzieren. Die Handlinien mit Steinabdrücken kombiniert, geben dann wieder Orientierung.

Lernschritte

In den Tagen außerhalb des Ateliers relativiert sich das dortige aktuelle Geschehen, wird unwichtiger und profaner. Andere Figuren, wie die der Undertainment-Linie, rücken wieder mehr in den Vordergrund. Ihre geschärften Charaktere sind für eine Weiterarbeit geeignet.

Wie sonst nie, entsteht diesmal jetzt schon ein Bild von der Ausstellung am Ende von YOU&EYE. In der Flucht eines Raumes im Museum für angewandte Kunst hängt das Väterportrait. Von ihm ausgehend laufen an den Wänden rechts und links Streifen der Frottagen der Schüler nach vorne. Ihr Bezug zum Relief und zu DIKTATUREN wird deutlich. Aber freilich ist diese Vorwegnahme unzulässig und stünde der Entwicklung ganz anderer Bilder im Weg.

Sandy Gabrowska-Lis arbeitet wie an einem Gegenbild der von Diktaturen und deren Nachwirkungen gebeutelten Künstlerin, das in meinem Kopf herumgeistert. Bei dieser Begegnung handelt es sich um einen Lernschritt im DIKTATUREN – Projekt. Über das Tagebuch hinaus sollte es Aufzeichnungen geben, die Gespräche und Haltungen festhalten. Eine Sammlung entsteht aus Texten, Fotografien, Abbildungen von Kunstwerken, Partituren und choreografischen Aufzeichnungen.

Gespräche

Besuch der polnischen Künstlerin Sandy, die mir Judith vorgestellt hatte, im Atelier. Ein schönes Gespräch, während sie eine Naht eines Kunstwerkes auftrennte. Sie brachte einen Milchtee (Herbata) mit. Ihre künstlerische Position ist mir in meinem näheren Bekanntenkreis noch nicht untergekommen.

Eine Liste von DIKTATUREN – Aktivitäten bekam das Kulturamt gestern. Einerseits gibt es eine Bewegung in die Breite durch vielfältige Kontakte. Es kristallisieren sich aber auch Konzentrationspunkte heraus, wie die Vaganteneiche und das Väterportrait.

Es ist damit zu rechnen, dass sich künstlerisch arbeitende Menschen gegen meine Kategorisierung wehren, ihre Arbeitsprägung ablegen und in eine alles bestimmende Eigenständigkeit treten wollen. Deswegen sind die Gespräche so wichtig.

Väterportrait DIKTATUREN

Aus einer erneuten Betrachtung des Väterportraits, das aus 16 recheckigen Teilen bestehend am Boden lag, um es den Schülern zu zeigen, die mich gestern besuchten, trat der Gedanke auf, dieser Arbeit in Diktaturen eine zentrale Rolle zuzuweisen. Die Leute, die Frottagen von den Oberflächen der Reliefformen machen, begeben sich so in die Geschichte der zwei Männer, die in Deutschland lebten. Im Faschismus und in der „Diktatur des Proletariats“.

Die Schicht der Tanzzeichnungen von mir setzt einen konträren Kommentar über das Ganze. Die Bedrohung der Oscar Fizner ausgesetzt war, als Mitglied der Fahrenden Zünfte, muss existentiell gewesen sein. Ich bringe ihn zusammen mit der Vaganteneiche… Über die harten Strukturen der Reliefformen kann man nun die weichen Tanzlinien laufen lassen.

Mit der Schauspielerin Annie Nowak bin ich demnächst in der Theaterkantine verabredet. Dort möchte ich mehr von ihrem Theaterprojekt erfahren. Es kann der Zugang sein zu einer Zusammenarbeit mit DIKTATUREN. Und vom Quartiersmanagement kam eine Einladung zu einer Reihe von Kunstereignissen. Da würde ich auch mit diesem Thema auftreten.

Wärme fehlt

Ein kurzes Gespräch mit Annie Nowak über DIKTATUREN nach einer Podiumsveranstaltung im Haus am Dom. Für gründlicheren Meinungsaustausch wird es ein Treffen geben. Demnächst gibt es einen Soloabend mit ihr in der Box des Schauspiels. Vielleicht ergeben sich da weitere Anknüpfungspunkte zum Projekt. Langsam entwickelt sich das Vorhaben mit den Leuten, die ich anspreche und im Meinungsaustausch bin.

Eine ganze Reihe von neuen Tanzfiguren bildet die Situation des vergangenen Workshops ab. Sie sind noch nicht in den Collagen enthalten. Die Farbigkeiten der neuen Scans der Buchmalereien sind noch nicht so, wie zuvor. Die Wärme fehlt.

In diesem Jahr sind die Schüler, die mit mir im Atelier Arbeiten werden älter. Sie sind schon erwachsene Menschen, ruhig, gepflegt und zivilisiert. Sie sahen das Väterportrait und hörten meine Erläuterungen zu meinen aktuellen Projekten. Die Arbeiten, die sie bei mir machen werden sind ja nicht bunt und vielleicht für sie nicht auf den ersten Blick attraktiv. Das löst sich erst später ein.

Kaum Brüche

Die Kontinuität der Buchmalereien führt nur zu langsamen Veränderungen. Es treten kaum Brüche auf. Die Neugier, lange Zeit auseinander liegende Formate nebeneinander zu sehen, führt zu den Sprüngen, die im Alltäglichen nicht auftreten.

Mein tägliches Gespräch mit der Vaganteneiche entwickelt sich zu einem Ritual. Es behauptet ein Grund für meine Existenz zu sein, wie auch das Tagebuch mit täglich 3 Malereien und die daraus entstehenden Collagen. Aber es ist umgekehrt:

frambotlin

halzraugeun

vonesirel

tolenpo

Es sind Szenen, die sich über dem Wurzelwerk abgespielt haben. An den Feuern zwischen den Wagen fielen die Worte in die Erde. Der nächste Regen nahm sie mit in die Tiefe, bis zur nächsten undurchlässigen Schicht. Dort flossen sie mit den Produktionsgiften der Tevesfabrik zusammen und veränderten sich dadurch.

Langsame Fortschritte

Die hochgesteckten Erwartungen an den Ballettabend haben sich nicht ganz erfüllt. Das liegt aber nicht an der Produktion, sondern an meiner Annahme, dass meine Rezeption des Abends wegen unserer Ballettworkshopteilnahme viel intensiver ausfallen würde. Das war nicht der Fall. Allerdings handelte es sich um ein sehr schönes Stück, wunderbar getanzt. So setze ich nun ganz auf die Entwicklung der neuen Tanzfiguren in meiner zeichnerischen Arbeit und werde die Tanzlinien dafür nutzen.

Durch die abstrakten Texte, die der Baum „spricht“, kommt es zu anderen Arbeitsebenen. Die offene und fast inhaltslose Struktur steht in starkem Kontrast zu der geschichtlich-politischen Intension. Ähnlich wie meine Wanderungen zwischen den imaginierten Baracken des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers, die vom GPS aufgezeichnet und von mir weiterverarbeitet wurden, sind die „Baumgesänge“ eine rein emotionale Hinwendung an das Schicksal der Fahrenden unter dem Nationalsozialismus.

Mit den neuen digitalen Werkzeugen, die meinen alten Rechner ablösen, versuche ich die Abbildungen der Buchmalereien, die mit einem neuen Scanner aufgenommen wurden, mit anderen Programmen zu bearbeiten. Das gelingt so leidlich und macht nur langsame Fortschritte.

Eine Seite des Dialogs

mirschgult brumfra

kojatensi zantreb

gujerden moklanarm

kaldremin warfam

kommt von der Baumseite in unseren Dialog. Ein kleines Kind beobachtete mich neugierig und ich versuchte ihm zu erklären, was passiert. Die Mutter jedenfalls hat es verstanden.

Wespen bauen in meinen umgestülpten Blumentöpfen im Gärtchen schöne Nester. Ich nehme sie im Spätherbst, wenn sie ausgezogen sind heraus und baue mit ihnen kleine Skulpturen. Gestern kam ich endlich wieder zum Zeichnen. Zunächst nahm ich mir die Frottagenstreifen vor und versah sie mit Zeichnungen im Stil der Tanzlinien. Dann überlagerte ich die aktuelle Tanzlinie mit derselben versetzt, um neue Figuren zu bekommen.

Am Abend gehen wir ins Ballett und sehen die Choreografie, mit deren Entstehungselementen wir uns im Workshop befasst hatten. Ich freue mich auf dieses Stück, wie selten auf einen Theaterabend. Er wird in dem Raum im Bockenheimer Depot stattfinden, in dem auch wir getanzt haben.

Tänzerisch

Die Begegnungen auf der großen Tanzfläche im Bockenheimer Depot mit den begeisterten Leuten darauf, wirken noch nach. Die gemeinsame Erkundung des Raumes mit den eigenen und den Bewegungen der anderen, das körperliche Zusammenspiel bei der Erfindung von Tanzfiguren und Aktionen, setzen bei mir eine zeichnerische Energie frei. Sie wird angespornt von den Bewegungslinien im Raum und den Verbindungen im sich bewegenden Körper.

Wenn dieser Pfad über die Tanzlinien hinausweist, dann stellt sich die Verbindung mit den Buchmalereien ein und geht zurück zu den Synaptischen Kartierungen. Schon beim Tag der offenen Tür auf Teves West, habe ich mit Besuchern Frottagen und Schellackverläufe hergestellt, die in diese Richtung gehen. Meine eigenen Arbeiten kann ich nun mit Tusche und Feder weiter tänzerisch bearbeiten.

In der Schirn Kunsthalle, die während der Renovierung in ein altes Industriegebäude umgezogen ist, sahen wir gestern die Retrospektive von Suzanne Duchamp. Dies ist ein Werk, das wenig homogen von DADA zu Realismus und wieder in die Abstraktion schwingt. Es gibt sehr schöne Bilder aus den Zwanzigerjahren und im Spätwerk.

MORNING DANCE AT NIGHT

MORNING DANCE AT NIGHT heißt eine Ballettveranstaltung im Bockenheimer Depot. Manuel, unser Tanzlehrer, führte uns durch den vierstündigen Abend, an dem wir alle miteinander und mit Profis von der Company tanzen konnten. Und gleich stellt sich für mich die Frage, wie sich diese Bewegungen meines Körpers mit den anderen auf die zeichnerische Arbeit auswirken.

Eine Tänzerin beschäftigte sich mit einem Lichtkreis, der von einer ruhenden Discokugel an die hintere Wand geworfen wurde und leicht hin und her schwang. Wir bewegten uns mit diesem Lichtfleck, in den wir auch noch unsere Schatten projizierten. Dann nahmen wir ihn in unsere Hände und transportierten das Licht in die Mitte der Bühne.

Am Nachmittag war Alexander im Atelier, um mit mir eine Schautafel für Teves West Ideen herzustellen. Nebenbei erzählte er mir von einer jungen Iranischen Autorin, die mal Schülerin der Hindemithschule war. Ich erzählte ihm von DIKTATUREN und er möchte einen Kontakt herstellen. Die Mail an Annie Nowak vom Schauspiel ist auch endlich angekommen.

Besuche

blütthep

kalper

eralmurs

wegrok

Das lese ich den Leuten vor, die in mein Atelier kommen, um zu fragen, was ich mache. Dabei entwickeln sich weitere Verknüpfungen zu anderen Gestaltungsräumen, und die Besuche werden so zu einem kreativen Akt.

Am Rande des YOU&EYE Treffens sprach ich mit einer Kollegin über DIKTATUREN. Sie erzählte mir von ihrer Mutter, die in der Sowjetunion Schönschrift lernte. Das taten sie mit Zeilenblättern, die neben den unterschiedlichen Buchstabenhöhen auch schräge Linien für die gleichmäßige Ausrichtung der Buchstaben hatten. An solche Schönschreibhefte kann ich mich auch erinnern.

Die Buchmalereien beendete ich heute vorzeitig. So „unfertig“ sind sie durchlässiger, und die feinen Strukturen des Handballens und ihre Vermischung mit den anderen Linien, treten deutlicher hervor. Die Collagen, die auseinander hervorgehen, montierte ich erstmals in eine Animation mit Überblendungen. Dadurch wird der Vorgang der Schichtung deutlich.

Gespräch mit meiner Freundin

Nur langsam entwickelt sich der neue Rechner mit anderen Programmen zu einem Werkzeug, das die Blog – Arbeit erleichtert. Das ganze Wochenende ging mit diesem Kennenlernen vorüber. Eine Lust auf Bildhauerei entsteht dadurch. Und das Herumhocken in der Wohnung bremst die Kreativität. Eine Art von Fremdheit kommt auf.

