Tanzfries

Was gerade auf Rolle 11 entsteht, hat etwas von einem Tanzfries. In den Neunzigern habe ich so etwas mal groß gemalt. Jetzt kommt es anders und klein wieder, auf einem Transparentpapierstreifen. Die fließenden Bewegungen werden von den konstruktiven Linien aus dem Untergrund der Rolle kontrastiert. Noch bleiben die Umrisse der Einzelfiguren und Gruppen deutlich und intakt. Das aber will ich im nächsten Arbeitsschritt ändern und ein Bühnengewusel entstehen lassen.

Im Schauspiel sahen wir gestern Abend eine Dramatisierung des Romans „Don Quichote“. Der Wahnsinn der Hauptfigur, die die Voraussetzung der Handlung ist, konnte in ihrer Darstellung nicht überzeugend gezeigt werden. Deswegen verliere ich keine weiteren Worte.

Aber wir trafen Nils Tabert vom Rowohlt Verlag, den ich länger nicht gesehen habe. Der Intendant kam an unseren Tisch, spendierte uns Wein und sprach lange mit Nils über die Untiefen und Spannungsfelder der Inszenierung.

Umrisse von An- und Abwesenden

Für die Handkantenabdrücke in den Buchmalereien habe ich heute eine eingefärbte Muschel benutzt, deren Struktur ich in alle 3 Formate im Buch übertrug. Die Formenvielfalt meiner Sammlungen von Meerestierenschalen und Steinen ist umfangreich. Ihr überschwänglicher Reichtum an Gestalt, verschafft mir oft ein visuelles Glücksgefühl. Die Schönheit in unendlichen Varianten.

Gestern hatte ich den ruhigsten und besten Arbeitstag der letzten Wochen. Auf Rolle 11 nahm ich mir eine weitere Tanzzeichnung vom Februar 2003 vor. Es ist der Umriss einer Figurengruppe, die in ihrer Mitte eine abwesende Gestalt umringt. Ihr Umriss ist nach oben offen. Dort schwebt ein Bildschirmkopf. Die anderen, „anwesenden“ Umrisse füllte ich mit den Tanzfigurenlinien der verdichteten Zeichnung mit der ich vorgestern arbeitete. Auf diese Weise entstand eine Szene aus mehreren Schichten.

Ich überlege mir, ob die Kombination vom Aufräumen, Erinnern und den Begegnungen von alten Gestaltungen in neuen Zeitschichten, innerhalb eines Projekts, im Gleichgewicht betrieben werden kann. Wird das Zeichnen nicht immer wichtiger bleiben und mehr Zeit beanspruchen als das Ordnen der vielen Arbeiten?

Like A Complete Unknown

Im Kino sahen wir den neuen Dylanfilm „Like A Complete Unknown“. Die Erinnerungen, die mit den Songs verbunden sind und auch die historische Gestaltungsgenauigkeit, waren frisch und anrührend – der Hauptdarsteller, der gesungen hat wie Dylan selbst, war wirklich exzellent.

Die Arbeit an Rolle 11, die gerade neu anläuft, steuert wieder auf diese kontinuierliche Unaufhörlichkeit zu. Weil ich parallel dazu auf Rolle 12 weiterarbeiten will, hoffe ich einen Weg zu finden, das ganze etwas weniger zwanghaft anzugehen, denn ich möchte diese Betätigung mit dem Ordnen meiner Arbeit verbinden und nicht nur zeichnen.

Mit den Schülern war ich gestern wieder draußen. Dort sind sie schwerer zu bändigen. Holzarbeiten standen an. Zum Beispiel sägten wir einen tief wachsenden störenden Ast von einem Baum ab, zerteilten ihn mit der Säge in Stücke und hackten dann Holz. Ich gehe selbst gerne mit der Gartenschere über die Wiese zum Bahndamm, um den Raum zu gestalten. Das ist ein wenig wie Bildhauerei und Rauminstallation. Es entsteht eine neue Aufenthaltsqualität.

Alte Zeichnung, neue Dynamik

Aus einem Karton nahm ich die Kopie einer Zeichnung, die ich im Februar 2003 für eine Installation im Bockenheimer Depot angefertigt habe. Sie ist ein Blatt von vielen Stapeln, die auf dem schwarzen Bühnenboden liegend ein Raster bildeten. Die Zeichnungen fertigte ich während der Proben zu einem Tanzstück von Georg Reischl an. Die Zuschauer, die das Stück sehen wollten mussten über dieses Hindernis hinweg steigen.

Da Rolle 11 noch nicht bis zum Ende fertig gezeichnet ist, nahm ich eines dieser Blätter und fügte das Motiv am Ende des gezeichneten Streifens ein. Danach ging es in der Weiterarbeit eine Verbindung zu den GPS-Linien von Lustgarten und den Textfragmenten: „SEHT DORT DIE FÜNF ALS PATE DER BLICK VON DORT“, ein. Die Worte aus Anne Roman „Hinter den Mauern der Ozean“, dem Stasibericht von Heinz Werner über mich und einem Interview mit mir, sind nach den Tabolinien ausgerichtet. Somit bekommen die Bühnenfiguren neue Dimensionen. Das gezeichnete Geschehen erfährt eine andere Dynamik.

Der Blick in die Tagebuchaufzeichnungen, die sehr kleine und dichte Buchmalereien umrahmen, zeigt meine damalige Umtriebigkeit. Stadtentwickler, Immobilienunternehmen und Bürgerinitiativen trafen sich auf scheinbarer Augenhöhe. Aber die Stadtgestalt wurde dadurch beeinflusst. Und die Kunst fand damals parallel dazu, so selbstverständlich, wie nebenher statt.

Rückblick auf Rolle 12

Nach dem Einkauf am Morgen fühlt sich der Tag frei an. In Ruhe und im Besitz der Normalkraft, an den Ateliertischen arbeiten zu können, ist erholsam. Gestern ist Rolle 10 aus dem Humboldt Forum zurückgekommen, und in der vergangenen Woche brachte ich Rolle 11 aus dem Tibethaus wieder mit. Hier auf dem Tisch liegt Rolle 12.

Und Gegenstände liegen herum, die ich mit Erinnerungen an Menschen verbinde. Sie sind wie Artefakte einer Ausgrabung. Ich denke an Wolfgang Engel, der vor ein paar Tagen gestorben ist, an unsere gemeinsame Zeit in Dresden, an seine Inszenierung von „Medea Stimmen“ von Christa Wolf, wo ich auch gezeichnet habe. Diese ganzen Blätter, die ich während Schauspielproben, Konzerten und Ballettproben gemacht habe, werde ich nun ordnen und womöglich mit einer Sequenz auf Rolle 12 verbinden, um diese Arbeit noch einmal auszuweiten und auf einen anderen Punkt zu bringen.

Wenn ich über die Wiese zum Bahndamm gehe, stehen da die Tiere aus Astwerk, die die Schüler hergestellt haben. Sie begeistern sich für den Umgang mit Holz aller Art. Sie lernen das Schärfen und den Umgang mit den Bearbeitungswerkzeugen. Beim nächsten Mal würden sie am liebsten Bäume fällen.

Abschluss

Im Tibethaus richtete ich mir einen Arbeitstisch ein, der von einer Kamera beobachtet wurde. Die Projektionsfläche dieses Bildes fand sich direkt über dem Foto des Dalai Lama. So verbanden sich die Linien der Rollen 11 und 12 mit seinem Lächeln. Ich zeichnete an den Tabofiguren weiter und glitt so vom Arbeiten, wie von alleine in den Vortrag. Der Saal war gut besetzt mit aufmerksamen, freundlichen Leuten. Ich bekam viele nette Dinge zu hören, was mir natürlich gut tat.

Nach mir sprach Peter van Ham über sein Lebenswerk, das wirklich eine große, kontinuierliche Arbeit für die Erhaltung des Tibetischen Kulturerbes darstellt. Es bleibt zu hoffen, dass seine Anstrengungen die Mönche so weit erhellen, dass sie sich ernsthaft um das Bestehen der Schätze kümmern.

Nun sind die Aufgaben erst einmal erledigt. In der Ausstellung in Berlin waren 60000 Besucher. Auch dort habe ich viele neue Kontakte knüpfen können und fand einen erfolgreichen Abschluss. Die Arbeit in Neckargemünd ist ebenfalls gut gelaufen. Der Vortrag, den ich gestern hielt, beschäftigte mich vorher eine ganze Weile, ich dachte oft an die Gestaltung dieser Situation. Sie war locker und etwas spielerisch, wie ich es mir erhoffte.

Präsentation von Rolle 11

In die Bilderdatei, die ich heute während der Präsentation von Rolle 11 zusätzlich zeigen möchte, füge ich nachher noch Collagen ein, die sich aus den gezeigten Motiven zusammensetzten. Ich schwanke, ob es logischer wäre, erst die Federzeichnungen der Rolle zu zeigen und dann die farbigen Bilder, die damit zusammenhängen oder umgekehrt.

Dies miteinander zu vermischen, ist mir zu kompliziert, weil sich die Tabolinien sowieso schon mit so vielen Themen verbinden. Also versuche ich die Dinge nacheinander zu ordnen, um den Geist nicht zu verwirren.

Aus gegebenem Anlass und um mich in das Vortragsthema hinein zu begeben, arbeitete ich gestern an Rolle 12 weiter. Ich nahm mir die Umrisse der 20 Tabofigurationen, die aus den Verdichtungen hervorgegangen sind, vor und zeichnete sie auf den Streifen. Dann begann ich die Felder mit den durchscheinenden Linienmustern zu füllen. Ich will zeigen, wie sich die Tabolinien mit meinem künstlerischen Leben verbunden haben.

Holz

Vorerst bauten wir gestern kleine zarte Figuren aus Schafgarbestängeln. Dann aber entdeckten die Schüler das Holz der Gesträuche und der Bäume, holten Astscheren, Sägen und Beile. Dann war kein Halten mehr und der wichtigste Ort wurde der Hackklotz neben der Wiese. Die Übungen mit den scharfen Werkzeugen werden von mir eingeführt und überwacht. Mein Vertrauen, das auf die Vernunft baut, das Gelernte anzuwenden, wird meistens belohnt. Die größte Figur maß eine Höhe von etwa 1,5 m.

Als sie gegangen waren, blieb ich noch eine Weile mit der Gartenschere am Bahndamm und schnitt die Brombeersträucher zurück. Am späten Nachmittag wurde es warm und kleinen Mückenschwärmen konnte ich im Gegenlicht der Sonne beim Tanzen zuschauen.

Nachher will ich den morgigen Vortrag noch etwas vorbereiten. Ich stelle mir einen Zeichentisch vor, auf den eine Kamera gerichtet ist. Man kann sehen, wie ich auf Rolle 12 durchscheinende Muster auf die äußere Rundung zeichne. Dann zeige ich die vorbereiteten Bilddateien, nehme auch das entsprechende Tagebuch mit den Buchmalereien mit, deren Umrisse einen Auftritt auf Rolle 11 haben.

Arche I Schüler I Tibethaus

Die Arbeit Im ökumenischen Gemeindezentrum Arche in Neckargemünd habe ich beendet. Die Begegnung mit den Objekten, die ich vor langer Zeit angefertigt habe, war mehr als eine bloße Widerbegegnung. Allein die Vorbereitung durch die Dornenkronensequenz erweiterte den damaligen Arbeitsansatz. Alles ist zu einem guten Ende gekommen, auch durch das schöne Zusammenspiel mit der Gemeinde und meinen Gastgebern.

Nachher kommen meine Schüler. Mir ging durch den Kopf, mit ihnen gemeinsam die 16 Tafeln des Väterreliefs im Ausstellungsraum auszulegen. Danach könnten wir dann mit den Formen arbeiten, Frottagen von ausgesuchten Stellen machen und dieselben Areale dann mit Pappmache abformen. Diese Reliefs könnten dann in Bezug auf die Frottagen barbeitet werden. Sowohl die Frottagen als auch die Reliefs werden zeichnerisch erweitert.

Wenn sie dann weg sind, kann ich an meinen Vortrag im Tibethaus denken, der Übermorgen stattfinden soll. Gestern schaute ich mir eine dafür zusammengestellte Bilddatei an, um mir noch einmal den roten Faden zu vergegenwärtigen. Gerne würde ich etwas von der Atmosphäre der planvollen Improvisation herstellen, eine Werkstattsituation nachempfindbar machen, an der die Zuhörer mit Fragen und Beiträgen teilnehmen können. Das hieße aber viele Enden der roten Fäden offen zu lassen…

Alte Arbeitsstrukturen

Die Arbeit in Neckargemünd ist schon weit fortgeschritten, ging schneller als ich dachte. Die Konzentration die den ganzen Tag anhält, zahlt sich aus. Anne schickte ich ein Foto vom fertig gemalten Kreuz. Sie antwortete, dass es wie der Frühling leuchtet. Damit meinte sie ein Aquarell das ich in den Achtzigerjahren gemalt hatte und das nun bei ihr im Wohnzimmer hängt. Die malerische Struktur ähnelt der des Kreuzes seht stark.

Bei allem schönen Arbeiten in der Arche, bin ich dann auch froh, wenn ich fertig bin und mich wieder den anderen Dingen widmen kann. Mit dem Vortrag im Tibethaus über die Arbeitsweise auf Rolle 11, kann ich wieder einschwenken in die Beschäftigung mit den Transparentpapierrollen, kann dann diese Kontinuität fortsetzen.

Das nächste Projekt ist die Sichtung der vielen Arbeit, die ungeordnet im Atelier liegt. Das würde ich gerne mit einer Aufnahme der älteren Motive einhergehen lassen, damit auch aus diesem Vorgang Bilder entstehen.

Schüler I Lasurmalerei

Für die Schüler, die heute ins Atelier kommen, habe ich gestern die Masken, die sie bei unserem vorigen Treffen in die Formen gedrückt haben, herausgelöst, korrigiert und ergänzt, damit sie sie heute gleich bemalen können. Ein ukrainisches Mädchen ist dabei, die zeichnerisch sehr begabt ist. Ihr möchte ich heute eine größere Aufgabe stellen.

Von einem der vorausgegangenen You & Eye – Veranstaltungen habe ich noch ein Kraftfeldrelief, das den Umriss eines Kleiderschnittes hat. Das könnte sie mit ihren Motiven versehen. Es ist ziemlich groß und könnte sie vielleicht auch überfordern. Wir werden sehn.

Morgen bin ich wieder in Neckargemünd. Darauf freue ich mich, denn der Rest der Arbeit läuft auf Lasurmalerei hinaus. Zeit dafür habe ich mir schon eine ganze Weile gewünscht. Es erinnert mich an meine Malereien der Achtzigerjahre, dieses Glück mit dem Entstehen einer zarten Farbigkeit. Und diese Konzentration darauf, die den ganzen Tag ohne Pause anhalten kann, ist ein wirkliches Geschenk.

Altarobjekte

Die Arbeitstage in Neckargemünd sind intensiv. Ich konzentriere mich den ganzen Tag, fast ohne Pausen auf die Übertragung meiner Vorstellungen, die ich mir im Atelier gemacht habe, auf meine Altarobjekte, die ich vor fast vierzig Jahren angefertigt habe. Im Lauf ihrer Überarbeitung, habe ich festgestellt, dass sie zumindest handwerklich solide gemacht sind. Die Rhythmen der Kerbschnitte, die von der Dornenkronenstruktur durchsetzt sind, sind stimmig. Sie erinnern mich an die letzten großen Auftragsmalereien in der DDR. Große optimistische Schwünge.

Ich werde sehr freundlich von der Gemeinde aufgenommen, wohne bei lieben Leuten und habe anregende Diskussionen mit den Menschen, die mich bei meiner Arbeit besuchen. Während eines Informationsabends, an dem ich meine Arbeitsweise erläuterte, meinte eine Frau, das eigentliche Kunstwerk sei die Dornenkronensequenz auf den drei Transparentpapierstreifen, die ich nebeneinander im Kirchenraum aufgehängt hatte.

Das Kreuz, an dem ich zunächst bin, wollte ich eigentlich liegend bearbeiten, damit ich mit dem schwimmenden, eingefärbten Lack besser umgehen kann. So könnte die Farbigkeit bewegter werden. Aber das Kreuz steht immer noch, und ich stelle mich langsam auf die Situation ein. Der Vorteil ist, dass ich in den schönen Raum so weit zurückgehen kann, um die Struktur- und Farbverteilung besser zu überblicken und die Wirkung im ganzen Raum besser einschätzen kann.

Im Heimathafen

Bin ich viel unterwegs, dann ist das Tagebuch mein Heimathafen, auch wenn es im Rucksack steckt oder auf dem fremden Tisch liegt. Auch in dem großen Kirchenraum der Arche in Neckargemünd schreibe und male ich gerne.

