Wie es weitergehen kann

In den heutigen Buchmalereien beobachte ich eine szenische Sondierung. Aus Buchstabenüberlagerungen wachsen Figuren in Räume, in denen unfreundliche Begegnungen und Kampfhandlungen stattfinden. SWIRWAFROT ist eines der entstandenen Worte, von denen ich mir eine neue Arbeitsrichtung erhoffe.

Ich denke, dass die Verschränkung der verschiedenen Vorhaben auch etwas mit Arbeitsökonomie zutun hat. Indem ich die Tabolinien mit den Berlinprojekten und mit den sakralen Objekten in Neckargemünd verbinde, kann ich an allem zugleich arbeiten, ohne die jeweiligen Themen verlassen zu müssen. Außerdem reagieren sie aufeinander und erneuern sich durch Aspekte, die aus den Überlagerungen erwachsen.

Aus einem Wirrwarr von vielen hängenden Objekten im Atelier, befreite ich eine Affenmaske. Diese ist mit dem Rasterportrait meines Vaters bemalt. Um sie einzeln wirken zu lassen, hängt sie nun alleine an einem Regal. Ich zähle: 182 Arbeitstage in diesem Jahr, 3335 Tagebucheinträge mit Collagen auf meiner Webseite und 140 Tagebücher mit Texten und Buchmalereien. Eigentlich ist das alles genug, wäre da nicht diese Neugier, wie es weitergehen kann.

Alles zusammen

Nun finde ich weitere Satzkombinationen aus den verschiedenen Texten: ER MACHT DEINE WAFFE oder VON BERLIN FORT. Es macht wirklich etwas Neues, das mir hilft voran zu kommen. Ich kann was anfangen damit. Es entwickelt sich auf Rolle 11, indem ich einfach immer weiter mache, ohne festes Ziel, einfach weiter. Und dann entstehen die anderen, neuen Dinge.

Peter schickte mir einen Link zu einem Video, das zeigt, wie seine Fotografien ganz groß gedruckt werden. Sehr, sehr schön! Anke Schnabel berichtet von einer ganzen Zeitungsseite, die sich mit unserer Ausstellung beschäftigt, mit Foto von mir im Atelier und Zitat aus meinem Interview. Und Dominique Falentin schickt mir einen Link auf die Website vom Humboldt Forum mit einer Ankündigung unserer Veranstaltung, wieder mit einer Fotografie von mir und einem Vitatext… Und ich sitze hier und arbeite einfach immer weiter.

Schon schiebt sich die Arbeit für das ökumenische Gemeindezentrum in Neckargemünd in mein Denken. Ich stelle mir vor, wie ich die Transparentpapierrollen übereinander lege und alle Themen miteinander verschmelzend den Raum um den Auferstehenden anfülle.

Attrappen

Zurück im Atelier, nahm ich mir die verschiedenen Textsplitter auf Rolle 11 vor. Zunächst fügte ich „WIRF DEINE WAFFE“ ein. Eigentlich müsste es heißen: „… wirf fort deine Waffe“, wie es in Annes Roman lautet. Die erste neue Wortkombination ist: „WAS IST DIR“- könnte aus Goethes „Faust“ sein. Das nehme ich ernst und arbeite damit weiter.

Die ganze Zeit, während meiner Arbeit mit dem Humboldt Forum, ist mir nicht so recht gegenwärtig, dass ich mich ja in der Preußenschloss-Attrappe befinde. In keinem Bildkommentar habe ich bislang darauf Bezug genommen. Dabei war der Palast der Republik selber ein Kommentar zum Stadtschloss, vor dessen Fassade die preußische Aufmarschtradition im Stechschritt weiterlebte. Der Volkspalast – eine Kaschur, wie auch wie auch das neue Schloss.

Einen erhellenden Blick kann ich ja während meiner GPS – Wanderungen vom Lustgarten aus hinüber werfen. Die offene Abrissfassade des Palastes habe ich oft genug gezeichnet, genauer gesagt die nördliche Fassade ohne Verglasung. Folgerichtig wäre der nächste Schritt, diese Struktur mit der historisierenden Rekonstruktion zu schichten.