Vertraut ist das Alleinsein im Atelier. Es führt in die tiefen Schichten des Zeichnens, das in den letzten Tagen zu kurz gekommen ist. Auf dem Weg zu meinen Bildertischen begegne ich meiner Freundin, der Eiche, die auf den Gustavsburgplatz auf mich wartet. Bisher ging es bei unseren Treffen um mein Zuhören. Aber ich kann ihr auch erzählen.

Ein erstes YOU&EYE Treffen findet heute in der Hindemithschule statt. Für die Vorbereitung der Arbeit mit den Jugendlichen steht eine weitere Aufräumaktion an. Wir arbeiten mit den Väterportrait – Reliefformen zum Thema Diktaturen.

Raum im Baum

Ein neuer Scanner steht auf dem Tisch. Die Beschäftigung mit ihm dauerte gestern den ganzen Nachmittag. Und auf dem neuen Rechner befinden sich andere Bildbearbeitungsprogramme, die die Arbeit mit den Scans und Collagen verändern werden. Das ist unbequem aber spannend. Die Bilder werden sich dadurch verwandeln.

In den Bäumen des Gartens hinter unserem Haus sitzen drei Ringeltauben, eine Familie. Ihre Sitzplätze bilden die Ecken eines Raumes, eines schrägen Dreiecks zwischen den Ästen. In dem Nachbarbaum springt ein Eichhörnchen umher. Es hinterlässt eine wilde, verschlungene Linie in der Krone.

Die Morgenmalereien entstehen von alleine. Sie führen ein Eigenleben und sind fern davon, irgendwas abbilden zu wollen. Gestern fotografierte eine alte Dame meine Ateliertür, worauf ich sie zur selben hereinbat, um ihr meine Tanzlinien zu zeigen. Sie fotografiert Stadträume, die von der Natur zurückerobert werden. Meine Eiche besetzt einen großen Raum auf dem Gustavsburgplatz und füllt ihn auch mit ihren Worten:

kroffel

livar

wugene

So soll es nicht bleiben

Neben der Vervollständigung, d.h. Verdichtung der Tanzlinienfiguren, werden nun weitere neue Ballettformationen auf Rolle 12 entstehen. Die Linie wird dafür noch ein weiteres Mal durchgezeichnet. Und eine neue Tanzlinie soll aus der ferneren Erinnerung, aus der die Choreografien vielleicht deutlicher und einfacher hervortraten, entstehen. Eine Hilfszeichnung zur Rekapitulation wäre gut.

In den Collagen haben die Tuschzeichnungen einen harten Auftritt. Sie drängen aus der Trennungslinie, die quer über die Buchmalereien verläuft, kontraststark hervor und sprengen so den angelegten Farbklang. So soll es nicht bleiben. Sie müssen besser eingebunden werden.

meunar

tuplof

schlossen sich an die anderen Worte der Baumgesänge an. Die Verbindung dieses Textes mit der Tanzlinie ist noch nicht vollzogen. Irgendetwas sperrt sich. Es braucht noch mehr Zeit.

Fliegende Lieder

bluim

halemku

olleimu

fronkrumins

So singt der Baum. Was ich verstehe ist auch von den Tanzbewegungen, die in meinem Körper schlummern, gefärbt. Die Schwingungen der Silben, der Rhythmus der Schritte, die Richtungen der Gänge und der Klang des Raumes. Die Entstehung neuer Tanzfiguren erfolgt leicht aber mit Nachdruck und anhaltend konzentriert. Der Rückzug in die Raumerinnerung des Körpers hilft dabei.

Das Interesse an den Baumtexten existiert also parallel zur Erforschung des Raumes, den sie umschreiben. Erst bilden die Worte Linien, verflechten sich dann zu einem Netz, das Figuren bildet und umhüllt. Ein Wind wirbelt die Asche der ermordeten Fahrenden zu wandernden Wesen in der Landschaft auf.

Sie bevölkern auch meine Collagen, schieben sich zwischen die Buchmalereien, deren abstraktes Wesen sich nicht fernhalten kann von diesen Manifestationen der fliegenden Lieder.

Vom Bewegen her

Der vorerst letzte Ballettworkshop fand gestern Abend im Frankfurt LAB statt. Den Mitstreitern zeigte ich zwei Streifen meiner Tanzlinien. Zuerst die einzelne, durchgehende Linie und dann die Überlagerungen. Es war ihnen gleich klar, was das mit ihrer choreografischen und tänzerischen Praxis zutun hat.

Von innen, also vom sich selbst Bewegen her, hat der Tanz, im Gegensatz zum Zuschauen, ein weitaus größeres Potential für die bildkünstlerische Arbeit. Die Bewegung des eigenen Körpers löst eine viel größere Verbundenheit zu ihrer Form aus, als lediglich der Blick darauf. Durch die Zeichnung wird die Äußerung ergänzt und erweitert. Spannend wird es, wenn die zeichnerischen Liniengeflechte auf die Bewegungen zurückwirken.

Somit unterstützt die fortwährende Beschäftigung mit der körperlichen Umschreibung von Räumen, die Entwicklung der zeichnerisch-malerischen Strukturen. – Und was sagt der Baum? Der sprach:

„begonal

velium

pergeif

gesprind“.

Tabolinien | Tanzlinien | Baumgesänge

Neue Verdichtungen sind mit den Tanzlinien auf einzelnen Transparentpapierstreifen und auf Rolle 12 entstanden. Noch engmaschiger wird das Netz, wenn das Tuschelinienmaterial im Rückrollvorgang auf die äußere Schicht des zusammengerollten und durchscheinenden Papiers durchgezeichnet wird. Dies ist gleichzeitig ein rückwärts gerichteter Gang in die Zeit. So, wie die Tanzfiguren erinnert und wiederholt wurden, geschieht es nun in den Zeichnungen.

Dass daraus neue Figuren entstehen, die sich aus den verschiedenen Fragmenten zusammenschließen, setzt einen weiteren anders gearteten Arbeitsschritt voraus, der auf Rolle 11 schon einmal stattgefunden hat und somit zu besichtigen ist. Heute beim Ballettworkshop können sich die Leute, die gemeinsam die Choreografie entwickelt haben, zwei dieser gezeichneten Streifen anschauen.

Als nächstes sollen die Reste der Tabolinien auf Rolle 12 eine Verbindung mit der getanzten Struktur eingehen. Und der Baum sang:

sulpar

laholep

eflesan

lerlizur.

Auch diese Schriftlinien sind potentielle Verstärker der Tanzarbeit.

Arturo Ui

Wir sahen eine sehr schöne Premiere von „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ im Schauspiel Frankfurt. Ein grandios gefährlicher Hauptdarsteller, ein liebevoll expressionistisch gemaltes Filmset-Bühnenbild und eine sehr gelungene Regie. Projektionen und offene Szenen wechselten sich, wodurch das Ganze zu einem vielschichtigen Vexierspiel wurde. Mit Annie Nowack gibt es nun eine Übereinkunft zu einer Verabredung zum Gespräch über DIKTATUREN.

In Pirmasens hängen nun die Reliefs, die ich für Volkers Wohnung gemacht habe. Sie passen besser rein, als ich dachte. Wir brachten sie mit dem Auto hin. Eine relativ lange Fahrt. Das Hängen war noch einmal eine Kompositionsarbeit.

Es gibt auch einen Zusammenhang zwischen den Reliefs und den Collagen, die ich fast täglich mache. In beiden Arbeitssträngen befindet sich die Tanzlinie, die sich quer durch die Formate bewegt und eine Schnittlinie bildet, durch deren Spalt in die Vergangenheit geschaut werden kann. Im Regen an die Vaganteneiche gelehnt, lauschte ich, durch die Risse in der Rinde, auch in die vergangenen Zeiten zurück.

Tanzlinie aus dem Kopf

Aus dem Kopf ist eine Tanzlinie entstanden. Der Vorgang unterscheidet sich grundsätzlich vom Zeichnen einer solchen „Abwicklung“ vor dem Bühnengeschehen. Die Linie kommt von innen, aus dem Erinnern der Bewegungen. Diese neue Sichtweise ist dem Ballettworkshop zu verdanken.

An der Vaganteneiche entsteht ein besonderer Ort. Zu ihrem Fuß stehen kleine Holzzylinder mit aufgesteckten Federn, die wie Skulpturen von brennenden Kerzen aussehen. Auch aus der Rinde wachsen Federn, Muscheln und Steine an Fäden. Daneben bei Gusti fand gestern eine schöne Lesung aus einem Band Kurzgeschichten von Emeli Glaser, mit dem Titel „Rahnsdorf Ripper“ statt.

Im Raum steht die Möglichkeit, die Tanzlinie zu wiederholen oder vielmehr zu variieren. Die Ausweitung dieser Arbeit kann in Richtung der Baumgesänge gehen. Ein schwingender Wortweg aus:

vokapilur

flerago

kerfedi

asingrop

nenwox.

Singende Farben

Rolle 11 ist fertig oder voll. Ein paar Ausläufer der Tanzlinie führten zum Ende des 50 m langen Transparentpapierstreifens. Diese Figurationen traten auch in den gestrigen Collagen auf. Die Rolle 12 wurde schon im Tibethaus, während der Präsentation der sehr unterschiedlichen Arbeiten von Peter van Ham und meiner, begonnen, mit zeichnerischen Objekten, die sich aus den Tabolinien ergeben haben. Nun ist das nicht so einfach fortzusetzen – abwarten also.

In der Tevesrunde kam gestern das Projekt DIKTATUREN zur Sprache. Durch eine Kooperation mit dem Internationalen Bund soll es hier „verortet“ werden. Helga Roos erzählte auf der Straße, von den Fahrenden Leuten, die in den Dreißigerjahren vom Gustavsburgplatz aus auf einen viel kleineren Platz umgesiedelt und später in die Konzentrationslager deportiert wurden.

Heute singen die Farben in den Buchmalereien, rhythmisiert durch die parallel laufenden, eingeprägten Linien der Kazaschraube, die sich in verschiedenen Winkeln zu einer Kreuzschraffur schichten. Dazu kamen Abdrücke des Steinwachstums. Auf vielen topografischen Inseln der Stadt tritt die Buchmesse auf, auch bei Gusti neben dem Vagantenbaum, mit einer Lesung.

Baumbesuche Tanzlinien

Ineinander fließen

die Baumbesuche:

uschtlen suskem

tinnis

lambirba kowuler

und die Tanzlinien im Frankfurt LAB mit meiner Umschreibung eines Quadrats. Ich warte immer noch auf ein Video von den Choreografien. Könnte aber eine solche Linie auch aus dem Kopf zeichnen und sie mit den Baumgesängen verbinden, eine getanzte Zeile.

Das Väterprojekt besteht aus 16 Reliefformen. Mit ihnen möchte ich mich mit den Schülern den DIKTATUREN nähern. Die zwei Portraits, ineinander gearbeitet, zeigen zwei Menschen aus Diktaturen: Meinen Vater und meinen Großvater. Nun bin ich gespannt, wie die jungen Menschen aus Migrantenfamilien auf dieses Thema reagieren, die ich langsam an diesen Stoff heranführen will.

Und als Ersatz für die ausfallenden Workshops während unserer Indienreise, werden wir einen Projekttag auf dem Gustavsburgplatz machen. Vielleicht kann eine Bank um die Vaganteneiche gebaut werden.

Sprechzeit – Gehzeit – Zeichen

Auf einem neuen, größeren Bildschirm überraschen die älteren Arbeiten. Die Malereien beispielsweise zum Musikstück „Where“ von David Morrow erscheinen intensiv und dicht, wie auch die jüngeren Raumunternehmungen mit ihren Spuren auf den Transparentpapierrollen. Dort stapeln sich „skriptografische Schichten“.

Die Versenkung die die Malereien am Morgen erschaffen eine anhaltende Spannung. Sie reicht bis in den Nachmittag. Das entstandene Material besitzt eine Gravitation, die Verdichtungen in den Collagen schafft. Halbbewusste Farben und Abdruckstrukturen zeigen Zeitabläufe: den Wuchs der Rinde des Vagantenbaumes, den Gewindeschnitt der Schraube aus Kaza im Himalaja und die erstarrten Gasblasen der Lavasteine, die den Korallenskeletten ähneln. Schnitte öffnen den Blick in die Zeit.

Die Abbildung der gewachsenen Musterlagen lässt sich mit der Suchfunktion der Website erkunden. Und der Baum spricht sehr alte Worte oder solche, die erst in der Zukunft ein Bild zugewiesen bekommen. Sprechzeit – Gehzeit – Zeichen.