Es gibt beim Umlagern des Kreuzes in eine Rückenlage, damit ich besser daran arbeiten kann, Verzögerungen. Deswegen bin ich nicht so in die Arbeit daran gekommen, wie ich mir es vorgestellt hatte. Langsam kristallisiert sich aber eine Arbeitsweise heraus, deren Reihenfolge etwa so bleibt, wie ich mir es zu Hause Im Atelier vorgestellt hatte. Eine Schwierigkeit bestand darin, die Graphitlinien auf das Holz zu übertragen. Der Lack ist so hart und abweisend, dass er die durchgezeichneten Striche nicht annimmt. Aber wenn ich meinen eigenen lasierenden Lack unter die Durchzeichnung streiche, dann bleibt das Graphit haften. Und so beginnen sich die Flächen, auf denen sich das Linienmaterial ausbreitet, auf der Oberfläche spannungsvoll zu verteilen. Ich gehe von dem inneren Bereich, neben dem Korpus Christi langsam nach außen und dann später auf die anderen Objekte über.

Heute bin ich im Atelier, weil nachher meine Schüler kommen. Morgen früh fahre ich wieder zurück.

Die tröstliche Routine

Die tröstliche Routine, die nur langsame Veränderungen zulässt, neutralisiert die Aufregung etwas, die rundherum herrscht. Die Lavasteine, die neben den Farben liegen halten den Moment ihrer Erstarrung fest. Die Wellen meines Lampenlichts durchdringen die Höhlungen und treten manchmal auf der anderen Seite wieder heraus auf die Fläche des Tisches.

Daneben liegt Annes Roman „Hinter den Mauern der Ozean“. Ich schlage ihn auf, um mich an Worten festzuhalten, die ich für das Gehen benötige. Einen Vorrat von ihnen anzulegen, bedeutet Strecke machen zu können. Morgen fahre ich nach Berlin und nehme das GPS-Gerät mit und meine Bilder von Breslau für meine Tochter.

Zeichnungen der Figurenfragmente des Pergamonaltars, die ich auf Transparentpapierrollen gemacht habe, gehen mir durch den Kopf. Habe ich sie mit gewanderten Linien verbunden? Oder denke ich das jetzt nur? Ich sollte Rolle 12 mitnehmen nach Neckargemünd, um die streng regulierte Arbeit an den Sakralobjekten etwas aufzulockern. Motive, die ich dort auf dem Transparentpapier entwickle könnten in die Gestaltung der Holzfelder mit einfließen.

Sisyphos

Die Schüler haben gestern Masken abgeformt. Dafür hatte ich ihnen Pappmache hergestellt, das ziemlich weich war und sich anfühlte wie Kuhscheiße. Es gab Proteste und Arbeitsverweigerungen. Lieber höhlen sie den Stamm aus, der in einer Durchführung des Ateliergebäudes liegt. Das geschieht mit viel Geschrei und Gehämmer. Die ruhigeren Kinder flechten die Zweige des Weidenbaums zu Ringen.

Als sie weg waren, zeichnete ich weit bis in den Abend auf Rolle 12. Außerdem packe ich die Dinge zusammen, die ich für die Arbeit an den Sakralobjekten in Neckargemünd benötige. Es gibt Unsicherheiten dabei, was Werkzeuge und Zeit angeht, die ich benötigen werde, um diese Arbeit fern von meinem gewohnten Arbeitsplatz, dem Atelier zu machen.

Auf dem Weg hier her am Morgen habe ich wie immer Müll aufgesammelt, den ich in die Papierkörbe werfe. Christian, ein offensichtlich ziemlich traumatisierter Flüchtling, beobachtet mich an fast jedem Morgen dabei. Angesichts dessen sprachen wir über Sisyphos und seine Strafarbeit. Er meinte, dass das Glück immer nur kurz währt, während der Stein oben angekommen ist. Man müsste ihn mit mehreren kleineren Steinen arretieren, damit es anhält. Aber der Denkfehler dabei ist: das wiederholte Hinauf- und Hinabrollen ist das Glück!

Roter Faden

Gestern versuchte ich bei einem Besuch einer Uni-Gruppe im Atelier, die Verbindungen zwischen Bewegung im Raum und bildnerischer Arbeit zu erläutern. Dabei fiel mir auf, dass ich während einer Plauderei darüber, den roten Faden nicht außer Acht lassen sollte. Das Thema ist zu komplex und es fallen mir immer noch weitere Details dazu ein, die ich berichten könnte. Dadurch franst das Gespräch etwas aus.

Alle neun Transparentpapierrollen, die derzeit im Atelier sind, rollte ich dann eng zusammen und verstaute sie übersichtlich in Kartons. Nun ist es leichter rückblickend Themen der letzten 20 Jahre wieder aufzunehmen. Dabei wird die Wechselwirkung zwischen Arbeitstagebuch und Transparentpapierzeichnungen deutlich. Per Datumseintrag in den Büchern und Rollen lassen sich die zeitlichen Zusammenhänge leicht rekonstruieren. Auch die Suchfunktion im Blog ist hilfreich, die Verbindungen der Themen in den verschiedenen Medien zu verfolgen.

Und als dann Ruhe eingekehrt war, nahm ich mir die erste Malerei vom 10.2. vor, vergrößerte sie auf dem Bildschirm und zeichnete von dort direkt einen Umriss auf ein Stück Transparentpapier. Diesen übertrug ich dann auf Rolle 12 und füllte ich mit den Schichten der vorausgegangenen GPS-Wanderungen im Lustgarten und Teilen der Dornenkronensequenz.

Besuch

Die Seminargruppe von der Frankfurter Uni, die mich heute besuchen will, interessiert sich insbesondere für den geografischen Ansatz meiner Arbeit. Dafür habe ich die Transparentpapierrollen herausgekramt und nach aufgezeichneten Wanderungen durchgeschaut. Auf 9 von 10 Rollen, die derzeit hier im Atelier liegen, geht es irgendwo um GPS-Aufzeichnungen in Verbindung mit Buchmalereien oder Verdichtungen der Linien. Am Anfang sind es eher Zeugnisse und Wanderungsspuren.

Für mich war erstaunlich, wie immer wieder die Abrissruine des Palastes auftauchte. Und ich bekam ein Gefühl dafür, wie sich ein Projekt, das sich mit dem Sichten meiner Arbeit und dem Aufräumen der Sammlungen anfühlt.

Außerdem habe ich begonnen, das Material für Nackargemünd zusammenzustellen. Auf der Mainzer Landstraße kaufte ich Farben und hier rollte ich die Transparentpapierstreifen der Frottagen und der Dornenkronensequenz zusammen. In der großen Kirchenhalle dort werde ich mir zunächst einen Arbeitsplatz einrichten. Tische gibt es da genug. Aber es müssen noch einige andere Dinge vorbereitet werden.

Langsam

Langsam gehen das Malen, das Gehen, das Denken und das Schreiben an diesem Morgen. Die Langsamkeit lässt sich genießen, lehnt sich gegen die Hast des rhythmisierten Tages auf. Die Sonne steht hinter einem Nebelschleier, der ihre Lichtscheibe weich zeichnet. Das macht eine sanfte Helligkeit und die Lampe über dem Zeichentisch bleibt aus. Die Farben auf den Buchseiten flüstern, wie die Rolle 10, die ein leises Lied singt neben Willi Sittes lautem Lied von der roten Fahne im Stadtschloss auf der Museumsinsel.

Die ersten Transparentpapierrollen, die ich zeichnete, beschäftigten sich mit den Handprints, die ich in den Jahren 2007 und 2008 in Frankfurt und Wien gelaufen bin. Dieses Material möchte ich den Studentinnen der Kunstgeschichte zeigen, die mich morgen besuchen wollen. Die Suche danach fühlte sich schon an, wie der Start zum großen Aufräumen im Atelier. Die Begegnung mit den alten Zeichnungen ist beglückend und löst den Impuls aus, mit ihnen weiter zu arbeiten.

Die wichtigsten Arbeiten, die sich mit Wanderungen und ihren Verbindungen zu den Buchmalereien und Texten beschäftigen, befinden sich derzeit allerdings in Ausstellungen. Aber vielleicht finde ich heute Nachmittag noch Sekundärmaterial dazu in den Kartons mit den Transparentpapierblättern.

Ein Sommernachtstraum

Sonnabendnachmittag, an dem die Sonne noch auf den Nachbarfassaden steht – Baugerüstschatten, geheimnisarme Wolkenlosigkeit. Spannende Schauspielarbeit gestern während der Premiere von Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ im Schauspiel Frankfurt. Während der Premierenfeier machte ich der Darstellerin vom Puck, Annie Nowak, ein ehrliches Kompliment, indem ich ihr sagte, dass ich mich in ihren Darstellungen zu Hause fühle. Isaak Dentler kommt gern, um mit Barbara zu sprechen und ich plauderte kurz mit der Kulturjournalistin Cecil Schortmann. Dazu gab es Wein am Stehtisch im großzügigen Foyer des Hauses.

Die Farbproben für die Arche habe ich gestern abgeschlossen. Vielleicht habe ich mit den Vorarbeiten etwas zu viel Zeit verbracht. Es wird Zeit, dass ich dort endlich anfange. Zuvor aber die Finissagen im Humboldt Forum und im Tibethaus. Am Dienstag bekomme ich Besuch von Kunsthistorikern von der Uni Frankfurt, am Mittwoch von Schülern der Hindemithschule…

Nach dem Abschluss der Projekte will ich mein Atelier gründlich aufräumen und die Arbeiten aus fünf Jahrzehnten sortieren. Wenn ich das mit einem Projekt verbinde, z.B. mit einer Transparentpapierrollen-Sequenz aus Figurationen der verschiedenen Zeiten, die neue Konstellationen produzieren, kann das ein Motor sein, der diesen Vorgang am Laufen hält. Auch will ich mich von Dingen trennen, die nicht aufgehoben werden sollen – ein schwerer Gang.

Scherbengericht und Dornenkronensequenz

Fünf neue Tagebücher sind angekommen. Sie haben weniger Seiten als früher und reichen etwa für ein Dreivierteljahr. Viele leere Seiten auf denen stehen wird, was passiert ist. Womöglich geht es dabei um die Erinnerungen beim Aufräumen des Ateliers. Unausgepackte Kartons, Unmengen von Schülerarbeiten, Werkzeugen und Materialien, viele Fächer vollgestapelt mit Papprollen, in denen alte Zeichnungen auf Transparentpapierstreifen schlummern, wie in einer antiken Bibliothek.

Wieder unterschätzte ich gestern die Zeit, die ich für die Federzeichnungen auf den Holzplatten benötige. Deswegen konnte ich mit den Farbproben, die ich mir vorgenommen hatte, noch nicht beginnen. Aber heute…

Diese Platten mit den Tuschelinien lagen gestern auf Formen des Väterprojektes. Dabei dachte ich, dass es dieselben Strukturen sind, die aus dem Scherbengericht der Väter und die der Dornenkronensequenz. Die sich wiederholenden Linienkonstellationen, die beim Durchzeichnen während des Zusammenrollens des Transparentpapiers auf dessen äußerer Schicht entstehen, möchte ich gerne in den Splittern der Lindenkreuzoberfläche wahrnehmbar machen.

Schlechtes Gewissen

Aus einem Pflanztopf draußen, riss ich ein dürres Kraut. Aber seine Wurzeln waren noch voll Wasser und an der Basis trieben winzige grüne Blättchen. Ich erkannte, dass es sich um Rucola handelt. Sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen und bettete die Wurzeln in feuchte, warme Erde im Atelier, goss sie noch einmal und entschuldigte mich. Gleich ging ich auch zu den Futterstellen für die wartenden Vogelschwärme in den Gesträuchen, um sie nachzufüllen.

Nachdem gestern der Lärm der Schüler abgeebbt war, zeichnete ich vier Felder der Dornenkronensequenz auf drei vorbereitete Holztafeln. Auf ihnen will ich heute mit der dritten Versuchsreihe beginnen, die strengen Tuschestrukturen mit Farbschichten zusammen zu bringen, die nun aus lockeren Bewegungen der Pinsel und Farbtöne bestehen sollen.

Langsam sehne ich mich wieder nach meiner Arbeit auf den Transparentpapierrollen. Dort finden die spannenderen Vorgänge statt mit Rückgriffen auf altes Material und Projektionen in die Zukunft auf den Zeitstreifen und Schichten des Papiers. Innerhalb dieser Arbeitsvorgänge, komme ich eher zu einem ruhigen Vorwärtsgehen.

Strom

Die Themen, die sich aus den unterschiedlichen Richtungen überlagern, führen mich in die Zusammenhänge, die nur aus dem Strom eigener Produktion entstehen können. Ich denke dabei an Rolle 12, auf der sich GPS-Gänge im Lustgarten mit Buchmalereien verbinden. Später kommt eine Gruppe von eckigen Umrissen hinzu, die von den Frottagen der Kreuzoberfläche aus der Arche in Neckargemünd stammen.

Gestern zeichnete ich 4 Transparentpapierformate für eine weitere Testreihe zur Verbindung von Tuschezeichnungen und farbigen Lasuren auf Holz. Weil ich glaube, den Arbeitsrhythmus in der Arche langsam greifen zu können, wird es Zeit dass ich vor Ort beginne. Die Vorbereitungen im Atelier haben ihre Grenzen und nähern sich dem Ende. Es geht nun darum, das richtige Material zu bestellen und die notwendigen Werkzeuge reisefertig zu machen.

Heute kommen meine Schüler wieder. Deswegen lege ich das Tagebuch beiseite und bereite den Raum für sie vor. Sie machen sehr schöne Zeichnungen mit den Transparentpapierfrottagen, die sie mit Tusche konkretisieren.

Arbeitsschritte

Durch kleine Versuche, den eingefärbten Lack spielerisch auf die Holztafeln mit den Tuschezeichnungen aufzutragen, bin ich einen entscheidenden Schritt vorwärts gekommen. Man kann mit den Lacklasuren auch nass in nass malen, Abdrucktechniken verwenden und das ganze, dann wenn es getrocknet ist, noch einmal mit einer gleichmäßigen, glatten und durchscheinenden Schicht übermalen.

Nun will ich eine letzte Serie aus vier Tafeln mit Splittern der Dornenkronensequenz anfertigen und mit einer noch freieren Malweise überarbeiten. Dann aber sollten die weiteren Möglichkeiten in Neckargemünd an Ort und Stelle ausgelotet werden.

Es gibt den Gedanken, die Felder mit dem verdichteten Dornengesträuch, auch auf die Seiten des Kreuzes und auf die anderen Objekte zu übertragen, wie fliegende Splitter, die vom Zentrum aus in die Peripherie treiben. Das koppelt sich wieder mit dem Vorgehen bei den Buchmalereien, in denen die Motive auch von einem zum anderen Format wandern, oft in abgeschwächter Form, aber als sichtbare Wiederholung. Diese Arbeitsweise spiegelt sich in der Dornenkronensequenz, durch die Schichtenwiederholungen und nun auch in der Malerei auf den Holzobjekten wieder.

Bewegung des Sonnenlichts

Am Vormittag spielt die Bewegung des Sonnelichts im Atelier eine große Rolle. Die äußeren Faktoren, die Bewegung der Erde, ihr Wetter, die Höhe der heuen nachbarschaftlichen Wohnhäuser und der Dampf der Restaurantküche gegenüber, wirken auf die Winkel, Farben und Intensitäten der Strahlen, die auf meine Bilder treffen, auf meine Reliefs, Skulpturen und Sammlungen. Und dann wandelt sich diese Energie in die Produktion der Linien, Strukturen und Farben, also in Bewegung.

Die Oberflächen der Lavasteine, Korallen, Muschelgehäuse und Holzsplitter wirken sich auf die Materialität der Abbildungen aus und beeinflussen die Vorbereitungen der Linien und Farben für die Archeobjekte. Nun ist sie also da, die Verbindung zwischen den Buchmalereien und der Gestaltung der Holzoberflächen.

Weil ich meinem Vorbereitungsplan etwas hinterherlaufe, entsteht eine gewisse Unruhe, was die Dauer auch der Umsetzung angeht. Je mehr ich aber hier probiere und zu Ergebnissen komme, umso glatter wir die Arbeit in Neckargemünd laufen. Und für heute nehme ich mir abermals vor, mit der Farbgestaltung der 4 neuen Holzplatten zu beginnen.

Unterwegs sein

Mit dem, was ich mir für gestern vorgenommen hatte, kam ich nicht sehr weit. Es liegt an der Dichte des Materials, was ich zunächst duplizieren, also auf die Holzplatten übertragen muss. Nun habe ich aber 4 neue solche Flächen mit den vielen Splittern der Dornenkronensequenzen vorliegen, die jetzt farbig überarbeitet werden können.

In Neckargemünd möchte ich gerne mein Arbeitstagebuch, also meinen Blog „Aktuelle Arbeit“, fortführen. Da ich mein gewohntes Arbeitswerkzeug nicht zur Verfügung habe, muss ich mein Vorgehen verändern. Das wird auch eine andere Qualität der Collagen hervorbringen – sicherlich roher, spontaner und aus seiner Kontinuität herausgerissen.

Von der Finissage in Berlin, wo sie mich brauchen, wie Anke sagt, fahre ich mit kurzem Zwischenstopp in Frankfurt, dann gleich weiter nach Neckargemünd. Tagebuch schreibe ich im Zug und beginne dann in der Arche ganz langsam. Gerne würde ich dort das darauf folgende Wochenende durcharbeiten, was noch besprochen werden muss.

Inflation

Mein Blick auf die Möglichkeiten der Gestaltung des Altarensembles weitet sich. Durch die Experimente treten auch weitere inhaltliche Herangehensweisen hinzu. Dieser Zusammenhang führt zu einer Inflation realistischer Szenarien. Ein Mittel dagegen ist die Reduktion der getesteten und vermischten Gestaltungsweisen, zugunsten einer verknappten Komposition.