Maltechnik

Ein paar Tabo – Umrissinseln füllte ich mit der Schreibmaschinentype der Tonbandprotokolle des IM „Lutz Lange“. Die Dichte des Ganzen nimmt mit der weniger werdenden Gravitation ab. Erinnerungsmasse ist abgebaut worden. Die Leere zwischen den Teilen nimmt zu.

Zu Hause mit dem Tagebuch, reduzieren sich die Mittel der Buchmalereien. Viele Dinge, die für die Formenvielfalt benötigt werden, liegen im Atelier. So kommt es, dass ich mit den weichen Bossierpinsel aus der Staatlichen Porzellanmanufaktur Meißen, dieses Blau aufstreiche, das alles beherrscht. Daneben treten senkrechte Linien warmer Farben auf, die oft als Gegensatz zu den Querverwischungen funktionieren.

Aus einer feinmotorischen Eigenbewegung entstehen die Spiralen, die aus der Schulter oder dem Handgelenk kommen. Neben dem Handkantenabdruck, gibt es auch manchmal solche des rechten Daumenballens. Hinter ihm sitzt eine Arthrose, die sein Volumen reduziert. Dadurch entstehen neue Längsfalten als Abdruckmaterial für wasserfarbige Bilderzählungen.

Wortcollagen

Natürlich kann ich jetzt mit den Roos-Schablonen alle möglichen Wortcollagen herstellen. Bildlich macht das zunächst mehr Sinn als sprachlich. Auf Rolle 11 wiederholte ich das Tabolinien-Wortgeflecht noch einmal reduzierter, um zu sehen welche Zwischenerkenntnis sich dann einstellt.

Und noch einmal las ich in meiner Stasiakte und legte einzelne Blätter unter die transparente Tabosequenz, mit der Hoffnung auf ein Lichtzeichen, ein tausend Jahre altes Phosphen. Die Buchmalereien sind Denkanleitungen für mich, die wie die Mandalas die Meditation unterstützen. Sie entsprechen meiner inneren Architektur, die mit Worten von außen gehalten wird, wie ein Kirchenschiff von Strebepfeilern.

Anlässlich eines Berichtes über Jugendgefängnisse in der DDR, den ich gestern Abend sah, dachte ich über die Erzieherkarriere meines Vaters nach. In Brandenburg an der Havel könnte er in einem Jugendhaus, das an das Zuchthaus angegliedert war, als Wärter gearbeitet haben, in Gerode dann als Erzieher im Jugendwerkhof. Dort drinnen im ehemaligen Klostergelände haben die Erzieherfamilien auch mit gewohnt. Die Atmosphäre dort hat mich geprägt.

LUFTGRENZE

Die Schablonenschrift bekommt mit Worten aus Annes Roman größere Präsenz. Es handelt sich um solche, die in mir Erinnerungen aufrufen, die wir gemeinsam haben. Heute ist es das Wort LUFTGRENZE. In meinem Tagebuch suchte ich nach der Stelle, an der ich unseren Grenzübertritt 1984 beschrieb. Die Hausfassaden waren alle, nachdem wir die magische Linie mit dem Zug überfahren hatten, ungewohnt hell. Anne meinte, dass das an der besseren Luft liegt…

Die Wortfragmente, die durch das Übereinanderschreiben der Buchstaben entstehen, werden zu einer Gestaltungsform, die in die Stadtwanderung einfließt. Wenn die Begriffe beim Gehen gesprochen werden, ziehen sich die übereinander geschichteten Buchstaben wieder auseinander und ordnen sich zu den Sinnzusammenhängen.

Sie begegnen den Tonbandprotokollen des IM „Lutz Lange“, zu einer dichten Materie zusammengepresst in „Stasi DADA“, die einer entgegengesetzten Ladung entspricht. Ein elektromagnetisches Feld entsteht und zieht weitere Texte an. „An dieser Stelle“ befindet sich dann das „Kraftfeld 2“. Dafür möchte ich im Lustgarten die gegangenen Worte demnächst probieren.