Heilige Bäume

In Indien befinden sich allenthalben Bäume am Wegesrand, zu deren Füßen Scherben oder Bruchstücke von sakralen Gegenständen liegen. Sie wurden also nicht weggeworfen, sondern dort gelagert. Im Netz waren auf Anhieb keine Bilder davon zu finden. Vielleicht gibt es auch eine spezielle Bezeichnung dafür. Oft befindet sich ein kleiner hinduistischer Schrein daneben und die Äste sind manchmal mit Bädern geschmückt. Der Vagantenbaum könnte einen ähnlichen Charakter bekommen. Schon sein Federschmuck in Augenhöhe zum Zentrum des Platzes hin, hat etwas Heiliges:

gurdanwed muswirbul samlisarb flükrei

Im Archäologischen Museum sahen wir die Ausstellung „Archäologie der Gedanken“ von der Künstlerin Dagmar Schuldt. Sie übermalt Landkarten mit Schellack, untersucht Erinnerungsorte und installierte ein Stelenfeld mit Stempeln in das Foyer, mit denen man eine eigene Karte gestalten konnte. Die Art, wie sie mit Schellackschichten umgeht, erinnerte mich an meine Arbeit und inspiriert sie auch.

Die Buchmalereien verharren noch etwas im Wochenendschlaf. Die fehlende Tanzlinie führt nun wieder zu weniger extremen Querformaten. Und bei der Herstellung der Collagen tritt erneut eine größere Freiheit auf.

Das Spiel vom Schweben

Im Kammerspiel sahen wir gestern die Premiere des Stückes „Das Spiel vom Schweben“ von Anja Hilling. Dort wird die Erziehung des Kindes eines Ehepaars von einer künstlichen Intelligenz namens Kali unterstützt. Das findet im ersten Teil statt. Der zweite, der Monolog des Kindes Emilia, genannt Miko, bildet die Brücke zum dritten, der Widerbegegnung der Eltern nach langer Zeit. Es handelt sich nicht um einen Text einer fortlaufenden Handlung, ebenso ist die Inszenierung eher bruchstückhaft. Sie ist nicht dafür da, den Text verständlicher zu machen, wie es sich unsere Freundin Shirin Sotjitrawalla im Deutschlandfunk gewünscht hatte. Die Rätsel einer solchen Arbeit sind für mich genau richtig und produktiv.

Gestern kam ein Vertragsentwurf für YOU&EYE. Somit habe ich nun wieder Planungssicherheit und möchte DIKTATUREN mit dem Väterprojekt und dem Vagantenthema an dieser Stelle verbinden. Das ist eine neue Sache, die neue Bewegungen auslöst.

Die Tanzlinie habe ich heute in den Buchmalereien weggelassen. Lediglich in den Collagen habe ich diesen Schnitt an einer imaginären Linie entlang gemacht und noch die Federzeichnungen von gestern auf Rolle 11 eingefügt.

Zwischenraumnetze

Auf Rolle 11 wiederholen sich die Zwischenraumnetze mit den Umrissen von neuen Figurenfragmenten noch einmal. Bei dieser Wiederholung geht es um die Möglichkeit, beim Durchzeichnen im Rückrollmodus neue Anordnungen und Zwischenräume zu finden, die im Anschluss, im nächsten Schritt, in den Vordergrund gerückt werden können.

Und wegen des figuralen Zeichnens mit Tusche auf der Transparentpapierrolle, schleichen sich nun auch ebensolche Elemente in die Buchmalereien ein. Sie ließen sich ohne weiteres auf Rolle 11 übertragen und in den Verlauf einfügen, wie auch die Worte des Baumes:

hinkaugelnis duwerdop blisuramtra tieben.

Mit Figuren entstehen auch wieder Geschichten oder Gesänge in den Malereien. Sie tragen einfach ein erzählerisches Element in sich. Die Collagen bekommen durch die Federzeichnungen wieder einen anderen Charakter. Der landschaftsartige Spalt der Tanzlinien schafft Auftrittsmöglichkeiten, riesig aus den Bergen hervor oder als Flugwesen, die aus den Wolken hervorbrechen.

Farbgeschwindigkeit

In der Nacht sind aus den Bewegungen der Choreografien, die in meinem Körper abgespeichert sind, imaginierte Tanzlinien entstanden. Nach den letzten Ausläufern der vorhergegangenen Tanzlinie, entstanden gestern weitere Verdichtungen aus den Zwischenräumen der Figuren auf Rolle 11. Dort wabern die Sekundärnetze. Wenn die Videos des letzten Ballettsaal – Workshops angekommen sind, können die neuen Tanzlinien entstehen und sich damit verbinden.

In den Buchmalereien erscheinen intensive Farbigkeiten, denen mehr Beachtung geschenkt werden kann, weil sie ein Eigenleben entwickeln. Es werden unterschiedliche Geschwindigkeiten der Bewegungen angezeigt, die sie durchlaufen. Sanft, schnell, ruppig und langsam können sie sich auch neutralisieren. Ein graugrünes Gelb kommt fast zum Stillstand. Es bleibt stehen, spricht vor sich hin, fischt die Worte aus der Luft oder fängt die Eichenblätter mit den Gedichten auf.

Die Federzeichnungen, die gestern entstanden sind, haben wieder Eingang in die Collagen gefunden. Die Schnitte und Durchblicke an den Tanzlinien entlang, haben eine eigene, in sich geschlossene, Struktur entwickelt, die von den Tuschelinien wieder aufgebrochen wird. Diese tägliche Materialität in den Tagebüchern, lehnt sich glücklich gegen die digitale Flut der Säuglingshirne mit Weltwissen.

Wortmarken

Beim Workshop im Ballettsaal der Dresden Frankfurt Dance Company, sollten wir unsere eigenen choreografischen Erfindungen vertiefen, sie einer kleinen Gruppe von 5 Leuten vermitteln, um sie dann zu zeigen. Weil ich keine Modern- oder Jazzdance Erfahrungen habe, griff ich auf meine räumlich zeichnerische Beschäftigung mit Tanz zurück. Als zentrale Figur setzte ich das Quadrat in den Mittelpunkt, das es mit dem eigenen Körper und dessen Bewegung abzubilden gilt. Währenddessen zeigen die Gelenke die Eckpunkte an, durch die wir uns auf der Außenlinie der geometrischen Figur fortbewegten. Das war leicht zu erklären und meine 4 Mitstreiterinnen konnten es schnell umsetzen. Jetzt müsste ich nur noch die Worte des Baumes einfügen:

ungslen plittwark komarsre rarmuf

mefkrat speikrum lemulaf

kreilmartula stiffel

Einhundertsieben Worte aus ebenso vielen Besuchen haben sich bislang unter dem Baum manifestiert. Die Silben und Leerzeichen ergeben die Anzahl der Schritte, die ich mit diesem Text rund um die Eiche gehen kann. Wegmarken im GPS System können Worte zugeordnet werden (Wortmarken), die den Text auf den gelaufenen Linien einordnen können. Oder die Linien bestehen dann aus den Worten.

Schnell zunichte

Von einer Dachterrasse des Heidelberger Theaters sahen wir auf den Garten des Institutes für Jüdische Studien. Wir bekamen einmal im Jahr das Laubhüttenfest mit, waren neugierig, was dort stattfindet. Micha Brumlik, der damalige Chef der Einrichtung, feierte mit seinen Mitarbeiterinnen in grüner Architektur. Wir lernten uns erst in Frankfurt richtig kennen.

Und das Gedenken an das terroristische Massaker, bei dem über tausend Israelis vor zwei Jahren von der Hamas getötet worden sind, fällt nun auf diesen Feiertag. Wie kann man ihn dann begehen? Ich werde das Maya fragen.

In meinem Gärtchen ist die geflochtene Weide, unser lebendiges Kunstwerk, einem Grünschnitt zum Opfer gefallen. Alle Äste, die ich zum Ringflechten wachsen gelassen hatte, sind abgeschnitten, darüber hinaus auch bereits geflochtenes Material. Ignoranz steht den langwierigen künstlerischen Vorgängen und Überlegungen gegenüber und macht sie schnell zunichte.

Liederfarben Tanzgesang

In einem Traum war ich auf einem indischen Markt unterwegs, wo ich einen magischen Armreifen kaufte. Damit er funktioniert, brauchte ich aber eine App. Diese füllte mein Telefon bis zur Funktionsunfähigkeit.

lupodam gmingran lokfrem sprankui chelwor ungslen – das sind die Worte, die mir der Baum in den letzten Tagen flüsterte. Holz aus Verpackungsmaterial der Baustelle sammelt sich vor meinem Atelier für den Bau einer Rundbank um seinen Stamm, die ich mit Lolek zimmern möchte.

Sind die Tanzlinien in den Buchmalereien mehrfarbig, deuten sie damit unterschiedliche Bewegungsgeschwindigkeiten an. Worte gehen durch die Landschaft, streifen um die Bäume, bleiben an einem Ast hängen und werden von Wind weiter getragen. Der Schall ihrer Buchstaben verwirbelt sich dabei, erzeugt Schwingungen, die als Liederfarben bei mir ankommen. Wegworte der Vaganten, der Tanzgesang für diesen Platz.

„Guten Morgen ihr Schönen“

Gestern sah ich in dem Dokumentarfilm „Guten Morgen ihr Schönen“, über Frauenschicksale in der DDR, meine Kommilitonin Gabriele Stötzer von der Pädagogischen Hochschule Erfurt. Sie hat unsere Unterschriftenaktionen gegen die Ausbürgerung von Biermann und die Exmatrikulation eines Mitstudenten, aus politischen Gründen, bis zum Ende getragen. Das brachte ihr Haftjahre und Folter, aber auch Solidarität ein. Ich habe mich beizeiten aus der Hochschule und aus der DDR entfernt, ich musste da raus.

Es gibt noch Druckstöcke aus dieser Zeit, Holzschnitte, Radierungen. Das ist mein Grundmaterial für DIKTATUREN. Mit Jessica Beebone sprach ich gerade darüber, wie mich das Amt unterstützen kann. Ein schönes Gespräch, bei dem ich ein Interesse spürte. Auch der spartenübergreifende Aspekt und die Längerfristigkeit der Arbeit, waren Thema.

Die Kälte im Atelier hindert mich am Arbeiten. Deswegen war ich gestern Nachmittag auch nicht dort. Ich müsste dringend aufräumen, damit ich mich wieder bewegen kann. Dann steht endlich die Weiterentwicklung der Materialien auf den Transparentpapierrollen auf dem Programm.

Zeitbewegungsraum

werlambus tavigrem dreumelum kiegrei

Heute wird die Vaganteneiche vom Grünflächenamt geschnitten. Es gibt ein paar trockene Äste, die herunter fallen könnten. Mit dem GPS sprach ich gehend vom Stamm aus auf der Wiese die Worte des Baumes. Für die Rundbank um den Stamm bekommen wir, Lolek und ich, Holz von der Baustelle.

Gestern Abend ging es in einem Tanzworkshop der Dresden Frankfurt Dance Company um Improvisation und Kooperation im Raum. Mir geht es um den Raum, der durch Bewegung entsteht. Aus diesem klaren Interesse kann ich choreografische Ideen entwickeln, die die Suche nach den Zusammenhängen offen legen können. Gestern war der erste Abend, denen noch drei folgen. All das korrespondiert mit meiner Arbeit in den Buchmalereien, den Collagen und auf den Transparentpapierrollen.

Seit etwa 10 Tagen haben sich die Figuren aus den Buchmalereien verabschiedet. Offensichtlich entwickelt sich ein anderes Interesse. Die Durchblicke durch die Risse der Tanzlinien in den Collagen, schaffen einen farbigen, mehrdimensionalen, neuen Zeitbewegungsraum.

Bäume

Der Vagantenbaum sagte: numarge rämwesu erwerfed laptsum

In Augenhöhe schmücke ich ihn mit Federn, Muscheln und Hühnergöttern an Fäden, die ich mit Schlingen in die Rinde hänge.

Der längs aufgespaltene Stammabschnitt der großen Pappel, die vor einiger Zeit hier gefällt wurde, und seinen Platz neben dem Ateliereingang gefunden hat, lag am Morgen ungeworfen neben der Tür. Die Verzierungen aus allerlei Geflechten, Steinen und Drähten, kaputt, die Holzbienen ausgeflogen und die Tongefäße zerschlagen. Alle paar Wochen passiert so etwas spät am Abend, wenn junge Männer bedröhnt zu viel Kraft entwickeln.

Länger als gewöhnlich beschäftigt mich, warum die unspektakuläre und beeindruckende Spielweise der Schauspielerin Annie Nowack mir so einleuchtet. Hat das mit einem Heimaterinnern zutun, mit Ihrer Ostsozialisation und der daraus folgenden Darstellungsform? Es gehört zum Diktaturenprojekt, das heraus zu bekommen.