Gestern schnitt ich vier Sperrholzformate zu, schliff sie, lackierte sie und schliff sie, um Formate der Linienverdichtung per Federzeichnung zu übertragen. 4 bis 5 zusammenhängende Splitter, die alle einzelne Nummern tragen, übertrug ich auf jeweils eine Fläche. Ich hatte mir eigentlich mehr vorgenommen, musste aber wieder feststellen, dass die Arbeitsschritte länger dauern, als ich dachte. Trotzdem gilt es nun, möglichst viele Transparentpapierbögen mit den Strukturen der Dornenkronensequenz zu zeichnen, die ich dann nach Neckargemünd mitnehmen und direkt auf die Objekte übertragen kann. Weitgehend kann ich hier schon die Stellen auswählen, wo sie sinnvoll eingefügt werden sollten.

Heute möchte ich unter anderem probieren, ob ich mit dem Abtönkonzentrat, mit dem ich den Lack eingefärbt habe, so ähnlich arbeiten kann, wie in den Buchmalereien. Dabei geht es insbesondere um die Übertragung von Oberflächenstrukturen verschiedener Materialien. Das können auch solche sein, die ich vor Ort finde…

Handprints, Gravitation, IM

Durch die Anmeldung einer kunsthistorischen Gruppe der Uni Frankfurt, die sich für meine geografische Arbeit interessiert, kam ich wieder auf die Handprints, die ich gelaufen bin. Gleichzeitig fühle ich mich verpflichtet, etwas vorzubereiten und zu erzählen, was mit den Handprints Wien oder Frankfurt zutun hat. Auch die indischen Wanderungen haben alle ihre eigenen Geschichten.

Die Struktur- und Farbproben, die ich gestern für die Arche in Neckargemünd gemacht habe, sind zwar etwas schematisch geraten, aber lehrten mich schon einiges über den spielerischen Umgang von Farblasuren im Zusammenhang mit Tuschelinien. Ihre Verdichtung, die zum Fuß des Kreuzes zunimmt, kann auch durch die Farben innerhalb der Felder übernommen werden. Dieses Aufstehen gegen die Gravitation durchzieht dann einerseits die nach unten verdichtete Linienstruktur auf der großen Fläche und findet aber auch in den einzelnen Feldern eine Wiederholung durch die zum Boden hin zunehmende Farbdichte.

In einem sehr persönlichen Telefonat mit dem Stasi-Unterlagen-Archiv, ging es um die Möglichkeiten, den Klarnamen meines IM „Lutz Lange“, im Humboldt Forum zu veröffentlichen. Damit sie eine Verbindung von mir zu Heinz Werner herstellen können, sollten sie einen Forschungsantrag beim Archiv stellen. Etwas umständlich der Vorgang. Die Dame, mit der ich sprach, sah Rolle 10 in der Ausstellung „Hin und weg“.

Reduktion

Die Malereien blieben heute sparsam. Damit tat ich mir einen Gefallen, denn ich kann mich so besser auf die einzelnen Elemente besinnen, sie als das wahrnehmen, was sie sind: Abdrücke, gerade Linien, Schleifen, Umrisse und Verwischungen. Sie korrespondieren, aber erschlagen sich nicht gegenseitig. Manchmal erzeugen solche kurzen Konzentrationen stärkere Bilder als die lang anhaltenden, die sich gern in Ratlosigkeit verlieren.

Auch bei meinem Vortrag im Tibethaus sollte ich mich auf wenigere Elemente meiner Arbeit konzentrieren, die sich deutlich voneinander abheben. Bei den Linienverdichtungen auf der Suche nach den tausend Jahre alten Malvorgängen in den Räumen des Klosters Tabo, ist es wichtig, dass es sich immer nur um Annäherungen handeln kann. Am vorläufigen Ende stehen die unspektakulären Umrisse von Leerstellen zwischen den dichten, fast schwarzen Liniengesträuchen. Das Unterwegssein ist entscheidend – klingt banal, ist aber so!

Gedacht, geschrieben – getan: ich habe Sperrholzflächen zugeschnitten, geschliffen, farblos lackiert, geschliffen, lackiert und geschliffen. Dann übertrug ich die Tuschelinien der Strukturflächen der Dornenkronensequenz mit den Nummern 136, 154, 155, 164 und 165 erst mit einem weichen Bleistift auf Transparentpapier und dann per Abdruck auf die vorbereiteten Holzflächen. Die so vorgezeichneten Linien zog ich dann mit Feder und Tusche nach. Tiefschwarz und präzise stehen sie nun auf ihrem Untergrund. Heute will ich sie mit Farblasuren überarbeiten.

Farbproben

Mit den Farbproben, die ich gestern begonnen habe, entsteht nun mehr Klarheit, wie die Arbeit vor Ort vor sich gehen kann. Als ich meine Zögerlichkeit beim Einfärben des Lacks aufgegeben hatte, entstand die Farbkraft, die ich beim Übereinanderlegen der Schichten und dem Aufbau einer reichen, durchscheinenden Dunkelheit benötige. Die Proben, die ich auf den Hölzern aus dem Farbgeschäft anfertigte, fügte ich auch in die heutigen Collagen ein.

Bei der Kombination des wasserbasierten Lacks mit den Tuschfederzeichnungen, muss ich beim Übermalen der Linien etwas vorsichtig sein, weil sie sonst angelöst werden. Das aber kann ich auch nutzen, wenn ich zu starke Tuscheverdichtungen etwas zurücksetzen will.

Bis jetzt habe ich das alles mit Feder und Pinseln gemacht. Andere Strukturaufträge probierte ich noch nicht. Und natürlich überlege ich beim Betrachten der heutigen Buchmalereien, wie ihr Duktus auf eine Holzfläche übertragbar ist. Im nächsten Arbeitsschritt möchte ich Verdichtungen der Dornenkronensequenz, in ihren abgegrenzten Feldern auf Sperrholzplatten übertragen. Sie sollen in Farbschichten eingebettet sein.

Übertragung von Zwischenräumen

Das Stück, das wir vorgestern im Kammerspiel sahen, war enttäuschend. Der Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Max Frisch wurde lediglich wie eine private Beziehungskiste behandelt. Es gab keine Ausflüge in die Werke, die ja davon beeinflusst sind. Damit hätte man sicherlich eine Spannung aufbauen können, die den Abend strukturiert und weniger langweilig gemacht hätte. Die Schauspielerin und ihr Bühnenpartner, hatten allerdings den Applaus verdient, der reichlich gespendet wurde.

Die Löcher in den Lavasteinen bilden sich ab, indem ich die Steine mit Aquarellfarbe einstreiche, meine Hankante auf die unebene Fläche presse und die Struktur mit Druck auf das Papier übertrage. Die Ränder zeichne ich teilweise mit Farbstiften nach. Aus diesen umrandeten Zwischenräumen können dann Figuren entstehen. Diese werden oft überlagert und verwischt. So entstehen Schichten meiner Denkfragmente, bilden sich die spontanen Farberscheinungen, die vor dem Malen erscheinen, ab. Oft bin ich von den Handkantenabdrücken überrascht.

Auf dem großen Zeichentisch, der von Böcken, einer Holzplatte und der darauf liegenden Reliefform gebildet wird, steht das Material, mit dem ich heute beginnen will, Farbexperimente für das Altarensemble in Neckargemünd zu machen. Schon während des Zeichnens der Dornenkronensequenz hat sich eine Spannung aufgebaut, die dem nun folgenden Arbeitsgang galt. Ob alles funktionieren kann, wie ich mir es dachte oder ob neue Arbeitsschritte hinzukommen, und wie lange das alles dauern wird, kann ich noch nicht genau einschätzen.

Genugtuung

Im Farbenhaus Gallus ließ ich mich beraten, was die beste Materialkombination wäre, mit der ich das Altarensemble bearbeiten kann. Für meine Experimente kaufte ich einen Klarlack auf Wasserbasis mit Abtönkonzentraten. Damit werde ich am Montag die zweite Vorbereitungsphase beginnen. Mit geschliffenen Holzbrettchen, die ich schon teilweise lackiert habe probiere ich die Möglichkeiten aus.

Mein kleiner Vortrag in der Ausstellung „Hin und weg“ über Rolle 10 wirkt noch nach. Mit der Genugtuung, die Geschichte an die richtigen Leute adressiert zu haben, schließe ich das Kapitel nun ab. Es bleibt nur, Anke mit der Mitarbeiterin des Stasi-Unterlagen-Archivs, die mir den Klarnamen schickte zu verbinden. Dann schauen wir, wie sie damit im Humboldt Forum umgehen werden.

Am Abend sehen wir in den Kammerspielen eine Arbeit, die sich mit dem Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch beschäftigt. Nachmittags sahen wir das Interview „Die Wunde Woyzeck“ mit Heiner Müller. Uns wurde ganz warm ums Herz… Diese gelassene Freundlichkeit, mit der er sein Verhältnis zu Büchner erläutert, scheint es in den heutigen Diskursen nicht mehr zu geben. Das macht etwas wehmütig.

Berlin

Wir sahen die „Dreigroschenoper“ im Berliner Ensemble, dort wo sie vor knapp hundert Jahren uraufgeführt wurde und erlebten eine ernsthafte Arbeit, stimmig und leidenschaftlich. Das Personal auf der Bühne ist eine eigene Liga. Wir gingen beglückt zurück in das Hotel gleich in der Nähe.

Im Humboldt Forum traf ich Anke und Dominique, die gerade mit einer Führung beginnen wollten. Es handelte sich bei der Gruppe offensichtlich um ostberliner Menschen, unter denen auch ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit waren. Spontan fragten mich die beiden, ob ich Lust hätte, ein paar Worte zu meiner Arbeit zu sagen. Das tat ich mit Vergnügen und versuchte meine Wut und ihr zitterndes Denken, in eine Energie treffsicherer Präzision umzuwandeln. Ich fühlte die ruhige Kälte eines Scharfschützen, der mit Worten auf die Köpfe zielt.

Nun bin ich wieder am Zeichentisch, fort von der Enge der Arbeitssituationen unterwegs. Schnell finde ich meine Strukturen. Die Handkantenabdrücke mit Lavasteinstrukturen fördern das Malerische der Kleinformate in meinen Büchern. Das möchte ich in irgendeiner Weise auf die Farbbehandlung der Holzoberflächen des Altarensembles übertragen. Für diese Experimente kaufte ich mir gerade die ersten Materialien.

Dann kehrt Ruhe ein

Bislang bemühte ich mich Größenverhältnisse innerhalb der Collagen im Maßstab beizubehalten. Nur manchmal, wenn es um Strukturen ging, die entfernt von den Buchmalereien entstehen und einen Kontrast im Arbeitsfluss zeigen sollen, vergrößerte ich den Ausschnitt. Nun begann ich das auch mit den Malereien zu machen. Gestern und heute setzte ich in die dritte Collage jeweils einen duplizierten Ausschnitt der Farbflecken in den Hintergrund der neuen Schicht und vergrößerte ihn stark.

Wenn ich mir die weiteren Arbeitsschritte der Farbproben für das Altarensemble konkret vorstellen kann, auf Holztafeln und kleineren Transparentpapierformaten beispielsweise, festigt sich die Zeitplanung. Dann kehrt Ruhe ein.

Gestern beschäftigte ich mich etwas mit der Organisation der nächsten Wochen. Das Ideal der Entwicklung aller Experimente ohne jeden Termindruck, verführt zu einem Einsiedlerdasein, in dem es nur noch um die Weiterführung von immer neuen Varianten der verschiedenen Bildproduktionsweisen geht. Durch den Rückzug werden Begegnungen und Gespräche seltener. Das möchte ich nun etwas auflösen.

Schwimmen

Die Schichtung der Vorhaben verlangt nach einer strengeren Struktur, die durch den Kalender vorgegeben wird. Das Schwimmen in weiten, verabredungslosen Gewässern intensiviert bei mir Arbeitsvorgänge, lässt sie aber auch in epische Breiten wachsen. Eine Zeitbegrenzung kann auch zu einer notwendigen Destillation des gesammelten Materials führen.

Im Atelier beschäftigte ich mich am Morgen wieder mit dem Umdrucktechniken, die die Strukturen der Lavasteine in verschiedenfarbige Schichten in die Buchmalereien transportiert. Das Potential der Entwicklung von Farbklängen eröffnet weitere Möglichkeiten für die Arbeit in der Arche in Neckargemünd. Die farbigen Schichten, die sich mit den Verdichtungslinien aus Tusche verbinden sollen, werden in den einzelnen Feldern zwischen den Kerbschnitten entwickelt. Ihre Größe entspricht durchaus der, der Handballenabdrücke.

Jetzt ist es an der Zeit, die Termine zu machen, an denen ich vor Ort arbeiten werde. Die Materialien für die Linienübertragung auf die Holzflächen sind klar. Als nächstes geht es um die Beschaffenheit der Farben.

Ins Freie

Am Morgen fotografierte ich die Transparentpapierarbeiten meiner Schüler von gestern mit den Väterprojekt – Formen und den aufgeschlagenen Kunstbänden über Anselm Kiefer und Pablo Picasso. Trotz der Materialbegrenzung auf Tusche, Graphit und Transparentpapier, strahlen die Arbeiten Frische aus und helfen mir etwas ins Freie.

In den Buchmalereien war heute das Spiel zwischen den Oberflächen der Lavasteine und den Farben, mit denen ich sie abbildete, das wichtige Thema. Die lasierende Farbigkeit von Holzoberflächen, mit dieser Umdrucktechnik zu bereichern, kann als eine Möglichkeit bei der Behandlung der Altarobjekte hinzugezogen werden. Ich ziehe die Möglichkeit, diese Technik auf einzelnen Holztafeln in Verbindung mit den Tuschestrukturen auszuprobieren, in Betracht.

Eine kalte Sonne tritt hinter den Wolken hervor. Fast blaues Licht wird von den Spiegeln durch den Raum geschickt. Nur langsam löse ich mich von dem wochenlangen Zeichnen der Verdichtungen. Beim Zurückblättern im Tagebuch stellte ich fest, dass ich mit der Dornenkronensequenz am 6.12. begonnen habe. Vorgestern beendete ich sie. Die drei Transparentpapierstreifen hängen jetzt neben den drei Frottagen der Kerbschnitte des Kreuzes im Atelier.

Ende der Verdichtung

Mit der dritten Sequenz der Verdichtung der Kerbschnittlinien des Kreuzes, schloss ich gestern Abend diesen aufwendigen Arbeitsschritt für die Arche in Neckargemünd ab. Am Morgen räumte ich das Atelier auf und bereitete es für die Arbeit mit den Kindern vor. Die kamen auch pünktlich, lärmten zwei Stunden und entwickelten Bilder aus Frottagen, die sie von den Formen meines Väterprojektes machten. Weil die Arbeiten an die kubistischen Portraits von Picasso und die Materialcollagen von Anselm Kiefer erinnerten, zeigte ich ihnen Abbildungen davon. Erstaunlich schöne Ergebnisse.

Den Vortrag, den ich Im Tibethaus über Rolle 11 halten soll, könnte ich am Sonntag in Zug nach Berlin strukturieren. Blöd ist nur, dass ich den Streifen nicht zur Hand habe. Ich muss mich mit den Scans behelfen. Die Vernetzung der Projekte wird da eine bestimmende Rolle spielen. Das muss aber mit Bildern aus den verschiedenen Bereichen unterlegt werden.

Die morgendliche Frische, in der ich sonst Tagebuch schreibe, haben spätestens die Kinder auf ihren Heimweg mitgenommen. Aber die Buchmalereien, die ich am Nachmittag machte, sind an wenigen Stellen von ihnen beeinflusst. Ich freue mich auf etwas Beschaulichkeit morgen in meinem Atelier.

Flügelschlag

Die Verdichtung der Kerbschnittlinien vom rechten Querbalkenstück des Kreuzes, hat mehr Arbeit gemacht, als ich dachte. Die Dunkelheit intensiviert sich an dieser Stelle nach oben und nicht zum Boden hin, wie im Mittelteil. Diese Gegenbewegung lässt den Flügelschlag sichtbar werden. Diese Sequenzen mit der Berlinwanderung und den Tabolinien zu verbinden, werde ich für Neckargemünd beiseite stellen. Für die Altarobjekte wird das zu viel.

In den heutigen Buchmalereien trauten sich die Figuren wieder aus der Deckung. Es hilft nicht, sich vor den alten heraneilenden Gespenstern zu verstecken, und so tauchen kleine Kobolde eine Mantelmadonna und ein Ganescha auf. Boxen öffnen sich und lassen ein Materialgemisch frei, das sich auf verschiedene Weisen zusammensetzt.

Wenn ich heute die zweite Querbalkensequenz fertig habe, werde ich das Atelier aufräumen. Es beginnt dann die nächste Arbeitsphase, die mit den Verbindungen zwischen den Linienstrukturen und den darunter liegenden Farblasuren zutun haben wird. Außerdem kommen die Schüler aus ihren Ferien zurück!