Grenzen des Zusammenspiels

Anke Schnabel hat mich zu einer Kuratorinnenführung Im Humboldt Forum eingeladen, während der ich etwas zu meiner Transparentpapierrolle sagen soll. Ich hoffe, dass wir über „An dieser Stelle“ ins Gespräch kommen. So will ich das GPS-Projekt nennen, das 3 verschiedene Texte und Bewegung in der Stadt miteinander verbindet. Das Exposé liegt bei Carolin Kaever.

Und aus der Arche, dem ökumenischen Gemeindezentrum in Neckargemünd ist zu hören, dass unser Projekt zwei Schritte zu seiner Verwirklichung hin gemacht hat. Wenn es tatsächlich dazu kommt, dass ich die drei Objekte, die ich vor fast 40 Jahren angefertigt habe, nun überarbeite, so werde ich das auch mit der Hilfe der Transparentpapierrollen machen. Es geht um formale und inhaltliche Verdichtung.

Aber das Zusammenspiel der anderen Themen beschäftigt mich derzeit in erster Linie. Mit den Roos-Schablonen setzte ich Worte meines IM und aus meinen Stücktexten in die Linienstruktur der Tabosequenz. Diese Durchdringung funktioniert rückwärts noch nicht. Die Linien aus diesem Kloster haben nichts mit dem Palast der Republik zutun. Das sind die Grenzen der sinnvollen Bezugnahmen.

Linien und Schablonen

Nun kann ich, nach einem Telefonat mit Anne, den Roman „Hinter den Mauern der Ozean“ als weitere Quelle in die Projektbeschreibung einfügen. Ich kam mit ihr überein, am ehesten die Gesänge für das Sprechen im Gehen zu nutzen. Sie eignen sich rhythmisch und besitzen die stilisierte Form, die sie von den anderen Texten deutlich unterscheidet. Aber sie ließ mir alle Freiheit.

Der Fotoband von Peter van Ham hieße auf Deutsch sicher: „Die Götter des Lichts“. Darin fand ich unter weiteren Wächterfiguren ähnliche Linienstrukturen, wie die, mit denen ich arbeite. Ich überlege, ob ich die Schablonenschrift auf diese Zeilen setzen will. Dabei könnten sich die Buchstaben der Worte und die Worte der Sätze in einer Weise überlagern, wie ich es in den Buchmalereien der letzten Tage schon probiert habe. Das führe ich auf Rolle 11 weiter und entwickle so die Arbeitsweise für das GPS-Projekt auf der Museumsinsel.

Womöglich habe ich schon heute Nachmittag Zeit und Geist, mich mit den Roos-Schablonen zu beschäftigen. Auch von dieser Geschichte erzählte ich Anne, die gleich eine befreundete Autorin wusste, die sich für dererlei Zusammenhänge interessiert. Auch wenn ich diese Dimension bei der GPS-Arbeit unerwähnt lasse, spielt sie eine Rolle.

Verzweigungen

Beim Nachdenken über Quellen und Vorgehensweisen, erscheinen immer mehr Schichten. Am Morgen gingen mir die Schablonen des Tischlers durch den Kopf, mit denen ich einen Teilsatz in die Buchmalereien prägte: „An dieser Stelle…“. Er war ein gewalttätiger Kriegsheimkehrer. Seine Tochter zog in den Siebzigerjahren in ihren eigenen Krieg gegen den Staat und gegen einen US – General.

Wenn sich die ganzen Verzweigungen des Erinnerns auftun und Gestaltungsschichten bilden, wie Wurzelgeflechte, dann schrecke ich manchmal zurück. Die Gefahr des Verzettelns steigt und die, dass mir das Ganze über den Kopf wächst. Die Entwicklung von Projekten in Berlin, würde ich gerne im Team fortsetzen, um die Zusammenhänge, in denen die Kuratorinnen denken, nicht aus dem Blick zu verlieren.