DISZIPLIN

Ein Langsamer Morgen. Ich nehme mir Zeit und frage mich dabei, wohin mich die Eile meiner Tage geführt hat. In den Malereien entstehen langsam Farbklänge mit den Waben des Korallensteins. Gesammelte Federn vom Mainufer stehen in einem Glas. Gänse haben sie verloren und sie bekommen nun einen Platz in den Vertiefungen der Borke des Vagantenbaumes. Ich denke an die heiligen Bäume in Indien, zu deren Füßen zerbrochene Kultgegenstände liegen und die geschmückt sind mit farbigen Bändern.

Indem meine Entfernung zu den gegenwärtigen Arbeitszusammenhängen wächst, keimt die Ahnung von etwas anderem, jenseits der Verpflichtungen, die ich bereit bin / war (eine Bewegung) einzugehen. Lange sah ich mir die Wandzeichnung im „Gusti“ an, die ich vor 10 Jahren gemacht habe… Ich sehe sie gerne. Ich hatte viel Zeit für sie.

Manchmal nimmt die Bedeutung der Dinge, auf die ich mich lange bezog und stützte, plötzlich ab. Eine Ernüchterung setzte ein, die Scheinwelten zu entdecken glaubt. Geflechte der Vorstellungen lösen sich dann auf und man steht mit leeren Händen da. Wenn dann die Routine abhanden kommt, kann alles ins Rutschen geraten. Aber es gibt ja noch die DISZIPLIN!

KORALLE

urmwap nirban nieltrafur kreifschlat

Mit den Worten ging ich einige Muster auf dem Gustavsburgplatz, noch ohne das GPS-Gerät. Es gestaltet sich mit diesem Text eine etwas ruppige Struktur, ähnlich wie die Tanzlinien, die die Malereien durchziehen.

Von einem Gesims der Wohnung nahm ich eine ovale Koralle, die eine wabenförmige Musterung auf ihrer schön gespannten Oberfläche aufweist. Mit ihr kann ich punktförmige Vertiefungen in das Papier meines Tagebuchs prägen. Diese verband ich mit Gravurlinien, wodurch eine ähnliche Musterung entsteht, wie sie die Koralle aufweist. Als Kontrast zu den gleichmäßigen Formen fungieren Verwischungen und Auflösungen durch Wasser am Handballen und durch Farblasuren im Zusammenspiel mit den Tanzlinien.

Gleich gehe ich ins Atelier, und lasse mir unterwegs etwas Fremdes vom Baum flüstern, das mich in Bewegung setzt. Der Lärm von der Mainzer Landstasse stört etwas. Mehr Stille würde dem Vorgang entgegenkommen.

HOLZ

nenfbrag fietmur sumkwer

Der Gesang der erklingt, entsteht zwischen dem Wurzelwerk und der Baumkrone. Die Melodie der Malerei, die am Morgen entsteht, folgt dem rechten Arm, der sie von innen nach außen auf das Papier bringt und zusammenfasst. Den Stamm der Vaganteneiche im Rücken, schaue ich nach oben. Mit den Füßen wurzele ich in der nassen, braunen Erde, nehme die aufgelösten Worte auf, filtere sie wieder heraus und schreibe sie mit einer Gravur, die ich schraffiere, in die Malerei. Mit dem Handballen vervielfältige ich sie per Abdruck und verwische sie zugleich.

Der Abdruck des Konglomeratsteines mit dem Muschelschalen, Kieseln und Kristallen aus den Alpen, ist Ausgangspunkt der heutigen Malereien. Und weil die Bilder im Verlauf der Arbeit immer verwaschener wurden, druckte ich noch einmal ein Lavablasenmuster an weniger Stellen darüber. Das schafft gemeinsam mit der Tanzlinie Akzente, die die auseinander fließenden Farbformen zusammenklammern.

Gestern kaufte ich Sperrholz für die Sitzflächen der vier Stühle, die ich aufarbeiten und verschenken möchte. Weil der Zuschnittservice im Baumarkt nur rechte Winkel schneidet, musste ich die Schrägen im Atelier selber sägen. Das machte ich mit einem Fuchsschwanz, der wie eine Feinsäge funktioniert. Dabei erinnerte ich mich an meine Schreinerlehre, was eine Bewegungsfreude auslöste.

HOLZ!

1

Gestern kein Kontakt mit der Eiche, andere Wege, andere Bewegungen. Stattdessen ordne ich die letzten Zuflüsterungen neu:

trachklei egaron lubarkew

ipabluss egaron trachklei

lubarkew trachklei ipabluss

ipabluss lubarkew egaron

Das war letzt ganz intuitiv. Es geht auch systematischer, was Sinn macht.

Systematisch kann ich auch bei der Betrachtung / Bewertung der Buchmalereien vorgehen. Der Tanzlinie in 1 folgend, quere ich von links ein stürmisches Areal. Das kommt von der Rindenoberfläche der Eiche. Weiter rechts blubbert ein gasiges Magma – nein es hat ausgeblubbert und wartet starr auf eine neue Verflüssigung.

Kürzlich fiel mir ein schönes Stück rotes Lavagestein auf die Strasse. Gleich wurde es von einem Vorderreifen zermahlen. Das versehrte Reststück hob ich auf und legte es ins Auto. Weiter rechts auf 1 sträuben sich ein paar helle, eingravierte Linien vor der roten Schraffur, die in ein bräunliches Grau übergeht und dann in ein Indigofeld, das sich wieder mit dem Rot einlässt. Die Verwischungen sind eine Befreiung, manchmal auch eine Enttäuschung, wenn sie mit ihrem Wind so viele schöne Strukturen verblasen. Kurz vor dem rechten Ende der Linie, ein retardierendes Moment, ein Stopp und daneben ein Handabdruck mit den hellen Linien meiner Haut.

Ausblick

egaron lubarkew trachklei

Das empfing ich unter der Baumkrone mit den fallenden Eicheln und Blättern. Franz war mit dabei, der mich zuvor im Atelier besucht hatte. Er malte mit einem Freund ein paar Tage zusammen in seinem Atelier gemeinsame Formate. Dass will ich mir nun bald mal anschauen.

Die Buchmalereien und die derzeitigen Collagen, die aus ihnen entstehen, bieten mir mit ihren Möglichkeiten einen hoffnungsvollen Ausblick. Die vielen Abdruckvarianten der Steine und der anderen Materialien ergeben ein Potential, das noch eine Weile tragen kann. Ansonsten herrscht im Atelier die unbarmherzige Kälte, die von außen durch alle Ritzen pfeift.

Bein Günestheater bin ich auf einen Mann aufmerksam geworden, der auch Schauspielmusik macht. Auf meine Frage, ob er sich als Exilkünstler begreift, verneinte er das zunächst. Weiß nicht, ob er mich richtig verstanden hat. Aber ich würde natürlich gerne wissen, was er zum Islamischen Faschismus in seiner türkischen Heimat zu sagen hat.

Antigone

dlask arweu kedfirsch ipabluss

Manchmal gehe ich schon ein paar Schritte mit den neuen Worten. Bei besserem Wetter kommt das GPS-Gerät dazu. Aus den bewegten Klängen ergibt sich vielleicht eine Geheimsprache, die sich an mein STASI-DADA-Alphabet anschließt.

Vor ein paar Tagen sahen wir die Premiere von „Antigone“ auf einer dunkel stilisierten Bühne mit hartem, weißem Licht im Schauspiel. Anni Nowack spielte die Hauptrolle wenig spektakulär aber klar und dennoch emotional. Das machte den Konflikt sehr deutlich. Mit zusätzlichen Texten einer modernen Autorin hatten einige Untote neue Auftritte.

Meine Arbeit stagniert. Ich muss endlich mit dem Relief fertig werden, damit ich mich den Transparentpapierrollen widmen kann, die mich stets voran bringen.

Konkrete Gesten

Aus dichten Wolken fällt nasskalte Finsternis. Der Vagantenbaum spricht: „rilaumip“. Daraus entsteht eine Verbindung zu „peitwilz“, einem der ersten Worte, das an dieser Stelle an mich gerichtet wurde. Heute bot er mir auch etwas Schutz vor dem Regen, weil sein Stamm ein wenig schräg steht und somit einen trockenen Raum schafft, in dem ich ihm zuhören kann.

Gerade begann ich das Gespräch über DIKTATUREN auf andere Einrichtungen auf dem Gelände auszuweiten. Ich will sehen, ob die Ansiedlung des Projektes auf Teves West einen synergetischen Effekt macht, der zu weiteren anderen Förderungen führen kann. Mir gefiele es auch, aus der reinen Kunstwelt herauszutreten.

Aus den Linien, die auf den Reliefoberflächen den Unebenheiten folgen, sollen mehr Figuren entstehen. Ich wünsche mir, dass konkrete Gesten, die aus der der Reihe von Zeichnungen, die aus der Tanzlinie entstanden sind, wieder auftauchen. Ich spüre bei dieser Arbeit, wie anders ich darüber nachdenke, wenn sie für eine mir bekannte Person entsteht.

Schwingungen hörbar

saworle dorlepin

lolipawz enskrent tascht

sprach der Baum.

Gestern arbeitete ich an den Tuschzeichnungen für die Reliefobjekte weiter. Dunkle Akzente fehlen noch, die das Ganze noch etwas weniger gleichförmig aussehen lassen.

Danach war ich zu Besuch bei der Eiche, dann bei Gusti und dann noch einmal beim Baum. Fünf Worte aber noch kein Dialog. Mit einer Metalllamelle machte ich Schwingungen hörbar. Die gehen mit den Worten zusammen.

Ich überlege, ob das DIKTATUREN Projekt auf andere Beine gestellt werden sollte. Die Haltung des Kulturamtes ist zu starr, sodass ich noch andere Partner suchen werde. Ich will mal mit Timo vom IB sprechen, der politischer Bildung gegenüber offen ist.

sprolich zifulp vebteslo ernguret

Durch die Einbeziehung der Tanzlinien, die sich quer über die Buchmalereien ziehen, Farbwege bilden, die aufgeschnitten klare Fenster in die Vergangenheit öffnen, bekommen die Collagen einen anderen Charakter. Die Struktur der gemalten Bilder tritt deutlicher hervor und die Überlagerung der Schnittkanten der verschiedenen Schichten, bildet überraschende Durchblicke.

Nun noch eine amtliche Reaktion auf meine DIKTATUREN – Projektskizze. Der Baum aber sprach: sprolich zifulp vebteslo ernguret. Diese Worte denke ich zusammen mit den Vibratoklängen der gesammelten Metalllamellen der rotierenden Kehrmaschinenbürsten, was ich unbedingt Susanne, der Musikerin erzählen muss. Und vielleicht bin ich nun auch frei für die GPS-Gänge zusammen mit den Baumgesängen (GPS-Gesänge).

Gestern zeichnete ich Federstrukturen mit Tusche auf das große bemalte Reliefobjekt. Die Linien folgen den Oberflächenstrukturen der einzelnen Felder. Diese bildeten sich beim Modellieren des Originals in Ton und sind getreu abgeformt.

ustrabela

Gestern hatte ich 2 Begegnungen mit dem Baum. Jeweils ließ ich mir 2 Worte zuflüstern. Bei diesen etwas längeren Aufenthalten deutete sich die Gelegenheit eines Dialogs an. Aber was soll ich antworten auf stederfek, ustrabela, dalwich und tegront. Lautmalerische Übersetzungen würden helfen. Auf einer Rundbank um den Stamm ließe sich das kultivieren.

Im Kino sahen wir den Film IN DIE SONNE SCHAUEN von Mascha Schilinski. In ihm geht es um Frauenschicksale einiger Generationen auf einem Bauernhof in der Altmark. Mich nervte der Stil unscharfer Dunkelheit, langsamer Kamerafahrten und die teilweise vernuschelte Sprache etwas. Dennoch sprachen wir noch länger am Abend darüber. Und es stellte sich heraus, dass es sich bei diesem Film um eine gute Arbeit handelt.

Um das Diktaturenprojekt zum Laufen zu bringen benötige ich eine flexible Unterstützung durch das Amt. Es geht nicht um abgegrenzte Förderbereiche, sondern um eine Vielfalt von künstlerischen Sprachen. Gerne würde ich mit den Zöglingsportraits beginnen, sie auf einer Transparentpapierrolle weiterentwickeln, um sie dann mit der Gustavsburgplatzarbeit zu verbinden. Das kann in eine Ausstellung münden, zu der Arbeiten anderer Künstler zugeordnet werden.