Gummi

Kälte fällt aus einem klarblauen Himmel. Vor der Sonne, die bald über die Wohnblockbauten steigt und mein Atelier fluten wird, stehen nur Kondensstreifen. Endlich werden die Hibiskusblüten auf den Regalen und Gesimsen aufgehen. Das Material auf dem Zeichentisch bietet sich für neue Experimentalaufbauten an. Der Rhythmus der Morgenmalerei erlaubte keine Figuren. Er ist vom unfassbaren Politgebrüll angehalten, sie zu schützen, zu verbergen. Ich bin froh über meine Zeit in Freiheit, nach meiner Übersiedlung 1984.

Sogar gestern, am Sonntag, zeichnete ich weiter. Ich füllte die Splitter der Schlossseitensequenz des Kreuzes mit den Tuschelinien der Gesträuchschichten. Heute werde ich ganz unten ankommen. Dann verdichte ich noch die zwei Seiten des Querbalkens – und fertig erst mal!

In der Schirn Kunsthalle sahen wir die Ausstellung der italienischen Künstlerin Carol Rama. Trotz der Brüche in ihrem Werk, bleibt die unbedingte Ernsthaftigkeit der Arbeit immer anwesend. Mich erinnert das an ein selbstverständliches proletarisches Arbeitsethos, das ich während meiner Schichtarbeit im VEB Gummikombinat Thüringen, kennen gelernt habe. Auch die Fahrradschläuche, mit denen sie unterschiedliche Installationen schuf, gingen mir nahe. Ich kenne den Geruch der Herstellung von Gummi, die Industrieprägungen des Materials. Die meisten meiner männlichen Schulkameraden, die als Arbeiter in dieser Industrie blieben, sind tot.

Beschleunigung

Mit dem Musikhören und Malen beschleunigte sich die Arbeit. Ich konnte gar nicht aufhören zu den Steinen zu greifen, sie einzufärben und über den Umweg meiner Handkante, Abdrücke der Strukturen in die Formate zu setzen. Dann bremste ich ab, um zu schreiben.

Bei diesem Zusammenspiel denke ich an die Arbeit mit Susanne, der Musikerin. Wir haben uns auf Februar vertagt. Dann soll es um den Klang der schwingenden FES-Lamellen gehen und um den Zusammenhang zwischen Zeichnungsstreifen und Musik.

Ich denke dass ich am Montag mit dem Zeichnen der Schlossseitensequenz fertig werde. Im Querbalkenbereich, wo sich die Arme befinden, will ich noch eine Verdichtung rechts und links an den Außenseiten einfügen. Das geschieht, in dem ich die Rollen rückwärts aufrolle und das wenige Linienmaterial noch einmal durchzeichne.

Flacher Raum

Die geschichteten Materialien bilden in den Malereien einen flachen Raum verschiedener Zeithorizonte. Die Gewinnung der Pigmente trifft auf einen Vulkanausbruch währen der Entstehung von Fuerte Ventura. Die Oberflächenlinien meiner Handkante, die sich in den letzten sieben Jahren umgeformt haben, gehen eine Verbindung mit meinen Haar-Linien ein, deren Wachstum 2022 bis 2024 stattfand. All das presst sich zunächst auf die Millimeterbruchteile der Malereioberfläche. Aber die reflektierten Lichtwellen treten in den Raum und über meinen Sehnerv zurück zu den Synapsen, die neue Räume erschaffen.

Bis in den späten Abend verdichtete ich die Tuschelinien aus den Kerbschnitten der linken Seite des Altarkreuzes. Es ist als würde die Luft schwirren, sich nach unten hin zusammenpressen und die Atmosphären der Hinrichtungen durch die Zeiten hindurch aufnehmen. Die aufgebrauchte Angst weicht in die Materialisierung aus. Der Schmerz manifestiert sich im dichten Gesträuch.

Probeweise legte ich diese schweren Linien unter die Transparentpapierrolle 12. Es ergibt sich eine Reaktion mit den weicheren Umrissen der Buchmalereien, den Echos der Wanderung im Lustgarten und der Tabosequenz. Bei der Arbeit am Altarensemble unterstützen mich all diese Verbindungen. Das wird sich auch mit den Buchmalereien hin zur Beschäftigung mit dem Farbprogramm fortsetzen.

Gespräch mit Malereien

Es ist ein Gespräch, das ich mit den Malereien führe. Überraschungen entpuppen sich manchmal als störend und müssen repariert werden. Und aus dieser Korrektur entwickeln sich oft die tragenden Elemente der Komposition. Dann sage ich: „Ja gut – Ende!“. Mit den gezeichneten Umrissen der Buchmalereien will ich bald wieder auf Rolle 12 arbeiten, um sie mit den Dingen, die parallel im Atelier entstehen, zu verbinden. Das geschieht zwar schon innerhalb der Collagen, aber der Vorgang und die Ergebnisse sind anders, nicht so präzise.

Die Neckarsequenz des Kreuzes zeichnete ich gestern in 4 konzentrierten Stunden am Nachmittag fertig. Eigentlich hätte ich erst für morgen erwartet, mit den Linienverdichtungen am Boden anzukommen. So kann ich heute mit der Schlossseite beginnen. Erst zeichne ich die 2,6 Meter hohe Frottage mit Feder und Tusche auf einen Transparentpapierstreifen durch. Dann beginne ich die Zeichnung von oben zusammen zu rollen, um auf der gerundeten Rückseite alles durchzuzeichnen, was durch die Schichten durchscheint. Später kümmere ich mich dann um die lasierende, lichtbeständige Farbigkeit für die Objekte.

Am gestrigen Arbeitsende kamen mir Figurationen vor die Augen, die sich in den Liniengeflechten verbergen. Und ich frage mich, wie sinnvoll es sein kann, solche als kontrastierende Elemente an einigen Stellen einzufügen. Das würde eine weitere inhaltliche Schicht beleuchten und zu visuellen Entdeckungsreisen auffordern. Aber da bin ich schon wieder auf der didaktischen Spur, die ich nach dem Kraftfeld, das sehr stark darauf setzte, verlassen wollte. Eine Frage der Dosierung vielleicht.

Dichte

Ein Besuch von Franz zum Feierabend. Er spricht öfter von der Erkenntnis, dass er kein Maler sei, sondern eher Zeichner. Solche Zweifel gibt es auch bei mir, aber ich lasse gewähren, was womit entsteht, bin nicht so rigoros, wie mein Freund. So eine Begegnung hier im Atelier, macht mir klar, welche Ungestörtheit mich hier Tag für Tag umgibt. Das Verharren der Stille erzeugt eine zähe Kontinuität. Das Material wird lange gekocht, destilliert und wieder erhitzt, getrocknet, gepresst und in kleinen Mengen gesammelt.

Mit der Verdichtung der Neckarsequenz des Lindenkreuzes bin ich auf dem Transparentpapierstreifen bis auf einen Meter über der Standfläche hinab gekommen. Weil die Linienschichten nach unten hin zunehmen, nimmt die Geschwindigkeit, mit der ich vorankomme ab und die Dichte des Gesträuchs zu. Mit der gefühlten Verpflichtung, an den Sequenzen dran zu bleiben, fällt es mir schwer, den stetigen Fluss zu unterbrechen. Aber es gibt auch noch Rolle 12, deren Wachstum unterbrochen ist…

Bei den Buchmalereien lange ich gerade ziemlich tief in die Farbtöpfe. Auch wenn mich das skeptisch stimmt, lasse ich es zu. Nur ab und zu, wenn sich das Gelb zu sehr in den Vordergrund drängt, überlagere ich es mit einer Graulasur.

Mein IM Heinz Werner

Die Verdichtung der Kerbschnittlinien vom Lindenkreuz dauert seine Zeit. Und nur wenige der etwa 500 Felder, die mit dem Linienmaterial angefüllt sind, werden direkt auf der Holzfläche sichtbar sein. Inwiefern sich die Tabosequenz in diese Arbeitschritte einfügt, ist noch nicht klar. Deutlich ist aber, dass alles, was ich derzeit an Bildstrukturen mache, miteinander zutun hat. Dieser Prozess wird zu sehen sein.

Vor ein paar Tagen bekam ich die Klarnamenentschlüsselung meines IM „Lutz Lange“ von der Stasi-Unterlagen-Behörde geschickt. Meine Erinnerung, dass es sich dabei um Heinz Werner, meinem damaligen Mentor handelt, wurde bestätigt. Den Scan des Schreibens schicke ich nun an das Humboldt Forum. Damit wird die Arbeit an Rolle 10 vervollständigt, die immer noch neben dem „Lied von der Roten Fahne“ von Willi Sitte ausgestellt ist.

Die Präsentation von Rolle 11 im Tibethaus wird nun durch einen Vortrag ergänzt, den ich halten werde. Hier Im Atelier komme ich nicht dazu, eine Gliederung mit Bilddatei dafür herzustellen. Das mache ich an den Abenden zu Hause. Ein Termin für die Aktion muss auch noch gefunden werden.

Neckarseitensequenz

Mit den Farbfiguren, die von den Schnittflächen der Lavasteine auf meine Handkante und dann auf dem Papier landen, hatte ich in den letzten Tagen mehr Glück. Ich kann sie in Grenzen vervielfältigen und lasierend übereinander schichten. Wie ich diese Technik auf die Bearbeitung der Holzoberflächen der Altarobjekte übertragen kann, will ich probieren. Dabei spielen dann nicht die erstarrten Lavablasen, sondern die Kerbschnitte, die ich als junger Mann gemacht habe, die entscheidende, strukturierende Rolle.

Am Nachmittag möchte ich an der Verdichtung der Neckarseitensequenz weiter arbeiten, mich in die alten Linien versenken. In einer Ikonenausstellung im Museum für Angewandte Kunst, sah ich mir insbesondere die Behandlung schwarzer Beistriche an Gewandfalten und Figurenumschreibungen an. Meine Tuschelinien sind sehr fein. Ich hoffe, dass sie sich mit dem Farbuntergrund auf dem Lindenholz zu geschlossenen Klängen zusammenziehen. Auch damit lässt sich vorher gut experimentieren.

Die Präsentation von Rolle 11 im Tibethaus möchte ich in einen größeren Zusammenhang einbetten. Es sollen auch die Buchmalereien, die Collagen und deren Echos auf Transparentpapier deutlich werden. Das ist mittlerweile ein Zusammenhang, der sich über mindestens ein Jahrzehnt etabliert hat.

437

Gestern zeichnete ich die „Neckarseite“, also den rechten Teil des Kreuz-Triptychons auf eine neue Transparentpapierbahn. Von oben her begann ich schon mit dem Zusammenrollen und Verdichten des Linienmaterials, das die Kerbschnitte im Holz wiedergibt. Das wird nicht mehr so viel Arbeit werden, wie ich mit dem Mittelstück hatte. Die Nummerierung dieser Felder ergab die Zahl 437, also mehr als ich schätzte.

In den heutigen Buchmalereien wollte ich die glatten Sägeschnitte der Lavasteine mit Farbfiguren versehen, die ich über den Umweg meiner Handkante auf das Papier zu bringen gedachte. Es bildeten sich aber keine klaren Formen, wie ich vorhatte ab. Zu viele Schichten, wie die Hohlräume der Lava, die Farbfigur, die Handlinien und die Dynamik des Wassers, verhinderten das. Architekturumrisse stabilisierten die auseinander fließenden Kompositionen.

In der kommenden Woche werde ich mich mit der weiteren Verdichtung der Neckarseitensequenz, mit dem Zusammenspiel von diesen Strukturen mit den Berliner Wanderungslinientexten, der Tabosequenz und den Buchmalereiumrissen beschäftigen.

Motivwanderungen

Die Motivwanderungen innerhalb der Transparentpapierrollen, Buchmalereien, in den alten Holzschnitten und nun auch aktuell in der Dornenkronensequenz, weiteten sich immer auch über die Grenzen der Projekte hinweg aus. Vor allem die parallel laufenden Arbeitsreihen durchwirken sich deswegen. Das lässt sich nicht auf einen Vorsatz zurückführen, sondern eher auf die Unfähigkeit, an verschiedenen Vorhaben unabhängig voneinander zu arbeiten. Sogar meine Schüler sind angehalten, sich an die Materialien zu halten, die für mich gerade wichtig sind.

So geht es mir nun auch mit dem Vortrag, den ich im Tibethaus halten soll, der Beschäftigung mit den Altarobjekten, den Buchmalereien und der Fortführung von Rolle 12. Schon auf Rolle 11 gab es Verbindungen zwischen der Tabosequenz und den Textwanderungen in Berlin. Und somit kann ich bei der Präsentation in der Umgebung von Peter van Hams hoch auflösenden Tabo – Fotografien von meiner gegenwärtigen Arbeit ausgehen.

Heute startete ich zeitig in die Atelierarbeit. In den Buchmalereien ging ich wieder von Linien aus, die sich von gestern durch die Buchseiten gedrückt hatten. Die schraffierte ich stark mit mehreren Farbschichten, um dann noch weitere Holznadelgravuren hinein zu prägen. Dann folgte ein Handkantenabdruck mit Lavastrukturen…

Kontrastieren

Zwischen den Neubauten südwestlich vom Atelier, schien die Sonne in meinen kleinen, wilden Garten. Ich flocht aus ein paar Weidentrieben Ringe, fütterte die Vögel und goss die Pflanzen im Atelier. Weil ich unterwegs ebenfalls Buchmalereien mache und mein handschriftliches Tagebuch führe, fällt es nicht schwer, ins Atelier zurück zu kommen, mich an den Tisch zu setzten und weiter zu machen. Das gleiche Material hier und woanders auf dem Tisch.

Die Ergebnisse der Handabdrücke lasse ich in letzter Zeit öfter unüberarbeitet stehen. Die Muster der Lavasteine drucke ich mit Aquarellfarbe auf meine Handkante und drücke diese dann auf das Papier. So verbinden sich die Formen der erstarrten Lava mit meinen Handlinien. Die Strukturen gehen, wie selbstverständlich ineinander über. Nur, wenn das schwach und spannungslos erscheint, kommt es zu Umrissen oder harten Geraden, die das Geschehen kontrastieren.

Oft lese ich Gegenstände oder Figuren in die entstandenen Formen hinein. Und wenn das Geschehen zu banal wird, wehre ich mich mit Übermalungen. Aber es macht Spaß, die drei täglichen Formate als 3 zusammenhängende Szenen zu sehen, in denen dieselben Figuren auftauchen.

Übertragung der Struktur

Heute machte ich die Collagen bevor ich den handschriftlichen Tagebuchtext schrieb. Dadurch könnte ich diesen Vorgang reflektierend schreiben, lasse es aber, weil das digitale Collagieren und das schreibende Denken zu unterschiedliche Geschwindigkeiten haben.

Die Experimente mit dem Umdruckverfahren der Dornenkronensequenz auf Holz, liefen gestern ganz anders als gedacht. Die Übertragung der Struktur gelingt nicht überzeugend durch das Anlösen der Linien mit Schellack oder Spiritus. Die Ergebnisse sind zu weich und zu weit entfernt von dem Überlagerungsgesträuch.

Deswegen zeichnete ich die Linien mit einem sehr weichen Stift auf Transparentpapier durch und übertrug sie dann mit einem harten Stift durchpausend auf die Fläche. Diese feinen Striche kann ich dann mit Feder und Tusche konkretisieren, wo es passt und an anderen Stellen auslaufen lassen. Das sind zwei Arbeitsgänge mehr. Aber das Ergebnis überzeugt mich mehr.

Energieaustausch

Im Atelier ist es von der Sonne im kalten Morgendunst hell. Ich sehe meine Steine, Zeichnungen, Pflanzen und Objekte, höre meine Renaissancemusik und füttere die Meisen, Spatzen und das Rotkehlchen. Ich lasse mich von den ersten Strichen im Tagebuch in die Buchmalereien tragen, beobachte die Bewegungen der Stifte, Pinselspitzen, Farben und der rechten Hand. Komposition und Improvisation, Energieaustausch und deren Umwandlung in Bewegung und Farbtemperatur.

Am Nachmittag werde ich Zeit haben, die ersten notwendigen Experimente für den Tuschelinienumdruck zu machen. Das heißt, dass ich probieren will, wie genau sich die gezeichneten Tuschestrukturen abbilden, wenn ich sie mit Schellack oder Spiritus anlöse, auf eine andere Fläche lege, andrücke und vorsichtig wieder abziehe. In den Synaptischen Kartierungen habe ich das öfter gemacht, aber nicht mit dem Ziel einer möglichst vollständigen Abbildung.

Es können sich aber aus der Dornenkronensequenz auch Strukturen ergeben, die vom vorgegebenen Liniengeflecht abweichen, dennoch aber geeignet sind, um die Oberflächen der Objekte kontrastreicher zu gestalten und sie um eine weitere Deutungsschicht zu erweitern.

In den Splittern

In der Dornenkronensequenz kam ich bis an die letzten zwei Splitterreihen, am unteren Ende des Kreuzes, heran. Ein langer Tag mit der Tuschefeder. Den mittleren Streifen der Linienverdichtungen wollte ich noch in diesem Jahr fertig bekommen. Das schaffe ich nun auch. Die beiden anderen Streifen der Seitenflächen, kommen dann im Januar dran. Auch mit den Seitenflächen in der Tiefe des Objektes sollen Verdichtungssequenzen entstehen.