Die Verbindungen der Tabolinien mit den Sätzen aus 3 verschiedenen Zusammenhängen, die aber punktuell miteinander zutun haben, sind das Feld, auf dem ich das Gehen und Sprechen als poetische Methode ausprobiere. In den Buchmalereien verband ich vorsichtig die Buchstaben mit meinen Handballenstrukturen. So geht es weiter.

Rolle 10 in Berlin

Das Wochenende verbrachte ich in Berlin, um an einer Veranstaltung im Humboldtforum teilzunehmen, in der es unter anderem um Rolle 10 ging, die sich in der Ausstellung „Hin und weg“ befindet. Wir sprachen dann auch über mein Projekt, in dem ich verschiedene Texte mit gegangenen Wegen rund um den Palast verbinden will. Das Gehen und Sprechen als rhythmisch-poetischer Experimentalaufbau richtet neue Verbindungen verschiedener Themen ein.

Solch ein Vorhaben könnte „An dieser Stelle“ heißen. Das bezieht sich auf das Stück „Bau auf! Bau ab!“, auf den Roman „Hinter den Mauern der Ozean“ von Anne und auf die Berichte des IM „Lutz Lange“. Außerdem habe ich mir auf Rolle 11 die Sequenz angesehen, in der ich meinen Text aus dem Theaterstück auf die Tabolinien geschrieben habe. Diese Quellen und Formen müssen noch genauer auf ihre Eignung untersucht werden. Aber es ist denkbar, mit anderen Menschen einen poetischen Versuch zu starten, um gemeinsam Neues zu finden oder andere Fragen zu stellen.

Buchmalereien, die ich unterwegs mache, sind zumeist sparsamer. Gleichzeitig aber schafft die Reduktion eine Konzentration auf das Wesentliche. Wenn die so entstehende Leere zwischen den Linien aber nicht mit dem Material ausgefüllt ist, das ich vorher entwickelt habe, wenn also dessen Abwesenheit zu einer tatsächlichen Leere führt, ist es eine Sackgasse. Gestern und Vorgestern im Zug aber, war es nicht so.

Gitterskulpturen

Meinem Enkel Armin nehme ich eine Buchstabenschablone mit nach Berlin, denn er ist ein „ABC-Schütze“. Sie lag in der Schublade der Hobelbank von Paul Roos. Mit der größten der drei Schablonen, probierte ich heute kursive Schriftornamente in den Buchmalereien.

Die Fortführung der Rückrollaktion mit Rolle 11 verschiebe ich auf die nächste Woche. Dann werde ich die neuen Leerstellen zu Umrissen machen, die gefüllt und übereinander gezeichnet werden. Vielleicht komme ich dann dazu, mit diesen und der kursiven Schablonenschrift zu den Texten zurück zu kehren.

Die dynamische, etwas gewalttätige Struktur, die die Tuschezeichnungen angenommen haben, kommt von den vielen Diagonalen in den Linien unter der Wächterfigur in Tabo. Von dort aus zieht es mich zu den Gitterskulpturen, die seit vielen Jahren unbeachtet im Atelier hängen. Aber jetzt, wo die Räume der Zeitschichten wachsen, möchte ich diese mit Material umschließen. Falls sich skulpturale Varianten der Tabolinien entwickeln, können sie einen entscheidender Schritt in den weiten vergangenen Raum sein. Manchmal schneide ich trockene Äste aus den Gesträuchen des Gärtchens zu kleinen Wesen zurecht, die auf mehreren Beinen stehen. Sie erinnern an Insekten und an die Gitterskulpturen.

Rückkopplungen

Es war richtig, nun auf Rolle 11 mit den frei schwebenden Formen weiter zu machen. Aus dem Befreiungsschwung, den sie auslösten, entwickelte sich eine Verdichtungssequenz, die auf dem Zeitstrahl des Transparentpapierstreifens rückwärts läuft. Und wie auf dem Terrazzoboden in der Küche, wachsen aus dieser Struktur Figuren, die mein Hirn aus den Ablagerungen seiner Erinnerungen sammelt. Dabei braucht der Grad der Dichte Grenzen, die einem zu starken Chaos vorbeugen, in dem die Figuren wieder verschwinden können.

