Offenbarung des Johannes

Zum fünfzigsten Jahrestag des Ausschwitzprozesses gab es gestern eine Gedenkveranstaltung im Haus Gallus, in dessen Saal der Prozess begann. Auf der Bühne haben Zeitzeugen erzählt. Eine vierundneunzigjährige Ausschwitzüberlebende gab routiniert ihre Geschichte preis. Dabei fragte ich mich zunächst inwiefern die abertausend Wiederholungen einer Erzählung sich verselbstständigende Form hervorbringen. Dennoch war der Bericht erhellend. Im Angesicht des rauchenden Schornsteines, während einem der vom Lagerorchester untermalten stundenlangen Stehappelle, in der Gewissheit, woher der schwarze Rauch aus dem großen Schornstein stammt, dessen Asche auf die umliegenden Kohlfelder fiel, sei ihre Seele in Ohnmacht gefallen.

Das „Quartett für das Ende der Zeit“ von Olivier Messiaen entstand zu großen Teilen im „Stalag VIII A“. Ein wohlmeinender Lagerkommandant stellte ein Klavier zur Verfügung und die Waschräume zum Probieren. Ein Klarinettist, ein Geiger und ein Cellist waren Lagerinsassen. So ist die eigenartige Instrumentierung erklärbar. Sie ist aber auch ein Zeichen der Offenbarung des Johannes, dass das Grauen mit Kultur vereinbar ist.

Ein ehemaliger Ermittler im Prozess erinnerte in einer klaren aber emotionalen Rede an die Behinderungen der deutschen Justiz, die in den Sechzigerjahren von ehemaligen Nazis getragen wurde, deren Bindung zum deutschen Faschismus anhielt. Die schikanösen Vernehmungen von ehemaligen Lagerinsassen, die davongekommen waren, warfen ein ergänzendes Bild auf die Situation in der Verdrängungsgesellschaft. Der Prozess war ein Auftakt für die Nachfragen, die in die Proteste der Achtundsechziger und dann in den „Deutschen Herbst“ führten. Als solches leben wir in einer konzentriert historischen Topografie.