Vielleicht kann ich heute schon einige Felder auf Einzelblätter herauszeichnen und schauen, wie ich mit ihnen weiter verfahren kann. Es ist mein Ziel, dass jede einzelne Fläche diesen Gesamtprozess in sich trägt und auch ausstrahlt. Dann ist zu entscheiden, ob sich noch ein Arbeitsgang anschließen kann, der dem Scherbengericht folgt, das Teil des Väterprojektes war.

Die Buchmalereien beziehen einen Teil ihrer Spannung aus dem Auseinanderdriften und den Zusammenballungen der Elemente. Die Diagonalen weisen nach außen, sprengen den Zusammenhalt, der durch die Strukturen der Lava – Abdrücke, der Haare und Handballenlinien entsteht. Die Wiederholungen der Umrisse in verschiedenen Konstellationen entsprechen auch eher einer ordnenden Gravitation.

Verknüpfungen

Die Zeitökonomie geböte es, dass ich die Tagebucharbeit enger mit der Überarbeitung der Altarobjekte in Neckargemünd verknüpfe. Von der Behauptung der Farbstrukturen der Buchmalereien als Vorbereitung für die Arbeit auf den Holzflächen, bis zur Übertragung der Technik in der Praxis, ist es noch ein Stück Weg.

Heute vermischten sich die Hautfalten meines Handballens mit den Blasenstrukturen der Lavasteine. In der Arche ginge es nicht um eine Kopie dieser Techniken, sondern um eine Übersetzung. Der Blick soll den Schichtungen der verschiedenen Elemente in eine Tiefe folgen können. Das ist nicht flächendeckend gemeint, sondern nur für bestimmte Punkte des Ensembles.

Szenen in meinen Büchern verbinden sich zu Geschichten. Die Wiederholung von bestimmten Kerbschnittfragmenten an unterschiedlichen Stellen der Objekte, kann das Szenische der Malereien aufnehmen. Was erzählt uns die Wiederholung des Dornenkronenmusters auf der Vorderseite des Altartisches? Und das Licht, in das der aufsteigende Gekreuzigte strebt, sollte als weiteres wichtiges Element mehrfach auftauchen. Das Licht hat in der Vergangenheit die Farben ausgeblichen. Mit fachlicher Unterstützung will ich das für die kommende Zeit ausschließen.

Zerstückelt und neu

Ein paar Stunden verdichtete ich mit dem Überlagern der Tuschelinienschichten der Dornenkronensequenz. In den Collagen verbinde ich Splitter dieser Gesträuche mit den Farben der Buchmalereien. In diesen kleinen Formaten taste ich mich langsam an die Möglichkeiten heran, die Altarobjekte zu überarbeiten.

Die Frage nach dem Sinn der Erfindungen von Gechichtenfragmenten für die Buchmalereien, stellt sich nicht mehr, denn sie funktionieren vor allem für mich. Mir helfen sie, am nächsten Tag besser anknüpfen zu können. Gerade denke ich an Klostermalereien im Himalaja, die schwebend einzelne Organe zeigen. Die linke Figur der ersten Malerei, die auch in der Collage gut zu erkennen ist, erinnert mich daran.

Rotierende Zerstückelungswellen, die wie die Maischmühlen bei der Weinproduktion funktionieren, arbeiten die Figuren in 1 um, damit die sich in 2 wieder neu zusammensetzen können. Dort ordnen sie sich zu fröhlichen Farbkonglomeraten, die in ihrem Entstehen noch ohne Handlung sind. Dann aber in 3, kommen die Probebühnenkulissen dazu, die eine Handlung fordern. Verzweifelt wurschteln die neuen Figuren zwischen den Wänden herum, ohne ihren Text gelernt zu haben. Sie rufen ins Leere nach der Souffleuse.

Verstrickungen

In den heutigen gemalten Szenen bilden sich Verstrickungen ab. Zwischen den kommunizierenden Körpern übertragen sich Zustände. Euphorie und zurückgezogene Gleichgültigkeit neutralisieren sich. Türkisfarbene Pflanzen treiben aus Altrosasümpfen. Aus den Lavastrukturen, die heute wieder die Ausgangssituation bildeten, dehnt sich schnell Farbleben aus. Seine Vielfältigkeit würde ich gerne auf die Flächen der Altarobjekte übertragen.

Gestern zeichnete ich an der Dornenkronensequenz weiter. Die Verdichtung nach unten hin, ich bin bereits bei den Füßen des Gekreuzigten angelangt, muss nun anziehen. Die Dunkelheit muss zunehmen. Das bekomme ich aber hin. Vor Weihnachten ist noch genügend Zeit, um den mittleren Streifen fertig zu zeichnen.

In alten Fotos fand ich Entwürfe für das Kreuz. Varianten in Gips und Styropor. Letztere in Maßstab 1:1. Da ist deutlich diese naive Farbigkeit zu sehen, die nun glücklicherweise verblichen ist. Ein weiteres Kreuzigungsobjekt ist eine lebensgroße Christusfigur, die ich modelliert, abgeformt und in einem sehr stabilen Material abgegossen habe. Im Stück „Bauernsterben“ von Kroetz wurde heftig damit gespielt. Und dann gibt es noch ein Foto von mir, als Gekreuzigter liegend auf einem Prospekt nach Philip Otto Runge.

Insektenkönigin

Mit den Schülern spielte ich gestern Figurenfinden. Das motiviert sie sehr und die Gegenstände, in denen sie danach suchen, können ganz verschieden sein. Es waren Holzspäne, Liniengeflechte und abgeformte Reliefs. Sie fanden Frauenköpfe mit Feuerfrisuren, Fische, Buchstaben, Gürteltiere und abstrakte Muster. Sehr schöne Ergebnisse gab es bei der Bemalung der Holzspäne, die vom Aushöhlen des Baumstammes stammen. Draußen flochten sie die langen Triebe der Weide, die nun ganz ohne Blätter gut zu Ringen gebogen werden können. Es entsteht ein großer Lockenkopf im Gärtchen vor dem Atelier.

Alleine mit meinen Farben und Strukturen, bin ich froh, dem Vorweihnachtstrubel zu entkommen. Die Buchmalereien kann ich auseinander fliegen lassen, sie wieder miteinander verknüpfen und mit allen dreien zusammen eine Handlung erfinden. Die böse Maschine, die die Figuren in der 1. Malerei bedroht, wird in der 2. von einer freundlichen Insektenkönigin verscheucht. Sie gebiert ständig neue kleine Wesen, die in die 3. Malerei schweben. Dort treffen sie auf Pflanzen und fremde Atmosphären, in denen sich Gegenstände manifestieren und wieder in farbigen Wolken verfliegen.

Solche Farbigkeiten wünschte ich mir für die Oberflächenfelder des Altarensembles. Sie könnten der Untergrund für den Tuschestrukturdruck auf einigen der Flächen sein, die von den Kerbschnitten begrenzt sind.

Tiefe der Schichten

Im Frankfurt Lab sahen wir die Lecture Performance einer jungen Frau, deren Thema eine Regiehospitanz bei Oliver Reese im Berliner Ensemble war. Die patriarchalen Verhältnisse an deutschen Theatern, wie sie beklagt worden sind, sind bekannt und haben sich in den vierzig Jahren, in denen wir mit dieser Welt zutun haben, kaum geändert. Die Protagonistin nannte wütend die Namen, sagte aber eigentlich nichts, was allenthalben bekannt ist. Das eigentlich bemerkenswerte ist der Stillstand hinter der leuchtenden Dekoration.

Mit einer differenzierten Strichstärke modelliere ich im Gesträuch der Dornenkranzsequenz einen Raum. Die hell ausgesparten Kerbschnitte von der Holzoberfläche, werden in den fortlaufenden Runden des Zusammenrollens und Durchzeichnens, auch mit den schwach durchscheinenden Linien dünn durchkreuzt. Weil die kräftigen Striche in den Vordergrund rücken, entsteht die Tiefe der hintereinander gestaffelten Schichten. In einem weiteren Schritt werden in diesem Geflecht Figuren gefunden, die sich zunehmend dort verstecken. Das wäre eine Aufgabe für die Schüler, die nachher ins Atelier kommen.

Für die Buchmalereien benutzte ich heute, neben den Aquarellstiften, dem Farbkasten mit Pinseln und der Holzhaarnadel, einen glatt durchgeschnittenen Lavastein. Mit seinen Konturen stempelte ich Farbflecken, wodurch schwebende Körper entstanden. Gegen diese allzu bunte Rundheit setzte ich Geraden, die in verschiedenen Winkeln zueinander stehen und sich kreuzen.

Zeitstillstand

Gestern schaffte ich es, die Dornenkronensequenz in 5 Stunden auf etwa 20 Zentimeter Länge zu verdichten. Je weiter ich den Streifen weiterzeichne, desto konzentrierter wird die Struktur der Tuschelinien und umso langsamer komme ich voran. Es ist, als würde die Zeit auf einen Stillstand zulaufen, an dem sich die Ausdehnung des Universums umkehrt. Wenn sich der Zeitpfeil dann gedreht hat, läuft alles auf eine Singularität zu. Bei meiner Transparentpapierrolle ist das mit der absoluten Schwärze gleich zu setzten.

Mit der zunehmenden Dunkelheit zeichnen sich die Felder zwischen den Kerbschnitten im Dickicht deutlicher ab. Diese Splitter kann ich einzeln mit kräftigen Tuschelinien auf Transparentpapier herauszeichnen, um sie dann im Umdruckverfahren lasierend auf der entsprechenden Holzfläche zu platzieren. Das betrifft nur die Stellen, an denen ein größerer Kontrast benötigt wird. Das soll beispielsweise helfen, die Christusfigur etwas deutlicher hervorzuheben.

Ich merke, dass alles länger dauert, als ich dachte. Jetzt kann ich aber noch nicht einschätzen, ob ich letztlich mehr Zeit benötigen werde. Den Punkt der aufzufrischenden Farbigkeit habe ich auch noch nicht geklärt. Ich schwanke zwischen den Strukturen meiner Buchmalereien und denen der Glasfenster der Arche.

Geschichten

Eine kleine Ausstellung buddhistischer Skulpturen ist im Museum für Angewandte Kunst eingerichtet worden. Wir sahen sie gestern. Kleine einordnende Beschreibungen klärten über Entstehungszeit und Herkunft auf. Sie arbeiten offensichtlich häufiger mit dem Tibethaus zusammen. Einige Exponate stammten von dort.

Vorgestern sahen wir die Premiere eines Stückes über die Verstrickung von Rechtsradikalismus und Verfassungsschutz in den Kammerspielen des Schauspiels Frankfurt. Kaum Erkenntnisgewinn, dafür viel Wutgeheul und viel journalistisch oft aufbereitetes Material. All das zugeschnitten auf ein jüngeres Publikum, ging diese Revue an uns vorbei. Ziemlich grell und unerträglich.

Ich frage mich, ob nicht die Erfindung von Geschichten, die in den Buchmalereien vor sich gehen, diese Bilder schmälert. Sicherlich lassen sie sich ohne diese Texte weiter und reicher interpretieren. Eigene Geschichten sind dann leichter zu finden und erleichtern vielleicht sogar den Zugang und die Verbundenheit mit den Motiven. In den Collagen verbinden sie sich ja sowieso gestapelt mit den vorigen Arbeiten.

Energieumwandlungen

In den Buchmalereien habe ich gerade das Spiel von gestern fortgesetzt. Es gesellten sich weitere Figuren hinzu, bzw. verwandelten sich wegen der sich verändernden Atmosphäre. Es finden verschiedene Energieumwandlungen statt, die aus einer gewissen Ordnung in eine Unordnung wechseln. Magnetfelder um eine amorphe Masse wandeln sich in einem Inkubator in Wärme um, die ihre Strahlen konzentriert und in einen Nebel schickt. Das ist die zweite Szene von heute.

In der ersten spielen Stäbe die ordnende Rolle. Sie teilen, stützen und tragen. Man kann sich an ihnen verbrennen und bei intensivem Kontakt verdampfen. Es ist zu sehen, wie das vor sich geht. Da hält man sich doch lieber abseits in gemäßigter Atmosphäre, als Einzelgänger nicht dazugehörend.

In 3 herrscht Chaos, das durch einen Wind geordnet wird. Kalt schießen die Teilchen durcheinander und werden von einer schwachen Energie zusammengehalten. Der Wind aber weht nach rechts in die Zukunft, wo es wärmer wird. Aus dieser Wetterlage tritt eine Figur heraus, die die Wärme personifiziert und den Zeitpfeil in sich trägt.

Drei Szenen

Aus 3 Figurenkonstellationen der heutigen Buchmalereien entstanden 3 Szenen einer kleinen Geschichte. Der Einakter beginnt mit allen Personen, die aufeinander zu und voneinander weg streben, je nach dem, welche Ladung sie besitzen, positive oder negative. Ein Kind ist dabei, getragen auf halber Höhe, mal auf dem Rücken, mal von Stäben oder Energielinien der Gravitation gehalten. Falls sich die Szene in einem Innenraum abspielt, ist das am ehesten ein Labor, und die Darsteller sind Teilnehmer einer Versuchsreihe.

Das Experiment besteht darin, dass sie unterschiedlichen Atmosphären ausgesetzt werden. Es ist zu beobachten, wie sich dadurch ihre Konsistenz und Farbigkeit verändert. Manchmal bestehen sie nur noch aus einer durchscheinenden Hülle und ein andermal werden sie, weil sie keine Ummantelung mehr besitzen, verweht. Vielleicht fing die Geschichte aber schon gestern oder vorgestern an. Vielleicht läuft das Stück schon Jahre, und ich habe nur versäumt, es aufzuschreiben.

Durch das weiße Blatt, das ich in das Transparentpapier mit der fortlaufenden Tuschezeichnung der durchscheinenden Linien des Altarkreuzes der Arche, mit einrolle, bildet sich eine leichte Diskontinuität der sich wiederholenden Linien und deren Überlagerungen. Sichtbar ist das bisher nur für mich, den Eingeweihten. Das reicht auch erst einmal.

Verlangsamung

Gestern Nachmittag setzte ich das um, was ich mir zuvor überlegt hatte. Durch die Sperre der Durchsichtigkeit bis zu den unteren Schichten der Transparentpapierrolle der Dornenkronensequenz, verringerte sich das durchzuzeichnende Material. Der Prozess der Verdunklung durch das Gesträuch, wurde verlangsamt. Die Struktur bekommt allerdings etwas gleichförmig Mystisches. Außer der vorsichtigen Intensivierung, muss ich dem zunächst nichts entgegen setzen, denn es handelt sich lediglich um die Voraussetzung für die Bruchstücke, Scherben und Splitter, mit denen ich die Holzflächen gestalten werde.

Weil ich gestern ein gutes Stück der Vorarbeiten für die Arche-Objekte geschafft habe, treten nun auch wieder andere Vorhaben in mein Denken. Durch eine weitere Einladung ins Humboldtforum, erinnere ich mich an die Textgänge, die ich auf der Museumsinsel und auf dem Gustavsburgplatz machen wollte. Beide Projektbeschreibungen fanden kein Entgegenkommen. Deswegen will ich die Textwanderungen zunächst alleine unternehmen – im Frühjahr.

Die Ateliergemeinschaft, in der Sigi am Thor arbeitet sprach sich mehrheitlich gegen die Durchführung ihres YOU&EYE – Projektes dort an Ort und Stelle aus. Ich möchte mich für Sigi stark machen und hoffe, damit nicht alleine zu bleiben.

Auflockerung

Mit den durchgezeichneten Tuschelinien des mittleren Streifens des Lindenkreuzes aus der Arche, begann ich die Dornenkronen – Überlagerungssequenz. Ich rolle dabei, den Streifen von oben zusammen. Das Liniengeflecht verdichtet sich aber bereits im oberen Drittel so sehr, dass ich weiter unten eine zu große Dunkelheit befürchten muss. Somit werde ich bei der Weiterarbeit Bögen von weißem Papier mit einrollen, damit die geschichtete Struktur teilweise abgedeckt bleibt. Das lockert den Vorgang auf.

Wenn ich die gefüllten Umrisse auf Einzelblätter zeichne, um sie im Umdruckverfahren mit Schellack nutzen zu können, dürfen die Linien nicht zu eng beieinander liegen, sonst verschwimmen sie miteinander. Diese Ungewissheiten, die ich nur nach und nach aufdecken und lösen kann, schaffen zusätzlich etwas Unruhe.

Aber wenn ich mich auf meine Erfahrung verlasse, kann es gehen, wie bei den heutigen Buchmalereien, die ich etwas unambitioniert begann, nur mit der Maßgabe, dass sie nicht zu aufwendig werden sollten, denn ich muss den Workshop mit den Schülern noch vorbereiten. Aber dadurch sind sie locker und reizvoll geworden. Das sollte ich mir merken.

Wald

Wenn neben dem selbst auferlegten Produktionsprozess von außen weitere Aufgaben hinzukommen und keine verlässlichen, kontinuierlichen Arbeitsphasen möglich sind, wird es schwierig. Gestern zeichnete ich den ganzen mittleren Streifen der Kreuzfrottage auf einen weiteren Transparentpapierstreifen durch. Beim Zusammenrollen wurden schon die künftigen Verdichtungsstrukturen sichtbar.