Ich beobachte das Wechselspiel zwischen den Buchmalereien, den Transparentpapierzeichnungen auf Rolle 11 und den Collagen, die ich aus den Kombinationen ihrer Scans herstelle. Bei allen drei Arbeitsweisen spielen die Schichten, die aus der Vergangenheit hervorleuchten eine wesentliche Rolle. Bei den Buchmalereien sind es die Linien, die sich von einer Seite auf die nächste durchdrücken, bei den Tuschezeichnungen, die beim Zusammenrollen durchscheinenden Figurationen und in den Collagen, die Schichten der zuvor zusammengestellten Buchmalereien und Tuschezeichnungen.

Aber die Übertragungen laufen zumeist in die gleiche Richtung. Von den Malereien auf Rolle 11 und von beiden zu den Collagen. Eine Rückkopplung gibt es selten, obwohl sie ja nahe liegend wäre. Die Tuschefiguren könnten in den Malereien auftauchen, oder die Collagenumrisse öfter auf der Transparentpapierrolle.

Aus den Gruben der Träume

Aus den dunklen Gruben der Träume tritt skulpturales Material hervor, aus den Phosphenkonstruktionen wachsen Gitterstrukturen, die sich mit Pappmache füttern lassen. Den Impuls, gleich wieder mit dem Füller in den Buchmalereien herumzuzeichnen, bremse ich, weil die Linien zumeist aus den Kompositionen herausfallen.

Etwas ratlos saß ich gestern vor Rolle 11. Ich fand keine Notwendigkeit, einen Umriss der letzten Tage dazuzusetzen, um den Streifen weiter zu zeichnen. Und so entstanden, vom vorausgegangenen Material inspirierte Strukturinseln, die in den Raum driften. Das war befreiend, und wenn ich mir es heute anschaue, will ich erst einmal so weitermachen, vielleicht dazwischen zurückrollen, zeichnend nach hinten verdichten, um dann wieder umzudrehen in die Gegenwart. Beim Hin- und Herwandern wächst die dritte Dimension aus den Zeitschichten, die aufgerollt und durchscheinend sind.

In den Buchmalereien von heute legte ich ein Dreieck zugrunde, das sich von der vorherigen Seite, von gestern also, durchgedrückt hatte. Von Schraffuren sichtbar gemacht, konnte ich es erweitern, vervielfältigen und in die anderen Formate übertragen. Dort spielten dann die Übergänge von kristallinen zu fluiden Strukturen eine Rolle.

Bergbau

Aus den Linienformationen des Tabomaterials entstehen neue Konstruktionen, die Tag für Tag weiter wachsen. Die neuen Formen bilden eine Struktur, die in die Tiefe vordringt. Tastend folgt sie Erinnerungsadern und bildet manchmal blinde Schächte.

Immer wieder geht mir die bildnerische Arbeit mit den verschiedenen Texten durch den Kopf. Dafür benötige ich auf Rolle 11 eine neue Konzentration, die sich etwas von den Buchmalereien entfernt. Diese Arbeitsphase beginne ich, wenn die Veranstaltung im Humboldtforum vorüber ist, und ich mich auf die Taboausstellung in Tibethaus vorbereite.

Gestern zeichnete ich auf Rolle 11 mit einem Umriss der zweiten Malerei von gestern weiter. Ziemlich reduziert nimmt sie noch einmal das Thema auf, aber zeichenhafter und weniger malerisch. Den Scan der Tuschezeichnung vom Transparentpapier verband ich nun mit den Buchmalereien, ließ sie aber eher im Hintergrund.

