Baumgesänge | Tanzlinie

In den Malereien des Morgens sind, durch heftige kleinmotorische Bewegungen, Schichten unterschiedlicher Dichte entstanden. Dabei spielt die Tanzlinie, wie auch in den Collagen, eine wichtiger werdende Rolle. Sie befindet sich auf der Suche nach den Haltungen, die in Diktaturen entstanden sind. Somit bekommt sie in der Zukunft des Projektes eine entscheidende Aufgabe.

Auch entsteht eine Nähe zu den Baumgesängen, die durch Choreografie eine Gangform bekommen, einen Rhythmus, der sich in gezeichneten, gelaufenen GPS – Strukturen zeigt. Oder wie könnte man „zreukwer“ und „manschei“, die letzten Einflüsterungen der Eiche, verbildlichen? Vor einiger Zeit versuchte ich es schon einmal mit den Adern der Blätter dieses Baumes. Dieser Versuch ging auch eine Verbindung mit der Tanzlinie ein.

Mein Arbeiten jenseits des Kunstmarktes lässt sich einfach mit einer Abneigung gegen die Marktmechanismen erklären. Andererseits wäre zu überlegen, ob sie nicht einfach ebenfalls eine andere Art der Diktatur beinhaltet, die ich mit meinem Weggang aus der DDR hinter mir lassen wollte. Die Kunst im kapitalistischen System kann sich nur als Grundlagenforschung in Freiheit weiterentwickeln.

DIKTATUREN 20

Die Tibeter und ihre tragbare Kunst führen die Tradition weiter, nach klaren Regeln. Es ist eine andere Kunstauffassung als unsere, die dem zugrund liegt, ein eher handwerkliches Ethos. Dennoch möchte ich diese Künstler beim DIKTATUREN -Vorhaben nicht ausschließen. Elke Hessel, die auf dem Rossmarkt am Wochenende einen Vortrag über diese Kunst gehalten hat, kann mir dabei vielleicht weiterhelfen.

Nun rücken wieder die Tanzfiguren mehr in den Vordergrund, die ich aus der Undertainment – Linie entwickelt habe. Sie sollen mit den Buchmalereien in verschiedenen Konstellationen einen neuen Dialog aufmachen. Ich möchte ihre Bedeutung für die DIKTATUREN deutlicher machen. Ich denke dabei beispielsweise an die Konfrontation des Choreografen mit der Situation in Amerika.

Die Vaganteneiche sagte gestern noch:

tromsim

herlams

schlekstrok

Sound

zmeun amtrur esernb

limua mendramur

leifreng zessmur etsand

Das sind die Worte, die ich in den letzten Tagen von der Vaganteneiche hörte. Sie ist der Ausgangspunkt für die nächsten GPS-Bewegungen, die ich auf dem Gustavsburgplatz unternehmen möchte. Dabei will ich die Worte rezitieren, dass ein abstrakter Gesang entsteht. Hier im Atelier habe ich ihn schon mit der Begleitung der vibrierenden Metallzungen der Kehrmaschinen ausprobiert, die ich auf meinen Wegen ins Atelier finde. Die muss ich nun noch mit der elektrischen Gitarre verknüpfen, damit ein entsprechender Sound entsteht.

Gestern überarbeitete ich noch einmal das Diktaturenprojekt. Die Arbeit daran gestaltet sich etwas zäh, weil ich alles hineinpacken will, was mich derzeit interessiert. Meine Aufmerksamkeit ist so beansprucht, dass ich vergaß, mein Tagebuch mit nach Hause an meinem neuen alten Tisch zu nehmen. Deswegen sitze ich beim Schreiben in meinem Gärtchen und schaue auf das Getier in den Lichtflecken.

Diktaturen 19

Das Tibethaus feierte sein 25 jähriges Jubiläum. Auf dem Rossmarkt erinnerten sie lautstark an das Verschwinden ihrer Kultur in China. Mit Vorträgen, Musik und Tanz rückte das Schicksal der Tibeter ein wenig mehr in das Bewusstsein der Frankfurter. Mich bestätigt dieses Fest in meiner Arbeit gegen Diktaturen. Besonders fühle ich mich, durch die Reisen nach Ladakh und durch meine Arbeit mit den Linien aus Tabo, mit dieser Kultur verbunden. Ich habe die Chance mit dem Diktaturenprojekt etwas Sichtbares herzustellen, das die Solidarität mit dieser Kultur demonstriert.