Es ist, als würde das Gesträuch, von dem die Dornenkrone stammt, entstehen. Oder ein ganzer Wald, wie der nahe gelegene Hollmuth. Auf diese Verdichtungssequenz bin ich gespannt. Immer wieder drängt sich der Vergleich mit dem Väterprojekt und seinen Scherbengerichten auf.

Und den Zusammenhang der sakralen Objekte mit der weiterlaufenden Tagebucharbeit, will ich nicht aus dem Blick verlieren. Schon hatte ich Fragmente der Buchmalereien in den farbigen Feldern zwischen den Kerbschnitten vor Augen. Die Strukturen ähneln sich an manchen Stellen und bereichern sich.

Verbindungen

Von den Flächen zwischen den Linien der Dornenkrone auf dem Holzkreuz, Splitter mit dem Blut Christi, zeichnete ich gestern ein paar aneinander liegende, auf Rolle 12. Dort begann ich die gegenwärtigen Materialien miteinander zu verbinden. Das Thema Wanderungen und Sprache kann auch mit einfließen in die Arbeit an den Lindenholzobjekten der Arche.

Gestern besuchten wir die Ateliers in der Idsteiner Strasse. Außer zu Franz empfinde ich eine besondere Verbindung mit den Malereien von Ruth. Wir konnten mit ihr auch gut über ihre Arbeit sprechen. Bei Franz ist es besonders die Verbindung der Zeichnungen mit seiner Meditationspraxis, was uns interessiert.

Susanne, mit der ich kürzlich im Atelier musizierte, schickte mir ein Himmelsbild. Von ihrem Dach aus fotografierte sie den Ausschnitt über meinem Arbeitsraum. Es passt ganz gut zu dem, was ich gerade mache. Mit den Lamellen der Kehrmaschinen habe ich in letzter Zeit öfter mal probiert, verschiedene Töne zu erzeugen. Gerne würde ich das gemeinsam mit der Musikerin fortführen.

Sonntag

In einer Zoom Konferenz eines Kulturinstituts in der Nähe von Shimla, hielt Peter van Ham einen Vortrag über seinen neuen Bildband über Tabo. Danach gab es eine Fragestunde. Die Inder interessieren sich für sie europäischen Haltungen zu ihrem Buddhismus und stellen religionskulturell intime Fragen. Sie sind dabei warmherzig, freundlich und sehr persönlich. Ich bewundere Peter für seine Kraft, Ausdauer und für seine reiche Kenntnis der tibetisch-indischen Kultur.

Mit meinen Frottagen aus der Arche bin ich noch nicht weiter gekommen. Mir fehlt gerade etwas der Schwung. Ich weiß, dass der nächste Arbeitsschritt sehr aufwendig und belastend wird. Deswegen sammle ich mich noch etwas.

Es ist Sonntag. Ich krame im Gärtchen, füttere die Vögel und lasse meine Gedanken etwas treiben. Dabei denke ich an die Zukunft meines Ateliers. Ohne diesen Arbeitsraum könnte ich solche Projekte, die ich in den letzten Jahrzehnten gemacht habe, nicht verwirklichen. Aber wie lange meine Kraft noch für große Vorhaben reicht, weiß ich nicht.

Ökonomie

Ein erstes durchgezeichnetes Blatt habe ich gestern von den Frottagen aus Neckargemünd gemacht. Es handelt sich in erster Linie um die Dornenkrone des Gekreuzigten. So taste ich mich langsam heran. Beim betrachten des Berges von Arbeit, der zu überqueren ist, dachte ich daran, was unterwegs gebraucht wird und was nicht. Es gibt ein Zeitfenster bis Ende März und deswegen den Gedanken an Ökonomie.

Dabei ging mir die Arbeit am Väterprojekt durch den Kopf. Die Felder, die zwischen den geschnittenen Kerbschwüngen entstanden sind, erinnern mich an die Splitter der Scherbengerichte, die ich als Einzelblätter anfertigte und später zu dem Doppelportrait der Väter zusammensetzte. Allerdings war da keine Zeitbeschränkung vorhanden.

Die Erfahrung die ich damals während der viele Jahre andauernden Arbeit sammelte, soll mir nun zugute kommen. Ziel ist es, das Augenmerk schon jetzt auf das Wesentliche zu richten. Durch eine Reduktion der Scherben kann eine stärkere Konzentration erreicht werden. Der Arbeitsprozess wird es weisen.

Richtungen der Zeitpfeile

Schaue ich vom Dach des Kreuzes, das ich 1987 hergestellt habe, herab, ist es als blickte ich in die Vergangenheit. Unter den Füßen des Gekreuzigten sammelt sich die Finsternis der überlagerten Ereignisse, aus denen sich die Zeit zusammensetzt. Die Richtung des Zeitpfeils ist hier eindeutig, er zeigt nach oben über die Dornenkrone hinaus.

Nicht so eindeutig sind die Richtungen des Querbalkens. Normalerweise würde ich sagen, die Vergangenheit liegt auf der linken Seite. Die Verdichtungen beim Zusammenrollen des gezeichneten (geschehenen) Materials nehmen von rechts nach links zu. Mir widerstrebt allerdings der Gedanke dieser einseitigen Komposition, die ein Ungleichgewicht erzeugt. Wenn ich die Dunkelheit der Verdichtungen gleichmäßig verteilen will, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder ich rolle das Transparentpapier von der Mitte zu beiden Seiten nach außen, oder umgekehrt von außen zur Mitte hin. Dort würde dann das konzentrierte Geschehen nach unten abgelenkt.

Die Malereien beherbergen einen Streit. Die geschwungenen Formen der Verwischungen und deren Umrisse treten in Opposition zu den konstruktiven Balken und den Kulissenwänden. Irgendwann muss ich das für mich schlichten.

Chaosarchitektur

Die Buchmalereien vom Morgen trauen den langsam entstehenden Strukturen und dem, was aus ihnen wächst, nicht. Es sollte eine Struktur geschaffen werden, in der sich eine Geschichte entwickeln kann. Dies geschah mit der Architektur von Probenmarkierungen, wie sie bei Schauspielproben üblich sind und die Bühnendekoration für den Probenprozess bilden. Aber es entstand keine Ordnung für die Erzählung, sondern Chaos.

Gestern habe ich die drei zentralen Papierbahnen mit den Frottagen des Kreuzes aus der Arche im Atelier aufgehängt, damit ich die Arbeit der nächsten Wochen im Auge habe. Manch Partien der Kerbschnitte im Holz erinnern mich an Keilschrift. Die Linienverdichtungen werde ich, entsprechend der Richtungen der Holzbalken, waggerecht und senkrecht verfolgen. Entsprechend der Arbeitsweise auf den Transparentpapierrollen, überlagern sich die Strukturen dann quer und senkrecht. In der Mitte treffen sie sich. Die Schwünge der Linien weisen über das Format hinaus.

Auf Rolle 12 beschäftigte ich mich gestern mit dem ersten Buchmalereiumriss des Tages. Er ist nicht so stark vergrößert und fügt sich so besser in das Format, passt besser in die Höhe des Streifens. Aber eigentlich müsste ich diese Rolle beiseite legen und mich mit den Frottagen aus Neckargemünd beschäftigen.

Frottagen

Was ich mir gestern vorgenommen hatte, nämlich von allen Flächen meiner Objekte in der Arche in Neckargemünd, Frottagen herzustellen, habe ich nicht geschafft. Die Zeit von 12 bis 17 Uhr hat nicht gereicht. Überhaupt hat das Projekt etwas ausuferndes, was aber an mir und meinem Enthusiasmus liegt.

Zunächst fertigte ich die Frottagen von den Linien des Kreuzes an. Dann hatte ich ein Treffen mit den Auftraggebern. Währenddessen dachte ich beim Sprechen über die Arbeit daran, aus der Not eine Tugend zu machen, auf die Frottagen von Ambo und Altartisch zu verzichten und das Linienmaterial des Kreuzes auch für die Weitergestaltung dieser beiden Objekte zu nutzen. Auf diese Weise, würden zentrale Elemente des Kreuzes, wie Wundmale, Gesicht, Dornenkrone und Hände, fragmentarisch auch dort auftauchen. Das hätte zur Folge, dass das Ensemble, mit dem Verweis auf die Kreuzigung, noch mehr zusammenwachsen würde.

Ich hatte keine Zeit, mich mit der Architektur, den Glasfensterfarben und ihren Strukturen zu befassen. Auch den Glockenton hörte ich noch nicht. Das muss noch etwas warten bis zu einem nächsten Besuch. Es stellt sich heraus, dass ich die verbleibende Zeit bis Februar intensiv nutzen muss, um die Arbeit vor Ort vorzubereiten.

Meditation als Werkzeug

Es ist zu überlegen, welches Arbeitsmaterial mit nach Neckargemünd soll, um dort Frottagen an den aufrecht stehenden Objekten zu machen. Die Transparentpapierrolle muss irgendwie fixiert werden, damit ich mich ganz auf die Schraffur konzentrieren kann. Anderen Eventualitäten kann ich vielleicht mit der dortigen Werkstatt begegnen.

Neben diesem handwerklichen Herangehen, geht mir der gestalterische Prozess durch den Kopf. Es geht dabei um Verdichtung durch ein meditatives Zeichnen. Meditation ist also ein Werkzeug, ein Mittel zu Zweck. Die Frottagen sind dafür der erste Schritt. Mit ihnen transportiere ich das Material in mein Atelier, mit dem ich die Konzentration erreichen kann, mit der ich dann in die Arche zurückkehre.

Weitere praktische Vorgehensweisen gingen mir durch den Kopf. So birgt die Übertragung der verdichteten Tuschezeichnung auf den Holzkörper verschiedene Unsicherheiten. Beispielsweise kann ich die Tuschelinien mit Schellack anlösen, dann die Papierbahn auf die zu gestaltende Fläche legen, um die angelösten Motive, mit leichtem Druck zu übertragen. Beim Abziehen des anhaftenden Papiers, entsteht eine leicht verwischende, weichzeichnende Struktur. Das entschärft die Härte der Tuschelinien und schafft etwas Entfernung. Das kann ich vorher mit Experimenten im Atelier verfeinern.

Stahllamellen

Die Kraft am Morgen, die durch das turbulente Wochenende aufgebraucht war, kam wieder, als ich mich an meine Buchmalereien setzte. Den Klang der Glocken in Dillenburg noch im Ohr, deren einer Guss wir beiwohnten, und die nun eingeweiht wurden, sprang meine Seele voraus und ich hatte Mühe, ihren Bildinspirationen zu folgen. Klänge wuchsen und flogen farbig davon.

Ich denke an die Stahllamellen der Bürsten die unter den Straßenkehrmaschinen rotieren, manchmal verloren gehen, damit ich die aufsammeln und mit ihnen Musik machen kann. Außerdem könnte ich sie für die Papiergravuren innerhalb der Buchmalereien nutzen. Vielleicht lässt sich auf diese Weise Musik in die Malerei übertragen.

Auf die Atmosphäre morgen in der Arche, dem ökumenischen Gemeindezentrum in Neckargemünd, bin ich gespannt. Ich will sehen, welche Inspirationen dieser Raum für mich bereithält, Klang, Licht, Glasfarben und Glocken. Ich frage mich auch wie weit meine Objekte von mit entfernt sind, wie fremd sie mir erscheinen werden. Wahrscheinlich wächst der Wunsch, sie gründlich zu verändern. Die Arbeit wird sein, sie mir wieder anzuverwandeln.

Klang der Glocke

Die gravierten Strukturen in den Buchmalereien bekommen oft zu wenig Aufmerksamkeit. Sie beherbergen eigene Bewegungswelten, deren Gesten fein und zugleich ungefiltert auf dem Papier erscheinen. Meistens werden sie verdeckt oder verwischt. Gern hätte ich sie mal ganz im Vordergrund. Das gelingt sicher einfacher in den Collagen, wegen der digitalen Hilfsmittel. Aber das ist eine andere Sache!

Auf Rolle 12 konnte ich die etwas groß geratenen Umrisse wieder einfangen. Dadurch, dass ich Papier mit einrolle, werden durchscheinende Areale, die weiter zurückliegen, abgedeckt. Das reduziert das Material, das durchgezeichnet werden kann. Es entstehen mehr Freiflächen, was das Binnenleben zwischen den Außengrenzen stärker kontrastiert.

Morgen reisen wir nach Dillenburg, um den Klang der Glocke zu hören, deren Guss wir vor Ort miterlebt haben. Alle kommen zum Gottesdienst – Barbaras Brüder, Freundinnen und die Gemeinde mit dem großartigen Pfarrer. Am Dienstag werde ich nach Neckargemünd in das ökumenische Gemeindezentrum Arche fahren, um an Ort und Stelle Frottagen der Objektoberflächen des Altarensembles zu machen. Und dann wird es auch Zeit, dass ich dem Serkon Rinpoche ein paar Zeilen zu meiner Kloster-Tabo-Arbeit schreibe.

Giraffe!

Mit den Vergrößerungen der Buchmalereiumrisse habe ich es gestern etwas übertrieben. Sie wurden etwa 5 x so groß wie die Originalzeichnungen. Die Tusche bekräftigt die Größe, gewichtet die Strukturen der vorigen Tage stärker, die ich nur mit Tinte und spitzer Feder gezeichnet hatte. Dann erinnerte ich mich an die Lasurmalerei, die auch mit Aquarellfarben gelingen kann. Das alles ging etwas auf Kosten der fließenden, unbewussten Arbeitsweise, die sonst die Oberhand hat, wenn ich mit den Stiften, dem Handballen und Wasser arbeite.

Die Figuren, die während der zeichnerischen Schichtungen des vorigen Materials entstehen, haben manchmal das Zeug für ein reicheres Eigenleben. Sie springen aus den Fächern meiner Erinnerung, ausladende Körper, weite Umhänge und bekrönte Köpfe. Ich kann ihnen Namen geben und sie dann in die Szenen schieben, die sich aus den Konstellationen der Weiterarbeit ergeben werden. Ein intuitives Erzählen ohne Plot.

Aus einem Sommerflieder schnitt ich eine skurrile Giraffe. Sie bekam heute einen Kopf mit den fünf Zähnen, zwei künstlichen und 3 aus mir gewachsenen Exemplaren, die mir gestern gezogen worden sind. Jetzt bin ich ein anderer Mensch, erleichtert, gut gelaunt und bereit, um Bäume auszureißen. Ein Zeichen für die Leichtigkeit ist die Giraffe!

Vergrößerung

Das Experiment, die Buchmalereien in ihrer „Lebensgröße“ auf die Transparentpapierrolle zu übertragen, ist bislang wenig erfolgreich geblieben. Gestern hingegen, vergrößerte ich einen der Umrisse stark und zeichnete ihn auf Rolle 12. Dabei stellte ich fest, dass die Vergrößerung tatsächlich mehr Kraft verlieh. Das hätte ich mir nicht träumen lassen. Mein Ziel war es eigentlich, dass die Motive im Zoom keine Kraft verlieren… Im Scan und in den Collagen lüften sich die weiteren Geheimnisse der Zeichnung.

Weil ich mit den Schülern weitere Reliefs von der Kraftfeldform abgenommen habe, überlege ich, mich selbst wieder mit den kleinen Reliefs und ihrer Bemalung zu beschäftigen. Vielleicht kann ich andere Aspekte, wie Schrift und GPS-Linien einfügen. Oder eine fließende, zurückhaltende Farbigkeit.

Außerdem kann ich die Collagen weiter verwenden. Kombinationen, die dort entstehen, spielen in der weiteren Arbeit kaum eine Rolle. Das liegt aber auch daran, dass die Arbeit in seltenen Fällen darüber hinausgeht. Das sollte sich wieder ändern…

Äußere Dinge

Während der Buchmalerei spielen die äußeren Dinge kaum eine Rolle. Noch steigt die Sonne mittags über die Hausdächer der Nachbarschaft. Unter die Risse im Dach stelle ich Baubottiche, um das Regenwasser aufzufangen, Arbeitstermine stapeln sich parallel und die Schüler kommen heute erstmalig regulär zu unserer gemeinsamen Arbeit im Rahmen von des diesjährigen „YOU&EYE“. Das alles bleibt von den Farben und Schwüngen fern.

Die Ergebnisse der Transparentpapierarbeit haben in letzter Zeit nicht die konsequente Dringlichkeit, wie sonst. Auch mit den Malereien bin ich ab und zu nicht so zufrieden. Dann aber, nach etwas Mühe, leuchten die Strukturen in den Collagen spannungsvoll auf. Das Geschehen bereichert sich und mehr Tiefe entsteht.

Für „YOU&EYE“ hatte ich die Idee, die ausgeformten und bemalten Figuren der Kinder, mit ihnen zu einer Bildergeschichte zusammen zu stellen. Man kann die Reliefelemente auf einem neutralen Hintergrund anordnen und dann mit ihnen eine Geschichte erzählen. Aber die starken Jungs bekommen heute erst einmal Klüpfel und Hohleisen, womit sie den Pappelstamm aushöhlen können.

Zerfasert

Vormittags traf ich mich mit den anderen Künstlern von YOU&EYE im Anna-Freud-Institut zu einem ersten Gespräch in der siebten Saison des Projektes. Nach dieser Supervision sind wir noch in ein Café gegangen. Mit Leuten reden ist eine nette Abwechslung in meinem Einsiedlerleben.