Gehen Denken Sagen

In meinem Zimmer in der Frankenallee fand ich einen Zettel mit folgendem Inhalt: Handprint Berlin – Kraftfeld 2 – eine Sprachwanderung. Gehen, denken, sagen. An den Kreuzungen der GPS-Wege, verschiedene Anschlussmöglichkeiten: AN DIESER STELLE / die Skyline von Manhattan / NEONLICHT immer. Eine Transparentpapierrolle als Weg. Ausgehend von Katrinems Viereck spreche ich einen Gang.

Carolin Kaever vom Humboldtforum möchte einen kurzen Ankündigungstext zu meiner Person und meiner Beziehung zum Palast der Republik. Es ist da viel unterzubringen in zwei Sätzen. Das fällt mir nicht leicht. Ich habe Vorschläge geschickt und warte, was kommt, was wir gemeinsam formulieren.

Peter van Ham berichtete gestern, dass die Wächterfigur aus Tabo, unter der sich die Linien befinden, mit denen ich mich seit einem Jahr beschäftige, groß ausgedruckt in der Ausstellung im Tibethaus zu sehen sein wird. Da können wir einen direkten Zusammenhang zur Rolle 11 zeigen. Auch die Malereien von heute weisen diesen auf.

Auswege

Die Umrisse, die zwischen den Tabolinien entstehen, entsprechen den Ablagerungen meiner Erinnerung, unscharf und flüchtig, aber mit Potential zur Konkretisierung. Zwischen den Membranen, die einen vagen Kontext umschließen, befindet sich eine Materie, die Inhalte schärfer hervortreten lassen kann. So kann ich mit dem Füller blasse Linien mit Beistrichen versehen, die dann zu Eckpunkten einer Geschichte wachsen. Am ehesten erscheinen dort Emotionen, die zu ergründen sind.

Ohne einen weiteren neuen Umriss habe ich auf Rolle 11 weiter gezeichnet. Dort ist die Forschung nach Gründen für emotionale Strukturen weiter fortgeschritten. Manche Flächen beginnen sich schwarz zuzusetzen, wenn ich die Tuschelinienstärke der dichten Netze nicht reduziere. Somit entzieht sich die vorübergehend aufgeschienene Geschichte wieder dem Blick. Und so geht es ewig weiter.

Auswege bieten die Collagen, die das unterschiedliche Material immer wieder in neue Konstellationen bringen. Womöglich sollte ich diese Ergebnisse in die Produktion auf Rolle 11 zurückführen, was wieder Auswirkungen auf die Buchmalereien hätte. Und gleich kann ich das in die Tat umsetzen.

Opfer

Bei dem Gedanken, dass die Thüringer ihren Faschismus, den sie so gerne haben wollen, doch bekommen sollten, fällt mir ein Bild ein, das mich rührte. In der Kantine des Maxim Gorki Theaters hatten die Bühnenarbeiter mit Tesaband ein Bild von Heiner Müller an die Wand geklebt. Dort ganz in der Nähe flüstert nun meine Rolle 10 immer noch im Humboldtforum.

Die Annäherung an die Tabomaler kommt wieder in Gang. Zwischen den Linienkompositionen lauern, versteckt in harmlosen Figurenumrissen, meine Dämonen. Ich muss sie mit Opfern besänftigen, damit sie beiseite treten, um mich weiter zurückgehen zu lassen. Was mir auf dieser Wanderung begegnet, findet sich in den Buchmalereien und in ihrem Zusammenklang mit den Verdichtungen auf Rolle 11. Gestern, mit den Figuren aus 4.9./I und dem vorausgegangenem Material, das ich wieder mit einer weißen Papiersperrschicht reduziert.

Mir geht das Zusammenspiel der großartigen und groß ausgedruckten Tabofotografien von Peter van Ham mit meiner bescheidenen Transparentpapierrolle durch den Kopf. Der Kontrast ist krass, aber produktiv.