Ansonsten habe ich am Wochenende versucht, mich von der Arbeit fernzuhalten. Auch für den Projekttext benötigte ich etwas Abstand, um ihn nun klarer zu strukturieren. Phasen und Module müssen voneinander getrennt sein und dennoch ineinander greifen. Keine einfache Aufgabe. Aber in dieser Woche werde ich das hinbekommen.

Der spielerische Einstieg in die Arbeit, an jedem Morgen, gelingt mit den Buchmalereien ganz gut. Im Verlauf der halben Stunde, die ich etwa dafür benötige, nimmt die Ernsthaftigkeit und strenge Fokussierung allerdings zu. Und heute freue ich mich auf die Collagen, die ich nun zwei Tage liegen gelassen habe.

Diktaturen 18

Zeichnungen von Organigrammen auf Transparentpapier haben mich der „Diktaturenformel“ etwas näher gebracht. Es wäre ein Versuch, die vielen Entwürfe übereinander zu legen, um aus dem Geflecht eine brauchbare, künstlerische Struktur zu gewinnen. Dieser Vorgang könnte auch auf Rolle 12 stattfinden. Nach einer Formel könnte ich auch meinen Enkel Armin fragen. Der kennt sich mit der Stabilisierung von Formen in Zahlenreihen aus.

Auf dem Gustavsburgplatz rezitierte ich den Gesang der Vaganteneiche, wie ein Klagelied. Damit stehe ich an den Gräbern aller Fahrenden, die im deutschen Faschismus umgebracht worden sind und sich dann in Rauch aufgelöst haben. serkür twars eufrand dwin

Am Nachmittag arbeitete ich gestern am Konzept „Diktaturen“ weiter. Es verhält sich wie der süße Brei. Die Vielzahl von Möglichkeiten, mit unterschiedlichen Künsten zu kooperieren und sie untereinander zu immer neuen Kombinationen kommen zu lassen, verführt dazu, das Vorhaben immer weiter wachsen zu lassen. Für die Begrenzung und den Überblick benötige ich die Formel.

Grundmaterial Schichten Schlusspunkte

Die Formel, mit der „Diktaturen“ strukturiert werden soll, ist noch nicht gefunden. Eine Einteilung in Module könnte helfen. Den Aspekt der Entwicklung neuer Arbeiten zum Thema, auch auf der Website, habe ich noch nicht berücksichtigt, nur im Rahmen von Kooperationen zwischen den Kunstschaffenden.

Die Vaganteneiche sang:

herurl ralermad

larscha blim

strogt mowsev

Die Buchmalereien unterscheiden sich heute in Herangehensweise und Ergebnis. Unterschiedliche Ansätze, sind in einem Übergang von 1 zu 3 sichtbar. 1 besteht nur aus Handballenabdrücken und Umrisslinien. 2 hat Lasurflächen, Abdrücke und Tanzlinien. 3 begann mit kreisenden Papiergravuren und verschiedenen Farbschraffuren in Schichten. Das bildete das Grundmaterial für 1 und 2. Die Schlusspunkte wurden in unterschiedlichen Phasen gesetzt, je früher umso leichter die Komposition.

Im Odenwald

Leider war Andreas, den ich gestern besuchte, gar nicht in dem GST-Lager, über das ich mit ihm sprechen wollte. Er hatte sich vorher krankschreiben lassen, weil er mit dem ganzen Militärgehabe nichts zutun haben wollte. Unsere Revolte war für die Schulleitung damals eine heikle Angelegenheit mit einer angespannten Sicherheitslage. Schließlich hätten wir auch irgendwie an Waffen kommen können. Sie haben das Vorkommnis etwas klein geredet und unter dem Radar gehalten.

Wir spazierten über die Hügel des Odenwaldes, auf denen Schilder auf landschaftliche Besonderheiten hinwiesen. Besonders beliebt sind Schwedenschanzen, in unseren Fall aber, nach längerer Untersuchung, eine natürliche Bodensenke. Aber es gab noch Reste einer Eisenmine, eines Maars und eine intakte Berghütte. Später in einem Dorf im Tal gab es große Schnitzel und Bier zu alten Preisen.