Gestern arbeitete ich zu Hause an Rolle 12 weiter. Das tat ich mit Tinte statt Tusche, weil dort keine entsprechende Feder zu finden war. Dadurch haben sich die Strukturen verändert und nicht zu ihrem Vorteil. Es hinterließ ein etwas schales Gefühl. Dennoch war es schön, die Arbeit am Abend zu Hause bei mir zu haben. Es sind wieder Linien aus dem Gustavsburgplatz – Gang und Buchmalereiumrisse.

Durch die Heizungsausfälle zerfasert sich meine Arbeit. Das unzusammenhängende Stückwerk der letzten Tage, schlägt sich auch auf mein Denken nieder. Der musikalische Ausflug der letzten Tage war eher ein Lichtblick. Morgen die Schüler und am Donnerstag ein Zahnarztbesuch. Dann hoffe ich wieder, in den Fluss zu kommen.

Musikalisches Gespräch

Das musikalische Gespräch mit Susanne bereicherte meine bildnerische Arbeit indirekt. Meine Gitarrengeräusche waren für sie der Einstieg in ihre eigenen Improvisationen. Ich spielte „leisen Lärm“ und der wurde von einem mir ganz fremden, wohlklingenden Blasinstrument begleitet, übertönt und weiterbearbeitet.

Bevor wir begannen, zeigte ich ihr meine „Notationen“ auf Rolle 12, die ich am selben Tag für diesen Anlass gemacht habe. Wir gingen im Spiel aber nicht direkt auf sie ein. Das möchte ich aber in Zukunft entwickeln. In der freien Improvisation widmeten wir uns eher dem Raum mit seinem Sammelsurium, das angeschlagen werden kann, um sein akustisches Potential zu erforschen. Außerdem entwickelten wir unser gegenseitiges Zuhören und das Reagieren aufeinander.

Rückwirkungen auf meine Arbeit, will ich aufmerksam aufspüren. Das Material verbindet sich zunächst mit den Gustavsburgplatz – Linien. Das rhythmische Gehen kann einen Bezug zur Musik herstellen, auch das Sprechen währenddessen. Aber die Beeinflussung der Töne durch Linien, muss sich erst noch etablieren.

Prozession

In der südwestlichen Nachbarschaft sind hohe Wohnhäuser entstanden, die mir nun, bei diesem Sonnenstand beginnen, das Licht zu nehmen. Nur Teile des Atelierraumes bekommen noch direkte Sonne am Vormittag. Der Winter wiegt in diesem Jahr schwerer als sonst. Mit meinem Alter nimmt er an Gewicht zu. Ich räumte die restlichen frostempfindlichen Pflanzen herein und schnitt einige, auch aus Platzgründen, stark zurück.

Ein musikalisches Gespräch, das ich mit Susanne für heute Abend geplant habe, möchte ich mit Rolle 12 vorbereiten. Dafür zeichne ich die Buchmalereiumrisse in Originalgröße auf das Transparentpapier. Linien aus einem GPS-Gang auf dem Gustavsburgplatz, sollen die Motive verbinden. Es gibt aber auch eine aufgenommene Spur vom Tevesgelände… Ich glaube, dass sich der Geh-Rhythmus aus den aufgezeichneten Wegen mitteilt. Wenn sich Sprache, also Worte hinzugesellen, ist der Weg nicht weit zum Gesang, zur Prozession eines Chores.

Heute zeichnete ich viel mit Feder und Tinte in die Buchmalereien. Der malerische Charakter tritt dadurch etwas in den Hintergrund. Dafür werden die Formen konkreter. Der Abstand zu der zeichnerischen Arbeit auf Rolle 12 nimmt dadurch ab.

Stationentheater

Es gefällt mir gut, den Füller bei den Buchmalereien zu benutzen. Auf diese Weise nähern sich die Linien der Zeichnung und der Schrift, eine Begegnung, die ich auch auf Rolle 12 im Auge habe. Ich tauche die Feder in Wasser, sodass die Tinte erst stark verdünnt auftritt und erste später dunkler wird.

Auf einem Blatt Transparentpapier fand ich die Aufzeichnung eines GPS-Gangs auf dem Gustavsburgplatz. Mir kam sofort in den Sinn, eine Serie von Spaziergängen, Prozessionen und Choreografien zu machen, um sie miteinander zu bearbeiten. Die Abfolge von Wegpunkten ist die Grundlage von einem Stationentheater, das in mehreren Akten die Geschichte des Ortes und seiner Personen erzählt.

Der erste Kurs mit den Schülern in diesem Herbst, war mit 7 Jungs aus aller Welt und einem Mädchen aus der Ukraine, sehr lebendig. Wir unternahmen eine Expedition über die Landschaft der Kraftfeldform, die wieder unser Arbeitstisch sein wird. Danach zwang mich die heranrückende Kaltfront, meine frostempfindlichen Pflanzen umzusiedeln. Zwei Drittel von ihnen stehen nun schon im Atelier.

ekcenier knarf tsi rehcerps red

Nun konnte ich wieder beginnen auf Rolle 12 weiter zu zeichnen. Diese Arbeit orientiert mich nach dem Reisen und den vielen Terminen neu und frisch. Die Umrisse von 3 Buchmalereien zeichnete ich unvergrößert an die Ecken eines imaginären Dreiecks und verband sie mit gewanderten Linien aus dem Lustgarten. Und jetzt kann ich mir vorstellen, diesen Dreiklang mit den täglichen Formaten aus dem Tagebuch fortzusetzen. Wenn es mit den „Berlinien“ (Berlinlinien) nicht gleich weitergeht, nehme ich welche vom Gustavsburgplatz. Und dann spreche ich beim Vorwärtslaufen dazu: „ekcenier knarf tsi rehcerps red“.

Die dritte Buchmalerei weist heute sehr dichte Strukturen auf, von denen ich einige nicht verwischte. Manches Material aus dem Frühstadium der Malereien, sollte ich ernster nehmen und bis zum Ende aufheben. Helge Leihberg sagte mal zu mir, dass an mindesten einer Stelle seiner Bilder, noch die Leinwand hervorschauen sollte. Das ist aber über 40 Jahre her.

In unserer Tevesrunde war der Verbleib des Obdachlosen unter der Eisenbahnbrücke Thema. Dazu gibt es sehr differenzierte Standpunkte. Diesen Gesprächen zu folgen und sie zu pflegen, ist ein Dienst an der Stabilität unserer Gemeinschaft. Ich sprach, zum Missfallen mancher, von der Bewährungsprobe der Solidarität unserer Gruppe mit diesem Mann.

Rückwärts sprechend orientieren

Die Buchmalereien entstehen unter einem gewissen Zeitdruck. Ich schaue zu, wie sie entstehen und versuche mich anzugleichen. Das Unbewusste ist immer ein ganzes Stück voraus – und das ist gut so. Ganz am Ende, schon während des Schreibens, finde ich noch ein paar Linien, die ich mit der Tinte des Füllers verstärken will. Das ist manchmal etwas zu kräftig. Ich sollte da etwas Wasser hinzunehmen.

Es ist als würden die windigen und lichtarmen Tage nur das übrig lassen, was notwendig ist. Meine grazilen Figuren draußen, mit den Muschelköpfen fallen um und Frost ist angesagt. So muss ich die empfindlichen Topfpflanzen schützen, sie auf eine Palette draußen stellen und für die Nacht zum Freitag abdecken. Danach wird es wieder wärmer…

Morgen kommen 8 Schüler zu einem Schnupperkurs. Ich weiß schon ungefähr, was ich mit ihnen mache. Am Freitagabend kommt Susanne zum musikalischen Gespräch. Ich denke daran die Transparentpapierrollen –Partitur auf den Rücken zu drehen und wieder zurück. Das Richtungstauschen spielt auch bei den GPS-Text-Projekten eine Rolle. Orientierung beim Rückwärtssprechen!

Rolle 12

Gestern kam ich endlich wieder dazu, an Rolle 12 weiter zu zeichnen. Zunächst verdichtete ich einfach nur die vorhandenen Strukturen, indem ich beim Hin- und Herrollen das Material auf die Rückseite der Rundung durchzeichnete. So entstanden innerhalb von geschlossenen Flächen Gesträuche, mit denen ich in den Collagen weiter gearbeitet habe.

Aber eigentlich will ich nun Umrissfiguren aus den Buchmalereien mit geschriebenen Linien verbinden. Das folgt ein wenig der Graphic Novel Idee von Frau Dolff – Bonekämper, die mir bei meinem Vortrag im Humboldt Forum zugehört hat.

Wenn ich an eine GPS – Zeichnung denke, die ich in Kooperation mit der Deutschen Bank machen würde, so fällt mir sofort spontan der Gustavsburgplatz ein. Mit Mitarbeitern könnte ich dort ein zweidimensionales Gesträuch laufen, das dann als Vorbild für eine Wandgestaltung aus zusammengeschweißten Armierungseisen an der Hinterfassade des „Gusti“ angebracht werden kann. Im Sommer wird es von einjährigen Kletterpflanzen bewachsen und im Winter ist nur die reine Zeichnung zu sehen.

Thematischer Fluss

Die Kombination von GPS-Zeichnungen, also gewanderten Figuren, mit Musik, könnte verschiedene Ansatzpunkte haben. Einerseits können die rhythmisierten Linien einen Silbengesang beinhalten, andererseits können sich Partituren auf Transparentpapierrollen solcher Gestalt überlagern, dass eine Grundlage zum musizieren entsteht. Ein Soundteppich aus einem gewobenen Liniengesträuch bildet auch eine Grundlage für weitere Wanderungen. In einer Woche treffe ich mich mit einer Musikerin, mit der ich zu einem musikalischen Gespräch verabredet bin. Anhand dessen möchte ich die weiteren Möglichkeiten dieser Arbeitsweisen ausloten.

Anfang Dezember nehme ich die Kerbschittlinien meiner Objekte im Gemeindezentrum Arche in Neckargemünd mit Frottagen auf Transparentpapier auf, um mit ihnen im Atelier weiter zu zeichnen. Das soll die Arbeit, im kommenden Jahr vor Ort, vorbereiten. Gerne würde ich die Ergebnisse der anderen Projekte dort mit einfließen lassen. Wenn die Themen ineinander greifen, kann ich mich auf einen einzigen thematischen Fluss konzentrieren.

Die kunstgeschichtliche Fakultät der Uni Frankfurt, wie auch eine Projektmanagerin der Deutschen Bank, interessieren sich für meine Arbeit, die mit geografischen Aspekten spielt. Sie wollen auf unterschiedliche Weisen mit mir zusammen arbeiten. Auch das ließe sich verbinden…

SCHRILL

Nach den Begegnungen auf der Venezianischen Biennale, warte ich nun im Atelier darauf, dass sich ihre Folgen zeigen. Beim Scannen der fünfzehn neuen Buchmalereien, fiel mir insbesondere ihre Farbigkeit auf. Die Tendenz würde ich SCHRILL nennen. Das kann die erste Folge der Zwiegespräche sein, die ich mit den Werken der vielen Künstler zu führen versuchte. Aber nicht die Farben der Indigenen aller Welt haben mich positiv eingenommen, sondern die geradlinig strenge, konzeptionelle Arbeit eines australischen Nachkommen der australischen Aborigines. Insbesondere das nichtlineare Zeitkonzept, das mit dem Stammbaumthema aus 650000 Jahren verknüpft zu sein schien, interessierte mich dabei.

Die Sammelsurien aber, die uns der brasilianische Kurator aufblätterte, waren zumeist ärgerlich. Abgedroschene Minderheitenpanoptiken postkolonialer Politisierung lassen Kunst verenden. Dokumentarfilmfluten ersetzen die gewohnten Flimmerscreens. Dankbar sah ich jede Arbeit, deren persönlicher Ansatz ihre Verbindung zur Außenwelt bildet.

Aber alle Tage schien die Sonne, sodass wir an manchen Stellen wie im Sommer saßen, um unseren Aperol zu genießen. Und wir hatten auch genügend Zeit, um uns schlendernd verlaufen zu können. Einmal stießen wir auf einen Länderpavillon in dem eine Wandkeramik eines meiner Transparentpapierrollen – Prinzipien aufnahm und plastisch umsetzte. Die Begegnung mit einem Kunstverwandten!

Zwischenzeit

Ein Tag Stille. Nach der Reise nach Thüringen zum 90. meiner Mutter und der Reise nach Venedig morgen, habe ich eine ruhige Zwischenzeit im Atelier. Gleich zieht es mich in meine Bildforschungen hinein, in Rolle 12 mit ihren Textlinien, die Figuren verbinden sollen, die aus den Buchmalereien heraustreten.

Auf der letzten Venezianischen Biennale sah ich in einem Pavillon eines nordeuropäischen Landes Geflechte, die meinen geflochtenen Weidenkreisen, die sich überall im Gärtchen befinden, ähnelten. Diese gegenständlichen Anmutungen, die aus Naturstrukturen entstehen, entspringen oft archaischen Bildfindungen indigener Naturvölker. Auch meine Figuren, die aus dem Gartenschnitt und Muscheln entstehen, gehen in diese Richtung.

Die gestrigen Buchmalereien sind aus dem wilden Treiben auf den Autobahnen heraus entstanden. Entsprechen ungezügelt entwickelten sie ihre Dynamik. Ganz anders war das heute. Ich hörte Chormusik der Italienischen Renaissance und saß still an den Plätzen für die Malerei und das Schreiben im Atelier.

Offenes Material

Gestern beim Aufräumen fand ich sehr viele Umrisszeichnungen auf Transparentpapier. Das ist „offenes“ Material, das gut weiterverwendet werden kann. Der Rückgriff auf älteres Material aus der eigenen Vergangenheit wird ja in letzter Zeit eine häufiger angewandte Arbeitsweise.

45 Schülern aus der Hindemithschule habe ich meine Arbeit und das, was ich mit ihnen machen würde vorgestellt. Etwa 6 Lehrkräfte waren dabei. Damit war ich mehrere Stunden beschäftigt. Etwas anstrengend das ganze…

Draußen auf dem Gelände traf ich zwei Sozialarbeiterinnen vom Diakoniezentrum „Weser 5“. Sie kamen wegen des Obdachlosen, der unter unserer Brücke „Platte macht“, wie sie sich ausdrücken. Sie fragten, ob es für ihn einen warmen Schlafplatz bei uns gibt, wenn es so richtig kalt wird. Ich brachte die Frauen zum IB, wo sie es mit Profis zutun haben.

Zerpflückt

Gestern arbeitete ich erstmals mit Scans von Rolle 12, indem ich sie in die Collagen einfügte. Die Arbeit daran ging nicht weiter, weil „YOU&EYE“ vorbereitet werden muss, d.h. in erster Linie Atelier aufräumen und für die Arbeit mit den Schülern einrichten. Außerdem wurde meine Schulter in einem MRT untersucht und es stehen Reisen an, nach Thüringen zum 90. Geburtstag meiner Mutter und nach Venedig. Einkauf am Morgen im Supermarkt und Anruf von Vandad, ob ich morgen da bin, um die Schüler der Hindemithschule zu empfangen…

In der Ausstellung von Barockzeichnungen im Städel inspirierten mich die suchenden Linien der Maler. Das kenne ich aus meinen Jugendjahren und habe versucht, in den Buchmalereien davon etwas aufleben zu lassen.

Ansonsten sind sie zerpflückt, wie meine Tage. Es fällt mir nicht leicht, solche Zeiten für die Arbeit verloren zu geben. Fehlende Konzentration macht mir zuschaffen. Immerhin finde ich beim Aufräumen Arbeiten, die ich längst vergessen hatte und viel Reliefrohmaterial, das noch bearbeitet werden kann.

FAUST

Vorgestern, 17.30 Uhr sind wir zur Galluswarte losgelaufen, um Faust I und II zu sehen. Eine Station zum Hauptbahnhof und dann in die U-Bahn noch eine Station bis Willy-Brandt-Platz. 3 oder 4 Rolltreppen weiter oben befindet man sich direkt vor dem Haupteingang des Schauspiels. Karten abholen und dann noch schnell einen Grauburgunder. Die Plätze befinden sich, wie fast immer, in der sechsten Reihe auf der linken Seite. Halbsieben geht es los.

Eine Faustcollage, die den ersten Teil anreißt und durch die Gespensterbahn jagt. Dort wird „Und täglich grüßt das Murmeltier“ gezeigt – ein Rundkurs mit Margarethe. Wolfram Koch schlüpft von der Putzfrau mit Wischmopkarren in den demaskierten Mephisto und führt uns kommentierend durch die Stunden. Das Klamauktempo des ersten Teiles lässt sich nicht durchhalten. Das war beim 2. Grauburgunder des Abends in der ersten Pause schon klar.

Aber es ging collagen-poetisch durch die weite Landschaft der Bühne weiter. Pütti spielt schön, einmal auch nackt, aber oft ganz allein gelassen. Auch während seiner vielen Dialoge kommt er mir einsam vor. Ganz im Gegensatz zu dem Gespann Koch – Straub – Flassig. Manchmal komme ich nicht mehr mit, kann die geballte poetische Ladung nicht mehr aufnehmen. Da hilft dann nur mehr wieder ein Grauburgunder, später zu Hause in der Küchennacht!