Zusammenspiel

Nach den formalen Ausflügen der letzten Tage, wollte ich heute wieder zu den Tabolinien zurückkehren. Und in diesem Zusammenhang gingen mir am Morgen Textcollagen durch den Kopf. Sie setzen sich aus der Beschreibung des Breslauer Dommodells der Fitznerbrüder, den Tonbandprotokollen meines IM Heinz Werner und Stückzitaten aus „Bau auf! Bau ab!“ im Humboldtforum zusammen. Die Übergänge werden von der Struktur der Tabolinien, auf die die Zeilen geschrieben werden, bestimmt.

Gestern rollte ich Rolle 11 ein paar Umdrehungen zurück, um in die Umrisse der Buchmalerei 2.9./III ein dichteres Liniennetz einzufügen. Dann arbeitete ich mit den Umrissen von 3.9./III weiter. Das dauerte nicht lange und verschaffte mir dennoch das Gefühl, weitergekommen zu sein.

In diesen Arbeitszusammenhängen denke auch an die Aufgabe, sich dem Prozess aus der Perspektive des produzierenden Erzählers zu nähern. Dabei ist der Blickwinkel der Zeitdimensionen entscheidend. Zunächst ist es möglich, auf dem Zeitstrahl des Transparentpapierstreifens hin und her zu wandern. Außerdem geschieht die Materieverdichtung mit Tusche, durch die Umdrehungen, mit denen ich ihn zusammenrolle und auf die entstehende Rundung die durchscheinenden Linien zeichne. Gravitation und das Schauen durch die Zeitschichten, wie in ein Wurmloch, sind Synonyme für diese Vorgänge.

Zusammendenken

Nachdem es in der Nacht geregnet hatte, dachte ich am Morgen alle Projekte zusammen: Stasi DADA, Tabosequenz und Arche. Die äußeren Klammern sind die Buchmalereien, Collagen und die Verdichtung auf dem Zeitstrahl der Transparentpapierrolle, der in beide Richtungen begangen werden kann. Der Blick schwenkt hin und her, in die Vergangenheit, in die Zukunft und hin zum Ende der Zeit in ihrer unendlichen Krümmung.

Die Buchmalereien von heute treten aus einer Kontinuität heraus. Ich hatte die Tabolinien vergessen und die Gesänge der Bilder folgten einem anderen Licht. Gleich, wenn ich die Collagen mache, kann ich das näher untersuchen und in Beziehung zu dem Vorausgegangenen setzen.

Es herrscht eine eigenartige Stille im Gärtchen, keine Vögel, kaum Insekten und Eidechsen. Es ist schwül. Aus der Wiese steigt Feuchtigkeit, die einen milchigen Filter vor den Blick setzt. Auf diese Atmosphäre reagiert mein Körper mit Energieverlust.

Licht singen

Mit meinem Kopfhörer habe ich die Außengeräusche abgeschaltet und befinde mich in hohen Kirchenräumen mit Chorstimmen angefüllt, die das Licht singen. Das tut nach der Stimmabgabe der Thüringer, die ihre Maske fallen gelassen haben und eine faschistische Partei zur stärksten politischen Kraft gemacht haben, gut.

Teile des Konzertes, das wir am vergangenen Donnerstag mit Cat Power in Dortmund gesehen haben, sind mir noch im Kopf und ich singe manchmal ei paar Zeilen vor mich hin. Beim genaueren Lesen des Textes von „Visions of Johanna“ bekam ich Lust zum Schreiben.

Mit den Buchmalereien begann ich im dritten Format, indem ich die durchgedrückten Linien des Vortages aufnahm und etwas mit der Holzhaarnadel erweiterte. Zwischendrin schraffierte ich immer mal verschiedene Farbfigurfelder, die ich per Handkantenabdruck mit Wasser an andere Stellen, an denen ich weiter malen wollte, transportierte. Dort entstanden dann andere Szenen, in denen die abstrakten Figuren auf unterschiedliche Weise Kontakt miteinander aufnahmen. Ich frage mich, ob sie das auch mit Gegenständen außerhalb des Buches probieren, beispielsweise mit den bunten Holzpapageien, die sich auf dem Rand einer weidengeflochtenen Voliere im Gärtchen im Wind drehen.