Heute steht die Reduktion der Projektidee „Diktaturen“ an. Mir schwebt eine Stilisierung vor, die wie eine Formel funktioniert, in der alle Möglichkeiten angedeutet sind. Ein thematisches Organigramm, das die Arbeitsschritte am besten im Dreierrhythmus hierarchisiert.

Fremde Gesangsornamente

glisamsul peitwilz

atalam schaktole

flirz cambrun

So setzt sich das Lied fort, das mir die Eiche singt. Ich probiere es mit einem Sprechgesang und Elektrosounds der Gitarre. Refrainhafte Wiederholungen schaffen etwas, das mit Gehrhythmus zutun hat. Schritte, Wendungen, Pausen und Beschleunigungen rund um die Eiche, in Sternform über die Wiese, Gesangsornamente.

Der Tag begann sperrig mit verzagten Buchmalereien, geradezu kleinmütig und gehemmt. Noch hatte ich die Landschaften im Kopf, die wir gestern durchquerten. Zerstreuung in der Wetterau bis heran an den Westerwald. Ich erinnere mich an ein schief liegendes geografisches Viereck aus Eifel, Hunsrück, Taunus und Westerwald, von dem ich in der Schule erfuhr. Allerdings unerreichbar im Westen…

Morgen fahre ich zu meinem alten Freund in den Odenwald. Der Höhenzug liegt neben der Autobahn wie lang gestreckt da, was täuscht. Noch mal eine Zerstreuung! Vielleicht können wir uns gemeinsam erinnern an die „Vorkommnisse“ im GST-Lager währen unserer Ausbildung zu Facharbeitern für Gummi und Asbest. Das gelingt zu zweit genauer.

Zellteilung

Die Frage ist, welche meiner Arbeiten den Kern der Auseinandersetzung mit der Diktatur bilden, in der ich aufgewachsen bin. Sicherlich waren die letzten Jahre dort, die der intensivsten Reibung mit dem System. Aber auch die Erlebnisse an der Pädagogischen Hochschule Erfurt und die während meiner Ausbildung zum Facharbeiter für Gummi und Asbest waren entscheidend für meine Entwicklung. Nur war ich damals künstlerisch nicht in der Lage, das bildlich umzusetzen.

Eine Arbeit aus der ich das Diktaturenthema weiterentwickeln kann, ist sicherlich die Stasisequenz auf Rolle 10, die im Humboldtforum ausgestellt war. Es müsste so etwas wie eine Zellteilung der kleinsten Bestandteile möglich sein, aus der sich neue Werke entwickeln.

Ein Zentrum, was mich gerade mit Energie versorgt, ist die Vaganteneiche auf dem Gustavsburgplatz. Es sind nicht nur die Worte, die ich unter ihrer Krone finde und in den Spalten ihrer Rinde, sondern auch eine Kraft, die aus ihrem Alter entspringt. Das hat gerade erste begonnen, und ich muss nun schauen, wohin mich das führt.

Lieder | Gesten

Auf dem Balkontisch versuche ich die Wespen mit einem Glas Dattelsirup von mir abzulenken. Wenn sie in die Nähe meiner Augen, meiner Nase und neben die Ohren fliegen, wird es unangenehm. Daneben interessieren sie sich auch für die Buchmalereien, folgen ihren verschlungenen Linien zu den Farbflächen, die sie beäugen.

Das bisherige Material des Vagantenbaumes:

goscht strepp empfen

spratenslar grunfra

blettfier brukaront

quring kersun

marsark famex

Alexander erzählte mir gestern vom Roman „Geisterbahn“ von Ursula Krechel. Diese Geschichte einer Sinti – Familie will ich im Zusammenhang mit meiner Gustavsburgplatz – Arbeit lesen. Vorher aber ihren Exiltext. Das ergänzt die Lieder der Eiche und die Gesten der Tanzfiguren. Sie treten nun innerhalb der Reliefbemalungen aus den Furchen dieser Landschaften und verbinden sich mit ihren Kratern, Landschaftsverwerfungen und den dunklen Wassern ihrer Schluchten.

