Wie geplant fuhr ich zum Mauerstreifen in der Bernauer Straße und besah mir die Situation. Das Sichtlinienkonzept ging deswegen nicht auf, weil am Ende überall auf dem Todesstreifen vollständige Sicht und somit ein Schussfeld vorhanden war, das keine Hindernisse kannte. Es gab keine uneinsehbaren toten Winkel mehr, und war deswegen der Idealzustand der Gesamtorganisation des damaligen Staates.
Ein anderes geografisches Element stellen die Nachzeichnungen der Fluchttunnel dar. Die Räume zwischen den Tunneln habe ich langsam kartiert, mit meinen schritten ausgemessen. Die Spannung zwischen ihnen und dem Stasitunnel, der selbst von den Grenzsoldaten geheim gehalten werden sollte, versuchte ich im Gehen zeichnend zu zeigen. Die Gedanken währenddessen kreisten um das Nähen. Die Punkte, an denen die Linien verankert sind, die gleichzeitig Wendepunkte des Gehens sind oder Scharniere in verschiedenen Winkeln bilden, wären beim Nähen die Einstichpunkte der Nähnadel. Es wäre also nicht verkehrt, diese Wege einmal zu nähen.
Und dann bekam ich Lust auf ständige Grenzdurchbrüche, auf kontinuierliches Wechseln der Seiten. Und im weiteren Nachdenken hatte ich das Gefühl, die Stadtteile durch diese Bewegungen wieder zu verbinden, die zerschnittene Tischdecke auf diese Weise zu vernähen.
Außerdem interessierten mich die Friedhöfe, deren Gräberfelder entweder an die Grenze stießen oder wegen der Einrichtung des Todesstreifens umgebettet worden sind. Während der Betrachtung dieser Räume fielen mir öfter Stellen von Massenbestattungen auf. Dort lagen Menschen in Massengräbern, die oft zusammen in einem Gebäude vor Fliegerangriffen Schutz suchten, und von den getroffenen Häusern verschüttet und getötet worden sind. Eigenartig verschachtelt sind dann noch die Grabstätten der unterschiedlichen Gemeinden wie St. Hedwigsgemeinde, Französische Gemeinde und Berliner Domgemeinde. Die Friedhofsmauern gingen über in die Hinterlandmauern und ergaben in den Abgrenzungen untereinander eigenartige Labyrinthe.