DIKTATUREN unter dem Dach von TRIXEL PLANET

Gestern sagte die Vaganteneiche: „porela wremp tschosrat wobaldum“. Lolek traf ich, als ich tschosrat in mein Telefon tippte, denn all diese Worte kann ich mir nicht merken. Eine zweite positive Meldung zu DIKTATUREN kam aus dem Dezernat. Ich möchte die Gustavsburgplatzvorhaben in diese Arbeit mit einflechten. Allgemein ist es eine Fortführung unter dem Dach des alten Projektes TRIXEL PLANET.

Stehend auf meinem Betonfußboden arbeitete ich den ganzen Nachmittag an der Bemalung des großen Reliefobjektes. Die Tanzlinie, die sich darauf befindet teilt die Landschaft in eine nördliche und eine südliche. In den Buchmalereien findet sich diese Linie auch wieder und bildet die geschnittene Fuge in den Collagen, durch die man auf das gestrige Bild schauen kann.

Ein paar mehr tote Materialien der Vaganteneiche hätte ich gern hier im Atelier: trockene Äste, Blätter, Rindenstücke und Fruchthülsen. Bald ist es Zeit, die GPS-Gänge auf dem Platz fortzuführen oder vielmehr, einen Neuanfang mit ihnen und den Worten des Baumes zu machen. Das kann auf einer regelmäßigen Basis passieren, vom Eichenstandort ausgehend. Eine Zeichnung mit Worten, die ganz frei beginnt.

Fuge als Passage

„fentgloss sentfrurgan steilungra“ sagte gestern die Eiche. Wegen des starken Verkehrs auf der Mainzer Landstrasse, ist es meist etwas schwierig, dem Baum zuzuhören. Den summenden Stamm im Rücken und die weite Krone über mir, dringen die Worte des großen Freundes in mein Gehirn.

Auf dem größten Objekt des Reliefensembles, an dem ich nun weiterarbeite, begann ich die Malerei mit einer Tanzlinie, die sich von der rechten zur linken Seite durch die Vertiefungen des Reliefs zieht. Lasierend begann ich an ihr entlang die Farbigkeit zu entwickeln. In diesem Monat werde ich damit fertig.

An den Tanzlinien der Buchmalereien setzte ich einen Schnitt an, um die obere und untere Seite getrennt in die Collagen einzusetzen, sie auseinander zu ziehen. Im Riss dazwischen scheint die gestrige Collage hindurch. Die Fuge als Passage in die Vergangenheit.

Blasen Licht Schraffuren

frulsent rumsol

Gern würde ich nur noch schreiben, was ich vom Baum erzählt bekomme. Ein Stück seiner Rinde auf meinem Tisch, besitzt an seiner Oberfläche sehr dünne helle Fäden, die mit dem Inneren verbunden sind. Die Risse an der dem Stamm zugewandten Seite steigen senkrecht nach oben auf. Das Holz zwischen ihnen ist bereits von mir blaugrün für die Abdrücke in den Buchmalereien eingefärbt.

Eine größere Sparsamkeit beim Malen schafft in den Bildern mehr Leichtigkeit. Gasblasen der Lava gehen eine Verbindung mit dem Licht ein. Aus dem dunklen Indigo treten Cadmiumgelb und Helioblau hervor, fadendünne Papiergravuren verweben sich mit den Hautstrukturen des rechten Handballens, unter denen eine Arthrose sitzt. Schwindende Muskelmasse dort führt zu Kreuzschraffuren in den Farbabdrücken der Hand.

Auf der Frankenallee hatte ich auf einem Lampionfest zu „100 JAHRE NEUES FRANKFURT“ mit Teves West einen Stand. Dort stellte ich noch einmal, nach 20 Jahren, mein TRIXEL PLANET vor. Es kostete etwas Überwindung, die schönen Broschüren, mit der geplanten aber gescheiterten Umsetzung auf dem Grünstreifen der Allee, zu verteilen. Ich hatte viele Gespräche in den drei Stunden.

Neue Worte

gentura

kombrud

vertola

zikbla

sumwai

laumkrüpp

Das sind die neuen Worte, die ich von der Vaganteneiche empfangen habe. Mit ihnen kann ich nun gehen, sie singen oder Musik machen. Susanne wäre eine Kooperationsadresse dafür. Auch ist es vorstellbar, mit diesen Worten zu malen. Von ihnen ausgehend Linien finden und dann lasierend Farben schichten. Aus „laumkrüpp“ steigen die Blasen der Lavasteinabdrücke auf und verbinden sich mit der Tanzlinie.

Gestern zeigte ich Anne den Baum und stellte ihr Lolek vor. Wir wollen uns heute noch einmal treffen. Mal sehn, ob wir gemeinsam was machen. Außerdem sprachen wir über meinen Nachlass, ein wichtiges Thema für mich jetzt. Anne fragte, wie ich mir das ohne Schere im Kopf wünschen würde. Meine Vorstellung ist, dass die Arbeit in einem Archiv für Forschungszwecke zugänglich ist. Ein Arbeitsangebot für zukünftige Generationen. Aber es kann dabei auch einen kommerziellen Aspekt geben…

Millionenjahre schwer

In den Chiemgauer Alpen fand ich einen fast faustgroßen Stein, dessen Oberflächenstruktur kleine und größere Krater aufzuweisen schien. Bei genauerer Betrachtung kam ein Konglomerat zum Vorschein, dessen auffälligste Bestandteile Muscheln waren. Sie werden von Kieseln, Sediment und Bergkristallen, die sie umgeben, gehalten. Die Muscheln und Schneckenhäuser kenne ich von den Kanaren, auch die Art Sedimentgestein findet sich glatt geschliffen an den Stränden. Dieser Brocken, von Meeresboden weit hinaufgedrückt bis in den Hochwald vor dem Gebirge, lag nun, Millionenjahre schwer, in meiner Hand.

Am nächsten Tag habe ich ihn gewaschen und für meine Buchmalereien benutzt. Nun erzählen seine Abdrücke die Geschichten der Meere und des langsamen Wachstums der Kristalle. Das mischt sich mit den Längsrillen der, dem Stamm zugewandten Innenseite, eines Rindenstücks von der Vaganteneiche. Die parallel laufenden Rillen sorgen für einen Kontrast zum chaotischen Bild der Steinzusammensetzungen.

Am Gustavsburgplatz begrüßte ich die Eiche und hörte zwei Worte von ihr. Die kann ich an Anne weitergeben, die mich gleich besuchen wird. Ich zeige ihr den Baum. Wir können uns dann von unseren Sommerreisen erzählen…

Baumgesänge | Tanzlinie

In den Malereien des Morgens sind, durch heftige kleinmotorische Bewegungen, Schichten unterschiedlicher Dichte entstanden. Dabei spielt die Tanzlinie, wie auch in den Collagen, eine wichtiger werdende Rolle. Sie befindet sich auf der Suche nach den Haltungen, die in Diktaturen entstanden sind. Somit bekommt sie in der Zukunft des Projektes eine entscheidende Aufgabe.

Auch entsteht eine Nähe zu den Baumgesängen, die durch Choreografie eine Gangform bekommen, einen Rhythmus, der sich in gezeichneten, gelaufenen GPS – Strukturen zeigt. Oder wie könnte man „zreukwer“ und „manschei“, die letzten Einflüsterungen der Eiche, verbildlichen? Vor einiger Zeit versuchte ich es schon einmal mit den Adern der Blätter dieses Baumes. Dieser Versuch ging auch eine Verbindung mit der Tanzlinie ein.

Mein Arbeiten jenseits des Kunstmarktes lässt sich einfach mit einer Abneigung gegen die Marktmechanismen erklären. Andererseits wäre zu überlegen, ob sie nicht einfach ebenfalls eine andere Art der Diktatur beinhaltet, die ich mit meinem Weggang aus der DDR hinter mir lassen wollte. Die Kunst im kapitalistischen System kann sich nur als Grundlagenforschung in Freiheit weiterentwickeln.

DIKTATUREN 20

Die Tibeter und ihre tragbare Kunst führen die Tradition weiter, nach klaren Regeln. Es ist eine andere Kunstauffassung als unsere, die dem zugrund liegt, ein eher handwerkliches Ethos. Dennoch möchte ich diese Künstler beim DIKTATUREN -Vorhaben nicht ausschließen. Elke Hessel, die auf dem Rossmarkt am Wochenende einen Vortrag über diese Kunst gehalten hat, kann mir dabei vielleicht weiterhelfen.

Nun rücken wieder die Tanzfiguren mehr in den Vordergrund, die ich aus der Undertainment – Linie entwickelt habe. Sie sollen mit den Buchmalereien in verschiedenen Konstellationen einen neuen Dialog aufmachen. Ich möchte ihre Bedeutung für die DIKTATUREN deutlicher machen. Ich denke dabei beispielsweise an die Konfrontation des Choreografen mit der Situation in Amerika.

Die Vaganteneiche sagte gestern noch:

tromsim

herlams

schlekstrok

Sound

zmeun amtrur esernb

limua mendramur

leifreng zessmur etsand

Das sind die Worte, die ich in den letzten Tagen von der Vaganteneiche hörte. Sie ist der Ausgangspunkt für die nächsten GPS-Bewegungen, die ich auf dem Gustavsburgplatz unternehmen möchte. Dabei will ich die Worte rezitieren, dass ein abstrakter Gesang entsteht. Hier im Atelier habe ich ihn schon mit der Begleitung der vibrierenden Metallzungen der Kehrmaschinen ausprobiert, die ich auf meinen Wegen ins Atelier finde. Die muss ich nun noch mit der elektrischen Gitarre verknüpfen, damit ein entsprechender Sound entsteht.

Gestern überarbeitete ich noch einmal das Diktaturenprojekt. Die Arbeit daran gestaltet sich etwas zäh, weil ich alles hineinpacken will, was mich derzeit interessiert. Meine Aufmerksamkeit ist so beansprucht, dass ich vergaß, mein Tagebuch mit nach Hause an meinem neuen alten Tisch zu nehmen. Deswegen sitze ich beim Schreiben in meinem Gärtchen und schaue auf das Getier in den Lichtflecken.

Diktaturen 19

Das Tibethaus feierte sein 25 jähriges Jubiläum. Auf dem Rossmarkt erinnerten sie lautstark an das Verschwinden ihrer Kultur in China. Mit Vorträgen, Musik und Tanz rückte das Schicksal der Tibeter ein wenig mehr in das Bewusstsein der Frankfurter. Mich bestätigt dieses Fest in meiner Arbeit gegen Diktaturen. Besonders fühle ich mich, durch die Reisen nach Ladakh und durch meine Arbeit mit den Linien aus Tabo, mit dieser Kultur verbunden. Ich habe die Chance mit dem Diktaturenprojekt etwas Sichtbares herzustellen, das die Solidarität mit dieser Kultur demonstriert.

Ansonsten habe ich am Wochenende versucht, mich von der Arbeit fernzuhalten. Auch für den Projekttext benötigte ich etwas Abstand, um ihn nun klarer zu strukturieren. Phasen und Module müssen voneinander getrennt sein und dennoch ineinander greifen. Keine einfache Aufgabe. Aber in dieser Woche werde ich das hinbekommen.

Der spielerische Einstieg in die Arbeit, an jedem Morgen, gelingt mit den Buchmalereien ganz gut. Im Verlauf der halben Stunde, die ich etwa dafür benötige, nimmt die Ernsthaftigkeit und strenge Fokussierung allerdings zu. Und heute freue ich mich auf die Collagen, die ich nun zwei Tage liegen gelassen habe.

Diktaturen 18

Zeichnungen von Organigrammen auf Transparentpapier haben mich der „Diktaturenformel“ etwas näher gebracht. Es wäre ein Versuch, die vielen Entwürfe übereinander zu legen, um aus dem Geflecht eine brauchbare, künstlerische Struktur zu gewinnen. Dieser Vorgang könnte auch auf Rolle 12 stattfinden. Nach einer Formel könnte ich auch meinen Enkel Armin fragen. Der kennt sich mit der Stabilisierung von Formen in Zahlenreihen aus.

Auf dem Gustavsburgplatz rezitierte ich den Gesang der Vaganteneiche, wie ein Klagelied. Damit stehe ich an den Gräbern aller Fahrenden, die im deutschen Faschismus umgebracht worden sind und sich dann in Rauch aufgelöst haben. serkür twars eufrand dwin

Am Nachmittag arbeitete ich gestern am Konzept „Diktaturen“ weiter. Es verhält sich wie der süße Brei. Die Vielzahl von Möglichkeiten, mit unterschiedlichen Künsten zu kooperieren und sie untereinander zu immer neuen Kombinationen kommen zu lassen, verführt dazu, das Vorhaben immer weiter wachsen zu lassen. Für die Begrenzung und den Überblick benötige ich die Formel.