Diktaturen 17 | Kammerspiel

Nach meinem weitschweifenden Blick auf die künstlerischen Folgen der Sozialisation unter staatlich autoritären Bedingungen, steht mir der Sinn nach Reduktion: jeweils eine Arbeit zweier Künstler oder Künstlerinnen, eine musikalische Komposition mit einer choreografischen Entsprechung. Das ist eher ein Kammerspiel.

Gestern, am Tag des Mauerbaus, waren im Deutschlandfunk mehrere Beiträge zu hören, die sich mit dem Leben in der DDR beschäftigten. Der Stand einer politisch – gesellschaftlichen Aufarbeitung dieser Situation wurde begutachtet. Danach gibt es noch viel zutun, besonders im Hinblick der Aufklärung jüngerer Generationen.

Die Buchmalereien lenken meine Konzentration aus diesen „realsozialistischen“ Außenbereichen in eine Ausgewogenheit der Komposition, die einen Innenzustand hervorruft, die sich ihr nähert. Und in den Verdichtungen der digitalen Collagen, trifft diese Welt auf die meditative Undertainment-Linie, die die autokratisch bedrängten Restseelenzustände der Protagonistinnen untersucht.

Diktaturen 16 | Gespräch

Gestern fand am Nachmittag das Gespräch im Dezernat statt. Ich erzählte ziemlich wüst durcheinander, was ich zum Thema „Diktaturen“ im Kopf hatte, vergaß aber die Stasisequenz auf Rolle 10, die ich im Humboldtforum zeigte, und auch das Gustavsburgplatz-Projekt, an dem ich derzeit arbeite. Aber all das kann Julius Reisberg mit Suchbegriffen in meinem Blog finden.

Als nächsten Schritt werde ich eine Projektbeschreibung für einen Förderantrag machen. Dafür hat mir das Gespräch mit Julius nun noch etwas mehr Energie und Fokus verschafft, um das Prozedere in Gang zu setzen. Meine Idee ist eine Startausstellung mit Rahmenveranstaltungen. Das können Podien, Lesungen und Performances sein.

„Brukaront“ und „quring“ sind die neuen Worte, die mir gestern die Vaganteneiche auf dem Gustavsburgplatz sang. Entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten, möchte ich bei den „Diktaturen“ von meiner Arbeit ausgehen, sie im Zentrum dieses Forschungsvorgangs weiterentwickeln. So können nach und nach die vielen Werke, die explizit zum Thema entstanden sind, im Dialog mit den anderen Künstlern und Künstlerinnen, zum Vorschein kommen.

Diktaturen 15 | Undertainment-Linie | Pianistenpaar

Die Undertainment-Linie oder Tanzlinie folgt den Improvisationen der Company, die aus dem Material von William Forsythe hervorgingen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er bei der Entwicklung dieser Arbeit von den Zuständen in seiner amerikanischen Heimat absehen konnte. Diese Reaktion trifft auf die heterogene Tanzgruppe mit ihren Haltungen zu Autokratien, die sie entweder erlebt oder beobachtet haben.

Im Hinterhaus, vor unserem Küchenfenster wohnt ein russisches Pianistenpaar. Mich interessiert, warum sie ihre Heimat verlassen haben und nach Deutschland gekommen sind, wie sich das auf ihr Spiel ausgewirkt hat und welche Spuren sie damit in dieser Gesellschaft hinterlassen.

Heute umfing ich die Buchmalereien mit einer dünnen, geschlossenen Linie, so als wollte ich sie von den Schichten der Collagen abschließen. Normalerweise markiere ich die weiße Fläche, die den Scan umgibt, schneide sie aus oder füge einen transparenten Verlauf in diesen Hintergrund ein, den ich dann dunkel einfärbe. Dabei kommt es vor, dass sich diese Flächenauswahl in die Motive von außen hineinfrisst, sie ausfranst und mit den unteren Schichten verschmelzen lässt. Das wollte ich heute vermeiden.