IGENSTE

IGENSTE – eine Wortschöpfung aus EWIGEN und STELLE. Ich kann nun versuchen sie in meinen Sprachgebrauch aufzunehmen – ein Begriff für die ewige Stelle oder die Geschichte des Ortes, für die Schichten der IGENSTE. Trockene Schafgarben schneide ich zu Kopffüßlern zurecht. Die stehen elegant auf ihren langen Armen und kurzen Beinen, drohen immer leicht zu kippen, was durch die Richtung, in die der Muschelkopf schaut, ins Gleichgewicht gebracht wird. Das wäre auch eine Übung für die Schüler, die bald wieder mein Atelier mit Lärm füllen werden. Eigentlich graut es mir davor, ich weiß aber auch, wie erfrischend das werden kann.

Gestern habe ich mit Rolle 12 begonnen. Das habe ich eine Weile vor mir her geschoben. Ein Stück stark vergrößerte GPS – Linie, die die Bewegungen von Armin an der Granitschale im Lustgarten aufzeichneten, machte den ANFANG. Im Anschluss entstand eine Umrisszeichnung der 3. Buchmalerei vom 28.10. 2024. Mit diesem Start komme nun hoffentlich in eine gleichmäßige Arbeitsweise, die seit dem Blitzschlaganfall meiner Mutter nicht mehr stattfand.

In die heutigen Buchmalereien bin ich sehr emotional eingestiegen. Sie verdichteten sich schnell mit den unterschiedlichen Strukturelementen. Den Beginn machten Buchstaben, die ich mit der Schriftschablone in das Papier drückte. Diese mischten sich mit den verstärkten Handkantenlinien, kreisenden Farbbewegungen und den Schraffuren der Aquarellstifte. Umrisse abstrakter Figuren bilden zum Abschluss das szenische Element, das alles zusammenhält.

Der suchende Strich

Im Städel, bei den Alten Meistern gestern, tranken wir gierig in der Tiefe der Bilder schwimmend. Der Maler einer Verspottung Christi, gestaltete die Gesichter, dass sich in ihnen die unflätigen Worte abbildeten. Man kann den Gestank sehen, der sich verbreitet. Das ist sehr gegenwärtig.

Im Kupferstichkabinett sind Zeichnungen italienischer Barockmaler zu sehen. Bei ihrer Suche nach der Gestalt der Motive, treten viel mehr Emotionen zutage, als dann bei den nach den Skizzen meisterhaft gemalten Bildern. Dieser suchende Strich, der umherwandert, die Spuren verdichtet und dann zur Form findet, ist mir sehr nahe.

Ein wenig lässt sich diese Arbeit mit dem Schneiden der Brombeersträucher vergleichen, nur dass der Vorgang umgekehrt ist. Manchmal schneide ich trockene Pflanzenteile so zurecht, dass die auf dem Kopf stehenden Astverzweigungen mehrere Standbeine werden. Der dickere Strang, aus denen sie trieben, wird dann der Oberkörper, eine Muschel oder Feder, der Kopf. Zeichnen mit der Gartenschere.

Verrat

Schriftbänder in mittelalterlichen Buchmalereien kommen mir, wenn ich an die GPS-Zeilen denke, in den Sinn. Dazu gehören auch die Linien, die ich in das Lindenholz der Arche-Objekte geschnitten habe. Meine Handschrift verändert sich mit der Architektur meiner rechten Hand, auch die Linien, die ich zeichne oder schneide.

Durch übergeordnete Themen fügen sich die unterschiedlichen Texte, mit denen ich arbeite zusammen. Es gibt beispielsweise das Thema Verrat. In der Bibel verrät Judas seinen Lehrer und Meister. Die Silberlinge, die mein IM „Lutz Lange“ für seinen Verrat bekam, waren wahrscheinlich seine Reisen in das NSW (nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet). Aber er verriet seinen Schüler! Was folgt aus dieser (dialektischen) Umkehrung?

Denke ich an den Wissensdurst von Stephen Hawking, habe ich den ungläubigen Thomas vor Augen. Er verlässt sich nicht auf sein Bauchgefühl, er will wissen und nicht nur glauben. Es geht um die Annäherung an die Formel, um die Wunde. Jeder Strich in den Buchmalereien sollte sich aber der Formel nähern. Thomas und Judas, ein interessantes Paar.

Stapeln

Die Collagen, die ich im Jahr 2023 werktäglich als erste gemacht habe, die also am Ende der Dateibezeichnung die Zahl 1 aufweisen, kopierte ich in einen Extraordner. So kann ich sie nun als Diashow laufen lassen. Jede Collage baut auf der vorhergehenden auf. Es handelt sich also um Bilderstapel aus über 200 Scans. Im Ablauf wird der Stapelvorgang deutlich.

Die Arbeit an den Buchmalereien kommt mir luxuriös vor. Ich freue mich am Morgen auf die erste gelbe Schicht, die ich mit kreisenden oder zappelnden Linien auftrage und Linien mit der Holznadel dort wieder hinein grabe. Das geht Schicht um Schicht genussvoll so weiter. Der ganze Vorgang hat etwas mit Lasurmalerei zutun. Und die hat mit meinen künstlerischen Anfängen zutun.

Heute begann ich mit den Handkantenlinien, die ich verlängerte und dann daraus eine konstruktive Komposition zeichnete. Nach der Übertragung dieser Konstruktion mit der nassen Handkante in die anderen Malereien, reduzierte ich sie dort auf die wichtigsten Striche, die dann als Konzentrat übrig bleiben. Diese ähneln dann wieder den GPS-Linien, die als Zeilen für die verschiedenen Texte benutzt werden können.

Szenisches

Die GPS-Linien vom Lustgarten schleichen sich in die Buchmalereien ein. Die Strichgeflechte nutze ich als Zeilenstruktur für die Verschriftlichungen der Tonbandprotokolle des IM „Lutz Lange“ und meines Interviews zum Palast: „…mir schwer fällt, dort linientreu meinen Dienst zu tun.“, trifft auf:„…für das Dresdner Schauspielhaus, glaube ich.“ usw..

Die Figuren, die in den Malereien auftauchen, bekommen mit den Worten zutun, sprechen sie selber überkreuz oder hören sie zumindest. Bei unserer letzten Schlossaktion in Berlin, meinte eine Mitstreiterin, dass es folgerichtig wäre, wenn meine nächste Arbeit eine Graphic Novel würde. Sieht man mal ab von den gängigen Stilformen dieser Gattung, ist an diesem Gedanken etwas richtig, denn in dem Moment, wo Text und Figuren gemeinsam auftauchen, wird das Denken szenisch.

Auch die Lindenholzobjekte in der Arche in Neckargemünd haben, in das Holz geschnittene, Liniengeflechte. Auf Transparentpapierrollen werde ich ausprobieren, wie diese Linien als Zeilen funktionieren. Die Texte, die dort hineinpassen, sind solche von Liebe und Verrat, Reichtum und Lüge und von Hingabe und Gebot. Es sind verdichtete Notizen von der Arbeit.

Transit I Zahlen

Jedes Hineingehen ist mit einem Transit verbunden. Der Gang führt in einen Raum, der vielleicht auf dich gewartet hat. Im Durchgangsbereich befinden sich Hinweise auf die neue Qualität, die dich erwartet: ein anderes Licht, eine hörbare Ortsbestimmung, eine veränderte Temperatur und eine Luftbewegung mit einem neuen Geruch.

Mein Mindestpensum an Arbeitstagen in einem Jahr, habe ich heute bereits erreicht. Es ist mein zweihundertster Tag, an dem ich im Atelier das ganze Werktagebuch und weitere Arbeiten machte. Die Anzahl der Collagen, die als Bilddateien nummeriert sind, verschaffen mir den zeitlichen Überblick. Sechshundert Collagen sind es heute, die ich seit Anfang Januar gemacht habe. – Zahlen…

Immer mal spielen neue Elemente in den Buchmalereien eine vorübergehende Rolle. Die Haarstruktur ist bisher noch nicht mit Schrift zusammen gekommen. Wohl aber die kreisenden Linien mit Kulissenkonstruktionen. Die überraschendsten Strukturen bilden die Handkantenabdrücke, die ich manchmal mit einem erfreuten Laut kommentiere, sobald ich die Hand vom Papier entferne.

Ein anderer Tannhäuser

Auf der höchsten Stelle der lang gestreckten Erhebung der Hörselberge steht das Haus, das den Namen des Höhenzugs trägt. Es befindet sich direkt oberhalb der Venushöhle, in der eine Szene der Oper Tannhäuser spielt. An den Wänden des Ausflugslokals findet eine skurrile Wagnerverehrung statt. Bilder von Künstlern beschäftigen sich dort vor allem mit der Venushöhlenszene.

Es gibt eine deftige Speisekarte und auch sonst geht es eher rustikal zu. Mit meiner Mutter, die zuvor aus der Klinik entlassen worden war und mit meinem Bruder, fuhren wir dort hinauf zum Mittagessen. Draußen starteten Gleitschirmflieger in der strahlenden Sonne und drinnen war alles voll mit alten Leuten, viele Wanderer darunter. Nachdem wir einen Tisch für den 90. Geburtstag meiner Mutter reserviert hatten, verließen wir, über eine enge Treppe, das Lokal.

Dort öffnete sich die Küchentür und zwei junge indische Köche traten heraus. Nach einer kurzen Unterhaltung über das indische Kochen, kamen wir darauf, dass einer von beiden aus Kolkata kommt. Ich erzählte ihm, dass ich einen Schüler (Trishi) hatte, dessen Großvater in diesem Tempel dient. Und plötzlich stellte ich mir den Sängerkrieg an dieser Stelle vor, unter dem Geflecht der geopferten Frauenhaare mit den Seilen der Glocken, über dem blutigen Betonboden der Opferstelle. Die deutschen Chöre mit den indischen Trommeln… Das ginge doch!

Schriftrollen

Welche sinnvollen Entwicklungen sind aus der Verbindung von Textteilen mit den Buchmalereien zu erwarten? Mich beschäftigt, wie ich damit weiterkomme. Franz Konter hat auch eine Weile etwas Ähnliches betrieben und machte sogar ein Buch daraus. Beim Suchen danach, fand ich in meinem Chaos „MÜLLER MP3“, ein Tondokument von Heiner Müller, 36 Stunden gesprochenes Wort. Vielleicht kann er mit weiterhelfen.

Die Arbeit stockt. Bin gestern Nachmittag nach Hause gegangen, um mich auszuruhen. Dabei kramte ich in den Fotos aus dem Spitital. Eines zeigte den Inhalt einer Gebetsmühle, eine Papierrolle mit Sutras voll geschrieben. Die verschiedenen Arten von Schriftrollen sollten mich mehr interessieren!

Samen vom Wiesenbocksbart, einer Riesenpusteblume, habe ich vor ein paar Tagen in die feuchte Erde gesteckt. Nach zwei Tagen schon sprossen die grasartigen Jungpflanzen. Diese Art hat sich von selbst auf meiner Wiese eingefunden und nun möchte ich sie im kommenden Frühjahr draußen vermehren. Gestern in der Tevesrunde warb ich für ein Grünkonzept für unser Gelände.

Schriftlinien

Die Linien, die in den Buchmalereien, die Hautstruktur der Handkante verstärken, verlängern und so in eine Konstruktion verwandeln, erinnern mich an die stark vergrößerten GPS-Linien. Auch sie eignen sich für Texte. Die Worte gehen in die Zeichnung der Striche über und werden vermalt. Beide Elemente, Text und Malerei verändern sich. Die so verstärkten Linien reichern die zeichnerischen Elemente an. Das Schreiben wird unterbrochen und nimmt direkten Bezug auf das Entstehen der Bilder.

Susanne Rentel, die mich vor einiger Zeit im Atelier besuchte, und mir von der Alten Seilerei in Oberrad erzählte, schlägt mir eine musikalische Unterhaltung in meinem Atelier vor. Das Gespräch sollte zwischen ihrem elektronischen Blasinstrument und meiner Gitarre entstehen. Spannend würde ich finden, wenn wir die Bilder mit einbeziehen könnten.

Meiner Mutter geht es besser. Das erleichtert und macht das Arbeiten wieder eher möglich.

Zettel

Die Sachen liegen durcheinander auf dem Tisch. Ein kleines Stück Weg, das Armin neben der Granitschale im Lustgarten aufgezeichnet hat, das mir als Zeilen für Handschrifttexte diente, die eher zufällig gefunden sind. Zettel mit Notizen: Erweiterung des Theaterstücks „Bau auf! Bau ab!“, „Handprint Berlin – Kraftfeld II“. Wir gehen mit dem Textfragment in den Raum und warten, was passiert.

„Wir sind die Ewigen“ – dieses Zitat des Beginns von Annes Roman war der Startpunkt der gestrigen Buchmalereien. So geht es los, an dieser Stelle, Energie… Und: „Er lebt so in den Tag hinein“, der Kernsatz meines IM „Lutz Lange“.

Schlaganfall meiner Mutter. Lähmung, fragmentierte Sprache. In den letzten Monaten, nach dem Tod meines Vaters haben wir uns angenähert, hatten mehr Gelegenheit, miteinander zu sprechen, als in seiner Anwesenheit. Umso trauriger ist das jetzt… Ich wundere mich, dass ich überhaupt arbeiten kann.

TABO ZURÜCK IN`S LICHT

Im Tibethaus Deutschland eröffneten wir gestern unsere Ausstellung TABO ZURÜCK IN`S LICHT. Das ist der Titel des Fotobandes von Peter, der nun bei Hirmer herausgekommen ist. Neben den übervergrößerten, farbigen Figuren, die die Wände des Klosters überdecken, nahm sich meine bescheidene Transparentpapierrolle mit den Tuschelinien wie ein Gebetsbuch aus, das einem Rückzugsort entsprungen zu sein schien. Es bildete den Kontrast zur bunten Pracht der großen Abbildungen.

Peter hielt einen opulent bebilderten Vortrag über den Mandalagrundriss des Klosters und dessen Verzweigungen bis in die kleinsten Details. Die projizierten Bilder erhellten den erinnerten Eindruck und bereicherten uns um Ansichten, die vor Ort wegen der Blickwinkel und dem Abstand oft gar nicht möglich sind. Die großen, auf Vliestapeten gedruckten, Buddhas machen den Eindruck, als gehörten sie zu dem Raum der sie umgibt. Sehr gelungen!

Thoesam Rinpoche stellte mich vor und bat mich, vor das Publikum zu treten, um etwas von meiner Arbeit zu erzählen. Dabei hängte er mir einen weißen Schal um und bedankte sich bei mir mit einer sehr schönen Kalligrafie eines verstorbenen Meisters. Danach stellten mir die Gäste Fragen, die ich gerne ausführlich beantwortete. Ein schöner Abend!

SO MACHT MAN DAS!

In der Jahrhunderthalle spielten gestern Abend Bob Dylan und Band mit Jim Keltner am Schlagzeug. Beim Meister waren immer noch viel Spielfreude und Mitteilungsbedürfnis vorhanden. Seine groben Instrumentaleinlagen mit Klavier, Mundharmonika und Gitarre haben auf der Bühne ein Gravitationszentrum geschaffen, um das herum sich die anderen Klänge ordneten und eine fast zweistündige Erzählung kreisen ließen.

Gleich von Anfang an zeigte er mir, wie man das mit dem gehen der Texte macht. Jeder Schritt ein Zeichen des Überlebens, jede Wendung ein Weg in ein anderes Dasein. Vornüber gebeugt stand er am Flügel und las uns etwas aus einem Heft vor, das vor ihm auf dem Deckel lag. Er grummelte und räusperte sich mit Worten, jede gesangliche Äußerung ein scharfer Schnitt oder ein Schuss in meine Richtung: SO MACHT MAN DAS! Und dann drosch er auf das Klavier ein, dass ich glaubte Raketen einschlagen zu hören.

Aber im Lauf des Abends änderte sich der Ton, wurde leiser, versöhnlicher und weicher, als weinte er über den Zustand der Welt. Schon im Foyer waren Mobiltelefone verboten und erste recht im Zuschauerraum. Einen Mann, der neben mir stand fragte ich, ob er die handyfreie Situation nostalgisch oder als ein Zukunftsbild wahrnähme. Ich merke, dass mir meine Frage wichtiger war als seine Antwort…

Neben der Kontinuität

Bei den Verwischungen in den Buchmalereien werden Farblinienbündel zunächst aufgefächert und dann zu einem Schweif vermischt. Das fügt sich mit meinem Gedanken an die Meteore zusammen. Am Ende der Spur kann sich das Material neu formieren, Muster bilden, die gegebenenfalls wieder verwischt werden.

Barbara hat auf der Buchmesse die Präsentation von Annes Roman auf dem Diogenesstand fotografiert. Sieht toll aus… Peter bastelt noch an der Ausstellung im Tibethaus. Ich gehe morgen etwas früher hin, um gegebenenfalls den Screen und andere Sachen zu richten.

Die Dinge, die mich in der letzten Zeit, neben der kontinuierlichen Entwicklung meines Materials, beschäftigt haben, sind nicht unanstrengend. Es entwickelt sich eine Sehnsucht nach Abstand zu den Arbeitsthemen, nach einer Pause…