Grundmaterial Schichten Schlusspunkte

Die Formel, mit der „Diktaturen“ strukturiert werden soll, ist noch nicht gefunden. Eine Einteilung in Module könnte helfen. Den Aspekt der Entwicklung neuer Arbeiten zum Thema, auch auf der Website, habe ich noch nicht berücksichtigt, nur im Rahmen von Kooperationen zwischen den Kunstschaffenden.

Die Vaganteneiche sang:

herurl ralermad

larscha blim

strogt mowsev

Die Buchmalereien unterscheiden sich heute in Herangehensweise und Ergebnis. Unterschiedliche Ansätze, sind in einem Übergang von 1 zu 3 sichtbar. 1 besteht nur aus Handballenabdrücken und Umrisslinien. 2 hat Lasurflächen, Abdrücke und Tanzlinien. 3 begann mit kreisenden Papiergravuren und verschiedenen Farbschraffuren in Schichten. Das bildete das Grundmaterial für 1 und 2. Die Schlusspunkte wurden in unterschiedlichen Phasen gesetzt, je früher umso leichter die Komposition.

Im Odenwald

Leider war Andreas, den ich gestern besuchte, gar nicht in dem GST-Lager, über das ich mit ihm sprechen wollte. Er hatte sich vorher krankschreiben lassen, weil er mit dem ganzen Militärgehabe nichts zutun haben wollte. Unsere Revolte war für die Schulleitung damals eine heikle Angelegenheit mit einer angespannten Sicherheitslage. Schließlich hätten wir auch irgendwie an Waffen kommen können. Sie haben das Vorkommnis etwas klein geredet und unter dem Radar gehalten.

Wir spazierten über die Hügel des Odenwaldes, auf denen Schilder auf landschaftliche Besonderheiten hinwiesen. Besonders beliebt sind Schwedenschanzen, in unseren Fall aber, nach längerer Untersuchung, eine natürliche Bodensenke. Aber es gab noch Reste einer Eisenmine, eines Maars und eine intakte Berghütte. Später in einem Dorf im Tal gab es große Schnitzel und Bier zu alten Preisen.

Heute steht die Reduktion der Projektidee „Diktaturen“ an. Mir schwebt eine Stilisierung vor, die wie eine Formel funktioniert, in der alle Möglichkeiten angedeutet sind. Ein thematisches Organigramm, das die Arbeitsschritte am besten im Dreierrhythmus hierarchisiert.

Fremde Gesangsornamente

glisamsul peitwilz

atalam schaktole

flirz cambrun

So setzt sich das Lied fort, das mir die Eiche singt. Ich probiere es mit einem Sprechgesang und Elektrosounds der Gitarre. Refrainhafte Wiederholungen schaffen etwas, das mit Gehrhythmus zutun hat. Schritte, Wendungen, Pausen und Beschleunigungen rund um die Eiche, in Sternform über die Wiese, Gesangsornamente.

Der Tag begann sperrig mit verzagten Buchmalereien, geradezu kleinmütig und gehemmt. Noch hatte ich die Landschaften im Kopf, die wir gestern durchquerten. Zerstreuung in der Wetterau bis heran an den Westerwald. Ich erinnere mich an ein schief liegendes geografisches Viereck aus Eifel, Hunsrück, Taunus und Westerwald, von dem ich in der Schule erfuhr. Allerdings unerreichbar im Westen…

Morgen fahre ich zu meinem alten Freund in den Odenwald. Der Höhenzug liegt neben der Autobahn wie lang gestreckt da, was täuscht. Noch mal eine Zerstreuung! Vielleicht können wir uns gemeinsam erinnern an die „Vorkommnisse“ im GST-Lager währen unserer Ausbildung zu Facharbeitern für Gummi und Asbest. Das gelingt zu zweit genauer.

Zellteilung

Die Frage ist, welche meiner Arbeiten den Kern der Auseinandersetzung mit der Diktatur bilden, in der ich aufgewachsen bin. Sicherlich waren die letzten Jahre dort, die der intensivsten Reibung mit dem System. Aber auch die Erlebnisse an der Pädagogischen Hochschule Erfurt und die während meiner Ausbildung zum Facharbeiter für Gummi und Asbest waren entscheidend für meine Entwicklung. Nur war ich damals künstlerisch nicht in der Lage, das bildlich umzusetzen.

Eine Arbeit aus der ich das Diktaturenthema weiterentwickeln kann, ist sicherlich die Stasisequenz auf Rolle 10, die im Humboldtforum ausgestellt war. Es müsste so etwas wie eine Zellteilung der kleinsten Bestandteile möglich sein, aus der sich neue Werke entwickeln.

Ein Zentrum, was mich gerade mit Energie versorgt, ist die Vaganteneiche auf dem Gustavsburgplatz. Es sind nicht nur die Worte, die ich unter ihrer Krone finde und in den Spalten ihrer Rinde, sondern auch eine Kraft, die aus ihrem Alter entspringt. Das hat gerade erste begonnen, und ich muss nun schauen, wohin mich das führt.

Lieder | Gesten

Auf dem Balkontisch versuche ich die Wespen mit einem Glas Dattelsirup von mir abzulenken. Wenn sie in die Nähe meiner Augen, meiner Nase und neben die Ohren fliegen, wird es unangenehm. Daneben interessieren sie sich auch für die Buchmalereien, folgen ihren verschlungenen Linien zu den Farbflächen, die sie beäugen.

Das bisherige Material des Vagantenbaumes:

goscht strepp empfen

spratenslar grunfra

blettfier brukaront

quring kersun

marsark famex

Alexander erzählte mir gestern vom Roman „Geisterbahn“ von Ursula Krechel. Diese Geschichte einer Sinti – Familie will ich im Zusammenhang mit meiner Gustavsburgplatz – Arbeit lesen. Vorher aber ihren Exiltext. Das ergänzt die Lieder der Eiche und die Gesten der Tanzfiguren. Sie treten nun innerhalb der Reliefbemalungen aus den Furchen dieser Landschaften und verbinden sich mit ihren Kratern, Landschaftsverwerfungen und den dunklen Wassern ihrer Schluchten.

Diktaturen 17 | Kammerspiel

Nach meinem weitschweifenden Blick auf die künstlerischen Folgen der Sozialisation unter staatlich autoritären Bedingungen, steht mir der Sinn nach Reduktion: jeweils eine Arbeit zweier Künstler oder Künstlerinnen, eine musikalische Komposition mit einer choreografischen Entsprechung. Das ist eher ein Kammerspiel.

Gestern, am Tag des Mauerbaus, waren im Deutschlandfunk mehrere Beiträge zu hören, die sich mit dem Leben in der DDR beschäftigten. Der Stand einer politisch – gesellschaftlichen Aufarbeitung dieser Situation wurde begutachtet. Danach gibt es noch viel zutun, besonders im Hinblick der Aufklärung jüngerer Generationen.

Die Buchmalereien lenken meine Konzentration aus diesen „realsozialistischen“ Außenbereichen in eine Ausgewogenheit der Komposition, die einen Innenzustand hervorruft, die sich ihr nähert. Und in den Verdichtungen der digitalen Collagen, trifft diese Welt auf die meditative Undertainment-Linie, die die autokratisch bedrängten Restseelenzustände der Protagonistinnen untersucht.

Diktaturen 16 | Gespräch

Gestern fand am Nachmittag das Gespräch im Dezernat statt. Ich erzählte ziemlich wüst durcheinander, was ich zum Thema „Diktaturen“ im Kopf hatte, vergaß aber die Stasisequenz auf Rolle 10, die ich im Humboldtforum zeigte, und auch das Gustavsburgplatz-Projekt, an dem ich derzeit arbeite. Aber all das kann Julius Reisberg mit Suchbegriffen in meinem Blog finden.

Als nächsten Schritt werde ich eine Projektbeschreibung für einen Förderantrag machen. Dafür hat mir das Gespräch mit Julius nun noch etwas mehr Energie und Fokus verschafft, um das Prozedere in Gang zu setzen. Meine Idee ist eine Startausstellung mit Rahmenveranstaltungen. Das können Podien, Lesungen und Performances sein.

„Brukaront“ und „quring“ sind die neuen Worte, die mir gestern die Vaganteneiche auf dem Gustavsburgplatz sang. Entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten, möchte ich bei den „Diktaturen“ von meiner Arbeit ausgehen, sie im Zentrum dieses Forschungsvorgangs weiterentwickeln. So können nach und nach die vielen Werke, die explizit zum Thema entstanden sind, im Dialog mit den anderen Künstlern und Künstlerinnen, zum Vorschein kommen.

Diktaturen 15 | Undertainment-Linie | Pianistenpaar

Die Undertainment-Linie oder Tanzlinie folgt den Improvisationen der Company, die aus dem Material von William Forsythe hervorgingen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er bei der Entwicklung dieser Arbeit von den Zuständen in seiner amerikanischen Heimat absehen konnte. Diese Reaktion trifft auf die heterogene Tanzgruppe mit ihren Haltungen zu Autokratien, die sie entweder erlebt oder beobachtet haben.

Im Hinterhaus, vor unserem Küchenfenster wohnt ein russisches Pianistenpaar. Mich interessiert, warum sie ihre Heimat verlassen haben und nach Deutschland gekommen sind, wie sich das auf ihr Spiel ausgewirkt hat und welche Spuren sie damit in dieser Gesellschaft hinterlassen.

Heute umfing ich die Buchmalereien mit einer dünnen, geschlossenen Linie, so als wollte ich sie von den Schichten der Collagen abschließen. Normalerweise markiere ich die weiße Fläche, die den Scan umgibt, schneide sie aus oder füge einen transparenten Verlauf in diesen Hintergrund ein, den ich dann dunkel einfärbe. Dabei kommt es vor, dass sich diese Flächenauswahl in die Motive von außen hineinfrisst, sie ausfranst und mit den unteren Schichten verschmelzen lässt. Das wollte ich heute vermeiden.

Diktaturen 14 | Schostakowitsch

Schostakowitschs Todestag jährte sich zum 50. Mal. Bei dieser Gelegenheit tritt ein Aspekt hervor, der mich besonders interessiert. Seine Rolle im stalinistischen System der Sowjetunion, das er mit seiner Musik unterstützen wollte, kippte irgendwann in ein Dissidententum, das aus heutiger Rezipientensicht als stimmig betrachtet wird. Aber dass womöglich die ästhetische Unbedarftheit Stalins dazu führte, dass die avantgardistische Seite des Komponisten nicht gemocht und anerkannt wurde, und Schostakowitsch somit in die Dissidentenrolle gedrängt wurde, wäre eine Variante.

Wie verhalten sich Künstler während der Bedrohung ihrer Existenz, und welche Werke entstehen unter diesem Druck? Wie unterscheiden sich ihre Bilder von denen, die in Freiheit entstanden sind oder unter dem Diktat des Marktes? Dem möchte ich gerne nachgehen.

Die Erziehungsanstalten des späten 18. Jahrhunderts ähneln denen in der DDR bis in die Begrifflichkeit. Waisen wurden mit „Schwachsinnigen“ zusammengesperrt. Das Singen sollte den Charakter verbessern. Ich erinnere mich an eine Marschkolonne, die ihre landwirtschaftlichen Geräte beim Vorbeizug an unserem hochgelegenen Wohnzimmerfenster in die Höhe hielten. Das Defilé der Rechen, Sensen, Forken und Hacken interpretierte ich als einen freundlichen Gruß der Aufheiterung durch die Zöglinge an mich.

Baumgesänge | Tanz

Linien durchziehen die Steinstrukturen und die per Handabdruck hergestellten Vervielfältigungen der Buchmalereien, die an die Tanzlinie erinnern. Auch aus diesem Material treten mir Tanzfiguren entgegen. Eine Ausweitung des Diktaturenprojektes auf diese Darstellungskünste, könnte ich mit den Tänzerinnen entwickeln, die bei YOU&EYE mitarbeiten.

Gestern positionierte sich eine solche Figur auf einem meiner bemalten Objekte. Noch erscheint sie wie ein Fremdkörper, muss erst noch eingebunden werden in die Komposition. Die Tuschelinien sollten aus den Vertiefungen des Reliefs herauswachsen, wie aus Spalten.

Das Ritual mit der Vaganteneiche hat sich fortgesetzt. Bisher flüsterte sie mir, wenn ich ihre Rinde berühre, drei Worte: goscht (vorgestern), strepp und empf (gestern). Diese Baumgesänge begleiten mich bei meinen Gängen über den Gustavsburgplatz.