Diktaturen 14 | Schostakowitsch

Schostakowitschs Todestag jährte sich zum 50. Mal. Bei dieser Gelegenheit tritt ein Aspekt hervor, der mich besonders interessiert. Seine Rolle im stalinistischen System der Sowjetunion, das er mit seiner Musik unterstützen wollte, kippte irgendwann in ein Dissidententum, das aus heutiger Rezipientensicht als stimmig betrachtet wird. Aber dass womöglich die ästhetische Unbedarftheit Stalins dazu führte, dass die avantgardistische Seite des Komponisten nicht gemocht und anerkannt wurde, und Schostakowitsch somit in die Dissidentenrolle gedrängt wurde, wäre eine Variante.

Wie verhalten sich Künstler während der Bedrohung ihrer Existenz, und welche Werke entstehen unter diesem Druck? Wie unterscheiden sich ihre Bilder von denen, die in Freiheit entstanden sind oder unter dem Diktat des Marktes? Dem möchte ich gerne nachgehen.

Die Erziehungsanstalten des späten 18. Jahrhunderts ähneln denen in der DDR bis in die Begrifflichkeit. Waisen wurden mit „Schwachsinnigen“ zusammengesperrt. Das Singen sollte den Charakter verbessern. Ich erinnere mich an eine Marschkolonne, die ihre landwirtschaftlichen Geräte beim Vorbeizug an unserem hochgelegenen Wohnzimmerfenster in die Höhe hielten. Das Defilé der Rechen, Sensen, Forken und Hacken interpretierte ich als einen freundlichen Gruß der Aufheiterung durch die Zöglinge an mich.

Baumgesänge | Tanz

Linien durchziehen die Steinstrukturen und die per Handabdruck hergestellten Vervielfältigungen der Buchmalereien, die an die Tanzlinie erinnern. Auch aus diesem Material treten mir Tanzfiguren entgegen. Eine Ausweitung des Diktaturenprojektes auf diese Darstellungskünste, könnte ich mit den Tänzerinnen entwickeln, die bei YOU&EYE mitarbeiten.

Gestern positionierte sich eine solche Figur auf einem meiner bemalten Objekte. Noch erscheint sie wie ein Fremdkörper, muss erst noch eingebunden werden in die Komposition. Die Tuschelinien sollten aus den Vertiefungen des Reliefs herauswachsen, wie aus Spalten.

Das Ritual mit der Vaganteneiche hat sich fortgesetzt. Bisher flüsterte sie mir, wenn ich ihre Rinde berühre, drei Worte: goscht (vorgestern), strepp und empf (gestern). Diese Baumgesänge begleiten mich bei meinen Gängen über den Gustavsburgplatz.

Schichten

Nun hat die Tanzlinie endgültig Einzug in die Buchmalereien gehalten. Sie sind seltsam verhalten heute, etwas gleichförmig und farblich unausgewogen. Dann gibt es aber immer noch die Möglichkeit, dass sie innerhalb der Collagen funktionieren. Für diese scanne ich auch die Tanzfiguren. Immer lege ich zwei übereinander, so dass die untere etwas schwächer durch das Transparentpapier scheint. So kann man die beiden auseinander halten.

Bei der Arbeit an den Sakralobjekten in Neckargemünd lernte ich, die Tuschezeichnungen von dem Transparentpapier auf die Holzflächen zu übertragen. Das sollte mir auch mit den Reliefs gelingen. Es reizt mich sehr, dort die Tanzfiguren einfügen zu können. Gestern malte ich am Nachmittag. So, wie ich es mir vorgenommen hatte, entsteht eine Reihe von Objekten, bei deren Herstellung und Bemalung stets etwas Erfahrung im Umgang mit den verschiedenen Materialien hinzukommt.

Die Blattstruktur von der Vaganteneiche hat sich durch die Papiergravuren auf die nächsten Seiten des Tagebuchs durchgedrückt und verändert. Sie ist zu einer strengen Linienschichtung geworden. Ihr Raum bietet mir die Möglichkeit, mir Liedzeilen kreuz und quer hintereinander anzuordnen. Bei meiner Begegnung mit dem Baum fiel mir an Morgen ein fremdes Wort ein: „Goscht“. Ich könnte mir täglich solche Fremdsprachstücke von dem Stamm zuflüstern lassen.