Schichten

Nun hat die Tanzlinie endgültig Einzug in die Buchmalereien gehalten. Sie sind seltsam verhalten heute, etwas gleichförmig und farblich unausgewogen. Dann gibt es aber immer noch die Möglichkeit, dass sie innerhalb der Collagen funktionieren. Für diese scanne ich auch die Tanzfiguren. Immer lege ich zwei übereinander, so dass die untere etwas schwächer durch das Transparentpapier scheint. So kann man die beiden auseinander halten.

Bei der Arbeit an den Sakralobjekten in Neckargemünd lernte ich, die Tuschezeichnungen von dem Transparentpapier auf die Holzflächen zu übertragen. Das sollte mir auch mit den Reliefs gelingen. Es reizt mich sehr, dort die Tanzfiguren einfügen zu können. Gestern malte ich am Nachmittag. So, wie ich es mir vorgenommen hatte, entsteht eine Reihe von Objekten, bei deren Herstellung und Bemalung stets etwas Erfahrung im Umgang mit den verschiedenen Materialien hinzukommt.

Die Blattstruktur von der Vaganteneiche hat sich durch die Papiergravuren auf die nächsten Seiten des Tagebuchs durchgedrückt und verändert. Sie ist zu einer strengen Linienschichtung geworden. Ihr Raum bietet mir die Möglichkeit, mir Liedzeilen kreuz und quer hintereinander anzuordnen. Bei meiner Begegnung mit dem Baum fiel mir an Morgen ein fremdes Wort ein: „Goscht“. Ich könnte mir täglich solche Fremdsprachstücke von dem Stamm zuflüstern lassen.

Singender Baum

Gestern nahm ich am Nachmittag die Arbeit an der Reliefbemalung wieder auf. Die starke Farbigkeit, die durch die Lasuren entstanden ist, will ich mit weiteren Schichten etwas zurückdrängen. So kann man alle Teile zusammenlegen und mit weiteren durchscheinenden Farben alles „zusammenmalen“. Außerdem sollten auch noch ein paar Figuren aus dem Tanzliniendefilé oder auftreten.

Die bisher fehlende Unterordnung dieser Reihe unter ein Thema, ist ganz erholsam. Vielleicht ist es ganz falsch, sie in den fortlaufenden Prozess unter dem Verlust ihrer Freiheit, einzubinden. Wenn sich die Figuren von alleine in die Richtung der „Diktaturen“ entwickeln, kann ich es ja geschehen lassen. Mir fehlen die Weiterentwicklungen der Buchmalereikompositionen auf einer Transparentpapierrolle. Ich sollte das, vielleicht etwas reduzierter, wieder aufnehmen.

Mehrmals am Tag besuche ich die Vaganteneiche. Auf meinen Wegen ins Atelier und zurück, schaue ich sie aus den verschiedensten Perspektiven an. sehe ich am Stamm steil hinauf, entsteht für mich ein sehr körperlich – architektonisches Bild. Trete ich weiter zurück, erscheint sie eher wie ein singender Baum, der die Lieder wiedergibt, die er im laufe seiner hundert Jahre eingesogen hat.

Vanya

Eine sehr gelungene Premiere von Barbaras Übersetzung des Stückes „Vanya“ von Simon Stephens. Die Rolle wurde von Oliver Mommsen hervorragend gespielt. Er umarmte Barbara fest für ihre Arbeit, und wir waren froh, dass die Deutsche Erstaufführung im Berliner Ensemble so gut gelaufen ist. Auch die Presse, die für ein Blitzlichtgewitter gesorgt hatte, berichtet hymnisch.

Auf der Premierenfeier sprach ich mit einem jungen Schauspieler, ebenfalls bekannt aus dem Fernsehen wie Mommsen, über die Improvisationsarbeit auf der Bühne. Ich erzählte ihm von meiner Tanzlinie. Auch Anne, die mit auf der Premiere war, knüpfte einen Kontakt zu ihm.

Wir unternahmen viel miteinander. Gestern gingen wir mit Armin in das Pergamonpanorama. Ich wollte mal sehen, wie das aussieht, wusste gar nichts von der Machart dieser großen inszenierten Fotocollage. In der beigestellten Ausstellung mit Relieffragmenten aus Pergamon sprach ich mit Armin über den Reiz, die unvollständigen Kunstwerke zu Ende zu denken.

Brücke

Das Aufblitzen der Farben hinter den Augen mündet in ihren kompositorischen Einsatz an verschiedenen Stellen des Bildes. Ein großes Reservoir bilden die Zufälle. Besonders beim Drucken der Muster, die ich von den Lavasteinen oder direkt von den Malereien auf meinen Handballen übernehme, entstehen überraschende Situationen, die meiner geplanten Wirkung nicht entsprechen. Meine Reaktionen darauf sind aber zumeist so, dass ich gleich eine Figur finde, die ich etwas verstärken kann oder eine zeichnerische Antwort finde, die den Zufallsvorschlag ergänzt.

In diesen „Flow“ würde ich gerne bei der Reliefbemalung geraten, die ich gestern fortgeführt habe. Die Orientierungsphase reicht noch nicht in einen klaren Bereich, der anzeigt, wohin die Reise gehen soll. Ich lasse mal locker und werde sehen, ob sich das in die Entwicklung einer Diktaturenarbeit einfügt.

Es gibt ältere Reliefbemalungen mit Schellack und Tusche, die sich mit den Fragmenten der Stasitexte befassen. Dort treten unleserliche Zeichen auf, die scheinbar in keiner Beziehung zueinander stehen. Von diesen unleserlichen Gebilden auf den aufgeworfenen Oberflächen, komme ich zu den Liedtexten der Vaganten, die In den Blätteradern der Eiche auf dem Gustavsburgplatz gespeichert sind und in den Dreißigerjahren in Rauch aufgingen. Vielleicht ist das die Brücke.

Diktaturen 13

In der Arbeit an den Kraftfeldreliefteilen hoffe ich in den Fluss zu gelangen, in dem auch die anderen Projekte schwimmen. Aber erst am Ende des gestrigen Tages gab es einen lockeren Anklang von Gelassenheit in malerischen Ausdruck. Während dessen blicke ich in den Kästen des Grafikschrankes, der mein Gesellenstück ist, zurück in die Siebzigerjahre und finde dort in den Aquatintaradierungen Anklänge an die heutigen Strukturen.

Gestern malte ich im Freien, draußen vor der Ateliertür unter dem großen Dach. Wenn der Himmel bedeckt ist, ist das Licht dort einfach unschlagbar. Die Farben werden überdeutlich, so dass ich sie mit mehreren Lasuren in einen vernünftigen Klang überführen kann.

Im Zusammenhang mit der Diktaturenarbeit will ich in der Nationalbibliothek im Exilarchiv nach Aspekten suchen, die die Arbeit mit der Bildenden Kunst unterstützen und erweitern. Die Frage ist, welche Fragen ich stellen werde, welche Fragen andere Künstler stellen. Danach will ich auch in den Reliefs suchen, die gerade bemale. Eines könnte ich mit Chunqing gemeinsam gestalten.

Diktaturen 12 | Kraftfeld

Nachdem ich die Reliefteile des „Kraftfeldes“ vorbereitet, d.h. stabilisiert und grundiert habe, begann ich mich in ihre Bemalung einzuarbeiten. Das geht nicht so schnell, auch weil ich Tanzfiguren, die aus der Undertainment-Linie entstanden sind, mit einfügen möchte. Diese Arbeit in die Kontinuität der Bildentwicklungen, auch in die des Diktaturenkomplexes einzufügen, bedarf noch etwas Geduld.

Die Buchmalereien und Collagen hingegen speisen sich aus ihren Traditionen. Zögerlich aber stetig treten neue Elemente hinzu, verändern sich Farbigkeiten, Strukturen und Inhalte. Seit einer knappen Woche z.B. spielen Figuren überhaupt keine Rolle mehr, wohl aber die gewundenen, durchgezogenen Linien, die das Potential haben, figürliche Umrisse zu zeigen, wie auch die Eichenblattlabdrücke.

Die Entwicklung des komplexen Rahmens eines Dikaturenthemas innerhalb meiner eigenen Arbeit seit 1977, trägt die Gefahr in sich, dass die Auswahl in eine gewisse Beliebigkeit kippen kann. Dem kann ich entgehen, wenn die vorausgegangenen Werkgruppen als eine Vorarbeit zu dem erscheinen, was nun entstehen soll. Drei Phasen sind denkbar: 1. Rückblick als Voraussetzung, 2. Reaktion auf die Welt, in die ich geflohen bin, 3. Kooperation mit Künstlern mit entsprechendem Hintergrund.

Diktaturen 11

Die ersten Arbeiten, die in meinen Tagebüchern erwähnt sind, bzw. deren Grund das erste Tagebuch war, sind meine Holzschnitte zu „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz, noch in den Siebzigerjahren. Dies war die erste Beschäftigung mit dem Thema Kunst und Diktatur. Und alle Arbeit, die dieser folgte, war mehr oder weniger von diesem Zusammenspiel geprägt. Eine Reihe von Landschaftsradierungen trugen Titel wie: „Frauen am Zaun“, „Landschaft mit Sonne“, „Beleuchtete Landschaft“ und „Landschaft mit Leitern“, allesamt von 1982, zeigen das Leben in der Gefangenschaft einer Diktatur.

Die Theaterarbeiten zum Büchnerprojekt von Wolfgang Engel, zu Kipphards „Bruder Eichmann“ In der Regie von Schönemann und zu „Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten“ standen unter dem gleichen Thema. Es folgte die große Arbeit zu „Kassandra“ von Christa Wolf, die aus 84 Monotypien und einem Holzschnittbuch bestand.

Die Haltung war eingebrannt, und als ich im Westen weiter produzierte, kam sie immer wieder zum Vorschein. Es folgten autobiografische Arbeiten. „Mein Leben in Deutschland“ ist eine Zeichnung, die etwa 2 X 6 Meter groß ist, dazu ein Holzschnittbuch. Das Wanderungsspurenprojekt „Trixel-Planet“ bis hin zum „Frankfurter Kraftfeld“ ist eine Gegenbewegung zur eingeschränkten Reisefreiheit in meiner Jugend. Das „Väterprojekt“ mit den Reihen „Scherbengericht“ und den „Zöglingsportraits“ bildet einen weiteren persönlichen Kommentar zu den Bedingungen, in denen mein Leben in der DDR stattfand.

Diktaturen 10 I Gustavsburgplatz

Der Gedanke, Landstreicher gänzlich auszurotten, war schon im 19. Jahrhundert im Bürgertum vorhanden. Nichtsesshafte wurden für geringe Vergehen zu Tode verurteilt. Somit nutzten die deutschen Faschisten diese traditionellen Ansichten und Praktiken, reicherten sie mit rassistisch-völkischen Theorien an und versuchten den Ausrottungsgedanken in die Tat umzusetzen. Der Gustavsburgplatz mit seiner Vaganteneiche ist somit ein Ort an dem man auf diese Vergangenheit zurückblicken kann.

In den Buchmalereien finden sich heute die Linien eines Eichenblattes und die der gewundenen Wanderungen der Fahrenden Leute. Sie waren auf den „Strichen“ unterwegs, auf denen sie „Kochemer“ oder „platte“ Leute kannten, auf die Verlass war, die ihnen Schutz und Unterschlupf boten. Die Zeugnisse und historischen Aufzeichnungen über die Fahrenden, stammen meist aus Gerichtsakten, sind somit stets durch Kriminalität gefärbt.

Aber es gab eben auch die anderen Seiten dieses Lebens. Gerne würde ich mehr über die Marionettenspieler, Sänger und die vielen Facetten der Darstellenden Künste erfahren. Außerdem interessiert mich das Handwerk unter den Bedingungen des Unterwegsseins. Das hat sicherlich viel mit einem Können zutun, das sich aus dem Mangel entwickelte und durch Improvisationsgeist wuchs.

Reliefs

Gestern am Nachmittag begann ich mit der Reliefarbeit. Zwei große Teile legte ich in die Form und stabilisierte sie, indem ich die Schwachstellen mit Pappmache von hinten verstärkte. Zunächst musste ich aber vor dem Lärm der Steinsägen flüchten, mit denen die Gehwegbegrenzungen auf der Nachbarbaustelle zugeschnitten werden. In einem winzigen Kiosk bekam ich einen Kaffee und Familienanschluss – Großmutter; Tochter, Enkel und Hund.

Dann kam ich zurück und kramte viele kleine unbemalte Relieffragmente hervor, mit denen ich nun Farbigkeit und Zeichnung auf ihren Oberflächen probieren kann. Ein Teil steht schon auf der Staffelei und wartet. Vielleicht entsteht ja eine größere Reihe, in der ich die Tanzlinie mit den Diktaturen verbinde.