Singender Baum

Gestern nahm ich am Nachmittag die Arbeit an der Reliefbemalung wieder auf. Die starke Farbigkeit, die durch die Lasuren entstanden ist, will ich mit weiteren Schichten etwas zurückdrängen. So kann man alle Teile zusammenlegen und mit weiteren durchscheinenden Farben alles „zusammenmalen“. Außerdem sollten auch noch ein paar Figuren aus dem Tanzliniendefilé oder auftreten.

Die bisher fehlende Unterordnung dieser Reihe unter ein Thema, ist ganz erholsam. Vielleicht ist es ganz falsch, sie in den fortlaufenden Prozess unter dem Verlust ihrer Freiheit, einzubinden. Wenn sich die Figuren von alleine in die Richtung der „Diktaturen“ entwickeln, kann ich es ja geschehen lassen. Mir fehlen die Weiterentwicklungen der Buchmalereikompositionen auf einer Transparentpapierrolle. Ich sollte das, vielleicht etwas reduzierter, wieder aufnehmen.

Mehrmals am Tag besuche ich die Vaganteneiche. Auf meinen Wegen ins Atelier und zurück, schaue ich sie aus den verschiedensten Perspektiven an. sehe ich am Stamm steil hinauf, entsteht für mich ein sehr körperlich – architektonisches Bild. Trete ich weiter zurück, erscheint sie eher wie ein singender Baum, der die Lieder wiedergibt, die er im laufe seiner hundert Jahre eingesogen hat.

Vanya

Eine sehr gelungene Premiere von Barbaras Übersetzung des Stückes „Vanya“ von Simon Stephens. Die Rolle wurde von Oliver Mommsen hervorragend gespielt. Er umarmte Barbara fest für ihre Arbeit, und wir waren froh, dass die Deutsche Erstaufführung im Berliner Ensemble so gut gelaufen ist. Auch die Presse, die für ein Blitzlichtgewitter gesorgt hatte, berichtet hymnisch.

Auf der Premierenfeier sprach ich mit einem jungen Schauspieler, ebenfalls bekannt aus dem Fernsehen wie Mommsen, über die Improvisationsarbeit auf der Bühne. Ich erzählte ihm von meiner Tanzlinie. Auch Anne, die mit auf der Premiere war, knüpfte einen Kontakt zu ihm.

Wir unternahmen viel miteinander. Gestern gingen wir mit Armin in das Pergamonpanorama. Ich wollte mal sehen, wie das aussieht, wusste gar nichts von der Machart dieser großen inszenierten Fotocollage. In der beigestellten Ausstellung mit Relieffragmenten aus Pergamon sprach ich mit Armin über den Reiz, die unvollständigen Kunstwerke zu Ende zu denken.

Brücke

Das Aufblitzen der Farben hinter den Augen mündet in ihren kompositorischen Einsatz an verschiedenen Stellen des Bildes. Ein großes Reservoir bilden die Zufälle. Besonders beim Drucken der Muster, die ich von den Lavasteinen oder direkt von den Malereien auf meinen Handballen übernehme, entstehen überraschende Situationen, die meiner geplanten Wirkung nicht entsprechen. Meine Reaktionen darauf sind aber zumeist so, dass ich gleich eine Figur finde, die ich etwas verstärken kann oder eine zeichnerische Antwort finde, die den Zufallsvorschlag ergänzt.

In diesen „Flow“ würde ich gerne bei der Reliefbemalung geraten, die ich gestern fortgeführt habe. Die Orientierungsphase reicht noch nicht in einen klaren Bereich, der anzeigt, wohin die Reise gehen soll. Ich lasse mal locker und werde sehen, ob sich das in die Entwicklung einer Diktaturenarbeit einfügt.

Es gibt ältere Reliefbemalungen mit Schellack und Tusche, die sich mit den Fragmenten der Stasitexte befassen. Dort treten unleserliche Zeichen auf, die scheinbar in keiner Beziehung zueinander stehen. Von diesen unleserlichen Gebilden auf den aufgeworfenen Oberflächen, komme ich zu den Liedtexten der Vaganten, die In den Blätteradern der Eiche auf dem Gustavsburgplatz gespeichert sind und in den Dreißigerjahren in Rauch aufgingen. Vielleicht ist das die Brücke.