Draußen gehen Schauer nieder. Auf der Wiese fotografiere ich ihre Bewohner. Eine Vielzahl von Insekten besucht die Blüten der Schafgarbe und der Kräuterspirale. Große Mengen winziger Eidechsen und Grashüpfer flüchten vor meinen Füßen. Auch dieses Getier soll helfen, dass das Tevesgelände nicht platt gemacht wird.

Etwas mehr Leichtigkeit

Nachdem ich das Defilé der vierzig Tanzfiguren auf Rolle 11 fertig gestellt hatte, sind, außer den Buchmalereien und den Collagen, keine weiteren Arbeiten entstanden. Letztere allerdings sind kompakter und dichter geraten, wodurch sie mehr Kraft kosteten. Der Focus auf Diktaturen beleuchtet jeden Aspekt aus diesem Winkel, was den Horizont etwas einschränkt.

Gestern war ich auf einer Ausstellungseröffnung von Franz Konter in der Schulstraße 1A. Das Publikum sorgte für gleichmäßigen Smalltalk. Ich kenne uns schätze die Arbeit von Franz und konnte sie in diesem Raum mal mehr im Zusammenhang und aus Abstand betrachten. Dabei treten neue Dialoge zwischen den Motiven auf.

Bei Gusti traf ich dann einen Handwerker, mit dem ich mich über Lüftelmalerei, Schablonentechniken, Stukkolustro und Theatermalerei unterhalten konnte. Außerdem traf ich eine Autorin die an der bayrisch-thüringischen Grenze aufwuchs und den Osten immer mit im Blick hatte. Im Atelier räumte ich Rolle 11 in ihre Kiste und begann den Raum für die nächste Arbeit einzurichten. Etwas mehr Leichtigkeit soll einziehen.

Zäsur

Das Tanzfigurendefilé, auf Rolle, 11 ist nun an einer Stelle angelangt, die eine vorläufige Endzäsur darstellt. Vorgestern zeichnete ich bis in den späten Abend bis zu diesem Punkt. Jetzt kann ich in Ruhe beginnen darüber nachzudenken, wie die Tanzlinie in das Diktaturenprojekt eingegliedert werden kann. Dabei treten Formensprachen auf, die sich konträr gegenüberstehen. Wenn sie sich verbinden, tendieren sie dazu, neutralisiert zu werden.

Diese Konstellationen kann ich in den Reliefmalereien untersuchen. Ich mache sie zum Vehikel meiner Exkursionen in die Bewegungsunterschiede, die durch verschiedene Gesellschaften geformt werden. Ich habe ganz klare Bilder vor meinen Augen, die aus der Choreografie „Undertainment“ von William Forsythe kommen.

Der themenübergreifende, kontinuierliche Arbeitsfluss bleibt somit erhalten. Dafür will ich das Atelier so einrichten, dass die Kraftfeldform frei geräumt ist, um neue Reliefobjekte abzugießen. Diese können dann auf der Staffelei, wie früher bemalt werden.

Diktaturen 09

Berufsverbrecher und Arbeitsscheue wurden in deutschen Konzentrationslagern inhaftiert. Und weil unter der rassistischen Ideologie ihre Aussonderung betrieben wurde, man ihnen eine vererbte Minderwertigkeit zuschrieb, war es in dieser Diktatur nur folgerichtig, dass man die Unmenschlichkeit weiter trieb, sie sterilisierte und umbrachte. An ihrer Sträflingskleidung trugen sie grüne und schwarze Winkel.

Teile der Begrifflichkeit befinden sich heute noch im Umgangssprachlichen. Es wird von asozialem Abschaum gesprochen. Und der aus der Begrifflichkeit erwachsende Umgang mit beispielsweise Obdachlosen folgt ebenfalls einer unrühmlichen Kontinuität. Darüber im Gehen auf dem Gustavsburgplatz, dem ehemaligen Vagantenaufenthaltsort, nachzudenken erscheint mit folgerichtig.

Nun schaue ich mir dem Baumstamm der alten Eiche auf dem Platz genauer an, überprüfe ihn auf Zeichen, die in seiner Rinde versteckt sind. Ein kleines Blattstück habe ich stark vergrößert und in zwei Collagen eingebaut. Mal sehn, was passiert. Schaue ich vom Standort des Baumes auf die östliche Seite des „Gusti“ befindet sich dort ein besonderes Graffiti. Ein viel gewundener Spiralpfeil. Kann heißen: gefährlicher Weg.

Destillat

In den Buchmalereien verbergen sich Bilderinnerungen, deren Destillat sich aus Werken verschiedener Epochen bildet. Das geht von den prähistorischen Felsmalereien in Bhimbekta bis zu den kostümierten Modellen von Antoine Watteau. Und dann gibt es die Steine, die ich mit kleinen Pinseln einfärbe, um ihre Strukturen mit meinem Handballen zwischen die Linien zu drucken.

Die Tanzlinie, die ihren Weg von der Tuschzeichnung in die Wasserfarben gefunden hat, erweitert das Element zu einem farbigen Geflecht. Die Qualität der Spannung zwischen den Farbflächen und den Linien, hängt von mir ab. Sie entsteht selten von allein, immer ist der Kompositionsgedanke dabei.

Die Arbeit an der Tanzsequenz soll in dieser Woche zu einem Punkt gelangen, der mir erlaubt, mit den Reliefobjekten zu beginnen. Dabei stelle ich mir eine Serie vor, in der ich den Zusammenklang von Volumen, Farblinien und Abdruckstrukturen untersuchen kann. Auch die Tanzfiguren können aus einer Nische fragmentarisch auftreten. Verschiedene Tanzstile, die unterschiedlichen Sozialisationen entspringen, treffen da aufeinander.

Diktaturen 08

Gestern wuchs die Tanzszenerie auf Rolle 11 um weitere 9 Figuren. Und jetzt könnte ich beginnen mit ihnen kompakte Geschichten zu erzählen. Doch vorerst lasse ich sie offen, als flexibles Material für die kommenden Projekte. Wir dachten nach, ob man „Diktaturen“ um die Exilliteratur erweitern könnte. Sind da Zufallsbegegnungen möglich? Welche Theaterstücke oder Gedichte entstehen in dieser Situation? Haben die Autoren den Wusch nach Kooperationen mit Bildender Kunst?

Auf meinen täglichen Wegen ins Atelier und zurück in die Frankenallee, komme ich an der Vaganteneiche vorbei. Ich versuche die Wege ihres weiten Geästs kennen zu lernen. Wäre ich noch ein Kind würde ich sie erklettern. So aber vergrößere ich eines ihrer Blätter so stark, dass die Texte der Vagantenlieder sichtbar werden, die sie immer noch aus dem Boden aufsaugt.

Gleich laufe ich zu einem erneuten Treffen mit ihr und mit Lolek, der den Kulturkiosk „Gusti“ betreibt. Mit ihm spreche ich über das Projekt und er lieh mir ein Buch über die Fahrenden Völker. Mit den Tanzszenen pausiere ich jetzt erst einmal zwei Tage. Dann schaue ich, wo ich die Gesten der Tänzerinnen finde, die aus den Diktaturen zu uns gekommen sind.

Markt I Vaganteneiche I Bühnengeschehen

Markttag auf der Allee. Zelte werden aufgeschlagen, buntes Gemüse wird auf Tischen präsentiert, Wagen gruppieren sich, wo sonst die Autos unterwegs sind. Die Marktleute tauschen Neuigkeiten aus, Neugierige gehen zwischen den Ständen umher, bleiben stehen, schauen und sprechen. Die Standbetreiber haben immer noch ein wenig von den Fahrenden. Fremd sind sie uns schon lange nicht mehr.

Gestern Abend saßen wir beim Wein vor der Vaganteneiche auf dem Gustavsburgplatz. Nach meinen Recherchen handelt es sich um eine Zerreiche, die eher in Südeuropa heimisch ist. Es ist ein hoher, alter und gesunder Baum. Am Morgen auf meinem Weg ins Atelier pflückte ich ein weiteres Blatt und sammelte ein paar Früchte auf.

Die Tanzfiguren zogen mich gestern in den Arbeitsnachmittag. Ich gruppierte 10 von ihnen so auf Rolle 11, wie sie auf der Tanzlinie, die ich wegließ, aufgereiht sind. Die ganzen 40 Figuren hatte ich vorher noch in dieser Reihenfolge durchnummeriert. Der neue Eindruck, der nun entsteht, folgt der szenischen Erzählung und beschreibt das Bühnengeschehen reich und deutlich. Das kann man nun auch in den Collagen sehen.

Fluss der Zeichnungen

Die letzten 7 Tanzfiguren zeichnete ich gestern Nachmittag auf einzelne Transparentpapierbögen. Aus ihren zwei aufeinander folgenden Liniensequenzen heraus, kann ich sie nun „auf Lücke“ miteinander verbinden, um das vollständige Defilé aus 40 Figurationen zusammenzusetzen. Damit erreiche ich das Ende von Rolle 11. Auf der nächsten kann der Fluss der Zeichnungen in das neue Projekt übergehen.

Am Morgen versuchte ich in der ersten und zweiten Buchmalerei nicht so ausschweifend zu werden. Es geht mir jetzt darum, diese Techniken für Objektbemalungen zu transferieren, um sie gegebenenfalls dort mit dem Tanzthema zusammenzubringen. Um diese Möglichkeiten experimentell zu entwickeln, wird es am besten sein, wenn ich eine Serie male.

Vielleicht hat diese Arbeit auch einen Einfluss auf den Fortgang der „Diktaturen“. Oder sie wird ein Teil davon. In diesem Zusammenhang sollte mich mehr auf das Vorhandensein der Collagen fokussieren, um aus ihren Zusammenklängen etwas weiter zu entwickeln, was aus der digitalen Ausformung wieder zurück in die gemalte Realität findet.

Diktaturen 07 I Ackermannwiese, Vaganteneiche, Lustgarten

Auf meinem GPS-Gang auf der Ackermannwiese, vor ein paar Jahren, versuchte ich einen Sonntag der Zwangsarbeiter zu rekonstruieren, die dort in Baracken untergebracht bzw. eingesperrt waren. Ich erinnerte mich beim Gehen an das Jahr im Magerviehhof in Berlin und versuchte mir gleichzeitig die Unterkünfte der Menschen, die auf Teves und in den Adlerwerken gearbeitet haben, vorzustellen. Von Luftbildern der Vierzigerjahre hatte ich einen Eindruck.

Am Morgen benutzte ich das Blatt der Vaganteneiche, so nenne ich vorerst diesen Baum auf dem Gustavsburgplatz, für meine Buchmalereien. Die Adern, geben die Richtungen von Zeilen vor, in die die Geschichten und Lieder der Leute eingeschrieben sind, die sich mit ihren Wagen und Gerätschaften dort gesammelt haben, als sie noch nicht verfolgt wurden.

Meine Gänge von der Baustelle des Palastes der Republik zum Pergamonaltar, waren Wege zwischen den Materialien Stahl, Asbest, Marmor und Kalk in Filzstiefeln und Arbeitsdrillich, der nach Petroleum roch. Im Lustgarten gingen wir die Wege im vergangenen Sommer nach und sagten Texte meines IM Heinz Werner, aus dem Roman „Hinter den Mauern der Ozean“ und aus dem Interview in meinem Atelier über die Arbeit am Palast.

Diktaturen 06 I Besuch

Chunqing Huang besuchte mich gestern im Atelier, um mit mir über das Projekt „Diktaturen“ zu sprechen. Sie lernte einige Arbeiten kennen, die ich mit dem Thema verbinde. Ganz zuvorderst Rolle 10 mit der Stasisequenz. Aber ich zeigte ihr auch meine Tabo – Arbeit und erzählte ihr von Ladakh und seinen buddhistischen Klöstern, die von dem Kulturrevolutionsterror verschont blieben, weil sie hinter der Grenze zu China lagen.

Auch die Rolle meines Vaters in der DDR war Thema und seine Arbeit in Jugendgefängnissen, Jugendwerkhöfen und Kinderheimen. Seine latente Gewaltbereitschaft mir gegenüber entsprang den Erziehungsmethoden dieser Umgebung.

Nur die Tanzlinie, die ich ihr zeigte, behielt noch ihre Neutralität. Noch bin ich nicht auf der Suche nach den Darstellungsunterschieden zwischen Tänzern aus freiheitlichen Gesellschaften und den Autokratien. Aber vielleicht würde sich in diesem Zusammenhang ein Blick auf die Praktiken der Arbeit innerhalb der Tanzkompanien und des Regietheaters lohnen.